Inhalt

LG München I, Urteil v. 13.12.2024 – 6 KLs 303 Js 141880/13
Titel:

Cum-Ex-Strategien mit Leerverkäufen führen zu Steuerhinterziehungen in großem Ausmaß

Normenketten:
AO § 369 Abs. 2, § 370 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 S. 2 Nr. 1
StGB § 25 Abs. 2, § 53, § 73 Abs. 1, § 73c Abs. 1, § 78 Abs. 1
InvStG § 11 Abs. 2 S. 1, S. 2 (idF bis zum 25.06.2011)
EStG § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Nr. 2 (idF bis zum 25.06.2011)
Leitsätze:
1. Die Mittäterschaft zweier Personen an einer Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO steht fest, wenn die in den Erklärungen jeweils enthaltenen unrichtigen Angaben zu steuerlich erheblichen Tatsachen ihnen entweder nach § 25 Abs. 2 StGB oder nach § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB zuzurechnen sind, weil ihre Tatbeiträge zentral und für die konkrete Tatbestandsverwirklichung zwingend waren. (Rn. 222 – 227) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ob die mit der Abgabe der tatgegenständlichen Steuerklärungen befassten Mitarbeiter der Täter um die Geschäfte ihrer Vorgesetzten wussten und selbst in kollusivem Zusammenwirken mit denen vorsätzlich handelten oder sich die Vorgesetzten ihrer lediglich als unwissende Werkzeuge für die Steuererstattungen bedienten, kann dahinstehen, wenn in beiden Fällen den Vorgesetzten die Abgaben der Steuererklärungen rechtlich zuzurechnen sind. (Rn. 228 – 230) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Person handelt mit direktem Vorsatz, wenn sie weiß, dass im Rahmen ihres Geschäftsmodells Cum-Ex-Strategien mit Leerverkauf umgesetzt werden und dass die Erstattung von nicht abgeführten Steuern beantragt wird. (Rn. 236) (redaktioneller Leitsatz)
4. Für die Beendigung eines uneigentlichen Organisationsdelikts gelten die gleichen Grundsätze wie für die gesetzlich normierten „eigentlichen“ Organisationsdelikte. (Rn. 238 – 242) (redaktioneller Leitsatz)
5. Die für eine Steuerhinterziehung „in großem Ausmaß“ maßgebliche Wertgrenze des § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO liegt bei 50.000 EUR. (Rn. 243) (redaktioneller Leitsatz)
6. Bei Hinterziehungsbeträgen in Millionenhöhe kommt eine aussetzungsfähige Freiheitsstrafe nur bei Vorliegen besonders gewichtiger Milderungsgründe noch in Betracht. (Rn. 250) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Cum/Ex, Looping, Tatlohn, Investmentaktiengesellschaft, Gutachten, Cum-Ex-Geschäfte, Tatbeteiligung, Fonds, Leerverkäufe, Mittäterschaft, Zurechnung von Tatbeiträgen, Erstattungszahlungen, Kapitalertragsteuer, Hedgefond
Fundstelle:
BeckRS 2024, 49377

Tenor

1. Die Angeklagten K. und U. sind schuldig der Steuerhinterziehung in zwei Fällen.
2. Der Angeklagte K. wird deshalb zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren 3 Monaten verurteilt.
Wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung gelten sechs Monate als vollstreckt.
3. Der Angeklagte U. wird deshalb zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren 3 Monaten verurteilt.
Wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung gelten sechs Monate als vollstreckt.
4. Die Einziehung des Wertes von Taterträgen wird gegen den Angeklagten K. in Höhe von 7.876.397,74 Euro und gegen den Angeklagten U.. in Höhe von 7.517.541,74 Euro angeordnet.
5. Die Angeklagten K. und U.. haben die Kosten des Verfahrens und ihre notwendigen Auslagen zu tragen.

Entscheidungsgründe

1
Dem Urteil liegt keine Verständigung zugrunde.
A.
Vorbemerkung
2
Die Angeklagten hinterzogen in den Jahren 2009 und 2010 gemeinsam mit dem anderweitig Verfolgten Dr. S. sowie dem wegen vergleichbarer Sachverhalte bereits in anderer Sache Verurteilten Dr. B. im Zusammenwirken mit in London ansässigen Wertpapierhändlern durch sog. Cum-Ex-Geschäfte Steuern in Höhe von mehr als 343 Millionen Euro. Die von den Angeklagten hierfür gegründeten, als sog. Hedgefonds ausgestalteten vier Aktienfonds traten als Käufer von über den Hauptversammlungstag gehandelten Aktien auf, die sie von Leerverkäufern mit im Ausland ansässiger Depotbank erwarben. Die Leerverkäufer lieferten die Aktien sowie eine Dividendenkompensationszahlung in Höhe der Nettodividende nach dem Hauptversammlungsstichtag an die Aktienfonds. Kapitalertragsteuer wurde weder von den Leerverkäufern, noch den Aktienfonds abgeführt. Dennoch machten die deutschen Depotbanken der Aktienfonds entsprechend dem Plan der Angeklagten im Rahmen von entsprechenden Steuererklärungen bzw. Anmeldungen gegenüber den jeweils zuständigen Steuerbehörden die der Kapitalertragsteuer sowie dem Solidaritätszuschlag entsprechenden Beträge als Erstattungsbeträge geltend.
3
Anlegerzielgruppe dieser Aktienfonds waren in erster Linie sehr vermögende Privatpersonen bzw. die „Family Offices“ solcher Personen, die durch Investition in die Aktienfonds das Grundkapital für das durch Bankkredit gehebelte Gesamtkapital für den Aktienkauf im großen Stil zur Verfügung stellten und deren Kapitaleinsatz mit zweistelligen Renditezahlungen belohnt wurde. Die infolge von Absicherungsgeschäften risiko-, gewinn- und verlustneutralen Aktienkäufe und -verkäufe verfolgten ausschließlich das Ziel, die Erstattung der zuvor nicht abgeführten Kapitalertragsteuer sowie des Solidaritätszuschlags als „Gewinn“ zu generieren. Die Gewinnverteilung der Angeklagten untereinander bzw. mit den anderweitig Beteiligten erfolgte unter anderem mithilfe von Abdeckrechnungen und über komplizierte Auslandsstrukturen. Darüber hinaus sicherten sich die Angeklagten über die von ihnen gegründete Muttergesellschaft A. GmbH über mehrere Jahre großzügige Gehaltszahlungen und sonstige finanzielle Vergünstigungen.
B.
Persönliche Verhältnisse
I. Angeklagter K.
4
Der Angeklagte ist nicht vorbestraft.
II. Angeklagter U.
5
Der Angeklagte ist nicht vorbestraft.
C.
Gang des Ermittlungsverfahrens und Prozessgeschichte
6
Infolge eines Hinweises der Investmentsteuerstelle des Finanzamts M. leitete die Staatsanwaltschaft München I am 29.04.2013 gegen die Angeklagten ein Verfahren wegen Steuerhinterziehung für den Tatzeitraum Dezember 2009 bis Januar 2011 ein. Aufgrund von Beschlüssen des Amtsgerichts München vom 06.05.2014, die in Bezug auf die Angeklagten den Tatzeitraum 2010 betrafen, erfolgten am 13.05.2014 Durchsuchungsmaßnahmen, mit denen die Angeklagten Kenntnis von dem gegen sie geführten Ermittlungsverfahren erlangten. Anschließend wurde die Auswertung der Fondsbuchhaltung der A.-Gesellschaften durchgeführt. Infolge eines weiteren Beschlagnahmebeschlusses des Amtsgerichts München vom 02.02.2015 erfolgte die Auswertung der Unterlagen der Depotbanken und des Girosammelverwahrers C. Banking AG (im Folgenden: C.) durch die Steuerfahndung, die mit einer Manpower von drei bis sechs Personen ausgestattet war. Im Jahr 2017 wurden die weiteren Beteiligten Dr. S., T. und A. vernommen. Am 28.02.2018 wurde das Ermittlungsverfahren gegen die Angeklagten auf den Tatzeitraum 2009 erweitert, was den Angeklagten am 07.03.2018 schriftlich bekannt gegeben wurde. Der strafrechtliche Ermittlungsbericht der Steuerfahndung datiert auf den 03.03.2020. Bis zum Jahr 2022 wurden zusätzlich Fallakten erstellt. Die Staatsanwaltschaft München I erhob am 31.10.2023 Anklage, die am 08.11.2023 bei Gericht einging.
7
Der Angeklagte K. sagte am 09.10.2024 als Zeuge gegenüber der Steuerfahndungsstelle und der Staatsanwaltschaft zur Rolle weiterer Personen aus, zu denen die Staatsanwaltschaft München I im „Cum-Ex-Komplex“ Ermittlungsverfahren führt, insbesondere zu der Rolle von Mitarbeitern der A.-Gruppe und der C. Bank Deutschland GmbH (im Folgenden: C.). Eine Zusicherung im Hinblick auf den Verfahrensausgang bzw. eine mögliche Strafminderung wurde dem Angeklagten nicht in Aussicht gestellt. Zu diesem Zeitpunkt waren die Ermittlungen der Steuerfahndung und der Staatsanwaltschaft schon weitgehend abgeschlossen, jedoch bestätigten die Angaben des Angeklagten K. die bereits gewonnen Ermittlungsergebnisse.
8
Die Anklage wurde mit Beschluss der Kammer vom 16.10.2024 unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen.
D.
Festgestellter Sachverhalt
I. Allgemeines zu den gegenständlichen Cum-Ex-Aktiengeschäften
9
Gegenstand des Verfahrens sind Cum-Ex-Aktiengeschäfte unter der Einbindung von Leerverkäufern. Bei solchen Geschäften verkauft der Veräußerer in zeitlicher Nähe zum Tag der Hauptversammlung, aber noch vor deren Ablauf, Aktien mit Dividendenanspruch („Cum-Aktie“), die er nicht in seinem Bestand hat, sondern sich zur Erfüllung seiner Lieferpflicht innerhalb der mit dem Käufer vereinbarten Frist im Rahmen eines Eindeckungsgeschäftes mit kürzerer Lieferfrist erst selbst noch besorgen muss. Die Eindeckungsgeschäfte werden schuldrechtlich über Aktien abgeschlossen, die keinen Dividendenanspruch mehr beinhalten („Ex-Aktien“). Zur Kompensation dafür, dass die dem – den Kaufpreis für eine „Cum-Aktie“ zahlenden – Leerkäufer gelieferten Aktien keinen Dividendenanspruch mehr enthalten, zahlt der Leerverkäufer an den Leerkäufer eine Dividendenkompensation in Höhe der Nettodividende.
10
Ab dem Inkrafttreten des Jahressteuergesetzes 2007 wurde auch auf die Dividendenkompensationszahlung Kapitalertragsteuer (im Folgenden: KESt) einbehalten, wenn auf Seiten des (Leer-)Verkäufers eine inländische Depotbank eingeschaltet wurde; war eine ausländische Depotbank tätig, unterblieb der Einbehalt von KESt. Die Depotbank des Cum-Ex-Käufers, die – deren Gutgläubigkeit unterstellt – in der Regel nicht erkennen konnte, dass es sich um eine Dividendenkompensationszahlung handelte, und ob KESt einbehalten wurde, stellte dem kapitalertragssteuerpflichtigen Cum-Ex-Käufer eine Bescheinigung über einbehaltene Kapitalertragsteuer nebst Solidaritätszuschlag im Sinne des § 45a EStG aus. Im Rahmen der Anträge auf Steuererstattungen und der Steuererklärungen legten die Leerkäufer bzw. die für sie handelnden Depotbanken trotz unterbliebenen Abzugs und Abführens von KESt die Steuerbescheinigungen bei der jeweils zuständigen Finanzbehörde vor und erreichten so, dass Kapitalertragsteuer nebst Solidaritätszuschlag erstattet wurde.
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Vorliegend besteht die Besonderheit, dass es sich bei den von den Angeklagten aufgelegten Fonds um Zweckvermögen im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 5 KStG handelte, die nach § 11 Abs. 1 InvStG von der Körperschaft- und Gewerbesteuer befreit waren und somit nicht veranlagt wurden. Die Fonds waren Erstattungsberechtigte der KESt, die ihnen unter Einschaltung der Depotbanken erstattet wurde (§ 11 Abs. 2 S. 1 InvStG). In beiden Tatzeiträumen erstatteten die Depotbanken den Fonds nach den einzelnen Cum-Ex-Geschäften die KESt und gaben gegenüber der jeweils zuständigen Steuerbehörde zu Unrecht an, dass die KESt von den Dividendenzahlungen einbehalten und abgeführt worden sei. Dies führte dazu, dass die Steuerbehörden die an die Fonds gezahlten Beträge der Depotbank zu Unrecht erstatteten bzw. diese der Depotbank zu Unrecht auf die eigene Steuerschuld anrechneten.
II. Vortatgeschehen und Anbahnung des Tatgeschehens
12
Nach dem Ausscheiden der Angeklagten aus der I. im Jahr 2008 bemühten sich die Angeklagten um einen beruflichen Neuanfang. Gemeinsam machten sie sich selbständig, mit der Idee, in Kooperation mit einer Bank eine ETF – Gesellschaft zu gründen. Infolge der Finanzkrise gelang es den Angeklagten jedoch nicht, dieses Vorhaben zu verwirklichen. Auch das weitere Projekt, die Gründung eines Finanzdienstleisters für ein Düsseldorfer „Family Office“, bei dem bereits Dr. B. und Dr. S. – damals als Rechtsanwälte in der Kanzlei D. LLP – als rechtliche Berater involviert waren, zerschlug sich.
13
Spätestens ab diesem Zeitpunkt richteten die Angeklagten ihre geschäftlichen Bemühungen neu aus: Bereits als Vorstände der I. AG waren die Angeklagten im April 2007 mit den steuerschädlichen Auswirkungen von Cum-Ex-Geschäften unter Einbindung eines Leerverkäufers in Berührung gekommen und waren über die Bestrebungen des Gesetzgebers, diesen Geschäften mit dem Jahressteuergesetz 2007 durch Einführung des § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 4 EStG Einhalt zu gebieten, informiert worden.
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Zudem war der Angeklagten K. bereits im Oktober 2006 mittels einer im Auftrag von Herrn Dr. B. per E-Mail übermittelten „Präsentation zur doppelten Kapitalertragsteuer“ über die sog Dividendenarbitrage-Struktur informiert worden. Dieses „B. Geschäftsmodell“ verfolgten die Angeklagten gemeinsam mit Herrn Dr. B. und Herrn Dr. S. spätestens ab November 2008.
15
Ende das Jahres 2008 vermittelte Herr Dr. S. den Angeklagten die K. GmbH mit Sitz in H.. Auch der Kontakt zu der C. Gruppe, von der die Angeklagten die Unternehmensaktien der späteren A. mit Teilgesellschaftsvermögen erwarben, wurde von Herrn Dr. S. vermittelt und die Angeklagten beschlossen, das spätere Teilgesellschaftsvermögen A. I (im Folgenden: TGV A. I) gemeinsam mit den Herren Dr. B. und Dr. S. für das B. Geschäftsmodell einzusetzen.
III. Fall 1
1. Rechtlicher und organisatorischer Aufbau des Geschäftsbetriebs und Akteure im Tatzeitraum 2009
16
Gemeinsam mit den Herren Dr. B. und Dr. S. errichteten die Angeklagten einen auf die Begehung von Steuerhinterziehung ausgerichteten Geschäftsbetrieb, der der Einschaltung verschiedenster Akteure sowie deren Abstimmung bedurfte. Aufgrund ihrer Position als Geschäftsführer der A. GmbH und als faktische Vorstände und Aufsichtsräte der A. Investmentaktiengesellschaft (im Folgenden: A. InvAG) mit Teilgesellschaftsvermögen (im Folgenden: TGV) beherrschten die Angeklagten beide Gesellschaften, die sie als Vehikel zur Steuerhinterziehung benutzten. Aus ihrer Zeit bei der H. und der I. verfügten sie über wertvolle Kontakte zu Banken, die ihrerseits Erfahrungen im Cum-Ex-Geschäft hatten. Zusätzlich machte sich der Angeklagte K. im Zeitraum März/April 2009 als einer der Vorstände des B. (im Folgenden: B.) gegen zusätzliche bürokratische Hürden für die Erstattung der Kapitalertragsteuer bei Cum-Ex-Geschäften stark. Dabei stimmte er sich eng vor allem mit Herrn Dr. B. ab und warnte nachdrücklich vor der „Strafbesteuerung“ von Investmentfonds. Generell trat der Angeklagte K. als Sprecher der A. Gesellschaften nach außen in Erscheinung und vertrat deren Interessen vor den Geschäftspartnern sowie Dritten. Innerhalb der A. GmbH war er als Geschäftsführer für den Aufgabenbereich Buchhaltung, Rechtsabteilung sowie Verwaltung der Anlegergelder zuständig. Der Angeklagte U.. hatte nach außen eine weniger sichtbare Rolle, war jedoch stets intern in sämtliche Vorgänge eingebunden und hielt das Geschäft im Hintergrund am Laufen. Bei Bedarf vertrat er den Angeklagten K. auch nach außen. Als Geschäftsführer der A. GmbH war ihm der Aufgabenbereich Vertrieb, Marketing sowie das Portfoliomanagement und die Finanzbuchhaltung der GmbH zugeordnet. Die Angeklagten begegneten einander auf Augenhöhe und wurden im Jahr 2010 an dem Profit in gleicher Höhe wirtschaftlich beteiligt. Auch bezogen sie Geschäftsführergehälter in gleicher Höhe.
17
Den Herren Dr. B. und Dr. S. kam in dem Geschäftsbetrieb zum einen die Rolle von rechtlichen Beratern zu, die den Prozess der Errichtung der Gesellschaften und die Gestaltung der vertraglichen Beziehungen unter den Akteuren mit ihrem steuer- und kapitalmarktaufsichtsrechtlichen Knowhow begleiteten. Herr Dr. B. erstellte außerdem für die InvAG das „Steuerliche Gutachten zur Ausnutzung von Marktineffizienten bei dem Handel mit Aktien über den Hauptversammlungsstichtag“, das den Beteiligten als vorgeschobene Rechtfertigung dienen sollte. Darüber hinaus vermittelten sie den Angeklagten auch die Kontakte zu weiteren für den Cum-Ex-Handel nötigen Akteure, vor allem zu der Portfoliomanagerin D. Limited (im Folgenden: D.) mit Sitz in London, die wiederum Kontakte zu Prime Brokern und Leerverkäufern hatte. Schließlich verfügte Herr Dr. B. auch über einen Mandantenstamm von sehr vermögenden Privatpersonen, die er als Anleger des TGVs ins Spiel brachte. Entsprechend ging auch das wirtschaftliche Interesse der Herren Dr. S. und Dr. B. sowie deren Engagement für das Gelingen des Projekts weit über das bloßer rechtsanwaltlicher Berater hinaus.
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In das Geschäftsmodell der Angeklagten waren im Einzelnen folgende Gesellschaften und Akteure involviert:
a. A. GmbH
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Nach dem Erwerb der K. GmbH, eingetragen im Handelsregister des Amtsgerichts H. unter HRB …, bestellten sich die Angeklagten in der Gesellschafterversammlung vom 01.01.2009 zu Geschäftsführern mit satzungsmäßiger Vertretungsberechtigung, die vorliegend die gemeinschaftliche Vertretung oder eine solche eines Geschäftsführers gemeinsam mit einem Prokuristen vorsah. Am Stammkapital von insgesamt 120.000 Euro waren die Angeklagten jeweils mit Anteilen von je 60.000 Euro beteiligt.
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Mit Satzungsänderung vom 14.01.2009 firmierte die Gesellschaft in A. GmbH um, verlegte den Sitz nach M. in die …-Straße und wurde im Handelsregister des Amtsgerichts M. unter der Nummer HRB … eingetragen. Am 06.05.2010 wurde schließlich der Sitz nach … verlegt.
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Mit Beschluss des Amtsgerichts M. vom 01.12.2020 wurde unter dem Aktenzeichen … das Insolvenzverfahren für die A. GmbH eröffnet.
b. A. Investmantaktiengesellschaft mit Teilgesellschaftsvermögen A. I
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In der Gründungsversammlung der A. Investmentaktiengesellschaft (im Folgenden: A. InvAG) mit TGV vom 14.01.2009 übernahm die A. GmbH, vertreten durch die beiden Angeklagten, das anfängliche Grundkapital der A. InvAG mit TGV in voller Höhe von 300.000 Euro. Eingeteilt war das Grundkapital in 3.000 auf den Namen lautende, als Stückaktien begebene Unternehmensaktien, die ausschließlich Rechte an dem Teilgesellschaftsvermögen der A. I gewährten. Die beiden Angeklagten wurden zu Mitgliedern des Aufsichtsrats der A. InvAG bestellt.
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Tatsächlich ging die Funktion der Angeklagten über die eines Aufsichtsrats hinaus, denn sie lenkten die Geschäfte der Gesellschaft maßgeblich im Innenwie auch im Außenverhältnis als faktische Vorstände. Zu Vorständen der A. InvAG wurden die Vorstände der C. bestellt, nämlich die anderweitig Verfolgten K., S. und Dr. S.. Wesentliche Leitungskompetenzen des Vorstands wurden auf Betreiben der Angeklagten vertraglich auf die A. GmbH bzw. auf deren Mitarbeiter oder dritte Unternehmen übertragen. Dazu im Einzelnen:
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Die Portfolioverwaltung des TGV A. I wurde durch Vertrag vom 06.03.2009 an die A. GmbH als nach § 1 Abs. 1a Nr. 3 KWG zugelassenem Verwalter übertragen. Durch ein weiteres Outsourcing übertrug die A. GmbH die Portfolioverwaltung an die D. Limited (im Folgenden: D.) mit Sitz in London. Die Buchhaltung des TGV wurde auf die H.-GmbH (im Folgenden: H.) übertragen. Durch einen weiteren Vertrag wurde die „Vorkontrolle des täglichen Buchungsdatenmaterials“, dessen Aufarbeitung und Weiterleitung an die weiteren Akteure sowie die Kontrolle der täglichen und der monatlichen Aktienwertberechnungen an die A. GmbH ausgelagert. Das Risikomanagement sowie Serviceleistungen wie die Bereitstellung eines Büroraums oder die Weiterleitung von Post lagerte die A. InvAG an die C. AG aus.
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Mit Wirkung zum 04.08.2009 legten die beiden Angeklagten ihre Aufsichtsratsposten nieder. Mit Beschluss vom 05.08.2009 wurden die beiden Angeklagten mit Wirkung vom 01.09.2009 jeweils für die Dauer von fünf Jahren zu Mitgliedern des Vorstands bestimmt. Mit dem Sitzwechsel der A. GmbH am 06.05.2010 an … wurde auch der Sitz der A. InvAG dorthin verlegt.
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Steuerlich wurde das unter der A. InvAG mit TGV aufgelegte Teilgesellschaftsvermögen A. I als steuerbefreites Zweckvermögen im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 5 KStG beim Finanzamt M. unter der Ordnungsnummer … erfasst.
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Vom Finanzamt M. wurde eine Bescheinigung gemäß § 11 Abs. 2 InvStG für den Zeitraum 01.01.2009 bis 31.12.2011 für das Sondervermögen A. I (sog. Nichtveranlagungsbescheinigung) am 25.02.2009 ausgestellt. Die Angeklagten nutzten das TGV A. I nur für den Handel im Tatzeitraum 2009. Das TGV A. I wurde am 05.03.2010 aufgelöst.
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Neben dem Aktienfonds A. I legte die A. InvAG im Laufe des Jahre 2009 vier weitere – nicht gegenständliche – Fonds mit ETF-Struktur auf.
c. D.
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Der Kontakt der Angeklagten zu D. bestand seit spätestens November 2008. Nach einer mehrmonatigen Verhandlungs- und Abstimmungsphase übertrugen die Angeklagten für die A. GmbH durch ein weiteres Outsourcing die Portfolioverwaltung durch Vertrag vom 13.03.2009 an D.. Gegenüber den Angeklagten trat für D. im Jahr 2008 bis Mitte des Tatzeitraums im Jahr 2009 vor allem S.M. auf, der den Angeklagten nicht nur bei den Verhandlungen mit der U. AG (im Folgenden: U.) mit Sitz in London behilflich war, sondern auch über die relevanten Kontakte auf dem Cum-Ex-Leerverkaufsmarkt verfügte. Ab Mitte März 2009 führte er, unterstützt von dem D.-Mitarbeiter S., für die A.-Gesellschaften das Tagesgeschäft der Cum-Ex-Geschäfte aus. Aufgrund D.-interner Meinungsverschiedenheiten schied M. Ende Juni 2009 aus der D. aus und wurde später durch den anderweitig Verfolgten A. ersetzt.
d. Depotbank der InvAG, Prime Broker und Verwahrung der Wertpapiere für das TGV
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Bis April 2009 übte die H. die Funktion der Depotbank nach §§ 20 ff InvG (mit Ausnahme der Verwahrung nach § 24 InvG) für die A. InvAG aus, danach übernahm diese Funktion die C. GmbH (im Folgenden C.).
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Die AG (im Folgenden: U.) mit Sitz in London war vertraglich mit der Funktion des Prime Broker für das TGV A. I betraut. Als Prime Broker war die U. als spezialisierter Wertpapierhändler auf die Bedürfnisse von Hedgefonds ausgerichtet. Dazu zählte beispielsweise die Beschaffung von Fremdkapital und die Verwahrung von Wertpapieren. Vorliegend wurden sämtliche Aktientransaktionen, die Absicherungsgeschäfte wie auch die Kredite zur Hebelung des Kapitals über die U. abgewickelt. Die eigentliche Verwahrung der gehandelten Aktien lagerte die U. auf die B.. (im Folgenden: B.) mit Sitz in F. als sog. Sub-Custodian (Unterverwahrer) aus, indem sie dort im Namen und für das TGV A. I ein Depot eröffnete.
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Dabei kam den Verantwortlichen der B. nach dem gemeinsamen Tatplan der Angeklagten auch die Rolle zu, nach einem Cum-Ex-Geschäft des TGVs die Bruttodividende – im Wege der Vorfinanzierung – an das TGV auszuzahlen und anschließend im Sammelantragsverfahren bei dem Bundeszentralamt für Steuern (im Folgenden: BZSt) die Erstattung von KESt nach § 11 Abs. 2 S. 1 InvStG i. V. m. §§ 44 b Abs. 1, 45 b Abs. 1 EStG für das TGV zu beantragen (sog. „Tax Reclaim Service“). Der B. stellten die Angeklagten hierzu die Nichtveranlagungsbescheinigung i. S. v. § 11 Abs. 2 InvStG für das TGV zu Verfügung.
e. Investoren
33
Im Februar und März 2009 gab das TGV A. I insgesamt 1.024.000 Stück Anlageaktien an insgesamt 15 handverlesene Anleger aus. Diese Anlageaktien zum Stückpreis von 100 Euro entsprachen somit einer Anlagesumme von 102.400.000 Euro.
34
Die von den Investoren angelegten Beträge beliefen sich auf 400.000 Euro bis 50.000.000 Euro. Auch die Angeklagten erwarben Anlageaktien des TGVs. Am 05./06.03.2009 zeichnete der Angeklagte K. 11.000 Anlageaktien des TGV im Wert von insgesamt 1.100.000 Euro. Am 09.03.2009 zeichnete der Angeklagte U.. 4.000 Anlageaktien des TGV im Wert von 400.000 Euro.
35
Die Anlageaktien wurden bis auf eine Ausnahme den Investoren am 30.06.2009 zurückgegeben. Nach der Dividendensaison 2009 wurden am 01.10.2009 insgesamt 2.730 Anlageaktien von einem sog. durchhaltenden Anleger, bei dem es sich um eine vom Angeklagten K. beherrschte GmbH handelte, erworben.
f. Verteilung des Tatlohns
36
Die Angeklagten einigten sich gemeinsam mit den Herren Dr. B. und Dr. S. und den weiteren Tatbeteiligten im Voraus darauf, inwiefern die verschiedenen Akteure von den Cum-Ex-Geschäften profitierten würden. Das gemeinsame Anlagemodell sah vor, dass die Investoren, die dem TGV Anlagegelder anvertraut hatten, also das Grundkapital für den Aktienkauf zur Verfügung gestellt hatten und somit die Cum-Ex-Geschäfte erst ermöglichten, nach der Dividendensaison auf die angelegten Beträge eine Rendite von 18,6% erhalten sollten. Dies galt – wie beabsichtigt – auch für die Angeklagten selbst, die eigene hohe Summen investiert hatten (siehe oben Ziffer D.III.1.).
37
Die Herren Dr. S. und Dr. B. stellten den Angeklagten zum einen ihre steuerliche und kapitalmarktrechtliche Beratung in Rechnung. Darüber hinaus einigten sie sich mit den Angeklagten und den weiteren Beteiligten auf die zusätzliche wirtschaftliche Beteiligung an den vom TGV erwirtschafteten Erträgen als Gegenleistung für die „Geschäftsidee“, die Vermittlung der weiteren Tatbeteiligten sowie der Investoren.
38
War ursprünglich noch eine Verteilung von 33% für D., 33% für Dr. S./Dr. B. und 33% für A. (nach Abzug der Investorengelder inklusive Rendite) geplant, erhielt D. aufgrund aggressiver Nachverhandlungen durch S.M. im Ergebnis 50% der Profit Insgesamt erwirtschaftete das TGV A. I in der Dividendensaison 2009 einen Ertrag in Höhe von 123.777.522,05 Euro.
39
Hiervon verblieb dem TGV ein Profit von ca. 58% i. H. v. 78.000.000 Euro. Ca. 52.000.000 Euro wurde bereits vorab mittels der konkreten Vertragsgestaltung der Aktien- und Absicherungsgeschäfte an weitere Beteiligte in der Handels- bzw. Lieferkette verteilt. Von der beim TGV anfallenden Erträge erhielten die Anleger als Rendite den versprochenen Anteil von 18,6%, was bei einer Anlagesumme von 102,4 Millionen Euro ca. 19 Millionen Euro entsprach.
40
Der verbleibende Ertrag wurde unter den Akteuren A., Dr. B./Dr. S. sowie D. wie folgt verteilt: Die A. GmbH berechnete der A. InvAG für die im Zusammenhang mit der ausgelagerten Portfolioverwaltung erbrachten Leistungen einen Betrag in Höhe von 45.354.576,36 Euro.
41
In dem Rechnungsschreiben vom 04.06.2009 wurde die InvAG aufgefordert, einen Betrag in Höhe von 24.107.245,73 Euro direkt auf das Konto der D., die diesen Betrag der A. GmbH als „Leistungsvergütung“ („performance fee“) fakturiert hatte, zu bezahlen. Der verbleibende Betrag in Höhe von 21.247.328,63 Euro sollte auf das Konto der A. bei der Commerzbank überwiesen werden. Entsprechend dieser Anweisung wurden die Beträge seitens der A. InvAG verbucht.
42
Mit Schreiben vom 05.06.2009 stellte die S. Bank der A. GmbH einen Betrag von 11.013.164,32 Euro in Rechnung. Bei dieser Rechnung handelte es sich um eine Abdeckrechnung, durch die absprachegemäß die wirtschaftliche Beteiligung der Herren Dr. B. und Dr. S. verschleiert werden sollte. Von dem Konto der A. GmbH bei der Commerzbank wurden am 29.06.2009 – ebenfalls absprachegemäß – ein Betrag von 11.29.696,07 Euro an die S. Bank überwiesen. Die für die S. Bank Handelnden überwiesen – wiederum absprachegemäß – diesen Betrag weiter an die O. Ltd. (im Folgenden: O.) mit Sitz auf den British Virgin Islands. Bei der O. handelte es sich um eine Gesellschaft, die von den Herren Dr. B. und Dr. S. beherrscht wurde.
43
Damit blieb, entsprechend der Vereinbarung zwischen den Angeklagten und den weiteren Beteiligten, ein Betrag von ca. 10.000.000 Euro bei der A. GmbH. Von dem Zufluss an die A. GmbH profitierten die Angeklagten indirekt durch Zahlung ihrer Gehälter als Geschäftsführer der GmbH auch in den Folgejahren. Darüber hinaus wurden die Angeklagten insoweit entlohnt, als dass sie – wie die anderen Investoren – mit „Rückgabe“ der Anlageaktien an das TGV ihr angelegtes Kapital zurückgezahlt sowie eine Rendite in Höhe von 18,6% erhielten. Mit „Rückgabe“ der Anlageaktien des TGV am 30.06.2009 erhielt der Angeklagte K. einen Betrag von 1.304.820 Euro, der Angeklagte U.. erhielt einen Betrag von 474.480 Euro.
2. Gutachten des Herrn Dr. B.
44
Herr Dr. B. erstellte für die A. InvAG das „Steuerliche Gutachten zur Ausnutzung von Markineffizienzen bei dem Handel mit Aktien über den Hauptversammlungsstichtag“ vom 24.02.2009. Dieses Gutachten beschrieb die von der InvAG verfolgte Anlagestrategie. Laut dem Gutachten sollte durch das Ausnutzen von „Marktineffizienzen“ beim Handel mit Aktien über den Hauptversammlungstag ein positives Ergebnis erzielt werden. Dabei wurden in dem Gutachten tatsächlich nicht zutreffende Sachverhaltsannahmen vorausgesetzt, vor allem im Hinblick auf das Vorliegen von Absprachen zwischen den Akteuren. Die entscheidenden rechtlichen Fragen wurden vermieden oder nur floskelhaft beantwortet. Das Gutachten sollte den Akteuren als vorgeschobene Rechtfertigung dienen, was den Angeklagten auch bewusst war.
3. Lobbyarbeit im Zusammenhang mit dem BMF-Schreiben vom 05.05.2009
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Der Angeklagte K.e. war seit 01.10.2008 einer der Vorstände des B.-Verbandes. Diese Position setzte er mit Wissen und Wollen des Angeklagten U.. sowie der Herren Dr. B. und Dr. S. ein, um den Erlass zusätzlicher rechtlicher oder bürokratischer Hürden für das gemeinsame Geschäftsmodell zu verhindern.
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Die Angeklagten waren bereits am 23.03.2009 darüber informiert, dass das BMF „Maßnahmen zur Beseitigung der Gefahr von Steuermindereinahmen bei der Erstattung von Kapitalertragsteuer durch Gestaltungen im Zusammenhang von Leerverkäufen um den Dividendenstichtag“ plante, worauf sich der Angeklagte U.. an Herrn Dr. S. mit der Bitte um Rückruf wandte.
47
Die Angeklagten ließen sich von den Herren Dr. B. und Dr. S. bzw. deren Mitarbeitern dazu beraten, mit welchen rechtlichen und wirtschaftlichen Argumenten man den Plänen des BMF entgegentreten könnte. So rechtlich beraten nutzte der Angeklagte K. seine Position als Vorstand des B-Verbandes, um auf das BMF Einfluss zu nehmen. Seine Interessen vertrat er sogar als Vertreter des B-Verbandes bei einem Anhörungstermin des BMF in Berlin. Herr Dr. B. nutzte seinerseits andere Kanäle zur Lobbyarbeit. Anfang April 2009 informierte Herr Dr. B. die Angeklagten darüber, dass Publikumsfonds aus dem Anwendungsbereich des geplanten BMF-Schreibens herausfallen würden. Da die Angeklagten und die übrigen Beteiligten mit dem Wording des überarbeiteten Schreibens gut leben konnten, wurden über den B-Verbandes keine weiteren Änderungsvorschläge unterbreitet.
48
Die Regelungen des schließlich erlassenen BMF-Schreibens vom 05.05.2009 betrafen das TGV A. I nicht.
4. Gestaltung und Ablauf der Cum-Ex-Geschäfte
49
Die Angeklagten planten die Cum-Ex-Geschäfte gemeinsam mit den übrigen Beteiligten detailliert im Hinblick auf die Beschaffung und Hebelung des Kapitals, die zeitlichen Abläufe der Aktiengeschäfte sowie deren Absicherungsgeschäfte und deren konkrete Preisgestaltung und stimmten diese miteinander ab. Das gemeinsame Geschäftsmodell bestand darin, hohe Stückzahlen von Aktien deutscher Gesellschaften über den Hauptversammlungsstichtag zu erwerben.
50
Dabei legten die Beteiligten Wert darauf, unter der Grenze von 3% der Stimmrechte der jeweiligen Aktiengesellschaft zu bleiben, da ansonsten der Erwerb die Meldung an die BaFin gemäß § 33 WpHG erfordert hätte. Nachdem die Angeklagten die Struktur der Geschäfte gemeinsam mit den Herren Dr. B., Dr. S. und D. aufgesetzt hatte, waren sie am Tagesgeschäft grundsätzlich nicht beteiligt und hatten nur eine Überwachungsfunktion inne.
51
Im einzelnen Fällen griff der Angeklagte K. jedoch auch in Detailfragen der Planung ein, z.B. teilte er S.M. mit, dass die Aktie der T. AG nicht gehandelt werden sollte, oder wies die Korrektur von nicht der vorherigen Planung entsprechenden Transaktionen an.
a. Struktur der Aktien- und Absicherungsgeschäfte
52
Das TGV handelte im Zeitraum 18.03.2009 bis 10.06.2009 insgesamt 354.514.054 Stück Aktien von 41 deutschen Aktiengesellschaften. Die von den Angeklagten und ihren Mittätern aufgesetzte Geschäftsstruktur entsprach grundsätzlich folgenden Prinzipien: Das TGV erwarb die Aktien „cum dividend“ entweder direkt oder durch einen Future-Kontrakt (Buy Future), der spätestens am Dividendenstichtag ausgeübt wurde und die physische Belieferung der Aktie vorsah. Gegenstand des Futures als Termingeschäft war jeweils die unbedingte Verpflichtung zum Erwerb einer Aktie „cum dividend“ zu einem zukünftigen Zeitpunkt und einem festgelegten Preis.
53
Zeitgleich ging das TGV einen sog. Sell Future als Absicherungsgeschäft ein. Durch den Sell Future verpflichtete sich das TGV zum Verkauf derselben Aktiengattung und -zahl zu einem nach dem Hauptversammlungsstichtag liegenden Zeitpunkt. Der standardisierte Fälligkeitstag war der dritte Freitag eines jeden Monats. Der Sell Future wurde bei Fälligkeit durch Barausgleich abgewickelt.
54
Die Aktien wurden nach dem Dividendenstichtag physisch geliefert, indem die vertragsgegenständlichen Aktien in das Depot des TGV „eingebucht“ wurden. Die B. zahlte den der Bruttodividende entsprechenden Geldbetrag auf das Depot des TGV bei der U.. Nach der physischen Lieferung der jeweils vertragsgegenständlichen Aktien wurden diese durch einen weiteren Vertrag wieder verkauft. Zeitgleich mit dem Verkauf der Aktien erfolgte durch die Eingehung eines gegenläufigen Buy Futures mit gleicher Kontraktgröße und Fälligkeit die Glattstellung des noch offenen Sell Futures.
55
Ohne die Zahlung der Bruttodividende durch die B. hätte das TGV A. I durch die getätigten Geschäfte ausnahmslos einen Verlust erwirtschaftet. Unerheblich war, ob das Ergebnis des Aktienhandels positiv oder negativ war, denn mithilfe der gleichzeitig abgeschlossenen Absicherungsgeschäfte, also der Sell bzw. Buy Futures, wurde jegliches Kursrisiko ausgeschaltet. Auch der in Höhe der Nettodividende gezahlte Betrag hatte keine Auswirkungen auf das negative Ergebnis des Gesamtgeschäfts. Erst durch die Zahlung des der KESt entsprechenden Betrages durch die B. war das Gesamtergebnis der Cum-Ex- und Absicherungsgeschäfte positiv. Über das Absicherungsgeschäft zum Aktienerwerb wurde der Betrag, der der KESt entsprach, unter den an den Transaktionen beteiligten Akteuren verteilt. Für das TGV ergab sich ein Gewinn in Höhe von 85% des Dividendenlevels (auch Dividendendiscount).
b. Durchführung der Transaktionen durch die Beteiligten (sog. Matching)
56
Die für das Gelingen dieser Geschäfte notwendige Abstimmung sowie die eigentliche Abwicklung der Aktien- und der Absicherungsgeschäfte am Handelsplatz lag, wie von den Angeklagten beabsichtigt, in der Hand von S.M. von D., der, wie die Angeklagten wussten, über die Geschäftskontakte zu den involvierten Akteuren auf dem Cum-Ex-Markt verfügt Bei diesen Akteuren handelte es sich, wie den Angeklagten bewusst war, um einen geschlossenen Kreis, innerhalb dessen sich alle kannten, der jedoch nach außen sehr verschwiegen war. Dank S.M. Kontakten standen für die Cum-Ex-Geschäfte der A. die Gesellschaften I., L. und L.C. Group als sog. Intermediary oder Interdealer Broker zur Verfügung. Als Leerverkäufer traten C. Ltd., die M. Bank Ltd. London Branch (M.) sowie vereinzelt die J. AG auf.
57
Vor der Durchführung der Geschäfte entwickelte S.M. pro gehandelter Aktiengattung ein sog. Trading Sheet, das am Handelstag durch den anderweitig Verfolgten S. abgearbeitet wurde. Im Trading Sheet waren u.a. die Aktiengattung, die Aktienmenge, der Preis der anstehenden Transaktionen, der Dividendenanteil (sog. „Dividend Amount“) sowie der bereits feststehende Broker hinterlegt. Mittels Bloomberg-Chat platzierte S. die geplanten Geschäfte bei den Brokern. Gleichzeitig stellte der Leerverkäufer bzw. andere dazwischengeschaltete Verkäufer das Angebot zum Verkauf der physischen Aktien sowie das entsprechende Absicherungsgeschäft am Handelsplatz ein, vor allem bei der Future-Börse London International Futures and Options Exchange (im Folgenden: LIFFE).
58
Der von S.M. beauftragte Broker brachte Käufer- und Verkäuferseite zusammen und führte so das sog. Matching durch, wofür, wie die Angeklagten wussten und wollten, der Broker im Vorfeld sowohl mit der Leerverkäuferseite sowie mit M. für das TGV – zumindest konkludente – Absprachen treffen musste. Die jeweils gehandelten Aktien wurden dann dem gemeinsamen Tatplan entsprechend physisch an das für das TGV eröffnete Depot bei der B. Frankfurt geliefert (sog. Clearing bzw. Settlement). Anschließend wurden die Aktien im Auftrag des TGV – wiederum unter Einbindung von Brokern – verkauft. Gleichzeitig wurden die Absicherungsgeschäfte glattgestellt (sog. Unwind).
59
In zehn Fällen kam es bei dem Unwind des Sell Futures bzw. der Veräußerung der Aktien zu teilweise starken Abweichungen vom Dividendenlevel in Höhe von 85%, so dass es zu einer Verzerrung des von den Beteiligten angestrebten Ergebnis bei dem TGV kam. In diesen Fällen kam es dem gemeinsamen Tatplan entsprechend zu einer Korrektur durch sog. „Ex-Trades“, also durch die Eingehung zusätzlicher Futures, die von den Beteiligten mit Wissen und Wollen der Angeklagten ohne gegenläufiges Absicherungsgeschäft eingegangen wurden, so dass im Ergebnis auch bei diesen Aktiengattungen ein Ertrag des TGV in Höhe von 85% der Bruttodividende erzielt wurde.
60
In einigen Fällen kam es auch zu Mehrfachdurchläufen (sog. Looping) von Aktien: Um ihre Lieferverpflichtung einer derart großen Menge einer Gattung von bis zu 2,9% des gesamten Aktienbestands erfüllen zu können, ließen die Leerverkäufer teilweise die gehandelten Aktien einer Gattung mehrfach zirkulieren. Im Ergebnis wurden somit „dieselben“ Aktien mehrfach verwendet, um die bestehende Lieferverpflichtung zu erfüllen. „Derselbe“ Aktienbestand wurde dafür teilweise in hintereinander gestaffelten Settlement-Zyklen vor und nach dem Dividendenstichtag verwendet, um mehrfach Kapitalertragsteuer zu „generieren“.
61
Obwohl S.M. für die Abstimmung und Abwicklung der Transaktionen am Handelsplatz autonom agierte, war für das Gelingen der Geschäfte auch die enge Abstimmung mit der von den Angeklagten geführten A. GmbH notwendig, die u.a. dafür verantwortlich war, dass die für den Aktienerwerb erforderlichen Gelder rechtzeitig zur Verfügung standen. Zu diesem Zweck wurden gemäß der Absprache zwischen sämtlichen Beteiligten Tabellen zur Koordinierung des Vorgehens ausgetauscht. Nach jedem Handelstag berichteten die Mitarbeiter von D. an die Angeklagten bzw. deren Mitarbeiter S. und O..
5. Die eigentliche Tathandlung: Erstattungsanträge an das BZSt
62
Nach dem Tatplan der Angeklagten kam es durch die Zahlung der Bruttodividende an das TGV zu einer Vorfinanzierung der im TGV anfallenden Erträge durch die B., die dann als Vertreterin des TGV die „Erstattung“ der angeblich entrichteten KESt und des Solidaritätszuschlags (SolZ) beantragt Dies geschah im sog. Sammelantragsverfahren nach § 45 b EStG gemäß § 1 der Verordnung zur elektronischen Übermittlung von für das Besteuerungsverfahren erforderlichen Daten (Steuerdaten-Übermittlungsverordnung – StDÜV) per Datenfernübertragung, zu dem die B. bereits seit 2006 zugelassen war.
63
Die B. hatte bereits einen am 01.02.2006 beim BZSt eingegangen Antrag auf Zulassung zur elektronischen Übermittlung von Sammelanträgen sowie einen Antrag auf Datenfernübertragung (DFÜ) gestellt. Im Rahmen des Sammelantragsverfahrens erstellte die B. als Antragstellerin die an das BZSt zu übermittelnden Daten selbst und sandte sie an das BZSt.
64
Die elektronisch übermittelten Anträge, die unter Verwendung des BZSt-Online-Portals gestellt wurden, wurden programmgesteuert registriert und zur Weiterverarbeitung an die sog. KStR-Datenbank weitergeleitet. Im Rahmen des sog. „Rechenlaufs“ wurden die Anträge einer programmgesteuerten Plausibilitätsroutine unterzogen und automatisch Festsetzungsbescheide erstellt. Mit Versand der Bescheide wurde, wie von den Angeklagten beabsichtigt, auch die Erstattung angewiesen.
65
Zeitnah nach jedem Cum-Ex-Geschäft stellte die B., wie von den Angeklagten beabsichtigt, für die jeweils gehandelte Aktiengattung einen Sammelantrag und beantragte die Erstattung des der KESt sowie des SolZ entsprechenden Betrags als Vertreterin des TGV gemäß § 45 b Abs. 1, 2 EStG.
66
In den Anträgen gab die B., wie von den Angeklagten beabsichtigt, an, dass der von ihr ausgewiesene Betrag an KESt und SolZ von den Kapitalerträgen des TGV einbehalten und abgeführt worden war, obwohl, wie die Angeklagten wussten und wollten, weder der Leerverkäufer, noch das TGV KESt und SolZ entrichtet hatten. Im Einzelnen stellte die B. für das TGV folgende Erstattungsanträge, die wie folgt beschieden wurden:

lfd. Nr.

Antragsdatum

Bescheid datum

Registrier-Nr.

Dividende

Zahltag (ex)

Erstattete KapESt

Erstatteter SolZG

Aktienname

1

23.03.2009

02.04.2009

500.500,00

19.03.2009

125.125,00

6.881,88

Douglas

2

21.04.2009

07.05.2009

8.300.000,00

06.04.2009

2.075.000,00

114.125,00

M. N

3

21.04.2009

07.05.2009

2.850.000,00

06.04.2009

712.500,00

39.187,50

Merck

4

22.04.2009

07.05.2009

13.074.000,00

09.04.2009

3.268.500,00

179.767,50

Daimler

5

29.04.2009

07.05.2009

44.766.000,00

23.04.2009

11.191.500,00

615.532,50

RWE

6

30.04.2009

14.05.2009

5.700.000,00

09.04.2009

1.425.000,00

78.375,00

Daimler

7

05.05.2009

14.05.2009

27.500.000,00

23.04.2009

6.875.000,00

378.125,00

Munich Re

8

07.05.2009

14.05.2009

23.808,60

04.05.2009

5.952,15

327,37

Beiersdorf

9

07.05.2009

14.05.2009

21.000.000,00

30.04.2009

5.250.000,00

288.750,00

Allianz

10

14.05.2009

28.05.2009

24.714.000,00

23.04.2009

6.178.500,00

339.817,50

RWE

11

14.05.2009

28.05.2009

2.782.500,00

21.04.2009

695.625,00

38.259,38

Henkel Vz

12

26.05.2009

04.06.2009

5.028.600,00

08.05.2009

1.257.150,00

69.143,25

Fresenius Med Care

13

26.05.2009

04.06.2009

31.567.200,00

13.05.2009

7.891.800,00

434.049,00

Bayer

14

26.05.2009

04.06.2009

5.856.000,00

14.05.2009

1.464.000,00

80.520,00

K+S

15

26.05.2009

04.06.2009

2.670.000,00

15.05.2009

667.500,00

36.712,50

BMW

16

26.05.2009

04.06.2009

1.687.528,00

11.05.2009

421.882,00

23.203,51

Fresenius Vz

17

26.05.2009

04.06.2009

1.380.600,00

13.05.2009

345.150,00

18.983,25

Rheinmetall

18

26.05.2009

04.06.2009

442.750,00

14.05.2009

110.687,50

6.087,81

Puma

19

26.05.2009

04.06.2009

9.450.000,00

27.04.2009

2.362.500,00

129.937,50

Deutsche L.

20

26.05.2009

04.06.2009

1.227.000,00

08.05.2009

306.750,00

16.871,25

Lanxess

21

26.05.2009

04.06.2009

2.408.640,00

11.05.2009

602.160,00

33.118,80

Celesio

22

26.05.2009

04.06.2009

3.600.000,00

04.05.2009

900.000,00

49.500,00

Beiersdorf

23

26.05.2009

04.06.2009

53.098.500,00

04.05.2009

13.274.625,00

730.104,38

BASF

24

26.05.2009

04.06.2009

25.760.000,00

30.04.2009

6.440.000,00

354.200,00

Allianz

25

26.05.2009

04.06.2009

8.947.080,00

18.05.2009

2.236.770,00

123.022,35

Linde

26

26.05.2009

04.06.2009

84.296.250,00

07.05.2009

21.074.062,50

1.159.073,44

ON

27

26.05.2009

04.06.2009

2.200.000,00

08.05.2009

550.000,00

30.250,00

Bilfinger B.

