Titel:
Berufungsbeklagter, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Sittenwidrigkeit des Vertrages, Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, Unterschriftsleistung, Kostenentscheidung, Rechtsmittel, Gegenerklärung, Aussicht auf Erfolg, Streitwert, Kosten des Berufungsverfahrens, Vertragsschluss, Ausnutzung einer Zwangslage, Sicherheitsleistung, Subjektive Voraussetzungen, Zurückweisung, Entscheidung des Berufungsgerichts, mündlich Verhandlung, Fortbildung des Rechts, Hinweisbeschluss
Schlagworte:
Berufungszurückweisung, Sittenwidrigkeit, Vertragsnichtigkeit, Ausbeutung, Coaching-Vertrag, Esoterik-Leistungen, Zwangslage
Vorinstanzen:
OLG München, Hinweisbeschluss vom 24.10.2024 – 24 U 2679/24 e
LG Memmingen, Endurteil vom 27.06.2024 – 22 O 27/24
Fundstelle:
BeckRS 2024, 49306
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Memmingen vom 27.06.2024, Aktenzeichen 22 O 27/24, wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Memmingen ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 5.915,00 € festgesetzt.
Gründe
1
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Memmingen vom 27.06.2024, Aktenzeichen 22 O 27/24, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2
Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats vom 24.10.2024 Bezug genommen. Die Gegenerklärung der Beklagten vom 02.12.2024 (Bl. 28 ff. d. A.) rechtfertigt keine andere Beurteilung als im Hinweis dargelegt. Der nochmals erhobene Vorwurf einer Sittenwidrigkeit des zu Grunde liegenden Vertrags kann der Berufung nicht zum Erfolg verhelfen.
3
Anhaltspunkte für eine Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 2 BGB sieht der Senat auch weiterhin nicht. Unabhängig von den objektiven Voraussetzungen eines auffälligen Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung mangelt es im vorliegenden Fall schon an den zusätzlich erforderlichen subjektiven Voraussetzungen der Ausbeutung einer beim anderen Teil bestehenden Schwächeposition (vgl. Grüneberg, BGB, 83. Auflage 2024, § 138 Rn. 69 ff.). Dabei verkennt der Senat nicht – wie im Hinweisbeschluss bereits ausgeführt – dass an die Anforderungen an einen Verstoß gegen die guten Sitten keine allzu hohen Anforderungen gestellt werden dürfen. Die nähere Beleuchtung des Ablaufes des Vertragsschlusses und der Sitzung vom 12.10.2020 in der Gegenerklärung liefert keine ausreichenden Nachweise für das Vorliegen einer Überrumpelungssituation, Ausnutzen der Leichtgläubigkeit oder gar Persönlichkeitsstörung der Beklagten.
4
Dies schließt der Senat insbesondere aus folgenden Umständen:
- Die Kontaktaufnahme der Beklagten mit der Klägerin erfolgte im Rahmen einer Esoterik-Messe, auf der erfahrungsgemäß auch Leistungen gegen Entgelt angeboten werden, deren Grundlagen und Wirkungen nach den Erkenntnissen der Wissenschaft und Technik nicht erweislich sind, sondern nur einer inneren Überzeugung, einem dahingehenden Glauben oder einer irrationalen, für Dritte nicht nachvollziehbaren Haltung, entsprechen. Dabei oblag es der freien Entscheidung der Beklagten, den Stand der Klägerin aufzusuchen und insbesondere sehr persönliche Informationen preis zu geben.
- Die Beklagte war selbst im Coaching-Bereich tätig und aufgrund dessen in der Lage, die Aussagen der Klägerin zu den Chakren der Beklagten einzuschätzen. Obwohl der Beklagten die Aussagen der Klägerin auf der Messe „absurd“ erschienen waren, war sie es, die eine weitere Kontaktaufnahme mit der Klägerin initiierte, indem sie nochmals über das Gespräch dort nachdachte und die Klägerin anrief.
- Obwohl sich die Beklagte weitere Aufklärung und Informationen wünschte, vereinbarte sie mit der Klägerin abends einen Termin in deren Praxis in … .
- Obwohl es der Beklagten „sehr ungewöhnlich“ vorkam, die Klägerin in … abzuholen und nach … zu fahren, kam sie dieser Bitte nach. Trotz ihrer Schwierigkeiten, während der Autofahrt wegen der Konzentration auf den Verkehr dem Gespräch genügend folgen zu können, führte die Beklagte ein solches mit der Klägerin.
- Obwohl die Klägerin die noch offen stehenden Fragen der Beklagten nicht beantwortete und ihr „das Gebaren der Berufungsbeklagten ausgesprochen seltsam“ vorkam, unterschrieb die Beklagte den streitgegenständlichen Vertrag. Trotz der Tatsache, dass sie aufgrund ihrer damals bestehenden finanziellen Situation nicht in der Lage war, das im Vertrag ausgewiesene Entgelt zu bezahlen, leistete sie eine Anzahlung von 500 €, kaufte einen Schutzstern für 170 € und wollte den Restbetrag in Raten begleichen. Dabei gab die Beklagte selbst an, dass es bei ihr vor dem ersten Coachingtermin und vor einem Vertragsabschluss üblich sei, ein kostenloses und unverbindliches, mindestens einstündiges ausführliches Erstgespräch zu führen. Eine angemessene Bedenkzeit und eine erneute Terminvereinbarung zur Unterschriftsleistung forderte die Beklagte aber trotzdem nicht.
- Weshalb die Unterschrift des Vertrags für die Beklagte die einzige Möglichkeit war, der „für sie ausgesprochen belastenden Situation zu entkommen“, hält der Senat für nicht nachvollziehbar, da sie doch mit ihrem eigenen Fahrzeug zur Klägerin gefahren war.
- Ebenso erschließt sich nicht, weshalb die Beklagte, „die größte Schwierigkeiten [hatte], ihre Empfindungen wahrzunehmen und zu formulieren, da sie die von der Berufungsbeklagten während der sogenannten Behandlung getätigten Aussagen nicht ansprachen“, nach der „Session“ sich etwas zusammenreimte und trotzdem etwas aufschrieb.
- Obwohl die von der Klägerin getätigten Aussagen die Beklagte nicht ansprachen, sondern diese sogar „ausgesprochen seltsam fand“, „keinerlei Vertrauen mehr in die Seriosität der Berufungsbeklagten“ und „immer wieder das ausgesprochen unangenehme Empfinden [hatte], sich aufgrund der Ausgestaltung des Raumes in einer „Räuberhöhle“ zu befinden“, stimmte sie weiteren kostenpflichtigen „Sessionen“ zu.
5
Insgesamt ist aufgrund der Würdigung sämtlicher Umstände die Ausnutzung einer Zwangslage, Unerfahrenheit oder mangelndes Urteilsvermögen, was Voraussetzung für eine Nichtigkeit des Vertrages wäre, nicht gegeben.
6
Für die Wirksamkeit des Vertrages ist auch nicht entscheidend, ob die Beklagte bei dem Termin am 12.10.2020 eine Kopie des Vertrags oder eine Rechnung erhielt. Die Unterschriftsleistung an sich ist unstreitig.
7
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
8
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß § 708 Nr. 10, § 713 ZPO.
9
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.