Titel:
Arzneimittelvereinbarung, Ehrenenamtliche Richter, Feststellungsklage, Pharmazeutisches Unternehmen, Wirkstoffvereinbarung
Normenketten:
GG Art. 12 Abs. 1
GG Art. 3 Abs. 1
SGB V § 106 b
SGB V § 73 Abs. 8
SGB V § 84 Abs. 1
SGB V § 84 Abs. 6
SGG § 12 Abs. 3 Satz 1
SGG § 31 Abs. 2
SGG § 33 Abs. 1
SGG § 55 Abs. 1 Nr. 1
Leitsätze:
1. Zur Besetzung mit ehrenamtlichen Richtern im Vertragsarztrecht.
2. Zur Zulässigkeit einer Feststellungsklage eines pharmazeutischen Unternehmens gegen eine von den Krankenkassen und der Kassenärztlichen Vereinigung auf Landesebene geschlossene Wirkstoffvereinbarung.
3. Zur Rechtmäßigkeit einer auf Landesebene zur Umsetzung der Vorgaben der Arzneimittelvereinbarung geschlossenen Wirkstoffvereinbarung, soweit dort der Wirkstoff Propiverin im Gegensatz zu anderen Wirkstoffen nicht als Leitsubstanz klassifiziert wird.
Schlagworte:
Arzneimittelvereinbarung, Ehrenenamtliche Richter, Feststellungsklage, Pharmazeutisches Unternehmen, Wirkstoffvereinbarung
Vorinstanz:
SG München, Urteil vom 14.09.2023 – S 38 KA 230/20
Rechtsmittelinstanz:
BSG vom -- – B 6 KA 6/25 R
Weiterführende Hinweise:
Revision zugelassen
Fundstelle:
BeckRS 2024, 49522
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 14.09.2023, S 38 KA 230/20, wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
1
Die Klägerin, ein pharmazeutisches Unternehmen, das urologische Spasmolytika mit dem Wirkstoff Propiverin auch für die Behandlung von Kleinkindern vertreibt, wendet sich gegen eine Regelung in der von der Beklagten zu 1) mit den Beklagten zu 2) – 12) geschlossenen Wirkstoffvereinbarung.
2
Die Klägerin hat am 12.11.2020 Klage zum Sozialgericht München (SG) erhoben. Sie hat vorgetragen, sie werde durch das Verordnungsziel 24.2 der Anlage 2 in der von den Beklagten geschlossenen Wirkstoffvereinbarung ungerechtfertigt diskriminiert. Das Verordnungsziel, das die urologischen Spasmolytika regle, sei rechtswidrig und nichtig. Nachdem eine Änderung der Wirkstoffvereinbarung im Rahmen einer Besprechung von den Beklagten abgelehnt worden sei, sei Klage geboten. Die erhobene Feststellungsklage sei zulässig, insbesondere bestehe für die Klägerin ein Feststellungsinteresse. Die Klage sei auch begründet. Die Wirkstoffvereinbarung verstoße in Ziff. 24.2 der Anlage 2 gegen Art. 12 Grundgesetz (GG) und Art. 3 GG. Denn die Klägerin werde durch die vorgenommene Verordnungssteuerung in Relation zu den Konkurrenzunternehmen mit den Wirkstoffen Tolterodin und Trospium ungerechtfertigt benachteiligt. Die Differenzierung verstoße gegen den allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse. Die Benachteiligung lasse sich auch nicht mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot rechtfertigen.
3
Die Beklagten hätten Leitsubstanzziele geregelt und für urologische Spasmolytika Leitsubstanzen festgelegt. Propiverin sei hierbei nicht berücksichtigt, dahingegen die Wirkstoffe Tolterodin und Trospium. Die Nichtberücksichtigung sei rechtswidrig. Zum einen habe der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) mit Beschluss vom 16.05.2019 eine Festbetragsgruppe geregelt, wonach Propiverin als festbetragsregulierter Wirkstoff, wie die anderen einbezogenen Wirkstoffe, therapeutisch vergleichbar sei. Zum anderen seien die Kosten je DDD (Definded daily dose: Tagestherapiedosis) auf Basis der Apothekenverkaufspreise geringer als die Kosten für Tolterodin und Trospium. Aus § 73 Abs. 8 S.4 4 SGB V ergebe sich aber, dass DDD die maßgebliche Kostenvergleichsgrundlage darstellten. Dahingegen sei die von den Beklagten vorgenommene Berücksichtigung von Rabattverträgen und damit eine abweichende Ermittlung von wirtschaftlichen Wirkstoffen unzulässig. Im Übrigen sei die Zulassung zur Behandlung von Kindern zu berücksichtigen.
4
Weiter seien für die Zielerreichung Messgrößen festgelegt worden, die zu einer Gleichbehandlung von rabattierten Präparaten mit nicht rabattierten Leitsubstanzen führe. Dies sei ein Verstoß gegen den rechtlichen Vorrang des Wirtschaftlichkeitsgebotes. Die Regelung der Beklagten sei auch nicht mit § 84 Abs. 6 S. 3 SGB V und den bundesrechtlichen Rahmenvorgaben zu vereinbaren. Regionale Versorgungsbedingungen, die eine Abweichung rechtfertigen könnten, seien nicht genannt.
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Schließlich verstoße die pauschalierende Berücksichtigung von Rabattverträgen über alle Kassen hinweg gegen kartellrechtliche Vorgaben (§ 69 Abs. 2 Satz 1 SGB V in Verbindung mit dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen). Folglich liege ein Machtmissbrauch vor, der auch zu einer Wettbewerbsverzerrung führe.
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In ihrer Klageerwiderung hat die Beklagte zu 2) die Ziele der Wirkstoffvereinbarung erläutert. Sie bezwecke eine Steuerungswirkung des Verordnungsverhaltens der Ärzte ex ante. Es handle sich um eine Handlungsempfehlung. Eine Wirtschaftlichkeitsprüfung im Nachgang solle nach Möglichkeit nur bei Ausreißern erfolgen. Davon seien die Zielmessmethoden zu unterscheiden. Es würden zunächst die Wirkstoffgruppen definiert. Innerhalb dieser werde durch „Bepunktung“ eine Richtung für Umstellungsempfehlungen festgelegt, um eine insgesamt wirtschaftliche Versorgung zu befördern. Die Kombination von Leitsubstanz und Rabattvertragsprodukt sei besonders positiv bepunktet. Es würden Sollwerte festgelegt und eine Zielmessung durch rechnerische Ermittlung der Istwerte vorgenommen. Relevant seien für den Vertragsarzt nur die Wirkstoffgruppen, bei denen er eine festgelegte Mindestmenge verordnet habe. Das Ziel in 24.2 gelte nur für Ärzte, die in dem Quartal mehr als 500 DDD urologische Spasmolytika verordnet hätten. Eine Steuerung erfolge durch die Festlegung von Generika- und Leitsubstanzzielen. Grundlage sei eine Einschätzung der durch die verschiedenen Alternativen entstehenden Behandlungskosten und die Abwägung, ob medizinische Gründe den angestrebten Veränderungen entgegenstehen. Rabattverträge seien deshalb zu berücksichtigen, weil es auf die tatsächlichen Verordnungskosten ankomme. Es sei begründet gewesen, Propiverin nicht zur Leitsubstanz zu erklären, weil es teurer sei als die Leitsubstanzen in der Gruppe 24.2. Dagegen seien Tolterodin und Trospium unter Einbeziehung der Rabatte günstiger als Propiverin. Hieran ändere auch die Kinderzulassung für „Mictonetten“ nichts; die Eignung von Propiverin für Kinder liefere keinen Anlass für eine besondere Einstufung. Im Übrigen werde die festgelegte Mindestmenge von 500 DDD von der Mehrzahl der Kinderärzte nicht überschritten. Im Rahmen einer Wirtschaftlichkeitsprüfung könnte bei Zielverfehlung das Vorliegen von Praxisbesonderheiten geprüft werden.
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Die Vertragspartner der Wirkstoffvereinbarung als Normgeber hätten bei der Ausgestaltung der Vereinbarung einen weiten Gestaltungsspielraum. Die Wirkstoffvereinbarung bezwecke das Verbessern der Gesamtwirtschaftlichkeit im Bereich der urologischen Spasmolytika. Der von der Klägerin angegebene Streitwert von 300.000,- Euro sei nicht nachvollziehbar. Im Übrigen habe es einen Umsatzrückgang bei der Klägerin schon ab Mitte 2019, also vor Inkrafttreten der Regelungen gegeben.
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Auch die Beklagte zu 1) hat die Regelungen in der Wirkstoffvereinbarung dargestellt. Sie hat darauf hingewiesen, dass die Vertragspartner nicht von den Zielen der Rahmenvereinbarung abgewichen seien, sondern diese umgesetzt hätten. Sie hätten auf Landesebene die Wirkstoffvereinbarung um eine weitere Leitsubstanz ergänzt. Dies sei in der Rahmenvorgabe in Ziffer 2 Abs. 3 S. 9 explizit vorgesehen.
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Ein Verstoß gegen § 12 Abs. 1 SGB V liege nicht vor. Es gehe um die finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung. Das gesetzlich vorgesehene System der Rabattverträge werde nicht durch die Wirkstoffvereinbarung ausgehebelt. Apothekenverkaufspreise seien in der ärztlichen Praxis kein taugliches Orientierungskriterium für eine wirtschaftliche Verordnungsweise. Für die Bewertung der urologischen Spasmolytika sei für Originalpräparate mit Rabattvertrag ein Abschlag von 20% vom Bruttoverkaufspreis und für Altoriginale (Patentschutz abgelaufen) und Generika mit Rabattvertrag ein Abschlag von 40% vom Bruttoverkaufspreis vorgenommen worden. Die Abschläge seien von den kassenseitigen Vertragspartnern über alle Rabattverträge der Krankenkassen pauschalierend ermittelt worden. Unzutreffend sei die Behauptung, Rabattvertragsarzneimittel seien immer wirtschaftlich. Auch die Zulassung von Propiverin für Kinder ändere nichts an dem Ergebnis, das gesamte Verordnungsvolumen durch Kinderärzte sei sehr gering (3,8% bzw. 4%). Insgesamt liege in der Vorgehensweise der Beklagten kein genereller Ausschluss von der Verordnung von Präparaten mit dem Wirkstoff Propiverin.
