Titel:
Straßen- und Wegerecht, Verpflichtung zu Sicherungsmaßnahmen an Stützmauer, Zustandsstörer, Gefahrverdacht, Verpflichtung zur Einholung, Prüfgutachten
Normenketten:
LStVG Art. 7 Abs. 2
LStVG Art. 9
BayStrWG Art. 2 Nr. 1 Buchst. a
Leitsatz:
Die Verpflichtung zur Vornahme von Sicherungsmaßnahmen an einer Stützmauer ist rechtmäßig, wenn die Mauer Materialabplatzungen aufweist und dadurch die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs gefährdet wird. (Rn. 19-21, 25-28)
Schlagworte:
Straßen- und Wegerecht, Verpflichtung zu Sicherungsmaßnahmen an Stützmauer, Zustandsstörer, Gefahrverdacht, Verpflichtung zur Einholung, Prüfgutachten
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 17.07.2025 – 11 ZB 25.503
Fundstelle:
BeckRS 2024, 48639
Tenor
I. Von der Verwaltungsstreitsache wird der Klageantrag gemäß Schriftsatz vom 14. Juli 2024, Ziffer 3. abgetrennt und unter dem Aktenzeichen M 28 K 24.6931 fortgeführt.
II. Der Bescheid der Beklagten vom 15. Mai 2024 wird in den Ziffern 2. und 5. aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Von den Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin 1/3 und die Beklagte 2/3.
IV. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Die Klägerin wendet sich gegen die Verpflichtung zur Vornahme von Sicherungsmaßnahmen an einer Stützmauer sowie zur Einholung eines (weiteren) Gutachtens.
2
Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks FlNr. ... (fortan stets: Gemarkung ….). Das Grundstück wurde in den 1930er Jahren aus dem damaligen Grundstück FlNr. ... herausgemessen und mit Kaufvertrag vom … … 1933 an die Urgroßeltern der Klägerin veräußert. In Ziffer VI. des Kaufvertrages verpflichtete sich der Verkäufer, Herr S. … H. …, den Käufern auf deren Verlangen hin an dem Grundstück FlNr. ... ein dingliches Geh- und Fahrtrecht einzuräumen. Das zunächst im Eigentum des Herrn H. … verbleibende Grundstück FlNr. ... wurde in den 1960er Jahren an die Beklagte übertragen.
3
Im Norden und Westen des klägerischen Grundstücks verläuft überwiegend auf dem Grundstück FlNr. ... die gemeindliche Ortsstraße „E. …“. Das klägerische Grundstück wird von dem öffentlichen Straßengrund nach einer von der Beklagten veranlassten Vermessung (Ingenieurbüro H. … vom 3.9.2024) auf einer Gesamtfläche von 48,12 m² in Anspruch genommen. Die Eintragungsverfügung der Ortsstraße vom 20. Juni 1962, die Widmungsverfügung vom 19. September 2006 und auch das Straßenbestandsverzeichnis der Beklagten weisen zwar das Straßengrundstück FlNr. ... , nicht hingegen aber das klägerische Grundstück FlNr. ... aus. Letzteres wird gegenüber der tiefergelegenen Straßenfläche auf einer Länge von ca. 84,00 m durch eine aus Nagelfluhsteinen und Beton bestehenden Mauer abgestützt. Die Stützmauer befindet sich im Südwesten – nach o.g. Vermessung – auf einer Fläche von 1,85 m² auf dem Straßengrundstück FlNr. ... und im Übrigen auf dem klägerischen Grundstück. Weiter verläuft auch eine der Straßenentwässerung dienende Betonrinne auf dem klägerischen Grundstück.
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Nach mehrjährigen Gesprächen der Beteiligten und ergebnislosen Einigungsbemühungen wurde die Klägerin mit Bescheid der Beklagten vom 15. Mai 2024 verpflichtet, innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung Materialabplatzungen und Materialausbrüche der auf dem Grundstück FlNr. ... errichteten Mauer durch geeignete Sicherungsmaßnahmen zu unterbinden (Ziffer 1.). Weiter wurde die Klägerin verpflichtet, innerhalb von sechs Monaten nach Zustellung den „Zustandsbericht der Stützwand am E. …“ der K.. … … … GmbH (Projekt-Nummer ….) vom 17. Juli 2023 durch einen Prüfsachverständigen für Standsicherheit auf Vollständigkeit und Richtigkeit prüfen zu lassen (Ziffer 2.). Die Ziffern 1. und 2. wurden für sofort vollziehbar erklärt (Ziffer 3.). Sofern die Verpflichtung in Ziffer 1. nicht innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung erfüllt wird, wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000,00 Euro angedroht (Ziffer 4.). Für den Fall, dass die Verpflichtung in Ziffer 2. nicht innerhalb von sechs Monaten nach Zustellung erfüllt wird, wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 5.000,00 Euro angedroht (Ziffer 5.). Die Kosten für den Bescheid in Höhe von 100,00 Euro waren von der Klägerin zu tragen (Ziffern 6. und 7.). Im Fall der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung wurde der Beginn für die Frist zu Erfüllung der Verpflichtungen aus den Ziffern 1. und 2. auf den Zeitpunkt der Bestandskraft des Bescheides festgelegt (Ziffer 8.).
