Titel:
Herkunftsland: Jemen, Zwangsrekrutierung, Subsidiärer Schutz (abgelehnt), Abschiebungsverbot (bejaht)
Normenketten:
AsylG § 3
AsylG § 4
AufenthG § 60 Abs. 5
Schlagworte:
Herkunftsland: Jemen, Zwangsrekrutierung, Subsidiärer Schutz (abgelehnt), Abschiebungsverbot (bejaht)
Fundstelle:
BeckRS 2024, 48417
Tenor
I. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 8. November 2022 wird in den Nrn. 4, 5 und 6 aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich des Jemen vorliegen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Von den Kosten des Verfahrens trägt der Kläger 3/4 und die Beklagte 1/4.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Der Kläger, jemenitischer Staatsangehörigkeit, arabischer Volkszugehörigkeit und islamischen Glaubens, reiste am 23. September 2021 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 22. Dezember 2021 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen Asylantrag.
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Im Rahmen der am 22. Juni 2022 erfolgten Anhörung beim Bundesamt gab der Kläger im Wesentlichen an, dass er sein Heimatland im März 2019 verlassen habe, da er Wehrdienst geleistet und befürchtet habe, an die Front geschickt zu werden. In …, wo er gewohnt habe, seien die Huthis an der Macht gewesen und hätten Kinder und Jugendliche zunächst zu kulturellen Veranstaltungen und dann an die Front geschickt. Nachdem sein Vater in Bezug auf ihn eine Einladung zu einer solchen Veranstaltung der Huthis erhalten habe, sei der Kläger, versteckt in einem Gemüsetransporter, nach Ma'rib geflüchtet. In Ma'rib habe der Kläger keine Arbeit gefunden und habe sich deshalb freiwillig der Sicherheitsarmee angeschlossen und in der Stadt an den Kontrollpunkten gearbeitet. Ende 2018 habe die Regierung an der Front Kämpfer gegen die Huthis gebraucht. Der Kläger habe auf einer Liste mit Kämpfern gestanden, die an die Front geschickt werden sollten. Der Kläger sei geflüchtet, aber nach zwei Tagen aufgegriffen worden. Er sei 28 Tage lang in einem Container der Armee festgehalten und geschlagen worden. Der Kläger sei freigelassen worden, nachdem ein Freund seines Vaters dafür gebürgt habe, dass der Kläger bei der nächsten Aufforderung an die Front gehen würde. Ungefähr 1 oder 1,5 Monate habe der Kläger noch bei der Sicherheitsarmee gearbeitet und dann den Jemen verlassen. Sein Onkel und sein Vater hätten in … Probleme bekommen, nachdem der Kläger … verlassen habe. Sein Vater habe kein Wasser aus seinem Brunnen mehr verkaufen dürfen und sein Onkel habe seine Stelle als Bürgermeister verloren. Der Kläger habe die Befürchtung, bei seiner Rückkehr sowohl von den Huthis als auch von der Armee belangt zu werden. Der Kläger gab an, wegen der Desertation drohe ihm die Todesstrafe.
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Der Kläger gab weiterhin an, in … würden noch seine Eltern, einer seiner Brüder, der behindert sei, und seine beiden Schwestern leben. Vier seiner Brüder würden in Saudi-Arabien leben. Er habe die Schule 12 Jahre lang besucht und Abitur gemacht.
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Mit Bescheid vom 8. November 2022 lehnte das Bundesamt die Anträge des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Asylanerkennung sowie auf subsidiären Schutz ab (Nrn. 1-3). Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Der Antragsteller wurde aufgefordert, innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe dieser Entscheidung die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen, andernfalls wurde ihm die Abschiebung in den Jemen oder einen anderen Staat, in den er einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist, angedroht. Im Falle einer Klageerhebung ende die Ausreisefrist 30 Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens (Nr. 5). Zudem wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG angeordnet und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6).
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Zur Begründung führte das Bundesamt insbesondere aus, dass es an den in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Verfolgungsgründen fehle und daher eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung zu verneinen sei. Auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus würden nicht vorliegen. Dem Kläger drohe im Jemen nicht die Todesstrafe, da die Desertation nach dem jemenitischen Gesetz lediglich mit Freiheitsstrafe bestraft werde. Es bestehe bei einer Rückkehr nach … aufgrund der dortigen Situation keine ernsthafte individuelle Bedrohung aufgrund willkürlicher Gewalt. Abschiebungsverbote würden ebenfalls nicht vorliegen. Bei dem Antragsteller handele es sich um einen volljährigen, jungen und weitgehend erwerbsfähigen Mann.
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Gegen den Bescheid vom 8. November 2022 erhob der Bevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom … November 2022 Klage beim Bayerischen Verwaltungsgericht München und beantragte,
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Die beklagte Bundesrepublik Deutschland wird unter Aufhebung der Nrn. 3 – 6 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 4. November 2022 verpflichtet, dem Kläger den subsidiären Schutzstatus (§ 4 AsylG) zuzuerkennen.
Hilfsweise: Es wird festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG im Hinblick auf den Jemen bestehen.
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Zur Begründung trug der Bevollmächtigte des Klägers im Wesentlichen vor, dass dem Kläger bei einer Rückkehr in den Jemen der Eintritt eines ernsthaften Schadens in Form von unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung drohe. Überdies liege im Herkunftsland des Klägers eine erhebliche individuelle Gefahrendichte vor, die dazu führe, dass jedem Angehörigen der Zivilbevölkerung im Falle der Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 AslyG drohe, und zwar im gesamten Staatsgebiet des Jemen. Eine Abschiebung sei gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG aufgrund der individuellen Umstände des Klägers, des andauernden Bürgerkriegs im Jemen und der dort herrschenden prekären humanitären und wirtschaftlichen Lage unzulässig.
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Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 28. November 2022 beantragt,
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Zur Begründung wurde auf die Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid Bezug genommen.
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Mit Schriftsatz vom … November 2024 legte der Bevollmächtigte des Klägers dar, dass bei dem Kläger im Januar 2023 ein Nasopharynxkarzinom diagnostiziert worden sei. Er befinde sich derzeit in der Tumornachsorge und müsse sich alle sechs Wochen untersuchen lassen. Die notwendige medizinische Behandlung sei wegen des geringen Versorgungsstandards im Jemen nicht verfügbar. Es würde deshalb ein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 7 AufenthG vorliegen.