28

26.05.2009

04.06.2009

537.600,00

18.05.2009

134.400,00

7.392,00

DMG-MORI-SEIKI-AG

29

26.05.2009

04.06.2009

966.000,00

15.05.2009

241.500,00

13.282,50

Hugo Boss Vz

30

26.05.2009

04.06.2009

176.000,00

15.05.2009

44.000,00

2.420,00

Leoni

31

26.05.2009

04.06.2009

2.891.000,00

08.05.2009

722.750,00

39.751,25

Hochtief

32

26.05.2009

04.06.2009

11.283.160,00

14.05.2009

2.820.790,00

155.143,45

Metro

33

04.06.2009

18.06.2009

1.426.620,00

27.05.2009

356.655,00

19.616,03

MTU

34

04.06.2009

18.06.2009

2.768.400,00

11.05.2009

692.100,00

38.065,50

Wacker Chemie

35

04.06.2009

18.06.2009

2.854.000,00

08.05.2009

713.500,00

39.242,50

Adidas-Salomon

36

04.06.2009

18.06.2009

9.157.500,00

27.05.2009

2.289.375,00

125.915,63

D. Bank

37

04.06.2009

18.06.2009

2.657.700,00

15.05.2009

664.425,00

36.543,38

BMW

38

04.06.2009

18.06.2009

2.220.075,00

28.05.2009

555.018,75

30.526,03

Fraport FFM

39

04.06.2009

18.06.2009

1.241.100,00

28.05.2009

310.275,00

17.065,13

Salzgitter

40

04.06.2009

18.06.2009

5.826.240,00

14.05.2009

1.456.560,00

80.110,80

K+S

41

04.06.2009

18.06.2009

18.081.200,00

20.05.2009

4.520.300,00

248.616,50

SAP

42

04.06.2009

18.06.2009

5.619.160,00

14.05.2009

1.404.790,00

77.263,45

metro

43

04.06.2009

18.06.2009

1.272.600,00

21.05.2009

318.150,00

17.498,25

Vossloh

44

04.06.2009

18.06.2009

12.080.460,00

21.05.2009

3.020.115,00

166.106,33

Deutsche Börse

45

15.06.2009

25.06.2009

1.241.100,00

28.05.2009

310.275,00

17.065,13

Salzgitter

46

15.06.2009

25.06.2009

640.000,00

05.06.2009

160.000,00

8.800,00

Hamb.Hafen

47

15.06.2009

25.06.2009

605.500,00

10.06.2009

151.375,00

8.325,63

Tognum

48

15.06.2009

25.06.2009

366.600,00

11.06.2009

91.650,00

5.040,75

Stada Vna

49

15.06.2009

25.06.2009

159.250,00

11.06.2009

39.812,50

2.189,69

Rhön-Klinikum

50

25.06.2009

09.07.2009

15.600,00

11.06.2009

3.900,00

214,50

Stada Vna

51

25.06.2009

09.07.2009

- 5.619.160,00

14.05.2009

- 1.404.790,00

- 77.263,45

Storno Zeile 42

67
Unter Stornierung des Antrags vom 04.06.2009 (Zeile 42) am 25.06.2009 wurden für ein Dividendenvolumen von 469.298.661,60 Euro der B. als Vertreterin des TGV A. I insgesamt Kapitalertragsteuer in Höhe von 117.324.665,40 Euro und Solidaritätszuschlag in Höhe von 6.452.856,65 Euro erstattet.
68
Diese vom BZSt ausgezahlten Gelder verblieben im Ergebnis bei der B., die die der KESt und dem SolZ entsprechenden Beträge dem Tatplan der Angeklagten entsprechend bereits im Voraus an das TGV ausgezahlt hatte.
69
Die B. wurde mit Haftungsbescheid vom 29.07.2022 durch das BZSt in Haftung genommen und es erging ein Leistungsgebot. Die B. legte Einspruch ein und stellte Antrag auf Außervollzugsetzung, dem stattgegeben wurde.
70
Die an die B. ausgezahlten Beträge wurden bisher von keiner der beteiligten Akteure zurückgezahlt.
IV. Fall 2
1. Rechtlicher und organisatorischer Aufbau des Geschäftsbetriebs und Akteure im Tatzeitraum 2010
71
Unmittelbar nach Abschluss der Dividendensaison begannen die Angeklagten gemeinsam mit den Herren Dr. B. und Dr. S. Pläne zur Fortführung bzw. Erweiterung ihres Geschäftsmodells zu schmieden. Sie beschlossen gemeinsam, zwei weitere Investmentaktiengesellschaften, unter deren Dach jeweils ein TGV angesiedelt werden sollten, zu gründen. Unter dem Dach der A. InvAG sollte zusätzlich ein neues TGV gegründet werden.
72
Sämtliche als Hedgefonds ausgestaltete TGVen sollten dem Cum-Ex-Aktienhandel dienen. In den Folgenmonaten schufen die beiden Angeklagten gemeinsam mit den Herren Dr. B. und Dr. S. erneut die erforderlichen rechtlichen und tatsächlichen Strukturen. Teilweise griffen sie hierzu auf die Mithilfe bereits aus der Dividendensaison 2009 bekannter Akteure zurück. Es beteiligten sich jedoch auch neue Gesellschaften. Die Rollenverteilung zwischen den Angeklagten und den Herren Dr. B. und Dr. S. blieb jedoch unverändert. Auch für die weiteren TGVen stellte Herr Dr. B. entsprechend dem gemeinsamen Tatplan ein steuerliches „Gutachten“ zur Verfügung.
73
Im Tatzeitraum 2010 spielten folgende Gesellschaften und sonstige Akteure eine Rolle:
a. A. InvAG mit Teilgesellschaftsvermögen M. I
74
Mit Antrag vom 06.10.2009 beantragten die Angeklagten als Vorstände der A. InvAG mit TGV bei der BaFin die Genehmigung der Depotbank und der Anlagebedingungen für das Teilgesellschaftsvermögen mit zusätzlichen Risiken „A. M. I“ (im Folgenden: A. M. I). Die Genehmigung der BaFin wurde mit Schreiben vom 12.11.2009 erteilt. Gleichzeitig wurde die C. als Depotbank genehmigt.
75
Das unter der A. InvAG mit TGV neu aufgelegte Teilgesellschaftsvermögen A. M. I wurde als steuerbefreites Zweckvermögen im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 5 KStG beim Finanzamt M. unter der Ordnungsnummer … erfasst. Das Finanzamt M. stellte eine Bescheinigung gemäß § 11 Abs. 2 InvStG für den Zeitraum 01.01.2009 bis 31.12.2011 für das Sondervermögen A. M. I am 17.12.2009 aus.
76
Wie in der Dividendensaison 2009 lagerten die Angeklagten die Fondsbuchhaltung an die H. aus. Das Risikomanagement übernahm die A. GmbH. Mit dem externen Portfoliomanagement wurde diesmal gemäß dem gemeinsamen Tatplan die D. direkt durch die InvAG beauftragt, wobei für die D. vor allem die anderweitig Verfolgten S. und A. auftraten. Die Funktion der Depotbank und des Prime Brokers übernahm die C., die auch die Wertpapiere für das TGV verwahrte. Leverageprovider für A. M. I, um das eingeworbene Kapital zu hebeln, war die F. N.V. (im Folgenden: F.).
77
Das Teilgesellschaftsvermögen A. M. I gab auf Veranlassung der Angeklagten im März 2010 insgesamt 578.859 Stück Anlageaktien aus, was einer Anlagesumme von ca. 58.790.899,59 Euro entsprach. Die Aktien wurden bis auf zwei Ausnahmen am 30.06.2010 zurückgegeben.
78
Die Anleger erzielten auf ihre Anlagesumme im Durchschnitt eine Rendite von 12,2%.
b. A. II Investmentaktiengesellschaft mit Teilgesellschaftsvermögen M. II
79
Die A. GmbH, vertreten durch die beiden Angeklagten, gründete am 16.11.2009 die A. II Investmentaktiengesellschaft mit Teilgesellschaftsvermögen (im Folgenden: A. II InvAG mit TGV). Zu Vorstandsmitgliedern für die Dauer von fünf Jahren wurden die beiden Angeklagten bestimmt. Entsprechend der Struktur der A. InvAG mit TGV wurde auch hier eine Umbrella-Konstruktion gewählt. Die A. II InvAG mit TGV wurde unter der Nummer HRB … im Handelsregister des Amtsgerichts M. eingetragen und hatte den Sitz in der … in M..
80
Das anfängliche Grundkapital der A. II InvAG mit TGV betrug 310.000 Euro, das in 3.100 auf den Namen lautende, als Stückaktien begebene Unternehmensaktien eingeteilt war und ausschließlich Rechte an dem Teilgesellschaftsvermögen der A. M.s II gewährte. Die Aktien wurden von der A. GmbH übernommen.
81
Das TGV A. M. II wurde als steuerbefreites Zweckvermögen im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 5 KStG beim Finanzamt M. unter der Ordnungsnummer … erfasst. Vom Finanzamt M. wurde eine Bescheinigung gemäß § 11 Abs. 2 InvStG für den Zeitraum 01.01.2010 bis 31.12.2012 für das Sondervermögen A. M. I am 18.01.2010 ausgestellt.
82
Die Fondsbuchhaltung wurde wiederum an die H. ausgelagert, das Risikomanagement übernahm die A. GmbH. Mit dem externen Portfoliomanagement wurde die Z. Ltd. (im Folgenden Z.) mit Sitz in London beauftragt, wobei vor allem der anderweitig Verfolgte T. für die Z. auftrat. Dabei lag das „offizielle“ Portfoliomanagement bei der A. GmbH, da Z. kein regulierter Vermögensverwalter war. Die Funktion der Depotbank und des Prime Brokers übernahm die C., die auch die Wertpapiere für das TGV verwahrte. Leverageprovider für A. M. II war nun M. London.
83
Das TGV A. M. II gab im März 2010 insgesamt 749.026 Stück Anlageaktien aus, was einer Anlagesumme von ca. 73.959.852,58 Euro entsprach. Die Aktien wurden bis auf eine Ausnahme am 30.06.2010 zurückgegeben. Auch der Angeklagte U.. zeichnete am 19.03.2010 insgesamt 5.000 Anlageaktien zu einem Gesamtbetrag in Höhe von 491.700 Euro.
84
Die Anleger erzielten auf ihre Anlagesumme im Durchschnitt eine Rendite von ca. 12%. Der Angeklagte U.. erzielte hierdurch einen Gewinn in Höhe von 59.150 Euro. Auch hier diente eine dem Angeklagten K. zugeordnete Gesellschaft als durchhaltender Anleger.
c. A. III Investmentaktiengesellschaft mit Teilgesellschaftsvermögen M. III
85
Die A. GmbH, vertreten durch die beiden Angeklagten, gründete ebenfalls am 16.11.2009 die A. III Investmentaktiengesellschaft mit Teilgesellschaftsvermögen (im Folgenden: A. III InvAG mit TGV). Zu Vorstandsmitgliedern für die Dauer von fünf Jahren wurden die beiden Angeklagten bestimmt. Entsprechend der Struktur der A. InvAG mit TGV und der A. II InvAG mit TGV wählten die Angeklagten auch hier eine sog. Umbrella-Konstruktion. Die A. III InvAG mit TGV wurde unter der Nummer HRB … im Handelsregister des Amtsgerichts M. eingetragen und hatte den Sitz in der … in M..
86
Das anfängliche Grundkapital der A. III InvAG mit TGV betrug 310.000 Euro, das in 3.100 auf den Namen lautende, als Stückaktien begebene Unternehmensaktien eingeteilt war und ausschließlich Rechte an dem Teilgesellschaftsvermögen der A. M. III (im Folgenden: A. M. III) gewährte. Die Aktien wurden von der A. GmbH übernommen.
87
Das so unter der A. III InvAG mit TGV aufgelegte Teilgesellschaftsvermögen A. M. III wurde als steuerbefreites Zweckvermögen im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 5 KStG beim Finanzamt M. unter der Ordnungsnummer … erfasst. Vom Finanzamt M. wurde eine Bescheinigung gemäß § 11 Abs. 2 InvStG für den Zeitraum 01.01.2010 bis 31.12.2012 für das Sondervermögen A. M. III am 18.01.2010 ausgestellt.
88
Die Fondsbuchhaltung wurde wiederum an die H. ausgelagert, das Risikomanagement übernahm die A. GmbH. Mit dem externen Portfoliomanagement beauftragten die Angeklagten die Z., wobei für Z. vor allem der anderweitig Verfolgte T. auftrat. Das „offizielle“ Portfoliomanagement lag wiederum bei der A. GmbH. Die Funktion der Depotbank und des Prime Brokers übernahm die C., die auch die Wertpapiere für das TGV verwahrt Leverageprovider für A. M. III war die I.Plc., Irland.
89
Das TGV A. M. III gab im März 2010 insgesamt 587.822 Stück Anlageaktien aus, was einer Anlagesumme von ca. 57.925.137,22 Euro entsprach. Die Aktien wurden bis auf eine Ausnahme am 30.06.2010 zurückgegeben.
90
Die Anleger erzielten auf ihre Anlagesumme gemäß dem Tatplan der Angeklagten und der übrigen Beteiligten im Durchschnitt eine Rendite von ca. 12%. Auch hier diente eine dem Angeklagten K. zugeordnete Gesellschaft als durchhaltender Anleger.
d. Insolvenz der InvAGen
91
Mit Beschluss des Amtsgerichts M. vom 27.04.2021 wurde unter dem Aktenzeichen … das Insolvenzverfahren über das Vermögen der A. InvAG eröffnet.
92
Mit Beschluss des Amtsgerichts M. vom 06.05.2021 wurde unter dem Aktenzeichen … die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der A. II InvAG mangels Masse abgelehnt.
93
Mit Beschluss des Amtsgerichts M. vom 17.05.2021 wurde unter dem Aktenzeichen … die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der A. III InvAG mangels Masse abgelehnt.
2. Verteilung des Tatlohns
94
Die Angeklagten und die Herren Dr. B. und Dr. S. einigten sich erneut mit den weiteren Beteiligten im Voraus darauf, inwiefern die verschiedenen Akteure von den Cum-Ex-Geschäften profitierten würden. Der Ertrag sollte sich dem Niveau von sog. Cum-Cum-Geschäfte annähern, um das Risiko der Entdeckung zu verringern. Gleichzeitig sollten auch die Investoren eine niedrigere Rendite als im Vorjahr in Höhe von lediglich ca. 12% erhalten. Sie vereinbarten daher, dass die Gewinne für die Angeklagten, Dr. B./Dr. S., Z., D. und die weiteren Beteiligten im Rahmen eines sog. Pre-Tradings „abgesaugt“ und gar nicht erst in den TGVen anfallen sollten. Die Herren A. und T. setzten diese Strategie in Absprache mit den Angeklagten und den Herren Dr. B. und Dr. S. durch entsprechende Gestaltung der Absicherungsgeschäfte um.
95
Insgesamt hinterzogen die Angeklagten in arbeitsteiliger Zusammenarbeit mit den anderen Beteiligten in der Dividendensaison 2010 Steuern in Höhe von 219.783.441,98 Euro. Ein Betrag von 47.506.821,43 Euro ergab sich aus Cum-Ex-Geschäften des TGV A. M. I, ein Betrag von 108.828.102,96 Euro aus Geschäften des TGV A. M. II und ein Betrag i. H. v. 63.448.517,59 Euro aus Geschäften des TGV A. M. III.
96
Im Vergleich zu 2009 fiel plangemäß jedoch ein wesentlich geringerer Anteil im Vermögen der TGVs an. Die darüber hinausgehenden Beträge wurden infolge des Pre-Tradings über die Z. und D. an die anderen Beteiligten ausgekehrt.
97
Hierdurch fielen in den Fonds folgende Rohgewinne an:
- A. M. I 12.838.423,50 Euro
- A. M. II 16.575.467,62 Euro
- A. M. III 12.527.676,21 Euro,
mithin in Höhe von insgesamt 41.941.567,33 Euro (= Anteil an den zu Unrecht erlangten KESt), was bezogen auf die Bruttodividende ca. 5% entsprach und dem gewünschten Niveau der sog. Cum-Cum-Geschäfte sehr nahe kam.
98
Hiervon erhielten die Anleger ca. 22 Millionen Euro als Rendite ausbezahlt, wobei sich dieser Betrag wie folgt auf die Fonds verteilt:
- A. M.s I ca. 6,5 Millionen (Anlagesumme: 58.790.899,59 Euro)
- A. M.s II ca. 8,6 Millionen (Anlagesumme: 73.959.852,58 Euro)
- A. M.s III ca. 6,9 Millionen (Anlagesumme: 57.925.137,22 Euro).
99
Beim Fonds A. M. II entfiel ein Anteil in Höhe von 59.150 Euro auf den Angeklagten U… Aus der restlichen Tatbeute erhielten die Angeklagten in den Jahren nach 2010 über die O. und eigene Truststrukturen Gelder in Höhe von jeweils 3.171.577,74 Euro.
100
Die O. hatte wiederum die Zahlungen von D. und Z. erhalten. Die Zahlungen über die O. dienten dabei dem Zweck, die Mittelherkunft zu verschleiern, um diese nicht gegenüber dem deutschen Fiskus offenbaren zu müssen.
101
Ein weiterer Betrag in Höhe von 9.000.000 Euro flossen über D. und Z. an eine Dubai-Gesellschaft, wobei der anderweitig Verfolgte Dr. S. diesen Betrag für die Angeklagten als Treuhänder hielt. Auf Weisung der Angeklagten investierte er diese neun Millionen Euro in ein Hotelprojekt in der Türkei.
3. Gestaltung und Ablauf der Cum-Ex-Geschäfte
102
Die Geschäfte im Jahre 2010 entsprachen, abgesehen von dem planmäßig zur Verringerung des Entdeckungsrisikos wesentlich geringer gehaltenen Dividendenlevels, in der rechtlichen und tatsächlichen Ausgestaltung sowie in den Abläufen dem Vorgehen im Jahr 2009. Insbesondere der Cum-Ex-Handel für das TGV A. M. I durch D. lief plangemäß ab wie im Jahr 2009.
103
Für die Cum-Ex-Geschäfte der TGVen A. M. II und M. III waren die Angeklagten und ihre Mitarbeiter noch mehr in das eigentliche Handelsgeschehen involviert, denn für beide TGVen lag das „offizielle“ Portfoliomanagement bei der A. GmbH. Die Mitarbeiter der A. GmbH und damit der Angeklagten wurden dabei jedoch vor Ort von dem anderweitig Verfolgten T. unterstützt. Auf Veranlassung der Angeklagten gingen die Mitarbeiter der A. GmbH gemeinsam mit Herrn T. wie folgt vor: Sie informierten Z. darüber, welche Aktienmengen jeweils gehandelt werden sollten. Herr T. beschaffte sodann die Aktienpakete. Zu diesem Zweck sprach Herr T. schon im Vorfeld des Handels mit Interdealer Brokern und vereinbarte Volumina und Preise, die den Vorstellungen von A. entsprachen. Z. gab dem A.-Team Bescheid, welche Mengen verfügbar waren und an welche Broker die Orders gehen sollten. Z. besprach sich auch mit den Brokern, um den „Spread“, d. h. die Differenz zwischen dem von A. gezahlten Preis (nämlich rund 96% für den A. M. II und rund 92% für den A. M. III) und dem Marktpreis (von 79 – 80%) zu sichern.
104
Die Erträge der A. M. II und M. III wurden anhand der Berechnungen eines Mitarbeiters der A. GmbH präzise gesteuert, so dass die Investoren genau die versprochenen Renditen, aber auch nicht mehr als das, bekamen.
4. Die eigentliche Tathandlung: Beantragung der Erstattung von KESt durch die C.
105
Nach dem Tatplan der Angeklagten kam es durch die Zahlung der Bruttodividende an die TGVen zu einer Vorfinanzierung der in den TGVen anfallenden Erträge durch die C..
106
Sodann beantragte die C., wie von den Angeklagten beabsichtigt, beim Finanzamt M., Abteilung Körperschaften, in ihren KESt-Anmeldungen folgende Beträge, die tatsächlich zuvor für die Kompensationszahlungen nicht abgeführt worden waren, da diesen Zahlungen vorgenannte Cum-Ex-Aktiengeschäfte der TGVen A. M. I bis III mit einem Leerverkäufer oder mehreren Leerverkäufern, die über eine ausländische Depotbank handelten, zu Grunde lagen:

Eingang KESt-Anmeldung der C. Bank

Apr 2010

Mai 2010

Jun 2010

06.05.2010

07.06.2010

05.07.2010

Auszahlungsdatum (Tatvoll- und -beendung)

