Titel:
Anspruch auf Differenzschadensersatz wegen Verwendung einer unzulässigen Abschaltvorrichtung
Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2, § 826
EGFGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
Leitsätze:
1. Mit der Inverkehrgabe des Fahrzeugs bringt der Hersteller jedenfalls konkludent zum Ausdruck, dass das Fahrzeug entsprechend seinem objektiven Verwendungszweck im Straßenverkehr eingesetzt werden darf, das heißt über eine uneingeschränkte Betriebserlaubnis verfügt, deren Fortbestand nicht aufgrund bereits bei der Auslieferung des Fahrzeugs dem Hersteller bekannter, konstruktiver Eigenschaften gefährdet ist. Dies setzt voraus, dass nicht nur die erforderlichen Zulassungs- und Genehmigungsverfahren formal erfolgreich durchlaufen wurden, sondern auch, dass die für den Fahrzeugtyp erforderliche EG-Typengenehmigung nicht durch eine Täuschung des zuständigen Kraftfahrtbundesamtes erschlichen worden ist und das Fahrzeug den für deren Erhalt und Fortbestand einzuhaltenden Vorschriften tatsächlich entspricht. (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Fahrzeughersteller, der sich unter Berufung auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum entlasten will, muss sowohl den Verbotsirrtum als solchen als auch die Unvermeidbarkeit des Verbotsirrtums konkret darlegen und beweisen. Nur ein auch bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt unvermeidbarer Verbotsirrtum kann entlastend wirken. (Rn. 56) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Restwert, Differenzschaden, Verbotsirrtum, Sittenwidrige Schädigung, Unvermeidbarkeit
Rechtsmittelinstanz:
OLG Bamberg, Urteil vom 04.08.2025 – 4 U 157/24 e
Fundstelle:
BeckRS 2024, 48824
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.059,01 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 22.05.2024 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Beklagte jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags. Die Beklagte kann die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Der Streitwert wird bis zum 11.09.2024 auf 12.010,16 € und ab dem 12.09.2024 auf 10.170,62 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Erwerb eines … mit Dieselmotor.
2
Die Klägerin verlangte zunächst von der Beklagten die Rücknahme des … Tourer mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer … Zug um Zug gegen Zahlung in Höhe von 12.010,16 €. Nunmehr macht sie noch einen Schadenersatzanspruch in Höhe von 10.170,62 € geltend.
3
Die Klägerin kaufte am 23.09.2016 den gebrauchten … mit der Fahrgestellnummer …, Kilometerstand 13.300 km, … zum Kaufpreis von 18.800 € einschließlich MwSt. Das Fahrzeug und der Motor wurde von der … hergestellt. Rechtsnachfolgerin der … ist die Beklagte.
4
Das Fahrzeug wurde am 28.08.2024 durch die Klägerin für 1.000,00 € mit einem Kilometerstand von 129.648 km veräußert.
5
Für das Fahrzeug gibt es eine Rückrufaktion des Kraftfahrtbundesamtes (KBA) mit (noch nicht bestandskräftigen) Bescheid vom 02.12.2021, da die vorhandene Abschalteinrichtung als unzulässig bewertet wurde. Ein verpflichtendes Software-Update wurde angeordnet.
6
Dagegen legte die Beklagte Rechtsmittel ein, über das noch nicht entschieden ist.
7
Daraufhin teilte die … der Klägerin am 30.03.2022 schriftlich mit, dass eine verbesserte Motorsteuerungssoftware entwickelt worden sei, die vom KBA freigegeben worden sei (Anlage K6.2). Die Klägerin nahm die angebotene Nachbearbeitung an.
8
Die Klägerin behauptet, dass Fahrzeug bei Kauf bezahlt zu haben. Das Fahrzeug habe einen Motorschaden erlitten. Es habe noch einen Restwert von 1.000,00 € gehabt. Der Restwert des Fahrzeugs sei im Rahmen der Weiterveräußerung an einen unbeteiligten Dritten zu einem marktgerechten Preis von 1.000,00 € bereits dokumentiert.