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Es komme auch zu keiner Wettbewerbsverzerrung. Die Umsetzung der Arzneimittelvereinbarung in der Wirkstoffvereinbarung sei zwischen den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen und der Beklagten gemeinsam und einheitlich abgeschlossen worden. Alle Krankenkassen bzw. deren Landesverband seien gleichwertige und gleichberechtigte Vertragspartner. Maßstab für die Einordnung als Leitsubstanz seien die Kosten des Wirkstoffs über alle Krankenkassen, nicht die Versichertenzahlen. Der von der Klägerin angegebene Umsatzrückgang sei nicht auf die Einordnung von Propiverin als Nicht-Leitsubstanz zurückzuführen, sondern auf die günstigen Preise der Generika-Anbieter.
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Das SG hat mit Urteil vom 14.09.2023 die Klage abgewiesen. Die Feststellungsklage nach § 55 SGG sei zulässig. Die Klage sei aber nicht begründet. Die Rechtsgrundlagen für die Wirkstoffvereinbarung vom 01.01.2020 ergäben sich aus §§ 106b, 84 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 2 und der Arzneimittelvereinbarung.
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Bei der Ausgestaltung der Wirkstoffvereinbarung besäßen die Vertragspartner einen weiten Gestaltungsspielraum. Für die Leitsubstanz-Einstellung gebe es mehrere Kriterien. Dies seien vor allem die Geeignetheit des Wirkstoffes, die Analyse, was die bayerischen Ärzte vermehrt verordnet haben und auch der Kostenfaktor. Die Einordnung der Leitsubstanzen, auch die Berücksichtigung von Rabattverträgen begegne keinen Bedenken.
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Die Bepunktung der Wirkstoffe diene dazu, die Wirtschaftlichkeit der Verordnungsweise des einzelnen Vertragsarztes zu messen und daraus für den einzelnen Bereich den Istwert zu berechnen. Es handele sich nach Auffassung des Gerichts um ein taugliches und geeignetes Verfahren zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit, das die vorausgehende Richtgrößenprüfung ersetze und deutlich aussagekräftiger sei als letztere. Es könne dahinstehen, ob anderen möglichen Regelungen der Vorzug einzuräumen wäre, weil sie eventuell genauer und differenzierter wären. Hierüber habe das Gericht nicht zu befinden, den Vertragspartnern stehe ein Gestaltungsspielraum zu. Ebenfalls rechtlich unbedenklich erscheine, wie die Bepunktung konkret erfolgt und umgesetzt worden sei.
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Auf die Apothekenabgabepreise komme es gerade nicht an. Vielmehr sei zur Beurteilung der Wirtschaftlichkeit maßgeblich, welche Kosten den Krankenkassen entstünden. Auch eine Abweichung der Wirkstoffvereinbarung von den bundesrechtlich vorgegebenen Rahmenvorgaben sei nicht ersichtlich. Denn dort sei explizit bestimmt, dass mit den regionalen Zielvorgaben die Vertragsärzte dazu angeleitet werden sollten, eine Verlagerung der Verordnungen hin zu Leitsubstanzen und zu rabattierten bzw. preisgünstigen Arzneimitteln sowie zu wirtschaftlichen Versorgungsalternativen vorzunehmen und noch vorhandene Wirtschaftlichkeitsreserven zu erschließen. Ein Verstoß gegen die Rahmenvorgaben liege nicht vor.
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Nachdem den Vertragspartnern der Wirkstoffvereinbarung ein Gestaltungsspielraum zuzugestehen und dieser nicht überschritten worden sei, keine Unvertretbarkeit und keine Unverhältnismäßigkeit vorliege, vielmehr die Regelungen als sachgerecht und ausgewogen anzusehen seien, liege ein Verstoß gegen Art. 3 GG nicht vor. Auch sei nicht von einem Verstoß gegen Art. 12 GG auszugehen. Da weder unmittelbar, noch mittelbar die Regelungen der Wirkstoffvereinbarung dazu führten, dass die Verordnung von Propiverin ausgeschlossen werde, könne allenfalls ein mittelbarer Eingriff in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb darin liegen, dass Ärzte zur Vermeidung von Regressen bei Beachtung der Wirkstoffvereinbarung andere Wirkstoffe anderer pharmazeutischer Unternehmen verordneten als Propiverin und damit die Konkurrenten begünstigt werden könnten. Dieser Eingriff sei aber als verhältnismäßig anzusehen. Es werde damit ein legitimer Zweck verfolgt, nämlich das Verordnungsverhalten der Vertragsärzte im Hinblick auf eine wirtschaftliche Verordnungsweise positiv zu beeinflussen. Außerdem sei der behauptete Umsatzrückgang nicht nachvollziehbar. Zum einen sei bereits ein Umsatzrückgang vor Inkrafttreten der streitgegenständlichen Wirkstoffvereinbarung zu beobachten gewesen. Zum anderen seien hierfür in der Regel mehrere Faktoren verantwortlich. Insofern erscheine eine Kausalität zwischen Wirkstoffvereinbarung und Umsatzrückgang äußerst fraglich. Ebenfalls sei eine Verletzung von § 69 SGB V in Verbindung mit dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb nicht zu besorgen. Der Anwendungsbereich sei nicht eröffnet. Die Beklagten seien gesetzlich verpflichtet, Regelungen mit dem Ziel einer wirtschaftlichen Verordnungsweise der Vertragsärzte zu treffen.
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Hiergegen hat die Klägerin am 08.11.2023 Berufung beim Bayerischen Landessozialgericht eingelegt. Sie verfolge ihr erstinstanzliches Begehren weiter und wende sich gegen eine ungerechtfertigte Benachteiligung im Wettbewerb durch die Regelung in der bayerischen Wirkstoffvereinbarung. Das SG habe die Klage zu Unrecht abgewiesen. Die Leitsubstanzklassifizierung entfalte einen Einfluss auf den Wettbewerb der pharmazeutischen Unternehmer, die – wie die Klägerin mit Propiverin – von einem Ziel erfasste urologische Spasmolytika vertrieben. Dieser Eingriff in den Wettbewerb verletze die Rechte der Klägerin aus Art. 19 Abs. 3 i.V.m. Art. 12 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG, weil der Wettbewerb verzerrt werde, indem er ohne tragfähige Rechtfertigung zugunsten der als Leitsubstanzen definierten Wirkstoffe Trospium und Tolterodin und zulasten der von der Klägerin vertriebenen, nicht als Leitsubstanz klassifizierten Arzneimittel mit dem Wirkstoff Propiverin beeinflusst werde. Unstreitig seien es keine medizinischen Gründe, die eine Bevorzugung von Trospium und Tolterodin gegenüber Propiverin begründeten. Diese Wirkstoffe seien sämtlich gemäß § 35 SGB V in einer Festbetragsgruppe als therapeutisch vergleichbar zusammengefasst. Die Bevorzugung von Tolterodin und Trospium gegenüber Propiverin sei aber auch nicht aus Wirtschaftlichkeitsgründen gerechtfertigt. Hierzu sei im Klageverfahren ein Kostenvergleich vorgelegt worden, der zeige, dass zwar einige Leitsubstanzen geringere Kosten als Propiverin verursachten – insoweit werde deren Bevorzugung als Leitsubstanz auch nicht angegriffen –, die Leitsubstanzen Trospium und Tolterodin jedoch im Vergleich zu Propiverin höhere Kosten je DDD verursachten. Der vorgelegte Kostenvergleich sei weder vom SG noch den Beklagten als unzutreffend behauptet worden. Diese sähen die unterschiedliche Behandlung dennoch aus wirtschaftlichen Gründen als gerechtfertigt an. Die Beklagten führten den Wirtschaftlichkeitsvergleich nicht allein auf der Grundlage der sich nach der Arzneimittelpreisverordnung ergebenden Kosten je DDD durch, sondern berücksichtigten bei ihrem Wirtschaftlichkeitsvergleich auch Rabattverträge nach § 130a Abs. 8 SGB V. Die zentrale Rechtsfrage sei, ob die von den Beklagten vorgenommene Berücksichtigung der tatsächlichen Einsparungen aus Rabattverträgen bei der Festlegung der Leitsubstanzen eine bei der Regelung von Verordnungsquoten zulässige Konkretisierung des Wirtschaftlichkeitsgebots sei.
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Die Rabattvertragsabdeckung für die Wirkstoffe Trospium und Tolterodin in Bayern sei größer als diejenige für Propiverin. Dies führe dazu, dass unter Zugrundelegung der so ermittelten Kosten Trospium und Tolterodin günstiger erschienen als Propiverin. Welche Rabattsätze die Beklagten geschätzt hätten, ob diese plausibel und ob die Berechnungen zutreffend seien, sei ungewiss. Die Berücksichtigung der über Rabattverträge erzielten Einsparungen der Krankenkassen bei der Entscheidung über die Klassifizierung von Arzneimitteln als Leitsubstanzen sei jedenfalls rechtswidrig. Richtig sei zwar, dass sowohl die Regelung von Verordnungszielen und -quoten durch die Beklagten als auch der Abschluss von Rabattverträgen nach § 130a Abs. 8 SGB V das Ziel verfolgten, eine wirtschaftliche Arzneimittelversorgung zu fördern. Doch handele es sich um Ausgestaltungen des Wirtschaftlichkeitsgebots, die Regelungen auf einer unterschiedlichen Ebene träfen. Problematisch sei dabei auch, dass Rabattverträge kassenindividuell abgeschlossen würden und keine kalenderjährliche Laufzeit hätten. Die Aufgabe der Steuerung des vertragsärztlichen Verordnungsverhaltens über Leitsubstanzen gelte jedoch kassenübergreifend und kalenderjährlich.