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Mauer seit längerer Zeit Risse und Materialabplatzungen aufweise. Das ausgebrochene Material müsse regelmäßig vom gemeindlichen Bauhof beseitigt werden, da es eine Gefahr für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs auf der Gemeindestraße darstelle. Der von der Beklagten beauftragte Sachverständige sei zu dem Ergebnis gekommen, dass die Mauer äußerlich erhebliche Schäden aufweise und die Geometrie sowie das Hinterfüllmaterial der Mauer ermittelt werden müssten, um deren Standsicherheit beurteilen zu können. Das Gegengutachten der Klägerin schlage ebenfalls kurzfristige Sicherungsmaßnahmen vor, komme aber – lediglich auf Grundlage einer äußerlichen Betrachtung der Stützmauer – zu dem Ergebnis, dass diese schnell und sicher instandgesetzt werden könne. Die Klägerin sei als Zustandsstörerin richtige Adressatin der Anordnung. Die Stützmauer stelle auch keinen Straßenbestandteil dar, da sie sich auf dem klägerischen Grundstück befinde und daher ausweislich der Eintragungsverfügung und des Bestandsverzeichnisses nicht von der Widmung der Ortstraße umfasst sei. Die Anordnung in Ziffer 2. des Bescheides sei erforderlich, weil das Gegengutachten der Klägerin durch die Stellungnahme des Sachverständigen der Beklagten nachhaltig erschüttert worden sei. Der Bescheid wurde der Klägerin am 29. Mai 2024 zugestellt.
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Hiergegen erhob die Klägerin am … Juni 2024 Klage und beantragte zugleich die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage (M 28 S 24.4196). Der Antrag wurde mit Beschluss vom 20. November 2024 abgelehnt.
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Zur Begründung der Klage wird im Wesentlichen ausgeführt, dass nicht die Klägerin, sondern die Beklagte für Sicherung und Unterhaltung der Stützmauer verantwortlich sei. Das klägerische Grundstück befinde sich seit vier Generationen im Familienbesitz und sei Ende der 1950er Jahre mit einem Zweifamilienhaus bebaut worden. Die Urgroßeltern der Klägerin hätten das Grundstück von der Familie H. … erworben. Laut Aussage des Herrn H. … sei das Gelände durch die Hitlerjugend sowie von Landwirten im Auftrag der Beklagten abgegraben und die Straße mitsamt der Stützmauer erstellt worden. Die Mauer sei erforderlich gewesen, um der Straße ein vernünftiges Gefälle zu geben, da sie sonst zu steil gewesen sei. Um die Haftung bzw. Verkehrssicherungspflicht für die damalige Privatstraße auszuschließen, habe Herr H. … das Eigentum an dem Straßengrundstück 1965 auf die Beklagte übertragen. Die Einlassungen des Herrn H. … würden durch den Zuwendungsantrag des Bezirksbaumeisters … vom 11. Februar 1935 bestätigt.
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Vor diesem Hintergrund sei der streitgegenständliche Bescheid rechtswidrig. Zwei Gutachten hätten unabhängig voneinander bestätigt, dass kein unmittelbarer Einsturz der Mauer drohe. Selbst wenn eine Gefahr vorliege, wären weder die Sicherheitsmaßnahmen noch das Prüfgutachten geeignet, diese Gefahr zu beseitigen. Im Übrigen sei die Inanspruchnahme der Klägerin durch die Beklagte rechtsmissbräuchlich, da die Schadhaftigkeit der Mauer durch die mangelhafte Straßenentwässerung verursacht worden sei. Zum Nachweis legte die Klägerin diesbezüglich ein Angebot der H. … S. … GmbH vom 20. Juni 2024 vor. Zudem diene die Mauer der Straße und sei folglich funktionaler Straßenbestandteil.
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Die Klägerin beantragt zuletzt,
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1. Der Bescheid der Beklagten vom 15. Mai 2024 wird aufgehoben.
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2. Die Beklagte wird dazu verpflichtet, die Beseitigung der Ortsstraße E. …, deren Entwässerungsrinne, deren Entwässerungskanal und deren Stützmauer durch die Klägerin als Eigentümerin zu dulden, soweit diese über das klägerische Grundstück verlaufen.
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Die Beklagte beantragt,
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Der streitgegenständliche Bescheid sei rechtmäßig. Die Klägerin sei als Zustandsstörerin dafür verantwortlich, dass von der Stützmauer keine Gefahren ausgingen, diese sei insbesondere kein Straßenbestandteil. Der Sachverständige der Beklagten sei zu dem Ergebnis gekommen, dass auch ein plötzliches Versagen der Mauer eintreten könne, sodass eine Gefahr für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs bestehe. Der schlechte Zustand der Mauer sei auch von dem Sachverständigen der Klägerin und in dem Angebot des Bauunternehmens H. … bestätigt worden. Die Stützmauer sei auch nicht Straßenbestandteil, da das klägerische Grundstück nicht mitgewidmet worden sei und die Klägerin auch keinen Nachweis dafür erbracht habe, dass die Mauer mit Wissen und Wollen der Beklagten errichtet wurde. Die Mauer diene vielmehr der Terrassierung des Grundstücks FlNr. ... und damit letztlich der Klägerin. Die Anordnung in Ziffer 1. des streitgegenständlichen Bescheides sei geeignet, erforderlich und angemessen, um die von den – zwischen den Parteien unstreitigen – Materialabplatzungen der Stützmauer zu begegnen. Die Ziffer 2. diene dazu, belastbar zu klären, ob die Mauer standsicher sei. Die Beklagte erfüllte damit auch ihre Amtsermittlungspflicht.