9
Sie behauptet weiter, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung im Fahrzeug verbaut worden sei, um die Einhaltung der gesetzlichen Grenzwerte für den Schadstoffausstoß auf dem Prüfstand auf die Einhaltung der gesetzlichen Grenzwerte auch unter normalen Nutzungsbedingungen bewusst zu unterwandern, um sich damit die Typgenehmigung für das streitgegenständliche Fahrzeug zu erschleichen. Die unzulässige Abschalteinrichtung rufe erhöhte Abgasemissionen hervor. Dies könne dazu führen, dass die Betriebserlaubnis für das Fahrzeug widerrufen werde. Der Klägerin sei der Schaden vorsätzlich und sittenwidrig zugefügt worden, da sich die Beklagte bewusst über die Vorschriften zur Abgasregelung hinweggesetzt habe. Der Beklagten sei es darum gegangen, günstiger zu produzieren und entsprechend höhere Unternehmensgewinne zu haben. Mit Inverkehrbringen eines den gesetzlichen Bestimmungen nicht entsprechenden Fahrzeugs habe der Hersteller den ahnungslosen Käufer des Fahrzeugs der Gefahr einer Betriebsstillegung ausgesetzt und sei ihm deshalb zum Schadensersatz aus §§ 826, 31 BGB verpflichtet. Deshalb mache die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch auf großen Schadensersatz, hilfsweise auf kleinen Schadensersatz im Wege der Differenzhypothese, geltend.
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Der Vorstand der Beklagten sei in die Implementierung der unzulässigen Abschalteinrichtung eingebunden gewesen. Im Übrigen sei in der Organisation Sorge dafür zu tragen, dass er in wichtige Entscheidungen eingebunden ist. Die vorsätzliche sittenwidrige Schädigung sei der Beklagten gem. § 31 BGB zuzurechnen.
11
Die Beklagte sei der Klägerin gegenüber daher auch gem. § 823 Abs. 2 BGB, § 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV zu Schadenersatz verpflichtet.
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Der Klägerin stehe daher (hilfsweise) gegen die Beklagte auch ein Anspruch auf Ersatz des Differenzschadens aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu. In der Entscheidung des EuGH vom 21.03.2023, C-100/21 habe der Gerichtshof herausgearbeitet, dass insbesondere das individuelle Interesse des Käufers geschützt sei, kein Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung zu erwerben. Den Erwerbern stehe deshalb ein Schadenersatzanspruch gegen den Hersteller auch bei nur fahrlässigem Handeln zu.
13
Soweit sich der Hersteller auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum berufe, müsse der Hersteller die Unvermeidbarkeit des Verbotsirrtums konkret darlegen und beweisen.
14
Die Beklagte habe die Typengenehmigungsbehörde getäuscht und unvollständige Angaben zur Art und zum Zusammenwirken der von ihr in das streitgegenständliche Fahrzeug verbauten Abschalteinrichtung gemacht.
15
Für das Fahrzeug bestehe das Risiko der Betriebsuntersagung. Der Eintritt eines Schadens wird aufgrund der damit einhergehenden Unsicherheit für die Möglichkeit, das Fahrzeug entsprechend zu nutzen, und der drohenden Betriebsuntersagung bejaht. Dies gelte auch dann, wenn es bisher noch zu keiner Einschränkung der Nutzbarkeit gekommen sei. Für die Schadensentstehung komme es auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses an, so dass späteren Maßnahmen des KBA keine Bedeutung zukomme.
16
Die Klägerin beantragte mit Schriftsatz vom 12.09.2024 zuletzt:
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 10.170,62 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
17
Die Beklagte beantragt,
18
Die Beklagte meint, dass Ansprüche wegen sittenwidriger Schädigung vorliegend nicht in Betracht kommen würden, da das Fahrzeug keine Prüfstand- oder Prüfzykluserkennung oder sonstige Manipulations-Software enthalte, aus der sich eine Sittenwidrigkeit ergeben könnte. Auch Ansprüche wegen angeblicher Schutzgesetzverletzung würden ausscheiden.
19
Selbst wenn das streitgegenständliche Emissionskontrollsystem eine unzulässige Abschalteinrichtung enthalten sollte, scheiterte ein Anspruch jedenfalls am fehlenden Verschulden der Beklagten. Es bestehe kein Anhaltspunkt, dass die Beklagte im Erwerbszeitpunkt die erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen hätte. Dies gelte insbesondere vor dem Hintergrund, dass die niederländische Typgenehmigungsbehörde im Jahr 2017 den streitgegenständlichen Motortyp im Rahmen der Marktüberwachung nachträglich eingehend untersucht habe und die Zulässigkeit dessen Emissionskontrollsystems bestätigte habe.