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Mit Schreiben vom … Dezember 2024 reichte der Bevollmächtigte des Klägers eine Lichtbildaufnahme eines Haftbefehls samt deutscher Übersetzung ein.
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In der mündlichen Verhandlung wurde der Kläger informatorisch angehört. Er gab dabei ergänzend an, dass sein Vater Oppositioneller gewesen sei. Zudem habe der Kläger im Jemen an Demonstrationen teilgenommen und deshalb sei im Jahr 2018 ein Haftbefehl gegen ihn erlassen worden. Vor ungefähr drei Tagen habe der Kläger ein Video zu Syrien auf seinem Facebook-Profil gepostet und infolgedessen sei sein Vater verhaftet worden. Das Video habe der Kläger wieder gelöscht.
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Der Rechtsstreit wurde mit Beschluss der Kammer vom 15. Oktober 2024 zur Entscheidung auf die Einzelrichterin übertragen.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte, die vorgelegten Behördenakten sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 12. Dezember 2024.
Entscheidungsgründe
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Über den Rechtstreit konnte trotz des Nichterscheinens der Beklagten in der mündlichen Verhandlung entschieden werden, da sie ordnungsgemäß geladen und dabei auf die Folgen ihres Nichterscheinens hingewiesen wurde (§ 102 Abs. 2 VwGO).
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Die zulässige Klage ist im Hilfsantrag begründet.
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1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG. Insoweit folgt das Gericht den Feststellungen und der Begründung des streitgegenständlichen Bescheids und sieht diesbezüglich von einer Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 3 AsylG). Es ergänzt wie folgt:
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1.1. Dem klägerischen Vortrag ist nicht zu entnehmen, dass dem Kläger die Vollstreckung oder Verhängung der Todesstrafe drohen würde (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG). Der Kläger hat nicht zur Überzeugung des Gerichts dargelegt, dass ihm im Falle seiner Rückkehr aufgrund Desertation die Todesstrafe drohen würde. Art. 222 des jemenitischen Strafgesetzes (Law No. 12 for 1994, Concerning Crimes and Penalties) sieht für die Desertation eine Strafandrohung von bis zu zwei Jahren in Friedenszeiten und bis zu 10 Jahren in Kriegszeiten vor. Der Kläger hat selbst angegeben, dass er nach seinem ersten Desertationsversuch 28 Tage lang in Ma'rib festgehalten und dann wieder freigelassen wurde. Schon dies lässt nicht erkennen, wieso dem Kläger nun die Todesstrafe im Falle der Rückkehr drohen sollte. Im Übrigen ist Bezugspunkt für die anzustellende Gefahrenprognose die Herkunftsregion des Klägers, in die er typischerweise zurückkehren wird (BVerwG, Urt. v. 20.5.2020 – 1 C 11/19, NVwZ 2021, 327 Rn. 17, beck-online m.w.N.), und damit die Provinz …, aus welcher der Kläger stammt. … steht unter der Kontrolle der Huthis. Die Sicherheitsarmee der Stadt Ma'rib, für die der Kläger gearbeitet hat, steht unter der Kontrolle der international anerkannten Regierung. Es erscheint realitätsfern, dass die Huthis den Kläger wegen der Flucht aus dem gegnerischen Militär bestrafen sollten.“
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1.2. Dem Kläger droht auch keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG (zu den Begriffen vgl. VGH BW, U.v. 17.1.2018 – A 11 S 241/17 – juris Rn. 156 ff.) durch einen Verfolgungsakteur i.S.d. § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3c AsylG.
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a. Das Gericht muss mit der nach § 108 VwGO erforderlichen Überzeugungsgewissheit einen Sachverhalt feststellen können, aus dem sich in rechtlicher Hinsicht ergibt, dass die Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes gegeben sind. Der Schutzsuchende muss die unmittelbare Bedrohung glaubhaft zur Überzeugung des Gerichts darlegen. Ihm obliegt es, bei den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen, von sich aus eine Schilderung zu geben, die geeignet ist, seinen Anspruch lückenlos zu tragen, und er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern (st. Rspr., siehe z.B. BVerwG, B.v. 19.10.2001 – 1 B 24/01 – NVwZ. Beil. 2002, 40).
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Der Ausländer hat stichhaltige Gründe für die Annahme darzulegen, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Der Maßstab der stichhaltigen Gründe („essential grounds“, Art. 2 lit. f QualRL) bei der Prüfung, ob eine konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG besteht, entspricht dem asylrechtlichen Prognosemaßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“, wobei allerdings das Element der Konkretheit der Gefahr das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation kennzeichnet. Mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit steht die Rechtsgutsverletzung bevor, wenn bei qualifizierender Betrachtungsweise, d.h. bei einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung, die für die Rechtsgutsverletzung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Die in diesem Sinne erforderliche Abwägung bezieht sich nicht allein auf das Element der Eintrittswahrscheinlichkeit, sondern auch auf das Element der zeitlichen Nähe des befürchteten Ereignisses; auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs ist in die Betrachtung einzubeziehen.
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Erforderlich ist, dass das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit – und nicht etwa nur von der Wahrscheinlichkeit – des von ihm behaupteten individuellen Schicksals erlangt hat, wenn es hierauf entscheidend ankommt (BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 109/84 – NVwZ 1985, 658). Die Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung muss mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit drohen, wobei es angesichts des hohen Rangs der gefährdeten Rechtsgüter ausreichend ist, wenn triftige und stichhaltige Anhaltspunkte zur Überzeugung des Gerichts feststehen. Wegen des sachtypischen Beweisnotstands, in dem sich Flüchtlinge insbesondere im Hinblick auf asylbegründende Vorgänge im Verfolgerland vielfach befinden, genügt für diese Vorgänge in der Regel eine Glaubhaftmachung. Voraussetzung für ein glaubhaftes Vorbringen ist allerdings ein detaillierter und in sich schlüssiger Vortrag.
