Titel:
Verlängerung einer Baugenehmigung, Einfügen in die nähere Umgebung (verneint)
Normenketten:
BayBO Art. 69 Abs. 2
BauGB § 34 Abs. 1
Schlagworte:
Verlängerung einer Baugenehmigung, Einfügen in die nähere Umgebung (verneint)
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 31.07.2025 – 1 ZB 24.1908
Fundstelle:
BeckRS 2024, 49062
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Der Kläger begehrt die Verlängerung einer Baugenehmigung.
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Mit Bescheid der Beklagten vom 11. Dezember 2003 wurde dem Kläger eine Baugenehmigung zum Neubau eines … mit Tiefgarage auf dem Grundstück mit der Fl.Nr. 1589/2, Gemarkung … erteilt. Mit Bescheiden der Beklagten vom 8. November 2007, 4. November 2009, 23. November 2011, 25. Juni 2014, 19. November 2015, 20.November 2017 und 21. November 2019 wurde die Baugenehmigung jeweils, zuletzt bis 11. Dezember 2021, verlängert.
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Mit am 2. September 2021 bei der Beklagten eingegangenem Schreiben beantragte der Kläger eine erneute Verlängerung der ihm erteilten Baugenehmigung. Dies wurde mit Bescheid der Beklagten vom 10. Dezember 2021 abgelehnt. In den Gründen des Bescheides heißt es, das Bauvorhaben sei zwar nach Art und Maß baulicher Nutzung bauplanungsrechtlich zulässig. Allerdings hätten sich seit dem Erlass der Baugenehmigung die bauordnungsrechtlichen Vorschriften geändert und es liege kein prüffähiger Nachweis über den vorbeugenden Brandschutz vor, der die Rechtsänderungen in der BayBO berücksichtige.
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Der Kläger hat mit am … Dezember 2021 beim Bayerischen Verwaltungsgericht München eingegangenem Schriftsatz Klage erhoben.
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Er ist der Auffassung, eine mehrfache Verlängerung einer Baugenehmigung sei zulässig. Neue Bauvorlagen seien dabei nicht erforderlich. Es sei nicht ersichtlich, dass und in welcher Hinsicht sich die Genehmigungsfähigkeit seines Bauvorhabens geändert haben solle. Die Verweigerung der Verlängerung sei willkürlich erfolgt. Im Rahmen der ersten fünf Verlängerungen seit Einführung des vorbeugenden Brandschutzes in Art. 12 BayBO sei eine Prüfung gänzlich unterblieben. Erst im Rahmen der Genehmigungsverlängerung vom 21. November 2019 sei eine Berücksichtigung dergestalt erfolgt, dass eine Bescheinigung Brandschutz I eines Prüfsachverständigen für Brandschutz erst nach Genehmigungserteilung, aber vor Baubeginn verlangt worden sei. Hieraus folge, dass die Beklagte ohne tatsächliche Änderung ihrer Verwaltungspraxis eine willkürlich andere Beurteilung hinsichtlich Art. 12 BayBO unternommen habe, um die beantragte Verlängerung zu versagen.
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den Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 10. Dezember 2021 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Baugenehmigung vom 11. Dezember 2003 um zwei Jahre zu verlängern.
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Die Beklagte beantragt,
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Zur Begründung trägt sie vor, es sei bereits zweifelhaft, ob eine Baugenehmigung überhaupt mehrfach verlängert werden könne. Jedenfalls gälten für die Verlängerung einer Baugenehmigung aber die gleichen materiellen Anforderungen wie für ihre erstmalige Erteilung. Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO sehe kein Ermessen vor, weshalb sich die Beklagte durch eine etwaige Verwaltungspraxis nicht habe binden können. Im Übrigen bestehe aufgrund der zwischenzeitlich gewährten Verlängerungen kein Vertrauensschutz, unabhängig davon, ob sich die Sach- und Rechtslage geändert habe oder nicht. Der Kläger trage vielmehr das Risiko der Änderung nicht nur der Sach- und Rechtslage, sondern auch der Rechtsansicht oder Verwaltungspraxis der Baugenehmigungsbehörde. Schließlich bestünden auch erhebliche Zweifel daran, dass der Standsicherheitsnachweis aus dem Jahr 2003 noch den aktuellen Vorschriften entspreche. Auch sei fraglich, ob sich das Vorhaben nach 20 Jahren noch in die Umgebungsbebauung einfüge. Einer Verlängerung der Baugenehmigung stünde auch entgegen, dass inzwischen zusätzlich erforderliche Stellplätze für Fahrräder und Lademöglichkeiten nach der Satzung der Beklagten über die Herstellung und Ablösung von Stellplätzen für Kraftfahrzeuge und Abstellplätzen für Fahrräder vom 16. Mai 2022 nicht nachgewiesen seien.
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Das Gericht hat am 24. Juli 2024 über die örtlichen Verhältnisse auf dem Baugrundstück sowie in dessen Umgebung Beweis durch Einnahme eines Augenscheines erhoben. Hinsichtlich der Einzelheiten dieses Augenscheins und der mündlichen Verhandlung vom 24. Juli 2024, in der die Beteiligten ihre Anträge stellten, wird auf das Protokoll verwiesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten sowie auf die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig, bleibt in der Sache aber ohne Erfolg.
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Der Kläger hat keinen Anspruch auf Verlängerung seiner ihm am 11. Dezember 2003 erteilten Baugenehmigung. Der dies ablehnende Bescheid der Beklagten ist mit anderen Worten rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO).