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Am 20. November 2024 hat (im Klage- und Eilverfahren) eine mündliche Verhandlung stattgefunden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten des Klage- und Eilverfahrens sowie die vorgelegte Behördenakte verwiesen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO ).
Entscheidungsgründe
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Das Gericht trennt den mit dem Klageantrag zu 2. geltend gemachten Anspruch, der einen vom übrigen Anfechtungsbegehren im Klageantrag zu 1. verschiedenen und noch nicht vollständig entscheidungsreifen Streitgegenstand betrifft, gemäß § 93 Satz 2 VwGO von der vorliegenden Streitsache ab.
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Hinsichtlich des noch verbleibenden Klageantrags zu 1. ist die Klage zulässig, aber nur bezüglich der Ziffer 2. (und in der Konsequenz Ziffer 5.) des streitgegenständlichen Bescheides begründet. Im Übrigen war die Klage abzuweisen.
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I. Die Anordnung in Ziffer 1. des streitgegenständlichen Bescheides, nach der die Klägerin verpflichtet wurde, innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung Materialabplatzungen und Materialausbrüche der auf dem Grundstück FlNr. ... errichteten Mauer durch geeignete Sicherungsmaßnahmen zu unterbinden, ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Die Beklagte hat als sachlich und örtlich zuständige Sicherheitsbehörde, Art. 6 LStVG bzw. Straßenverkehrsbehörde, § 44 Abs. 1 StVO i.V.m. Art. 2 Nr. 1, Art. 3 ZustGVerk, gehandelt (vgl. BayVGH, U.v. 17.2.2003 – 11 B 99.3439 – juris Rn. 30 ff.).
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Die Beklagte hat die Anordnung in Ziffer 1. des streitgegenständlichen Bescheids zutreffend auf Art. 7 Abs. 2 LStVG gestützt (1.), an die richtige Adressatin gerichtet (2.) und ermessensfehlerfrei entschieden (3.). Eine rechtsmissbräuchliche Inanspruchnahme der Klägerin durch die Beklagte ist nicht ersichtlich (4.).
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1. Die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 7 Abs. 2 LStVG lagen vor.
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Nach Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG können die Sicherheitsbehörden zur Erfüllung ihrer Aufgaben für den Einzelfall Anordnungen nur treffen, um rechtswidrige Taten, die den Tatbestand eines Strafgesetzes oder einer Ordnungswidrigkeit verwirklichen, oder verfassungsfeindliche Handlungen zu verhüten oder zu unterbinden.
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Gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 27 i.V.m. § 32 Abs. 1 StVO handelt ordnungswidrig, wer öffentliche Straßen beschmutzt oder dort Gegenstände liegen lässt, wenn dadurch der Verkehr gefährdet oder erschwert werden kann. Wer für solche verkehrswidrigen Zustände verantwortlich ist, hat diese unverzüglich zu beseitigen und diese bis dahin ausreichend kenntlich zu machen.
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Diesen Ordnungswidrigkeitstatbestand erfüllt die für die Mauer verantwortliche Klägerin, indem bislang keinerlei Sicherungsmaßnahmen getroffen wurden, um das Herabfallen des porösen Mauermaterials zu verhindern oder für deren Beseitigung zu sorgen.
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Aus den in der Behördenakte befindlichen und den im Klageverfahren vorgelegten Lichtbildern sowie aus dem von der Klägerin eingeholten Gutachten des Herrn K. … vom 17. Juli 2023 bzw. den von der Beklagten beauftragten Gutachten des Ingenieurbüros P. … vom 19. Dezember 2018 bzw. 6. März 2023 ist ersichtlich, dass die Stützmauer auf erheblicher Länge insbesondere an der Nordgrenze des klägerischen Grundstücks Risse und oberflächliche Materialabplatzungen aufweist. Das abgeplatzte Material fällt regelmäßig auf die Straßenfläche und muss vom Bauhof der Beklagten entfernt werden.
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Auch wenn im Gutachten des Ingenieurbüros P. … vom 19. Dezember 2018 angesichts der Größe und des Umfangs des herausbrechenden Materials festgestellt wird, dass hiervon niemand „erschlagen“ werde, kann hier – auch angesichts des fortschreitenden Verfalls der Mauer – nicht von einer bloßen Geringfügigkeit ausgegangen werden, die nicht geeignet wäre etwa den Fuß- und Radverkehr auf der Gemeindestraße, die als Verbindungsstraße zwischen dem Ortsteil A. … und dem weiter östlich gelegenen Ortsteil W. … dient, zu erschweren (vgl. hierzu Ritter in BeckOK StVR, Dötsch/Koehl/Krenberger/Türpe, Stand 15.10.2024, § 32 StVO Rn. 6).