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b. Der Vortrag des Klägers genügt diesen Anforderungen nicht. Es sind, unter Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers, keine stichhaltigen Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass ihm bei Rückkehr in den Jemen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein ernsthafter Schaden droht. Bezugspunkt für die anzustellende Gefahrenprognose ist die Herkunftsregion des Klägers, in die er typischerweise zurückkehren wird (BVerwG, Urt. v. 20.5.2020 – 1 C 11/19, NVwZ 2021, 327 Rn. 17, beck-online m.w.N.), und damit die Provinz …, aus welcher der Kläger stammt. Der Kläger befürchtet bei seiner Rückkehr nach … gefoltert oder umgebracht zu werden. Der Kläger hat jedoch weder in der Anhörung beim Bundesamt noch im Rahmen der mündlichen Verhandlung glaubhaft dargelegt, dass die Huthis in der Vergangenheit versucht hätten, ihn zu rekrutieren, noch Anhaltspunkte dargelegt, die darauf schließen lassen, dass ihm dies mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit im Falle seiner Rückkehr droht. Der Vortrag des Klägers bezüglich seiner Bedrohung durch die Huthis ist oberflächlich, vage und unsubstantiiert. Eine konkrete individuelle Bedrohung des Klägers, die das Schutz auslösenden Mindestmaß an Schwere erreicht, ist seinem Vortrag nicht zu entnehmen.
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Nach dem Vortrag des Klägers in der Anhörung beim Bundesamt, wurde der Kläger lediglich dazu eingeladen, an einer kulturellen Veranstaltung der Huthis teilzunehmen. Diese Einladung erfolgte an den Vater des Klägers. Es steht daher zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger nicht persönlich in Bezug auf die Zwangsrekrutierung durch die Huthis angesprochen wurde. Die Befürchtung, dass sich an die kulturelle Veranstaltung die Zwangsrekrutierung anschließen würde, stellt insofern eine bloße Befürchtung dar.
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Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, dass, aufgrund seiner Teilnahme an Demonstrationen im Jahr 2018 ein Haftbefehl der Generalstaatsanwaltschaft gegen ihn ergangen sei. Auf Nachfragen des Gerichts diesbezüglich antwortete der Kläger vage und ohne Details zu nennen. Im Rahmen der Anhörung beim Bundesamt erwähnte der Kläger weder die Teilnahme an Demonstrationen noch das Vorliegen eines solchen Haftbefehls. Der Vorwand, dass die vom Kläger in der Anhörung beim Bundesamt gemachten Angaben unvollständig bzw. fehlerhaft dokumentiert worden sein sollen, verfängt nicht: Der Kläger hat ausweislich der Behördenakten durch seine Unterschrift auf dem Kontrollbogen bestätigt, dass es bei seiner Anhörung keine Verständigungsschwierigkeiten gegeben hat, dass das rückübersetzte Protokoll seinen gemachten Angaben entspricht und, dass diese vollständig sind und der Wahrheit entsprechen. Dass der Kläger in seiner Anhörung seine Teilnahme an Demonstrationen gegen die Huthis und einen gegen ihn vorliegenden Haftbefehl vergessen haben könnte, erscheint lebensfremd, zumal der Kläger schon im Rahmen seiner Anhörung verschiedene Dokumente einreichte. Es ist nicht nachvollziehbar, dass der Kläger eines der zentralen Ereignisse, die ihn zum Verlassen seiner Heimat geführt haben sollen, vergessen haben sollte. Das erstmals in der mündlichen Verhandlung erfolgte Vorbringen erweckt für das Gericht insgesamt den Eindruck eines asyltaktisch konstruierten bzw. erfundenen Vortrags zur Erlangung internationalen Schutzes in der Bundesrepublik Deutschland und ist zur Überzeugung des Gerichts nicht glaubhaft.
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Die von dem Bevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom … Dezember 2024 vorgelegte Lichtbildaufnahme eines in arabischer Sprache verfassten Dokuments, das angeblich von der Generalstaatsanwaltschaft im Jemen ausgestellt worden sein soll, führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Es stellt sich bereits die Frage nach dessen Echtheit und Aussagekraft. Es besteht für das Gericht keine Möglichkeit, den tatsächlichen Verfasser des Dokuments und dessen Echtheit zu ermitteln. Solche Dokumente, deren Authentizität oft zweifelhaft ist und die mangels geeigneter Beweismittel auch nicht weiter geklärt werden kann, sind dem Gericht aus einer Vielzahl von Verfahren bekannt. Das Dokument hat für sich genommen keinen Beweiswert und kann nur im Kontext des Vorbringens des Klägers und dessen Glaubwürdigkeit bewertet und gewürdigt werden. Der Kläger hat nicht vorgetragen, woher er das Dokument hat und unter welchen Umständen ein etwaiger Übermittler an das Dokument gekommen ist. Wie oben ausgeführt, obliegt es dem Schutzsuchenden bei den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, von sich aus eine Schilderung zu geben, die geeignet ist, seinen Anspruch lückenlos zu tragen; er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen lückenlosen Sachverhalt zu schildern. Da auch der Vortrag des Klägers bezüglich der Teilnahme an Demonstrationen zur Überzeugung des Gerichts nicht glaubhaft ist, vermag die vorgelegte Kopie daran nichts zu ändern.
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Soweit der Kläger vorträgt, dass sein Vater Oppositioneller gewesen sei und zwei Tage vor der mündlichen Verhandlung verhaftet worden sei, erweckt auch dies den Eindruck einer asyltaktisch motivierten Steigerung des Tatsachenvorbringens, zumal auch eine politisch oppositionelle Haltung des Vaters im Rahmen der Anhörung beim Bundesamt nicht vorgetragen wurde. Der Kläger gab in dem Zusammenhang in der mündlichen Verhandlung an, dass ein von ihm verfasster Facebook-Beitrag zu der Situation in Syrien zu der Festnahme seines Vaters geführt habe. Das Gericht ist jedoch – angesichts dessen, dass der Post von dem Kläger wieder gelöscht wurde – weder davon überzeugt, dass die Huthis überhaupt Kenntnis von diesem Beitrag erlangt haben, noch davon, dass dies ursächlich für die Verhaftung seines Vaters war. Selbst dann, wenn der Vater des Klägers tatsächlich eine exponierte Stellung innegehabt haben sollte, führt dies nicht zwingend dazu, dass dies auch in Betreff auf den Kläger zutrifft. Das Gericht geht davon aus, dass der Kläger nie persönlich von den Huthis angesprochen worden ist und auch weder politisch aktiv noch in irgendeiner Weise exponiert gewesen ist. Es bestehen daher keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger eine besondere Bekanntheit bei den Huthis erlangt hat, die im Falle seiner Rückkehr alsbald zu der beachtlichen Wahrscheinlichkeit eines ernsthaften Schadens führen würde.
