Inhalt

SG Nürnberg, Beschluss v. 18.12.2024 – S 13 KA 7/24 ER
Titel:

Nachrangregelung für ein Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) bei der Auswahl eines Praxisnachfolgers 

Normenkette:
SGB V § 103 Abs. 4c S. 3
Leitsatz:
Der Nachrang nach § 103 Abs. 4c Satz 3 SGB V (vgl. BSG, Urteil vom 25.10.2023, B 6 KA 26/22 R) gilt auch dann, wenn der Vertragsarztsitz durch ein MVZ übernommen werden soll, das in der Hand eines Einzelunternehmers liegt, der zwar auch Vertragsarzt ist, aber als solcher nicht im dem MVZ tätig ist. (Rn. 58 – 63)
Schlagworte:
Nachbesetzung eines Vertragsarztsitzes, Praxisnachfolger, Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ), Einzelunternehmer, Vertragsarzt, nicht in dem MVZ tätiger Vertragsarzt, Nachrangregelung, Auswahlentscheidung, Anordnung der sofortigen Vollziehung, Interessenabwägung
Fundstelle:
BeckRS 2024, 48467

Tenor

I. Der Antrag auf Aufhebung der Anordnung des Sofortvollzugs im Beschluss vom 11.09.2024 und auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 29.09.2024 wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 8, 9 und 10. Die übrigen Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird auf 60.000,- € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller wendet sich mit seinem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung einer Nachfolgezulassungsentscheidung zu gunsten von Konkurrenten.
2
Herr Dr. R, Facharzt für Innere Medizin/Gastroenterologie, geb. am 18.01.1964., verst. am 02. oder 03.03.2024, war seit 01.04.2015 als freipraktizierender Vertragsarzt zunächst in Berufsausübungsgemeinschaft mit Herrn Dr. med. B zuletzt am Standort S-Str., W-Stadt, niedergelassen. Im Rahmen der Praxisübernahme des ausgeschriebenen Vertragsarztsitzes von Herrn Dr. B. erhielt Herr Dr. R. mit Beschluss des Zulassungsausschusses (ZA) vom 15.09.2021 die Genehmigung zur Beschäftigung von Frau Dr. med. F. (Dr. F. = Beigeladene zu 11), Fachärztin für Innere Medizin mit Schwerpunkt Gastroenterologie, als angestellte Ärztin mit einem Beschäftigungsumfang von 40 Wochenstunden mit Wirkung ab 01.01.2022. Nach dem Ausscheiden von Herrn Dr. B. führte Herr Dr. R. die Praxis als Einzelpraxis mit Frau Dr. F. als angestellte Ärztin bis zu seinem Tod am 02. oder 03.03.2024 fort. Frau Dr. F. war die Lebensgefährtin des verstorbenen Dr. R. Seit dem 04.03.2024 wurde und wird die Patientenversorgung in der Praxis des verstorbenen Herrn Dr. R. zunächst durch die Frau Dr. F. als angestellte Ärztin aufrechterhalten.
3
Nachdem keine Erben bestimmt werden konnten, wurde vom Amtsgericht W. – Abteilung für Nachlasssachen – (AZ: 7 VI 1122/24) mit Bestellungsurkunde vom 11.04.2024 Herr Rechtsanwalt (RA) Dr. S. (Beigeladener zu 10) zum Nachlasspfleger für die unbekannten Erben des Herrn Dr. R. bestellt.
4
Soweit aus den dem Gericht vorliegenden bzw. im Internet zugänglichen Daten ersichtlich (Impressum des M. N., (https://www…de; Stand 15.12.2024) und verschiedene Handelsregisterauszüge (https://www.handelsregister.de/rp_web/welcome.xhtml; Stand 15.12.2024)), war der Antragsteller alleiniger Gesellschafter der M. N. GmbH.
5
Inzwischen werden 100% der Gesellschaftsanteile der M. N. GmbH von der M. Klinik GmbH & Co.KG gehalten, deren Komplementärin die M. N. Klinik Verwaltungs GmbH ist; die Kommanditistin ist die M. N. Klinik GmbH.
6
An der M. N. Klinik GmbH ist die M. N. Holding SE zum 85% und die ML Holding GmbH zu 15% beteiligt. Einziger Gesellschafter der ML Holding GmbH ist Herr L. Der Antragsteller ist Verwaltungsratsvorsitzender und einziges Verwaltungsratsmitglied sowie alleiniger Aktionär der M. N. Holding SE.
7
Die M. N. Klinik GmbH & Co.KG hält auch 100% der Anteile an der M. N. Gesundheitszentrum GmbH (früher: Dr. B., V. und Kollegen MVZ GmbH).
8
Der Antragsteller und Herr L. sind vertretungsberechtigte Geschäftsführer der MCN M.-C. N GmbH und der MCN Gesundheitszentrum GmbH. Die MCN M.-C. N GmbH betreibt im Großraum N 46 MVZ, die M. Gesundheitszentrum GmbH betreibt 12 MVZ im Raum N.
9
Außerdem betreibt der Antragsteller als Einzelunternehmer (M.-C. N – S3. +Kollegen, Inhaber: S3., Generalbevollmächtigter: L.) 13 MVZ unterschiedlicher Fachrichtungen im Großraum Nürnberg, zu denen auch das MVZ S.- West gehört.
10
Frau Dr. med. W (Dr. W. = Beigeladene zu 8) und Herr Dr. med. P (Dr. P. = Beigeladener zu 9) betreiben (bisher jeweils mit einem halben Versorgungsauftrag) zusammen mit Herrn Dr. med. B (Dr. B.) eine BAG in K., die – aufgrund der streitgegenständlichen je hälftigen Praxisübernahme durch Dr. W. und Dr. P. am Vertragsarztsitz SStr., W-Stadt – zum 01.10.2024 zu einer üBAG erweitert wurde (Beschluss des ZA vom 11.09.2024).
11
RA Dr. S. erwirkte auf Antrag vom 15.05.2024 bei der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB, Beigeladene zu 1) eine Vertretergenehmigung zur Beschäftigung von Herrn Dr. P., Facharzt für Innere Medizin mit Schwerpunkt Gastroenterologie, mit einem Beschäftigungsumfang von 16 Wochenstunden bis zur Niederlassung eines Praxisnachfolgers, ab 01.06.2024 längstens aber bis zum 30.09.2024, zur Weiterführung der Praxis in analoger Anwendung des § 20 Abs. 3 (gemeint wohl: Abs. 2) der Berufsordnung für die Ärzte Bayerns i.V.m. § 32 Ärzte-ZV und § 4 Abs. 3 BMV-Ärzte (Bescheid vom 22.05.2024).
12
Gleichzeitig beantragte RA Dr. S. beim ZA mit Formularanträgen vom 15.05.2024 – die Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens nach § 103 Abs. 3a, Abs. 4 SGB V betreffend den Arztsitz des verstorbenen Vertragsarztes Dr. R. sowie - die Umwandlung der genehmigten Anstellung von Dr. F. in eine Zulassung mit vollem Versorgungsauftrag und die Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens zur Nachbesetzung des nach § 95 Abs. 9b Alt. 2 SGB V umzuwandelnden Vertragsarztsitzes.
13
Der ZA gab beiden Anträgen zur Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens jeweils mit Beschluss vom 12.06.2024 statt.
14
Die Beigeladene zu 1 schrieb die beiden Sitze (den ursprünglichen Vertragsarztsitz von Dr. R. – Chiffre 253300 – sowie den aus der Genehmigung zur Anstellung von Dr. F. umgewandelten Sitz – Chiffre 253158 –) aus.
