Titel:
Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde (hier: Vorrang der Sachverständigenablehnung im Gerichtsverfahren)
Normenketten:
BGB § 1671
GG Art. 6
FamFG § 30 Abs. 1
ZPO § 406 Abs. 1
BV Art. 91 Abs. 1, Art. 118 Abs. 1, Abs. 3 S. 1, Art. 126 Abs. 1 S. 1
Leitsätze:
Unzulässige Verfassungsbeschwerde gegen eine gerichtliche Entscheidung in ei- nem Sorgerechtsverfahren.
1. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, wenn Schriftsätze im Ausgangsverfahren, beispielsweise zu Ausführungen einer Sachverständigen in einem Sorgerechtsverfahren oder aber Protokolle, nicht vorgelegt werden, obwohl die angegriffene Entscheidung Bezug auf sie nimmt. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, wenn der Rechtsweg nicht erschöpft worden ist; der Bürger soll sich nicht sprunghaft sofort an den Verfassungsgerichtshof wenden, sondern erst vor den Gerichten des zuständigen Gerichtszweigs die statthaften Rechtsbehelfe ergreifen, um die Beseitigung des Hoheitsakts zu erreichen, dessen Verfassungswidrigkeit er rügt. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
3. Wirft der Beschwerdeführer dem gerichtlich bestellten Sachverständigen mit der Verfassungsbeschwerde fehlende Neutralität vor, muss er zunächst die Möglichkeit der Ablehnung des betreffenden Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit gemäß § 30 Abs. 1 FamFG iVm § 406 ZPO ergreifen. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verfassungsbeschwerde, unsubstantiiert, subsidiär, Rechtsweg, Befangenheit, Ablehnung wegen Befangenheit, Sondervotum, Neutralität
Vorinstanz:
OLG München, Beschluss vom 19.10.2022 – 4 UF 494/22
Fundstellen:
FamRZ 2024, 1809
LSK 2024, 4829
BeckRS 2024, 4829
Tenor
1. Die Verfassungsbeschwerde wird abgewiesen.
2. Dem Beschwerdeführer wird eine Gebühr von 750 € auferlegt.
Entscheidungsgründe
1
1. Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist der Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 19. Oktober 2022 Az. 4 UF 494/22, mit dem die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Amtsgerichts Dillingen a. d. Donau vom 29. April 2022 Az. 001 F 146/20 zurückgewiesen wurde.
2
Soweit der Beschwerdeführer ursprünglich auch gegen den Beschluss des Amtsgerichts Dillingen a. d. Donau vom 29. April 2022 Verfassungsbeschwerde eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 27. Dezember 2022 auf den Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 20. Dezember 2022 (Zurückweisung einer gegen den Beschluss vom 19. Oktober 2022 gerichteten Anhörungsrüge) erstreckt hatte, erfolgte mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 3. April 2023 eine (teilweise) Rücknahme der Verfassungsbeschwerde. Daher sind die Beschlüsse des Amtsgerichts Dillingen a. d. Donau vom 29. April 2022 und des Oberlandesgerichts München vom 20. Dezember 2022 nicht Gegenstand dieser Entscheidung.
3
2. Der Beschwerdeführer ist Vater der minderjährigen Kinder L., geboren im Jahr 2017, und F., geboren im Jahr 2018. Mutter der Kinder ist Frau P., mit der der Beschwerdeführer verheiratet war. Die Ehe des Beschwerdeführers und von Frau P. ist rechtskräftig geschieden. Der Beschwerdeführer, der in Rumänien geboren wurde und im Alter von 19 Jahren zum Studium nach Deutschland kam, arbeitet selbstständig als Zahnarzt.
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Zwischen dem Beschwerdeführer und seiner geschiedenen Ehefrau besteht Streit hinsichtlich der elterlichen Sorge. Im Verfahren vor dem Amtsgericht Dillingen a. d. Donau verfolgte die geschiedene Ehefrau des Beschwerdeführers das Ziel, die elterliche Sorge für die gemeinsamen ehelichen Kinder L. und F. auf sie zu übertragen. Durch den Beschwerdeführer wurde das Ziel verfolgt, die gemeinsame elterliche Sorge für die beiden genannten Kinder ihm zur alleinigen Ausübung zu übertragen.
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Das Amtsgericht Dillingen a. d. Donau holte ein Sachverständigengutachten der Dipl.-Psychologin Dr. S. ein. Die Sachverständige erstattete ein schriftliches Gutachten vom 25. Juni 2021, welches mit schriftlichen Stellungnahmen vom 15. Oktober 2021 und 28. Januar 2022 ergänzt wurde. Auch wurde die Sachverständige in einer Sitzung des Amtsgerichts Dillingen a. d. Donau am 17. März 2022 zur Erläuterung ihres Sachverständigengutachtens angehört.
6
Im Gutachten der Sachverständigen Dr. S. vom 25. Juni 2021 findet sich auf Seite 52 nachfolgende Textpassage, die der Beschwerdeführer im Rahmen des familiengerichtlichen Verfahrens sowie der Verfassungsbeschwerde in das Zentrum seiner Argumentation rückt:
… Davon abgesehen, dass hier ein grundsätzliches Bedürfnis des Kindes missachtet und seine Würde verletzt wurde, indem es schließlich komplett eingekotet nach Hause gebracht wurde, wäre zu berücksichtigen, dass das Übernehmen dieser Versorgungsaufgabe auch bindungsintensivierend wirken würde. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass hier besondere Sozialisationsfaktoren, die mit der Herkunft des Kindsvaters zusammenhängen, eine Rolle spielen.