20
Außerdem sei der Klägerin kein Schaden entstanden, da ein etwaiger Minderwert jedenfalls im Wege der vorzunehmenden Vorteilsausgleichung vollständig kompensiert wäre. Das Fahrzeug sei im April 2022 mit einem behördlich nach Vorlage der gesamten Emissionssteuerung umfassend geprüft worden und mit einem uneingeschränkt als rechtskonform genehmigten Software-Update nachgerüstet worden. Es sei emissionstechnisch auf dem neusten Stand.
21
Im Zeitpunkt des behaupteten schädigenden Verhaltens könne sich die Beklagte auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum berufen.
22
Ein Schädigungsvorsatz werde bestritten. Der Rückruf habe keine Relevanz für die Beurteilung des Verhaltens der Beklagte ex ante.
23
Die Auslegung und Anwendung der Vorschriften des europäischen Typgenehmigungsrechts habe der Auffassung von Mitarbeitern des Kraftfahrtbundesamtes sowie der Industrie insgesamt entsprochen. Zur Zulässigkeit von Thermofenstern habe es damals keine abweichende Rechtsauffassung gegeben.
24
Der Anspruch der Klägerin sei verjährt, da sie ihren Anspruch auf die Verwendung von Thermofenstern stütze, die seit 2016, insbesondere zum Zeitpunkt des Erwerbs des Gebrauchtwagens im Jahr 2016 bereits bekannt gewesen seien.
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Darüber hinaus entfalle ein Schaden auch deshalb, weil die Summe aus Restwert und Nutzungsentschädigung den ursprünglichen Erwerbspreis übersteige. Nach eigenen Angaben erwarb die Klägerin das streitgegenständliche Fahrzeug zu einem Preis von 18.800,00 € und fuhr mit dem Fahrzeug nach eigenen Angaben insgesamt 116.348 km.
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Danach betrüge der zu diesem Zeitpunkt anzurechnende Nutzungsersatz unter Zugrundelegung der üblichen durchschnittlichen Gesamtlaufleistung des Fahrzeugtyps von 200.000 km mindestens 11.715,00 €. Der Restwert des Fahrzeugs sei auf rund 11.000,00 € zu schätzen. Der behauptete Verkaufspreis von 1.000,00 € könne nicht als Restwert berücksichtigt werden. Die Klägerin habe das Fahrzeug erheblich unter dem objektiven Verkehrswert veräußert. Der Restwert sei vom Gericht ungeachtet dessen deutlich höher zu schätzen. Für die Klägerin streite schon angesichts des von ihr selbst behaupteten Motorschadens – der nicht der Beklagten zurechenbar sei – keine Vermutung, dass das Fahrzeug tatsächlich zum durchschnittlichen Marktpreis veräußert worden sei.
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Vielmehr müsse sich die Klägerin den Restwert des Fahrzeugs in Höhe eines „marktgerechten“ Restwerts von ca. 11.000,00 € anrechnen lassen.
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Die Klägerin beantragte zunächst:
I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 12.010,16 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs … mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer … zu zahlen.
II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte sich mit der Rücknahme des Fahrzeugs …nit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer … in Annahmeverzug befindet.
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Mit Schriftsatz vom 12.09.2024 hat die Klägerin den Rechtsstreit aufgrund der Veräußerung des Fahrzeuges teilweise für erledigt erklärt. Die Beklagte hat der Erledigterklärung nicht widersprochen.
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Zur Ergänzung, Vervollständigung und Vertiefung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akte, insbesondere die vorgelegten Schriftsätze mit Anlagen sowie das Sitzungsprotokoll vom 22.10.2024 (Bl. 192 ff. d.A.) Bezug genommen. Die Klägerin wurde informatorisch angehört.
Entscheidungsgründe
31
Die zulässige Klage ist teilweise begründet.
32
Das Landgericht Coburg ist gemäß §§ 23, 71 Abs. 1 GVG sachlich und gemäß § 32 ZPO örtlich zuständig.
33
Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung in Höhe von 1.059,01 €.
1. Kein Anspruch der Klägerin aus § 826 BGB
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Die Klägerin hat keinen Anspruch wegen vorsätzlicher sittenwidrigen Schädigung gemäß §§ 826, 31 BGB (so auch OLG Bamberg, Endurteil vom 06.03.2024, 3 U 31/23; OLG München, Hinweisbeschluss vom 22.02.2024, 3 U 4761/23 e, OLG München, Endurteil vom 16.05.2024 – 8 U 1550/22, Landgerichts Passau, Endurteil vom 16.11.2023, Az. 1 O 17/23).