15
Neben weiteren erfolglos gebliebenen Bewerbern, die gegen ihre Ablehnung offensichtlich nicht Widerspruch erhoben haben, haben sich auf die nachzubesetzenden Sitze u.a. beworben:
1. Für beide Arztstellen: Dr. W., Internistin, auf Zulassung mit einem halben Versorgungsauftrag
2. Für beide Arztstellen: Dr. P., Internist und Gastroenterologe, auf Zulassung mit einem halben Versorgungsauftrag
3. Für beide Arztstellen: die BAG Drs. B./W./P. auf Genehmigung zur Anstellung von Herrn Dr. med. D. (Dr. D.)., Internist und Gastroenterologe (40 Wochenstunden)
4. Für die Arztstelle von Dr. R. (Chiffre 253300): der Antragsteller als Einzelunternehmer auf Genehmigung zur Anstellung von Frau A (Frau A.)., Internistin und Gastroenterologin, im MVZ M.-C. S. West zur ausschließlichen Tätigkeit in der Filiale S.- Str., W-Stadt (20 Wochenstunden)
5. Für die Arztstelle von Dr. R. (Chiffre 253300): der Antragsteller als Einzelunternehmer auf Genehmigung zur Anstellung von Herrn K (Herr K.)., Internist und Gastroenterologe, im MVZ M.-C. S.- West zur ausschließlichen Tätigkeit in der Filiale S.- Str., W-Stadt (20 Wochenstunden)
6. Für die Arztstelle von Dr. R. (Chiffre 253300): der Antragsteller als Einzelunternehmer auf Genehmigung zur Anstellung von Herrn Dr. med. Sch (Dr. Sch), Internist und Gastroenterologe, im MVZ M.-C. S. West zur ausschließlichen Tätigkeit in der Filiale S.- Str., W-Stadt (20 Wochenstunden)
7. Für die umgewandelte Angestelltenstelle von Frau Dr. F. (Chiffre 253158): der Antragsteller als Einzelunternehmer auf Genehmigung zur Anstellung von Frau Dr. F. im MVZ M.-C. S. West zur ausschließlichen Tätigkeit in der Filiale S.- Str., 97080 W. (20 Wochenstunden)
16
Die Anträge 4. bis 6. und 7. wurden quasi gleichlautend auch von der M. -C. N GmbH gestellt (gleiche Anstellungsgenehmigungen, aber Filiale zu MVZ M.- C. Zentrum für Gastroenterologie, N.).
17
Mit hier angefochtenem Beschluss vom 11.09.2024, ausgefertigt am 25.09.2024 (> S 13 KA 7/24 ER), ließ der ZA Dr. W. und Dr. P. mit Wirkung ab 01.10.2024 jeweils zur hälftigen Fortführung der Praxis von Dr. R. zu (jeweils halber Versorgungsauftrag). Die übrigen Anträge bzgl. der Nachfolge auf den ursprünglichen Sitz von Dr. R. lehnte der ZA ab. Den Bewerbungen mehrerer MVZ, auch des MVZ M.-C. Zentrum für Gastroenterologie, erteilte der ZA dabei bereits wegen der Nachrangregelung des § 103 Abs. 4c Satz 3 SGB V eine Ablehnung. Im Übrigen erachtete der ZA im Rahmen seiner Auswahlentscheidung letztlich das Auswahlkriterium des Fortführungswillens als ausschlaggebend zugunsten von Frau Dr. W. und Herrn Dr. P. Zudem hätte, so der ZA, der Antrag des Antragstellers als Einzelunternehmer auf Anstellungsgenehmigung(en) auch bereits aufgrund der in § 103 Abs. 4c Satz 3 SGB V verankerten Nachrangregelung abgelehnt werden können. Denn das MVZ M.-C. S. West werde zwar allein vom Antragsteller als zugelassenem Vertragsarzt getragen, dort seien jedoch ausschließlich angestellte Ärzte, nicht aber der Antragsteller tätig.
18
Mit weiterem Beschluss vom 11.09.2024, ausgefertigt ebenfalls am 25.11.2024 (> S 13 KA 8/24 ER), erteilte der ZA der üBAG Dr. W., Dr. B. und Dr. P. die Genehmigung zur Beschäftigung von Herrn Dr. D. als angestellter Arzt (umgewandelte Anstellung von Frau Dr. F.) am Vertragsarztsitz S.- Str., W-Stadt (40 Wochenstunden, Bedarfsplanungsanrechnungsfaktor 1,0). Die übrigen Anträge bzgl. der umgewandelten Stelle von Frau Dr. F. lehnte der ZA ab. Im Rahmen der Auswahlentscheidung sei festzustellen, dass sich Herr Dr. D. und Frau Dr. F. (mit der sich der Antragsteller beworben hatte), deutlich hervortäten. Der Fortführungswille, die Stärkung der Freiberuflichkeit und eine inhabergeführte Fortführung beider Sitze zusammen hätten letztlich für die üBAG mit dem Bewerber Dr. D. gesprochen. Darüber hinaus hätte der Antrag des Antragstellers zur Beschäftigung von Frau Dr. F. auch bereits aufgrund des in § 103 Abs. 4c Satz 3 SGB V verankerten Nachrangs abgelehnt werden können.
19
Der ZA ordnete die sofortige Vollziehung beider Beschlüsse an. Ein diesbezügliches öffentliches Interesse liege in der dringenden Notwendigkeit, die vertragsärztliche Versorgung gastroenterologischer Patienten am Vertragsarztsitz S.- Str., W-Stadt, Planungsbereich Raumordnungsregion, ab dem 01.10.2024 sicherzustellen. Die für den Vertragsarztsitz erteilte Vertreterregelung und Fortführung der Anstellungsgenehmigung ende zum 30.09.2024, sodass eine nahtlose und kontinuierliche Patientenversorgung ab dem 01.10.2024 nicht gewährleistet werden könne, wenn einer der nicht ausgewählten Bewerber Widerspruch gegen die Entscheidung des ZA einlege. Das öffentliche Vollzugsinteresse an einer angemessenen ärztlichen Versorgung der gesetzlich versicherten Patienten während eines drohenden Schwebezustands im Falle eines Rechtsbehelfs gegebenenfalls über einen längeren Zeitraum überwiege klar die Möglichkeit der abgelehnten Bewerber, an der vertragsärztlichen Versorgung gewinnbringend mitzuwirken, da diesen hieraus kein nachhaltiger rechtlicher oder wirtschaftlicher Nachteil erwachse; auch im Falle eines erfolgreichen Rechtsbehelfs könnten die vom ZA abgelehnten Bewerber nicht rückwirkend zum 01.10.2024 an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen.
20
Gegen beide Beschlüsse erhob (offensichtlich nur) der Antragsteller am 30.09.2024 Widerspruch. Die übrigen nicht berücksichtigten Bewerber, auch die M.-C. N GmbH, legten keinen Widerspruch ein. Der Antragsteller begründete seine Widersprüche dahingehend, dass die Auswahlentscheidung des ZA ermessensfehlerhaft und damit rechtswidrig sei (insbesondere Nichtberücksichtigung der Eigenschaft der Frau Dr. F. als Lebenspartnerin des Herrn Dr. R., der kontinuierlichen Patientenversorgung durch Frau Dr. F. und des Willens des verstorbenen Herrn Dr. R.; keine Anwendbarkeit der Nachrangregelung des § 103 Abs. 4c Satz 3 SGB V).