14.05.2010

10.06.2010

12.07.2010

Angemeldete Kapitalerträge

3.777.240,00 €

11.223.497,00 €

5.082.467,00 €

KESt

944.310,00 €

2.805.874,00 €

1.268.992,00 €

SolZG

51.936,78 €

154.322,78 €

69.794,09 €

Geltend gemacht

131.705.941,12 €

220.777.966,09 €

20.005.539,04 €

KESt

SolZ

7.243.825,21 €

12.142.784,89 €

1.100.303,64 €

hiervon für A. M. I KESt

15.160.037,50 €

26.368.875,00 €

3.501.250,00 €

SolZ

833.802,06 €

1.450.288,12 €

192.568,75 €

hiervon für A. M. II KESt

37.900.375,00 €

61.136.100,00 €

4.118.125,00 €

SolZ

2.084.520,62 €

3.362.485,47 €

226.496,87 €

hiervon für A. M. III KESt

22.997.400,00 €

32.995.250,00 €

4.148.125,00 €

SolZ

1.264.856,98 €

1.814.738,74 €

228.146,87 €

Zahllast KESt bisher

- 130.761.631,12 €

- 217.927.092,09 €

- 18.736.547,04 €

Zahllast SolZ bisher

- 7.191.888,43 €

- 11.988.462,11 €

- 1.030.509,55 €

Gesamt bisher

- 137.953.519,55 €

- 229.960.554,20 €

- 19.767.056,59 €

Davon zu Unrecht geltend gemachte KESt gesamt

76.057.812,50 €

120.500.225,00 €

11.767.500,00 €

Davon zu Unrecht geltend gemachte SolZ gesamt

4.183.179,66 €

6.627.512,33 €

647.212,49 €

Gesamtsumme = Steuerschaden

80.240.992,16 €

127.127.737,33 €

12.414.712,49 €

Gesamtsumme Steuerschaden

219.783.441,98 €

107
In den KESt-Anmeldungen wurde dem Tatplan der Angeklagten folgend die Erstattungssumme genannt, ohne deutlich zu machen, dass die KESt zuvor (teilweise) nicht abgeführt worden war.
108
Mit Auszahlung der geltend gemachten Erstattungen wurde die Zustimmung zu den Anträgen jeweils (konkludent) bekannt gegeben, § 168 S. 2 AO.
109
Für April 2010 erfolgte die Auszahlung am 14.05.2010, für Mai 2010 am 10.06.2010 und für Juni 2010 am 12.07.2010.
110
Aufgrund eines Nachforderungsbescheids des Finanzamts M. gegenüber der Rechtsnachfolgerin der C. zahlte diese später den gesamten Steuerschaden zurück, legte jedoch Einspruch gegen den Bescheid ein.
V. Das Vorstellungsbild der Angeklagten
111
Den Angeklagten war die grundsätzliche Ausgestaltung der Aktiengeschäfte über den Dividendenstichtag sowie deren Absicherungsgeschäften bekannt. Sie wussten und wollten, dass die der KESt sowie dem SolZ entsprechenden Beträge von der B. und der C. vorfinanziert und an das TGV ausgezahlt würden.
112
Es entsprach dem von den Angeklagten gemeinsam mit den Herren Dr. B. und Dr. S., sowie D. und Z. entworfenen Tatplan, dass die Depotbanken gegenüber der jeweils zuständigen Steuerbehörde die Erstattung bzw. die Anrechnung von KESt und SolZ verlangen und erhalten würden, obwohl diese Steuern zuvor nicht einbehalten und entrichtet worden waren.
113
Zugleich wussten die Angeklagten, dass sie hierdurch entgegen ihrer Verpflichtung zur Abgabe wahrheitsgemäßer und vollständiger Erklärungen bzw. Anmeldungen handelten.
114
Die Angeklagten, die Herren Dr. B. und Dr. S. sowie D. und Z. hatten das gesamte Geschäftsmodell von Anfang an so aufgesetzt, dass es zwangsläufig nur durch Leerkäufe von einem nicht in Deutschland ansässigen Verkäufer mit ausländischer Depotbank zu den angestrebten und vorher genau berechneten Profiten führen würde. Den Angeklagten war bekannt, dass die Transaktionen ein systematisches Zusammenwirken zahlreicher Akteure erforderlich machten und dass in diesem Zusammenhang im Vorfeld zumindest konkludente Absprachen notwendig waren. Den Angeklagten war bewusst, dass das von ihnen aufgesetzte Modell steuerrechtswidrig war.
115
Dass es zu Mehrfachdurchläufen von Aktien kam, hielten die Angeklagten spätestens mit Aufsetzung der drei TGVen im Jahr 2010 jedenfalls für möglich und nahmen es billigend in Kauf.
VI. Schadenswiedergutmachung durch die Angeklagten
116
Am 03.12.2024 fand eine Besprechung zwischen den Angeklagten, ihren Verteidigern, Vertretern der Staatsanwaltschaft München I sowie Vertretern der Finanzämter E. und M. statt, bei der es um die Verwertung von Vermögenswerten der Angeklagten K. und U.. und der Ehefrau des Angeklagten U.. mit dem Ziel einer Schadenwiedergutmachung ging.
117
Der Angeklagte K. legte liquide Mittel in Höhe von 985.820,25 Euro offen. Seine inländischen Vermögenswerte in Form von Aktiendepots und Bankguthaben sind aufgrund eines Arrests wegen einer Forderung des Finanzamts E. gesichert. Allerdings trat er darüber hinaus einen Auszahlungsanspruch aus einem gekündigten luxemburgischen Lebensversicherungsvertrag in Höhe von 301.748,04 Euro an das Finanzamt E. ab.
118
Zudem bot der Angeklagte K. die Abtretung weiterer Vermögenswerte in Höhe von 513.043,83 Euro an, deren rechtliche Durchführbarkeit noch geprüft wird. Außerdem übergab der Angeklagte K. unwiderrufliche Überweisungsaufträge für ein gepfändetes Bankguthaben in Höhe von 192.781,49 Euro und bot seine Mitwirkung an der Verwertung seines Immobilienvermögens an.
119
Die Verwertung dieser Vermögenswerte soll der Begleichung der Einkommensteuerschulden aus den Jahren 2009 und 2010 dienen.
120
Auch der Angeklagten U.. erklärte sich zur Abtretung gesicherter Vermögenswerte in Höhe von 111.536,71 Euro bereit. Die rechtliche Durchführbarkeit wird noch geprüft. Seine Ehefrau überwies am 06.12.2024 einen Betrag in Höhe von 287.666 Euro auf den Einziehungsanspruch des Staates gegen den Angeklagten U…
Beweiswürdigung
I. Persönliche Verhältnisse
121
Die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnisse der beiden Angeklagten beruhten auf den glaubhaften und umfassenden Angaben beider Angeklagten. Dass die Angeklagten nicht vorbestraft sind, ergab sich aus den Bundeszentralregisterauszügen.
II. Festgestellter Sachverhalt
122
Der festgestellte Sachverhalt beruhte auf den umfassenden Einlassungen der Angeklagten, den Angaben der Zeugen W., M. und Dr. S., den weiteren Zeugenaussagen von S., A. und T. sowie einer Vielzahl von Urkunden und Dokumenten.
1. Einlassung der Angeklagten
123
Beide Angeklagten ließen sich am ersten und zweiten Hauptverhandlungstag umfassend zu den Tatvorwürfen ein und räumten diese in objektiver Hinsicht ein. Auch in subjektiver Hinsicht räumten sie in ihren Einlassungen explizit jeweils zumindest bedingten Vorsatz ein, wobei einige Äußerungen der Angeklagten auch für Einräumung eines direkten Vorsatzes sprachen.
a. Einlassung des Angeklagten K.
124
Nach der Einlassung des Angeklagten K. gingen die Kontakte zu den späteren Geschäftspartnern Dr. B. und S. auf das Jahr 2004 zurück. Herr Dr. S. habe auf einer Kundenveranstaltung der H. zu der durch das Kapitalanlagegesellschaften-Gesetz (KAGG) geschaffenen Möglichkeit der Auflegung von Hedgefonds in Deutschland referiert. In der Folgezeit habe die I. die Kanzlei D. LLP, bei der die Herren Dr. B. und Dr. S. damals tätig waren, für Beratungsmandate in Anspruch genommen.
125
Infolge des Ausscheidens aus der I. im März 2008 habe sich der Angeklagte K. gemeinsam mit dem Angeklagten U.. selbstständig gemacht. Nach dem Scheitern des zunächst geplanten Projekts, der Gründung einer ETF-Gesellschaft, sei den Angeklagten ein von den Herren Dr. B. und Dr. S. geschnürtes „Gesamtpaket“ vor die Füße gefallen. Herr Dr. S. habe den Angeklagten die „K. GmbH“ mit Sitz in H. inklusive der BaFin-Zulassung als Finanzdienstleistungsinstitut im Sinne des KWG vermittelt. Die Angeklagten hätten diese Gesellschaft gekauft, den Sitz nach M. verlegt und sie in A. GmbH umbenannt. Zeitgleich habe Herr Dr. S. im Dezember 2009 den Kontakt zu C. in M. vermittelt, von der die Angeklagten ein Konzept für eine Investmentaktiengesellschaft übernehmen konnten. Beraten durch Herrn Dr. S. sei die A. Investmentaktiengesellschaft mit Teilgesellschaftsvermögen gegründet worden, die zügig die notwendige Genehmigung der BaFin erhalten habe. Deren Ausgestaltung als Hedgefonds habe die Hebelung des Volumens der Trades erlaubt, was entscheidend für die Ermöglichung der hohen Gewinnmarge gewesen sei.
126
Auf Wunsch der Herren K., S. und Dr. S., der damaligen Vorstände der C., seien diese zu Vorständen der InvAG bestellt worden. Neben dem Angeklagten U.. sei er – der Angeklagte K. – einer der drei Aufsichtsräte gewesen. Die Entscheidung für die Durchführung von Cum-Ex-Geschäften habe er und der Angeklagte U.., nicht die Vorstände der InvAG, getroffen. Bei den Herren K., S. und Dr. S. habe es sich um eine Art „Frühstücksvorstand“ gehandelt. Als Vorstand der A. GmbH habe ihm – dem Angeklagten K. – vor allem die Funktion des Sprechers sowie der Aufgabenbereich Buchhaltung, Rechtsabteilung sowie Verwaltung der Anlegergelder oblegen.
127
Zu dem von den Herren Dr. B. und Dr. S. geschnürten Gesamtpaket habe neben der rechtlichen Beratung auch der „Verkauf“ der „Cum-Ex-Anlagestrategie“ gehört sowie die Vermittlung der Kontakte zu den Geschäftspartnern, insbesondere den Portfolio-Managern, den Leverageprovidern sowie zu den Investoren. Finanziell seien die beiden daher nicht nur als Rechtsanwälte vergütet worden, sondern sie ließen sich auch am wirtschaftlichen Erfolg des Geschäftsmodells beteiligen. Dass die Herren Dr. B. und Dr. S. eigene wirtschaftliche Interessen verfolgten, habe er damals nicht als problematisch angesehen.
128
Das Geschäftsmodell „Cum-Ex“ sei von den Herren Dr. B. und Dr. S. gegen jegliche Einwände verteidigt und wie folgt erklärt worden: Ein großer Aktienbestand deutscher Unternehmen befände sich in Hand von ausländischen Personen. Diese würden europarechtswidrig diskriminiert, weil die Kapitalertragsteuer nur dann voll erstattet würde, wenn sich die Aktien am Hauptversammlungstag in Deutschland befänden. Ansonsten würden nur 10 der 25 Dividendenpunkte (jeweils zuzüglich SolZ) erstattet. Zudem gäbe es viele Aktien in nichteuropäischen Ländern, auch ohne Doppelbesteuerungsabkommen. Diese „Aktienbesitzer“ hätten einen Anreiz, die Aktien über den Dividendenstichtag zu verkaufen.
129
Auch sei das Thema Leerverkäufe, das Anlass für „in der Luft liegende Gesetzesänderungen“ gewesen sei, erörtert worden. Die Herren Dr. B. und Dr. S. hätten das Thema jedoch mit der Erklärung abgetan, es gäbe keine Leerverkäufe, oder man kenne sie jedenfalls nicht. Selbst wenn es Leerverkäufe gäbe, dann seien sie, „weil es keine Stücke gibt“, nicht dem Käufer zuzuordnen. Selbst wenn es Leerverkäufe gäbe, und man von einem Leerverkäufer kaufen würde, wäre das kein Problem, solange man keine „Absprachen mit dem Leerverkäufer“ treffe. Bei den hier tatgegenständlichen Geschäften würden keine Absprachen getroffen. Absprachen seien ja auch gar nicht möglich, weil der Handel über Zwischenhändler anonym sei; der Central Clearing Partner gewährleiste in jedem Fall die Anonymität.
130
Tatsächlich – so der Angeklagte K. – habe es im großen Stil Leerverkäufe gegeben und es sei zu Doppelerstattungen gekommen. Die Trading- und Dividendenlevel seien von den Portfoliomanagern schon vor der jeweiligen Dividendensaison – im Wesentlichen zutreffend – berechnet worden und ihm bekannt gewesen.
131
Den Umstand, dass die A. GmbH als mittelständische Gesellschaft mit zehn Mitarbeitern Aktien im Milliardenwert bewegte und damit im Jahr 2009 fast je 3% der Aktien von Daimler und EON und im Jahr 2010 annähernd 3 x 3% Aktien von DAX-Unternehmen gehalten habe, bezeichnete der Angeklagte K. aus heutiger Sicht als „absurd“.
132
Absprachen habe er – der Angeklagte K. – selbst nicht getroffen, er habe auch den Portfoliomanagern keine konkreten Anweisungen erteilt, jedoch habe er mit diesen erörtert, wann welche Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften stattfinden würden und welche Aktien daher gehandelt werden sollten. Er habe S.M. angewiesen, die T.-Aktie nicht handeln zu wollen, da dort keine Dividenden anfielen.
133
Auf Vorhalt der Kammer räumte der Angeklagte K. ein, dass es sich um ein systematisches Vorgehen gehandelt habe. Die Portfoliomanager hätten ihr Geschäft bestens gekannt und selbstständig agiert. Durch seine Position bei der A. Gruppe habe er – der Angeklagte K. – zum Gelingen des Geschäftsmodells beigetragen und finanziell davon profitiert. Auch habe er sich – in Abstimmung mit Herrn Dr. B. – vor dem Hintergrund des angekündigten BMF-Schreibens vom 05.05.2009 gegen die vom Gesetzgeber angestrebte Verhinderung von Cum-Ex-Geschäften engagiert.
134
Er sei im B. bei Beratungen zugegen gewesen, habe jedoch – erinnerlich – nichts Wesentliches beigetragen. Das BMF-Schreiben vom 05.05.2009 sei „zahnlos“ gewesen, denn es habe die Rechtsform des TGV A. I nicht betroffen. Zu diesem Zeitpunkt sei jedoch klar gewesen, dass der Gesetzgeber nicht gewollt habe, dass es Doppelerstattungen gebe.
135
Das B. Gutachten habe er nicht vollständig gelesen und das Gesamtkonzept mangels steuerrechtlicher Expertise nicht ganz verstanden.
136
Zu seinem Vorsatz führte der Angeklagte weiter aus, er habe es für möglich gehalten, dass Kapitalertragsteuer „doppelt“ erstattet würde. Das habe er bereits zu Beginn der Dividendensaison 2009 billigend in Kauf genommen. Im Laufe der Zusammenarbeit mit den Herren Dr. B./Dr. S., D. und Z. habe er immer tiefere Einblicke in die Art der getätigten Geschäfte und deren Abläufe und den durch sie erzielten Gewinn gewonnen und er habe sie mit ganzer Kraft vorangetrieben.
137
Die Frage, das „Projekt Cum-Ex“ abzubrechen, habe er sich trotz wachsenden Verständnisses für die Art des Geschäftsmodells angesichts ihrer vertraglichen Verpflichtungen und der bereits in das TGV investierten Investorengelder nicht mehr gestellt. Ihm seien sowohl der steuerliche Mechanismus beim Handel über den Dividendenstichtag wie auch der Umstand, dass bei einem ungedeckten Leerverkauf von einem Verkäufer mit ausländischer Depotbank „das Finanzamt die 25 Dividendenpunkte zusätzlich in den Finanzmarkt S.[e], die dann irgendwo in der Handelskette“ seien, bewusst gewesen.
138
Leerverkäufe habe er „konkret“ für möglich gehalten, er habe jedoch nicht gewusst, dass allen Geschäften Leerverkäufen zugrunde gelegen hätten und dass es regelmäßig zum sog. Looping gekommen sei. Ausschlaggebend sei damals für ihn gewesen, dass die Trades für A. funktioniert hätten. Deshalb habe er die Augen verschlossen und keine Fragen gestellt. Das Prinzip der schon seit 1999 existierenden Cum-Ex-Trades sei ihm schon zuvor bekannt gewesen. Er habe sich während seiner Zeit im H.-Konzern wegen der Erstattung nicht gezahlter Kapitalertragsteuer an die BaFin, das Finanzamt M. und die Börse gewandt, doch keiner habe dagegen vorgehen wollen.
139
Über die Verteilung der mit den Cum-Ex-Geschäften erzielten Profite hätten sich die verschiedenen Akteure bereits vor dem Beginn der Trades im Jahr 2009 geeinigt. Zunächst sollten die A., die Herren Dr. B. und Dr. S. sowie D. jeweils 33% des erzielten Profits erhalten. Später hätten Nachverhandlungen einen Anteil von 50% für D. ergeben. Dass die Herren Dr. B. und Dr. S. zusätzlich über D. an deren Anteil beteiligt wurden, sei ihm damals nicht bekannt gewesen. Die „offizielle“ Beteiligung von den Herren Dr. B. und Dr. S. sei vereinbarungsgemäß über das TGV an die A. GmbH und dann über eine Abdeckrechnung der Bank S. an die O., eine Offshore-Gesellschaft der Herren Dr. B. und Dr. S. geflossen. Die Herren Dr. B. und Dr. S. hätten nicht gewollt, dass „die Vergütung der O.“ in den Büchern der A. sichtbar wäre. Der Anteil für den Tatbeitrag der Angeklagten sei im Jahr 2009 über das TGV der A. GmbH zugutegekommen. Vor der Dividendensaison 2010 habe Herr Dr. S. angeregt, die „Erträge“ nicht über die TGVen und die A. GmbH auszukehren. Er habe stattdessen vorgeschlagen, dass er, Herr Dr. B., die Angeklagten, und D. bzw. Z. ihre Profite durch ein sog. „Pre-Trading“ erzielen sollten. Infolgedessen hätten D. und Z. „sich nochmals in die Handelskette gestellt“ und „Dividendenpunkte herausgeschnitten“. Wie genau die Trader dies eingefädelt hätten, wisse er bis heute nicht, aber es sei ihm recht gewesen, da 2010 auch für ihn die Profite über die O. an einen Trust, der ihn begünstigt habe, laufen sollten.
140
Persönlich habe er im Jahr 2009 als Investor in das TGV einen Erlös von 204.600 Euro erzielt. Von diesem Betrag habe er KESt zuzüglich SolZ in Höhe von 25% gezahlt. Für das Jahr 2010 sei der infolge des Pre-Tradings generierte Geldfluss an die Angeklagten von der Entscheidung der Herren Dr. B. und Dr. S. abhängig gewesen. Insgesamt seien ihm und dem Angeklagten U.. über die von den Herren Dr. B. und Dr. S. dominierte Gesellschaft O. in den Jahren nach 2010 gemeinsam ca. 16 Millionen Euro zugeflossen. Im Jahr 2010 sei ein ihm zuzurechnender Betrag in Höhe von 3.171.577,74 Euro an die Truststruktur geflossen. Gegenzurechnen seien die Kosten des Erwerbs von Genussrechten in Höhe 87.000 Euro. Im Jahre 2014 seien ca. neun Millionen Euro an ein Hotelprojekt in der Türkei geflossen. Er habe keine Kontrolle darüber gehabt, ob und wann Zahlungen von der O. an seinen Trust erfolgten.
141
Für ihn habe damals nicht nur die finanzielle Motivation eine Rolle gespielt, sondern auch Ehrgeiz, Überheblichkeit und die Anerkennung, die ihm die anderen Akteure der Cum-Ex-Welt entgegenbrachten.
142
Der Angeklagte verglich diese Zeit mit einem „Monopoly-Spiel“, das ihn letztlich in das Gefängnis bringen würde, doch das zu Recht: Er habe vorsätzlich Steuern hinterzogen und akzeptiere seine Verantwortung. Er wehre sich nicht gegen seine Verurteilung.
143
Auf Nachfrage der Kammer ließ sich der Angeklagte noch umfassender ein. Insbesondere gab er an, ihm sei bewusst gewesen, dass die Kapitalertragsteuer für den „Gewinn eine wesentliche Rolle“ gespielt habe. Man habe beim Aktienerwerb Wert darauf gelegt, unter der Meldegrenze des § 33 WpHG zu bleiben, um „unter dem Radar zu fliegen“. Mit dem Angeklagten U.. habe er auch über seine Zweifel gesprochen. Auch mit Herrn Dr. B. hätten sie intensiv über das Risiko der Entdeckung gesprochen, doch Herr Dr. B. habe sie damit beruhigt, dass zum einen das BMF-Schreiben vom 05.05.2009 für die Gesellschaftsform des TGV A. I nicht einschlägig sei und zum anderen, aufgrund der 3% – Grenze niemand auf die Geschäfte der A. aufmerksam werden würde.
Einlassung des Angeklagten U..Auch der Angeklagte U.. schilderte den Start der Angeklagten in die Selbstständigkeit nach dem Ausscheiden aus der I. im Jahr 2008 als schwierig. Die zunächst geplante Gründung einer ETF-Gesellschaft sei misslungen. Für das nächste Projekt, die Gründung eines Finanzdienstleisters für ein Düsseldorfer Family Office, hätten die Angeklagten den dem Angeklagten K. bereits bekannten Herrn Dr. S. als Spezialisten im Aufsichtsrecht mandatiert, doch auch dieses Projekt sei gescheitert, da das „Family Office“ als Investor abgesprungen sei. Die Angeklagten hätten sich den bereits angeworbenen Mitarbeitern verpflichtet gefühlt und beschlossen, mit eigenen Mitteln den Finanzdienstleister zu gründen. Die Vermittlung der K., der von der C. aufgesetzten InvAG, des Geschäftsmodells der „Dividendentrades“ sowie die Kontakte zu den übrigen für die Cum-Ex-Geschäfte erforderlichen Akteure, insbesondere zu D., durch Herrn Dr. S. schilderte der Angeklagte im Einklang mit der Einlassung des Angeklagten K.. Die Angeklagten hätten ein geschnürtes Gesamtpaket – inklusive steuerlichem Gutachten des Herrn Dr. B. – erhalten, das sie nur noch hätten umsetzen müssen.
144
Dies sei ihnen in sehr kurzer Zeit gelungen. Die eigentlichen Kernaufgaben der InvAG, nämlich das Portfoliomanagment und das Risikomanagement, seien an Partner übertragen worden, die InvAG habe nur die „Auslagerungskontrolle“ übernommen. Innerhalb der A. GmbH sei er – der Angeklagte U.. – für die Finanzbuchhaltung zuständig gewesen, für den Vertrieb der übrigen Produkte der A. GmbH und den Kontakt zu den Investoren in jene Produkt Die Anlagestrategie des A I habe Herr Dr. S. dem Angeklagten erklärt, indem er sie mit der ihm – dem Angeklagten U.. – aus seiner Zeit bei der I. geläufigen „Dividendenoptimierung“ verglichen habe. Bei diesen Geschäften seien – so Herr Dr. S. – ausländische Aktien aus dem Aktienbestand der von der I. aufgesetzten ETFs über den Dividendenstichtag ins Herkunftsland „gegeben“ worden, um Quellensteuernachteile zu vermeiden.
145
Die Strategie des A. I würde auf dem gleichen Modell beruhen, nur dass hier Aktien aus dem Ausland nach Deutschland gegeben worden seien. Herr Dr. S. habe ihm versichert, dies sei legal und Herr Dr. B. stehe dafür mit seinem steuerlichen Gutachten gerade. Nachdem die Investorengelder eingesammelt gewesen seien, habe es trotz damals schon vorhandener Zweifel für ihn kein Zurück mehr gegeben.
146
Im Jahr 2010 habe er sich in noch größerem Umfang an den Cum-Ex-Geschäften beteiligt. Es sei „verrückt“ gewesen, von den „größten deutschen Aktien drei mal drei Prozent“ zu besitzen. Wie genau die Cum-Ex-Transaktionen abgelaufen seien, und ob und welche Absprachen es gegeben habe, habe er nicht gewusst. Er und der Angeklagte K. hätten keine Absprachen getroffen.
147
Als infolge eines im Dezember 2010 veröffentlichen BMF-Schreibens ihr bisheriges Geschäftsmodell in Deutschland unmöglich geworden sei, habe er mit dem Angeklagten K. die Reißleine gezogen. Zwar hätten die Herren Dr. B. und Dr. S. bereits an einer neuen Cum-Ex-Strategie über Luxemburg gearbeitet und versucht, die Angeklagten dazu zu bewegen, sich über deren Luxemburger Gesellschaft daran zu beteiligen, doch habe der er – Angeklagte U.. – bei einem gemeinsamen Mittagessen Herrn Dr. B. unmissverständlich mitgeteilt: „Nein, wir wollen bei Cum-Ex nicht mehr mitmachen.“ Bereits vereinnahmte Investorengelder seien daraufhin zurückgezahlt worden.
148
Der Angeklagte U.. gab an, er habe sich bewusst nicht in erster Reihe in die Umsetzung des Geschäftsmodells eingebracht, sondern „gedanklich weggeduckt“. Er habe die Möglichkeit erkannt, dass bei dem Erwerb von Aktien von Leerverkäufern Steuern hinterzogen würden und er habe das billigend in Kauf genommen. Ihm sei bewusst gewesen, dass es bei „Cum-Ex-Geschäften um Kapitalertragsteuererstattungen gehe, und dass, wenn Leerverkäufer hinter den Trades stehen, „der Staat die Zeche zahle“. Auch der hohe Dividendenlevel sei ihm aufgefallen.
149
Schon vor dem BMF-Schreiben vom 05.05.2009 habe er Zweifel an der Legalität des Geschäftsmodells gehabt: „Die Idee war wirklich zu schön, um wahr zu sein.“ Doch er habe gewollt, dass „all das glatt geht“ und habe sich mit den Beschwichtigungen der Herren Dr. B. und Dr. S. zufriedengegeben. Herr Dr. B. habe auf die Gesetzesbegründung verwiesen, die solche Geschäfte zulasse, und betont, dass es keine Absprachen mit Leerverkäufern geben würde. Für den Angeklagten seien die mündlichen Zusicherungen der Herren Dr. B. und Dr. S. maßgeblich gewesen, weniger die Ausführungen im B. Gutachten. Dabei sei ihm bewusst gewesen, dass die Herren Dr. B. und Dr. S. auch eigene wirtschaftliche Interessen verfolgt hätten, ohne dass sie offiziell in Erscheinung getreten wären, sondern ihre „Provision“ über die Bank S. geleitet hätten. Er habe dieses Agieren als unseriös empfunden.
150
Bezüglich der Beteiligung an dem „Gewinn“ aus den Geschäften, habe man sich mit den Herren Dr. B./Dr. S. und D. zunächst dahin gehend geeinigt, dass D., O. (Dr. B. und Dr. S.) und A. jeweils ein Drittel der „Erträge“ erhalten würden. Vor Beginn habe S.M. damit gedroht, aus dem Projekt auszusteigen, wenn er nicht 50% des „Ertrags“ erhalte. Herr Dr. S. habe geraten, S.Ms. Forderung nachzugeben. Herr Dr. B. habe später den Verdacht geäußert, dass Herr Dr. S. und Herr M. sich den „Mehrertrag“ geteilt hätten.
151
Der Angeklagte U.. selbst habe „einen nicht unerheblichen Anteil am Gewinn“ erhalten und räumte, neben seinem Gewinn als Anleger in das TGV A. I im Jahr 2009, für den Tatzeitraum 2010 einen ihm zuzurechnenden Betrag in Höhe von 3.171.577,74 Euro ein, der über die Truststruktur O. geflossen sei. Gegenzurechnen seien die Kosten des Erwerbs von Genussrechten in Höhe von 87.000 Euro. Im Jahre 2014 seien für ihn und K. ca. neun Millionen Euro an ein Hotelprojekt in der Türkei geflossen.
152
Der Angeklagte gab an, seine Tatbeteiligung sehr zu bedauern und sich der Verantwortung und dem Verfahren mit allen Konsequenzen zu stellen.
153
Auch der Angeklagte U.. stand den weiteren Fragen der Kammer Rede und Antwort und räumte ein, dass spätestens seit der Vereinbarung der Pre-Trades „klar war, was läuft“. Sie hätten nicht entdeckt werden wollen, da sie die zu Unrecht vereinnahmten Gelder ja niemals hätten zurückzahlen wollen oder können.
c. Grundsätzliche Würdigung der Einlassungen
154
Soweit sich die Angeklagten zu den damaligen Vorgängen in objektiver Hinsicht äußerten, folgte die Kammer weitgehend ihren Angaben. Beide Angeklagte äußerten sich durchgängig offen und umfangreich zu den damaligen Vorgängen. Ihre Angaben waren erinnerungskritisch und sie differenzierten zwischen ihren tatsächlichen Erinnerungen und ihren heutigen Erkenntnissen und Einschätzungen. Die Angeklagten antworteten auch spontan auf die Vorhalte der Kammer und ließen Rückfragen zu.
155
Fremdbelastungstendenzen waren in den Einlassungen der Angeklagten nicht festzustellen, allenfalls eine Tendenz dahingehend, sich als von den „geistigen Vätern“ und Wegbereitern der Cum-Ex-Geschäfte, den Herren Dr. B. und Dr. S., zur Steuerhinterziehung „Verführte“ darzustellen, um sich weiterhin vor sich selbst zu rechtfertigen.
156
Schließlich standen die Ausführungen der Angeklagten auch im Wesentlichen im Einklang mit zahlreichen Urkunden, der Aussage des als Zeugen vernommenen anderweitig Verfolgten Dr. S., den Zeugenaussagen der Fahndungsprüfer W. und M. sowie den weiteren Zeugenaussagen. Was die Ausführungen der Angeklagten zu ihrem jeweiligen damaligen Vorstellungsbild über die steuerrechtliche Lage bei Cum-Ex-Leerverkaufsgeschäften betrifft, folgt die Kammer diesen nur zum Teil (s.u. Ziff. II.4.).
2. Ermittlungserkenntnisse der Steuerfahndung und Angaben der Zeugen S., A. und T.
157
Die Kammer hat die Steuerfahnder W. und M. als Zeugen vernommen. Diese sagten umfassend zum Anlass der Ermittlungen, dem zeitlichen Ablauf der Ermittlungen, den einzelnen Ermittlungsschritten wie auch den Ermittlungserkenntnissen aus. Die Zeugen schilderten, dass der Schwerpunkt der Ermittlungen die Rekonstruktion der Akteinläufe gewesen sei. Dabei sei die Steuerfahndung wie folgt vorgegangen: Zunächst sei die Fondsbuchhaltung der A. TGVen ausgewertet und die Aktiengeschäfte herausgefiltert worden, die dem Antrag auf Erstattung der KESt zugrunde gelegen hätten. Die Gegenüberstellung der Geschäftsergebnisse, der Aktienkurse und der Absicherungsgeschäfte habe ergeben, dass der Gewinn aus den Geschäften allein auf der KESt beruht habe.
158
In einem nächsten Schritt seien die Unterlagen der Depotbanken ausgewertet und die hieraus gezogenen Erkenntnisse aus den Buchungsunterlagen der TGVen mit den Unterlagen der Depotbanken verglichen worden, aus denen sich weitere Details zur Abwicklung der Aktiengeschäfte, insbesondere zu den Handelspartnern der TGVen und deren Depotbanken, ergeben hätten. Dank der Identifizierung der Handelspartner und der Auswertung der Buchungsunterlagen der C. seien die Lieferwege weiterverfolgt worden.
159