35
Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (BGH, NJW 2017, 250).
36
Subjektiv ist ein Bewusstsein der Sittenwidrigkeit nicht erforderlich. Der Schädiger muss aber grundsätzlich die Tatumstände kennen, die sein Verhalten als sittenwidrig erscheinen lassen (BGH, Urt. v. 13.09.2004 – II ZR 276/02).
37
Für die Beurteilung, ob ein Verschulden vorliegt, ist die Sichtweise im Zeitpunkt des (behaupteten) schädigenden Verhaltens maßgeblich (vgl. BeckOK BGB/Lorenz, 67. Edition, Stand 01.08.2023, § 276 Rn. 28), insoweit kommt es in den Fällen der „Dieselthematik“ auf den
38
Zeitpunkt des Inverkehrbringens der EG-Übereinstimmungsbescheinigung bzw. des Abschlusses des Kaufvertrags an (vgl. BGH NJW 2023, 2259 Rn. 61 f.).
39
Sämtliche Umstände zur Begründung einer Haftung nach § 826 BGB wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung liegen in der Darstellungslast der Klagepartei (vgl. OLG München, Beschluss v. 14.11.2019 – 8 U 2769/19; OLG Braunschweig, Urt. v. 19.02.2019 – 7 U 134/17, Landgerichts Passau, Endurteil vom 16.11.2023, Az. 1 O 17/23).
40
Diese Voraussetzungen für ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten sind im vorliegenden Fall nicht gegeben.
41
Zwar kann in dem Inverkehrbringen eines Fahrzeugs, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehen ist, grundsätzlich eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung liegen, da dies dazu führen kann, dass der Widerruf der Typengenehmigung oder zumindest die Stilllegung des konkreten Fahrzeugs droht, sofern der Käufer nicht an der Rückrufaktion zur Beseitigung der Abschalteinrichtung teilnimmt (Landgerichts Passau, Endurteil vom 16.11.2023, Az. 1 O 17/23).
42
Mit der Inverkehrgabe des Fahrzeugs bringt der Hersteller jedenfalls konkludent zum Ausdruck, dass das Fahrzeug entsprechend seinem objektiven Verwendungszweck im Straßenverkehr eingesetzt werden darf, das heißt über eine uneingeschränkte Betriebserlaubnis verfügt, deren Fortbestand nicht aufgrund bereits bei der Auslieferung des Fahrzeugs dem Hersteller bekannter, konstruktiver Eigenschaften gefährdet ist (BGH v. 25.05.2020 – VI ZR 252/19; OLG Koblenz, Urt. v. 20.04.2020 – 12 U 1570/19). Dies setzt voraus, dass nicht nur die erforderlichen Zulassungs- und Genehmigungsverfahren formal erfolgreich durchlaufen wurden, sondern auch, dass die für den Fahrzeugtyp erforderliche EG-Typengenehmigung nicht durch eine Täuschung des zuständigen Kraftfahrtbundesamtes erschlichen worden ist und das Fahrzeug den für deren Erhalt und Fortbestand einzuhaltenden Vorschriften tatsächlich entspricht (OLG Koblenz, a.a.O.). Nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 25.05.2020, VI ZR 252/19 kommt dann, wenn der Fahrzeughersteller oder der Hersteller von Fahrzeugbestandteilen die zuständigen Typengenehmigungsbehörden über die technischen Voraussetzungen, die für eine Typengenehmigung erforderlich sind, bewusst täuscht, außervertraglich eine Haftung aus § 826 BGB gegenüber arglosen Fahrzeugkäufern in Betracht, die im Vertrauen auf die Genehmigungsfähigkeit der technischen Einrichtungen Fahrzeuge erwerben und bei Aufdeckung des tatsächlichen Sachverhalts der Gefahr einer Fahrzeugstilllegung ausgesetzt sind.
43
Der Schaden des arglosen Kraftfahrzeugkäufers liegt dann in dem Abschluss eines nicht gewollten Vertrages (Landgerichts Passau, Endurteil vom 16.11.2023, Az. 1 O 17/23).