21
Zugleich hat der Antragsteller beim Antragsgegner jeweils einen Antrag auf Aufhebung der sofortigen Vollziehung der beiden vorgenannten Beschlüsse vom 11.09.2024 und auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Widersprüche gestellt.
22
Ebenfalls am 30.09.2024 hat der Antragsteller jeweils einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz bei SG Nürnberg gestellt mit dem Ziel der Aufhebung der Anordnung des Sofortvollzugs in den Beschlüssen vom 11.09.2024 und der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Widersprüche (S 13 KA 7/24 ER und S 13 KA 8/24 ER).
23
Zur Begründung hat der Antragsteller (in beiden Verfahren im Wesentlichen identisch) ausgeführt (jeweils Schriftsätze vom 29.09.2024, 03.10.2024, 10.10.2024, 17.10.2024, 21.10.2024, 23.10.2024, 27.10.2024 und 11.11.2024):
24
Beide Verfahren seien zwingend zusammen zu betrachten. Es handele sich um eine große versorgungsrelevante Praxis mit zwei vertragsärztlichen Zulassungen, der personelle und technische Aufwand wäre in einer Einzelpraxis nicht mehr leistbar. Eine Aufteilung in zwei einzelne Praxen würde zu einem unzulässigen „Sitzkauf“ führen. Die Antragstellung sowohl beim Antragsgegner als auch beim Sozialgericht (auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung) erfolge rein vorsorglich, der Antrag beim Antragsgegner werde gegebenenfalls zurückgezogen, um divergierende Entscheidungen zu vermeiden.
25
Frau Dr. F. sei im Vorverfahren nicht als Beteiligte hinzugezogen worden.
26
Die angefochtenen Entscheidungen des ZA seien offensichtlich rechtswidrig. Die Bewerber seien nicht gleichrangig, vielmehr seien die Kandidaten des Antragausstellers aufgrund ihrer Qualifikationen den Drs. W. und P. vorzuziehen. Aufgrund ihrer Einbindung in ihre eigene Praxis sei die Versorgungskontinuität durch Dr. P. und Dr. W. nicht gesichert, zumal der anzustellende Dr. D. nunmehr nicht zur Verfügung stehe. Außerdem seien die persönliche Situation und die Interessen von Frau Dr. F. als langjährige Lebensgefährtin des verstorbenen Herrn Dr. R. vom Zulassungsausschuss nicht hinreichend berücksichtigt worden.
27
Der Antragsteller verfüge mit Wirkung zum 18.10.2024 über einen unterschriebenen und rechtsgültigen Praxiskaufvertrag über die gesamte gastroenterologische Praxis. Ungeachtet der Frage, ob das Arbeitsverhältnis von Frau Dr. F. gemäß § 613a BGB auf einen Praxisnachfolger übergegangen sei, sei eine vertragsärztliche Tätigkeit von Frau Dr. F. nur mit entsprechender Anstellungsgenehmigung möglich.
28
Herr Dr. D. habe seine Tätigkeit bei der BAG inzwischen – ohne Einhaltung der Kündigungsfrist laut Arbeitsvertrag – bereits wieder gekündigt – nach maximal einem einzigen Arbeitstag. Die Anstellung des bereits 69-jährigen Herrn Dr. W. sei nur als „Strohmann“ erfolgt, um sodann einen anderen Facharzt für die so erworbene vertragsärztliche Zulassung zu suchen. Die BAG habe Frau Dr. F. von der Arbeit freigestellt, dann diese aber bei der KVB als Vertreterin gemeldet, wodurch die Patientenversorgung aber gerade nicht sichergestellt sei. Man habe außerdem erfahren, dass es zwischen der BAG und Frau Dr. F. bereits arbeitsrechtliche Auseinandersetzungen gebe.
29
Die Bewerbungen des Antragstellers dürften auch nicht an der Nachrangregelung des § 103 Abs. 4c Satz 3 SGB V scheitern, weil diese auf ihn nicht anzuwenden sei. Bei dem Einzelunternehmen des Antragstellers und dem von ihm persönlich gegründeten und betriebenen MVZ S. West handele es sich ausschließlich um ein ärztlich geführtes und geleitetes MVZ, bei dem der Antragsteller ausschließlicher Eigentümer, Inhaber und ärztlicher Vertreter sei. Der Antragsteller als immer noch selbstständig tätiger und praktizierender Arzt könne jederzeit und ausschließlich die ärztlichen Interessen im MVZ S. West durchsetzen und bestimmen. Es gebe keine Mehrheit der Geschäftsanteile und keine Mehrheit der Stimmrechte in den Händen von Nichtärzten, sodass der Nachrang des § 103 Abs. 4c Satz 3 SGB V schon nach dem Wortlaut der Vorschrift nicht in Betracht komme. Der Antragsteller vertrete auch regelmäßig und stundenweise den im MVZ angestellten Arzt und stimme sich mit diesem eng ab. Dem Gesetzgeber sei es mit der Bestimmung des § 103 Abs. 4c Satz 3 SGB V darum gegangen, eine Verdrängung freiberuflicher Ärzte durch Kapitalgesellschaften zu vermeiden. Im vorliegenden Fall würde durch die Berücksichtigung der Bewerbung des Antragstellers aber keine Verdrängung von Vertragsärzten durch Kapitalgesellschaften stattfinden. Das MCZ M.-C. S. West sei ein ausschließlich ärztlich geführtes MVZ, ohne externe Kapitalgeber. Das MVZ S., H.-Str., sei zunächst als Filiale im Jahr 2011 gegründet worden und dann im Jahr 2012 durch Umzug als ausschließlich ärztlich geleitetes und betriebenes MVZ strukturiert worden. Der Antragsteller als selbstständiger Arzt sei sowohl Gründer, Alleininhaber, Betreiber und „ärztlicher Vertretungsberechtigter“ dieses MVZ. Zudem vertrete er regelmäßig den dortigen ärztlichen Leiter, sodass hier auch von einer vertragsärztlichen Tätigkeit im MVZ ausgegangen werden könne. Die (ärztliche) Leitungsverantwortung trage damit sowohl der dortige ärztliche Leiter als auch der Antragsteller als selbstständig tätiger Arzt. Er habe in allen das MVZ betreffenden Fragen und für alle wesentlichen Vorgänge sowie vor allem in ärztlichen Fragen den bestimmenden Einfluss.
30
§ 103 Abs. 4c Satz 3 SGB V bedeute eine Einschränkung der unternehmerischen Tätigkeit und stelle grundsätzlich eine Ungleichbehandlung zwischen einem durch Vertragsärzte betriebenen MVZ (bei dem die Vertragsärzte noch direkt tätig sind) sowie einem von einem Vertragsarzt betriebenen MVZ mit angestellten Ärzten (vorliegender Fall) dar. Die Regelung sei deshalb eng auszulegen. Sie betreffe nicht den vorliegenden Fall, in dem es weder Mehrheiten an Stimmrechten noch Mehrheiten an Kapitalanteilen gebe. Eine teleologische Auslegung ergebe, dass in der vorliegenden Konstellation der Nachgang gerade nicht anwendbar sei. Der Schutz der Freiberuflichkeit und der Selbstständigkeit sei vorliegend gegeben.