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Auch soweit der Kläger angibt, dass er sich der Sicherheitsarmee in Ma'rib angeschlossen und in der Stadt an den Kontrollpunkten gearbeitet habe, ist daraus nicht zu folgern, dass ihm deshalb ein ernsthafter Schaden durch die Huthis bei einer Rückkehr nach … droht. Nach eigenen Angaben arbeitete der Kläger lediglich an den Kontrollpunkten in der Stadt und kämpfte nicht an der Front. Es ist nicht ersichtlich, wie die Huthis überhaupt Kenntnis von seiner damaligen Tätigkeit erlangen sollten.
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1.3. Auch eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit des Klägers infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines bewaffneten Konflikts im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG kann nicht angenommen werden.
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Bei Fehlen individueller gefahrerhöhender Umstände – wie hier – kann eine Individualisierung der Gefahr i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG nur ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre, was ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt voraussetzt (BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/10 – juris Rn. 19).
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Im Jemen besteht seit 2014 ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG (vgl. VG Saarland, U.v. 16.3.2023 – 3 K 801/21 – juris Rn. 18 ff.). Es fehlt jedoch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) an einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge des Konflikts im Jemen (BayVGH, B.v. 12.12.2023 – 15 B 23.30794 – juris).
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Bei der Feststellung, ob eine „ernsthafte individuelle Bedrohung“ im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG vorliegt, ist eine umfassende Berücksichtigung aller relevanten Umstände des Einzelfalls erforderlich. Insbesondere können die Intensität der bewaffneten Auseinandersetzungen, der Organisationsgrad der beteiligten Streitkräfte und die Dauer des Konflikts als Faktoren berücksichtigt werden, die bei der Beurteilung der tatsächlichen Gefahr eines ernsthaften Schadens zu berücksichtigen sind; ebenso das geografische Ausmaß der Lage willkürlicher Gewalt, der tatsächliche Zielort des Klägers bei einer Rückkehr und die (eventuell absichtliche) Aggression der Konfliktparteien gegen Zivilpersonen (EuGH, U.v. 10.6.2021 – C-901/19 –, juris Rn. 42 ff.; SächsOVG, U.v. 12.10.2022 – 5 A 78/19.A – juris Rn. 29; BVerwG, U.v. 20.5.2020 – 1 C 11.10 – juris Rn. 18 ff.).
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Die politische Lage und die Sicherheitslage im Jemen und in der Stadt …, in die der Kläger voraussichtlich zurückkehren wird (vgl. BVerwG, U.v. 20.5.2020 – 1 C 11.19 – juris Rn. 17), stellt sich nach wie vor insgesamt volatil dar. Der bewaffnete Konflikt zwischen den Huthi-Rebellen und der Regierung und ihren Unterstützern dauert nach wie vor an. Teile des Landes sind von täglichen Bombardierungen, Raketenangriffen und Kampfhandlungen am Boden betroffen. Es kommt immer wieder zu Kämpfen zwischen diesen Gruppen in den Provinzen an der Frontlinie, Taizz, Marib, Saada und Abyan. Die Front verläuft hauptsächlich durch den bevölkerungsreichen Westteil des Landes, sie ist der Brennpunkt der Kampfhandlungen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sicherheitsrelevante Vorfälle auf diese Gebiete beschränkt sind (BAMF, Länderreport 63 Jemen, Die Sicherheitslage seit Beginn des Waffenstillstands, 30.11.2023). Nach Angaben der Vereinten Nationen hat der Konflikt seit März 2015 eine erhebliche Anzahl ziviler Opfer gefordert. Die fortdauernden Kampfhandlungen stellen für die Zivilbevölkerung weiterhin eine erhebliche Gefährdung dar. Ein Ende des Jemen-Konflikts ist nicht absehbar. Bereits im September 2014 hatten Milizen der schiitisch-zaiditischen Huthi-Bewegung die Kontrolle über weite Landesteile, darunter auch die Hauptstadt Sanaa, übernommen und auch Teile der Sicherheitskräfte unter ihre Kontrolle gebracht. Die staatlichen Sicherheitsorgane sind nur bedingt funktionsfähig und können im Einzelfall keinen ausreichenden Schutz garantieren. Die südjemenitische Bewegung („al-hirak al-ganubi“) strebt die Unabhängigkeit bzw. Autonomie des seit 1990 mit dem Nordjemen vereinigten Südens an. Die Spannungen zwischen Nord- und Südjemen und die zunehmende Fragmentierung des Landes tragen zur Instabilität des Landes bei (vgl. Auswärtiges Amt, Reise- und Sicherheitshinweise, 27.6.2023; vgl. zur Historie im Jemen insgesamt: VG Saarland, U.v. 16.3.2023 – 3 K 801/21 – juris Rn. 20 ff.; Schleswig-Holsteinisches VG, GB v. 20.3.2023 – 9 A 54/22 – juris Rn. 21 ff.; VG München, U.v. 13.6.2022 – M 17 K 19.34182 – juris Rn. 35 ff.; BVerwG Republik Österreich, E.v. 27.4.2023 – W 215 2251798-1/22 E – EA S. 7 ff. – abrufbar im Rechtsinformationssystem des Bundes www.ris.bka.gv.at/Bvwg/; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Yemen, 17.12.2021). In der Vergangenheit wurde für den Jemen insgesamt ein hohes Risiko gesehen, dass sich die Lage weiter verschlechtert (vgl. BAMF, Briefing Notes, 22.3.2021). Auch während der Jahre 2022 und 2023 kam es zu einer alarmierenden Zunahme von Angriffen auf humanitäre Einrichtungen und Gewalt gegen das Personal von Hilfsorganisationen durch die Konfliktparteien. In mehreren Gouvernements kam es zu einer vorübergehenden Aussetzung der Hilfslieferungen (vgl. BAMF, Briefing Notes v. 8.7.2024; Amnesty International [AI], Yemen 2022, Stand 28. März 2023).