44
Jedoch stellen die von der Klägerin hierzu Behauptungen einen unbeachtlichen Parteivortrag dar, da diese Behauptungen willkürlich ohne greifbare Anhaltspunkte „aufs Geratewohl“ erfolgen (vgl. BGH BeckRS 2019, 7939). Zwar ist die darlegungspflichtige Partei berechtigt, zu Vorgängen, die sich ihrer unmittelbaren Wahrnehmung entziehen, Behauptungen aufzustellen, die nur auf Vermutungen gestützt sind. Allerdings müssen auch dann Anhaltspunkte für die Richtigkeit des Vortrages gegeben sein (vgl. BGH BeckRS 2019, 7939 Rn. 13).
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Daran gemessen stellen sich die dargestellten Behauptungen der Klägerin, als unbeachtlicher, ins Blaue hinein erfolgter Vortrag dar. Die Klägerin stützt ihre diesbezüglichen Behauptungen nicht auf in irgendeiner Weise greifbare Anhaltspunkte, sondern lediglich auf vage, allgemein gehaltene, Vermutungen. Anhaltspunkte insbesondere dafür, dass die Typengenehmigung durch Täuschung des KBA bzw. durch Vorlage unvollständiger Unterlagen erschlichen worden ist, liegen nicht vor (Landgerichts Passau, Endurteil vom 16.11.2023, Az. 1 O 17/23).
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Im vorliegenden Fall liegt zwar inzwischen die Einschätzung des KBA vom 02.12.2021 vor, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung in das Fahrzeug verbaut wurde. Diese ist aber noch nicht bestandskräftig und wird derzeit überprüft. Aus dieser Einschätzung lässt sich pichts weiter ableiten. Sie bedeutet nicht, dass die Antragsunterlagen unvollständig waren oder eine bewusste Manipulation beabsichtigt war.
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Auch fehlt es jedenfalls am subjektiven Element im Sinne des § 826 BGB.
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Denn dass das Verhalten gegen vertragliche Pflichten oder das Gesetzt verstößt, unbillig erscheint oder einen Schaden hervorruft, genügt nicht (OLG Koblenz, Urt. V. 21.10.2019 – 12 U 246/19). Insbesondere die Verfolgung eigener Interessen bei der Ausübung von Rechten ist im Grundsatz auch dann legitim, wenn damit eine Schädigung Dritter verbunden ist (BGH, Urt. v. 19.10.1987 – II ZR 9/87). Hinzutreten muss eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage tretenden Gesinnung oder den eintretenden Folgen ergeben kann (BGH, Urt. v. 25.05.2020 – VI ZR 252/19).
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Das RDW und auch das KBA sind bis zum Dezember 2021 trotz eines Antrages auf Freigabe eines freiwilligen Softwareupdates bereits im Jahr 2017 von der Zulässigkeit der Motorsteuerung ausgegangen. Ein Verhalten aufgrund einer vertretbaren Gesetzesauslegung, die vom RDW und jedenfalls zeitweise vom KBA gebilligt wurde, kann deshalb nicht nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstoßen (OLG Bamberg, Endurteil vom 06.03.2024, 3 U 31/23).
2. Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV
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Die Klägerin hat einen Anspruch auf einen Differenzschaden in Höhe von 1.059,01 € gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV.
2.1. Kein Verschulden der Beklagten wegen eines unvermeidbaren Verbotsirrtums
51
Eine deliktische Ersatzpflicht tritt nur im Falle des Verschuldens ein, selbst wenn nach dem Inhalt des Schutzgesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich ist. Der Schadensersatzanspruch ergibt sich im vorliegenden Fall – trotz europarechtlicher Prägung oder Überlagerung (vgl. Schlussanträge des Generalanwalts vom 02.06.2022, Rs. C-100/21, BeckRS 2022, 12232 Rn. 54) – allein aus dem nationalen Recht (vgl. EuGH, Urteil vom 21.03.2023, C-100/21, NJW 2023, 1111 (1116) Rn. 92), so dass für diesen nach deutschem Recht allein eine verschuldensabhängige Rechtsgrundlage in Betracht kommt. Für eine vom Verschulden des Fahrzeugherstellers unabhängige Schadensersatzhaftung ist hingegen auch bei unionsrechtskonformer Auslegung kein Raum (vgl. BGH NJW 2023, 2259 Rn. 36 f.).