31
Das MVZ M.-C. S. West falle zwar zeitlich nicht unter die Privilegierung nach § 103 Abs. 4c Satz 4 SGB V, da es nach dem 31.12.2011 zugelassen worden sei. Allerdings sei die rein ärztliche Trägerschaft und Mitarbeit des Antragstellers als Arzt und Gründer hier zwingend zu berücksichtigen.
32
Weiter hat der Antragsteller zum Eilrechtsschutz ausgeführt:
33
Der sofortige Vollzug der Entscheidungen liege nicht im öffentlichen Vollzugsinteresse. Die Beschlüsse des ZA seien wegen Auswahlfehler offensichtlich rechtswidrig und könnten deshalb keinesfalls ein öffentliches Vollzugsinteresse rechtfertigen. Durch den Sofortvollzug statusbegründender Akte würden vollendete Tatsachen dahingehend geschaffen, dass die vom ZA ausgewählten Bewerber bereits wie ein Vertragsarzt mit der Tätigkeit beginnen könnten und die Praxis und den Patientenstamm wirtschaftlich vollumfänglich verwerten oder sogar entwerten könnten. Sollte später doch ein Konkurrent obsiegen und zum Zuge kommen, finde dieser gegebenenfalls eine entwertete Praxis vor und müsse dennoch den vertraglich vereinbarten Kaufpreis zahlen. Dem zwangsläufig in einem Zulassungsverfahren mit mehreren Bewerbern entstehen Schwebezustand könne durch Verlängerung des derzeitigen Status der Frau Dr. F. Rechnung getragen werden. Der Antragsteller, der bereits einen rechtsgültigen Kaufvertrag unterschrieben habe, werde durch den Sofortvollzug völlig schutzlos gestellt. Im Übrigen habe der ZA die erforderliche Interessenabwägung nicht vorgenommen bzw. die Interessen „der Antragstellerin“ nicht hinreichend berücksichtigt.
34
Der Antragsgegner hat mit Schriftsatz vom 09.10.2024 in beiden Verfahren mitgeteilt, man halte sich für den richtigen Antragsgegner, sehe aber von einer Stellungnahme im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes ab, um einer vom Antragsgegner als Kollegialorgan noch zu treffenden Entscheidung nicht vorzugreifen.
35
Der Bevollmächtigte von Dr. W. und Dr. P. (S 13 KA 7/24 ER) bzw. der üBAG (S 13 KA 8/24 ER) hat mit Schriftsätzen vom 20.10.2024 und 31.10.2024 Stellung genommen (im Verfahren S 13 KA 8/24 ER; Mandatsanzeige in S 13 KA 7/24 ER am 13.11.2024). Frau Dr. W. und Herr Dr. P. arbeiteten aktuell hälftig an den Standorten der üBAG in K und W. Darüber hinaus arbeite Frau Dr. F. seit dem 07.10.2024 in Vollzeit auf dem Angestelltensitz und vertrete gemäß einer ordnungs- und fristgerechten Anmeldung bei der KVB – mit ausdrücklichem Einverständnis von Frau Dr. F. – Herrn Dr. D., der zuvor zum 04.10.2024 gekündigt habe. Ermessensfehler des ZA im Rahmen der Auswahlentscheidung lägen nicht vor. Es bestünde gerade keine (erb) vertragliche Regelung oder sonstige Willensäußerung des Dr. R., die eine Fortführung der Praxis durch Frau Dr. F. vorsehe. Im Übrigen stellten die vom Antragsteller genannten Ärzte ebenfalls Strohmänner dar, da im Bayerischen Ärzteblatt nach wie vor Gesuche des Antragstellers für eine Tätigkeit in der Praxis in W zu finden seien.
36
Herr RA S hat sich ebenfalls in beiden Verfahren mit Schriftsätzen vom 14.10.2024 und 22.10.2024 geäußert. Die Anordnung des Sofortvollzugs sei rechtmäßig erfolgt, weil der Sofortvollzug vorliegend im besonderen öffentlichen Interesse liege. Bekanntlich seien die beiden „Witwenquartale“ gemäß § 4 Abs. 3 BMV-Ä am 30.09.2024 abgelaufen. Bei Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs würde sich daher die Frage stellen, auf welcher Basis welche ärztliche Vertretung hier überhaupt tätig sein könnte. Die Fortführung der Praxis wäre damit nicht sichergestellt, woraus sich ein erheblicher Schaden für den Nachlass sowie eine erhebliche Patientengefährdung ergäbe.
37
Der Bevollmächtigte von Frau Dr. F. hat mit Schriftsätzen vom 25. und 26.11.2024 im Verfahren S 13 KA 8/24 ER darauf hingewiesen, dass sich die Entscheidung betreffend die Anstellungsgenehmigung für Herrn Dr. D. erledigt habe, die diesbezügliche Anordnung des Sofortvollzuges damit hinfällig sei und sich auch das dagegen gerichtete Eilverfahren vor dem Sozialgericht erledigt habe. Mit Schriftsatz vom 03.12.2024 hat der Bevollmächtige von Frau Dr. F. im Verfahren S 13 KA 7/24 ER ausgeführt, der ZA habe in seiner Auswahlentscheidung sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt, weil die von ihm ausgewählte Frau Dr. W. nur über die Facharztbezeichnung fachärztliche Internistin (mit Fachkunde „Sigmoido Koloskopie“) und nicht über den Schwerpunkt Gastroenterologie verfüge.
38
Frau Dr. F. selbst hat mit Schreiben vom 28.10.2024 darauf hingewiesen, dass die Praxisübernahme in ein großes übergeordnetes Praxisnetz dem Willen des Herrn Dr. R. entsprochen hätte. Im Rahmen einer solchen Übernahme würden auch ihre Interessen als faktisch gleichberechtigte Ärztin neben ihrem ehemaligen Lebensgefährten ausreichend gewahrt werden.
39
Das SG A-Stadt hat auch im Verfahren S 13 KA 8/24 ER des Antragstellers auf einstweiligen Rechtsschutz mit Beschluss vom 18.12.2024 abgelehnt (allerdings nicht wie hier als unbegründet, sondern als unzulässig).
40
Der Antragsteller beantragt (im vorliegenden Verfahren S 13 KA 7/24 ER):
41
Die vom Zulassungsausschuss mit Bescheid vom 11.09.2024 getroffene Anordnung des Sofortvollzugs wird aufgehoben und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 29.09.2024 gegen den Bescheid des Zulassungsausschusses vom 11.09.2024 wird wiederhergestellt.
42
Die Beigeladenen zu 8 und 9 (Dr. W. und Dr. P.) beantragen,
den Antrag des Antragstellers kostenpflichtig zurückzuweisen.
43
Der Beigeladene zu 10 (RA Dr. S) beantragt,
den Antrag des Antragstellers kostenpflichtig zurückzuweisen.
44
Die anderen Beteiligten einschließlich des Antragsgegners haben keine Anträge gestellt.
45
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf den Inhalt der Gerichtsakten in den Verfahren S 13 KA 7/24 ER und S 13 KA 8/24 ER sowie der beigezogenen Verwaltungsakten des Antragsgegners und des ZA verwiesen.
II.
46
Der Antrag auf Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 29.09.2024 gegen den Beschluss des ZA vom 11.09.2024, ausgefertigt am 25.09.2024, ist zulässig, aber unbegründet.