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Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG) fehlt es allerdings ohne das Hinzutreten gefahrerhöhender individueller Umstände im Jemen und in der Stadt … an einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder Unversehrtheit von Zivilpersonen infolge des Konflikts. Ein derart hoher Gefahrengrad, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre, was ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erfordert (vgl. BVerwG, U.v. 20.5.2020 – 1 C 11.19 – juris Rn. 21), liegt derzeit nicht vor.
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Am 2. März 2022 trat ein von der UN vermittelter Waffenstillstand in Kraft, der nach zweifacher Verlängerung am 2. Oktober 2022 auslief. Zwar kam der innerstaatliche bewaffnete Konflikt im Jemen während der Waffenruhe nicht vollständig zum Erliegen. Dennoch führte der Waffenstillstand zu einer signifikanten Reduzierung der Intensität des Konflikts und der Zahl an Opfern (UNICEF Yemen Humanitarian Situation Report 2022). Die Zahl an Opfern des Konflikts war während des Waffenstillstands durchgehend auf dem niedrigsten Stand seit Januar 2015 und auch hinsichtlich der katastrophalen humanitären Situation brachte der Waffenstillstand Verbesserungen, insbesondere hinsichtlich des Zugangs zu humanitärer Hilfe und wirtschaftlichen Möglichkeiten für die Zivilbevölkerung (vgl. Schleswig-Holsteinisches VG, GB.v. 20.3.2023 – 9 A 54/22 – juris Rn. 34 ff. m.w.N.). Luftangriffe oder größere Militäroperationen fanden nicht statt, auch wenn Frontgebiete weiter von niedrigschwelligen Zusammenstößen betroffen waren (UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs [OCHA], Humanitarian Update Yemen, 26.2.2023). Die Gesamtzahl der Todesfälle pro Jahr bei Schlachten, Explosionen, Fremdgewalt und Gewalt gegen Zivilisten, die in den Jahren 2015 – 2017 zwischen 17.000 und 15.000 und in den Jahren 2018 bis 2021 zwischen 18.000 und 34.000 lag, sank im Zeitraum vom 4. Quartal 2022 bis zum 3. Quartal 2023 auf 4.151 (BAMF, Länderreport 63 Jemen, Die Sicherheitslage seit Beginn des Waffenstillstands, Stand: 11/2023). Die Zahl der Ziviltoten bei Schlachten, Explosionen, Fremdgewalt und Gewalt gegen Zivilisten lag in den Jahren 2015 bis 2019 zwischen rund 4.500 und rund 1.300, während die Anzahl ziviler Opfer 2022 auf 2.496 sank und im Jahr 2023 sogar nur noch 1.675 betrug (UN Civilian Impact Monitoring Project (CIMP), 2023 Annual Report, S. 2, 5).
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Folgen des Waffenstillstands waren nicht nur ein Rückgang der Kämpfe, der zivilen Opfer und der Vertriebenen, sondern auch die Ermöglichung von Treibstoffeinfuhren und kommerziellen Flügen (vgl. Commissioner General for Refugees and stateless Persons, COI-Fokus Jemen, Sicherheitslage, 28.11.2022; UNICEF, Yemen Humanitarian Situation Report, 31.12.2022) sowie die Erleichterung der Bewegungsfreiheit (vgl. UN OCHA, Humanitarian Update Yemen, 26.2.2023). Zwar stieg seit Ende des Waffenstillstands die Zahl der Binnenvertriebenen wieder (vgl. UN OCHA, Humanitarian Update Yemen, 26.2.2023). Am 9. April 2023 fanden jedoch Friedensverhandlungen zwischen den Huthis und Vertretern Saudi-Arabiens unter Vermittlung Omans in Sanaa statt, deren Ziele u.a. die Erneuerung des im Oktober ausgelaufenen Waffenstillstands, eine Aufhebung der saudischen Luft- und Seeblockade sowie das Ende der Besatzung von Taizz durch Huthi-Streitkräfte waren. Auch wenn diese Verhandlungen am 14. April 2023 ohne konkrete Ergebnisse endeten, wurden Berichten zufolge jedoch Fortschritte erzielt (BAMF, Briefing Notes, 17.4.2023). Am 23. Dezember 2023 gab der UN-Sondergesandte für den Jemen, Hans Grundberg, bekannt, dass sich die international anerkannte Regierung Jemens sowie die Huthis auf konkrete Schritte hin zu einem Waffenstillstandsabkommen verständigt haben. Diese Schritte beinhalten u.a. die Wiederaufnahme von Ölexporten, das Ende der Blockade der Stadt Taizz, die Auszahlung aller Gehälter im öffentlichen Dienst und die weitere Öffnung des internationalen Flughafens Sanaa sowie des Hafens von Hodeida (BAMF Briefing Notes, 30.6.2024, S. 1).
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Selbst wenn diese Bemühungen und Fortschritte noch zu keiner unmittelbaren Beendigung der Konflikte und Lösungen führen und nicht ausreichen, um einen stabilen und dauerhaften Frieden zu sichern (vgl. Fluchtgrund, Verhandlungen im Jemen machen den 4,5 Millionen Geflüchteten Hoffnung, 7.6.2023), ist in der Gesamtschau gegenüber der Zeit vor dem Waffenstillstand im März 2022 eine deutlich verbesserte Lage im Jemen feststellbar. Nach wie vor besteht eine humanitäre Notlage und ist die medizinische Versorgung eingeschränkt sowie die Ernährungssicherheit im Jemen katastrophal (vgl. UN-News, Yemen health system ‚edging closer to collapse warns WHO, 21.4.2023; BAMF, Briefing Notes, 8.7.2024, 11.12.2023, 5.6.2023 und 26.6.2023; BAMF Länderkurzinformation Jemen, Humanitäre Lage, 11.2023; World Food Programm, Yemen Food Situation Report June 2024). Gleichwohl ist die Situation nicht (mehr) unmittelbar auf Kriegs- und Kampfhandlungen zurückzuführen. An der Front kommt es nur noch zu Scharmützeln (vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, Ein Wirtschaftskrieg im Jemen, 27.6.2023) und es kam nach Auslaufen des Waffenstillstands zu keinen großflächigen Kämpfen mehr (BAMF, Briefing Notes, 27.3.2023). Auch wenn nach wie vor die Sorge besteht, die Gewalt könnte irgendwann wieder aufflammen, liegt derzeit vielmehr eine „wirtschaftliche Kriegsführung“, die als „politische Waffe“ eingesetzt wird, vor. Hauptprobleme sind die wirtschaftliche Misere, der fortschreitende Währungsverfall, die Preissprünge und Stromausfälle (vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, Wie ein Wirtschaftskrieg den Jemen ruiniert, 29.6.2023). Zur Anzahl der Opfer und zur Schwere der Schädigungen lassen sich aus den Erkenntnismitteln zwar keine konkreten und systematischen Angaben entnehmen. Insgesamt zeigt sich allerdings eine deutlich rückläufige Zahl der zivilen Opfer (s.o.), die auch im Jahr 2024 weiterhin anhält (vgl. ACLED, Yemen Situation Update: January 2024 – April 2024, wonach es in den ersten vier Monaten des Jahres 2024 im Jemen zu 133 zivilen Opfern kam). Auch unter Einbeziehung der schlechten medizinischen Versorgungslage und der sonstigen Umstände (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – juris Rn. 23; EuGH, U.v. 10.6.2021 – C-901/19 – juris Rn. 45), welche die wirtschaftliche, humanitäre und politische Situation im Jemen kennzeichnen, liegt das Risiko, im gesamten Jemen und in der Stadt …, durch willkürliche Gewalt infolge eines bewaffneten Konflikts Schaden zu erleiden im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung unter der Schwelle der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit.