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Davon zu trennen sei die Frage, ob bei der Bewertung der Erfüllung der Leitsubstanzziele Rabattverträge berücksichtigt werden könnten. Eine doppelte Berücksichtigung bereits bei der kassenübergreifend geltenden Auswahl der Leitsubstanzen stelle eine die Wirtschaftlichkeit verzerrende Konkretisierung dar. Die über die Leitsubstanzquote erfolgende Steuerung des vertragsärztlichen Verordnungsverhaltens im Hinblick auf ärztliche Verordnungen sei rechtswidrig, wenn die konkrete Krankenkasse, zu deren Lasten die gesteuerte Verordnung erfolge, keinen Rabattvertrag zu Tolterodin und Trospium abgeschlossen habe, denn in diesem Fall entstünden der Krankenkasse Kosten, die oberhalb derjenigen von Propiverin lägen und damit unwirtschaftlich seien. Wenn die konkrete Krankenkasse nicht nur einen Rabattvertrag zu Tolterodin und Trospium, sondern auch zu Propiverin abgeschlossen habe, sei diese Verordnung ebenso wirtschaftlich, sodass Kostengründe eine Benachteiligung der Klägerin nicht rechtfertigen könnten.
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Die Verwendung eines Punktesystems bei der Bewertung der Wirtschaftlichkeit der ärztlichen Verordnungsweise führe zu einer sachwidrigen Ungleichbehandlung. Die Leitsubstanzregelung sei als Rechtsnorm vom Arzt bei jeder Verordnung zu beachten, wirke also individuell. Sie dürfe aber nicht so ausgestaltet sein, dass sie den Arzt zu unwirtschaftlichen Verordnungen steuere. Die Einsparung der Krankenkasse A aus einem Rabattvertrag über (z.B.) Trospium rechtfertige keine Verordnung von nicht rabattiertem Trospium zulasten der Krankenkasse B, die gegenüber Propiverin zu Mehrkosten führe. Der in dieser Konstellation die nicht rabattierte Leitsubstanz Trospium verordnende Arzt könnte sich in einer von Krankenkasse B veranlassten Einzelfallprüfung wegen Unwirtschaftlichkeit nicht auf die Einsparungen der Krankenkasse A berufen. Die Leitsubstanzklassifizierung müsse seitens der Beklagten aber so vorgenommen werden, dass die bewirkte Verordnungssteuerung nicht zu gegen § 12 Abs. 1 SGB V verstoßende unwirtschaftlichen Verordnungen führe. Die durch das Vorgehen der Beklagten bewirkte (partiell) rechtswidrige Verordnungssteuerung lasse sich auch nicht durch einen den Beklagten tatsächlich zustehenden weiten Normsetzungsspielraum rechtfertigen. Dieser finde seine Grenze an gesetzlichen Vorgaben, zu denen das Wirtschaftlichkeitsgebot nach § 12 Abs. 1 SGB V gehöre.
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Die rechtswidrige Leitsubstanzbestimmung durch die Beklagten lasse sich auch nicht damit rechtfertigen, dass diese für die Vertragsärzte, wenn überhaupt, eine untergeordnete Rolle spiele. Es handele es sich um eine Rechtsnorm, die für alle bayerischen Vertragsärzte verbindlich sei. Dass sich manche Ärzte nicht an diese hielten, stehe deren Geltung nicht entgegen. Tatsächlich sei der Klägerin aber bekannt, dass Vertragsärzte wegen der Klassifikation als Nicht-Leitsubstanz von Verordnungen von Propiverin absehen und stattdessen bevorzugt eine Leitsubstanz verordneten.
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Die Berücksichtigung der Rabattvertragsabdeckung stelle auch eine kartellrechtswidrige Begünstigung der Beklagten zu 2) als der größten bayerischen Krankenkasse bei. Dem liege die Erkenntnis zugrunde, dass die Berücksichtigung der von allen betroffenen Krankenkassen aus Rabattverträgen erzielten (geschätzten) Rabatte bei der Bestimmung von Leitsubstanzen dazu führe, dass der Abschluss eines Rabattvertrags mit einer großen Krankenkasse wegen der höheren Anzahl an zu erwartenden Rabattvertragsverordnungen mit höherer Wahrscheinlichkeit zu einer Klassifizierung als Leitsubstanz führe. Die Berücksichtigung der Rabattvertragsabdeckung bei der Leitsubstanz-Klassifizierung stelle so für pharmazeutische Unternehmen einen zusätzlichen Anreiz dar, Rabattverträge vorzugsweise mit großen Krankenkassen abzuschließen, weil dies die Wahrscheinlichkeit erhöhe, dass über die Leitsubstanz-Klassifizierung eine zusätzliche verordnungssteuernde Wirkung zugunsten des eigenen Produkts auch bei den Krankenkassen erzielt werde, mit denen man keinen Rabattvertrag abschließe. So führe der Abschluss eines Rabattvertrags mit einer großen Krankenkasse zunächst dazu, dass die Verordnungen zulasten dieser Krankenkasse wegen des Rabattvertrags als wirtschaftlich gälten. Bewirke der Rabattvertrag aber zusätzlich, dass das Arzneimittel als Leitsubstanz klassifiziert werde, erstrecke sich die verordnungsfördernde Wirkung nicht mehr nur auf die rabattierten Verordnungen, sondern auf alle Verordnungen. Die Wirkung des Rabatts werde skaliert.
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Daher werde das Vorgehen als kartellrechtswidrig erachtet. Auch hieraus könne die Klägerin Rechte ableiten, weil die durch die Leitsubstanz-Klassifizierung bewirkte Benachteiligung im Wettbewerb aufgrund der Kartellrechtswidrigkeit des Vorgehens der Beklagten nicht gerechtfertigt werden könne.
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Das rechtswidrige Vorgehen der Beklagten lasse sich nicht dadurch rechtfertigen, dass es die Klägerin selbst in der Hand hätte, durch Abschluss weiterer Rabattverträge eine Klassifizierung als Leitsubstanz zu erreichen. Die Klägerin sei daran interessiert, weitere Rabattverträge abzuschließen, dies sei aber nicht möglich. So schreibe die Beklagte zu 2) keine Rabattverträge für die umsatzstärksten Propiverin-Produkte der Klägerin aus. Auch Open house-Rabattverträge würden nicht abgeschlossen. Tatsächlich habe die Klägerin mit der Beklagten zu 2) Rabattverträge abgeschlossen, jedoch offensichtlich nicht in dem Umfang, der zur Klassifizierung als Leitsubstanz ausreiche. Sie vertreibe im ambulanten Markt 16 Produkte mit dem Wirkstoff Propiverin und habe mit der Beklagten zu 2) sechs Rabattverträge abgeschlossen; für andere (weniger marktstarke) Krankenkassen bestehe eine abweichende, teilweise deutlich höhere Rabattvertragsabdeckung. Andere Anbieter von Propiverin hätten Rabattverträge mit weiteren Krankenkassen, sodass insgesamt Propiverin Rabattvertragssubstanz über alle Krankenkassen sei, jedoch nicht für alle Wirkstärken. Auch für die Leitsubstanzen Tolterodin und Trospium seien nicht über alle Krankenkassen hinweg Rabattverträge abgeschlossen worden, die Rabattvertragsabdeckung für diese Substanzen sei aber etwas höher als für Propiverin. Dies sei für die Klassifizierung als Leitsubstanz aber irrelevant.
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Schließlich verstoße die Regelung eines Leitsubstanzziels für die Wirkstoffklasse der urologischen Spasmolytika auch gegen § 84 Abs. 6 Satz 3 SGB V, weil die Bundesrahmenvorgaben zwar eine Fülle von Verordnungszielen vorgäben, jedoch kein Verordnungsziel für die urologischen Spasmolytika. Ein solches Verordnungsziel dürfe nach dem Wortlaut von § 84 Abs. 6 Satz 3 SGB V rechtmäßig in Bayern nur vereinbart werden, „soweit dies durch die regionalen Versorgungsbedingungen begründet ist“. Hierzu sei nichts dargelegt worden. Soweit die Beklagte auf eine Öffnungsklausel in den Rahmenvorgaben hinweise, verkenne sie, dass es den Partnern der Bundes-Rahmenvorgaben nicht offenstehe, von der gesetzlichen Vorgabe abzuweichen, dass Abweichungen „durch die regionalen Versorgungsbedingungen“ begründet sein müssten. Diese nicht zur Disposition stehende Vorgabe sei durch das Bemühen des Gesetzgebers zu erklären, das im bundesweiten Vergleich unterschiedliche Niveau der Gesundheitsversorgung im Interesse einheitlicher Lebensbedingungen zu harmonisieren. Zutreffend sei zwar, dass die Rahmenvorgaben eine Berücksichtigung rabattierter Arzneimittel zuließen. Zulässig sei eine Berücksichtigung von Rabattverträgen etwa derart, dass die ärztliche Verordnungsweise zur bevorzugten Verordnung von rabattierten Arzneimitteln gesteuert werde, wie dies zum Beispiel durch eine Rabattumsetzungsquote geschehen könne (so z.B. in Niedersachsen), oder dass die Verordnung von Rabattvertragsarzneimitteln als wirtschaftliche Verordnung im Sinne der Quotenerreichung gewertet werde, auch wenn das rabattierte Arzneimittel nicht Leitsubstanz sei. Dies sei das Vorgehen in vielen anderen KV-Bezirken (z.B. Hessen, Nordrhein, Westfalen-Lippe). Unzulässig sei der Umstand, dass Rabattverträge vorliegend bereits bei der Klassifizierung als Leitsubstanz berücksichtigt würden.
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Die Ausführungen der Beklagten zum praktischen Vorgehen der Berücksichtigung von Rabatthöhen im Rahmen der Klassifizierung von Leitsubstanzen zeigten, dass entweder zwischen den Krankenkassen ein strafbarer Austausch von Geschäftsgeheimnissen stattfinde oder das Vorgehen der Beklagten bei der Klassifizierung der Leitsubstanzen spekulativ und willkürlich sei. Gerade weil die Rabatthöhen ein Geschäftsgeheimnis seien, müssten alle Rabattvertragsprodukte gleich behandelt werden. Es sei rechtswidrig, wenn über Rabatthöhen spekuliert und daraus Folgerungen abgeleitet würden, die die Klägerin im Wettbewerb benachteiligten.