Anhand der Kassen-Vereinskonten (im Folgenden: KV-Konten) der Depotbanken der Handelspartner der TGVen bei der C. sei die Identifikation einzelner Lieferungen anhand bestimmter Kriterien (Stückzahl, Geschäftsnummer, Handelsdatum etc.) möglich gewesen. Die so identifizierten Lieferungen seien Ein- und Weiterlieferungen zugeordnet worden, so dass sich die Herkunft bzw. der Verbleib der Aktienpakete auf KV-Kontoebene hätten bestimmen lassen. Die Zuordnungen sei u.a. anhand der Kriterien Stückzahl, Kurs, Handelsdatum und vorhandener Bestand erfolgt. Die nachverfolgten Lieferwege seien mit den Depotbanken teilnehmender Händler abgeglichen worden.
160
Dieses systematische und aufwändige Vorgehen der Steuerfahndung habe die Identifizierung sowohl der Handels- als auch die Lieferketten einzelner Aktienpakete erlaubt. Die Nachverfolgung der Handelsketten, also der zwischen den TGVen und ihren Handelspartnern geschlossenen Verträge, habe ergeben, dass am Ende der Handelsketten stets ein Leerverkäufer gestanden habe und durchwegs Aktien ohne Dividendenanspruch geliefert worden seien.
161
Der Zeuge M. demonstrierte mithilfe eines Schaubilds die vertragliche Handels- und Lieferkette der Aktie Lanxess im Tatzeitraum 2010. Dabei erläuterte er, dass die Steuerfahndung für den Handel mit insgesamt 1.500.000 Aktien der Gattung Lanxess einen Fall des „Loopings“ habe identifizieren können. Unter der Einbindung u.a. der der M. als ungedeckte Leerverkäuferin und L. als Weiterverkäuferin sei das TGV A. M. II im Rahmen von zwei zeitlich gestaffelten Lieferungen von jeweils 1.500.000 Aktien und das TGV A. M. III wiederum zu einem späteren Lieferzeitpunkt mit 1.500.000 Aktien beliefert worden. Durch die Mehrfachdurchläufe sei es im vorliegenden Fall möglich gewesen, mit 1.500.000 tatsächlich beschafften (Ex-)Aktien die Lieferung von 3.950.000 vermeintlichen (Cum-) Aktien darzustellen und dafür KESt-Erstattungen zu erlangen.
162
Die Erkenntnisse der Steuerfahndung standen auch im Einklang mit den Angaben der Zeugen S., A. und T., die den tatsächlichen Ablauf der Cum-Ex-Geschäfte um den Dividendenstichtag schilderten. Den Aktienerwerb von Leerverkäufern bestätigten insbesondere die Zeugen A. und T..
Die Angaben des Zeugen Dr. S. Zeuge Dr. S. machte an zwei Verhandlungstagen umfassende Angaben zu dem gegenständlichen Geschäftsmodell, der Rollenverteilung zwischen den Beteiligten und den Tatbeiträgen der Angeklagten.
163
Er schilderte, dass Cum-Ex seit 2001 zunächst als Geschäftsmodell den Banken vorbehalten gewesen sei, Herr Dr. B. das Modell aber schließlich auch für Private geöffnet habe. Es habe Jahre gedauert, bevor das BMF mit Regelungen, die diese Praxis verhindern sollten, reagiert habe, es sei jedoch über den Bankenverband, den Herr Dr. B. und andere Lobbyisten als Sprachrohr genutzt hätten, massiv beeinflusst worden.
164
Die Idee, Cum-Ex-Geschäfte zugunsten eines Hedgefonds zu tätigen, sei auf ihn, den Zeugen, zurückzuführen, so dass es zu dem „Modell A.“ gekommen sei. Die konkrete Ausgestaltung des Geschäftsmodells A. habe den Vorteil gehabt, dass der Hedgefonds die KESt direkt und unterjährig habe erhalten können und nicht erst, wie bei den Geschäften unter Einbindung einer GmbH, ca. 18 Monaten bis zur Erstattung im Rahmen der jährlichen Körperschaftsteuererklärung habe warten müsse. Zudem habe der Hedgefonds selbst Kredite aufnehmen dürfen. Solche Hedgefonds seien damals in Deutschland extrem rar gewesen. Die Angeklagten als (faktische) Vorstände und Geschäftsführer hätten daher ein „Juwel“ in den Händen gehalten.
165
Die weiteren umfangreichen Angaben (v.a. zu der Aufsetzung der TGVen, der Rolle der verschiedenen Akteure, seiner Gewinnbeteiligung und des Pre-Tradings) des – mittlerweile sehr gerichtserfahrenen – Zeugen Dr. S. stimmten weitestgehend mit der Einlassung der Angeklagten und den objektiven Beweismitteln überein.
166
Auf die Frage nach dem Wissen und Kenntnisstand der Angeklagten gab Dr. S. an, die Angeklagten hätten die Details der Geschäfte gekannt und sicher ihre Schlüsse gezogen. „Jeder, der dabei war, wusste, dass es um Leerverkäufe ging“. Er habe sich auch mit den Angeklagten über Leerverkäufe unterhalten, jedoch nicht darüber, wer diese Leerverkäufer gewesen seien. Er habe den Angeklagten davon abgeraten, selbst Absprachen mit Leerverkäufern zu treffen. Von Mehrfachdurchläufen habe weder er noch – seiner Kenntnis nach – die Angeklagten Kenntnis gehabt. Er räumte jedoch auf Vorhalt des gehandelten Aktienvolumens von knapp unter 9% des gesamten Aktienbestandes der gehandelten Aktiengattung in den drei Fonds im Jahr 2010 ein, dass den Angeklagten als im Wertpapierhandel erfahrene Akteure sich Mehrfachdurchläufe vermutlich hätten aufdrängen müssen.
167
Herr Dr. B. habe Mehrfachdurchläufe abgelehnt, weil er der Meinung gewesen sei, dass diese das wirtschaftliche Eigentum gefährden würden. Außerdem gab der Zeuge Dr. S. an, die Angeklagten, Herr Dr. B. und er hätten versucht, das Entdeckungsrisiko möglichst gering zu halten. Man habe aber vor allem an eine mögliche Betriebsprüfung gedacht, nicht an die Staatsanwaltschaft.
168
Zur Verteilung des Tatlohns im Tatzeitraum 2009 änderte der Zeuge Dr. S. seine Angaben gegenüber früheren Vernehmungen im Ermittlungsverfahren. Auf Nachfrage der Verteidigung räumte er ein, dass es durchaus möglich sei, dass der für den Tatbeitrag der Angeklagten vereinbarte Anteil von 25% des im TGV I angefallenen Profits nur der A. GmbH zugute gekommen sei und dass die Abdeckrechnung der Bank S. ausschließlich der Verschleierung der Zahlung an ihn und Dr. B. gedient habe. In Bezug auf den Tatlohn im Jahr 2010 bestätigte der Zeuge Dr. S. einen Geldfluss über das Pre-Trading und die O. in Höhe von 9.000.000 Euro. Dieses Geld habe er für die Angeklagten als Treuhänder gehalten. Auf deren spätere Anweisung habe er dieses Geld in ein Hotelprojekt in der Türkei gesteckt, das sich jedoch als ein Verlustgeschäft entpuppt habe. Zu keinem Zeitpunkt sei er davon ausgegangen, über dieses Geld ohne Anweisung der Angeklagten verfügen zu dürfen.
169
Die Aussage des Zeugen Dr. S. war glaubhaft. Soweit sich der Zeuge in Einzelheiten nicht mehr erinnern konnte oder er sich in einzelnen Punkten gegenüber früheren Vernehmungen anders einließ, war dieser Umstand zur Überzeugung der Kammer darauf zurückzuführen, dass seit den Taten mehr als 10 Jahre vergangen sind und dass der Zeuge zu diesen sowie vergleichbaren Sachverhalten wiederholt vor verschiedenen Gerichten, Staatsanwältinnen und Staatsanwälten und weiteren staatlichen Stellen ausgesagt hat.
170
Zu seinem eigenen maßgeblichen Tatbeitrag zu den gegenständlichen Taten machte der Zeuge Angaben, ohne seine Rolle zu beschönigen. Auch machte er glaubhafte Angaben zu den Tatbeiträgen des Herrn Dr. B. und der Angeklagten. Ein besonderer Belastungseifer zum Nachteil der Angeklagten war beim Zeugen Dr. S. nicht zu erkennen.
4. Beweiswürdigung im Hinblick auf das subjektive Vorstellungsbild der Angeklagten
171
Während die Einlassungen der Angeklagten die festgestellten Tatsachen in objektiver Hinsicht umfassend bestätigten, waren ihre Einlassungen zu ihrem jeweiligen subjektiven Vorstellungsbild teilweise in sich widersprüchlich. Im Rahmen der von den Angeklagten abgegebenen Einlassungen räumten sie jeweils ausdrücklich einen bedingten Vorsatz ein, wobei sie jedoch nach eigenen Angaben diese rechtliche Wertung auf Nachfrage aus dem Vorwurf der Anklage entnommen hatten.
172
Doch sowohl die Einlassungen der Angeklagten zu Teilaspekten des Gesamtkomplexes als auch bestimmte Erklärungen der Angeklagten zu verschiedenen Nachfragen der Kammer, ergaben zur Überzeugung der Kammer einen direkten Vorsatz der Angeklagten bereits von Beginn des Tatgeschehens. Die Angeklagten benötigten durch den Wechsel in die Selbständigkeit im Jahr 2009 ein auskömmliches Einkommen, was für sie durch die ersten Projekte nicht erzielbar war. Ganz bewusst ließen sie sich auf die sichere Variante der Gewinnerzielung über das System der Kapitalertragsteuererstattungen ein. Auch ergab sich die Kenntnis und das Wissen und Wollen der Angeklagten aus den in das Verfahren eingeführten Urkunden, insbesondere auch dem E-Mailverkehr der Angeklagten untereinander und mit den anderen Beteiligten. Die Kammer war daher, nach Würdigung der Einlassung der Angeklagten, der Urkunden, der Zeugenaussagen sowie des erkennbar planvollen Vorgehens der Angeklagten und der übrigen Beteiligten bei der Umsetzung des Geschäftsmodells Cum-Ex, davon überzeugt, dass die Angeklagten bereits bei Einrichtung des auf Steuerhinterziehung im großen Stil ausgelegten Geschäftsbetriebs mit direktem Vorsatz handelten.
Dazu im Einzelnen:
a. Direkter Vorsatz des Angeklagten K.
(1.) Erste Berührung mit dem Thema Kapitalertragsteuer beim Handel über den Dividendenstichtag bei Leerverkäufen
173
Dem Angeklagten K. war bereits seit 2006 das Geschäftsmodell der später selbst praktizierten Cum-Ex-Geschäfte sowie deren Rechtswidrigkeit bekannt. Zu seiner Zeit als Vorstand bei der I. erhielt er per E-Mail vom 25.10.2006 von der Sekretärin von Herrn Dr. B. eine Präsentation „zur doppelten Kapitalertragsteuer zur Vorbereitung auf das Gespräch mit Dr. B.“. In der Präsentation war der Cum-Ex-Handel zwischen Banken mit folgender Wirkung beschrieben: „Wirtschaftlich betrachtet, wird das deutsche Finanzunternehmen […] zunächst einen Verlust machen; dieser wird aber nach Einbeziehung der Dividende, der Kapitalertragsteuerrückerstattung und der Zuflüsse aus dem Future überkompensiert“.
174
Auch wurde das Thema der Anrechnung der Zinsabschlagsteuer (im Folgenden: ZASt) bei Leerverkäufen bereits im April 2007 vom Angeklagten K. innerhalb der I. diskutiert. Er hatte sich im telefonischen Austausch mit dem Steuerberater E. von K. zu dem Thema informiert, worauf E. dem Angeklagten K. in einer E-Mail vom 26.04.2007 Folgendes u.a. erläuterte:
„Die Problematik der doppelten Anrechnung der Kapitalertragsteuer bei Leerverkäufen ergab sich in der Vergangenheit auch bei Dividenden. Hier hat der Gesetzgeber reagiert und versucht das Thema dadurch zu lösen, dass die Bank, die den Leerverkauf ausführt, zusätzlich zur Abführung der Kapitalertragsteuer verpflichtet wird. D.h., dass es bei der doppelten Anrechnung bleibt, die Steuer aber auch zweimal abgeführt wird. Vom Wortlaut der gesetzlichen Änderung sind hier jedoch nur Dividenden erfasst, so dass diese Regelung auf Zinsen grundsätzlich nicht greifen dürfte. In der Anlage füge ich Ihnen zur Information einen Artikel bei, der auf diese Thematik eingeht.“
175
E. hatte damit zur Information des Angeklagten K. einen steuerrechtlichen Artikel mit dem Titel „Kapitalertragsteuer bei Leerverkäufen“ als E-Mail-Anhang übersandt. In dem Artikel wurde die mit dem Jahressteuergesetz 2007 eingeführte „neue Kapitalertragsteuerpflicht für Aktiengeschäfte, die vor dem Ausschüttungstermin abgeschlossen, aber erst danach erfüllt werden, weil sich der Aktienverkäufer die verkauften Aktien erst beschaffen muss (sog. Leerverkäufe)“, erörtert.
176
Die Systematik der Abführung der KESt durch die Emittentin wurde ebenso beschrieben wie die Ausstellung von „zwei Steuerbescheinigungen und damit zwei Ansprüche[n] auf Erstattung bzw. Anrechnung der Kapitalertragsteuer, die zu einem Schaden des Fiskus führten“. Weiter wurde in dem Artikel ausgeführt, dass die Neureglungen des Jahressteuergesetzes 2007 das inländische Kredit- oder Finanzdienstleistungsinstitut des Leerverkäufers zur Abführung von Kapitalertragsteuer verpflichteten mit der Folge, dass „die Kapitalertragseuer in Höhe von 20 v.H. der Dividende dem Leerverkäufer in Rechnung gestellt, ihm keine Steuerbescheinigung über die vom Veräußerungserlös einbehaltene Kapitalertragsteuer ausgestellt wird und das Kreditinstitut den Leerverkäufer mit einem Betrag in Höhe der Nettodividende, die dem Erwerber der Aktien gutgeschrieben wird, belastet.“
177
Die E-Mail sowie den Artikel leitete der Angeklagte K. am gleichen Tag u.a. an den Angeklagten U.. und den anderweitig Verfolgten Dr. Z., späterer Syndikus-Anwalt der A., mit folgenden Erläuterungen weiter:
„ […] es handelt sich wohl offensichtlich um eine Lücke im System, sodass H. nach Auffassung von H. E. K. eine Steuerbescheinigung für die zusätzliche Longposition des Handels der H. ausstellen kann. Entweder wird diese Steuerbescheinigung mit der allg. Steuererklärung der H. vorgelegt oder wir werden um Erstattung gebeten.
lm zweiten Fall sind wir der Erfüllungsgehilfe, das Finanzamt wird wohl nicht überprüfen können, ob unsere bisherige Abführung der Zast ausreicht oder schon überzogen ist.
Bisher war der gleiche Tatbestand bei Dividendenzahlungen geübte Praxis, diese Möglichkeit wurde mit dem Jahressteuergesetz 2007 abgeschafft.
Wir sollten für die Zukunft überlegen, ob wir den Fonds nicht auf ausschüttend umstellen, um von uns aus dieses Tor zuschließen.
Es ist davon auszugehen, dass sonst in den nächsten Jahren immer wieder diese Geschäfte getätigt werden. Für uns könnte das ein Reputationsrisiko bedeuten. […]“
178
Der Angeklagte K. wusste also seit dem Austausch mit E., dass es beim Cum-Ex-Handel unter Einbindung eines Leerverkäufers zur ungerechtfertigten Erstattung von KESt kommen konnte und dass der Gesetzgeber Regelungen erlassen hatte, um dies zu verhindern. Ihm war außerdem bewusst, dass das Finanzamt nicht erkennen konnte, ob die ZASt ordnungsgemäß abgeführt worden war. Schließlich war ihm auch bekannt, dass die Regelung des Jahressteuergesetzes 2007 nur für Leerverkäufer mit inländischer Depotbank galt. Dieses Wissen machte sich der Angeklagte K. bei der Gestaltung der Verträge des TGV zwischen Depotbank (C.), Primebroker (U.) und Unterverwahrer (B.) zunutze.
179
Der Angeklagte K. hatte außerdem bereits im Jahr 2007 erkannt, dass es sich bei derartigen Cum-Ex-Geschäften um Steuerhinterziehung handelte: Im Zusammenhang mit dem Thema der Rückforderung von ZASt bei Leerverkäufen von thesaurierenden Fonds trat der Angeklagte K. an die C. Banking AG und die BaFin heran, um auf die Missbrauchsgefahr bei Cum-Ex-Geschäften unter der Einbindung von Leerverkäufern hinzuweisen. Mit Schreiben vom 10.04.2007, das den beiden Angeklagten im Rahmen der Hauptverhandlung durch die Staatsanwaltschaft vorgehalten und dessen Inhalt von den Angeklagten bestätigt wurde, wandte sich außerdem die I. an die Deutsche Börse AG mit der Bitte um Aufklärung einer vermuteten Leer(ver) kaufsgestaltung:
„Nur mit Ihrer Unterstützung sind wir in der Lage, eine zusätzliche ungerechtfertigte Belastung des Sondervermögens mit ZASt und SolZ zu vermeiden und eine mögliche Steuerhinterziehung durch den Einsatz unseres Sondervermögens auszuschließen“.
180
Bei dem angesprochenen Sondervermögen handelte es sich um einen damals von der I. aufgelegten ETF-Fonds. Das zitierte Schreiben war u.a., wie dieser bestätigte, vom Angeklagten U.. als Mitglied des Vorstands unterschrieben worden, jedoch war auch der Angeklagte K. nach eigenen Angaben in den Vorgang involviert gewesen.
(2.) Aktive Mitwirkung an der rechtlichen und tatsächlichen Gestaltung des TGVs
181
Aus der weiteren E-Mail-Korrespondenz des Angeklagten K. ging hervor, dass er sich frühzeitig mit einzelnen Aspekten der rechtlichen Gestaltung und des geplanten Geschäftsablaufs intensiv befasst hatte. So fasste er in dem Anhang zur E-Mail an den Zeugen Dr. S. vom 28.01.2009 seine Gedanken zu dem damaligen Status quo zusammen:
„[… ] S. hat viel Know How und ist extrem gut vernetzt. […] Mein Vorschlag ist, mit ihm diese Trades durchzuführen, weil,
1.
Gute Relationship zu U. w/Leverage, ist in diesen Zeiten enorm wichtig
2.
Gute Zugänge zu Brokern, die die Aktien anbieten können … Wenn man die Möglichkeit hätte alle Trades mit DAX-Werten mit 2,9% Beteiligungswert, 20er Hebel und 85 Level bei 110 Mio durchzuführen, würde die Zielgröße € 98 Mio Dividendenenträge erreichen [sic].
Da sich aber einige Termine überschneiden haben wir jetzt zusätzlich eine Timeline entwickelt und kommen und [sic] auf die knapp € 60Mio. Im Detail ist hier sicherlich noch der Wert steigerbar. Aber ich meine für die erste Annäherung ist dies ein passabler Wert. Außerdem sind noch M-Dax Werte möglich.
S. möchte 20% von der Nettoperformance. Ich bin der Auffassung, dass dies für uns die „Eintrittsgebühr“ zu diesem Markt ist, den wir derzeit noch nicht selbst erschließen können.
Er trifft am 4.2.09 einen Broker, der ihm die Aktien liefern kann. Je früher er mit dem Broker konkret verbleiben kann, desto besser sind die Level. […] Es ist ein Call mit U. und unserem Custodian notwendig, um das Subcustodian Konzept zu besprechen, damit die Aktien zum Zahlbarkeitstag auch in D verwahrt werden. […] Eine Anregung von S, war noch, dass es auch gegenüber U. und anderen besser aussehen würden [sic], wenn wir den Fonds noch mehr am Laufen halten würden. Wir könnten vor April die Gelder einwerben und bereit mit Marktneutralen [sic] Investments starten, dann in die Div-Saison wechseln und später wieder marktneutral fortfahren, evtl. Geldmarkt enhancen oder europäische Div.Strategien aufgreifen, was auch immer, können wir noch klären, müsste nur den Investoren vor dem Investment dargelegt werden. […] “
182
Bereits im Januar 2009 ging der Angeklagte K. also davon aus, dass es einen besonderen Markt für den Handel von Aktien über den Dividendenstichtag gab, den er sich mithilfe von S.M. zu erschließen versprach. Außerdem war ihm bewusst, dass für das Gelingen der geplanten Trades möglichst frühe Absprachen zwischen Herrn M. und den Brokern, die die Lieferung der Aktien ermöglichen sollten, erforderlich sein würden. Schon zu diesem Zeitpunkt hatte der Angeklagte K. die Eckpfeiler der später getätigten Geschäfte fest im Blick, nämlich die Art der gehandelten Aktien (DAX-Werte und MDAX-Werte), den zeitlichen Ablauf, die Hebelwirkung, den Beteiligungswert von 2,9%, den Dividendenlevel von 85% und das Bestreben, keine Aufmerksamkeit zu erregen.
183
Dem weiteren Anhang dieser E-Mail an Herrn Dr. S. „2009_01_28 Muster Deutsche Trades 150 Mio Lev 20_Parameter_28.1.09.pdf“ war eine Berechnung der angestrebten Geschäfte zu entnehmen. Ausgangspunkt der Berechnung war die Position „Total Div“, die der Angeklagte K. mit 58.127.774,25 Euro veranschlagte. Von dieser Position, mit der nach der Überzeugung der Kammer der im Fonds anfallende Dividendenlevel von 85% gemeint war, wurden die voraussichtlichen Ausgaben, nämlich u.a. die „Eintrittsgebühr“ für S.M. iHv. 20%, abgezogen.
184
Der Angeklagte K. rechnete also bereits zum damaligen Zeitpunkt mit sich aus den Dividendenzahlungen ergebenen Erträgen des TGVs in Höhe von mindestens 58.127.774,25 Euro (dies entspricht den im ersten Anhang genannten „knapp €60 Mio“).
185
Auch der in das Verfahren eingeführte Schriftwechsel aus den Folgemonaten ergab, dass der Angeklagte K. stets über die neuesten Berechnungen und sonstige Entwicklungen informiert war. So nahm sich der Angeklagte K. der vertraglichen Gestaltung der Verwahrung der Wertpapiere bei dem notwendigerweise in Deutschland ansässigen Unterverwahrer an und suchte in dem Zusammenhang den Rechtsrat der Kanzlei der Herren Dr. B. und Dr. S..
186
Zu diesem Zeitpunkt war nicht geklärt, ob und wie die U. (mit Sitz in London) bei der B. (mit Sitz in Frankfurt) für das TGV ein Konto würde eröffnen können. Aus einer E-Mail vom 11.02.2009 eines Dr. R., Rechtsanwalt und Steuerberater bei D., an die Herren Dr. B. und Dr. S. geht hervor, dass der Angeklagte K. vorgeschlagen hatte, dass die C. als Depotbank des TGV die Aktien verwahren und auch die Steuererstattungsanträge stellen sollte. Aus dieser, wie aus einer weiteren D.-internen E-Mail des Herrn Dr. R. ergab sich, dass ihm der Syndikus-Anwalt der A., Herr Dr. Z., auf Weisung des Angeklagten K. folgenden Sachverhalt schilderte:
„Die A. lnvAG will C. [gemeint ist die C.] als Depotbank haben. Primebroker soll U. in London werden. Der PrimeBroker wird wohl ein Sub-Custody Agreement mit B. in Deutschland haben. Jetzt hat C. gesagt, dass sie als Depotbank gar nicht die Erstattung von Kapitalertragsteuer nach § 11 Abs. 2 lnvStG beantragen könne. Grund: bei ihr lägen die Aktien ja gar nicht in einem Depot auf den Namen der lnvAG. Vielmehr müsse die auszahlende Stelle, d.h. B., den Antrag auf Kapitalertragsteuererstattung stellen, da dort die Aktien im Depot lägen. Dort stelle sich aber wiederum das Problem, dass das Depot nicht auf den Namen des Investmentvermögens lautet.
In unserem Gutachten haben wir dazu unter 2.1.7 Stellung genommen. Nach § 45b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG muss das die Erstattung beantragende Institut versichern, dass die Aktien im Zeitpunkt des Zufliessens [sic] in einem auf den Namen des Gläubigers lautenden Wertpapierdepot bei einer inländischen Bank verzeichnet waren.
Im Subcustody im Inland haben wir zwar ein inländisches Depot. Dies lautet jedoch auf den Prime Broker, nicht auf die lnvAG. Im Übrigen befindet sich dieses nicht bei der Depotbank, so dass diese gar nicht, die nach § 45b Abs. 1 Satz 1 EStG erforderliche Versicherung abgeben kann. Herr F. [gemeint ist Herr Dr. Z. könnte also recht haben. Wie siehst Du das? Wie können wir das lösen?“
187
Die E-Mails vom 11.02.2009 sowie weitere in das Verfahren eingeführte E-Mails zeigten, dass der Angeklagte K., rechtlich beraten durch Herrn Dr. Z., tief in einzelne Rechtsfragen eingestiegen war, ja diese erst als Problem identifiziert, und durch eigene Vorschläge das Gelingen des Geschäftsmodells vorangetrieben hatte.
188
Zudem nahm er die Verhandlung der konkreten vertraglichen Gestaltung mit den Banken (U., B. und C.) und die Abstimmung mit D. in die Hand. Wie auch Herr Dr. S. wirkte der Angeklagte mit rechtlichen Argumenten auf die zuständigen Mitarbeiter bei der B. ein, die die angestrebte vertragliche Gestaltung zunächst nicht umsetzen wollten.
189
Der Angeklagte K. wirkte also aktiv und äußerst sachkundig daran mit, dass durch Beauftragung von D., einer in London ansässigen Portfoliomanagerin, mit exzellenten Kontakten zu dem geschlossenen Zirkel des Cum-Ex-Marktes, und der U., einem ebenfalls in London ansässigen Prime Broker, der eigentliche Handel der Aktien sowie der Absicherungsgeschäfte in London stattfinden würden. Dabei wusste er, dass das TGV Aktien von Verkäufern mit einer nicht in Deutschland ansässiger Depotbank erwerben würde.
190
Andererseits gestalteten die Angeklagten und die weiteren Beteiligten die für die Beantragung der angeblich gezahlten KESt notwendige Verwahrung der Aktien in Deutschland bewusst so, dass nicht der Prime Broker diese in London verwahrte, sondern die U. für das TGV ein sog. „segregated account“ bei der B. in Deutschland eröffnete und somit in dessen Namen den Erstattungsantrag stellen durfte. Nur so konnte das von den Angeklagten gemeinsam mit den Herren Dr. B. und Dr. S. aufgesetzte Gesamtmodell die vorher berechneten Erträge erwirtschaften.
191
Dass es sich bei den Verkäufern der von dem TGV erworbenen Aktien um Leerverkäufer handelte, war ihm bekannt. Zum einen kannte er das Cum-Ex-Geschäftsmodell aus seiner Zeit bei der I. (s.o.). Zum anderen war ihm die vorher feststehende Preisgestaltung, der zu erzielende Dividendenlevel und die Absprachen des S.M. mit den Brokern bekannt.
(3.) Lobbyarbeit im Zusammenhang mit dem BMF-Schreiben vom 05.05.2009
192
Auch der Einsatz des Angeklagten K. in Abstimmung mit den Mittätern gegen den Erlass des BMF-Schreibens vom 05.05.2009 überzeugte die Kammer von dessen direktem Vorsatz.
193
Die Ankündigung des Entwurfs des BMF zu „Maßnahmen zur Beseitigung der Gefahr von Steuermindereinnahmen bei der Erstattung von Kapitalertragsteuer durch Gestaltungen im Zusammenhang von Leerverkäufen um den Dividendenstichtag“ sorgte für Unruhe bei den Angeklagten und den Herren Dr. B. und Dr. S..
194
Im Entwurf dieses Schreibens vom 20.03.2009 ging das BMF von folgendem Sachverhalt aus: „In zeitlicher Nähe vor dem Dividendenausschüttungstermin (Tag der Hauptversammlung) einer Aktiengesellschaft – in der Regel dürfte dies ein Tag vor diesem Termin sein – wird von einem „Verkäufer girosammelverwahrte[r] Aktien“ ein Leerverkauf über ein ausländisches Kreditinstitut initiiert. Zum selben Zeitpunkt erteilt eine inländische Körperschaft eine Kauforder „cum [Dividende]“ über Aktien der gleichen Gattung. Es ist davon auszugehen, dass zwischen dem Verkäufer und dem Käufer eine wirtschaftliche Verbindung besteht. Rechtsfolge dieser Gestaltung ist die Tatsache, dass es zum zweimaligen Ausweis von Kapitalertragsteuer in verschiedenen Steuerbescheinigungen kommt: zum einen beim tatsächlichen wirtschaftlichen und rechtlichen Eigentümer der Aktie, zum anderen beim Käufer, obwohl nur einmal Kapitalertragsteuer abgeführt wurde.“
195
Nach der Information der Angeklagten durch die E-Mail des S.M. vom 23.03.2009 über die Pläne des BMF, wandte sich der Angeklagte U.. an den Zeugen Dr. S. mit der Bitte um Rückruf. Der anderweitige Verfolgte H., seinerseits Rechtsanwalt bei D., formulierte in einer an den Angeklagten K. und die Herren Dr. B. und Dr. S. gesendeten E-Mail vom 24.03.2009 die Kritikpunkte an dem geplanten Schreiben. Mit eindringlichen Worten warnte Herr H. vor einem faktischen Handelsverbot um den Dividendenstichtag, vor dem Ausverkauf deutscher Aktien an ausländische Investoren, der Strafbesteuerung von Investments und Verfassungswidrigkeit.
196
Diese, mit weiteren Argumenten versehene Warnung richtete Herr Dr. B. auch an Herrn Prof. Dr. R. als geschäftsführendes Vorstandsmitglied des D.I.. Hierüber wurde der Angeklagten K. per E-Mail informiert. Der Angeklagte K. nutzte seinerseits seine Position beim B-Verband, um gegen das geplante BMF-Schreiben mobil zu machen. In einer E-Mail an die anderen B-Verband-Vorstandsmitglieder vom 24.03.2009 schrieb er:
„ […] mit Schrecken habe ich das Rundschreiben vom BMF erhalten und bitte um konzertierte Aktion, um dagegen vorzugehen. Auf die Schnelle habe ich einige Punkte zusammengestellt, die es aber noch weiter zu vertiefen gilt, denn wir müssen auf jeden Fall einen möglichen Schaden vom Finanzplatz Deutschland abwenden und verhindern, dass die Märkte austrocknen zu Zeiten der Dividendenzahlung.
Auf die Schnelle ist sicherlich keine Lösung umsetzbar, die nicht ohne Schaden abläuft.“
197
In einem Anhang zu dieser E-Mail griff der Angeklagte K. weitere von der Kanzlei D. genannte Argumente wie die drohende Strafbesteuerung von Investmentfonds oder die Verfassungswidrigkeit der Regelung auf. Auch in den Folgetagen stimmte sich der Angeklagte K. mit Herrn Dr. B. ab und bat diesen zur Vorbereitung eines für den 31.03.2009 geplanten Termins in Berlin mit Vertretern des BMF um „eine einfache Darstellung der Sachlage, um diese in Berlin zu vertreten“. Auch Herr Dr. B. hielt den Angeklagten K. auf dem Laufenden und teilte ihm per E-Mail vom 25.03.2009 mit:
„Lieber G.,
ich habe soeben ein Schreiben des D.I. an die Herren zu Guttenberg, Steinbrück und Oswald erhalten. Das Institut bestätigt, daß ein Zurückverfolgen eines Kaufes von Wertpapieren über die Börse nicht möglich ist und es daher grundsätzlich unmöglich ist, zu bestätigen, daß Wertpapiere nicht aus Leerverkäufen stammen. Der steuerpflichtige müßte etwas beweisen, was schlechterdings nicht zu beweisen ist.
Eine solche Beweislast ist evident verfassungswidrig und muß als solche gegenüber den Vertretern des BMF gebrandmarkt werden. Der B-Verband kann sich insoweit m.