7
Hintergrund dieser Textpassage war eine Weigerung des Beschwerdeführers, sein Kind F. auf einem Spielplatz ohne Toilette oder andere adäquate Wickelmöglichkeit zu wickeln.
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Mit Beschluss des Amtsgerichts Dillingen a. d. Donau vom 29. April 2022 wurden die Teilbereiche der elterlichen Sorge Aufenthaltsbestimmungsrecht und Gesundheitsfürsorge für die beiden Kinder L. und F. auf die Kindsmutter Frau P. allein übertragen. Der gegenläufige Antrag des Beschwerdeführers wurde abgewiesen.
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Eine durch den Beschwerdeführer eingelegte Beschwerde vom 21. April 2022 wurde mit dem mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 19. Oktober 2022 zurückgewiesen. In den Entscheidungsgründen setzt sich das Oberlandesgericht u. a. mit Einwänden des Beschwerdeführers gegen das Gutachten der Sachverständigen Dr. S. auseinander.
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1. Mit der am 19. Dezember 2022 eingegangenen Verfassungsbeschwerde vom selben Tag, die mit Schriftsatz vom 27. Dezember 2022, eingegangen am 29. Dezember 2022, ergänzt wurde, rügt der Beschwerdeführer die Verletzung von Art. 118 Abs. 1 und 3 Satz 1 BV (Gleichheit vor dem Gesetz), Art. 126 Abs. 1 Satz 1 BV (Erziehungsrecht der Eltern) und Art. 91 Abs. 1 BV (Recht auf rechtliches Gehör).
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a) Zur Rüge der Verletzung des Art. 118 Abs. 1 und 3 Satz 1 BV führt der Beschwerdeführer aus, diese Vorschrift gebiete die Gleichbehandlung aller. Zwar fehle dort das explizite Verbot der Differenzierung nach Abstammung, Heimat und Herkunft. Nach herrschender Meinung ergäben sich aber diese Differenzierungsverbote aus dem Gesamtkontext des Art. 118 BV. Überdies verbiete Art. 118 Abs. 3 Satz 1 BV ausdrücklich eine Benachteiligung wegen der Geburt. Eine staatliche Entscheidung dürfe daher nach Art. 118 BV nicht auf Erwägungen gestützt werden, die den Betroffenen wegen seiner Geburt, seiner Abstammung, seiner Heimat oder seiner Herkunft benachteiligen.
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Dem werde der beanstandete Passus aus dem Gutachten der Sachverständigen Dr. S nicht gerecht. Die Sachverständige greife willkürlich ein Ereignis heraus, stilisiere dieses zu einem für mangelnde Empathie des Beschwerdeführers symptomatischen Vorfall hoch und verallgemeinere diesen. Sie suggeriere, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner Sozialisation und Herkunft nicht anders handeln könne als seinen Kindern ohne Empathie zu begegnen, bzw. unterstelle, dass die Jugend und ersten Erwachsenenjahre in Rumänien den Beschwerdeführer unfähig zur Entwicklung der für die Übertragung des Sorgerechts erforderlichen Empathie gemacht hätten. Neben dem Amtsgericht Dillingen a. d. Donau mache sich auch das Oberlandesgericht München in seiner Entscheidung diese Einschätzung zu eigen. Auch wenn sich das Oberlandesgericht mit dem o. g. Passus auf Seite 52 des Sachverständigengutachtens vom 25. Juni 2021 auseinandersetze, werde der Behauptung, dass der Beschwerdeführer wegen seiner Herkunft und Sozialisation nicht empathiefähig sei, nicht widersprochen. Vielmehr bezeichne das Oberlandesgericht die Ausführungen der Sachverständigen ausdrücklich als überzeugend und widerspruchsfrei. Auch betone das Oberlandesgericht, dass es sich diesen Ausführungen in vollem Umfang anschließe. Die vollinhaltliche Übernahme des Sachverständigengutachtens und die fehlende Distanzierung von dessen Inhalt durch das Oberlandesgericht verletzten den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 118 Abs. 1 und 3 Satz 1 BV.
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b) Zur gerügten Verletzung von Art. 126 Abs. 1 Satz 1 BV (Erziehungsrecht der Eltern) wird ausgeführt, das Sachverständigengutachten, welches durch das Oberlandesgericht München zugrunde gelegt wurde, beruhe auf einer Fehleinschätzung, die der Verfassungsnorm des Art. 118 Abs. 1 und 3 Satz 1 BV widerspreche. Da sich das Amtsgericht Dillingen a. d. Donau und das Oberlandesgericht diesem Gutachten vollumfänglich angeschlossen hätten, beruhten auch deren Entscheidungen auf einer im Widerspruch zu Art. 118 Abs. 1 und 3 Satz 1 BV stehenden Fehleinschätzung. Würde man unterstellen, dass die Gutachterin zu Recht deshalb von mangelnder Empathie des Beschwerdeführers gegenüber seinen Kindern ausgehe, weil er einem anderen Kulturkreis entstamme, würde dies automatisch dazu führen, dass die Gewährung des Sorgerechts an Elternteile aus einem anderen Kulturkreis nie in Betracht käme. Allein dies stünde schon im eklatanten Widerspruch zu Art. 118 Abs. 1 und 3 Satz 1 BV. Dies gelte erst recht im vorliegenden Fall, da der Beschwerdeführer hervorragend in den deutschen Kulturkreis integriert sei. Aus diesem Grund sei auch ein Verstoß gegen Art. 126 Abs. 1 Satz 1 BV zu bejahen.