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2. Soweit das Bundesamt das Nichtvorliegen von Abschiebungsverboten festgestellt, die Abschiebung in den Jemen angedroht und ein Einreise- und Aufenthaltsverbot ausgesprochen hat, ist der streitgegenständliche Bescheid rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung, § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG, gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich des Jemen vorliegen, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Die Abschiebungsandrohung in Nr. 5 des streitgegenständlichen Bescheids in den Jemen, sowie das festgesetzte Einreise- und Aufenthaltsverbot in Nr. 6 des Bescheids, erweisen sich insoweit als rechtswidrig und sind damit aufzuheben, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO (vgl. § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG).
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2.1. Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK; BGBl. 1952 II S.685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Daraus ergibt sich das Verbot der Abschiebung in einen Zielstaat, in welchen dem Ausländer unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung i.S.v. Art. 3 EMRK droht (vgl. BVerwG, U.v.4.7.2019 – 1 C 45.18 – juris Rn. 11).
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In ganz außergewöhnlichen Fällen können auch schlechte humanitäre Verhältnisse im Zielstaat Art. 3 EMRK verletzen, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung zwingend sind (vgl. BVerwG, U.v. 21.4.2022 – 1 C 10/21 – juris Rn. 15 unter Verweis auf U.v. 4.7.2019 – 1 C 45.18 – juris Rn. 12; B.v. 23.8.2018 – 1 B 42.18 – juris Rn. 9: „nur in besonderen Ausnahmefällen“). Die Voraussetzungen können erfüllt sein, wenn der Ausländer nach Würdigung aller Umstände des Einzelfalls im Zielstaat der Abschiebung seinen existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern, kein Obdach finden oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhalten kann (vgl. BVerwG, U.v. 21.4.2022 – 1 C 10/21 – juris Rn. 15 unter Verweis auf B.v. 23.8.2018 – 1 B 42.18 – juris Rn. 11).
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Maßstab für die anzustellende Gefahrenprognose ist grundsätzlich, ob der vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer nach seiner Rückkehr, gegebenenfalls durch ihm gewährte Rückkehrhilfen, in der Lage ist, seine elementarsten Bedürfnisse über einen absehbaren Zeitraum zu befriedigen. Nicht entscheidend ist hingegen, ob das Existenzminimum des Ausländers in dessen Herkunftsland nachhaltig oder gar auf Dauer sichergestellt ist (vgl. BVerwG, U.v. 21.4.2022 – 1 C 10/21 – juris Rn. 25 m.w.N.). Können extrem schlechte materielle Lebensverhältnisse, welche die Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK begründen, durch eigene Handlungen (z.B. den Einsatz der eigenen Arbeitskraft) oder die Inanspruchnahme der Hilfs- und Unterstützungsleistungen Dritter (seien es private Dritte oder nichtstaatliche Hilfs- oder Unterstützungsorganisationen) abgewendet werden, besteht schon nicht mehr die ernsthafte Gefahr einer Situation extremer materieller Not (vgl. BVerwG, U.v. 21.4.2022 – 1 C 10/21 – juris Rn. 17 unter Verweis auf U.v. 7.9.2021 – 1 C 3.21 – juris Rn. 25 ff.).
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Der EuGH stellt in seiner Rechtsprechung zu Art. 4 Grundrechte-Charta darauf ab, ob sich die betroffene Person unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befindet, die es ihr nicht erlaubt, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und Unterkunft zu finden, und die ihre physische und psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-297/17 u.a. – juris Rn. 89 ff.). Die dargestellte Rechtsprechung macht deutlich, dass von einem sehr hohen Gefahrenniveau auszugehen ist; nur dann liegt ein „ganz außergewöhnlicher Fall“ vor, in dem die humanitären Gründe gegen die Ausweisung „zwingend“ sind (z.B. BayVGH, U.v. 26.10.2020 – 13a B 20.31087- juris Rn. 21; U.v. 28.11.2019 – 13a B 19.33361 – Rn. 21 ff.; vgl. auch BVerwG, B.v. 13.2.2019 – 1 B 2.19 – juris Rn. 10). Auch im Rahmen von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK ist der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen; erforderlich, aber auch ausreichend, ist daher die tatsächliche Gefahr („real risk“) einer unmenschlichen Behandlung (BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 5.09 – juris Rn. 22).
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2.2. Dies zugrunde gelegt, geht das Gericht unter Berücksichtigung der aktuellen Erkenntnismittel davon aus, dass im vorliegenden Einzelfall ein besonderer Ausnahmefall im oben genannten Sinn zu bejahen ist. Es ist nicht anzunehmen, dass der Kläger bei einer Rückkehr in den Jemen in der Lage sein wird, ein Leben am Rande des Existenzminimums zu bestreiten.