47
Der Antrag des Antragstellers nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG ist statthaft. Zwar erfasst § 86b Abs. 1 SGG grundsätzlich (nur) die Fälle, in denen die (reine) Anfechtungsklage richtige Klageart in der Hauptsache ist (während vorliegend in der Hauptsache eine kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage statthaft wäre) (vgl. (MeyerLadewig/Keller/Schmidt SGG/Keller, 14. Aufl. 2023, SGG § 86b Rn. 24). Einen Antrag auf einstweilige Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG hat der Antragsteller nicht gestellt. Allerdings ist es – quasi als „Minus“ – zulässig, dass der Antragsteller im Rahmen eines Eilverfahrens nur eine einstweilige Zulassung bzw. Anstellungsgenehmigung für Konkurrenten zu verhindern sucht, ohne die begehrte eigene Zulassung oder Anstellungsgenehmigung vorläufig anzustreben. Ein Antragsteller (Konkurrent) kann mit einem Antrag nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG seine Interessen dadurch wahren, dass er (zunächst nur) die einstweilige Freihaltung der umstrittenen Vertragsarztstelle(n) erwirkt und so verhindert, dass die begünstigte Konkurrenz die (vorläufig) übernommene Praxis bereits nach eigenen Vorstellungen umgestalten und nutzen kann und sich eine von ihr veranlasste Umstrukturierung der bisherigen Praxis verfestigt (i.Erg. ebenso LSG NiedersachsenBremen, Urteil vom 10.11.2010, L 3 KA 75/07).
48
Die Zulässigkeit scheitert auch nicht am fehlenden Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers. Ein erfolglos durchlaufenes Antragsverfahren nach § 86a Abs. 3 SGG ist nicht Voraussetzung für einen Antrag nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG (h.M., z.B. BSG, Urteil vom 14.02.2013, B 14 AS 62/12 R; Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt SGG/Keller, 14. Aufl. 2023, SGG § 86b Rn. 7a).
49
Dass der Antragsteller gleichzeitig Anträge auf Widerherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs beim Sozialgericht nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG und beim Antragsgegner nach § 86a Abs. 3 SGG gestellt hat, führt ebenfalls nicht zur Unzulässigkeit des gerichtlichen Eilrechtsschutzes. Die Problematik sich etwaig widersprechender Entscheidungen dürfte dahingehend zu lösen sein, dass die Ausgangs- bzw. Widerspruchsbehörde die Anordnung der sofortigen Vollziehung ungeachtet einer diesbezüglichen Antragsablehnung durch das Sozialgericht aufheben kann, während eine gerichtlich angeordnete bzw. wiederhergestellte aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs die Behörde(n) bindet (vgl. BeckOK SozR/Cantzler, 74. Ed. 01.09.2024, SGG § 86a Rn. 66.1).
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Der Antrag des Antragstellers nach § 86b Abs. 1 Satz1 Nr. 2 SGG ist aber unbegründet.
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Der Antragsgegner ist vorliegend passivlegitimiert. Nach Widerspruchseinlegung ist der Berufungsausschuss, auch vor seiner Entscheidung, im einstweiligen Rechtsschutzverfahren richtiger Antragsgegner (Pawlita in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 97 SGB V (Stand: 28.05.2024), Rn. 125; zur – hier nicht entscheidenden Frage, ob auch der ZA passivlegitimiert sein kann, wenn sich der Antragsteller gegen die von diesem erlassene Anordnung des Sofortvollzugs wendet vgl. SG München, Beschluss vom 16.08.2023, S 28 KA 428/23 ER).
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Gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht auf Antrag in Fällen, in denen – wie vorliegend der ZA – eine Behörde die sofortige Vollziehung ihrer Entscheidung angeordnet hat (§ 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG, § 97 Abs. 4 SGB V), die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs bzw. der Klage hiergegen anordnen bzw. wiederherstellen. Welche Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG erforderlich sind, ist im Gesetz selbst nicht geregelt. Nach allgemeiner Auffassung (vgl. z.B. MKLS/Keller, 14. Aufl. 2023, SGG § 86b Rn. 12i, § 86a Rn. 21ff.) ist aber anerkannt, dass zunächst – in formeller Hinsicht – zu prüfen ist, ob die behördliche Vollstreckungsanordnung hinreichend begründet worden ist. Ist dies nicht der Fall, ist bereits aus diesem Grunde die aufschiebende Wirkung anzuordnen bzw. wiederherzustellen.
53
Anderenfalls ist für eine Anordnung nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG Voraussetzung, dass die Abwägung der Interessen – bei Drittbetroffenheit wie vorliegend die Interessen des/der Adressaten des Verwaltungsakts und des/der Drittbetroffenen sowie das öffentliche Interesse gen (Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt SGG/Keller, 14. Aufl. 2023, SGG § 86b Rn. 12i) – zu dem Ergebnis führt, dass dem angeordneten Sofortvollzug der streitigen Verwaltungsentscheidung kein Vorrang gegenüber der Notwendigkeit der abschließenden Klärung der Rechtmäßigkeit zugebilligt werden muss. Ausgangspunkt dieser Abwägung ist zunächst die Berücksichtigung der voraussichtlichen Erfolgsaussichten des eingelegten Rechtsbehelfs in der Hauptsache. Darauf folgt die Prüfung, ob die berührten Interessen eine sofortige Umsetzung notwendig machen oder es diesen eher entspricht, den rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens abzuwarten. Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs und Interessenabwägung sind keine insoliert zu prüfenden Merkmale, sondern stehen in einem unauflöslichen Zusammenhang. Je größer die Erfolgsaussichten bei summarischer Prüfung sind, umso geringere Anforderungen sind an das Aussetzungsinteresse zu stellen. Je geringer umgekehrt die Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu bewerten sind, umso schwerwiegender muss das Interesse an der aufschiebenden Wirkung sein, um eine Aussetzung rechtfertigen zu können. Offensichtlich rechtmäßige Verwaltungsakte können in der Regel sofort vollzogen werden, während an der Vollziehung offensichtlich rechtswidriger Verwaltungsakte grundsätzlich kein legitimes Interesse besteht. Kann eine endgültige Prognose bezüglich der Erfolgsaussichten noch nicht gestellt werden, müssen die für und wider die sofortige Vollziehung sprechenden Interessen gegeneinander abgewogen werden. Daneben gilt es, das Regel-/Ausnahmeverhältnis von aufschiebender Wirkung und Sofortvollzugsanordnung zu beachten. Aus der Grundregel des Eintritts der aufschiebenden Wirkung durch Widerspruch und Klage, die ausnahmsweise gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG, § 97 Abs. 4 SGB V (zum Verhältnis der beiden Regelungen siehe Bayer. LSG, Beschluss vom 10.08.2011, L 12 KA 28/11 B ER; SG Marburg, Beschluss vom 07.06.2018, S 12 KA 148/18 ER) im (besonderen) öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten außer Kraft gesetzt werden kann, ist zu schließen, dass die Regelfolge der aufschiebenden Wirkung durchzugreifen hat, wenn ein (besonderes) Vollziehungsinteresse, das über das für den Erlass des Verwaltungsakte erforderliche Interesse hinausgehen muss, nicht besteht. Es ist darzulegen, weshalb eine Vollziehung bereits vor einer möglichen gerichtlichen Überprüfung der Entscheidung geboten ist. Auch hierauf, also auf die Frage, ob überhaupt ein (besonderes) öffentliches Interesse oder ein überwiegendes Interesse eines Beteiligten an der Anordnung der sofortigen Vollziehung vorliegt, hat sich die gerichtliche Überprüfung zu beziehen (vgl. insg. Bayer. LSG, Beschluss vom 09.03.2017, L 12 KA 91/16 B ER).
