Titel:
Inkassokosten, Rubrumberichtigung, Sittenwidrigkeit, Allgemeine Geschäftsbedingungen, Mahnbescheid, Vergütungsanspruch, Dienstvertrag, Zahlungsanspruch, Auffälliges Missverhältnis, Prozessleitende Verfügung, Berufungsrücknahme, Vertragsfreiheit, Dienstleistungen, Verjährungsfrist, Inhaltskontrolle, Zurückweisung der Berufung, Terminsverfügung, Rechtsfehler, Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, Landgerichte
Schlagworte:
Esoterische Dienstleistungen, Vertragsfreiheit, Sittenwidrigkeit, Rubrumsberichtigung, Verjährungshemmung, Dienstvertrag, Berufungszurückweisung
Vorinstanz:
LG Memmingen, Endurteil vom 27.06.2024 – 22 O 27/24
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Beschluss vom 05.12.2024 – 24 U 2679/24 e
Fundstelle:
BeckRS 2024, 49535
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Memmingen vom 27.06.2024, Az. 22 O 27/24, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
Entscheidungsgründe
1
Die Klägerin verlangt von der Beklagten Vergütungsansprüche wegen einer esoterischen Leistung aus einem Vertrag vom 12.10.2020.
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Das Landgericht Memmingen verurteilte die Beklagte zur Zahlung von 5.700 € nebst Inkassokosten und Zinsen. Dagegen wendet sich die Beklagte mit der form- und fristgerecht eingelegten Berufung.
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Der Senat ist einstimmig der Auffassung, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist. Die Voraussetzungen für eine Zurückweisung der Berufung liegen vor. Das angefochtene Urteil des Landgerichts Memmingen weist weder Rechtsfehler zum Nachteil der Beklagten auf, noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 ZPO).
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Zu Recht hat das Landgericht Memmingen die Beklagte zur Zahlung des noch offenen Restbetrags in Höhe von 5.700 € aufgrund des zwischen den Parteien am 20.10.2020 abgeschlossenen Dienstvertrags gemäß § 611 Abs. 1 BGB sowie 215 € Inkassokosten jeweils nebst Zinsen verurteilt.
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1. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist der Zahlungsanspruch nicht verjährt.
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a) Zunächst ist festzuhalten, dass hier – wie mit Verfügung des Landgerichts Memmingen vom 22.02.2024 (Bl. 83 d. LG-Akte) angeordnet – das Passivrubrum hinsichtlich des Vornamens der Beklagtenpartei in rechtsfehlerfreier Weise berichtigt wurde. Es handelt sich nicht, wie die Beklagte meint, um einen Fall, in dem eine Klageänderung mit Rücknahme der Klage zu erfolgen hat.
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Die Klägerin führte im Mahnbescheid vom 31.10.2023 lediglich den Vornamen der Beklagten mit „…“ statt richtig mit „…“ auf, während alle übrigen Angaben zutreffend waren. Der Mahnbescheid wurde am 07.11.2023 an die Beklagte zugestellt, welche am 12.11.2023 dagegen Widerspruch erhob.
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Eine Berichtigung oder Korrektur des Rubrums ist möglich und zulässig, wenn dadurch die Identität der Person gewahrt bleibt (OLG Brandenburg, Beschluss vom 29.03.2007 – 5 U 118/06, ZWE 2008, 200; MüKoZPO/Musielak, 6. Aufl. 2020, ZPO § 319 Rn. 8). Dies war hier der Fall, da lediglich der Vorname der Beklagten falsch bezeichnet wurde, an der Personenidentität der Beklagten aber kein Zweifel bestand.
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b) Auch schadet es nicht, dass die Anordnung der Rubrumsberichtigung im Rahmen der Terminsverfügung vom 22.02.2024 und nicht durch einen gesonderten Beschluss erfolgte.
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Bei einer Rubrumsberichtigung durch das Gericht vor Urteilserlass handelt es sich um einen im Gesetz nicht ausdrücklich vorgesehenen Beschluss, mit dem das Gericht im Bedarfsfalle, wenn nämlich insoweit Streit entsteht, seine Auffassung darüber mitteilt, wen es auf Grund der von ihm vorgenommenen Auslegung der Klageschrift als Partei ansieht. Insofern handelt es sich um eine in Beschlussform gehaltene prozessleitende Verfügung, die jederzeit abgeändert werden kann (BAG, Urteil vom 27.11.2003 – 2 AZR 692/02, NZA 2004, 452). Aus diesem Grund war es nicht verfahrensfehlerhaft, die Berichtigung als Verfügung vorzunehmen.