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Ein Anspruch auf Verlängerung einer Baugenehmigung nach Art. 69 Abs. 2 BayBO besteht unter denselben Voraussetzungen, die auch bei der erstmaligen Erteilung einer Baugenehmigung von der Behörde zu überprüfen sind. Die Verlängerung einer Baugenehmigung ist in der Sache nichts anderes als deren Neuerteilung, wenn auch unter erleichterten Verfahrensbedingungen (vgl. Decker in Busse/Kraus, Stand Januar 2024, Art. 69 BayBO, Rn. 75 ff.). Die Baugenehmigungsbehörde hat daher zu prüfen, ob das Vorhaben zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Verlängerungsantrag den öffentlich-rechtlichen Vorschriften entspricht, ohne an die im Genehmigungsbescheid vertretene Rechtsansicht gebunden zu sein. Ein schutzwürdiges Vertrauen des Bauwerbers darauf, die Genehmigung werde verlängert, besteht nicht; der Bauwerber trägt vielmehr das Risiko der Änderung nicht nur der Sach- und Rechtslage, sondern auch der Rechtsansicht oder Verwaltungspraxis der Baugenehmigungsbehörde (vgl. Decker in Busse/Kraus, a.a.O., Rn. 97 m.w.N. zur Rspr.).
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Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens beurteilt sich vorliegend nach § 34 BauGB, weil der Vorhabenstandort im unbeplanten Innenbereich liegt. Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist ein Vorhaben innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils zulässig, wenn es sich hinsichtlich der Art und des Maßes der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt, da sich das Vorhaben nach dem Maß der baulichen Nutzung i.S.d. § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB nicht in die maßgebliche nähere Umgebung einfügt.
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Als „nähere Umgebung“ im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist der das Baugrundstück umgebende Bereich anzusehen, soweit sich die Ausführung des Vorhabens auf ihn auswirken kann und soweit er seinerseits den bodenrechtlichen Charakter des zur Bebauung vorgesehenen Grundstücks prägt oder doch beeinflusst (BVerwG, U.v. 26.5.1978 – IV C 9.77 – juris Rn. 33; B.v. 20.8.1988 – 4 B 79/98 – juris Rn. 7; BayVGH, B.v. 15.2.2017 – 1 CS 16.2396 – juris Rn. 3). Wie weit diese gegenseitige Prägung reicht, ist eine Frage des Einzelfalls (vgl. BVerwG, B.v. 13.5.2014 – 4 B 38/13 – juris Rn. 7). Dabei ist die nähere Umgebung für jedes der Merkmale des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB gesondert zu ermitteln, weil die wechselseitige Prägung unterschiedlich weit reichen kann (vgl. BVerwG, B.v. 6.11.1997 – 4 B 172/97 – juris Rn. 5; BayVGH, U.v. 18.7.2013 – 14 B 11.1238 – juris Rn. 19). Bei einem inmitten eines Wohngebiets gelegenen Vorhaben gelten als Bereich gegenseitiger Prägung hinsichtlich der Nutzungsart in der Regel das Straßengeviert und die gegenüberliegende Straßenseite (vgl. BayVGH, B.v. 10.7.1998 – 2 B 96.2819 – juris). Die Grenzen der prägenden Bebauung sind jedoch nicht schematisch, sondern stets nach der jeweiligen städtebaulichen Situation zu bestimmen (vgl. BVerwG, B.v. 28.8.2003 – 4 B 74.03 – juris Rn. 2). Bei den Kriterien des Nutzungsmaßes und überbaubaren Grundstücksfläche ist der maßgebliche Bereich in der Regel enger zu begrenzen als bei der Nutzungsart (vgl. BVerwG, B.v. 13.5.2014 – 4 B 38.13 – juris Rn. 7; BayVGH, B.v. 16.12.2009 – 1 CS 09.1774 – juris Rn. 21 m.w.N.; U.v. 12.12.2013 – 2 B 13.1995 – juris Rn. 15; B.v. 14.2.2018 – 1 CS 17.2496 – juris Rn. 13), weil die Prägung, die von der für die Bestimmung der überbaubaren Grundstücksfläche maßgeblichen Stellung der Gebäude auf den Grundstücken ausgeht, im Allgemeinen deutlich weniger weit reicht, als die Wirkungen der Art der baulichen Nutzung. Dies kann im Einzelfall dazu führen, dass nur wenige – unter Umständen sogar nur zwei – Grundstücke den maßgeblichen Rahmen bilden (vgl. etwa BayVGH, B.v. 19.12.2006 – 1 ZB 05.1371 – juris Rn. 20).
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Daran gemessen ist hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung der Bereich westlich der V* … …-Straße als maßgebliche nähere Umgebung zu betrachten. Eine Bebauung, die eine mit der Grundfläche des Bauvorhabens von 729,58 m² vergleichbare Grundfläche aufwiese, besteht dort nach dem Ergebnis des gerichtlichen Augenscheins nicht. Überdies sind die dort vorhandenen Reihenhauszeilen zweigeschossig, wohingegen das Bauvorhaben des Klägers mit seinen westlichen und östlichen Bauteilen dreigeschossig wirkt und lediglich dem sich dazwischen befindende Verbindungsbau zweigeschossige Wirkung zukommt.
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Daher fügt sich das streitgegenständige Bauvorhaben bereits nach dem Maß baulicher Nutzung nicht in die Umgebungsbebauung ein und ist daher bauplanungsrechtlich unzulässig. Auf die Frage der Einhaltung von Abstandsflächen, brandschutzrechtliche Anforderungen oder die Anzahl der erforderlichen Stellplätze kommt es nach alledem nicht an.
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Die Klage ist daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.