54
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Zulassungen von Dr. W. und Dr. P im Beschluss des ZA vom 11.09.2024 ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. Der ZA hat die seiner Auffassung nach für den Sofortvollzug sprechenden Aspekte ausreichend benannt, indem er unter Ziff. VII. der Gründe des angefochtenen Beschlusses auf die dringende Notwendigkeit hinwies, die vertragsärztliche Versorgung gastroenterologischer Patienten am Vertragsarztsitz S.- Str., W-Stadt, ab dem 01.10.2024 weiter sicherzustellen. Aufgrund des Auslaufens der für den Vertragsarztsitz erteilten Vertretergenehmigung und Fortführung der Anstellungsgenehmigung zum 30.09.2024 sei eine nahtlose und kontinuierliche Patientenversorgung ab Oktober 2024 nicht mehr gewährleistet, sollte einer der nicht ausgewählten Bewerber Widerspruch gegen die Entscheidung des ZA einlegen. Es bestehe ein überwiegendes öffentliches Vollzugsinteresse, weil die angemessene ärztliche Versorgung der gesetzlich versicherten Patienten während des drohenden Schwebezustandes, der bei einem Rechtsbehelf womöglich über einen längeren Zeitraum andauere, die Möglichkeit der abgelehnten Bewerber, an der vertragsärztlichen Versorgung gewinnbringend mitzuwirken, klar überwiege. Ein nachhaltiger rechtlicher oder wirtschaftlicher Nachteil erwachse diesen durch die sofortige Vollziehung des Beschlusses nicht; auch bei einem erfolgreichen Rechtsbehelf könnten die jetzt abgelehnten Bewerber nicht rückwirkend zum 01.10.2024 an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen.
55
Es liegt damit eine hinreichende schriftliche Begründung des besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung im Sinne von § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG vor.
56
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Frau Dr. W. und Herrn Dr. P. erteilten Zulassungen stellt sich auch in materieller Hinsicht als rechtmäßig dar. Denn die Erfolgsaussichten des Widerspruchs des Antragstellers vom 29.09.2024 gegen den Beschluss des ZA vom 11.09.2024 sind als gering einzustufen. Eine Rechtswidrigkeit des Beschlusses, die den Antragsteller in seinen Rechten verletzen könnte, ist für das Gericht nicht ersichtlich.
57
Hat der Zulassungsausschuss – wie vorliegend – in einem Planungsbereich, für den Zulassungsbeschränkungen angeordnet sind, nach § 103 Abs. 3a SGB V einem Antrag auf eines Nachbesetzungsverfahrens entsprochen, hat die Kassenärztliche Vereinigung den Vertragsarztsitz in den für ihre amtlichen Bekanntmachungen vorgesehenen Blättern unverzüglich auszuschreiben. Unter mehreren Bewerbern, die die ausgeschriebene Praxis als Nachfolger des bisherigen Vertragsarztes fortführen wollen, hat der Zulassungsausschuss bzw. im Widerspruchsverfahren der Berufungsausschuss grundsätzlich unter Berücksichtigung der in § 103 Abs. 4 Satz 5 SGB V genannten Kriterien den Nachfolger nach pflichtgemäßem Ermessen auszuwählen (vgl. insg. § 103 Abs. 4 SGB V).
58
Nachdem offensichtlich außer dem Antragsteller keine weiteren nicht erfolgreichen Mitbewerber gegen die Zulassungsentscheidung des ZA vom 11.09.2024 Widerspruch eingelegt haben, konkurrieren noch Dr. W. und Dr. P. einerseits und der Antragsteller andererseits (mit den anzustellenden Ärzten Frau G., Herr K. und Herr Dr. Sch) um den zu vergebenden Vertragsarztsitz. Zur Überzeugung des Gerichts ist vorliegend zu Lasten des Antragstellers die Nachrangregelung des § 103 Abs. 4c Satz 3 SGB V zu beachten, sodass der Antragsteller (mit seinen anzustellenden Ärzten) im Rahmen der Auswahlentscheidung des ZA jedenfalls nicht zu Zuge kommen konnte (so wohl auch der ZA, vgl. Seite 20 des Beschlusses vom 11.09.2024).
59
Nach § 103 Abs. 4c Satz 3 SGB V ist bei der Auswahl eines Praxisnachfolgers ein MVZ, bei dem die Mehrheit der Gesellschaftsanteile und Stimmrechte nicht bei Ärzten liegt, die in dem MVZ als Vertragsärzte tätig sind, gegenüber den übrigen Bewerbern nachrangig zu berücksichtigen. Nach diesen Vorgaben kann einem MVZ, bei dem die Mehrheit der Gesellschaftsanteile und Stimmrechte nicht bei Ärzten liegt, die in dem MVZ als Vertragsärzte tätig sind, der Zuschlag für einen ausgeschriebenen Vertragsarztsitz nur dann erteilt werden, wenn sich hierauf keine anderen geeigneten Bewerber – also weder ein nicht nachrangiges MVZ noch ein Vertragsarzt – bewerben; das Auswahlermessen der Zulassungsgremien ist insoweit eingeschränkt (also nicht Nachrang nur bei Gleichwertigkeit der Abwägungsergebnisse mit anderen Bewerbern und auch nicht Nachrang i.S.v. § 103 Abs. 4c Satz 3 SGB V als lediglich ein zu berücksichtigendes Abwägungskriterium im Rahmen der Auswahlentscheidung). Aus der Wendung „nachrangig zu berücksichtigen“ lässt sich entnehmen, dass – soweit neben dem nicht mehrheitlich von Vertragsärzten getragenen MVZ andere geeignete Bewerber vorhanden sind – diese grundsätzlich dem MVZ vorzuziehen sind. Das bedeutet, dass diesem MVZ bei der Auswahl im Nachbesetzungsverfahren nicht die gleiche Stellung wie anderen geeigneten Bewerbern eingeräumt wird (ausführlich dazu BSG, Urteil vom 25.10.2023, B 6 KA 26/22 R, m.w.N.). Dieser Nachrang gilt nach § 103 Abs. 4c Satz 4 SGB V allerdings nicht für ein medizinisches Versorgungszentrum, das am 31.12.2011 zugelassen war und bei dem die Mehrheit der Geschäftsanteile und Stimmrechte bereits zu diesem Zeitpunkt nicht bei den dort tätigen Vertragsärzten lag.
60
Nach der Gesetzesbegründung sollen mit dem Nachrang nach § 103 Abs. 4c Satz 3 SGB V freiberuflich tätige Ärzte vor einer Verdrängung durch medizinische Versorgungszentren bei der Praxisnachfolge in überversorgten Planungsbereichen geschützt werden. Der Nachrang betrifft nur die medizinischen Versorgungszentren, die sich „nicht mehrheitlich in der Hand“ der dort tätigen Vertragsärzte befinden (BT-Drucks. 17/8005, S. 114).