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Auch nach Auffassung der Klägerin gehe es nicht um eine Betrachtung der jeweils einzelnen vertragsärztlichen Verordnung. Die deshalb notwendig pauschalierende Vorgehensweise der Beklagten bei der Bestimmung von Verordnungszielen und damit bei der abstrakten Konkretisierung des Wirtschaftlichkeitsgebots müsse deshalb in der Tat lediglich eine typisierend zutreffende Aussage zur Wirtschaftlichkeit der Verordnung im Regelfall enthalten, die (nur) dann eine zutreffende Konkretisierung des Wirtschaftlichkeitsgebots darstelle, wenn keine Besonderheiten des Einzelfalls vorlägen. Zu diesen Besonderheiten des Einzelfalls zähle aber auch das Vorliegen eines Rabattvertrags, weil dieser die Bewertung der Wirtschaftlichkeit der patientenindividuellen Verordnung unterschiedlich ausfallen lasse, je nachdem, ob die Krankenkasse des Patienten einen Rabattvertrag abgeschlossen habe. Das Bestehen eines Rabattvertrags verändere verordnungsindividuell die Wirtschaftlichkeitsbeurteilung und müsse deshalb bei der abstrakten Bestimmung der Verordnungsziele außer Betracht bleiben.
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Die Beklagte zu 1) hat nochmals auf den im Rahmen des durch § 84 SGB V eröffneten Gestaltungsspielraums hingewiesen. Die Beklagten dürften sachgerechte Vereinbarungen treffen, um über steuernde Regelungen die erkannten Wirtschaftlichkeitsreserven zu erschließen. Damit leisteten sie im Rahmen des auf Landesebene ermöglichten Gestaltungsspielraums einen zusätzlichen Beitrag zur Erfüllung des Wirtschaftlichkeitsgebots nach § 12 Abs. 1 SGB V durch die bayerischen Vertragsärzte. Auch die Berücksichtigung von Rabattverträgen nach § 130a Abs. 8 SGB V bei der Auswahl der Leitsubstanzen sei durch den rechtlichen Rahmen gedeckt. Über die Festlegung von Leitsubstanzen hinaus, sei die konkrete Ausgestaltung den Vertragspartnern auf Landesebene durch die Rahmenvorgabe nicht vorgegeben, sodass die Beklagten im Rahmen des ihnen eröffneten Gestaltungsspielraums befugt seien, auch die gewährten Rabatte aus den Rabattverträgen gem. 130a Abs. 8 SGB V bei der Einordung als Leitsubstanz zu berücksichtigen.
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Die Vorgehensweise bei der Ermittlung der Abschläge der Rabattverträge stelle eben gerade keine „Schätzung“ dar. Vielmehr würden unter den Krankenkassen – ohne die Höhe der gewährten Rabatte, die als Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der Pharmaunternehmen der Geheimhaltung unterlägen, konkret zu beziffern – gemittelte Werte untereinander abgestimmt. Daher sei der durch die Krankenkassen abgestimmte Wert repräsentativ und entspreche im Durchschnitt den tatsächlich gewährten Rabatten. Die abgestimmten Rabattwerte stellten 20-40% des Bruttoverkaufspreises dar. Die Berücksichtigung der Rabattverträge bei Festlegung der Leitsubstanzen ermögliche es, die tatsächlich gewährten Rabatte in gewissem Umfang transparent zu machen. Damit könne eine Steuerung der Verordnung, entsprechend der für die Krankenkassen tatsächlich günstigsten Arzneimittel erreicht werden. Die Steuerung des Verordnungsverhaltens sei damit feingliedriger und effizienter. Sie ermögliche weitergehende Einsparungen und trage damit dem Wirtschaftlichkeitsgebot aus § 12 Abs. I SGB V Rechnung. Zu dieser steuernden Wirkung zähle auch die Bepunktung der Leitsubstanzen, die höher bepunktet würden als nur die Verordnung eines generischen Arzneimittels oder eines Nicht-Leitsubstanzarzneimittels mit Rabattvertrag. Die Klägerin sei hierdurch nicht von den Vorteilen der Steuerung durch die Wirkstoffvereinbarung ausgeschlossen, wenn sie ebenfalls Rabattverträge abgeschlossen habe. Eine Einbeziehung von Rabattverträgen sei nicht deshalb unzulässig, weil sie nicht nur eine kalenderjährliche Laufzeit hätten, die Wirkstoffvereinbarung aber kalenderjährlich gelte. Die Beklagten passten die Werte der Wirkstoffvereinbarung regelmäßig an, zum Teil auch mehrmals im Jahr. Krankenkassen würden Rabattverträge meist für eine Laufzeit von zwei Jahren schließen; insbesondere im Bereich des generischen Wettbewerbs würden Rabattverträge in der Regel verlängert oder der Rabattvertrag werde mit einem anderen Mitbewerber am Markt abgeschlossen. Damit sei es in der Regel gewährleistet, dass die günstigeren Preise auch dauerhaft für die Steuerung zur Verfügung stünden. Falls ein Rabattvertrag gleichwohl auslaufen sollte, hätten die Beklagten auch schon den Zielwert des betroffenen Ziels angepasst. Auch darüber hinaus bestehe ein ausreichender Handlungsspielraum; die Wirkstoffvereinbarung könne an die tatsächlichen Gegebenheiten am Markt angepasst werden. So könne z.B. bei Ausgestaltung der Zieldefinition reagiert werden, falls Wirkstoffe durch Rabattvertragsabschlüsse so günstig würden, dass sie zur Leitsubstanz erhoben werden könnten. Dafür müsste der pharmazeutische Unternehmer in der Preisgestaltung entsprechend nachgeben.
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Der von der Klägerseite skizzierte Fall, es läge für eine Krankenkasse ein Rabattvertrag für eines ihrer Arzneimittel vor, aber nicht für die Wirkstoffe Trospium und/oder Tolterodin, sodass in diesem Fall aufgrund der Regelungen der Wirkstoffvereinbarung das nach Listenpreis je DDD teurere Arzneimittel verordnet würde, komme in der Praxis nicht vor. Auch die Fallkonstellation, dass die konkrete Krankenkasse einen Rabattvertrag zu Tolterodin oder Trospium und zugleich zu Propiverin abgeschlossen habe, führe zu keiner anderen Bewertung. Denn man müsse davon ausgehen, dass die tatsächlich gewährten Rabatte bei den Wirkstoffen Tolterodin und Trospium immer noch dazu führten, dass diese günstiger seien als Propiverin mit den aktuellen Rabattverträgen. Eine rechtswidrige Ungleichbehandlung durch die Vorgehensweise der Beklagten sei daher in tatsächlicher Hinsicht nicht gegeben.
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Inwieweit die Klägerin einen Verstoß gegen GWG geltend machen wolle, insbesondere welche Vorschrift verletzt sein solle, werde nicht klar. Ein Verstoß gegen Wettbewerbs- und Kartellrecht liege nicht vor, wenn sich die Beklagten wie vorliegend im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereichs und des zugewiesenen Gestaltungsspielraums bewegten und hierbei Regelungen träfen, die zwar auch Auswirkungen auf die Klägerin haben könnten, die diese aber, soweit sie Rabattverträge abgeschlossen habe, an der positiven Bepunktung – mit einem Punkt – teilhaben lasse. Ein Anspruch auf Gleichstellung mit den von den Beklagten definierten Leitsubstanzen bestehe aufgrund der aktuellen Preisgestaltung auch unter Berücksichtigung der Rabattvertragssituation der Klägerin derzeit nicht.
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Soweit die Klägerin rüge, die Beklagte zu 2) habe für ihr Arzneimittel Mictonorm Uno(r) keinen Rabattvertrag ausgeschrieben, sei dies wohl in erster Linie darauf zurückzuführen, dass dessen Vorteil nur darin zu sehen sei, dass es nur einmal am Tag einzunehmen sei, während Konkurrenzpräparate zwei bis drei Mal täglich einzunehmen seien, wodurch möglicherweise die Patienten-Compliance etwas einfacher zu erreichen sei. In der Wirkweise unterscheide sich das Arzneimittel nicht von anderen Arzneimitteln mit vergleichbarem Wirkstoff aber niedrigerem Preis. Es obliege der Entscheidung der Krankenkassen, welche Rabattverträge sie ausschrieben; ein Anspruch auf Ausschreibung eines Rabattvertrags bestehe nicht.
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Auch ein Verstoß gegen § 84 Abs. 6 S. 3 SGB V liege nicht vor. Die Beklagten hätten die verbindlichen Inhalte der Rahmenvorgabe umgesetzt. Die fakultative Möglichkeit, darüber hinaus weitere Leitsubstanzen festzulegen, sei durch Festlegung der weiteren Leitsubstanzen im Ziel „urologische Spasmolytika“ ausgefüllt worden. Eine Abweichung von den Rahmenvorgaben sei nicht erfolgt. Die Vertragspartner der Rahmenvorgaben auf Bundesebene hätten auch ihre Regelungskompetenz nicht überschritten, indem sie in Ziffer 2 Abs. 3 Satz 8 der Rahmenvorgabe über die zwingenden Inhalte hinaus die Möglichkeit vorsähen, weitere fakultative Leitsubstanzen auf Landesebene zu vereinbaren.
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Die Beklagte zu 2) hat für die Krankenkassen vorgetragen, man nehme Bezug auf den erstinstanzlichen Vortrag. Dem Vortrag der Klägerin, dass Toltedorin und Trospium teurer seien als Propiverin, werde explizit widersprochen. Diese beiden Wirkstoffe seien was das tatsächliche/reale Ausgabengefüge angehe günstiger als der Wirkstoff Propiverin. Es werde nicht allein auf die absatzgewichteten Kosten je DDD pro streitgegenständlichem Wirkstoff abgestellt sondern auf das tatsächliche Kostengefüge, welches bei der Verordnung der streitgegenständlichen Wirkstoffe verursacht worden sei. Die Berücksichtigung der Rabattvertragsnachlässe stelle ein Element der Einordnung als Leitsubstanz dar. Des Weiteren werde aber auch der prozentuale Anteil der Rabattvertragsverordnungen pro Wirkstoff untersucht und wirke sich bei der Einordnung eines Wirkstoffes als wirtschaftlich oder im Vergleich als weniger wirtschaftlich aus. Konkret bedeute das, dass die Verordnungsstruktur bei den Vertragsärzten untersucht worden sei, differenziert nach verordneter Dosisstärke und Darreichungsform. Die mittleren Kosten daraus würden eruiert. Auch der Listenpreis entfalte einen Stellwert bei der Ermittlung der Kosten pro Wirkstoff.