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c) Zur Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs nach Art. 91 Abs. 1 BV führt der Beschwerdeführer aus, das Amtsgericht habe sich mit einer Reihe wesentlicher Einwendungen gegen das Gutachten überhaupt nicht auseinandergesetzt. Auch das Oberlandesgericht sei auf sein in zweiter Instanz wiederholtes Vorbringen bezüglich des Sachverständigengutachtens nicht eingegangen, da es behaupte, das Erstgericht habe zu seinen Einwendungen bereits ergänzende Stellungnahmen der Sachverständigen eingeholt. Auch habe sich das Oberlandesgericht nicht mit den neuen Argumenten des Beschwerdeführers auseinandergesetzt. Wäre dies der Fall gewesen, wäre das Ergebnis des Sachverständigengutachtens infrage gestellt worden. Da sich das Oberlandesgericht dem Sachverständigengutachten im Wesentlichen angeschlossen habe, wäre es bei Berücksichtigung der Einwendungen des Beschwerdeführers zu einer anderen Entscheidung gekommen.
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d) Mit weiterem Schriftsatz vom 3. April 2023 führt der Beschwerdeführer nach einem Hinweisschreiben des Referenten des Verfassungsgerichtshofs aus, die mit der Verfassungsbeschwerde vorgelegten Schriftstücke belegten die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Entscheidung; die Vorlage weiterer Schriftstücke aus dem Ausgangsverfahren sei zur Substanziierung der Verfassungsbeschwerde nicht erforderlich gewesen. Der zusammenfassende Schriftsatz des damaligen Verfahrensbevollmächtigten vom 18. August 2022 enthalte den relevanten Vortrag. Im Protokoll der mündlichen Verhandlung des Amtsgerichts Dillingen a. d. Donau vom 17. März 2022 fänden sich keine Äußerungen zu den beanstandeten Aussagen der Sachverständigen. Daher sei eine Vorlage nicht notwendig gewesen. Auch ein Verstoß gegen den Subsidiaritätsgrundsatz sei nicht gegeben. Ein Befangenheitsantrag sei nicht notwendig gewesen. Gegenstand der Verfassungsbeschwerde sei, dass sich das Oberlandesgericht München die Ausführungen der Sachverständigen zu eigen gemacht hätte.
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2. Das Bayerische Staatsministerium der Justiz hält die Verfassungsbeschwerde bereits für unzulässig, im Übrigen jedenfalls für unbegründet.
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Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig.
18
1. Die Verfassungsbeschwerde genügt nicht den Substanziierungsanforderungen des Art. 51 Abs. 1 Satz 1 VfGHG.
19
a) Nach dieser Norm setzt die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde voraus, dass das verfassungsmäßige Recht, dessen Verletzung geltend gemacht wird, genau bezeichnet und die behauptete Verletzung verfassungsmäßiger Rechte im Einzelnen dargelegt wird. Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs gehört dazu auch der Vortrag des wesentlichen Sachverhalts, aus dem die Rechtsverletzung hergeleitet wird. Aufgrund der vorgetragenen Tatsachen muss zumindest die Möglichkeit der Verletzung eines verfassungsmäßigen Rechts bestehen. Die Rechtsverletzung muss so weit substanziiert werden, dass geprüft werden kann, ob der angefochtene Hoheitsakt auf ihr beruht. Der die behauptete Grundrechtsverletzung enthaltende Vorgang muss vollständig und nachvollziehbar so dargelegt werden, dass der Verfassungsgerichtshof in die Lage versetzt wird, ohne Rückgriff auf die Akten des Ausgangsverfahrens zu prüfen, ob der geltend gemachte Verfassungsverstoß nach dem Vortrag des Beschwerdeführers möglich erscheint (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 7.5.2012 – Vf. 103-VI-11 – juris Rn. 18; vom 22.7.2019 – Vf. 64-VI-16 – juris Rn. 14; vom 12.4.2021 - Vf. 14-VI-18 – juris Rn. 15; vom 20.9.2022 – Vf. 1-VI-22 – juris Rn. 29; Müller in Meder/Brechmann, Die Verfassung des Freistaates Bayern, 6. Aufl. 2020, Art. 120 Rn. 42 f.).
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Zur notwendigen Substanziierung der Verfassungsbeschwerde gehört regelmäßig, dass innerhalb der Verfassungsbeschwerdefrist die angegriffenen Entscheidungen vorgelegt werden (VerfGH vom 20.3.2018 BayVBl 2019, 207 Rn. 14 m. w. N.; vom 15.7.2022 – Vf. 96-VI-20 – juris Rn. 32). In Fällen, in denen eine angegriffene Entscheidung auf eine vorangegangene andere Entscheidung Bezug nimmt, reicht es zudem nicht aus, wenn lediglich die angegriffene Entscheidung selbst, nicht jedoch die in Bezug genommene Entscheidung vorgelegt wird. Entsprechendes gilt für sonstige Unterlagen, ohne deren Kenntnis eine etwaige Grundrechtsverletzung nicht umfassend geprüft werden kann (VerfGH vom 23.2.2022 BayVBl 2022, 407 Rn. 50 m. w. N.; vgl. auch BVerfG vom 15.11.2022 FamRZ 2023, 280 Rn. 13). Hierzu gehören auch in Bezug genommene Stellungnahmen Dritter (vgl. BVerfG vom 6.4.2017 – 1 BvR 580/17 – juris Rn. 2; vom 24.5.2019 – 1 BvR 673/19 – juris Rn. 2).