keinesfalls auf irgendwelche Kompromisse mit dem BMF einlassen.
Beste Grüße,
H.“
198
Die B. und K. Einschätzung teilten nicht alle Mitglieder des Vorstands des B-Verbandes. In einer E-Mail vom 27.03.2009 schrieb E. (damals Chief Executive Officer von A. Investments):
„[…] wenn das BMF mit seinen Vorschlägen zur Eindämmung dieser Praxis sicherlich über das Ziel hinausschießt, sollten wir meines Erachtens bei der weiteren Kommunikation in dieser Sache sehr vorsichtig sein.
Die vom BMF beanstandete Vorgehensweise scheint mir – falls sie in dieser Form tatsächlich existieren sollte – doch sehr deutlich über eine übliche und legitime Steuergestaltung hinauszugehen. Immerhin würden hier planmäßig Steuerbescheinigungen über „doppelte“ Anrechnung der Kapitalertragsteuer erwirkt, obwohl den miteinander kooperierenden Beteiligten bewusst wäre, dass die Steuer de facto nur einmal erhoben worden wäre.
Gegenüber dem BMF sollten wir aus Reputationsgründen und im Interesse einer weiteren vertrauensvollen Zusammenarbeit jeden Eindruck vermeiden, dass die Asset Management-Branche eine derartige Praxis billigt oder entsprechende Verfahren sogar selber anwendet. Die Position des BMF, dass hier dringender Handlungsbedarf besteht, können wir daher aus meiner Sicht nicht grundsätzlich in Frage stellen.
Ich schlage daher vor, die Diskussion mit dem BMF emotionsfrei und rein auf der technisch-sachlichen Ebene zu führen.
…“
199
Der Angeklagte K. nahm als einer der Vertreter des B-Verbandes an dem Anhörungstermin am 31.03.2009 im BMF mit Vertretern des BMF teilt. Das BMF machte klar, dass es eine kurzfristige Lösung für die Bekämpfung von Gestaltungsmodellen mit Leerverkäufen über den Dividendenstichtag mittels BMF-Schreiben, langfristig jedoch eine Gesetzesänderung anstrebte. Das BMF betonte, es habe ausschließlich Fallgestaltungen im Fokus, bei denen es Absprachen zwischen Leerverkäufen mit Auslandsdepots und Käufern zum Kauf von Aktien „cum-Dividende“ und zur Lieferung der Aktien „ex-Dividende“ gebe, also genau das Geschäftsmodell der Angeklagten. Nach dem Anhörungstermin wurde in den B-Verbandes-Rundschreiben vom 01.04.2009 Folgendes veröffentlicht:
„ […] Im Rahmen der Anhörung konnten wir erreichen, dass
1. Publikumsfonds generell von dem Anwendungsbereich des BMF-Schreibens ausgenommen werden und
2. das Sammelantragsverfahren bei Spezialfonds nicht gefährdet wird, d.h. es bleibt dabei, dass Spezialfonds stets eine Erstattung der Kapitalertragsteuer auf Inlandsdividenden erreichen können. […]“
200
Auch in der Folgezeit versuchte der Angeklagte K., in Abstimmung mit der Kanzlei D. Einfluss auf den Wortlaut des geplanten BMF-Schreibens zu nehmen und trug das Ergebnis des Austauschs mit D. als Sprachrohr von Herrn Dr. B. in den B-Verband hinein, stieß dort jedoch auch auf Widerstand anderer B-Verbandes-Vorstände.
201
Anfang April 2009 informierte Herrn Dr. B. die Angeklagten darüber, dass Publikumsfonds aus dem Anwendungsbereich des geplanten BMF-Schreibens herausfallen würden. Erst zu diesem Zeitpunkt, glätteten sich die Wogen der Aufregung bei den Angeklagten und den Herren Dr. B. und Dr. S..
202
Die ausgewerteten und eingeführten Dokumente zeigten deutlich, dass den Angeklagten bewusst war, dass die Pläne des BMF eine Gefahr für ihr Geschäftsmodell darstellten und sie deshalb im Rahmen einer „konzertierten“ Aktion ihre offiziellen und inoffiziellen Wege der Einflussnahme auf das Vorhaben des BMF nutzen mussten. Der Austausch mit anderen Mitgliedern des Vorstands des B-Verbandes führte dem Angeklagten K. unmissverständlich vor Augen, dass das vom ihm praktizierte Geschäftsmodell „doch sehr deutlich über eine übliche und legitime Steuergestaltung“ hinausging und dass der Gesetzgeber und das BMF diese Praxis mit allen Mitteln zu verhindern suchten.
203
Soweit der Angeklagte K. angab, er habe sich von Herrn Dr. B. beruhigen lassen, handelte es sich dabei nach der Überzeugung der Kammer nur um eine Beruhigung wider besseres Wissen.
204
Dem Angeklagten K. war bewusst, gemeinsam mit dem Angeklagten U.., den Herren Dr. B./Dr. S. und der D. Steuern in Millionenhöhe zu hinterziehen. Nur dadurch waren überhaupt Gewinne zu erwirtschaften.
205
Zum einen gab es Ende März 2009 angesichts der umfangreichen vertraglichen Verpflichtungen und getätigten Investitionen in den Augen der Angeklagten kein Zurück mehr, zum anderen bemühten sich die Angeklagten gemeinsam mit den übrigen Beteiligtendurch die Beachtung der 3%-Grenze gerade „unter dem Radar zu fliegen“. Ohnehin fürchtete man – so Herr Dr. S. in seiner Zeugenaussage – ausschließlich das Risiko der Entdeckung durch die Betriebsprüfung und zog die Möglichkeit einer Aufdeckung der Geschäfte durch die Staatsanwaltschaft noch nicht einmal in Erwägung.
206
Daraus konnte jedoch nicht der Rückschluss gezogen werden, die Angeklagten und die übrigen Beteiligten seien nicht von einer Steuerstraftat ausgegangen. Dem widerspricht auch bereits die Wortwahl in dem Schreiben der I. vom 10.04.2007 (s.o. II. 4. a. (1.)). Die Äußerung des Zeugen Dr. S. war zudem vor dem B.‘schen Hintergrund zu sehen: Herr Dr. B. als mit der Durchführung von Betriebsprüfungen vertrauter ehemaliger Finanzbeamter und Betriebsprüfer, stufte vor allem die Betriebsprüfung als potentielle Bedrohung ihres Geschäftsmodells ein. Die Aufdeckung ihres Geschäftsmodells durch die Staatsanwaltschaft hielten die Herren Dr. B. und Dr. S. und die übrigen Beteiligten schlicht nicht für möglich, denn sie hielten sich in ihrer Hybris für unverwundbar und trauten der Staatsanwaltschaft (wie auch den Gerichten) schlichtweg nicht zu, ihr Geschäftsmodell aufzudecken, zu verstehen und mit den erforderlichen Ressourcen in mühevollster Kleinstarbeit aufzuarbeiten. Der Zeuge Dr. S. zeichnete – deutlich emotional bewegt – folgendes Bild: „Ich habe in Frankfurt im 30. Stock gestanden und aus dem Fenster auf die Welt unter mir geschaut und wirklich geglaubt, dass ich da nicht mehr dazugehöre.“
(4.) Eigene Einlassung des Angeklagten K.
207
Aber auch die Einlassung des Angeklagten K. zu bestimmten Aspekten und zu konkreten Nachfragen der Kammer überzeugte diese von seinem direkten Vorsatz bereits zu Beginn der Aufsetzung des Geschäftsmodells Cum-Ex. Insbesondere räumte der Angeklagte ein, dass er von Anfang an gewusst habe, dass die KESt für den Erfolg des Modells eine wesentliche Rolle spiele und dass es sich um ein systematisches Vorgehen der Beteiligten gehandelt habe. Spätestens seit dem BMF-Schreiben vom 05.06.2009 sei klar gewesen, dass der Gesetzgeber Doppelerstattungen nicht gewollt habe. Auch die Erkenntnisse des Angeklagten K. zu der Vereinbarung des Pre-Tradings durch die Angeklagten, die Herren Dr.B./Dr. S. sowie die Portfoliomanager sprechen für den direkten Vorsatz. Er führte dazu aus, dass zu diesem Punkt die geschaffene Fassade und die Realität nicht mehr zusammenpassten.
(5.) Bedingter Vorsatz bezüglich Mehrfachdurchläufen
208
Davon, dass der Angeklagte K. spätestens zum Zeitpunkt der Aufsetzung von gleichzeitig drei TGVen zumindest bedingten Vorsatz bezüglich Mehrfachdurchläufen von Aktien hatte, war die Kammer ebenfalls überzeugt, denn schon dass reine Umlaufvolumen von 3 x 2,9% des verfügbaren Aktienbestands großer DAX-Unternehmen sprach dafür. Dass Herr Dr. S. in seiner Zeugenaussage angab, er habe nichts von Loopings gewusst und gehe davon aus, das gelte auch für die Angeklagten, änderte daran nichts. Die Kammer war davon überzeugt, dass die Angeklagten – beide ehemalige Vorstände der I. und langjährige Mitarbeiter im H.-Konzern, denen zudem die grundsätzliche Struktur und die Abläufe des Aktienhandels bekannt waren – erkannten, dass es angesichts eines derart hohen gehandelten Aktienvolumens durchaus zu Loopings kommen konnte. Hierbei war den erfahrenen Angeklagten nach der Überzeugung der Kammer auch bekannt, dass die tatsächlich handelbaren Aktien der verschiedenen Aktiengesellschaften am Markt angesichts weiterer Cum-Ex-Geschäfte, aber auch des regulären Aktiengeschäfts keinesfalls für die Handelsvolumina der TGVen ausreichend sein konnten. Mehrfachdurchläufe nahmen sie daher zur Überzeugung der Kammer zumindest billigend in Kauf nahmen.
b. Direkter Vorsatz des Angeklagten U..
209
Auch der Angeklagte U.. hatte bereits bei Einrichtung des auf Steuerhinterziehung im großen Stil ausgelegten Geschäftsbetriebs direkten Vorsatz. Es ist die logische Konsequenz der internen Rollenverteilung zwischen den Angeklagten, dass sich zwar der direkte Steuerhinterziehungsvorsatz des Angeklagten K. zweifelsfrei aus den Urkunden und Dokumenten herleiten lässt, die Verantwortung des Angeklagten U., der eher im Hintergrund agierte, jedoch nach außen weniger sichtbar war und sich daher auch weniger in ausgetauschtem Schriftverkehr manifestieren lässt. Fest steht jedoch, dass der Angeklagte U. stets informiert und involviert war und dem Angeklagten K. den Rücken freihielt.
210
Auch der Angeklagte U. kannte das Geschäftsmodell Cum-Ex seit dem Jahr 2007 und wusste, dass es sich dabei um ein Steuerhinterziehungsmodell handelte. So leitete der Angeklagte K. die E-Mail (inklusive Anhang) des Steuerberaters E. am 26.04.2007 auch an den Angeklagten U. weiter und legte seine Gedanken zu dem Thema dar. Das Schreiben vom 10.04.2007 an die Deutsche Börse AG, in dem die I. vor der möglichen Steuerhinterziehung durch den Einsatz des ETF-Fonds der I. warnte, ist von dem Angeklagten U. unterschrieben (s. o. II. 4. a. (1.)).
211
Der Angeklagte U. war auch von Anfang an in die Einrichtung des auf Steuerhinterziehung ausgerichteten Geschäftsmodells eingebunden und wurde von dem Angeklagten K. über alle relevanten Geschäftsvorgänge informiert. Intern war er vor allem für das „Backoffice“ zuständig und nahm sich unter anderem der Erstellung von Präsentationen des Anlagemodells und der Berechnung der zu erwartenden Erträge an, die an den Angeklagten K. und die übrigen Beteiligten verschickt wurden. Dies geschah z.B. per E-Mail des Angeklagten U. vom 29.01.2009 an B./S./K./H./G. mit dem Betreff „Vertraulich: Präsentation US/D Div. Trades + NAV Kalkulation“. In der Präsentation wurden die geplanten kursrisikolosen Cum-Ex-Geschäfte, einschließlich einer Beispielsrechnung und der Strukturierung des Fonds dargestellt, ohne dabei auf die tatsächliche „Einnahmequelle“ einzugehen.
212
Auch trat der Angeklagte U. gemeinsam mit dem Angeklagten K. bei Kontakten mit (potentiellen) Investoren auf und versorgte diese (z.B. per E-Mail vom 12.02.2009) mit Informationen zu dem Produkt A. I, in dem er die von ihm erstellte Präsentation versandte. Mit Blick auf die angestrebten Aktiengeschäfte beschäftigte er sich mit Einzelfragen, z.B. den zeitlichen Abläufen bei der Depotbank. Den eingeführten Dokumenten war zu entnehmen, dass der Angeklagte U. sich ebenfalls frühzeitig mit den tatsächlichen Abläufen und der Berechnung der zu erwartenden Profite beschäftigte, was ohne Kenntnis und Verständnis der konkreten Vorgänge gar nicht möglich gewesen wäre.
213
Auch wenn es „brannte“, war der Angeklagte U. stets zur Stelle. So nahm er, nachdem S.M. ihn per E-Mail vom 23.03.2009 über die Pläne des BMF zur Beseitigung der Gefahr von Steuermindereinnahmen im Zusammenhang von Leerverkäufen um den Dividendenstichtag informiert hatte, umgehend Kontakt zur Kanzlei D. auf und bat um Rückruf. Nach Kenntnis vom geplanten Entwurf des BMF-Schreibens informierte Herr Dr. B. durch E-Mail vom 05.04.2009 auch den Angeklagten U. über die „guten Nachrichten“, dass Publikumsfonds aus dem Anwendungsbereich des geplanten Schreibens fallen würden.
214
Trotz der weniger prominenten Rolle des Angeklagten U. bei der „konzertierten Aktion“ gegen die Pläne des BMF, steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass sich der Angeklagte U. wie der Angeklagte K. der „Brisanz“ der Pläne des BMF für das gemeinsame Geschäftsmodell bewusst und stets über die neuesten Entwicklungen informiert war. Dazu kam, dass nach Angaben beider Angeklagten sie im Innenverhältnis gleichberechtigt waren.
215
Beide waren sie Vorstände bzw. Geschäftsführer der A. Gesellschaften und wurden als solche auch gleichermaßen vergütet. Auch teilten sie den Tatlohn aus den gegenständlichen Geschäften paritätisch auf, was sie bereits vor Beginn des eigentlichen Handels vereinbart hatten.
216
Schließlich überzeugte auch die eigene Einlassung des Angeklagten U. die Kammer von seinem direkten Vorsatz. Er gab an, er habe sich „gedanklich weggeduckt“ und bewusst nicht in die erste Reihe gestellt, dass es aber zu dem Zeitpunkt der Investition der Anleger durch Zeichnung der Anlageaktien des TGVs A. I trotz vorhandener Zweifel kein Zurück mehr gegeben habe. Auch dass er sich mit dem Angeklagten K. über die Zweifel und über das Risiko der Entdeckung auch mit Herrn Dr. B. austauschte, sprach aus Sicht der Kammer für seine Kenntnis der Sachlage wie auch für die Kenntnis von der Rechtswidrigkeit.
217
Mehrfachdurchläufe nahm er – wie der Angeklagte K. – zur Überzeugung der Kammer zumindest billigend in Kauf nahmen.
c. Gutachten des Herrn Dr. B.
218
Die Gutachten des Herrn Dr. B. hatte keine Auswirkungen auf den direkten Vorsatz der Angeklagten. Zum einen gaben beide Angeklagte an, das Gutachten nicht ganz gelesen und auch nicht verstanden zu haben. Zum anderen wussten beide Angeklagten, dass es sich bei Herrn Dr. B. nicht um einen neutralen Gutachter handelte, sondern dass er, gemeinsam mit dem Zeugen Dr. S., der „geistige Vater“ des von ihnen umgesetzten Geschäftsmodells war, und zumindest im gleichen Maße wie die beiden Angeklagten von dessen wirtschaftlichen Erfolg profitierte. Schließlich stimmte der im Gutachten geschilderte Sachverhalt deutlich erkennbar nicht mit den tatsächlich praktizierten Abläufen und der Lebenswirklichkeit überein.
219
In dem Gutachten beschrieb Herr Dr. B. zunächst die Anlagestrategie eines deutschem Recht unterstehenden Publikums-Investmentvermögens, ausgerichtet auf den Kauf von Aktien am Hauptversammlungsstichtag mit Verkauf nach dem Hauptversammlungsstichtag. Marktrisiken würden laut diesem Gutachten durch den Einsatz von Derivaten reduziert, und durch die Ausnutzung von Marktineffizienzen sollten Gewinne erzielt werden. Herr Dr. B. stellte die rechtlichen Strukturen und Abläufe dar und kam in der Wirtschaftlichkeitsberechnung zu einem Gewinn, für den die Gutschrift der Bruttodividende durch die Depotbank des Investmentvermögens maßgeblich war.
220
Welcher Art die auszunutzenden Marktineffizienzen seien und wie diese genutzt werden sollten, wurde nicht erörtert. Nach der B. Darstellung sollte es in dem Gutachten vornehmlich um die Frage gehen, wie die Investoren des Publikums-Investmentvermögens im Hinblick auf die von ihnen erzielten Einkünfte für Zwecke der Einkommensteuer, der Körperschaftsteuer und der Gewerbesteuer behandelt werden würden.
221
Zwar wurde in dem Gutachten auch die Frage aufgeworfen, ob die Beantragung der Erstattung von Kapitalertragsteuer auf die von dem Investmentvermögen vereinnahmten Dividenden rechtsmissbräuchlich sei, und rechtlich erörtert. Herr Dr. B. kam dabei zu dem Ergebnis, dass es sich bei dem Verfahren zur Erstattung einbehaltener Kapitalertragsteuer bzw. bei der Abstandnahme von Kapitalertragsteuerabzug um ein gesetzlich vorgesehenes Verfahren handle, um das Transparenzprinzip bei der Besteuerung von Investmentvermögen sicher zu stellen. Bei Nutzung dieser Möglichkeit scheide damit die Annahme eines Gestaltungsmissbrauchs aus. Diese Schlussfolgerung war derart simpel, dass sie nur als eine bewusst inszenierte „Themaverfehlung“ des Herrn Dr. B. gewertet werden kann, um die entscheidende Frage gerade nicht zu stellen: Ist eine Anlagestrategie, die darauf ausgerichtet ist, dass der zu erzielende Gewinn ausschließlich auf der Zahlung der Bruttodividende an das Investmentvermögen durch die Depotbank mit anschließender Erstattung der KESt an die Bank beruht, steuerlich unbedenklich? Für die steuerliche Begutachtung des Sachverhalts ging Herr Dr. B. zudem von verschiedenen Annahmen aus, die in wesentlichen Punkten vorliegend jedoch nicht zutrafen oder zumindest bewusst missverständlich dargestellt wurden. Die tatsächlich umgesetzte Handelsstrategie wich maßgeblich von der im Gutachten vorausgesetzten Strukturbeschreibung ab. So blieben sowohl die für das Gelingen der Geschäfte systematische Einbindung von Leerverkäufern mit ausländischer Depotbank als auch die (konkludenten) Absprachen zwischen Portfoliomanagement und den Interdealer Brokern, die den bereits vorher feststehenden Ertrag der Geschäfte erst möglich machten, unerwähnt.
F. Rechtliche Würdigung
I. Täterschaftliche Beteiligung an einem auf Steuerhinterziehung ausgelegten Geschäftsbetriebs
222
Die Angeklagten haben in beiden Fällen den Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO verwirklicht. Dem steht nicht entgegen, dass sie selbst weder an der Erstellung noch an der Abgabe der Erklärungen gegenüber dem BZSt bzw. dem Finanzamt M. mitgewirkt haben. Denn die in den Erklärungen jeweils enthaltenen unrichtigen Angaben zu steuerlich erheblichen Tatsachen sind ihnen entweder nach § 25 Abs. 2 StGB oder nach § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB zuzurechnen.
223
Wegen ihrer Tatbeiträge sind die Angeklagten untereinander als Mittäter anzusehen. Die Tatbeiträge der Angeklagten waren zentral und für die konkrete Tatbestandsverwirklichung zwingend. Sie waren maßgeblich an der Entwicklung und Ausgestaltung des Tatplans beteiligt. Gemeinsam mit den Herren Dr. B. und Dr. S. gelang es ihnen innerhalb weniger Monate, die A. GmbH und die A. InvAG zu erwerben, die für das Projekt erforderlichen Genehmigungen der BaFin zu erlangen, die nötigen Verträge u.a. mit D. und den Banken zu schließen und Kapital in Millionenhöhe einzuwerben. Für das gemeinsame Projekt kamen den Angeklagten „ihr guter Name“, ihre Erfahrungen und Verbindungen aus der Zeit bei der H. zugute. Als (faktische) Vorstände des InvAGs und als Geschäftsführer der A. GmbH liefen bei ihnen aller Fäden für den A.-internen reibungslosen Ablauf zusammen. Gegenüber den „geistigen Vätern“ des Geschäftsmodells, den Herren Dr. B. und Dr. S., traten sie auf Augenhöhe und gleichberechtigt auf. Da die TGVen der Angeklagten zu den wenigen Hedgefonds in Deutschland gehörten, hielten sie „ein Juwel“ in Händen.
224
Beide Angeklagte hatten auch ein hohes eigenes Interesse daran, dass die verfahrensgegenständlichen Cum-Ex-Geschäfte zustande kamen, denn sie versprachen sich davon hohe Gewinne und damit Zahlung ihrer Geschäftsführergehälter während ihrer ersten quasi-selbständigen Tätigkeit. Zwar war es im Jahr 2009 die A., die von dem Ertrag aus der InvAG i. H. v. ca. 10 Millionen profitierte, jedoch ist zu beachten, dass es sich bei der A. GmbH um eine Gesellschaft handelte, die die Angeklagten als Gesellschafter erst gegründet hatten und die dank der Cum-Ex-Geschäfte und letztlich ausschließlich deswegen große Gewinne machte, woraus auch nach einer ersten Anlaufzeit die großzügigen Geschäftsführergehälter gezahlt wurden. Zudem profitierten die Angeklagten als Anleger in das TGV. Im Jahr 2010 sicherten sich die Angeklagten durch das Pre-Trading Zuflüsse in Höhe von insgesamt 7.671.577,74 Euro.
225
Dem steht nicht entgegen, dass die Angeklagten wesentliche Tatbeiträge in einer Frühphase der Tatausführung erbrachten und im späteren „Tagesgeschäft“ nur in Ausnahmefällen involviert waren. Denn die Tatbeiträge der Angeklagten waren von zentraler Bedeutung, zum einen dafür, dass die Taten überhaupt begangen wurden („Ob“ der Tat), aber auch für die Schaffung der Möglichkeit ihrer konkreten Durchführung („Wie“ der Tat). Dass auch die konkrete Durchführung der Geschäfte und die Festlegung dieser Details nicht in ihrer Hand lag, ist Ausfluss des von den Angeklagten und ihren Mittätern durch ihre Tathandlungen organisatorisch geschaffenen Gesamtkonzepts, das auf arbeitsteiliger Tatbegehung beruhte.
226
Der Umstand, dass die Angeklagten an der Einreichung der jeweiligen Steuererklärungen selbst nicht konkret beteiligt waren, steht deren Täterrolle ebenfalls nicht entgegen. Auch ein die Tatbestandsverwirklichung fördernder Beitrag außerhalb des tatbestandlichen Kerngeschehens kann die Voraussetzungen des § 25 Abs. 2 StGB erfüllen, wenn sich diese Mitwirkung nach der Willensrichtung des Tatbeteiligten als Teil der Tätigkeit aller darstellt und nach den bereits dargelegten Kriterien als täterschaftlich zu bewerten ist.
227
Dies ist im Hinblick auf die Angeklagten der Fall. Denn in der Gesamtschau der einzelnen Tatbeiträge kommt dem Umstand, dass die Angeklagten als (faktische) Vorstände und Geschäftsführer der A.-Gesellschaften das für die Durchführung der Geschäfte maßgebliche Vehikel aufsetzten und beherrschten, das Gelingen der Geschäfte überwachten und selbst erheblich beim Profit beteiligt waren, sie mithin eine Schlüsselrolle einnahmen, maßgebliche Bedeutung zu. Eben dadurch schafften die Angeklagten die Voraussetzungen für die erfolgreiche Durchführung sämtlicher Einzelgeschäfte, die dann Grundlage der Steuererklärungen der Banken wurden.
I. Zurechnung der falschen Erklärungen der Depotbanken
228
Die gegenüber dem BZSt bzw. gegenüber dem Finanzamt M. abgegebenen Steuererklärungen der B. im Jahr 2009 bzw. der C. im Jahr 2010 sind den Angeklagten nach § 25 Abs. 2 StGB oder § 25 Abs. 1 Alt. 2. StGB zuzurechnen. Ob die betreffenden Mitarbeiter der B. und der C. bei der Abgabe der tatgegenständlichen Steuerklärungen um die Geschäfte der Angeklagten wussten und selbst in kollusivem Zusammenwirken mit den Angeklagten vorsätzlich handelten oder sich die Angeklagten ihrer lediglich als unwissende Werkzeuge für die Steuererstattungen bedienten, kann dahinstehen, denn in beiden Fällen sind den Angeklagten die Abgaben der Steuererklärungen rechtlich zuzurechnen.
229
Es entsprach dem gemeinsamen Tatplan der Angeklagten und der Herren Dr. S. und Dr. B. und den zur Umsetzung des Tatplans geschlossenen Verträgen, dass der jeweiligen Depotbank der TGVen die Rolle zukam, die der KESt entsprechenden Beträge vorzufinanzieren und anschließend die Erstattung der angeblich gezahlten KEST von der jeweils zuständigen Steuerbehörde zu beantragen.
230
Die im Wege des elektronischen Sammelantragsverfahrens durch die B. beim BZSt eingereichten Erstattungsanträge (Fall 1) ebenso wie die Kapitalertragsteueranmeldungen der C. für April, Mai und Juni 2010 (Fall 2) enthielten zu steuerlich erheblichen Tatsachen unrichtige Angaben, aufgrund derer die Finanzbehörden zu Unrecht Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschläge erstatteten (in 2009) bzw. anrechneten (in 2010). Die durch die B. im Wege des elektronischen Sammelantragsverfahrens beim BZSt eingereichten Erstattungsanträge bzw. die Kapitalertragsteueranmeldungen der C. enthielten die steuerlich erhebliche Angabe, dass den Investmentfonds zuzurechnende Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschläge auf Kapitalerträge einbehalten und abgeführt worden seien.
1. Fall 1
231
Den in Fall 1 (D. III.) durch die B. beim BZSt, also einer Finanzbehörde (§ 6 Abs. 2 Nr. 2, § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO), im elektronischen Sammelantragsverfahren eingereichten Erstattungsanträgen ist im Hinblick auf die Cum-Ex-Leerverkaufstransaktionen die Erklärung zu entnehmen, dass Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschläge auf Kapitalerträge des TGV A. I einbehalten und an den Fiskus abgeführt worden seien.
232
Nach § 11 Abs. 2 Sätze 1 und 2 InvStG (in der für den VZ 2009 geltenden Fassung) waren einem inländischen Investmentvermögen Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag auf Dividenden und Dividendenkompensationszahlungen durch das BZSt zu erstatten, wenn die Steuern zuvor von „Kapitalerträgen des inländischen Investmentvermögens einbehalten […] und abgeführt […]“ worden waren. Die tatsächliche Abführung der Steuer an den Fiskus war damit ausdrücklich Voraussetzung für die Steuererstattung. Da sich der Erklärungsgehalt der Eintragungen von entsprechenden Beträgen in die hierfür im Sammelantragsformular vorgesehenen Felder „Kapitalertragsteuer“ und „Solidaritätszuschlag“ auf das Vorliegen sämtlicher Erstattungsvoraussetzungen nach § 11 Abs. 2 Satz 1 InvStG bezog, ergab sich aus dem Sammelantrag die Erklärung, dass das TGV A. I Kapitalerträge in Form von Dividenden bzw. Dividendenkompensationszahlungen vereinnahmt hatten („Art des Kapitalertrages“) und hierfür die zur Anrechnung benannte Steuer tatsächlich an den Fiskus abgeführt worden sei.
2. Fall 2
233
Die Kapitalertragsteueranmeldungen der C. (D. IV.) enthielten die steuerlich erhebliche Angabe, dass Kapitalertragsteuern und Solidaritätszuschläge auf Kapitalerträge der TGVen einbehalten und abgeführt worden seien. Mit Inkrafttreten von
234
§ 11 Abs. 2 InvStG (in der für den VZ 2010 geltenden Fassung) wurde das Erstattungsverfahren für einbehaltene und abgeführte Steuern auf Kapitalerträge eines inländischen Investmentvermögens dahingehend geändert, dass u.a. bei Dividenden und Dividendenkompensationszahlungen nach § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 EStG (in der für den VZ 2010 geltenden Fassung) die Erstattung gegenüber dem inländischen Sondervermögen durch dessen Depotbank erfolgen konnte.
235
Voraussetzung hierfür war weiterhin, dass die Steuern zuvor auf Kapitalerträge des inländischen Investmentvermögens einbehalten und abgeführt worden waren. Die Depotbank hatte in diesem Fall nach § 11 Abs. 2 Satz 2 InvStG i. V. m. § 44b Abs. 6 Satz 3 EStG (in der für den VZ 2010 geltenden Fassung) die Summe der Erstattungsbeträge in der eigenen Steueranmeldung gegenüber dem Betriebstättenfinanzamt gesondert anzugeben und von der von ihr abzuführenden Kapitalertragsteuer abzusetzen. Mit den in den monatlichen Kapitalertragsteueranmeldungen der C. zur Anrechnung gebrachten Erstattungsbeträgen wurde somit erklärt, dass Steuern auf von den TGVen vereinnahmte Kapitalerträge einbehalten und abgeführt worden seien.
II. Vorsatz, Rechtswidrigkeit und Schuld
236
Die Angeklagte handelten mit direktem Vorsatz. Sie wusste, dass im Rahmen ihres Geschäftsmodells Cum-Ex-Strategien mit Leerverkauf umgesetzt würden und dass die Erstattung von nicht abgeführten Steuern beantragt würde. Sie wussten ferner, dass dieser Umstand gegenüber den jeweils zuständigen Steuerbehörden nicht offengelegt werden würde. Die Angeklagten wussten bereits vor Aufsetzung des Fonds, dass die Voraussetzungen für die beantragten Steuererstattungen nicht vorliegen. Einem Tatbestandsirrtum sind die Angeklagten nicht erlegen. Sie wussten, dass die TGVen bzw. die Depotbanken zur Inanspruchnahme der geltend gemachten Erstattungen nicht berechtigt waren. Die Angeklagte kannten ferner die Umstände, aus denen sich ihre (mit) täterschaftliche Stellung ergab, sie wussten insbesondere um die Bedeutung und Rolle der Depotbanken.
III. Konkurrenzen
237
Die Mitwirkung der Angeklagten an den Fällen 1 und 2 stellt sich nach den Grundsätzen zum uneigentlichen Organisationsdelikt für die Angeklagten konkurrenzrechtlich jeweils als eine Tat im Sinne des § 52 StGB dar. Diese zwei Taten wiederum stehen zueinander im Verhältnis der Tatmehrheit, § 53 Abs. 1 StGB.