34
Nachdem z. B Propiverin von den Ärzten jedoch anteilig in relativ hohem Maße in der Form des Altoriginals der Klägerin verordnet würden (obwohl es auch hier günstigere rabattierte Produkte mit Propiverin gäbe) bleibe der Wirkstoff weiterhin verhältnismäßig teurer und damit unwirtschaftlicher als andere Wirkstoffe, die zur Leitsubstanz deklariert worden seien. Hier könne die Klägerin unabhängig von der Frage des Abschlusses von Rabattverträgen etwa über die Steuerung der eigenen Preispolitik die Stellschrauben bei der Bewertung der Wirtschaftlichkeit so verändern, dass es eher als Leitsubstanz in Frage komme als aktuell bzw. in den hier streitgegenständlichen Zeiträumen.
35
Die Ermittlung der Rabattvertragssätze erfolge im Übrigen auch nicht über eine „Schätzung“ der jeweiligen Rabattsätze. Vielmehr würden im Austausch der Vertragspartner Rabattvertragskorridore oder Ranges ermittelt, womit eine relativ genaue Annäherung an den Rabattsatz pro Wirkstoff über alle Kassen hinweg stattfinde, ohne dass dabei aber eine Kasse den genauen Rabattsatz benennen würde und damit gegen die vertraglichen Verpflichtungen zur Geheimhaltung der genauen Rabatthöhe verletzen würde.
36
Die von der Klägerin zum Beleg, dass Toltedorin und Trospium teurer seien als Propiverin, vorgelegte Tabelle sei ein untaugliches Mittel. Ein Vergleich mit den realen Verordnungen der bayerischen Ärzte zeige erneut, dass diese Übersicht die tatsächlichen Verhältnisse nicht ausreichend korrekt abbilde. So ergäben sich aus den Daten des 1. Quartals 2023 folgende mittlere Listenpreise für die in Bayern verordneten Fertigarzneimittel der drei genannten Wirkstoffe (über alle Hersteller, Darreichungsformen und Wirkstärken hinweg), wenn man die Rabattverträge außer Betracht lasse: Propiverin 0,754 Euro/DDD, Tolterodin 0,748 Euro/DDD, Trospium 0,816 Euro/DDD. Die mittleren Preisniveaus der verordnungsgewichteten Listenpreise lägen also innerhalb einer engen Bandbreite. Für die Bewertung darin enthaltener Einsparpotenziale sei es sachgerecht, weitere Faktoren zu berücksichtigen. So betrügen die realen Mengenanteile rabattierter Fertigarzneimittel innerhalb dieser drei Wirkstoffe (über alle Hersteller, Darreichungsformen und Wirkstärken hinweg) im 1. Quartal 2023 in Bayern: Propiverin 32,3%, Tolterodin 70,6%, Trospium 60,0%. Aus der realen Verordnungsweise der bayerischen Ärzte ergebe sich also, dass bei Propiverin weitaus seltener rabattierte Fertigarzneimittel verwendet würden und es in vielen Fällen zu höheren Kosten führe als die Verordnung von Tolterodin oder Trospium. Die Vertragspartner der Wirkstoffvereinbarung differenzierten diese Betrachtung noch zusätzlich, u.a. durch Kalkulation der finanziellen Auswirkungen der Rabattquoten. Diese differenzierende Betrachtung sei Grundlage der unterschiedlichen Klassifizierung von Tolterodin und Trospium einerseits, und Propiverin andererseits. Es erfolge gerade keine individuelle Betrachtung der jeweiligen einzelnen vertragsärztlichen Verordnung, sondern eine Betrachtung der Verordnungsweise eines Arztes über alle Kassenarten hinweg in Bezug auf ein Quartal und eine betrachtete Wirkstoffgruppe (am ehesten vergleichbar mit den früheren Durchschnittwertprüfungen). Das setze aber eine pauschalierte Betrachtung der Wirtschaftlichkeit aller Verordnungen über ein ganzes Quartal voraus, weil über viele Verordnungen hinweg diese zusammengeführt und bewertet werde.
37
Es liege auch keine doppelte Berücksichtigung der Rabattverträge vor. Die Berücksichtigung der Rabattverträge im Rahmen der Klassifizierung der Fertigarzneimittel als Leitsubstanzen sei Bestandteil der Findung von Soll-Vorgaben (Zielwerte) für die Verordnungsweise der Ärzte. Die Berücksichtigung der Rabattverträge im Rahmen der Bewertung der Zielerfüllung sei Bestandteil der Ermittlung der Ist-Werte. Soll- und Ist-Werte seien nur vergleichbar, wenn an beiden Stellen die Rabattverträge berücksichtigt würden. Es liege in der Natur von pauschalierenden Regelungen, dass sich Einzelfälle konstruieren ließen, die im Rahmen der Pauschalierung nicht in gleichem Maße richtig behandelt würden wie eine spezielle Regelung für jeden Einzelfall. Dies mache sie jedoch weder falsch noch rechtswidrig. Im Gegenteil sei es unvermeidbar, Maßnahmen zur Umsetzung von bayernweiten Versorgungs- und Wirtschaftlichkeitszielen nach § 84 SGB V pauschalierend zu gestalten. Verordne der Arzt entsprechend den Vorgaben der Wirkstoffvereinbarung, werde er im Einzelfall keine Prüfung wegen unwirtschaftlicher Verordnung erfahren.
38
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 14. September 2023 (S 38 KA 230/20) aufzuheben und festzustellen, dass das Verordnungsziel Nummer 24.2 gemäß Anlage 2 der von den Beklagten geregelten Wirkstoffvereinbarung vom 1.1.2020 in der Fassung des 5. Nachtrags vom 30.09.2023 rechtswidrig und nichtig ist, soweit der Wirkstoff Propiverin nicht als Leitsubstanz und die Wirkstoffe Tolterodin und Trospium als Leitsubstanzen klassifiziert sind.
39
Die Beklagte zu 1) beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
40
Die Beklagte zu 2) und Bevollmächtigte der Beklagten zu 3-12) beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
41
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
42
Die Berufung der Klägerin ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§ 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-). Die Berufung ist aber unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
43
1.) Der Senat ist an einer Sachentscheidung nicht gehindert. Zwar leidet das mit der Berufung angegriffene Urteil des SG an einem wesentlichen Verfahrensmangel, das Gericht war nicht vorschriftsmäßig besetzt.
44
Gemäß § 12 Abs. 3 SGG wirken in den Kammern für Angelegenheiten des Vertragsarztrechts je ein ehrenamtlicher Richter aus den Kreisen der Krankenkassen und der Vertragsärzte, Vertragszahnärzte und Psychotherapeuten mit. In Angelegenheiten der Vertragsärzte, Vertragszahnärzte und Psychotherapeuten wirken als ehrenamtliche Richter nur Vertragsärzte, Vertragszahnärzte und Psychotherapeuten mit. Vorliegend handelt es sich um eine Angelegenheit des Vertragsarztrechts, so dass je ein ehrenamtlicher Richter aus den Kreisen der Krankenkassen und der Vertragsärzte und Psychotherapeuten mitwirken muss.
45
Das SG hat – wie sich auch aus den Entscheidungsgründen des angegriffenen Urteils ergibt, wo die Auffassung der „mit zwei Vertragsärzten besetzten Kammer“ dargelegt wird, – nicht in der vorgeschriebenen Besetzung entschieden. Es hat vielmehr in der Besetzung mit zwei Vertragsärzten entschieden. Damit liegt ein Verstoß gegen §§ 31 Abs. 2 i.V.m. 33 Abs. 1, 12 Abs. 3 S. 1 SGG vor, der nicht von Amts wegen zu berücksichtigen ist, sondern nur zu berücksichtigen wäre, wenn ein Beteiligter einen solchen Verfahrensmangel rügt (vgl. BSG, Urteil vom 27.01.2021, B 6 A 1/20 R). Eine solche Rüge ist aber nicht erhoben worden. Eine Zurückverweisung an das SG nach § 159 Abs. 1 SGG kommt schon aus diesem Grund nicht in Betracht.
46
2.) Die Klage ist als Feststellungsklage gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG zulässig. Das Bundessozialgericht (BSG) hat für den Fall einer Klage einer Arzneimittelfirma gegen Therapiehinweise des Gemeinsamen Bundesausschusses in einer Anlage zu den Arzneimittelrichtlinien (vgl. BSG, Urteil vom 31.05.2006, B 6 KA 13/05 R) ausgeführt, der Zulässigkeit der Feststellungsklage stehe nicht entgegen, dass sich die Klägerin unmittelbar gegen untergesetzliche Rechtsnormen wende und das SGG im Unterschied zur Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) keine Normenkontrollklage kenne. Das BSG habe unter Verweis auf die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG zugelassen, dass im Recht der Gesetzlichen Krankenversicherung juristische und natürliche Personen, die durch untergesetzliche Normen oder deren Fehlen in rechtlich geschützten Belangen betroffen sind, dagegen klagen könnten. Diese Möglichkeit bestehe in denjenigen Ausnahmefällen, in denen die Betroffenen ansonsten keinen effektiven Rechtsschutz erreichen könnten, etwa weil ihnen nicht zuzumuten sei, auf Vollzugsakte zur Umsetzung der untergesetzlichen Norm zu warten, oder die Wirkung der Norm ohne anfechtbare Vollzugsakte eintrete. Mit der Feststellungsklage sei es möglich, die Anwendung und Wirksamkeit gesetzesnachrangiger Rechtsvorschriften überprüfen zu lassen, wenn nur auf diese Weise wirksamer Rechtsschutz erlangt werden könne und der Kläger ein berechtigtes Interesse an der Feststellung habe.