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Die Substanziierungspflicht muss der Beschwerdeführer innerhalb der Zweimonatsfrist des Art. 51 Abs. 2 Satz 2 VfGHG erfüllen. Nach Ablauf dieser Frist können fehlende notwendige Bestandteile der Verfassungsbeschwerde nicht mehr nachgeschoben werden (VerfGH vom 15.11.2018 – Vf. 10-VI-17 – juris Rn. 15; vom 20.9.2022 – Vf. 1-VI-22 – juris Rn. 31; Müller, a. a. O., Art. 120 Rn. 44).
22
b) Diesen Anforderungen wird die Verfassungsbeschwerde nicht gerecht.
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aa) Die Schriftsätze der Verfahrensbevollmächtigten des Beschwerdeführers im Ausgangsverfahren, auf die hin sich die Sachverständige am 15. Oktober 2021 und 28. Januar 2022 ergänzend geäußert hat, wurden nicht vorgelegt. Auf diese Schriftsätze vom 31. August und 23. November 2021 wurde aber sowohl durch das Oberlandesgericht München als auch die Sachverständige Bezug genommen.
Die Kenntnis des konkreten Inhalts dieser Schriftsätze der Verfahrensbevollmächtigten sowie der in ihnen erhobenen Einwendungen ist aber notwendig, um die Ausführungen der Sachverständigen in ihrem Gesamtzusammenhang nachzuvollziehen. Auch wenn vorgelegte Schriftsätze der Verfahrensbevollmächtigten des Beschwerdeführers teilweise Rückschlüsse auf den Inhalt der nicht vorgelegten Schriftsätze zulassen, ist es nicht Aufgabe des Verfassungsgerichtshofs, aus Anlagen den verfassungsrechtlich relevanten Sachverhalt selbst zu ermitteln (vgl. VerfGH vom 7.2.2017 – Vf. 84-VI-15 – juris Rn. 19; vom 20.9.2022 – Vf. 1-VI-22 – juris Rn. 29).
24
bb) Auch das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 17. März 2022 vor dem Amtsgericht Dillingen a. d. Donau, in der die Sachverständige Dr. S. angehört wurde, wurde dem Verfassungsgerichtshof nicht innerhalb der Verfassungsbeschwerdefrist vorgelegt.
25
Auf den Inhalt dieses Protokolls nimmt das Oberlandesgericht München in seinem Beschluss vom 19. Oktober 2022 mehrfach Bezug. Auch das Amtsgericht bezieht sich in seinem Beschluss vom 29. April 2022 mehrfach auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 17. März 2022. So führt das Oberlandesgericht in seinem Beschluss ausdrücklich aus, der ständig wiederholte Einwand des Beschwerdeführers, dass das Gutachten rassistische, diskriminierende Aussagen und Schlüsse über die Herkunft des Beschwerdeführers aus Rumänien enthalte, sei zurückzuweisen. Anhaltspunkte für den Vorwurf rassistischen Gedankenguts und einer ausländerfeindlichen bzw. diskriminierenden Haltung der Sachverständigen lägen „in ihren gesamten schriftlichen und mündlichen Ausführungen nicht vor“ (S. 13 des Beschlusses vom 19. Oktober 2022).
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cc) Nach alledem kann ohne Kenntnis des Inhalts der genannten Schriftsätze sowie des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 17. März 2022 weder zuverlässig überprüft werden, ob sich das Oberlandesgericht München entgegen den sich aus Art. 91 Abs. 1 BV ergebenden Anforderungen tatsächlich nicht mit den Einwendungen des Beschwerdeführers auseinandergesetzt hat, noch, ob sonst ein Verfassungsverstoß vorliegt. Dies insbesondere deshalb, weil Grundlage der erhobenen Rügen einer Verletzung des Gleichheitssatzes des Art. 118 Abs. 1 und 3 Satz 1 BV und des Erziehungsrechts der Eltern nach Art. 126 Abs. 1 Satz 1 BV eine isolierte Äußerung der Sachverständigen Dr. S. ist, die ohne Kenntnis von deren gesamten, gegebenenfalls in diesem Punkt modifizierten bzw. präzisierten Ausführungen in ihrem Sinngehalt nicht abschließend beurteilt werden kann.
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Hierbei kommt es entgegen der Auffassung der Verfahrensbevollmächtigten des Beschwerdeführers im Schriftsatz vom 3. April 2023 nicht darauf an, dass sich im Protokoll der mündlichen Verhandlung (aus Sicht des Beschwerdeführers) keine relevanten Äußerungen der Sachverständigen zu den beanstandeten Ausführungen befinden. Durch das Oberlandesgericht München wird im Beschluss vom 19. Oktober 2022 ausdrücklich auf die mündliche Anhörung der Sachverständigen Bezug genommen. Ohne Vorlage des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 17. März 2022 ist dem Verfassungsgerichtshof keine Beurteilung möglich, welchen Inhalt und welche Relevanz für die vom Beschwerdeführer gerügten Grundrechts- und Rechtsverletzungen die Anhörung der Sachverständigen hatte.
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2. Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers lässt zudem hinsichtlich der Rüge einer Verletzung des Art. 118 Abs. 1 und 3 Satz 1 BV nicht erkennen, dass der Grundsatz der Subsidiarität eingehalten wurde.