61
Entscheidend ist nach dem Sinn und Zweck des § 103 Abs. 4c Satz 3 SGB V nicht, in wie vielen weiteren Händen sich das MVZ befindet, sondern maßgeblich ist allein dass diese Hände oder auch nur eine Hand von außerhalb nicht mehrheitlich auf das MVZ Zugriff haben bzw. hat. Dem steht auch der Wortlaut des § 103 Abs. 4c Satz 3 SGB V nicht entgegen. Wenn die Ausschlussregelung des § 103 Abs. 4c Satz 3 SGB V bereits dann greift, wenn (nur) die Mehrheit der Geschäftsanteile und Stimmrechte nicht bei im MVZ tätigen Vertragsärzten liegt, hat sie erst recht dann zu gelten, wenn 100% der Geschäftsanteile und Stimmrechte auswärts liegen (argumentum a fortiori). Ob diese 100% der Geschäftsanteile und Stimmrechte auf mehrere Personen einer Gesellschaft verteilt oder in der Person eines Einzelunternehmers vereint sind, macht dabei keinen rechtlichen Unterschied. Dass es dem Gesetzgeber nicht auf die gesellschaftsrechtliche Konstruktion, sondern auf die rechtlichen Machtverhältnisse gegenüber den im MVZ tätigen Vertragsärzten ankommt, ergibt sich auch aus der Formulierung „nicht mehrheitlich in der Hand der dort tätigen Vertragsärzte“ in BT-Drucks. 17/8005, S. 114.
62
Der Antragsteller ist Eigentümer bzw. Inhaber zahlreicher MVZ im Großraum Nürnberg, auch des MVZ S. West, – und er ist Vertragsarzt. Im MVZ S. West ist er aber nicht als solcher tätig, weder aufgrund einer vertragsärztlichen Zulassung noch aufgrund einer Anstellungsgenehmigung (wobei dahingestellt bleiben kann, inwieweit man im eigenen MVZ überhaupt angestellt sein kann). Dass der Antragsteller das MVZ gründet hat und – wirtschaftlich gesehen – betreibt, macht ihn nicht zu einem in dem bzw. für das MVZ tätigen Vertragsarzt, ebensowenig wie eine stundenweise Vertretungstätigkeit dort. Welche ihm zustehenden Kompetenzen der Antragsteller mit seiner Eigenbezeichnung als „ärztlicher Vertreter“ des MVZ verbindet, ist unklar, ebenso, inwieweit der Antragsteller die ärztliche Leitung des MVZ (vgl. § 95 Abs. 1 Satz 2 SGB V) faktisch beeinflusst. Er ist rechtlich gesehen jedenfalls nicht im MVZ als Vertragsarzt tätig, wie von § 103 Abs. 4c Satz 3 SGB V für die Nichtanwendung der Nachrangregelung vorausgesetzt wird.
63
Der Antragsteller betreibt als Einzelunternehmer – nicht als Vertragsarzt – im Raum Nürnberg 13 MVZ als MVZ M.-C. N und beherrscht mittels der gesellschaftlichen Gesamtkonstruktion um das MVZ M.-C. N letztlich mehrere Dutzend weitere MVZ im Großraum N. Alle MVZ M.-C. N treten – ungeachtet ihrer rechtlichen Zuordnung – als gemeinsamer Verbund auf, wie sich aus deren Homepage ersehen lässt. Im Hinblick auf Marktbeherrschung und Verdrängung freiberuflicher Ärzte kann der Antragsteller als Einzelunternehmer damit – ungeachtet seiner Profession als Arzt und seiner (einen) vertragsärztlichen Zulassung – durchaus Kapitalgesellschaften, wie sie der Gesetzgeber sicher primär im Blick hatte, gleichgestellt werden, sodass auch unter teleologischen Aspekten eine Herausnahme des Antragstellers aus dem Anwendungsbereich des § 103 Abs. 4c Satz 3 SGB V nicht angezeigt erscheint.
64
Schließlich fällt der Antragsteller auch nicht unter die Rückausnahme in § 103 Abs. 4c Satz 4 SGB V, da nach seinen eigenen Angaben das MVZ M.-C. S. West erst nach dem 31.12.2011 zugelassen wurde.
65
Frau Dr. W. und Herr Dr. P. erfüllen jeweils in ihrer Person alle für die Erteilung einer Zulassung erforderlichen Voraussetzungen, Bedenken gegen ihre Person bestehen nicht.
66
Damit waren Dr. W. und Dr. P. bei der Auswahl im vorliegenden Nachbesetzungsverfahren (bzgl. des Sitzes des verstorbenen Dr. R.) jedenfalls vorrangig gegenüber dem Antragsteller mit dessen anzustellenden Ärzten Frau A., Herrn K. und Herrn Dr. Sch zu be-rücksichtigen. Andere nicht zum Zuge gekommene Konkurrenten haben gegen die Entscheidung des ZA offensichtlich keinen Widerspruch eingelegt. Auf die Auswahlkriterien des § 103 Abs. 4 Satz 5 SGB V kommt es jedenfalls bei der rechtlichen Prüfung im Rahmen des Widerspruchsverfahrens des nach § 103 Abs. 4c Satz 3 SGB V nachrangigen Antragstellers und somit für die Erfolgsaussicht von dessen Widerspruchs nicht an. Ob wegen § 103 Abs. 4c Satz 3 SGB V bzgl. des Antragstellers von einer Einschränkung des Auswahlermessens (auf null) auszugehen ist (vgl. BSG, Urteil vom 25.10.2023, B 6 KA 26/22 R) oder er wegen seines Nachrangs in die Auswahlentscheidung nicht einzubeziehen war, kann dabei dahingestellt bleiben; im Ergebnis waren Dr. W. und Dr. P. jedenfalls gegenüber dem Antragsteller (mit den anzustellenden Ärzten A., K. und Dr. Sch) vorrangig zu berücksichtigen, d.h. vorzuziehen.
67
Insgesamt sieht deshalb das Gericht angesichts der auf den Antragsteller anzuwendenden Nachrangregelung des § 103 Abs. 4c Satz 3 SGB V de lege lata keine Möglichkeit eines Erfolgs des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Beschluss des ZA vom 11.09.2024 (bzgl. der Nachfolgezulassung Dr. R.).
68
Selbst wenn man angesichts der von Rspr. und Lit. soweit ersichtlich noch nicht diskutierten besonderen Fallkonstellation des Antragstellers nicht ganz sicher von einem Nichterfolg des Widerspruchsverfahrens ausgehen kann, durfte der ZA die sofortige Vollziehung anordnen, weil im Rahmen der Interessenabwägung jedenfalls in hinreichendem Maße ein die Anordnung der sofortigen Vollziehung rechtfertigendes Interesse besteht (und vom ZA auch dargelegt wurde, siehe dazu bereits oben).
69
Vorliegend besteht ein überwiegendes Interesse von Dr. W. und Dr. P. an einer sofortigen Ausnutzung der ihnen vom ZA jeweils erteilten (hälftigen) Zulassung. Ihr Interesse ist ersichtlich: Wird der Beschluss vom 11.09.2024 nicht so schnell wie möglich vollzogen, wird er für sie immer weniger wert, das Praxissubstrat droht zu schwinden, weil Mitarbeiter und Patienten mit der Zeit weniger werden und die nicht genutzte und gewartete Praxisausstattung an Wert verliert.
70
Außerdem spricht zwar nicht die Versorgungssicherheit, weil es sich um eine Nachbesetzung im überversorgten Planungsgebiet handelt, aber die Versorgungskontinuität der gesetzlich Versicherten dafür, den Vertragsarztsitz kontinuierlich fortzuführen und einen Schwebezustand kraft aufschiebender Wirkung zu vermeiden, um die weitere medizinische Versorgung des Patienten der Praxis aufrecht zu erhalten (vgl. Sächsisches LSG, Beschluss vom 11.01.2021, L 1 KA 4/20 B ER; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 18.10.2023, L 7 KA 26/23 B ER). Insofern besteht auch ein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung des Beschlusses des Antragsgegners vom 11.09.2024, zumal die Genehmigung zur vertretungsweisen Weiterführung der Praxis am 30.09.2024 geendet hat und nach § 4 Abs. 3 BMV-Ä, die Kassenärztliche Vereinigung die Weiterführung der Praxis eines verstorbenen Vertragsarztes durch einen anderen Arzt (nur) bis zur Dauer von zwei – vorliegen bereits verbrauchten – Quartalen genehmigen kann.