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Auch wenn die Kampfhandlungen und die Zahl der zivilen Opfer im Jemen zuletzt rückläufig waren, besteht nach wie vor eine humanitäre Notlage, welche durch ein hohes Maß an Ernährungsunsicherheit und eine stark eingeschränkte medizinische Versorgung geprägt ist (OCHA, Humanitarian Needs Overview Yemen, 1.2.2024, S. 7, 9 – 13, 47; BAMF, Länderkurzinformation Jemen, 11.2023, S. 2, 4; UN-News, Yemen health system „edging closer to collapse“ warns WHO, 21.4.2023). Der Jemen ist eines der Länder, die im globalen Vergleich am schwersten von Ernährungsunsicherheit betroffen sind (BAMF, Briefing Notes, 5.6.2023 und 26.6.2023; WFP, Yemen Food Security Update August 2023, 11.9.2023). Während 2014 noch 49% der Jemeniten unter der Armutsgrenze lebten, ist diese Zahl 2022 auf 80% angestiegen (OCHA, Humanitarian Needs Overview Yemen, 1.2.2024, S. 9). Hauptprobleme sind die wirtschaftliche Misere, der fortschreitende Währungsverfall sowie Preissprünge, Stromausfälle, Wassermangel und -verunreinigung (vgl. BAMF Briefing Notes, 17.7.2023 und 24.6.2024). Hinzukommt, dass das Land zuletzt besonders häufig Starkwettereignissen, wie Dürren, Zyklonen und Starkregenfällen mit Überflutungen ausgesetzt war (BAMF, Briefing Notes, 24.6.2024). Dies erschwert die landwirtschaftliche Tätigkeit und die Versorgung der Bevölkerung und führte allein im Jahr 2023 zu der Vertreibung von 235.000 Menschen (OCHA, Humanitarian Needs Overview Yemen, 1.2.2024, S. 11, 12, 15). Diese Umstände werden 2024 die Preise für Nahrungsmittel voraussichtlich weiter ansteigen lassen (OCHA, Humanitarian Needs Overview Yemen, 1.2.2024, S. 9).
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Die Zahl der Menschen im Jemen, die auf humanitäre Hilfe angewiesen sind, beträgt Schätzungen zufolge 18,2 Millionen und damit über 55% der Bevölkerung (OCHA, Humanitarian Needs Overview Yemen, 1.2.2024, S. 13). 13 Millionen Menschen benötigen akute humanitäre Hilfe (OCHA, Humanitarian Needs Overview Yemen, 1.2.2024, S. 14). Für 17,6 Millionen Menschen ist die Ernährungslage im Jahr 2024 nicht gesichert; davon sind 6 Millionen Menschen akut bedroht (OCHA, Humanitarian Needs Overview Yemen, 1.2.2024, S. 44; USAID, Yemen – Complex Emergency, 5.4.2024, S. 1; BAMF Briefing Notes, 19.2.2024 und 24.6.2024).
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Die Nahrungsmittelpreise im Jemen haben sich zwischen Januar 2015 und Dezember 2020 nahezu verdreifacht und sind im Jahr 2024 weiter gestiegen (OCHA, Humanitarian Needs Overview Yemen, 1.2.2024, S. 9; FEWS NET, Yemen – Key Message Update, 3.2024, S. 1; OCHA, Humanitarian Needs Overview Yemen, 19.4.2022, S. 15, 20). Im Februar 2024 hat sich die Ernährungslage im Jemen im Vergleich zu den letzten 17 Monaten verschlechtert (WFP, Situation Report, 3.2024, S. 1). Die Brotpreise sind im März 2024 in von der Regierung kontrollierten Gebieten um 40% gestiegen (FEWS NET, Yemen – Key Message Update, 3.2024, S. 2). Insbesondere die konfliktreiche Lage im Roten Meer bedroht die Nahrungsmittelversorgung, da der Jemen zur Versorgung seiner Bevölkerung zu 85% auf den Import von Lebensmitteln angewiesen ist; zudem lassen die Kampfhandlungen im Roten Meer die Frachtkosten enorm steigen (OCHA, Humanitarian Needs Overview Yemen, 1.2.2024, S. 10; BAMF, Briefing Notes, 19.2.2024). In einem am 1. Juli 2024 veröffentlichten Update meldete das WFP, dass 57% aller Haushalte im Norden, in den Gebieten unter Kontrolle der Huthis, und 60% der Haushalte im Süden, in Gebieten unter Kontrolle der international anerkannten Regierung, sich nur unzureichend mit Lebensmitteln versorgen können. Dies stellt einen neuen Negativrekord dar. Grund hierfür ist die sich verschlechternde wirtschaftliche Lage und die Einstellung der humanitären Hilfen im Bereich Ernährung im Norden des Landes im Dezember 2023. Seit Dezember 2023 wurde die Verteilung von Lebensmitteln durch das WFP, welches etwa im Jahr 2023 47% der Bevölkerung versorgt hat (WFP, Situation Report, 3.2024, S. 1), in Gebieten unter Kontrolle der Huthis bis auf Weiteres eingestellt, u.a. aufgrund von Finanzierungslücken und der mangelnden Kooperationsbereitschaft der Huthis. Rund zwei Drittel der jemenitischen Bevölkerung lebt in Gebieten unter Kontrolle der Huthis.
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In Jemen herrscht ein grundsätzlicher Wassermangel, der bereits vor Ausbruch des bewaffneten Konflikts zu Streit um Wasserressourcen geführt hat. Durch den bewaffneten Konflikt ist die Wasserversorgung weiter beeinträchtigt worden (BAMF, Länderkurzinformation Jemen – Humanitäre Lage, 11.2023). Im Jemen haben 20,4 Millionen Menschen keinen Zugang zu genügend Wasser um ihren täglichen Bedarf abzudecken und 12,4 Millionen Menschen haben keinen gesicherten Zugang zu sauberem Trinkwasser (OCHA, Humanitarian Needs Overview Yemen, 1.2.2024, S. 57). Es fehlt vielerorts an Sanitäranlagen, wodurch die Gefahr einer Ausbreitung durch Krankheiten zunimmt (BAMF, Briefing Notes, 16.9.2024). Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration sind seit Beginn des Jahres 2024 rund 30.000 Personen an Cholera und Diarrhö erkrankt (BAMF, Briefing Notes, 24.6.2024).