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a) Nach Art. 51 Abs. 2 Satz 1 VfGHG ist bei Einreichung der Verfassungsbeschwerde nachzuweisen, dass der Rechtsweg erschöpft worden ist, wenn hinsichtlich des Beschwerdegegenstands ein Rechtsweg zulässig ist. Nach dem Grundgedanken der Norm soll sich der Bürger nicht sprunghaft sofort an den Verfassungsgerichtshof wenden, sondern erst vor den Gerichten des zuständigen Gerichtszweigs die statthaften Rechtsbehelfe ergreifen, um die Beseitigung des Hoheitsakts zu erreichen, dessen Verfassungswidrigkeit er rügt (Müller in Meder/ Brechmann, Die Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 120 Rn. 24). Aus dem Erfordernis der Rechtswegerschöpfung haben sowohl das Bundesverfassungsgericht (vgl. BVerfG vom 8.1.1985 BVerfGE 68, 384/388 f.; vom 30.4.2003 BVerfGE 107, 395/414; vom 27.7.2023 – 2 BvR 917/20 – juris Rn. 22) als auch der Verfassungsgerichtshof den allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde abgeleitet. Dieser besagt, dass die Verfassungsbeschwerde nur dann zulässig ist, wenn alle prozessualen und faktischen Möglichkeiten ausgeschöpft sind, um dem als verfassungswidrig beanstandeten Hoheitsakt entgegenzutreten. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, wenn ohne Inanspruchnahme des Verfassungsgerichtshofs eine andere Möglichkeit besteht oder bestand, die Verletzung zu verhindern oder zu beseitigen oder im praktischen Ergebnis dasselbe zu erreichen. Der Beschwerdeführer muss das ihm Mögliche tun, damit eine Grundrechtsverletzung im fachgerichtlichen Instanzenzug unterbleibt oder beseitigt wird, und alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden zumutbaren prozessualen Möglichkeiten ergreifen, um die geltend gemachte Grundrechtsverletzung in dem unmittelbar mit ihr zusammenhängenden sachnächsten Verfahren zu verhindern oder zu beseitigen (VerfGH vom 2.2.2017 – Vf. 36-VI-14 – juris Rn. 23; vom 13.1.2022 – Vf. 61-VI-19 – juris Rn. 39; Müller, a. a. O., Art. 120 Rn. 25). Auch die Wahrung des Subsidiaritätserfordernisses ist innerhalb der zweimonatigen Verfassungsbeschwerdefrist des Art. 51 Abs. 2 Satz 2 VfGHG vom Beschwerdeführer darzulegen und nachzuweisen (VerfGH vom 4.1.2023 – Vf. 27-VI-22 – juris Rn. 22).
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b) Diesen Anforderungen wird die Verfassungsbeschwerde nicht gerecht.
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Bereits bei Einlegung der Verfassungsbeschwerde mit Schriftsatz vom 19. Dezember 2022 wird auf Seiten 16 f. des Schriftsatzes ausgeführt, „Dreh- und Angelpunkt des gesamten Verfahrens“ sei „das in erster Instanz erstattete Gutachten der Sachverständigen Frau Dr. S.“, die sich in einer aus Sicht des Beschwerdeführers diskriminierenden Weise geäußert habe. In der Stellungnahme des damaligen Verfahrensbevollmächtigten des Beschwerdeführers vom 18. August 2022 gegenüber dem Oberlandesgericht München wird auf Seite 3 ausgeführt, dem Gutachten fehle die Objektivität. Zur Begründung dieser fehlenden Objektivität wird neben anderen Punkten ausgeführt, das Gutachten enthalte rassistische, diskriminierende Aussagen und Schlüsse über die „ethnische“ Herkunft des Vaters und das daraus abgeleitete „Sozialisationsverhalten“.
32
Zusammenfassend werden der Sachverständigen damit fehlende Neutralität sowie rassistische und diskriminierende Tendenzen vorgeworfen. Für diesen Fall sieht das Gesetz primär die Möglichkeit der Ablehnung des betreffenden Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit gemäß § 30 Abs. 1 FamFG i. V. m. § 406 ZPO vor, die der Beschwerdeführer aber nicht ergriffen hat. Ein Sachverständiger wird nach dem Gesetz bei Zweifeln hinsichtlich seiner Unparteilichkeit im Wesentlichen wie ein Richter behandelt (Zimmermann in Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2020, § 406 ZPO Rn. 1). Durch den Beschwerdeführer werden (behauptete) Umstände vorgebracht, die aus seiner Sicht Misstrauen in die Unparteilichkeit der Sachverständigen rechtfertigen könnten. Durch das Verfahren der Ablehnung der Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit hätten deren vom Beschwerdeführer behauptete rassistische und diskriminierende Tendenzen noch im familiengerichtlichen Verfahren geklärt werden können. Bei Erfolg eines Ablehnungsgesuchs wegen Besorgnis der Befangenheit der Sachverständigen wäre eine Verwertung ihres Sachverständigengutachtens nicht mehr möglich gewesen. Ein neuer Sachverständiger hätte ausgewählt werden müssen (Huber in Musielak/Voit, ZPO, 20. Aufl. 2023, § 406 ZPO Rn. 18).