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Dass das Landgericht Memmingen richtigerweise in Besetzung der Einzelrichterin entschied, folgt aus § 348 Abs. 1 S. 1 ZPO. Da die Voraussetzungen für eine Kammerzuständigkeit unzweifelhaft nicht vorliegen, erübrigen sich zu dieser Rüge der Beklagten weitere Ausführungen.
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c) Damit wurde durch die Zustellung des Mahnbescheids im Mahnverfahren die regelmäßige Verjährungsfrist nach § 195 BGB nach § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB gehemmt, so dass der Zahlungsanspruch nicht verjährt ist.
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2. a) Wie das Landgericht zutreffend begründet hat, war der Vertrag zwischen den Parteien zwar objektiv unmöglich, weil er Leistungen betraf, die nach den Naturgesetzen oder nach dem Stand der Erkenntnis von Wissenschaft und Technik schlechthin nicht erbracht werden konnten. Daraus folgt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 13.01.2011 – III ZR 87/10, NJW 2011, 756 Rn. 10) – wie auch die Klägerin richtig erkannt hat (vgl. Berufungsbegründung S. 5, Bl. 9 d. A.) – aber nicht, dass der Anspruch auf Gegenleistung (Zahlung) entfällt. Denn die Vertragsparteien können im Rahmen der Vertragsfreiheit und in Anerkennung ihrer Selbstverantwortung wirksam vereinbaren, dass eine Partei sich – gegen Entgelt – dazu verpflichtet, Leistungen zu erbringen, deren Grundlagen und Wirkungen nach den Erkenntnissen der Wissenschaft und Technik nicht erweislich sind, sondern nur einer inneren Überzeugung, einem dahingehenden Glauben oder einer irrationalen, für Dritte nicht nachvollziehbaren Haltung entsprechen. Dies gilt im Hinblick auf § 611 Abs. 2 BGB insbesondere für dienstvertragliche Leistungen, und zwar auch für solche, mit denen eine wie auch immer geartete Lebensberatung verbunden ist. Da sich die Beklagte gleichwohl entschloss, die Leistungen der Klägerin in Anspruch zu nehmen, ist § 326 Abs. 1 BGB vertraglich abbedungen und die Klägerin kann Zahlung verlangen (vgl. BGH, Urteil vom 13.01.2011 – III ZR 87/10, NJW 2011, 756 Rn. 17 und 18).
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b) Dem Einwand der Beklagten, die Klägerin hätte nicht bewiesen, die vertraglich vereinbarten Leistungen erbracht zu haben, ist nicht zu folgen.
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Ausweislich der von ihr unterschriebenen Belehrung (Anlage K 2) wurde die Beklagte insbesondere darüber informiert, dass Dienstleistungen erbracht werden, „deren Grundlagen und Wirkungen nach den Erkenntnissen der Wissenschaft und Technik nicht erweislich sind, nur einer inneren Überzeugung, einem dahingehenden Glauben, für Dritte nicht nachvollziehbaren Haltung entsprechen“. Die Vergütung war „im Einverständnis beider Parteien fällig, ungeachtet auf den Umstand, dass die „Tauglichkeit“ der erbrachten Leistung rational nicht nachweislich ist“.
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Dass die Beklagte in der Praxis der Klägerin „…“ am 12.10.2020 „Sitzungen“ wahrnahm, wird selbst von ihr nicht in Abrede gestellt (vgl. Schriftsatz vom 06.06.2024, S. 1/2, Bl. 41/42 d. LGAkte.). Der Einwand, für sie sei keine „Leistungserbringung wahrnehmbar“ gewesen (Klageerwiderung S. 2/3, Bl. 19/20 LG-Akte) reicht – gerade in Anbetracht des vereinbarten Inhalts des Vertrags – nicht. Weshalb die Beklagte, die selbst vorträgt, ein Mensch verfüge über keine „Chakren“, den streitgegenständlichen Vertrag mit diesem Inhalt überhaupt abgeschlossen hat, bleibt daher unklar.