47
Diese Rechtsprechung ist auch aus Sicht des Senats hier anzuwenden (vgl. auch Urteil des SG München vom 17.07.2019, S 20 KA 171/16). Vorliegend besteht durch die von den Beklagten geschlossene Wirkstoffvereinbarung und ihr ausgewiesenes Ziel der Steuerung der Arzneimittelverordnungen u.a. durch Festlegung von Leitsubstanzen und Verordnungszielen die Möglichkeit eines Eingriffs in die grundrechtlich geschützte Berufsausübungsfreiheit der Klägerin. Die Betroffenheit der Klägerin hängt zwar davon ab, inwiefern die Vertragsärzte ihr Verordnungsverhalten aufgrund der Wirkstoffvereinbarung tatsächlich ändern, jedoch ist zu berücksichtigen, dass den Vertragsärzten im Fall einer Nichtberücksichtigung im Rahmen ihres Verordnungsverhaltens Wirtschaftlichkeitsprüfungen und Regresse drohen.
48
Die Klägerin ist wegen der geltend gemachten möglichen Verletzung von Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG auch klagebefugt und hat auch ein Feststellungsinteresse, da sie geltend macht, als pharmazeutisches Unternehmen, das Arzneimittel mit dem Wirkstoff Propiverin vertreibt und auf dem Gebiet der urologischen Spasmolytika im Wettbewerb mit anderen pharmazeutischen Unternehmen steht, durch die Regelung in der Wirkstoffvereinbarung, in der Propiverin im Gegensatz zu anderen Wirkstoffen nicht als Leitsubstanz klassifiziert ist, benachteiligt zu sein. Sie hat im Übrigen im Vorfeld versucht, eine Änderung der Wirkstoffvereinbarung im Rahmen einer Besprechung mit den Beklagten zu erzielen, was von diesen abgelehnt worden ist.
49
3.) Die Klage ist jedoch unbegründet. Mit der Klage wird die Rechtmäßigkeit der zwischen den Beklagten abgeschlossenen Wirkstoffvereinbarung 2020 angegriffen, soweit dort in Ziffer 24.2 für die urologischen Spasmolytika die den Wirkstoff Propiverin enthaltenden, von der Klägerin vertriebenen Fertigarzneimittel nicht als Leitsubstanz klassifiziert wird, wohingegen die Wirkstoffe Tolterodin und Trospium als Leitsubstanz klassifiziert sind. Damit wird nicht die Wirkstoffvereinbarung generell in Frage gestellt, sondern bemängelt, dass eine einzelne Regelung bezüglich der Einordnung von Wirkstoffen als Leitsubstanzen unzulässig sei und die Klägerin in ihren Rechten verletze.
50
Zur Überzeugung des Senats ist die Klägerin durch diese Regelung in der Wirkstoffvereinbarung aber weder in ihren Rechten aus Art. 12 Abs. 1 noch Art. 3 Abs. 1 GG verletzt. Die zwischen den Beklagten abgeschlossene Wirkstoffvereinbarung erweist sich bezüglich der hier in Rede stehenden Regelungen vielmehr nicht als rechtlich zu beanstanden.
51
a.) Rechtsgrundlage für die hier streitige Wirkstoffvereinbarung 2020 (mit entsprechenden Nachträgen zum 01.07.2020, zum 01.07.2021, zum 01.07.2022, zum 01.04.2023, aktuell 5. Nachtrag vom 01.10.2023) ist § 106 b SGB V i.V.m. § 84 Abs. I SGB V.
52
Gem. § 106b Abs. 1 SGB V wird ab dem 01.01.2017 die Wirtschaftlichkeit der Versorgung mit ärztlich verordneten Leistungen anhand von Vereinbarungen geprüft, die von den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen gemeinsam und einheitlich mit den Kassenärztlichen Vereinigungen zu treffen sind. Auf Grundlage dieser Vereinbarungen können Nachforderungen wegen unwirtschaftlicher Verordnungsweise nach § 106 Absatz 3 festgelegt werden. In den Vereinbarungen müssen Regelungen zu Wirtschaftlichkeitsprüfungen in allen Bereichen ärztlich verordneter Leistungen enthalten sein. Die Vereinbarungen nach Satz 1 gelten für Leistungen, die ab dem 01.01.2017 verordnet werden. In § 106b Abs. 2 SGB V werden die Vertragspartner auf Bundesebene beauftragt, eine Rahmenvorgabe für die Wirtschaftlichkeitsprüfung nach Abs. 1 zu vereinbaren.
53
Nach § 84 Abs. 1 SGB V treffen die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen gemeinsam und einheitlich und die Kassenärztliche Vereinigung zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung mit Leistungen nach § 31 bis zum 30.11. für das jeweils folgende Kalenderjahr eine Arzneimittelvereinbarung. Die Vereinbarung umfasst 1. ein Ausgabenvolumen für die insgesamt von den Vertragsärzten nach § 31 veranlassten Leistungen, 2. Versorgungs- und Wirtschaftlichkeitsziele und konkrete, auf die Umsetzung dieser Ziele ausgerichtete Maßnahmen, insbesondere Verordnungsanteile für Wirkstoffe und Wirkstoffgruppen im jeweiligen Anwendungsgebiet, Verordnungsanteile für Generika und im Wesentlichen gleiche biotechnologisch hergestellte biologische Arzneimittel, auch zur Verordnung wirtschaftlicher Einzelmengen (Zielvereinbarungen), insbesondere zur Information und Beratung und 3. Kriterien für Sofortmaßnahmen zur Einhaltung des vereinbarten Ausgabenvolumens innerhalb des laufenden Kalenderjahres.
54
Nach § 84 Abs. 6 SGB V vereinbaren die Kassenärztliche Bundesvereinigung und der Spitzenverband Bund der Krankenkassen bis zum 30. September für das jeweils folgende Kalenderjahr Rahmenvorgaben für die Inhalte der Arzneimittelvereinbarungen nach Absatz 1 sowie für die Inhalte der Informationen und Hinweise nach § 73 Abs. 8 SGB V. Die Rahmenvorgaben haben die Arzneimittelverordnungen zwischen den Kassenärztlichen Vereinigungen zu vergleichen und zu bewerten; dabei ist auf Unterschiede in der Versorgungsqualität und Wirtschaftlichkeit hinzuweisen. Von den Rahmenvorgaben dürfen die Vertragspartner der Arzneimittelvereinbarung nur abweichen, soweit dies durch die regionalen Versorgungsbedingungen begründet ist.
55
b.) Auf dieser Grundlage haben der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) Rahmenvorgaben vereinbart (für 2020 vom 30.09.2019, für 2021 vom 21.09.2020, usw.).
56
Nach Ziffer 2 Abs. 2 der Rahmenvorgaben werden zur Ausschöpfung von Wirtschaftlichkeitsreserven u.a. Leitsubstanzen für verordnungsstarke Anwendungsgebiete vereinbart. Nach Ziffer 2 Abs. 3 sollen mit regionalen Zielvereinbarungen die Vertragsärzte angeleitet werden, durch Verlagerung der Verordnungen hin zur Leitsubstanz und zu rabattierten bzw. preisgünstigen Arzneimitteln sowie zu wirtschaftlichen Versorgungsalternativen noch vorhandene Wirtschaftlichkeitsreserven zu erschließen. Es sollen auf regionaler Ebene Zielquoten vereinbart werden. Die regionalen Partner können vereinbaren, dass bei der Bewertung der Zielerreichung Verordnungen vergleichsweise günstiger Substanzen oder rabattierter Arzneimittel berücksichtigt werden. Außerdem sind ggf. weitere auf der Landesebene vereinbarte Leitsubstanzen und Arzneimittelgruppen/Leitsubstanz(en) zu berücksichtigen.
57
c.) Auf Landesebene haben die Beklagte zu 1) und die Beklagten zu 2) – 12) eine Arzneimittelvereinbarung nach § 84 Abs. 1 SGB V für das Jahr 2020 und jeweils für die Folgejahre geschlossen. Danach erfolgt die Umsetzung der Verpflichtungen der Vertragspartner hauptsächlich durch die Wirkstoffvereinbarung in der jeweils geltenden Fassung. Hierin werden sowohl fachgruppenspezifische, arztbezogene Wirkstoffziele (Anlage 2 der Wirkstoffvereinbarung) festgelegt als auch auf die Umsetzung dieser Ziele ausgerichtete Maßnahme wie z.B. Information und Beratung der Ärzte geregelt.
58
In der zwischen der Beklagten zu 1) und den Beklagten zu 2) – 12) geschlossenen Wirkstoffvereinbarung vom 01.01.2020 ist geregelt, dass Verordnungsziele vereinbart werden, um das Verordnungsverhalten der Vertragsärzte im Hinblick auf eine wirtschaftliche Verordnungsweise positiv zu beeinflussen, § 3 Abs. 1 der Vereinbarung. Dazu werden für Vergleichsgruppen von Ärzten Wirkstoffe und Wirkstoffgruppen und geeignete Messgrößen für die Wirtschaftlichkeit der verordneten Mengen innerhalb von Wirkstoffgruppen genannt. Die Verordnungsziele gliedern sich in Generikaziele, Leitsubstanzziele und Mengenziele (Ziffer 3 Abs. 2). Ein Verordnungsziel wird nur in die Zielerreichungsfeststellung einbezogen, wenn der Vertragsarzt im Verordnungsquartal die betreffenden Arzneimittel in relevanter Häufigkeit verordnet hat (mindestens die in Anlage 2 ausgewiesenen DDD-Mengen).
59
In Anlage 2 zur Wirkstoffvereinbarung sind Verordnungsziele, Wirkstoffgruppen, Zielwerte, Messgrößen und Wirtschaftlichkeitsfaktoren geregelt. Als Verordnungsziel Nr. 24.2 „Urologische Spasmolytika“ ist ein Leitsubstanzziel angegeben. Angeführte Leitsubstanzen sind neben anderen Trospium und Tolterodin, nicht aber Propiverin. Als DDD-Menge nach § 5 Abs. 2 ist „500“ angegeben.