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Da es bereits in der Vergangenheit zu Materialabplatzungen kam und die Sanierungsbedürftigkeit der Mauer durch sämtliche eingeholte Gutachten festgestellt wurde, ist bei ungehindertem Verlauf des objektiv zu erwartenden Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, dass hierdurch auch künftig Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs erschwert werden. Somit ist auch eine für Art. 7 Abs. 2 LStVG erforderliche konkrete Gefahr gegeben.
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Darüber hinaus ist auch Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG einschlägig, denn aus dem fortschreitenden Verfall der Mauer ergibt sich auch eine hinreichend konkrete Gefahr für die dort genannten Schutzgüter. Denn unabhängig von der zwischen den Parteien streitigen Frage, ob die Stützmauer tatsächlich einsturzgefährdet ist, werden Leben und Gesundheit der Verkehrsteilnehmer auf dem „E. …“ bereits durch die Materialabplatzungen konkret gefährdet.
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2. Die Zustandsverantwortlichkeit der Klägerin (a) ist nicht durch die Straßenbaulast der Beklagten ausgeschlossen (b).
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a) Die Beklagte hat die Klägerin zu Recht als für die Mauer verantwortliche Zustandsstörerin in Anspruch genommen, Art. 9 Abs. 2 LStVG.
32
Nach Art. 9 Abs. 2 Satz 1 LStVG sind die wegen des Zustands einer Sache (bewegliche Sache oder Grundstück) notwendigen Maßnahmen gegen den Inhaber der tatsächlichen Gewalt zu richten, also gegen die Person, die aufgrund eines tatsächlichen Herrschaftsverhältnisses die Möglichkeit der unmittelbaren Einwirkung auf die Sache besitzt. Unter den Begriff des Zustands einer Sache fällt dabei deren Beschaffenheit, etwa auch die Baufälligkeit eines Bauwerks, wobei nicht erforderlich ist, dass die Gefahr von einer dauerhaften Eigenschaft der Sache ausgeht. Ob diejenige Person, die auf Grund ihrer Inhaberschaft der tatsächlichen Gewalt zur effektiven Gefahrenabwehr in der Lage ist, zugleich auch einer entsprechenden zivilrechtlichen Verpflichtung unterliegt, ist im maßgeblichen Interesse der Effektivität der Gefahrenabwehr ohne Bedeutung (BayVGH, B.v. 4.4.2016 – 10 ZB 14.2380 – juris Rn. 10).
33
Die Klägerin ist als Eigentümerin des Grundstücks, auf dem die streitgegenständliche Mauer ganz überwiegend gründet, Zustandsstörerin in diesem Sinne. Dass ein geringfügiger Teil der Mauer an der Westgrenze des klägerischen Grundstücks auf dem Grundstück der Beklagten errichtet wurde, ist im Hinblick auf die sicherheitsrechtliche Störerhaftung ohne Bedeutung (BayVGH, B.v. 4.4.2016 – 10 ZB 14.2380 – juris Rn. 11) .
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b) Gegen ihre sicherheitsrechtliche Verantwortlichkeit für die streitgegenständliche Stützmauer kann die Klägerin auch nicht mit Erfolg einwenden, dass diese in der Straßenbaulast (Art. 9 BayStrWG) der Beklagten stünde.
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Ungeachtet der Frage, ob dies sicherheitsrechtliche Anordnungen gegenüber der Klägerin ausschließen würde (so wohl zur insoweit vergleichbaren Rechtslage VG Düsseldorf, U.v. 23.5.2023 – 11 K 2953/20 – juris Rn. 111; SächsOVG, B.v. 13.6.2022 – 6 B 45/22 – juris Rn. 12 ff.), ist die Stützmauer unter Anlegung der hierzu in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze (aa) nach Auffassung der Kammer kein Bestandteil der Gemeindestraße (bb).
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aa) Nach Art. 2 Nr. 1 Buchst. a BayStrWG sind Stützmauern Teil des Straßenkörpers und gehören daher zu Straße. Diesbezüglich ist unerheblich, dass die Stützmauer sich nur zu einem geringfügigen Teil auf dem Straßengrundstück und überwiegend auf dem klägerischen Grundstück befindet (VG Regensburg, U.v. 2.10.2014 – RO 2 K 13.2042 – juris Rn. 34 mit Verweis auf BayVGH, B.v. 31.7.2003 – 25 CS 03.13 – juris Rn. 2).