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3. Die Frage, ob der zwischen den Parteien geschlossene Dienstvertrag Regelungen enthält, die der Inhaltskontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen (§§ 305 ff. BGB) unterliegen bzw. nicht standhalten, ist vorliegend nicht entscheidungserheblich.
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Dass der von der Beklagten zitierte Passus (vgl. Berufungsbegründung S. 6, Bl. 11 d. A.) nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gerade nicht zur Unwirksamkeit des Vertrags (und damit nicht zum Entfallen der Gegenleistung) führt, wurde oben bereits dargelegt. Welche sonstigen Klauseln der Inhaltskontrolle gemäß § 307 BGB nicht entsprechen sollen, legt die Beklagte nicht dar. Im übrigen führt eine Unwirksamkeit nach §§ 307 ff. BGB von Allgemeinen Geschäftsbedingungen lediglich dazu, dass diese nicht Vertragsbestandteil geworden sind. Der Vertrag mit seinen Hauptleistungspflichten an sich bleibt aber wirksam (§ 306 Abs. 1 BGB).
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4. Schließlich ist der Vertrag auch nicht nach § 138 BGB nichtig.
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a) Selbst wenn der Vortrag der Beklagten zu den Umständen des Zustandekommens des Vertrags und ihrer damaligen Lebenssituation als richtig unterstellt wird, ist die Grenze der Sittenwidrigkeit hier nicht überschritten. Dabei verkennt der Senat nicht, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 13.01.2011 – III ZR 87/10, NJW 2011, 756 Rn. 21) „sich viele der Dienstberechtigten, die einen Vertrag mit dem vorliegenden oder einem ähnlichen Inhalt abschließen, in einer schwierigen Lebenssituation befinden oder es sich bei ihnen um leichtgläubige, unerfahrene oder psychisch labile Personen handelt. Daher dürfen in solchen Fällen keine allzu hohen Anforderungen an einen Verstoß gegen die guten Sitten i. S. des § 138 I BGB gestellt werden (vgl. GE der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen zur Modernisierung d. SchuldR, BT-Dr 14/6040, S. 164)“.
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Die Beklagte hat aber selbst nicht vorgetragen, dass der Vertrag unter Ausbeutung einer Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder einer erheblichen Willensschwäche ihrerseits zu Stande kam, was die Klägerin erkannt hat oder sich ihr aufdrängen musste und aus gewinnsüchtigen Motiven für sich ausgenutzt hat. Auch für das Vorliegen einer Überrumpelungssituation, Ausnutzen der Leichtgläubigkeit oder gar Persönlichkeitsstörung der Beklagten bestehen keine Anhaltspunkte.
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Unstreitig hat sie wenige Tage nach dem Kennenlernen auf einer Messe bei der Klägerin angerufen, um einen Termin gebeten und ist dann zu deren Praxis gefahren. Dazu kommt, dass – wie das Erstgericht unangegriffen festgestellt hat – die Beklagte laut ihrer Website selbst im spirituellen Bereich Dienste anbietet. Dass sie also den Inhalt und möglichen Nutzen der vereinbarten Dienstleistungen nicht kannte oder überblickte, trägt sie selbst nicht vor und wäre vor diesem Hintergrund auch nicht Erfolg versprechend. Allein, dass die Beklagte aufgrund ihrer damaligen Lebenssituation verzweifelt war (vgl. Berufungsbegründung S. 7, Bl. 11 d. A.), reicht für die Begründung einer Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB auch unter Berücksichtigung aller Gesamtumstände nicht aus.
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b) Dafür, dass ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besteht, fehlen Anhaltspunkte und solche wurden von der Beklagten auch nicht konkret vorgetragen. Im übrigen fehlt es vorliegend an einer Vergleichbarkeit mit marktüblichen Entgelten. Die Leistung, die für das Entgelt zu erbringen ist, kann nicht in ihrer Sinnhaftigkeit und damit ihrem objektiven Wert erfasst werden (Grüneberg, BGB, 83. Auflage 2024, § 138, Rn. 67 f.). Im Hinblick hierauf kann vorliegend mangels Hinzukommen weiterer Umstände auch nicht von einem wucherähnlichen Vertrag gemäß § 138 Abs. 2 BGB ausgegangen werden.
24
Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).