IV. Fehlen von Verfahrenshindernissen – keine Verjährung
238
Es liegen keine Verfahrenshindernisse vor, insbesondere ist keine Verfolgungsverjährung gemäß § 78 Abs. 1 StGB eingetreten.
239
Für die Beendigung des uneigentlichen Organisationsdelikts gelten die gleichen Grundsätze wie für die gesetzlich normierten „eigentlichen“ Organisationsdelikte. Damit läuft die Verjährung für alle Einzelfälle innerhalb eines Organisationsdelikts einheitlich. Zwar unterscheidet sich das uneigentliche Organisationsdelikt vom eigentlichen oder von sonstigen Fällen einer tatbestandlichen Handlungseinheit wie insbesondere einer Bewertungseinheit dadurch, dass mehrere tateinheitlich begangene Fälle (§ 52 Abs. 1 Alternative 2 StGB) und nicht nur ein einziger Fall anzunehmen sind.
240
Entscheidend ist aber, dass der Tatbeitrag des organisierenden Hintermanns für alle weiteren Einzelfälle der Tatserie ursächlich ist. Denn die Tat ist erst beendet, wenn der Täter sein „rechtsverneinendes Tun“ insgesamt abgeschlossen und das Tatunrecht mithin tatsächlich in vollem Umfang verwirklicht hat (BGH, Urteil vom 11.11.2020 – 1 StR 328/19 m.w.N.).
241
Die Verjährungsfrist hinsichtlich der im Tatzeitraum 2009 begangenen Steuerhinterziehung (Fall 1) begann nicht vor dem Erlass des letzten Festsetzungsbescheids des BZSt am 09.07.2009 zu laufen, da die Tat frühestens dann im Sinn des § 78a S. 1 StGB vollendet war. Die vor Inkrafttreten des § 376 Abs. 1 AO n. F. geltende zehnjährige Verjährungsfrist war auch bei Inkrafttreten der Neuregelung am 29.12.2020 noch nicht abgelaufen. Denn die Verjährungsfrist wurde bereits vor ihrem Ablauf gemäß § 78c Abs. 1 StGB unterbrochen, so zumindest durch die Bekanntgabe des Ermittlungsverfahrens bezüglich Fall 1 am 07.03.2018.
242
Auch bezüglich Fall 2 ist keine Verfolgungsverjährung eingetreten. Die Verjährungsfrist begann jedenfalls nicht vor der frühestmöglichen Beendigung am 12.07.2010 zu laufen und wurde bereits erstmals durch die im Mai 2014 durchgeführten Durchsuchungsbeschlüsse des Amtsgerichts München unterbrochen.
G. Strafzumessung
I. Angeklagter K.
1. Strafrahmen des § 370 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 S.1 Nr. 1 AO
243
Die zu verhängende Einzelstrafe hat die Kammer dem erhöhten Strafrahmen des § 370 Abs. 3 Satz 1 AO entnommen. Dieser droht in besonders schweren Fällen der Steuerhinterziehung Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren an. Der Angeklagte hat in beiden Fällen die Voraussetzungen des Regelbeispiels des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO in der seit dem 01.01.2008 unverändert geltenden Fassung erfüllt. Die Hinterziehungsbeträge übersteigen die für eine Steuerhinterziehung „in großem Ausmaß“ maßgebliche Wertgrenze bei weitem. Ein „großes Ausmaß“ im Sinne von § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO liegt bei jeder Steuerhinterziehung über 50.000 Euro vor (vgl. BGH, Urteil vom 02.12.2008, 1 StR 416/08; NJW, 2009, 528).
244
Die danach zu Grunde zu legende Grenze ist danach in Fall 1 mit einem Gesamtanrechnungsbetrag von 123.777.522 Euro um mehr als das 2.475-fache überschritten. Da es für den Grundtatbestand der Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 AO nicht darauf ankommt, ob der Täter den nicht gerechtfertigten Steuervorteil für sich oder für einen anderen erlangt, gilt dies auch für das Regelbeispiel und für die darin benannte Erlangung in einem großen Ausmaß. Zudem übersteigt auch der dem Angeklagten selbst zugeflossene Tatlohn von „nur“ 204.820 Euro das Regelbeispiel um ein Vielfaches.
245
In Fall 2 mit einem Gesamtanrechnungsbetrag von 219.783.441,98 Euro ist der Regelfall mehr als das über 4.396-fache überschritten. Persönlich kam ihm ein Betrag von 7.671.577,74 Euro zugute.
246
Anlass, ausnahmsweise von der Regelwirkung abzusehen und auf den Strafrahmen des § 370 Abs. 1 AO zurückzugreifen, bestand nicht. Die indizielle Bedeutung des verwirklichten Regelbeispiels wurde hinsichtlich der festgestellten Tat nicht durch die nachfolgend im Einzelnen ausgeführten Strafzumessungsfaktoren kompensiert. Im Tun oder in der Person des Angeklagten lagen jeweils keine Umstände vor, die das Unrecht seiner Tat oder seine Schuld so deutlich vom Regelfall abheben würden, dass die Anwendung des erschwerten Strafrahmens unangemessen erschien Zu Gunsten des Angeklagten K. hat die Kammer jeweils für sich sowie zur Beurteilung der Regelwirkung in einer Gesamtschau – insoweit auch mit den nachstehend genannten, gegen ihn sprechenden Umständen – folgende Gesichtspunkte berücksichtigt:
- Der Anklagte ist nicht vorbestraft.
- Der Angeklagte hat die objektiven Tatumstände vollumfänglich und umfassend eingeräumt. In subjektiver Hinsicht hat er für den Zeitraum vor März 2009 zumindest bedingten Vorsatz, für die späteren Zeiträume auch direkten Vorsatz eingeräumt. Sein Geständnis war von ehrlicher Reue und Einsicht getragen.
- Sein umfangreiches Geständnis und sein Verhalten in der Verhandlung haben die Hauptverhandlung erheblich verkürzt. Insgesamt war sein Verhalten während der Hauptverhandlung konstruktiv und um umfängliche Aufklärung bemüht.
- Auch war zugunsten des Angeklagten zu berücksichtigen, dass er sich auch im Hinblick auf die Tatbeiträge weiterer Personen um Aufklärung bemühte, als er am 09.10.2024 vor der Zulassung der Anklage gegenüber der Steuerfahndung und der Staatsanwaltschaft aussagte. Die Kammer konnte die Aussage des Angeklagten K. zwar nicht als Aufklärungshilfe im Sinne von § 46b Abs. 1 StGB werten, denn er ließ sich erst zu einem Zeitpunkt ein, zu dem die Ermittlungen von Steuerfahndung und Staatsanwaltschaft im Hinblick auf mögliche Tatbeiträge die Mitarbeiter der C. und der A. weitgehend abgeschlossen waren. Seine Aussagen bestätigten allerdings das von der Steuerfahndung ermittelte Ergebnis und waren damit jedenfalls zugunsten des Angeklagten zu berücksichtigen, wenn auch nicht als wesentlicher Aufklärungsbeitrag.
- Der Angeklagte hat sich in erheblichem Ausmaß um Schadenswiedergutmachung bemüht und dabei auch bisher nicht gepfändetes Vermögen in Höhe von 301.748,04 zu Verfügung gestellt.
- Das Erfolgsunrecht des Falls 2 ist in vollem Umfang durch die C. ausgeglichen worden, ohne dass der Angeklagte hieran indes mitwirkt
- Neben dem Ermittlungsverfahren ist der Angeklagten weiteren steuer- und zivilrechtlichen Gerichtsverfahren im Zusammenhang mit den gegenständlichen Taten ausgesetzt.
- Der Angeklagte hat in Relation zum verursachten Steuerschaden persönlich zu einem vergleichsweise geringen Anteil profitiert.
- Der Angeklagte ist aufgrund seines Alters von 71 Jahren und den hiermit einhergehenden typischen altersbedingten gesundheitlichen Beschwerden und des Umstands, dass er keinerlei Hafterfahrung hat, besonders straf- und haftempfindlich.
- Die Taten liegen deutlich über 10 Jahre zurück.
- Das Ermittlungs- und Strafverfahren läuft bereits seit 2013, wobei zu berücksichtigen ist, dass die Ermittlungen aufgrund der Komplexität sehr aufwändig waren und die Steuerfahndung Pionierarbeit leisten musste.
- Der Angeklagte war und ist durch die Länge des Ermittlungsverfahrens psychisch stark belastet. Ersichtlich leidet er – nach einer beeindruckenden Karriere in der Finanzwelt – unter der Verurteilung durch Medien und die Allgemeinheit und empfindet diese als tiefen moralischen Fall.
247
Zu Lasten des Angeklagten hat die Kammer jeweils für sich sowie zur Beurteilung des Eintritts der Regelwirkung in einer Gesamtschau – insoweit auch mit den vorgenannten für ihn sprechenden Umständen – folgende Gesichtspunkte berücksichtigt:
- Das Vorgehen des Angeklagten war in beiden Fällen von ganz erheblicher krimineller Energie geprägt, die in einer präzisen, über Landesgrenzen hinweg perfekt ineinander greifenden Organisation ihren Ausdruck fand. Damit handelt es sich bei einer Gesamtwürdigung des Tatbilds um eine besonders schwerwiegende Form der Wirtschaftskriminalität.
- Der Angeklagte nutzte im Jahr 2009 als einer der Vorstände des B-Verbandes seinen Zugang zum BMF für eigene Zwecke. Die Kammer verkennt nicht, dass sein Vorgehen dadurch begünstigt worden war, dass der Gesetzgeber trotz Problembewusstseins die erkannten Lücken nicht effektiv geschlossen hatte und dass auf Seiten der Finanzverwaltung – angesichts der Komplexität des Sachverhalts – ein derartiges Problembewusstsein vielfach gar nicht vorhanden war.
- Der zu Unrecht erlangte und tatsächlich eingetretene Steuerschaden ist – auch im Vergleich zu anderen der Kammer bekannten Fällen aus dem Kosmos „Cum-Ex“ – sowohl bei Fall 1 als auch bei Fall 2 immens.
248
Bei einer Gesamtschau der vorgenannten Umstände überwiegen die zu Gunsten des Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte nicht dergestalt, dass ausnahmsweise von der Anwendung des Strafrahmens des § 370 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Satz 2 Nr. 1 AO abzusehen wäre.
2. Konkrete Strafzumessung
249
Zur konkreten Strafzumessung hat die Kammer nochmals die oben im Zusammenhang mit der Strafrahmenwahl dargestellten, für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände berücksichtigt und gegeneinander abgewogen.
250
Da die Strafzumessungsgründe für beide Fälle zu einem großen Teil identisch sind, hat die Kammer sich bei der Bemessung der Strafen für die einzelnen Fälle zur Differenzierung insbesondere an der Höhe der jeweils verursachten Steuerschäden orientiert. Denn bei der Zumessung einer Strafe wegen Steuerhinterziehung hat das von § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB vorgegebene Kriterium „verschuldete Auswirkungen der Tat“ im Rahmen der erforderlichen Gesamtwürdigung besonderes Gewicht. „Auswirkungen der Tat“ sind insbesondere die Folgen für das durch die Strafnorm geschützte Rechtsgut. Das durch § 370 AO geschützte Rechtsgut ist die Sicherung des staatlichen Steueranspruchs, d.h. des rechtzeitigen und vollständigen Steueraufkommens. Deshalb ist die Höhe der verkürzten Steuern ein bestimmender und für die Abgrenzung der einzelnen Strafen zueinander tauglicher Strafzumessungsumstand (BGH, Urteil vom 25. April 2017 – 1 StR 606/16 –, Rn. 16, juris m.w.N.). Dies gilt nicht nur für die Strafrahmenwahl (vgl. § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO), sondern auch für die Strafzumessung innerhalb des vom Tatgericht zugrunde gelegten Strafrahmens. Dass der Hinterziehungsbetrag dann, wenn er hoch ist, ein auch für die konkrete Strafzumessung wichtiger Strafschärfungsgrund ist, zeigt insbesondere die gesetzgeberische Wertung in § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO zur Hinterziehung in großem Ausmaß als Regelbeispiel eines besonders schweren Falls der Steuerhinterziehung. Das Merkmal in großem Ausmaß ist bereits erfüllt, wenn der Hinterziehungsbetrag 50.000 Euro übersteigt. Deshalb kommt bei Hinterziehungsbeträgen in Millionenhöhe eine aussetzungsfähige Freiheitsstrafe nur bei Vorliegen besonders gewichtiger Milderungsgründe noch in Betracht (BGH, a.a.O, Rn. 17, juris).
251
Ausgehend von einem Steuerschaden im Jahr 2009 in Höhe von 123.777.522 Euro hat die Kammer für Fall 1 eine
Einzelstrafe von 3 Jahren 3 Monaten
als tat- und schuldangemessen erachtet.
252
Angesichts eines Steuerschadens in Höhe von 219.783.441,98 Euro im Jahre 2010 hat die Kammer für Fall 2 eine
Einzelstrafe von 4 Jahren 3 Monaten
als tat- und schuldangemessen erachtet.
253
Soweit die Kammer offengelassen hat, ob der Angeklagte in Mittäterschaft handelte, weil weitere beteiligte Dritte in Person der Mitarbeiter der Depotbank, die die eigentliche Tathandlung vornahmen, entsprechend einem gemeinsamen Tatplan vorsätzlich handelten, oder ob der Angeklagte, weil diese ihre objektiven Beiträge allenfalls fahrlässig erbrachten, insoweit als mittelbarer Täter agierte, ist sie im Rahmen der Strafzumessung von der für den Angeklagten günstigeren Möglichkeit einer Mittäterschaft ausgegangen. Die Kammer misst dieser Begehungsweise hier einen geringeren Schuldgehalt bei.
3. Gesamtstrafe
254
Die festgesetzten Einzelstrafen waren gemäß §§ 53 Abs. 1, 54 StGB unter Erhöhung der Einsatzstrafe von 4 Jahren 3 Monaten innerhalb des zur Verfügung stehenden Gesamtstrafrahmens auf eine Gesamtfreiheitsstrafe zurückzuführen. Hierzu hat die Kammer erneut alle oben angeführten, für und gegen den Angeklagten sprechenden Strafzumessungsgesichtspunkte, die bereits für die Strafrahmenwahl und für die Bildung der Einzelstrafen bestimmend waren, gegeneinander abgewogen und darüber hinaus das Verhältnis der einzelnen Taten zueinander berücksichtigt. Hierbei hat sie dem Umstand Rechnung getragen, dass beide Taten in einem sachlichen, zeitlichen und situativen Zusammenhang stehen, weil sie auf Grundlage des gleichen Geschäftsmodelles begangen wurden. Auch bei Berücksichtigung des in der Gesamtsumme ganz erheblichen Steuerschadens von mehr als 343 Millionen Euro und des nicht unerheblichen persönlichen Profits des Angeklagten erschien es angesichts des übergreifenden Gesamtzusammenhanges angezeigt, die Einsatzstrafe lediglich maßvoll zu erhöhen. Unter erneuter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Angeklagte nicht vorbestraft ist, die Taten längere Zeit zurück liegen, das Ermittlungs- und Strafverfahren lange andauerte und der Angeklagte altersbedingt in besonderem Maß strafempfindlich ist einerseits, sowie des exorbitanten Steuerschadens andererseits, hat die Kammer eine
Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren und 3 Monaten
für tat- und schuldangemessen erachtet.
255
Sie hat hierbei auch und insbesondere die Wirkungen beachtet, die von der künftigen Vollziehung der Strafe ausgehen und war bemüht, dem Angeklagten mit der Höhe der Strafe auch eine nicht nur theoretische Aussicht auf eine Wiedererlangung der Freiheit zu Lebzeiten zu eröffnen.
II. Angeklagter U.
1. Strafrahmen des § 370 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 S.1 Nr. 1 AO
256
Die zu verhängende Einzelstrafe hat die Kammer dem erhöhten Strafrahmen des § 370 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AO entnommen.
257
In Fall 1 betrug der vom Angeklagten U. gemeinsam mit den Mittätern hinterzogene Betrag 123.777.522 Euro. Der Tatlohn des Angeklagten U. betrug 74.480 Euro.
258
In Fall 2 betrug der Hinterziehungsbetrag 219.783.441,98 Euro. Persönlich kam ihm ein Betrag von 7.730.727,74 Euro zugute.
259
Anlass, ausnahmsweise von der Regelwirkung abzusehen und auf den Strafrahmen des § 370 Abs. 1 AO zurückzugreifen, bestand auch im Hinblick auf den Angeklagten U. nicht. Die indizielle Bedeutung des verwirklichten Regelbeispiels wurde hinsichtlich der festgestellten Tat nicht durch die nachfolgend im Einzelnen ausgeführten Strafzumessungsfaktoren kompensiert. Im Tun oder in der Person des Angeklagten lagen jeweils keine Umstände vor, die das Unrecht seiner Tat oder seine Schuld so deutlich vom Regelfall abheben würden, dass die Anwendung des erschwerten Strafrahmens unangemessen erschiene.
260
Zu Gunsten des Angeklagten U. hat die Kammer jeweils für sich sowie zur Beurteilung der Regelwirkung in einer Gesamtschau – insoweit auch mit den nachstehend genannten, gegen ihn sprechenden Umständen – folgende Gesichtspunkte berücksichtigt:
- Der Anklagte ist nicht vorbestraft.
- Der Angeklagte hat die objektiven Tatumstände vollumfänglich und umfassend eingeräumt. In subjektiver Hinsicht hat er für den Zeitraum vor März 2009 zumindest bedingten Vorsatz, für die späteren Zeiträume auch direkten Vorsatz eingeräumt. Sein Geständnis war von ehrlicher Reue und Einsicht getragen.
- Sein umfangreiches Geständnis und sein Verhalten in der Verhandlung haben die Hauptverhandlung erheblich verkürzt. Insgesamt war sein Verhalten während der Hauptverhandlung konstruktiv und um umfängliche Aufklärung bemüht.
- Der Angeklagte, der im Jahr 2017 Immobiliarvermögen und weitere Vermögenswerte auf seine Ehefrau übertragen hatte, hat sich um Schadenswiedergutmachung bemüht und dazu beigetragen, dass seine Ehefrau am 06.12.2024 einen Betrag von 287.666 Euro an die Landesjustizkasse überwies.
- Das Erfolgsunrecht des Falls 2 ist in vollem Umfang durch die C. ausgeglichen worden, ohne dass der Angeklagte hieran indes mitwirkt
- Neben dem Ermittlungsverfahren ist der Angeklagten weiteren steuer- und zivilrechtlichen Gerichtsverfahren im Zusammenhang mit den gegenständlichen Taten ausgesetzt.
- Der Angeklagte hat in Relation zum verursachten Steuerschaden persönlich zu einem vergleichsweise geringen Anteil profitiert.
- Der Angeklagte war an dem Cum-Ex-Geschäft nur in zwei Dividendensaisons beteiligt. Dass die Angeklagten und ihre Mittäter die A. InvAGs nicht auch im Jahr 2011 und in den Folgejahren nutzen, ist maßgeblich auf das Veto des Angeklagten U. zurückzuführen.
- Die Taten liegen deutlich über 10 Jahre zurück:
- Das Ermittlungs- und Strafverfahren läuft bereits seit 2013 wobei zu berücksichtigen ist, dass die Ermittlungen aufgrund der Komplexität sehr aufwändig waren und die Steuerfahndung Pionierarbeit leisten musste.
- Der Angeklagte ist aufgrund seines Gesundheitszustands, der sich im Oktober 2024 in Form eines depressiven-suizidalen Syndroms äußerte, und aufgrund des Umstands, dass er keinerlei Hafterfahrung hat, besonders straf- und haftempfindlich.
- Der Angeklagte war und ist durch die Länge des Ermittlungsverfahrens psychisch stark belastet. Nach der beeindruckenden Karriere in der Finanzwelt leidet auch der Angeklagte U. unter dem finanziellen und sozialen Abstieg.
- Auch die Ehe des Angeklagten war durch das Ermittlungsverfahren starken Belastungen ausgesetzt. Der Angeklagte ist zudem Vater zweier unterhaltsberechtigter Kinder.
261
Zu Lasten des Angeklagten hat die Kammer jeweils für sich sowie zur Beurteilung des Eintritts der Regelwirkung in einer Gesamtschau – insoweit auch mit den vorgenannten für ihn sprechenden Umständen – folgende Gesichtspunkte berücksichtigt:
- Das Vorgehen des Angeklagten war in beiden Fällen von ganz erheblicher krimineller Energie geprägt, die in einer präzisen, über Landesgrenzen hinweg perfekt ineinander greifenden Organisation ihren Ausdruck fand. Damit handelt es sich bei einer Gesamtwürdigung des Tatbilds um eine besonders schwerwiegende Form der Wirtschaftskriminalität.
- Der zu Unrecht erlangte und tatsächlich eingetretene Steuerschaden ist – auch im Vergleich zu anderen der Kammer bekannt Fällen aus dem Kosmos „Cum-Ex“ – sowohl bei Fall 1 als auch bei Fall 2 immens.
262
Bei einer Gesamtschau der vorgenannten Umstände überwiegen die zu Gunsten des Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte nicht dergestalt, dass ausnahmsweise von der Anwendung des Strafrahmens des § 370 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Satz 2 Nr. 1 AO abzusehen wäre.
2. Konkrete Strafzumessung
263
Zur konkreten Strafzumessung hat die Kammer nochmals die oben im Zusammenhang mit der Strafrahmenwahl dargestellten, für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände berücksichtigt und gegeneinander abgewogen.
264
Auch im Hinblick auf den Angeklagten U. hat die Kammer sich bei der Bemessung der Strafen für die einzelnen Fälle zur Differenzierung insbesondere an der Höhe der jeweils verursachten Steuerschäden orientiert.
265
Ausgehend von einem Steuerschaden im Jahr 2009 in Höhe von 123.777.522 Euro hat die Kammer für Fall 1 eine
Einzelstrafe von 3 Jahren 3 Monaten
als tat- und schuldangemessen erachtet.
266
Angesichts eines Steuerschadens in Höhe von 219.783.441,98 Euro im Jahre 2010 hat die Kammer für Fall 2 eine
Einzelstrafe von 4 Jahren 3 Jahre
als tat- und schuldangemessen erachtet.
267
Die Kammer hat demnach in beiden Fällen die gegen den Angeklagten K. verhängten Einzelstrafen auch im Hinblick auf den Angeklagten U. für tat- und schuldangemessen erachtet. Zwar hatte der Angeklagte U. im Außenauftritt der A.-Gesellschaften eine weniger prominente Rolle, was vor allem im Zusammenhang mit dem Engagement des Angeklagten K. gegen das BMF-Schreiben vom 05.05.2009 erkennbar ist. Dies geschah jedoch in Kenntnis und mit Billigung des Angeklagten U., die Angeklagten waren stets gleichberechtigte Partner. Der Tatlohn des Angeklagten U. für die Beteiligung an den Taten entsprach grundsätzlich dem des Angeklagten K.. Zudem hat sich der Angeklagte K. im Verhältnis zum Angeklagten U. mehr um Aufklärungsarbeit im Hinblick auf die Tatbeiträge weiterer Personen bemüht und in weitaus größerem Ausmaß zur Schadenswiedergutmachung beigetragen. Daher ist die Kammer zum Ergebnis gelangt, dass trotz in einzelnen Aspekten unterschiedlicher Intensität der Tatbeiträge in beiden Fällen für beide Angeklagten die gleichen Einzelstrafen angemessen sind.
268
Auch hier gilt, dass, soweit die Kammer offengelassen hat, ob der Angeklagte in Mittäterschaft oder als mittelbarer Täter agierte, sie im Rahmen der Strafzumessung von der für den Angeklagten günstigeren Möglichkeit einer Mittäterschaft ausgegangen ist.
3. Gesamtstrafe
269
Die festgesetzten Einzelstrafen waren gemäß §§ 53 Abs. 1, 54 StGB unter Erhöhung der Einsatzstrafe von 4 Jahren 3 Monaten innerhalb des zur Verfügung stehenden Gesamtstrafrahmens auf eine Gesamtfreiheitsstrafe zurückzuführen. Hierzu hat die Kammer erneut alle oben angeführten, für und gegen den Angeklagten sprechenden Strafzumessungsgesichtspunkte, die bereits für die Strafrahmenwahl und für die Bildung der Einzelstrafen bestimmend waren, gegeneinander abgewogen und darüber hinaus das Verhältnis der einzelnen Taten zueinander berücksichtigt. Hierbei hat sie wiederum den sachlichen und situativen Zusammenhang der Einzeltaten berücksichtigt. Auch in Bezug auf den Angeklagten U. erschien es bei Berücksichtigung des in der Gesamtsumme ganz erheblichen Steuerschadens von mehr als 343 Millionen Euro und des nicht unerheblichen persönlichen Profits des Angeklagten angesichts des übergreifenden Gesamtzusammenhanges angezeigt, die Einsatzstrafe lediglich maßvoll zu erhöhen. Unter erneuter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Angeklagte nicht vorbestraft ist, die Taten längere Zeit zurück liegen, das Ermittlungs- und Strafverfahren lange andauerte und der Angeklagte besonders haftempfindlich ist, hat die Kammer eine
Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren und 3 Monaten
für tat- und schuldangemessen erachtet.
270
Sie hat hierbei auch und insbesondere die Wirkungen beachtet, die von der künftigen Vollziehung der Strafe ausgehen und war bemüht, den mit der Höhe der Strafe auch den persönlichen und familiären Auswirkungen auf den Angeklagten Rechnung zu tragen.
H. Rechtstaatswidrige Verfahrensverzögerung
271
Die Kammer geht von einer rechtstaatswidrigen Verfahrensverzögerung von 2,5 Jahren aus. Das Ermittlungsverfahren wurde am 29.04.2013 eingeleitet und den Angeklagten erstmals bei der Durchsuchung am 06.05.2014 bekanntgegeben. Die Ermittlungen waren aufgrund des tatsächlichen und rechtlichen Sachverhalts mit Auslandsberührung und der Vielzahl der beteiligten Akteure sehr aufwändig und komplex. Der strafrechtliche Ermittlungsbericht der Steuerfahndung über die Aktiengeschäfte der A. Cum/Ex-Fonds datiert auf den 03.03.2020. Die Anklageschrift datiert auf den 31.10.2023. Zwar waren Steuerfahndung und Staatsanwaltschaft in diesem Zeitraum nicht untätig, jedoch war – zumindest im Hinblick auf hier streitgegenständlichen Tatvorwürfe betreffend die Angeklagten – keine wesentliche Förderung des Verfahrens festzustellen.
272
Angesichts der Komplexität des Sachverhalts ist der Staatsanwaltschaft zur Einarbeitung wie auch zur Erstellung der Anklageschrift ca. ein Jahr Bearbeitungszeit zuzugestehen, wobei sich die Kammer an der eigenen Vorbereitungszeit für das Verfahren orientierte. Damit war von einem Zeitraum von 2,5 Jahren als Verfahrensverzögerung auszugehen.
273
Für die Angeklagten war das Andauern des schwebenden Verfahrens im Hinblick auf ihre berufliche und persönliche Situation in besonderem Maße belastend. Auf Grund der Schwere des Tatvorwurfs mussten sie mit der Möglichkeit einer Verurteilung zu einer empfindlichen Haftstrafe rechnen. Angesichts des Umfangs der staatlich zu verantwortenden Verzögerung, des (nach der Überzeugung der Kammer auf infolge von Personalknappheit übermäßiger Belastung beruhenden) Fehlverhaltens der Strafverfolgungsorgane sowie der konkreten Auswirkungen all dessen auf die Angeklagten waren zur Kompensation 6 Monate der gegen die Angeklagten verhängten Freiheitsstrafe als vollstreckt zu erklären.
I. Einziehung
I. Einziehungsentscheidung für den Tatzeitraum 2009
1. Tatlohn der Angeklagten
274
Den „Anlagegewinn“ aus ihrer Zeichnung von Anlageaktien des TGV A. I haben die Angeklagten „für die Tat erlangt“ (§ 73 Abs. 1 2. Alt StGB), denn dabei handelte es sich um Vorteile, die den Angeklagten als Gegenleistung für ihr rechtswidriges Handeln gewährt wurden, die jedoch nicht auf der Tatbestandsverwirklichung beruhen.
275
Maßgeblich ist eine rein tatsächliche Betrachtungsweise (BGH, Urteil vom 18.09.2024, 1 StR 197/24, Rn. 8). Entsprechend der zwischen den Angeklagten und den weiteren Beteiligten getroffenen Vereinbarungen sollten die Angeklagten wie auch die übrigen Investoren eine Rendite von durchschnittlich 18,6% auf den Wert der von ihnen gezeichneten Anlageaktien erhalten. Dabei handelte es sich um eine Gegenleistung dafür, dass die Angeklagten eigene Mittel als Kapital für den Aktienerwerb im großen Stil zur Verfügung stellten, denn nur mithilfe des gehebelten Anlagekapitals war es möglich, mit den verfahrensgegenständlichen Cum-Ex-Geschäften Profite zu generieren. Ob dabei die weiteren Anleger oder deren Vertreter gutgläubig handelten oder die Ermöglichung rechtswidriger Cum-Ex-Geschäfte zumindest billigend in Kauf nahmen, spielt für die Einordnung des „Anlagegewinns“ durch die Angeklagten keine Rolle. Maßgeblich allein ist, dass die Angeklagten neben der tatsächlichen und rechtlichen Ermöglichung des TGVs als Cum-Ex-Vehikel durch Zeichnung der Fondanteile die eigentliche Tatbegehung auch in finanzieller Hinsicht ermöglichten und daher auch Tatlohn erhalten sollten.
276
Dieser Tatlohn stammte aus den Überweisungen der B. und beruhte nicht auf der Tatbestandsverwirklichung der konkreten Tathandlung, denn das BZSt überwies die jeweiligen Erstattungsbeträge an die B. erst, nachdem das TGV A. I bereits seine Gewinne aus den der angeblich entrichteten Kapitalertragsteuer entsprechenden Zahlungen durch die B. erzielt hatte. Die Zahlungen in Höhe der angeblich entrichteten Kapitalertragsteuer flossen dem TGV I mittels Überweisung durch die B. jeweils kurz nach der Hauptversammlung der jeweiligen Aktiengesellschaft, deren Aktien erworben und verkauft wurden, zu. Daher liegt nicht die Einziehungsalternative „durch die Tat“ (§ 73 Abs. 1 1. Alt StGB) vor, denn „durch“ setzt Kausalität voraus: Der abzuschöpfende Tatertrag muss der Tathandlung, hier den zwischen dem 07.05.2009 und 25.06.2009 eingegangenen Erstattungsanträgen, nachfolgen (vgl. BGH, Urteil vom 16. April 2024 – 1 StR 204/23 Rn. 14 mwN). Anhand dreier Beispiele, nämlich der ersten im Tatzeitraum 2009 gehandelte Aktiengattung „Douglas“ und den letzten im Tatzeitraum gehandelten Aktiengattungen „Rhön-Klinikum“ und „Stada“ soll der zeitliche Ablauf wie folgt dargestellt werden:

WKN

Hauptversammlung

Zahltag

Antragsdatum

Bescheiddatum

Douglas

6099005

18.03.2009

19.03.2009

23.03.2009

02.04.2009

Rhön-Klinikum

7042301

10.06.2009

11.06.2009

15.06.2009

25.06.2009

Stada

7251803

10.06.2009

11.06.2009

25.06.2009

09.07.2009

277
Das TGV erlangte die den Gewinnen aus den Cum-Ex-Geschäften zugrunde liegenden Zahlungen der B. demnach zu einem Zeitpunkt, als die B. noch nicht unmittelbar zur Stellung des Erstattungsantrags angesetzt hatte. Die Zahlungen der BZSt flossen erst zu einem späteren Zeitpunkt an die B. und eine Weiterleitung der gezahlten Erstattungsbeträge erfolgte nicht. Dass die Vorauszahlungen später durch die Erträge aus den zu den Erstattungszahlungen des BZSt an die B. führenden einzelnen falschen Erklärungen refinanziert wurden, bleibt aufgrund der die Abschöpfung prägende tatsächliche Betrachtungsweise außer Betracht. Allein der tatsächliche Zahlungsfluss ist maßgeblich, die Zuflüsse sind in diesem Sinne nicht in finanzieller Hinsicht zu werten (BGH, a.a.O.).
278
Dass der Zahlung des Tatlohns an die Angeklagten aus dem Vermögenszuwachs des TGVs die Zeichnung der Anlageaktien als Rechtsgrund zugrunde liegt, hindert die Einziehung nicht, denn der Erwerb der Anlageaktien durch die Angeklagten war ein weiterer Beitrag der Angeklagten zum Gelingen des gemeinsamen Projekts „Cum-Ex“.
279
Der Tatlohn des Angeklagten K. in Höhe von 204.820 Euro war gemäß §§ 73 Abs. 1, 2. Alt., 73c S. 1 StGB einzuziehen. Bei Rückgabe der am 05./06.03.2009 gezeichneten 11.000 Anlageaktien im Wert von 1.000.000 Euro wurde dem Angeklagten K. aus den vom TGV vereinnahmten Geldern ein Betrag von 1.304.820 Euro zurückgezahlt. Entsprechend der zwischen den Beteiligten getroffenen Vereinbarung erhielt der Angeklagte K. Tatlohn in Form des „Anlagegewinns“ in Höhe von 204.820 Euro, was einer Rendite von 18,6% entspricht.
280
Der Tatlohn des Angeklagten U. in Höhe von 74.480 Euro war gemäß §§ 73 Abs. 1 2. Alt., 73c S. 1 StGB einzuziehen. Bei Rückgabe der am 09.03.2009 gezeichneten 4.000 Anlageaktien im Wert von 400.000 Euro wurde dem Angeklagten K. ein Betrag von 474.480 Euro zurückgezahlt. Entsprechend der zwischen den Beteiligten getroffenen Vereinbarung erhielt der Angeklagte U.. Tatlohn in Form des Anlagegewinns von 74.480 Euro, was einer Rendite von 18,6% entspricht.
2. Keine Einziehung bei der A. GmbH
281
Durch die Überweisung des der A. zustehenden Beuteanteils von 10.000.000 Euro an die A. GmbH trat eine Vermögensmehrung ausschließlich bei dieser ein, auch wenn die Angeklagten als Geschäftsführer-Gesellschafter aufgrund ihrer Stellung legale Zugriffsmöglichkeiten auf das Vermögen der A. GmbH hatten. Durch Beschluss des Amtsgerichts München, Az. …, vom 15.09.2020 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der A. GmbH eröffnet. Die Staatsanwaltschaft hat von der Einziehung von Taterträgen bei der A. gemäß Verfügung vom 31.10.2023 abgesehen, weil das Verfahren, soweit es die Einziehung betrifft, einen unangemessenen Aufwand erfordern oder die Herbeiführung der Entscheidung über die anderen Rechtsfolgen der Tat unangemessen erschweren würde.
II. Einziehungsentscheidung für den Tatzeitraum 2010
1. Tatlohn aus dem Pre-Trading
282
Für den Zeitraum 2010 ist den Angeklagten in den Folgejahren ein Geldbetrag von jeweils 7.671.577,74 Euro zugeflossen. Diesen Betrag haben die Angeklagten jeweils „für die Tat erlangt“ (§ 73 Abs. 1 2. Alt StGB). Die Angeklagten, die Herren Dr. B. und Dr. S. sowie die übrigen Beteiligten waren sich einig, dass der Tatlohn der Angeklagten und der Herren Dr. B./Dr. S. durch entsprechende Gestaltung der Absicherungsgeschäfte über die Portfoliomanager fließen und für die Angeklagten und Dr. B./Dr. S. an die O. weitergeleitet werden sollte. Dieser Tatlohn wurde durch die C. vorfinanziert. Die Zahlungen in Höhe der angeblich entrichteten Kapitalertragsteuer flossen dem TGVen jeweils kurz nach der Hauptversammlung der jeweiligen Aktiengesellschaft, deren Aktien erworben und verkauft wurden, zu, bevor die C. ihre KESt-Anmeldungen beim Finanzamt einreichte. Daher liegt nicht die Einziehungsalternative „durch die Tat“ (§ 73 Abs. 1 1. Alt StGB) vor, denn „durch“ setzt Kausalität voraus. Die TGV erlangte die den Gewinnen aus den Cum-Ex-Geschäften zugrunde liegenden Zahlungen der C. demnach zu einem Zeitpunkt, als die C. noch nicht unmittelbar zur Stellung der Steueranmeldungen angesetzt hatte. Die Zahlungen des Finanzamts flossen erst zu einem späteren Zeitpunkt an die C.. Dass eventuelle spätere Refinanzierung durch die Erträge aus den zu den Auszahlungen des Finanzamts an die C., bleibt außer Betracht. Allein der tatsächliche Zahlungsfluss ist maßgeblich, die Zuflüsse sind in diesem Sinne nicht in finanzieller Hinsicht zu werten (BGH, a.a.O.).
283
Die Angeklagte haben die Geldflüsse an sich der Höhe nach eingeräumt. In Bezug auf die Zahlung an den Trust der Angeklagten von insgesamt 6.343.155,48 Euro ist der für den Erwerb der Genussrechte aufgewendete Betrag nicht abzuziehen, so dass für jeden Angeklagten ein Zufluss von 3.171.577,74 Euro bei der Einziehung zu berücksichtigen war.
284
Nach der Überzeugung der Kammer hatten sie auch die faktische Verfügungsgewalt über den Betrag, den Herr Dr. S. für sie als Treuhänder hielt. Auf Anweisung der Angeklagten – so der Zeuge Dr. S. – floss der Betrag von insgesamt neun Millionen Euro im Jahr 2014 in ein Hotelprojekt in der Türkei. Mithin war hier für jeden Angeklagten ein Betrag von 4.500.000 Euro zu berücksichtigen.
285
Der Tatlohn des Angeklagten K. in Höhe von 7.671.577,74 Euro war gemäß §§ 73 Abs. 1, 2. Alt., 73c S. 1 StGB einzuziehen.
286
Der Tatlohn des Angeklagten U. in Höhe von 7.671.577,74 Euro war gemäß §§ 73 Abs. 1, 2. Alt., 73c S. 1 StGB einzuziehen.
2. Tatlohn des Angeklagten U. aus der Anlage in das TGV A. M. II
287
Außerdem hat der Angeklagte U. durch Zeichnung von 5.000 Anlageaktien einen daraus resultierenden Ertrag von 59.150 Euro „für die Tat verlangt“. Zur Begründung wird auf die Ausführungen unter Ziff. I. I. 1. verwiesen.
3. Anrechnung der Zahlung der Ehefrau des Angeklagten U..
288
Die Zahlung der Ehefrau des Angeklagten U. 06.12.2024 in Höhe eines Abzugsbetrags von 287.666 Euro ist auf den Einziehungsanspruch des Staates gegen den Angeklagten U. anzurechnen.
4. Zusammenfassung
289
Insgesamt ergaben sich damit für die beiden Angeklagten folgende Einziehungsbeträge:

K.

U..

2009

Anlage im Fonds

Gewinn

204.820 €

74.480 €

2010

Zahlung an Trust

Bruttozufluss

3.171.577,74 €

3.171.577,74 €

Anlage in Fonds

Gewinn

59.150 €

2014 (für 2010)

Über S. in Hotelprojekt Türkei

4.500.000,00 €

4.500.000,00 €

Zahlung S.-U.

- 287.666 €

Einziehungsbetrag

7.876.397,74 €

7.517.541,74 €

J. Kosten
290
Gemäß §§ 464, 465 StPO haben die Angeklagten die Kosten des Verfahrens und ihre notwendigen Auslagen zu tragen.