52
Hinsichtlich des Verschuldens trifft grundsätzlich den Anspruchsteller die Darlegungs- und Beweislast. Jedoch muss derjenige, der objektiv ein Schutzgesetz verletzt hat, Umstände darlegen und erforderlichenfalls beweisen, die geeignet sind, die daraus folgende Annahme seines Verschuldens in Form einer Fahrlässigkeit auszuräumen. Insofern besteht eine von der objektiven Schutzgesetzverletzung ausgehende Verschuldensvermutung (vgl. BGH NJW 2023, 2259 Rn. 59 m.w.N.).
53
Die Beklagte befand sich in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum (hierzu auch OLG Bamberg, Beschluss vom 06.07.2023, 3 U 279/22, OLG Bamberg, Endurteil vom 06.03.2024, 3 U 31/23).
54
Beim Vorliegen eines unvermeidbaren Verbotsirrtums scheidet Verschulden aus (vgl. Grüneberg/Sprau, BGB, 82. Auflage, § 823 BGB Rn. 61).
55
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Verbotsirrtum unvermeidbar, wenn der Handelnde trotz der ihm nach den Umständen des Falles, seiner Persönlichkeit sowie seines Lebens- und Berufskreises zuzumutenden Anspannung des Gewissens die Einsicht in das Unrechtmäßige nicht zu gewinnen vermochte. Im Zweifel trifft ihn eine Erkundigungspflicht, wobei Auskunftsperson und erteilte Auskunft verlässlich sein müssen. Geht es um die Frage nach dem Bestehen einer Erlaubnispflicht, hat er sich vorzugsweise an die zuständige Erlaubnisbehörde zu wenden. Auf deren Auskunft darf er sich grundsätzlich verlassen. Hat sich der Handelnde zwar nicht hinreichend um kompetente Beratung bemüht, steht aber fest, dass die – unterbliebene – Erkundigung seine Fehlvorstellung bestätigt hätte, so scheitert seine Haftung ebenfalls am Vorliegen eines unvermeidbaren Verbotsirrtums (vgl. BGH, Urteil vom 27.06.2017, VI ZR 424/16, NJW-RR 2017, 1004 (1005 f.) Rn. 16; Urteil vom 10.07.2018, VI ZR 263/17, NJW-RR 2018, 1250 (1253) Rn. 28, 32).
56
Der Fahrzeughersteller, der sich unter Berufung auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum entlasten will, muss sowohl den Verbotsirrtum als solchen als auch die Unvermeidbarkeit des Verbotsirrtums konkret darlegen und beweisen. Nur ein auch bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt unvermeidbarer Verbotsirrtum kann entlastend wirken (vgl. BGH NJW 2023, 2259 Rn. 63). Zu seiner Entlastung kann der Fahrzeughersteller neben weiteren Möglichkeiten darlegen und erforderlichenfalls nachweisen, seine Rechtsauffassung von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 wäre bei entsprechender Nachfrage von der für die EG-Typgenehmigung oder für anschließende Maßnahmen zuständigen Behörde bestätigt worden (hypothetische Genehmigung). Steht fest, dass eine ausreichende Erkundigung des einem Verbotsirrtum unterliegenden Schädigers dessen Fehlvorstellung bestätigt hätte, scheidet eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB infolge eines unvermeidbaren Verbotsirrtums auch dann aus, wenn der Schädiger eine entsprechende Erkundigung nicht eingeholt hat (vgl. BGH NJW 2023, 2259 Rn. 65 unter Hinweis auf BGH, Urteil vom 27.06.2017, VI ZR 424/16, NJW-RR 2017, 1004 (1005 f.) Rn. 16; s.a. BGH, Urteil vom 10.07.2018, VI ZR 263/17, NJW-RR 2018, 1250 (1253) Rn. 28, 32).
57
Hierzu muss der Fahrzeughersteller für jede verwendete Abschalteinrichtung konkret vortragen, dass die Behörde diese genehmigt hätte. Dem genügt der Fahrzeughersteller mit Rücksicht auf ihren Sinn und Zweck dann, wenn er eine hypothetische Genehmigung bezogen auf den konkreten Motor einer bestimmten Baureihe nachweist. Außerdem kann neben anderen Indizien aus der konkreten Verwaltungspraxis gemäß § 286 Abs. 1 ZPO auf eine hypothetische Genehmigung geschlossen werden (vgl. BGH NJW 2023, 2259 Rn. 66 f.).