60
Als Messgrößen für Leitsubstanzziele für die Ermittlung der Istwerte ist Folgendes geregelt:
Punkte Nicht – LS generische Nicht – LS Leitsubstanz nicht rabattiert 0,00 0,50 1,00 Rabattiert 1,00* 1,00 1,50
Als Zielwerte für die Feststellung der Zielerreichung waren für die urologischen Spasmolytika in der Wirkstoffvereinbarung vom 01.01.2020 für Urologen 70,7%, für Allgemeinmediziner 76,9%, für Kinder- und Jugendärzte 74,1% geregelt. In der aktuellen Fassung sind für Urologen 81,3%, für Allgemeinmediziner 86,4% und für Kinderärzte 66,0% festgelegt.
61
d.) Die Vereinbarung der hier streitgegenständlichen Regelungen in Anlage 2 der Wirkstoffvereinbarung sind zur Überzeugung des Senats nicht zu beanstanden.
62
Auch aus Sicht des Senats haben die Beklagten im Rahmen ihrer nach § 84 Abs. 1 SGB V zu treffenden Arzneimittelvereinbarung einen weiten Gestaltungsspielraum. Im Interesse der Praktikabilität ist es den zur Normsetzung befugten Körperschaften auch zuzubilligen, zu verallgemeinern, zu typisieren und zu pauschalieren. Die Grenze ihres Gestaltungsspielraums wird erst da erreicht, wo die jeweilige Gestaltung in Anbetracht des Zwecks der konkreten Ermächtigung unvertretbar oder unverhältnismäßig ist. Eine solche Überschreitung der Grenzen des Gestaltungsspielraums ist vorliegend aber nicht gegeben.
63
aa.) Entgegen der Auffassung der Klägerin sind die Beklagten bei der vorliegenden streitgegenständlichen Regelung in der Wirkstoffvereinbarung nicht von den zwischen den Bundesvertragspartnern vereinbarten Rahmenvorgaben nach § 84 Abs. 6 SGB V abgewichen, so dass es auf das Vorliegen regionaler Versorgungsbedingungen (§ 84 Abs. 6 S. 3 SGB V) nicht ankommt. Zwar haben die Bundesvertragspartner in Ziffer 2 Abs. 2 der Rahmenvorgaben Arzneimittelgruppen und Leitsubstanzen für die Ausschöpfung von Wirtschaftlichkeitsreserven vereinbart und hierbei eine Vielzahl von Arzneimittelgruppen und Leitsubstanzen konkret aufgelistet. Die dortigen Regelungen umfassen auch gerade nicht die Regelung von Leitsubstanzen für die Wirkstoffgruppe der urologischen Spasmolytika. Dies schließt es aber keinesfalls aus, dass die Vertragspartner auf Landesebene weitere Arzneimittelgruppen und Leitsubstanzen vereinbaren können. Dass dies möglich ist, ergibt sich vielmehr aus Ziffer 2 Nr. 3 der Rahmenvorgaben, nach der ggf. weitere auf Landesebene vereinbarte Leitsubstanzen und Arzneimittelgruppen/Leitsubstanzen zu berücksichtigen sind. Es ist damit nicht zu beanstanden, dass die Beklagten, die vortragen, bei einer regionalen Analyse des Verordnungsverhaltens der bayerischen Vertragsärzte für den Bereich der urologischen Spasmolytika weitere Einsparpotentiale erkannt zu haben, für diesen Bereich eine zusätzliche Vereinbarung getroffen haben, um auch in diesem Bereich über steuernde Regelungen die erkannten Wirtschaftlichkeitsreserven zu erschließen.
64
Mit der Regelung in Ziffer 2 Nr. 3 der Rahmenvorgaben haben im Übrigen auch die Bundesvertragspartner bei Vereinbarung der Rahmenvorgaben auf Bundesebene nicht ihre Regelungskompetenz überschritten. Durch die Regelung in § 84 Abs. 6 S. 3 SGB V ist nicht ausgeschlossen, dass die Vertragspartner auf Bundesebene in den Rahmenvorgaben auch die Möglichkeit weiterer Vereinbarungen auf Landesebene vorsehen. Aufgabe der Vertragspartner auf Bundesebene ist nach der Gesetzesbegründung, die im Bereich der Arzneimittelversorgung in Deutschland bestehenden erheblichen regionalen Unterschiede in der wirtschaftlichen Verordnungsweise zu analysieren, zu bewerten und für die Arzneimittelversorgung in der Bundesrepublik Deutschland nutzbar zu machen (BT-Drs. 14/6880, S.7). Insofern haben die Bundesvertragspartner eine Reihe von Arzneimittelgruppen und Leitsubstanzen definiert, hiervon dürfen die Vertragspartner auf Landesebene nur dann abweichen, wenn dies durch regionale Versorgungsbedingungen begründet ist. Ausgeschlossen ist demnach aber nicht, dass die Bundesvertragspartner für von ihnen nicht geregelte Arzneimittelgruppen die Möglichkeit vorsehen, dass die Vertragspartner auf Landesebene weiterer Leitsubstanzen vereinbaren können.
65
bb.) Die Vertragspartner auf Landesebene waren auch nicht deshalb an der Vereinbarung eines Leitsubstanzziels „Urologische Spasmolytika“ gehindert, weil der Gemeinsame Bundesausschuss, der nach § 35 SGB V in Richtlinien Gruppen von Arzneimitteln bestimmt, für die Festbeträge festgesetzt werden, mit Beschluss vom 16.05.2019 eine Festbetragsgruppe „Urologische Spasmolytika“ gebildet und in diese u.a. auch die Wirkstoffe Tolterodin, Trospiumchlorid und Propiverin aufgenommen hat. In dieser Festbetragsgruppe sind Arzneimittel mit therapeutisch vergleichbarer Wirkung (Stufe 3) enthalten, die dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Der Festbetrag legt fest, bis zu welchem Betrag die gesetzlichen Krankenkassen ein Fertigarzneimittel dieser Wirkstoffgruppe bezahlen. Das schließt aber nicht aus, dass darüber hinaus – auch wenn die Arzneimittel in der Festbetragsgruppe medizinisch gleichwertig sind – Regelungen getroffen werden können, die die Verordnung von preisgünstigen oder rabattierten Arzneimitteln die medizinisch gleichwertig sind fördern.
66
cc.) Die Beklagten konnten auch die Wirkstoffe Tolterodin und Trospium als Leitsubstanzen festlegen, den Wirkstoff Propiverin hingegen nicht. Es ist insbesondere nicht zu beanstanden, dass die Beklagten beim Vergleich der Wirkstoffe nicht nur die (eng beieinanderliegenden) Listenpreise berücksichtigt haben, sondern auch die tatsächlich gewährten Rabatte, die nach den Ausführungen der Beklagten gerade bei Originalen erhebliche Abschläge vom Bruttoverkaufspreis ausmachten. Die Beklagten haben insofern nachvollziehbar ausgeführt, Ziel sei eine Steuerung der Verordnung entsprechend der für die Krankenkassen tatsächlich günstigsten Arzneimittel zu erreichen und die Steuerung des Verordnungsverhaltens feingliedriger und effizienter zu gestalten. Nach der Rahmenvorgabe sollen gerade mit regionalen Zielvereinbarungen die Vertragsärzte angeleitet werden, durch Verlagerung der Verordnungen hin zur Leitsubstanz und zu rabattierten bzw. preisgünstigen Arzneimitteln sowie zu wirtschaftlichen Versorgungsalternativen noch vorhandene Wirtschaftlichkeitsreserven zu erschließen (Ziffer 2 Abs. 3).
67
Dem Wortlaut der Regelungen der Rahmenvorgaben ist gerade nicht zu entnehmen, wie die auf Landesebene vereinbarten Leitsubstanzen auszuwählen sind. Insbesondere ist dort nicht geregelt, dass ausschließlich die sich aus der Arzneimittelpreisverordnung ergebenden Kosten je DDD zu berücksichtigen sind. Entgegen der Ausführungen der Klägerin ergibt sich auch aus § 73 Abs. 8 S.4 SGB V gerade nicht, dass eine Ermittlung der Wirtschaftlichkeit ausschließlich die Kosten der Arzneimittel je Tagesdosis berücksichtigen dürfte. § 73 Abs. 8 SGB V regelt allein Hinweis- und Informationspflichten u.a. der Beklagten, nicht aber die Grenzen der Vereinbarungen nach § 84 Abs. 1 SGB V.
68
Auch ist die Berücksichtigung von Rabattverträgen nach § 130a Abs. 8 SGB V bei der Auswahl der Leitsubstanzen durch den rechtlichen Rahmen, der den Vertragspartnern der Wirkstoffvereinbarung eingeräumt ist, gedeckt. Auch der Abschluss von Rabattverträgen nach § 130a Abs. 8 SGB V verfolgt das Ziel, eine wirtschaftliche Arzneimittelversorgung zu fördern. Die von den Bundesvertragspartnern vereinbarten Rahmenvorgaben sehen ausdrücklich vor, dass in regionalen Zielvereinbarungen über eine Verlagerung und Bevorzugung von rabattierten Arzneimitteln noch vorhandene Wirtschaftlichkeitsreserven erschlossen werden. Daraus ergibt sich gerade nicht, dass eine Berücksichtigung von Rabattverträgen nicht im Rahmen der Festsetzung von Leitsubstanzen herangezogen werden könnte. Vielmehr ist gerade vor dem Hintergrund der von den Beklagten dargestellten Verordnungsweise der bayerischen Vertragsärzte und der Mengenanteile rabattierter Arzneimittel nicht zu beanstanden, dass die Beklagten bei der Ermittlung der Leitsubstanzen auch Rabattvertragsnachlässe berücksichtigt haben. Dagegen spricht – da die Wirkstoffvereinbarung von den Beklagten kalenderjährlich angepasst werden – auch nicht die Laufzeit der Rabattverträge.