37
Nach ständiger Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes (vgl. BayVGH, U.v. 15.10.1991 – 8 B 89.1631 – juris Rn. 29; U.v. 3.12.1996 – 8 B 96.1086 – VGH n.F. 50, 64/65 f.; B.v. 4.10.2011 – 8 ZB 11.210 – juris Rn. 9; zuletzt BayVGH, B.v. 11.12.2023 – 8 CS 23.1686 – juris Rn. 15 ff.) ist nicht jede bauliche Anlage, welche die technischen Merkmale etwa einer Stützmauer erfüllt und im räumlichen Zusammenhang mit einer Straße steht, ohne Weiteres als Straßenbestandteil im Sinn von Art. 2 Nr. 1 Buchst. a BayStrWG einzustufen. Voraussetzung ist vielmehr auch, dass der potenzielle Straßenbestandteil öffentlich gewidmet ist, d.h. die Eigenschaft einer öffentlichen Straße erhalten hat (vgl. Art. 6 Abs. 1 BayStrWG). Art. 2 BayStrWG, der schon nach seinem Wortlaut lediglich regelt, was zu den „Straßen“, nicht aber, was zu den „öffentlichen Straßen“ gehört, lässt die Vorschriften über die Widmung unberührt. Diese finden uneingeschränkt Anwendung. Dies ergibt sich auch aus der den Anwendungsbereich des Bayerischen Straßen- und Wegegesetzes festlegenden Bestimmung des Art. 1 Satz 1 BayStrWG, wonach dieses Gesetz (nur) die Rechtsverhältnisse der öffentlichen Straßen regelt. Öffentlich sind nur solche Straßen, die aufgrund einer Widmung nach Art. 6 Abs. 1 BayStrWG oder einer unanfechtbaren Eintragung nach Art. 67 Abs. 1 oder 4 BayStrWG für den öffentlichen Verkehr freigegeben sind. Dem steht auch nicht entgegen, dass die Behörde in Anwendung dieser gesetzlichen Bestimmungen – nach pflichtgemäßem Ermessen (vgl. BayVGH, U.v. 19.7.1988 – 8 B 87.00028 u.a. – BayVBl 1989, 146/147; U.v. 24.10.2002 – 8 B 98.873 – BayVBl 2003, 337/338) – selbst festlegen kann, ob sie eine Straße oder einen Straßenbestandteil im Sinn des Art. 2 Nr. 1 BayStrWG widmet oder nicht (vgl. zum Ganzen BayVGH, B.v. 7.3.2016 – 8 ZB 13.1667 – juris Rn. 15; BayVGH, B.v. 23.9.2013 – 8 ZB 12.2525 – juris Rn. 10).
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Durch den der Widmung zugrunde liegenden Verwaltungsakt erhält die Straße die Eigenschaft der öffentlichen Straße (Art. 6 Abs. 1 BayStrWG). Die Widmung wird in das Straßen- bzw. Bestandsverzeichnis für die jeweilige Straßenart eingetragen (Art. 3 Abs. 2, Art. 6 Abs. 4 und Abs. 6 Satz 2, Art. 67 Abs. 3 BayStrWG). Ihr kommt aus diesem Grund eine Registerfunktion vergleichbar dem Grundbuch zu. Jeder, der Einsicht in das Verzeichnis nimmt, muss ohne weiteres erkennen können, ob ein bestimmtes Grundstück, ein bestimmter Grundstücksteil oder eine bestimmte Anlage auf einem Grundstück von der Widmung erfasst sind und demgemäß die Eigenschaft der öffentlichen Straße oder eines Bestandteils einer solchen Straße erhalten hat. Dies ist der Grund, warum die Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs – der sich die Kammer anschließt – seit jeher strenge Anforderungen an die Bestimmtheit der Widmung gestellt hat, die über die Anforderungen des Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG hinausgehen (vgl. BayVGH, B.v. 4.10.2011 – 8 ZB 11.210 – juris, m.w.N.). Der Verwaltungsgerichtshof hat daraus abgeleitet, dass eine Widmung nach Art. 6 Abs. 1 BayStrWG in aller Regel nur diejenigen Bestandteile der Straße erfasst, die sich auf Grundstücken befinden, deren Flurnummern in der Widmungsverfügung ausdrücklich aufgeführt sind. Dies dient nicht nur dem Schutz des privaten Grundstückseigentümers, dem die Widmung die privatrechtlichen Eigentümerbefugnisse entzieht oder entwertet (Art. 6 Abs. 5 BayStrWG), sondern auch dem Schutz des zuständigen Straßenbaulastträgers, da so verhindert wird, dass ihm Straßenbaulasten gemäß Art. 9 BayStrWG aufgedrängt werden, denen er in Wirklichkeit nicht unterliegt. Nach dem Bayerischen Straßen- und Wegerecht gibt es auch keine faktische oder konkludente Widmung. Art. 6 BayStrWG hat sich für das Modell der förmlichen ausdrücklichen Widmung entschieden (vgl. BayVGH, B.v. 4.10.2011 – 8 ZB 11.210 – juris).
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bb) Unter Anwendung dieser Grundsätze handelt es sich bei der Stützmauer nicht um einen Straßenbestandteil. Weder wurde die Mauer explizit gewidmet (1) noch dient oder diente sie der Straße (2).
40
(1) Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass das klägerische Grundstück, auf dem sich die Stützmauer ganz überwiegend befindet, weder in den entsprechenden Eintragungsverfügungen noch im Straßenbestandsverzeichnis der Beklagten aufgeführt wird und die Stützmauer somit nicht ausdrücklich mitgewidmet wurde, vgl. Art. 6 Abs. 1, Art. 67 Abs. 4 BayStrWG. Anhaltspunkte für eine Änderung der Straße nach Art. 6 Abs. 8 BayStrWG bestehen nicht.
41
(2) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der in der Literatur (Häußler in Zeitler, Bayerisches Straßen- und Wegegesetz, Stand Januar 2023, Art. 2 Rn. 28) und auch der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. etwa VG Regensburg, U.v. 6.10.2011 – RN 2 K 11.00652 – juris Rn. 21; BayVGH, B.v. 7.3.2016 – 8 ZB 13.1667 – juris Rn. 21 ff.; SächsOVG, B.v. 13.6.2022 – 6 B 45/22 – juris Rn. 13) teilweise vertretenen Auffassung, nach der das Spannungsverhältnis zwischen der einerseits auf Rechtssicherheit bedachten, starken Betonung der förmlichen Widmung und dem Umstand, dass die Widmung andererseits die in der Natur vorhandene Straße mit all ihren Bestandteilen voraussetzt und diese funktionale Verklammerung gerade durch Art. 2 Nr. 1 Buchst. a BayStrWG bewirkt wird, dahingehend aufzulösen sucht, dass bei der Ermittlung der Reichweite der Widmung bzw. der Zurechnung der Straßenbaulast und im vorliegenden Fall damit der sicherheitsrechtlichen Verantwortlichkeit auf die jeweilige Interessenlage bei Errichtung der Stützmauer abzustellen sei. Hiernach kommt es maßgeblich darauf an, ob die Stützmauer vorwiegend der Straße oder vielmehr der besseren Nutzbarkeit des anliegenden Grundstücks dient. Bei der insoweit anzustellenden Gesamtbetrachtung sind sowohl die aktuellen örtlichen Verhältnisse als auch die Umstände bei Errichtung der Straße bzw. der Stützmauer heranzuziehen (SächsOVG, B.v. 13.6.2022 – 6 B 45/22 – juris Rn. 13; umfassend hierzu m.w.N. HessVGH, B.v. 27.11.2015 – 2 A 2073/14.Z – juris Rn. 20 f.).
42
Weder aus den aktuellen örtlichen Verhältnissen (aa) noch aus der Entstehungsgeschichte der Stützmauer (bb) ergeben sich hinreichende Anhaltspunkte dafür, die Stützmauer auf Grund ihrer Funktion als Straßenbestandteil nach Art. 2 Nr. 1 Buchst. a BayStrWG anzusehen: 43 (aa) Unter Zugrundelegung der vorgelegten Lichtbilder und Lagepläne, der von den Parteien eingeholten Sachverständigengutachten sowie des auf Google Street View (Stand September 2023) verfügbaren Bildmaterials ist die Kammer der Überzeugung, dass die Stützmauer in der konkreten örtlichen Situation nicht für eine den Maßgaben des Art. 9 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 BayStrWG entsprechende Straße erforderlich ist, sondern vielmehr der besseren Ausnutzung des klägerischen Grundstücks dient. Bereits die Positionierung des Bestandsgebäudes auf dem klägerischen Grundstück – herangerückt an die Nordseite des Grundstücks und damit zugleich an die Ortsstraße – zeigt dies hinreichend auf, da bei einem Verzicht auf die Stützmauer (und in der Konsequenz einem Niveauausgleich zwischen Straße und Grundstück durch eine Böschung) diese Positionierung ausgeschlossen erscheint. Soweit die Klägerin behauptet, (vor allem) am südwestlichen Ende der Mauer sei es bautechnisch erforderlich gewesen, entsprechend tief in das bestehende Gelände einzuschneiden, vermag die Kammer dem nicht zu folgen. Denn ein übermäßig steiles Gefälle hätte aus Sicht der Kammer auch durch eine Verbreiterung und/oder anderen Verlauf der der Straße, die dann jedoch zu Lasten der Grundstücksfläche der Klägerin gegangen wäre, erreicht werden können.
43
(bb) Erst recht die Entstehungsgeschichte der Stützmauer belegt klar, dass sie nicht primär der Straße selbst, sondern der Privatnützigkeit der anliegenden Grundstücke diente.
44
Insoweit ist zunächst festzuhalten, dass sich das Straßengrundstück bis in die 1960er Jahre und damit auch im Zeitpunkt der Errichtung der Straße und der Stützmauer in Privateigentum befand und das klägerische Grundstück an die Urgroßeltern der Klägerin erkennbar als Bauparzelle verkauft wurde, auf der dann in den 1950er Jahren auch ein Wohnhaus errichtet wurde, sodass hierin – gerade auch mit Blick auf die Erschließungsfunktion der Straße – bereits ein erster Anhaltspunkt für die Privatnützigkeit der Stützmauer zu sehen ist.
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Vor allem aber sprechen hierfür die folgenden Ausführungen in dem Zuwendungsantrag des Bezirksbaumeisters von … vom 11. Februar 1935, der die Herstellung des „Ortsverbindungswegs von A. … nach W. … in der Gemeindeflur …“ wie folgt beschrieb: 47 „In Anbetracht der landschaftlich ungemein reizvollen, hochgelegenen Gegend mit prachtvoller Fernsicht, ist mit Sicherheit damit zu rechnen, daß das dortige Gelände westlich von W. … und insbesonders zu beiden Seiten des bestehenden Fußweges auch weiterhin stark besiedelt wird. Der Ausbau des Fußweges, dessen unterer Teil schon jetzt als steile und scharf gekurvte Zufahrt benützt wird, zu einer richtigen Fahrstraße ist daher dringend notwendig. […] In Anbetracht des wertvollen Baugrundes und zur Vermeidung allzu großer Geländeeinschnitte soll im unteren Teil der Straße 11,2% Steigung erhalten, wobei die scharfen Kurven etwas flacher mit Krümmungsradien von etwa 3,00 m auszuführen sind. […] Die Einschnitts und Dammböschungen sollen, um gleichfalls an Geländefläche für die Straße zu sparen, möglichst steil gehalten werden, was durch Pflasterung der Böschungen mit Nagelfluhsteinen erreicht werden will.“
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Hieraus ergibt sich prägnant und zweifelsfrei, dass bei Errichtung der Mauer nicht etwa bautechnische Limitierungen durch das bestehende Gelände im Vordergrund standen, sondern der größtmögliche Erhalt des „wertvollen Baugrunds“, was auch und vor allem dem klägerischen Grundstück zugutekam.
47
Dem stehen auch die im Aktenvermerk vom 6. September 2016 festgehaltenen Aussagen des Herrn H. … nicht entgegen. Auch wenn es zuträfe, dass die Stützmauer auf Veranlassung der Beklagten errichtet wurde und die Abgrabungen zur Erreichung eines „vernünftigen Gefälles“ erforderlich waren, steht dies der Bewertung nicht entgegen, dass die Stützmauer nicht zum Schutz der Straße errichtet worden ist, sondern jedenfalls überwiegend im Interesse der Anlieger erfolgte, um so deren Grundstücke zu terrassieren und deren bauliche Nutzbarkeit im Vergleich zu flächenintensiveren Böschungen zu vergrößern.
48
Die Klägerin ist daher für den Zustand der Mauer verantwortlich.
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3. Die Beklagte hat von dem ihr in Art. 7 Abs. 2 LStVG eingeräumten Ermessen mit Blick auf die Ziffer 1. des streitgegenständlichen Bescheides auch ermessensfehlerfrei Gebrauch gemacht, Art. 40 BayVwVfG, § 114 Satz 1 VwGO. Insbesondere ist die Maßnahme auch verhältnismäßig, Art. 8 LStVG.
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Ausweislich der Bescheidsbegründung hat die Beklagte das ihr eingeräumte Ermessen erkannt und die Verhältnismäßigkeit der Anordnung umfassend gewürdigt. Die in dem Bescheid getroffene Abwägungsentscheidung begegnet keinen rechtlichen Zweifeln. Insbesondere hat die Beklagte die Klägerin – wohl auch mit Blick auf die bislang unklare Situation bezüglich der Standsicherheit der Mauer – nicht zu einer umfassenden Sanierung, sondern lediglich dazu verpflichtet, Materialabplatzungen durch „geeignete Sicherungsmaßnahmen“ zu unterbinden. Wie die Klägerin dieser Verpflichtung zur nachhaltigen Abwehr der aktuellen Gefahren nachkommt, ob etwa im Wege vorläufiger Stütz- und Sicherungsmaßnahmen oder einer teilweisen oder umfassenden Sanierung der Mauer‚ bleibt damit im Rahmen der insoweit verhältnismäßigen Frist von zwei Monaten ab Zustellung zunächst ihr überlassen. Darüber hinausgehende Ermessenserwägungen waren nicht erforderlich (BayVGH, B.v. 4.4.2016 – 10 ZB 14.2380 – juris Rn. 16 f.). Die Kammer teilt insoweit die in dem Bescheid ausgeführte Einschätzung der Beklagten, dass die in dem von der Klägerin beauftragten Gutachten des Ingenieurbüros K. … vorgeschlagenen Sicherungsmaßnahmen, z.B. die Anbringung von Sicherungsnetzen, auch hinsichtlich der damit verbunden Kosten in Höhe von ca. 600 bis 900 € netto nicht unangemessen belastend sind.
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4. Vor dem Hintergrund der Zustandsverantwortlichkeit der Klägerin für die streitgegenständliche Stützmauer vermag die Kammer auch keine rechtsmissbräuchliche Inanspruchnahme der Klägerin durch die Beklagte zu erkennen.
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Insbesondere stellt die Anordnung keine unzulässige Rechtsausübung dar, weil die Beklagte die Ursache für die abzuwehrende Gefahr selbst gesetzt hätte.
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Zwischen den Parteien ist bis zuletzt streitig, ob die Materialabplatzungen an der Stützmauer auf eine nicht bzw. schlecht funktionierende Straßenentwässerung und hierdurch eingetretene Unterspülung des Mauerfußes zurückzuführen sind. Dies musste durch die Kammer im Rahmen des hiesigen Streitgegenstands nicht weiter aufgeklärt werden. Denn weder geht es vorliegend um die Verpflichtung der Klägerin zur Komplettsanierung der Mauer noch um – ggf. gesondert zu verfolgende – Ersatzansprüche. Vielmehr durfte und musste die Beklagte dem Grundsatz der effektiven Gefahrenabwehr entsprechend dafür Sorge tragen, dass den sich aus den Materialabplatzungen ergebenden Gefahren für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs sowie Leib und Leben der Verkehrsteilnehmer möglichst zeitnah und effektiv begegnet wird.
54
II. Die Anordnung in Ziffer 2. des streitgegenständlichen Bescheides, nach der die Klägerin verpflichtet wurde, innerhalb von sechs Monaten nach Zustellung den „Zustandsbericht der Stützwand am E. …“ der KMI … … … GmbH (Projekt-Nummer ….) vom 17. Juli 2023 durch einen Prüfsachverständigen für Standsicherheit auf Vollständigkeit und Richtigkeit prüfen zu lassen, ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Denn jedenfalls die Erforderlichkeit dieser von der Beklagten auf Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG gestützten Anordnung ist nicht hinreichend belegt.