58
Die Beklagte hat hierzu vorgetragen, dass es Aufgabe der Compliance-Abteilung gewesen sei, bei der Entwicklung des Motors die Zulässigkeit der Abschalteinrichtungen zu prüfen. Diese habe der Auffassung der gesamten Industrie und der Behörden entsprochen und sei von der Entwicklungsabteilung zugrunde gelegt worden. Damit hat die Beklagte ihren Verbotsirrtum in ausreichender Weise dargelegt (so OLG Bamberg, Endurteil vom 06.03.2024, 3 U 31/23).
59
Es handelt sich bei der Beklagten insoweit um einen unvermeidbaren Verbotsirrtum. Hierauf kann sich die Beklagte angesichts der vorgenannten Umstände im vorliegenden Fall zu Recht berufen.
2.2. Anspruch auf den Differenzschaden in Höhe des verminderten Kaufpreises
60
Der Klägerin ist ein Schaden in Höhe von 1.059,01 € entstanden. Ein etwaiger Schaden der Klägerin wurde durch die gezogenen Nutzungen teilweise aufgezehrt.
61
(1) Nach der ständigen Rechtsprechung aller Senate des OLG Bamberg ist der Nutzungsvorteil anhand der von der Klägerin gefahrenen Kilometer im Verhältnis zu einer gemäß § 287 ZPO geschätzten Gesamtfahrleistung von 250.000 km vorzunehmen.
62
Die Laufleistung bei Kauf am 23.09.2016 betrug 13.300 km, am 28.08.2024 beim Verkauf des Fahrzeugs 129.648 km. Damit ergibt sich eine für den PKW der Klägerin zu erwartenden Restlaufzeit von 236.700 km (Gesamtlaufleistung 250.000 km ./. Km-Stand bei Kauf 13.300 km).
63
Der Nutzungsvorteil ist damit wie folgt zu brechen:
18.800 (Kaufpreis) × 116.348 km (gefahrene Strecke seit Erwerb)/236.700 km (Restlaufleistung bei Erwerb).
64
Damit ist der Nutzungsvorteil mit 9.240,99 € zu beziffern.
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(2) Als weiterer Vorteil ist der Restwert zu berücksichtigen. Dieser beträgt gemäß § 287 ZPO 8.500,00 €.
66
Entgegen der Auffassung der Klägerin ist der Restwert eines gebrauchten …, Baujahr 2015, Kilometerstand 129.648 km ohne Motorschaden zugrunde zu legen. Die Klägerin behauptet insoweit, dass Fahrzeug aufgrund eines Motorschadens zu einem Preis von 1.000,00 € veräußert zu haben. Dies solle als Restwert Berücksichtigung finden.
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Dieser Verkaufspreis kann nicht als Restwert berücksichtigt werden. Die Klägerin hat das Fahrzeug mit einem behaupteten Motorschaden veräußert. Es wird weder behauptet, noch Beweis angetreten, dass dieser Motorschaden tatsächlich bestand, noch das dieser der Beklagten zuzurechnen sei. Mithin kann die behauptete Beschädigung und die damit einhergehende Wertminderung nicht zu Lasten der Beklagten gehen. Vielmehr muss sich die Klägerin den Restwert des Fahrzeugs in Höhe eines „marktgerechten“ Restwerts von ca. 8.500,00 € anrechnen lassen.
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Das Gericht hat hierzu als Schätzgrundlage die Internetseite m.de herangezogen. Unter konkreter Angabe des Baujahrs, Typ, Ausstattung und gefahrene Kilometer wurden drei Vergleichsfahrzeuge angezeigt (8.999,00 €, 8.300,00 € und 7.600,00 €). Diese Auskunft legt das Gericht für die Schätzung des Restwerts nach weiterer eigener Recherche gem. § 287 ZPO zugrunde und nimmt einen Wert von 8.500,00 € an. Die von der Beklagten mitgeteilten Preise konnten jedenfalls nicht vom Gericht ermittelt werden.
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(3) In Addition der beiden vorgenannten Faktoren beträgt die Summe der der Klägerin durch den Kauf gezogenen Vorteile 17.740,99 €. Sie übersteigen nicht den gezahlten Kaufpreis von 18.00,00 €, so dass der Klägerin ein Schaden in Höhe von 1.059,01 € entstanden ist.
70
Die Klage ist daher teilweise begründet.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 91 a ZPO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 11, 709 ZPO.