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Auch unter Berücksichtigung der Argumentation im Schriftsatz der Verfahrensbevollmächtigten des Beschwerdeführers vom 3. April 2023 kann der Subsidiaritätsgrundsatz nicht als gewahrt angesehen werden. Auch wenn das Oberlandesgericht München in seiner Entscheidung vom 19. Oktober 2022 dem Gutachten der Sachverständigen Dr. S. gefolgt ist und dieses als überzeugend und widerspruchsfrei bewertete, verbleibt Kern des Angriffs des Beschwerdeführers die Formulierung der Sachverständigen im Rahmen ihres schriftlichen Gutachtens vom 25. Juni 2021, konkret auf Seite 52. Durch einen Antrag nach § 30 Abs. 1 FamFG i. V. m. § 406 ZPO wegen Besorgnis der Befangenheit hätte bereits zu einem frühen Zeitpunkt während des amtsgerichtlichen Verfahrens eine Klärung hinsichtlich der vom Beschwerdeführer gerügten (angeblich) rassistischen und diskriminierenden Aussagen und Schlüsse (Schriftsatz vom 18. August 2022, S. 3) herbeigeführt werden können.
34
3. Die Verfassungsbeschwerde genügt auch inhaltlich nicht der sich aus Art. 51 Abs. 1 Satz 1 VfGHG ergebenden Begründungslast, wonach die behauptete Verletzung verfassungsmäßiger Rechte im Einzelnen dargelegt werden muss.
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a) Hinsichtlich einer Verletzung der materiellen Grundrechte aus Art. 118 Abs. 1 und 3 Satz 1 BV (allgemeiner Gleichheitssatz) und Art. 126 Abs. 1 Satz 1 BV (Erziehungsrecht der Eltern) ist die Verfassungsbeschwerde unsubstanziiert, weil sie unter Berücksichtigung des eingeschränkten Prüfungsmaßstabs des Verfassungsgerichtshofs bei der Überprüfung von gerichtlichen Entscheidungen, die auf bundesrechtlicher Grundlage ergangen sind, von vornherein keinen einer Überprüfung durch den Verfassungsgerichtshof zugänglichen Grundrechtsverstoß aufzeigt.
36
b) Ist eine Gerichtsentscheidung wie im vorliegenden Fall unter Anwendung von Bundesrecht (hier von Normen des BGB, des FamFG und der ZPO) ergangen, das wegen seines höheren Rangs (Art. 31 GG) nicht am Maßstab der Bayerischen Verfassung gemessen werden kann, beschränkt sich die Prüfung durch den Verfassungsgerichtshof in materieller Hinsicht auf die Frage, ob das Gericht willkürlich gehandelt hat (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 29.11.2022 – Vf. 5-VI-22 – juris Rn. 38 m. w. N.), d. h., ob es sich von objektiv sachfremden Erwägungen hat leiten lassen und sich damit außerhalb jeder Rechtsanwendung gestellt hat. Die gerichtliche Entscheidung darf unter keinem Gesichtspunkt rechtlich vertretbar sein, sie muss schlechthin unhaltbar, offensichtlich sachwidrig bzw. eindeutig unangemessen sein (VerfGH vom 19.10.2010 NJW-RR 2011, 215; Müller in Meder/Brechmann, Die Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 120 Rn. 63). Ohne erfolgreiche Willkürrüge kann die angegriffene Entscheidung auch nicht an anderen materiellen Grundrechten der Bayerischen Verfassung (hier: dem allgemeinen Gleichheitssatz und dem Erziehungsrecht der Eltern) gemessen werden (ständige Rechtsprechung; VerfGH vom 2.7.2014 – Vf. 58-VI-13 – juris Rn. 67; vom 4.2.2019 – Vf. 39-VI-18 – juris Rn. 34). Die bloße Rüge einer Verletzung des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes beinhaltet in der Regel gerade keine Willkürrüge (VerfGH vom 24.8.2022 – Vf. 9-VI-21 – juris Rn. 53 ff.).
37
c) Die Ausführungen zur behaupteten Verletzung des Art. 118 Abs. 1 und 3 Satz 1 BV in der Verfassungsbeschwerde beschränken sich im Wesentlichen auf die Behauptung, sowohl das Amtsgericht Dillingen a. d. Donau als auch das Oberlandesgericht München hätten die Bedeutung dieser Verfassungsnormen „völlig verkannt“ (S. 13 der Verfassungsbeschwerde vom 19. Dezember 2022). Dies wird damit begründet, dass die Ausführungen der Sachverständigen, denen sich das Oberlandesgericht München angeschlossen habe, weder den tatsächlichen Geschehnissen gerecht würden noch irgendeine Sensibilität hinsichtlich des Art. 118 Abs. 1 und 3 Satz 1 BV erkennen ließen. Das Gutachten beruhe erkennbar auf einem Vorurteil (S. 15 der Verfassungsbeschwerde).
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d) Abgesehen davon, dass die Rüge einer Verletzung von Art. 118 Abs. 1 BV in seiner spezifischen Ausprägung als Willkürverbot nicht ausdrücklich erhoben wird, ist eine ausreichende Darlegung eines willkürlichen Verhaltens nicht erkennbar. Willkürlich im Sinn des Art. 118 Abs. 1 BV ist eine gerichtliche Entscheidung nur dann, wenn sie bei Würdigung der die Verfassung beherrschenden Grundsätze nicht mehr verständlich ist und sich der Schluss aufdrängt, sie beruhe auf sachfremden Erwägungen. Eine fehlerhafte Anwendung einfachen Rechts begründet allein noch keinen Verstoß gegen Art. 118 Abs. 1 BV. Ein Willkürverstoß liegt nur dann vor, wenn die in Rede stehende Entscheidung schlechterdings unhaltbar, offensichtlich sachwidrig, unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar, eindeutig unangemessen ist (ständige Rechtsprechung, vgl. VerfGH vom 22.12.2020 – Vf. 15-VI-19 – juris Rn. 16 m. w. N.; Schmidt am Busch in Meder/Brechmann, Die Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 118 Rn. 33).
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In der Verfassungsbeschwerde wird nicht substanziiert dargelegt, dass die Entscheidung des Oberlandesgerichts München schlechthin unhaltbar wäre. Die Ausführungen in der Verfassungsbeschwerde beschränken sich auf eine erneute Kritik an der beanstandeten Äußerung der Sachverständigen in ihrem Gutachten vom 25. Juni 2021 sowie auf Kritik daran, dass sich das Oberlandesgericht dem Gutachten angeschlossen habe. Dies genügt den Anforderungen an eine substanziierte Darlegung von Willkür nicht.
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Es wird nicht dargestellt, dass die Entscheidung des Oberlandesgerichts völlig unvertretbar wäre und der Schluss gerechtfertigt wäre, sie beruhe auf sachfremden Erwägungen. Das Oberlandesgericht hat sich in seiner Entscheidung vom 19. Oktober 2022 ausführlich mit dem Inhalt des Gutachtens der Sachverständigen Dr. S. auseinandergesetzt und sich nach eigener Prüfung in vollem Umfang dem Gutachten angeschlossen. Damit macht das Oberlandesgericht deutlich, dass es den fachlichen Ausführungen der Sachverständigen folgt. Die Formulierung des Oberlandesgerichts, es schließe sich „nach eigener Prüfung in vollem Umfang“ dem Sachverständigengutachten an, bedeutet aber nicht, dass das Oberlandesgericht jede einzelne Formulierung und jeden semantischen Ausdruck des Gutachtens als eigene Formulierung gewertet wissen möchte. Die Übernahme des Inhalts eines Sachverständigengutachtens beschränkt sich ausschließlich auf den fachlichen Teil, was sich der ausführlichen Begründung der Entscheidung des Oberlandesgerichts vom 19. Oktober 2022 auch entnehmen lässt. Sachfremde Erwägungen sind dieser Entscheidung an keiner Stelle zu entnehmen.
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e) Mangels zulässiger Willkürrüge kommt eine Überprüfung am Maßstab des Grundrechts aus Art. 126 Abs. 1 Satz 1 BV ebenfalls nicht in Betracht. Ob ein Gericht weitere materielle Grundrechtsnormen der Bayerischen Verfassung verletzt hat, prüft der Verfassungsgerichtshof im Zusammenhang mit der Anwendung von Bundesrecht nicht ohne erfolgreiche Rüge einer Verletzung des Willkürverbots (vgl. VerfGH vom 13.2.2020 – Vf. 23-VI-18 – juris Rn. 27 m. w. N.; Müller in Meder/Brechmann, Die Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 120 Rn. 63).
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4. Die Verfassungsbeschwerde zeigt auch keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Art. 91 Abs. 1 BV auf.
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a) Unabhängig vom Vorliegen einer erfolgreichen Willkürrüge überprüft der Verfassungsgerichtshof in verfahrensrechtlicher Hinsicht bei entsprechender Rüge, ob ein Verfahrensgrundrecht der Bayerischen Verfassung verletzt wurde, das mit gleichem Inhalt im Grundgesetz gewährleistet ist (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 4.1.2023 BayVBl 2023, 192 Rn. 28 m. w. N.; Müller a. a. O., Art. 120 Rn. 63). Hierzu zählt u. a. der Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 91 Abs. 1 BV.
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b) Der Beschwerdeführer trägt aber nicht substanziiert zu einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör vor. Dieser Anspruch untersagt den Gerichten zum einen, ihren Entscheidungen Tatsachen oder Beweisergebnisse zugrunde zu legen, zu denen die Parteien sich nicht äußern konnten. Zum anderen gibt er den Parteien einen Anspruch darauf, dass die Gerichte ein rechtzeitiges und möglicherweise erhebliches Vorbringen zur Kenntnis nehmen und bei ihrer Entscheidung in Erwägung ziehen, soweit es nach den Prozessvorschriften nicht ausnahmsweise unberücksichtigt bleiben muss oder kann (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 25.5.2021 – Vf. 38-VI-20 – juris Rn. 25; vom 20.12.2022 – Vf. 32-VI-22 – juris Rn. 27, jeweils m. w. N.).
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Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet ein Gericht aber nicht dazu, in seiner Entscheidung auf alle Ausführungen eines Beteiligten einzugehen (VerfGH BayVBl 2023, 192 Rn. 49); aus Art. 91 Abs. 1 BV ergibt sich keine Verpflichtung des Gerichts, sich mit jedem Vorbringen der Beteiligten in den Entscheidungsgründen ausdrücklich auseinanderzusetzen (Schulz in Meder/Brechmann, Die Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 91 Rn. 67). Es besteht zudem kein Anspruch darauf, dass sich das Gericht der Bewertung eines Beteiligten anschließt, also „auf ihn hört“ (VerfGH vom 13.2.2020 – Vf. 23-VI-18 – juris Rn. 35). Daher kann die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nicht damit begründet werden, die vom Gericht vertretene Auffassung sei unrichtig. Nur dann, wenn sich aus den besonderen Umständen des Einzelfalls klar und deutlich ergibt, dass das Gericht erhebliches Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen oder nicht erwogen hat, kann eine Verletzung des rechtlichen Gehörs angenommen werden (vgl. VerfGH vom 27.12.2022 – Vf. 32-VI-22 – juris Rn. 27).