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17,8 Millionen Menschen bedürfen der Gesundheitsversorgung, wobei davon 10,5 Millionen Menschen akut behandlungsbedürftig sind (OCHA, Humanitarian Needs Overview Yemen, 1.2.2024, S. 47, 48). Das Gesundheitssystem ist nur eingeschränkt im Betrieb (OCHA, Humanitarian Needs Overview Yemen, 1.2.2024, S. 48). Nahezu die Hälfte aller Einrichtungen zur Gesundheitsversorgung sind nicht oder nur teilweise funktionsfähig. 42% der Bevölkerung benötigt mehr als eine Stunde, um das nächste funktionsfähige öffentliche Krankenhaus zu erreichen. In mehr als ein Drittel der funktionsfähigen Krankenhäuser fehlt es an Fachärzten, es gibt zudem weder ausreichend Pflegepersonal noch Betten (BAMF, Länderkurzinformation Jemen – Humanitäre Lage, 11.2023). Zudem haben die Gesundheitseinrichtungen mit unzureichender technischer Ausstattung, zusammenbrechender Energieversorgung und Problemen bei der Beschaffung erforderlicher Medikamente zu kämpfen (OCHA, Humanitarian Needs Overview Yemen, 1.2.2024, S. 47, 48; BAMF, Briefing Notes,12.2023; BAMF, Länderkurzinformation Jemen, 11.2023, S. 4; World Bank, Health Sector in Yemen – Policy Note, 14.9.2021). Es herrscht ein Mangel an grundlegenden Medikamenten, u.a. weil Jemen in diesem Bereich zu 100% auf Importe angewiesen ist (BAMF, Länderkurzinformation Jemen – Humanitäre Lage, 11.2023). Hinzu kommt, dass gerade auch die Gesundheitsinfrastruktur Ziel von Angriffen der Kriegsparteien war und ist (siehe hierzu Insecurity Insight Yemen – Violence Against Health Care in Conflict, 1.8.2023; Physicians for Human Rights, “I ripped the IV out and started running” – Attacks on Health Care in Yemen, 3.2020).
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Angesichts der prekären humanitären Bedingungen ist davon auszugehen, dass die grundständige Versorgung der Bevölkerung nahezu vollständig von Nichtregierungsorganisationen abhängt (VG München, U.v. 7.3.2024 – M 17 K 23.30461, Rn. 19, unveröffentlicht; VG Berlin GB v. 5.4.2023 – VG 1 K 52/21 A, BeckRS 2023, 11182 Rn. 19; VG Würzburg, U.v. 18.8.2022 – W 5 K 22.30401 – juris Rn. 29 f.; VG Ansbach, U.v. 26.6.2020 – AN 17 K 17.32236 – juris Rn. 57). Gegenwärtig reduzieren die UN jedoch ihr Engagement, nachdem die Sicherheit ihrer Mitarbeitenden vor willkürlichen Übergriffen durch die Huthis nicht gewährleistet werden kann (BAMF, Briefing Notes, 16.9.2024). Der aktuelle UN-Hilfsplan für Jemen weist eine Finanzierungslücke von über 60% auf (BAMF, Briefing Notes, 8.7.2024). Die Zahl der vom WFP unterstützten Personen ist zwischen März und Mai 2024 von 3,5 Mio. auf 1,1 Mio. gesunken. Hauptgrund hierfür ist die massive Finanzierungslücke für Projekte in Jemen i.H.v. 1,6 Mrd. US-Dollar (BAMF, Briefing Notes, 24.6.2024).
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Vor dem Hintergrund der individuellen Umstände des Klägers ist davon auszugehen, dass seine Abschiebung in den Jemen einen Verstoß gegen § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK begründet. Für den nach über fünf Jahren aus dem westlichen Ausland zurückkehrenden Kläger besteht im Falle der Rückkehr derzeit nicht gesichert die Möglichkeit, sein Existenzminimum zumindest auf niedrigem Niveau zu sichern. Zwar hat der Kläger Abitur gemacht und bei den Sicherheitskräften in Ma'rib gearbeitet. Berufserfahrung im nichtmilitärischen Bereich weist der Kläger allerdings nicht auf, weshalb er mit den Gepflogenheiten des Erwerbslebens im Jemen – auch aufgrund langjähriger Abwesenheit – wenig vertraut ist. Allein der relativ gute Bildungsstand des Klägers gewährleistet aufgrund der extrem prekären humanitären und wirtschaftlichen Lage nicht, dass er sich im Jemen nach seiner Rückkehr eine existenzsichernde Grundlage schaffen können wird. Infolge einer abgeschlossenen Tumorbehandlung leidet der Kläger, der sich derzeit in der Tumornachsorge befindet, an einer starken Gewichtsabnahme, anhaltenden Kopf-, Augen- und Ohrenschmerzen und einem schwachen Immunsystem. Aufgrund der psychischen Belastung durch seine Erkrankung nimmt der Kläger Psychopharmaka ein. Diese körperlichen und psychischen Beschwerden würden die Arbeitssuche für den Kläger auf dem, ohnehin schon stark umkämpften jemenitischen Arbeitsmarkt, in besonderem Maße erschweren. Hinzukommt, dass im Jemen nur noch seine Mutter und seine zwei Schwestern leben, die von der finanziellen Unterstützung seiner in Saudi-Arabien lebenden Brüdern abhängig sind. Aufgrund dessen, dass seine Brüder, neben ihrem eigenen Lebensunterhalt bzw. dem ihrer Familien, auch gemeinsam für den Lebensunterhalt der Mutter und der Schwestern aufkommen müssen, ist nicht gesichert, dass sie den Kläger mitversorgen können. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger einen sehr labilen Eindruck gemacht, so dass aufgrund der extrem prekären humanitären und wirtschaftlichen Lage nicht gewährleistet ist, dass er sich im Jemen nach seiner Rückkehr eine existenzsichernde Grundlage schaffen können wird. Der Kläger kann schwerlich auf den Erhalt humanitärer Hilfe verwiesen werden kann, da diese zuletzt in erheblichem Maße reduziert worden ist und aufgrund der vorherrschenden Not kaum ausreicht.
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2.3. Ob daneben die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfüllt sind, bedarf keiner Prüfung, da es sich beim national begründeten Abschiebungsverbot um einen einheitlichen und nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand handelt (BVerwG, U.v. 8.9.2011 – 10 C 14.10 – BVerwGE 140, 319 Rn. 16 f.).
54
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO und berücksichtigt die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Kostenteilung in Asylverfahren (BVerwG, B.v. 29.6.2009 – 10 B 60.08 – juris). Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
55
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.