71
Demgegenüber sind die widerstreitenden Interessen des Antragstellers in die Gesamtabwägung einzustellen. Derartige Interessen von Gewicht sind nicht erkennbar. Im Gegenteil: Solange Dr. W. und Dr. P. den Vertragsarztsitz nutzen, um den die Beteiligten streiten, wird jedenfalls der damit verbundene Patientenstamm bewahrt, was im Falle eines Obsiegens in der Hauptsache auch dem Antragsteller zugute käme. Auch stellt für den Antragsteller die fortdauernde Vorhaltung zumindest von Frau G. und Dr. Sch als anzustellende Bewerber, die nicht auf dem nachzubesetzenden Vertragsarztsitz tätig werden können, wohl kein besonderes wirtschaftliches Risiko dar (derartiges hat der Antragsteller auch nicht vorgetragen). Denn die beiden zur Anstellung vorgesehen Ärzte des Antragstellers sind bereits jetzt in Praxen des M.-C. N tätig.
72
Schließlich ist zu beachten, dass die Vollziehungsanordnung dem bzw. den Begünstigten keineswegs eine gesicherte Rechtsposition einräumt. Sie entfaltet keinerlei Bindungswirkung für das Hauptsacheverfahren. Wenn Dr. W. und Dr. P sich dafür entscheiden, die beiden (vorläufig) erhaltenen hälftigen Vertragsarztsitze auf dieser vorläufigen Basis zu nutzen, geschieht dies auf das Risiko, im Falle des Unterliegens in der Hauptsache etwaige Investitionen umsonst aufgewendet zu haben (vgl. Sächsisches LSG, Beschluss vom 11.01.2021, L 1 KA 4/20 B ER) und bei „Abnutzung“ der Praxiseinrichtung einen entsprechenden Ausgleich zahlen zu müssen. Insofern steht weder RA S als Nachlasspfleger noch der Antragsteller dem quasi schutzlos gegenüber, wie von Letzterem vorgetragen.
73
Während also im Falle der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung aufgrund der dann drohenden Einstellung des Praxisbetriebs am Standort S.- Str. in W den vom ZA begünstigten Drs. W. und P. ein deutlicher finanzieller Nachteil und den von ihnen zu versorgenden Patienten eine Lücke bzgl. ihrer medizinischen Versorgung droht, gereicht umgekehrt der vorläufige Praxisbetrieb durch Dr. W. und Dr. P. dem Antragsteller weitaus weniger zu Nachteil. Auch im Falle eines Obsiegens im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes könnte der Antragsteller nur den weiteren Betrieb der Praxis durch Dritte hindern, nicht aber selbst (durch die anzustellenden Ärzte) dort (vorläufig) tätig werden und wirtschaftlichen Nutzen ziehen, zumal er im einstweiligen Rechtsschutzverfahren keinen Antrag auf Zuerkennung eines entsprechenden vorläufigen Status gestellt hat.
74
Vor dem Hintergrund einer aus Sicht des Gerichts nicht bestehenden Erfolgsaussicht der Hauptsacheklage ist nach Abwägung der öffentlichen und privaten Interessen damit vorliegend die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Beschlusses vom 11.09.2024 zugunsten der Drs. W. und P. jedenfalls zu Recht erfolgt. Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 29.09.2024 kann deshalb keinen Erfolg haben.
75
Das Gericht hat nach Ausübung pflichtgemäßen Ermessen von einer Verbindung der Verfahren S 13 KA 7/24 ER und S 13 KA 8/24 ER abgesehen, weil die beiden Verfahren aufgrund der Erledigung der Anstellungsgenehmigung für Herrn Dr. D. nunmehr prozessual unterschiedliche Wege gehen (das Verfahren S 13 KA 8/24 ER ist unzulässig geworden, nachdem das Nachbesetzungsverfahren betreffend die Anstellungsgenehmigung für Herrn Dr. D bzgl. der umgewandelten Stelle von Frau Dr. F. erledigt ist, siehe dazu den Beschluss vom 18.12.2024 im Verfahren S 13 KA 8/24 ER). Dass die beiden Verfahren in einem inhaltlichen Zusammenhang stehen, ändert hieran nichts. Die beiden Nachfolgezulassungen sind nicht zwingend als Einheit zu betrachten bzw. zu vergeben. Wenn es nicht zu einer mit Dr. W. und Dr. P. einvernehmlichen Nachfolgezulassung oder Anstellungsgenehmigung bzgl. der Stelle von Dr. F. in den Praxisräumen in der S.- Str. in W kommen sollte, wäre eine Praxisnachfolge auch in unmittelbarer räumlicher Nähe denkbar (vgl. z.B. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 18.10.2023, L 7 KA 26/23 B ER), zumal sich am bzw. um den Standort S.- Str. mehrere Ärztehäuser befinden.
76
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG analog iVm § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO. Danach trägt der unterliegende Antragsteller die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen RA Dr. S, Dr. W. und Dr. P., die sich selbst bzw. durch ihren Prozessbevollmächtigten im Verfahren positioniert, die Ablehnung des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz beantragt und dadurch selbst ein Kostenrisiko auf sich genommen haben. Etwaige außergerichtliche Kosten der weiteren Beigeladenen sind nicht zu erstatten (§ 162 Abs. 3 VwGO).
77
Der Streitwert wird auf 60.000,- € festgesetzt. Diese Entscheidung beruht auf § 52 Abs. 1, 2 GKG. Dem Antragsteller geht es im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht darum, eine eigene Rechtsposition zu erlangen und wirtschaftlich zu verwerten, vielmehr war sein Begehren darauf gerichtet, die den Drs. W. und P. günstige Entscheidung des ZA auf sofortige Vollziehung des Beschlusses vom 11.09.2024 (Ziff. I., II. und XI.) zu beseitigen. Dieses Begehren hat – insoweit – defensiven Charakter. Maßgebend für die Streitwertbestimmung ist das dem Begehren zu Grunde liegende wirtschaftliche Interesse des Antragstellers. Dieses ist bei einem Abwehrantrag schwerlich zu beziffern. Demzufolge kann auf die Kriterien des § 52 Abs. 2 GKG zurückgegriffen werden. Hiernach ist ein Streitwert von 5.000,- € anzunehmen, wenn der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte bietet. Da die Bedeutung des Antrags erkennbar über diesem Wert liegt, ist der Streitwert angemessen zu erhöhen. In Anlehnung an den in Zulassungssachen für die Streitbestimmung zu Grunde zu legenden Zeitraum von drei Jahren (BSG, Beschluss vom 01.09.2005, B 6 KA 41/04 R) ergäbe sich in einem entsprechenden defensiven Hauptsacheverfahren ein Streitwert von 12 Quartale x 5.000,- € = 60.000,- € (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 19.05.2014, L 11 KA 99/13 B ER). Angesichts der Vorläufigkeit des vorliegenden Eilverfahrens ist hierfür der Streitwert auf die Hälfte dieses Betrags zu reduzieren, mithin auf 30.000,- € (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 12.01.2015, L 5 KA 3675/14 ER-B).