55
Bei der Anordnung in Ziffer 2. des streitgegenständlichen Bescheides dürfte es sich, wie auch der inhaltliche Vergleich mit der Anordnung in Ziffer 1. aufzeigt, um einen sog. Gefahrerforschungseingriff handeln, da die Beklagte damit über die Vermeidung von sukzessiven Materialabplatzungen und -ausbrüchen hinausgehend ein plötzliches Versagen (eines Teils) der Mauer ausschließen möchte. Ob und ggf. inwieweit in Abgrenzung zur behördlichen Amtsermittlungspflicht eine Rechtsgrundlage für eine Heranziehung der Klägerin zu einer derartigen Maßnahme der Gefahrerforschung besteht, kann offen bleiben, da die Anordnung jedenfalls nicht verhältnismäßig (im weiteren Sinne) ist.
56
Entgegen der Auffassung der Beklagten kommt das Ingenieurbüro P. … in seinen Stellungnahmen vom 19. Dezember 2018 und 6. März 2023 nach Bewertung der Kammer nicht zu dem Ergebnis, dass die (konkrete) Gefahr oder auch nur der Verdacht des Einsturzes der Mauer bevorstünde, sondern es wird neben den – insoweit unstreitigen – äußeren Materialabplatzungen lediglich festgestellt, dass am „Ende dieses langsamen Zerfalls […] ein Versagen der Stützwand [steht], das dann (am Ende dieses langsamen Verfalls) auch plötzlich und ohne Vorankündigung eintreten kann.“ Weiter seien „für eine Aussage zur Standsicherheit der Stützwände Informationen zur Geometrie im Querschnitt und zum Hinterfüllmaterial notwendig. Solange derartige Informationen nicht vorliegen, können nur allgemeine Aussagen gemacht werden.“ Demgegenüber ergab das von der Klägerin vorgelegte Gutachten der KMI … … … vom 17. Juli 2023 (mit Anlage Prüfbericht vom 23.6.2023, das eine „Zustandsnote 2,3“ ausweist) anhand einer detaillierten Nachrechnung den Nachweis der äußeren Standsicherheit. Die Wand sei zudem augenscheinlich nicht an der Grenze ihrer Belastbarkeit, sodass ein erdrutschartiges Versagen ausgeschlossen werden könne. Für eine tiefgehende Untersuchung mittels Probeschürfungen werde keine Veranlassung gesehen. Im Ergebnis kommen daher schon beide Gutachten zu dem Schluss, dass der Einsturz der Mauer derzeit unwahrscheinlich ist, sodass diesbezüglich nicht von einer Gefahrbesorgnis und erst recht nicht von einer konkreten Gefahr ausgegangen werden kann.
57
Unbeschadet dessen wäre es, wenn die Beklagte dies anders sehen sollte, zunächst im Rahmen der Amtsermittlungspflicht an der Beklagten gewesen, sich vor Erlass der Ziffer 2. des Bescheids substantiiert mit dem von der Klägerin vorgelegten Gutachten, das jedenfalls in seiner schriftlichen Begründungstiefe auch deutlich über die knappen Stellungnahmen des von der Gemeinde beauftragten Gutachters hinausgeht, auseinanderzusetzen. Dies ist jedoch weder im streitgegenständlichen Bescheid noch im Rahmen des Klageverfahrens erfolgt. Für die Kammer ergeben sich insbesondere keine Zweifel an der fachlichen Eignung des Herrn M. … K. …, der als Nachweisberechtigter für Standsicherheit der Bayerischen Ingenieurkammer Bau für die Beurteilung der Standsicherheit der Stützmauer ausreichend qualifiziert erscheint. Mehr als dessen Beauftragung auf eigene Kosten konnte der Klägerin bei dem vorliegenden Erkenntnisstand nicht verhältnismäßig abverlangt werden.
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Angemerkt sei lediglich noch, dass sich Ziffer 2. schließlich auch als ermessensfehlerhaft erweisen würde. Denn die schlichte Prüfung des von der Klägerin vorgelegten Gutachtens auf „Vollständigkeit und Richtigkeit“ würde die von Beklagten eingewandten Unsicherheiten bezüglich der Standsicherheit der Stützmauer nicht beheben, sondern allenfalls feststellen, dass Beprobungen erforderlich sind, was jedoch keinen unmittelbaren Aufschluss über die Standsicherheit gibt. Somit wäre die Anordnung auch nicht geeignet um den Gefahrverdacht auszuräumen.
59
III. Die Zwangsgeldandrohung in Ziffer 5. des streitgegenständlichen Bescheides teilt das rechtliche Schicksal des Grundverwaltungsaktes in Ziffer 2. und war daher aufzuheben.
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IV. Im Übrigen war der Bescheid nicht zu beanstanden.
61
V. Der Klage war daher im tenorierten Umfang stattzugeben. Im Übrigen war sie abzuweisen.
62
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 Satz 1 ZPO.
63
Die Berufung war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 Nrn. 3 oder 4 VwGO nicht vorliegen (§ 124 a Abs. 1 Satz 1 VwGO).