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c) Umstände, die nach diesen Maßstäben für eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör sprechen, zeigt die Verfassungsbeschwerde nicht auf. Das Oberlandesgericht München hat sich in seiner Entscheidung vom 19. Oktober 2022 ausführlich mit den Einwänden des Beschwerdeführers zu der von ihm als diskriminierend gewerteten Äußerung der Sachverständigen Dr. S. befasst (S. 13 des Beschlusses). Es hat die Äußerung der Sachverständigen lediglich anders bewertet als der Beschwerdeführer. Diese differierende Auffassung begründet aber keinen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör. Auch aus den weiteren Gesamtumständen lässt sich auf der Grundlage des Verfassungsbeschwerdevorbringens kein Anhaltspunkt für einen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör entnehmen.
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Es ist angemessen, dem Beschwerdeführer eine Gebühr von 750 € aufzuerlegen (Art. 27 Abs. 1 Satz 2 VfGHG).
Ein Mitglied des Verfassungsgerichtshofs hat gemäß Art. 25 Abs. 5 VfGHG folgendes Sondervotum zur Entscheidung vom 23. Januar 2024 Vf. 70-VI-22 zu den Akten niedergelegt.
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Die Verfassungsbeschwerde hätte nicht als unzulässig abgelehnt werden dürfen.
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Mindestens die Rüge der Verletzung des Art. 118 Abs. 1 und 3 Satz 1 BV erscheint substanziiert. Der Beschwerdeführer trägt vor, er sei durch die Übernahme der ihn diskriminierenden Äußerungen im Sachverständigengutachten durch das Oberlandesgericht München und das Amtsgericht Dillingen a. d. Donau in seinem Grundrecht auf Gleichbehandlung, das auch ein Verbot der Diskriminierung aufgrund der Herkunft umfasst, verletzt worden.
Dazu macht er geltend, die Sachverständige Dr. S. habe ausgeführt, es mangele ihm an der „nötigen Empathie, Geduld und Sensibilität für die besonderen Bedürfnisse eines Kindes in L[…]s Lage“.
Unter anderem hieraus habe sie den für ihn nachteiligen Schluss gezogen, das Aufenthaltsrecht des Kindes L. sei der Mutter zuzusprechen, und die Gerichte seien ihr gefolgt. Für den von ihr konstatierten Empathiemangel machte die Sachverständige ausdrücklich „Sozialisationsfaktoren, die mit der Herkunft des Kindsvaters zusammenhängen“ verantwortlich.
Als Begründung für diese Wertung habe die Sachverständige einen Vorfall am Spielplatz herangezogen, bei dem er sich geweigert habe, das eingekotete Kind zu wickeln, weil es dort keine Toilette oder adäquate Wickelmöglichkeit gab. Statt dessen habe er das eingekotete Kind zu Hause abgeliefert.
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Der Beschwerdeführer hat dieser Darstellung des Vorgangs widersprochen und vorgetragen, das Kind sei zu diesem Zeitpunkt windelfrei gewesen. Er habe keine andere Möglichkeit gehabt, als es nach Hause zu bringen. Die Schlussfolgerung von seiner Herkunft und Sozialisation in Rumänien auf einen Empathiemangel gegenüber seinem Kind sei willkürlich und rassistisch. Es verstoße gegen Art.118 Abs. 1 und 3 Satz 1 BV, dass das Amtsgericht und das Oberlandesgericht sich ausdrücklich vollinhaltlich dem Sachverständigengutachten angeschlossen hätten.
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Dieser Vortrag ist in sich schlüssig und substanziiert. Er wird gestützt durch die vorgelegten Unterlagen, insbesondere das Sachverständigengutachten und die beiden angegriffenen Gerichtsentscheidungen. Weder das Amtsgericht Dillingen a. d. Donau noch das Oberlandesgericht München haben bei ihrer zustimmenden Übernahme der Ausführungen der Sachverständigen inhaltliche Einschränkungen oder Vorbehalte gemacht, sondern sie quasi als eigene übernommen. Der Beschwerdeführer durfte sich deshalb auch direkt gegen diese Entscheidungen mit der Verfassungsbeschwerde wehren, ohne zuvor die Sachverständige abgelehnt zu haben. Das Ablehnungsverfahren ist kein eigener Rechtsweg. Es kann viele gute prozessuale Gründe geben, zunächst auf eine Ablehnung zu verzichten – etwa die Hoffnung, das Gericht mit seinen Gründen zu überzeugen ohne sofort in die Konfrontation eines Ablehnungsantrags zu gehen. Danach ist sie prozessual nicht mehr möglich.
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Die Beschwerde ist auch begründet. Die Wertung der Sachverständigen, der Beschwerdeführer sei gegenüber seinem Kind empathielos, stützt sich auf einen umstrittenen Sachverhalt, den sie ohne weitere Aufklärung nicht hätte übernehmen dürfen. Ihr „Erklärungsversuch“ mit der Sozialisation des Beschwerdeführers in Rumänien ist darüber hinaus für den Beschwerdeführer demütigend und im übrigen Ausdruck eines nicht hinnehmbaren Vorurteils. Die ausdrückliche vollinhaltliche Übernahme des Gutachtens durch die angegriffenen Gerichtsentscheidungen vertieft diese Verletzung des in der Bayerischen Verfassung gebotenen Diskriminierungsverbots.