69
Auch die von den Beklagten vorgenommene Berechnung der zu berücksichtigenden Rabatte ist nicht zu beanstanden. Offensichtlich können der Berechnung nicht die genauen Rabatthöhen der zwischen den einzelnen Krankenkassen und den Arzneimittelfirmen geschlossenen Rabattverträge zugrunde gelegt werden. Dass aber in der Abstimmung der beklagten Krankenkassen Rabattvertragskorridore oder Ranges ermittelt werden, womit eine relativ genaue Annäherung an den Rabattsatz pro Wirkstoff über alle Kassen hinweg stattfindet, ohne dass dabei die einzelne Kasse den genauen Rabattsatz benennen würde und damit gegen die vertraglichen Verpflichtungen zur Geheimhaltung der genauen Rabatthöhe verletzen würde, ist in diesem Zusammenhang nicht zu beanstanden.
70
Weiter ändert auch die Tatsache, dass der Wirkstoff Propiverin im Gegensatz zu anderen Wirkstoffen auch als Kinderarzneimittel zugelassen ist, an diesem Ergebnis nichts. Auch aus dieser Tatsache ergibt sich keine Verpflichtung zur Benennung des Wirkstoffes als Leitsubstanz. Die Beklagten haben hierzu im erstinstanzlichen Verfahren überzeugend und unwidersprochen ausgeführt, dass von der Mehrzahl der Kinderärzte die festgelegte Mindestzahl von 500 DDD nicht überschritten wird und das Verordnungsvolumen bei Kinderärzten lediglich 3,8 bis 4% beträgt. Im Übrigen ist der Zielwerte für die Feststellung der Zielerreichung für die Kinderärzte, der zunächst bei 74,1% lag, nunmehr auf 66,0% abgesenkt worden. Im Rahmen einer Wirtschaftlichkeitsprüfung könnte im Übrigen bei Zielverfehlung das Vorliegen von Praxisbesonderheiten vom Vertragsarzt angegeben und dann geprüft werden.
71
dd.) Auch gegen die in der Anlage 2 zur Wirkstoffvereinbarung geregelte Bepunktung von Wirkstoffen, nach der Verordnungen von Leitsubstanzen im Ergebnis höher bepunktet werden als nur die Verordnung eines generischen Arzneimittels oder eines Nicht-Leitsubstanzarzneimittels mit Rabattvertrag, bestehen auch aus Sicht des Senats keine rechtlichen Bedenken. Die Bepunktung dient dazu, die Wirtschaftlichkeit der Verordnungsweise des einzelnen Vertragsarztes zu messen und daraus für den einzelnen Bereich den Istwert zu berechnen. Es handelt sich nach Auffassung des Senats um ein taugliches und geeignetes Verfahren zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit. Die Zuordnung der Punktzahlen erfolgt nach den Kriterien Original, Altoriginal, Generika bzw. NichtLeitsubstanz, generische NichtLeitsubstanz, Leitsubstanz sowie nicht rabattiert und rabattiert. Die Kombination von Leitsubstanz und Rabattvertragsprodukt ist besonders positiv bepunktet. Dies bedeutet, dass nicht nur zwischen Leitsubstanz, Nicht-Leitsubstanz und generischen Nicht-Leichtsubstanzen unterschieden wird, sondern auch eine höhere Bepunktung für rabattierte Substanzen stattfindet. Mit der höchsten Punktzahl wird die rabattierte Leitsubstanz mit einer Punktzahl von 1,50, während die nicht-rabattierte Nicht-Leitsubstanz mit 0,00 Punkten bewertet ist. Diese unterschiedliche, gestufte Bepunktung erscheint auch aus Sicht des Senats sachgerecht, um die Ziele der Wirkstoffvereinbarung (§§ 2, 3) zu erreichen und überschreitet nicht den den Vertragspartnern auf Landesebene zugestandenen Gestaltungsspielraum zur Zweckerreichung der positiven Beeinflussung des Verordnungsverhaltens der Vertragsärzte im Hinblick auf eine wirtschaftliche Verordnungsweise. Es wird jeweils die höchste Punktzahl mit der Verordnung einer möglichst preiswerten Alternative erreicht.
72
Dass – wie von der Klägerin dargestellt – eine Berücksichtigung von Rabattumsetzungen durch die verordnenden Vertragsärzte von den Vertragspartnern auf Landesebene auch anders geregelt werden könnte, beispielsweise durch Quotenerreichung durch Verordnung von Rabattvertragsarzneimittel als wirtschaftliche Verordnung auch wenn das rabattierte Arzneimittel nicht Leitsubstanz ist, dass also auch alternative Regelungsmöglichkeiten gegeben wären, führt nicht dazu, dass die vorliegend von den Beklagten getroffene Vereinbarung rechtswidrig wäre.
73
In diesem Zusammenhang ist aber auch darauf hinzuweisen, dass relevant für den einzelnen Vertragsarzt nur die Wirkstoffgruppen sind, bei denen er eine festgelegte Mindestmenge verordnet hat. Das Ziel in 24.2 gilt nur für Ärzte, die in dem betrachteten Quartal mehr als 500 DDD urologische Spasmolytika verordnet haben.
74
ee.) Im Übrigen ist auch eine Verletzung der Klägerin in ihren Rechten nicht ersichtlich. Zwar begründet Art. 12 Abs. 1 GG ein Recht der Unternehmen auf Teilhabe am Wettbewerb, hierbei sind die Unternehmen vor ungerechtfertigter staatlicher Begünstigung von Konkurrenten geschützt (vgl. BSG, Urteil vom 24.11.2004, B 3 KR 10/04 R). Eine Grundrechtsverletzung in Art. 12 GG in Verbindung mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG durch einen ungerechtfertigten Eingriff in den Wettbewerb ist aber nicht gegeben.
75
Vorliegend ist das Leitsubstanzziel 24.2 der Wirkstoffvereinbarung zwar geeignet, den Wettbewerb zwischen Herstellern verschiedener Präparate in der Arzneimittelgruppe der urologischen Spasmolytika zu beeinflussen. Dabei ist aber zum einen darauf hinzuweisen, dass sich aus der hier streitgegenständlichen Regelung in der Wirkstoffvereinbarung der Beklagten kein genereller Ausschluss der Verordnung von Präparaten mit dem Wirkstoff Propiverin bzw. der Verordnung der von der Klägerin vertriebenen Präparate ergibt. Es handelt sich lediglich um eine Handlungsempfehlung, die den einzelnen Vertragsarzt nicht an der Verordnung von Präparaten mit diesem Wirkstoff bzw. eines konkret von der Klägerin vertriebenen Präparates hindert. Da weder unmittelbar noch mittelbar die Regelungen der Wirkstoffvereinbarung dazu führen, dass die Verordnung von Propiverin ausgeschlossen wird, kann allenfalls ein mittelbarer Grundrechtseingriff vorliegen, indem Ärzte zur Vermeidung von Regressen bei Beachtung der Wirkstoffvereinbarung andere Wirkstoffe anderer pharmazeutische Unternehmen verordnen als Propiverin und damit die Konkurrenten begünstigt werden könnten. Abhängig vom Verordnungsverhalten der bayerischen Vertragsärzte wird damit der Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG im Sinne einer objektiven Berufsausübungsbeschränkung mehr oder weniger stark beeinträchtigt. Die Festsetzung des Leitsubstanzziels 24.2 dient aber nach dem oben Ausgeführten dem Zweck der Gewährleistung des Wirtschaftlichkeitsgebots gemäß § 12 SGB V und ist damit nicht zu beanstanden. Ziel der Regelungen der von den Beklagten geschlossenen Wirkstoffvereinbarung ist die Steuerung der Arzneimittelverordnungen zur Erschließung vorhandener Wirtschaftlichkeitsreserven. Dieser Eingriff ist als verhältnismäßig anzusehen. Es wird damit ein legitimer Zweck verfolgt, nämlich das Verordnungsverhalten der Vertragsärzte im Hinblick auf eine wirtschaftliche Verordnungsweise positiv zu beeinflussen.
76
Der diesbezügliche Vortrag der Klägerin, dass es durch die pauschalierende Regelung in Einzelkonstellationen zu unwirtschaftlichen Einzelverordnungen kommen könnte, ändert im Rahmen einer pauschalierenden Regelung daran nichts und führt keinesfalls zu dem von der Klägerin vorgetragenen Verstoß gegen § 12 SGB V.
77
Nur ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die von der Klägerin behauptete Betroffenheit im Sinne eines Umsatzrückgangs, der zunächst in Höhe von 300.000,- Euro pro Jahr, im Rahmen der Anhörung zum Streitwert im erstinstanzlichen Verfahren mit 200.000,- Euro pro Jahr angegeben worden ist, nicht nachzuvollziehen ist. Von den Beklagten ist ein Zusammenhang mit der hier streitgegenständlichen Regelung verneint worden. Diesbezügliche Unterlagen, die einen konkret auf die streitgegenständliche Regelung zurückzuführenden Umsatzrückgang belegen könnten, sind von der Klägerin auch im Berufungsverfahren nicht vorgelegt worden.
78
ff.) Inwieweit die Klägerin einen Verstoß gegen Wettbewerbs- und Kartellrecht geltend machen will, insbesondere welche Vorschrift verletzt sein soll, erschließt sich auch dem Senat nicht. Die Beklagten bewegen sich im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereichs – sie sind nach § 84 Abs. 1 SGB V verpflichtet, Regelungen zu treffen – und des zugewiesenen Gestaltungsspielraums. Die Beklagten haben auch nachvollziehbar erläutert, dass es zu einer Wettbewerbsverzerrung nicht komme, da die Umsetzung der Arzneimittelvereinbarung gemäß § 84 Abs. 1 SGB V in der Wirkstoffvereinbarung zwischen den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen und der Beklagten gemeinsam und einheitlich abgeschlossen worden sei. Dabei sei jede Krankenkasse bzw. deren Landesverband gleichwertiger und gleichberechtigter Vertragspartner. In diesem Zusammenhang ist auch eine Betroffenheit der Klägerin nicht ersichtlich.
79
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO.
80
Die Revision war zuzulassen. Der Rechtsstreit hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG.