Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 22.05.2024 – 204 StObWs 210/24
Titel:

Strafgefangener, Strafvollstreckungskammer, Langzeitbesuch, Rechtsbeschwerdeverfahren, Bayerisches Oberstes Landesgericht, Ermessensausübung, Justizvollzugsanstalt, Strafvollzugsgesetz, Ermessensentscheidung, Beschlüsse, OLG Frankfurt, Darlegungslast, Antrag auf gerichtliche Entscheidung, Entscheidungserhebliche Tatsachen, Ablehnungsbescheid, Tatsachengrundlage, Nichtannahmebeschluß, Aufhebung des Beschlusses, Beweislast, Verfassungsrechtliche

Normenketten:
BayStVollzG Art. 27 Abs. 2, Art. 28, Art. 208
StPO § 244 Abs. 2
Leitsätze:
I. Im Verfahren nach den §§ 109 ff. StVollzG gilt gemäß § 120 Abs. 1 S. 2 StVollzG i.V.m. § 244 Abs. 2 StPO der Grundsatz der Amtsermittlung. Den Antragsteller trifft weder eine Beweislast noch ein Beweisrisiko; allerdings hat er im Rahmen des § 109 Abs. 2 StVollzG eine Darlegungslast. Insbesondere darf vom Antragsteller bestrittenes Vorbringen der Anstalt nicht einseitig zugrunde gelegt werden.
II. Dass unüberwachte Langzeitbesuche und dabei auch Intimkontakte zwischen Gefangenen und Besuchern zugelassen werden können, regelt das Gesetz (Art. 27 BayStVollzG, § 24 StVollzG) zwar nicht, schließt dies aber auch nicht aus; die Zulassung liegt dabei im Ermessen der Anstalt.
III. Zwar besteht auch unter Berücksichtigung von Art. 6 Abs. 1 GG von Verfassungs wegen kein Rechtsanspruch auf Zulassung zu Langzeitbesuchen mit Intimkontakt. Art. 6 Abs. 1 GG kommt aber eine wertsetzende Bedeutung zu; er stellt Ehe und Familie auch im Strafvollzug unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung und verpflichtet den Staat zu einem am Ziel der sozialen Integration orientierten Strafvollzug. Daraus folgt, dass das von der Anstalt auszuübende Ermessen zumindest erheblich reduziert ist.
IV. Eine Langzeitbesuche ausschließende Gefährdung der Sicherheit und Ordnung der Anstalt durch das mögliche Einbringen von Drogen erfordert das Vorliegen konkreter Anhaltspunkte.
V. Für die Bestimmung zulässiger Grundrechtsbeschränkungen sind im Rahmen der Ermessensentscheidung darüber hinaus die räumliche und personelle Ausstattung der jeweiligen Justizvollzugsanstalt und die sich daraus ergebenden Grenzen für die Möglichkeit der Durchführung von Besuchen in Betracht zu ziehen. Danach ist der Staat grundsätzlich verpflichtet, Vollzugsanstalten in der zur Wahrung der Grundrechte erforderlichen Weise auszustatten. Existiert bereits eine geeignete Räumlichkeit, ist sie dem Strafgefangenen zur Verfügung zu stellen. Wurde eine entsprechende Räumlichkeit im Rahmen von Baumaßnahmen zwar schon vorgesehen, mangels gesetzlicher Verpflichtung zur Schaffung von solchen Räumlichkeiten aber nur noch nicht fertig gestellt, ist es der Justizvollzugsanstalt zumutbar, die Fertigstellung herbeizuführen.
Schlagworte:
Langzeitbesuch, Strafvollzug, Ermessensausübung, Grundrechte, Sicherheit und Ordnung, Amtsermittlung, Familienkontakt
Vorinstanz:
LG Regensburg, Beschluss vom 16.02.2024 – SR StVK 1545/23
Fundstelle:
BeckRS 2024, 48281

Tenor

1. Auf die Rechtsbeschwerde des Strafgefangenen W. werden der Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg bei dem Amtsgericht Straubing vom 16.02.2024 und der ablehnende Bescheid der Justizvollzugsanstalt Straubing vom 25.10.2023 aufgehoben.
2. Die Justizvollzugsanstalt S. wird verpflichtet, den Strafgefangenen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu verbescheiden.
3. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Strafgefangenen trägt die Staatskasse.
4. Der Geschäftswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 250,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Strafgefangene befindet sich seit 13.07.2022 in der Justizvollzugsanstalt S. zum Vollzug mehrerer Freiheitsstrafen. Der gemeinsame Zweidrittelzeitpunkt wird am 22.03.2026 erreicht sein, das Strafende datiert auf den 04.07.2029.
2
Mit Schreiben vom 18.04.2023 hatte der Strafgefangene die Gewährung unüberwachten Langzeitbesuchs mit seiner Lebensgefährtin und deren Sohn beantragt.
3
Diesen Antrag hat die Justizvollzugsanstalt S. mit Bescheid vom 25.10.2023 abgelehnt. Zur Begründung führt sie an, dass die Gewährung von unüberwachten Langzeitbesuchen im BayStVollzG nicht geregelt, aber auch nicht ausgeschlossen sei. Deren Zulassung samt etwaiger Intimkontakte zwischen dem Strafgefangenen und seinem Besucher stehe dabei im Ermessen der Justizvollzugsanstalt. Es stünden schon keine geeigneten Räumlichkeiten zur Verfügung. Der sich aus Art. 6 Abs. 1 GG ergebende Schutz der Beziehung des Strafgefangenen zu seiner Partnerin und deren Sohn könne auch dadurch gewährleistet werden, dass dem Strafgefangenen über das gesetzliche Mindestmaß hinaus 5 Stunden Besuch pro Monat zustünden, ihm nur optisch überwachte Cafeteriabesuche gewährt würden und er skypen könne. Außerdem stünden Gründe der Sicherheit und Ordnung der Anstalt zwingend entgegen. Der Strafgefangene sei zweifach wegen Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz vorbestraft und eine angeordnete Unterbringung in einer Entziehungsanstalt musste für erledigt erklärt werden. Es bestehe die Gefahr, dass die unüberwachten Langzeitbesuche zum Einschmuggeln von Drogen genutzt würden. Schließlich komme auch eine Überstellung des Strafgefangenen in eine andere Justizvollzugsanstalt nicht in Betracht, da in Bayern keine Justizvollzugsanstalt unüberwachte Langzeitbesuche gewähre und trotz intensiver Bemühungen eine Überstellung in eine Justizvollzugsanstalt eines anderen Bundeslandes fehlgeschlagen sei.
4
Mit Schreiben vom 28.10.2023 hat der Strafgefangene nach § 109 StVollzG beantragt, den Bescheid der Justizvollzugsanstalt S. vom 25.10.2023 aufzuheben und die Justizvollzugsanstalt S. zu verpflichten, ihm unverzüglich einen unüberwachten Langzeitbesuch mit seiner Lebensgefährtin und deren Sohn zu ermöglichen. Insbesondere führt er aus, dass dem keine Gründe der Sicherheit und Ordnung der Anstalt entgegenstünden, da er keine Drogen mehr konsumiere, sämtliche Urinkontrollen negativ gewesen seien, und geeignete Kontrollen des Besuchers und des Strafgefangenen, zum Beispiel durch einen Drogenspürhund, vor beziehungsweise nach dem Besuch, möglich seien. Auf dem Gelände der Justizvollzugsanstalt gebe es geeignete Räumlichkeiten für solche Langzeitbesuche, zumindest seien diese beim Bau des neuen Besucherzentrums geplant gewesen. Ein entsprechender unbenutzter Raum sei dort noch vorhanden.
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Die Justizvollzugsanstalt S. hat mit Schreiben vom 14.11.2023 beantragt, den Antrag des Strafgefangenen zurückzuweisen, und zur Begründung auf ihren Bescheid vom 25.10.2023 Bezug genommen.
6
Der Strafgefangene hat mit Schreiben vom 26.11.2023 repliziert. Er verweist dort auf seinen Sachvortrag und beantragt nochmals die Umstände um den unausgebauten Raum im neuen Besucherzentrum aufzuklären.
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Mit Beschluss vom 16.02.2024 hat die Strafvollstreckungskammer den Ausführungen der Justizvollzugsanstalt folgend den Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 28.10.2023 kostenpflichtig zurückgewiesen.
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Gegen diesen, dem Strafgefangenen am 23.02.2024 zugestellten Beschluss, hat dieser am 20.03.2024 zu Protokoll der Geschäftsstelle des Amtsgerichts Straubing Rechtsbeschwerde eingelegt.
9
Mit seiner Rechtsbeschwerde beantragt der Strafgefangene die Aufhebung des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer vom 16.02.2024 und Entscheidung gemäß seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung, hilfsweise die Zurückverweisung der Sache an das Landgericht Regensburg zur erneuten Entscheidung. Er rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
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Die Generalstaatsanwaltschaft München beantragt mit Schreiben vom 29.04.2024 die kostenfällige Verwerfung der Rechtsbeschwerde als unbegründet.
11
Hierzu nahm der Strafgefangene mit Schreiben vom 05.05.2024 nochmals Stellung.
II.
12
Die Rechtsbeschwerde vom 20.03.2024 ist gemäß Art. 208 BayStVollzG, § 116 Abs. 1, § 118 Abs. 1 bis 3 StVollzG i.V.m. Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 GG insbesondere auch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zulässig.
III.
13
Das Rechtsmittel ist auch begründet und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und des ablehnenden Bescheids der Justizvollzugsanstalt S. sowie zu deren Verpflichtung zur erneuten Verbescheidung des Strafgefangenen.
14
1. Der angefochtene Beschluss beruht auf einer unzureichenden Tatsachengrundlage.
15
a) Im Verfahren nach den §§ 109 ff. StVollzG gilt gemäß § 120 Abs. 1 S. 2 StVollzG i.V.m. § 244 Abs. 2 StPO der Grundsatz der Amtsermittlung. Die Erforschung des Sachverhalts erstreckt sich auf alle entscheidungserheblichen Tatsachen, was auch wegen Art. 19 Abs. 4 GG verfassungsrechtlich geboten ist (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 18.03.2015 – 2 BvR 1111/13 –, juris Rn. 39; BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 30.11.2006 – 2 BvR 1418/05 –, BVerfGK 9, 460-465, juris Rn. 15; Arloth/Krä/Arloth, 5. Aufl. 2021, StVollzG § 115 Rn. 2). Den Antragsteller trifft insoweit weder eine Beweislast noch ein Beweisrisiko; allerdings hat er im Rahmen des § 109 Abs. 2 StVollzG eine Darlegungslast. Das Vorbringen des Antragstellers ist somit zu überprüfen; einseitiges Vorbringen darf nicht ohne weiteres der Entscheidung zugrunde gelegt werden, auch wenn es nicht bestritten wird. Schon gar nicht darf einseitig das Vorbringen der Anstalt zugrunde gelegt (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 04.02.2009 – 2 BvR 1533/08 –, juris; Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 07.09.2020 – 203 StObWs 311/20 –, juris Rn. 32; Arloth/Krä/Arloth, a.a.O., StVollzG § 115 Rn. 2) oder dem Gefangenen einfach die Beweislast auferlegt werden. Das Gericht kann vielmehr eigene Ermittlungen anstellen und ist dazu nach dem Prinzip der materiellen Wahrheit im Zweifelsfall auch verpflichtet (Arloth/Krä/Arloth, a.a.O., StVollzG § 115 Rn. 2 m. w. N.; BeckOK Strafvollzug Bund/Euler, 24. Ed. 01.08.2023, StVollzG § 115 Rn. 2).
16
b) Vorliegend hat die Strafvollstreckungskammer nicht aufgeklärt, ob die Justizvollzugsanstalt über für unüberwachte Langzeitbesuche geeignete Räumlichkeiten (Begegnungszimmer) verfügt. Die Justizvollzugsanstalt verneint dies. Der Strafgefangene hat demgegenüber konkret vorgetragen, dass ein solcher Raum, der nach den Bauplänen auch als solcher bezeichnet worden sei, vorhanden sei, wenn auch nicht vollständig ausgebaut.
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Dieses Vorbringen hätte die Strafvollstreckungskammer zu weiteren Ermittlungen veranlassen müssen, etwa die Durchführung eines Augenscheins oder die Einsichtnahme in die Baupläne und in die Baugenehmigung für das neue Besucherzentrum, in dem Begegnungszimmer vorgesehen sein sollen. Für den Fall, dass bauseits entsprechende als Begegnungszimmer geeignete Räumlichkeiten vorgesehen waren, wäre zu ermitteln gewesen, aus welchen Gründen diese bislang nicht fertiggestellt worden sind und ob es sich hierbei um beachtliche Gründe handelt.
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2. Darüber hinaus sind die Erwägungen zur Ermessensausübung sowohl der Justizvollzugsanstalt als auch der Strafvollstreckungskammer fehlerhaft (§ 115 Abs. 5 StVollzG).
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a) Dass unüberwachte Langzeitbesuche und dabei auch Intimkontakte zwischen Gefangenen und Besuchern zugelassen werden können, regelt das Gesetz (Art. 27 BayStVollzG, § 24 StVollzG) zwar nicht, schließt dies aber auch nicht aus; die Zulassung liegt dabei im Ermessen der Anstalt (KG, Beschluss vom 27.03.2006, Az.: 5 Ws 118/06 Vollz, juris Rn. 8 f.; vgl. dazu m. jew. umfangr. Nachw.: Arloth/Krä/Arloth, a.a.O., § 24 Rn. 4a; BeckOK Strafvollzug Bayern/Arloth, 20. Ed. 01.04.2024, BayStVollzG Art. 27 Rn. 7; BeckOK Strafvollzug Bund/Bosch, 25. Ed. 01.02.2024, StVollzG § 24 Rn. 18, 18a; wohl auch Laubenthal/Baier in Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel/Baier, Strafvollzugsgesetze, 13. Aufl., Abschn. E Rn. 23). Nach anderer Ansicht können Art. 27 Abs. 2 BayStVollzG bzw. § 24 Abs. 2 StVollzG als Rechtsgrundlage herangezogen werden (Langzeitbesuch als Sonderfall), der aber ebenfalls keinen Rechtsanspruch begründet (BT-Drs. 7/918, 58; OLG Frankfurt, Beschluss vom 13.10.2016 – 3 Ws 410/16 (StVollz) –, juris Rn. 7 zu § 34 Abs. 2 HStVollzG; Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Beschluss vom 02.06.2014 – 1 Ws 12/14 –, juris Rn. 11; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 20.06.2005 – 1 Ws 426/04 –, juris Rn. 4; Dessecker/Schwind in Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, Strafvollzugsgesetze, 7. Aufl., 9. Kap. Teil B Rn. 24; a.A. OLG München, NStZ 1994, 560: es besteht grundsätzlich ein Rechtsanspruch).
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Auch unter Berücksichtigung von Art. 6 Abs. 1 GG besteht von Verfassungs wegen kein Rechtsanspruch auf Zulassung zu Langzeitbesuchen mit Intimkontakt (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 28.03.2001 – 2 BvR 11/01 –, juris Rn. 2; EGMR, Urteil vom 29.04.2003, Az.: 41220/98, BeckRS 2015, 19742, Rn. 185 ff.; OLG Frankfurt, Beschluss vom 17.01.2008 – 3 Ws 1203/07 StVollz –, juris Rn. 8,12; offen gelassen vom BVerfG, Beschluss vom 21.09.2018, Az.: 2 BvR 1649/17, juris Rn. 40).
21
Art. 6 Abs. 1 GG kommt allerdings eine wertsetzende Bedeutung zu. Er stellt Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung, wobei dieser verfassungsrechtliche Schutzauftrag auch für den Strafvollzug gilt. Der Anspruch Gefangener darauf, dass Kontakt zu ihren Angehörigen in angemessenem Umfang ermöglicht wird, findet eine weitere Grundlage in der Verpflichtung des Staates auf einen am Ziel der sozialen Integration orientierten Strafvollzug; denn Bestand und Stärkung der Familienbeziehungen sind diesem Ziel regelmäßig förderlich. Insbesondere Haft von längerer Dauer stellt für die Beziehungen des Gefangenen zu seiner Familie regelmäßig eine erhebliche Belastung dar und kann zu dauerhafter Entfremdung beitragen. Daher bleibt die Erhaltung des Kontakts zu den Familienangehörigen im Strafvollzug ein bei Vollzugsentscheidungen zu berücksichtigender, grundrechtlich geschützter Belang (vgl. zum Vorstehenden BVerfG, Beschluss vom 21.09.2018, Az.: 2 BvR 1649/17, juris Rn. 36 f., m. umfass. Nachw. aus der Rspr. des BVerfG). Daraus folgert das Bundesverfassungsgericht (a.a.O, Rn. 40), dass, wenn kein Rechtsanspruch auf unüberwachten Langzeitbesuch bestehen sollte, zumindest das auszuübende Ermessen erheblich reduziert sein dürfte.
22
Die Ermessensentscheidung hat zudem den persönlichen Aspekten des einzelnen Gefangenen und den Vollzugszielen wie Behandlung und Eingliederung des Gefangenen ausreichend Rechnung zu tragen (OLG Frankfurt, Beschluss vom 17.01.2008 – 3 Ws 1203/07 StVollz –, juris Rn. 10).
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b) Unter diesen Vorgaben sind die Erwägungen zur Ermessensausübung sowohl im Bescheid der Justizvollzugsanstalt S. vom 25.10.2023 als auch im Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 16.02.2024 fehlerhaft:
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(1) Justizvollzugsanstalt und Strafvollstreckungskammer gehen zwar zutreffend davon aus, dass der Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG eröffnet ist. Der Strafgefangene und seine Lebensgefährtin haben eine langjährige ernst gemeinte Beziehung. Damit ist hinsichtlich des Strafgefangenen und seiner Lebensgefährtin bereits von einem gefestigten eheähnlichen Verhältnis auszugehen (vgl. dazu etwa OLG Frankfurt, Beschluss vom 13.10.2016 – 3 Ws 410/16 (StVollz) –, juris Rn. 12; OLG Frankfurt, Beschluss vom 17.01.2008 – 3 Ws 1203/07 StVollz –, juris Rn. 12).
25
Justizvollzugsanstalt und Strafvollstreckungskammer nehmen dabei jedoch nicht ausreichend in den Blick, dass bei dem Beschwerdeführer eine langjährige Freiheitsstrafe vollstreckt wird. Gerade für solche Gefangene kommen unüberwachte Langzeitbesuche in Betracht (OLG Frankfurt, StraFo 2016, 527, juris Rn. 11 f.; BeckOK Strafvollzug Bund/Bosch, a.a.O., StVollzG § 24 Rn. 18a; Dessecker/Schwind in Schwind/Böhm/ Jehle/Laubenthal, Strafvollzugsgesetze, a.a.O., 9. Kap. Teil B Rn. 28), wobei aus verfassungsrechtlicher Sicht (Art. 6 Abs. 1 GG) ein verschärfter Prüfungsmaßstab anzulegen und das auszuübende Ermessen jedenfalls erheblich reduziert ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21.09.2018, Az.: 2 BvR 1649/17, juris Rn. 40).
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(2) Hinsichtlich der Ermessensausübung führen Justizvollzugsanstalt und Strafvollstreckungskammer fehlerhaft als entscheidendes Argument eine Gefährdung der Sicherheit und Ordnung in der Anstalt an, weil bei einem unüberwachten Langzeitbesuch problemlos Drogen in die Anstalt gebracht werden könnten. Hierbei wird aber übersehen, dass es für derartige Befürchtungen vorliegend keine konkreten Anhaltspunkte gibt.
27
Bei der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt (Art. 28 BayStVollzG, § 25 StVollzG) handelt es sich um unbestimmte Rechtsbegriffe, bei denen die Vollzugsbehörde keinen Beurteilungsspielraum hat und die daher der vollen gerichtlichen Nachprüfung unterliegen (BeckOK Strafvollzug Bund/Bosch, a.a.O., § 25 Rn. 5).
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Zwar vermag ein begründeter Verdacht, dass der Besucher und der Strafgefangene etwa anlässlich von Langzeitbesuchen Rauschmittel konsumieren bzw. diesen unüberwachten Besuch für das Einbringen von verbotenen Substanzen ausnutzen könnten, eine Gefährdung zu begründen. Voraussetzung ist aber stets, dass konkrete Anhaltspunkte für eine Gefährdung vorliegen (BeckOK Strafvollzug Bund/Bosch, a.a.O., § 25 Rn. 5; OLG Celle, Beschluss vom 19.09.2023 – 1 Ws 228/23 (StrVollz) –, juris Rn. 17 für Eignung zu Langzeitbesuch nach § 15 Abs. 2 NJVollzG).
29
An solchen tatsachenfundierten Erkenntnissen fehlt es im vorliegenden Fall jedoch, sodass die Justizvollzugsanstalt die Anforderungen für das Vorliegen einer Gefahr für die Sicherheit und Ordnung in der Anstalt überspannt hat. Vielmehr stützt sich die Entscheidung der Justizvollzugsanstalt allein auf die nicht vollständig aufgearbeitete Suchterkrankung, die mitursächlich für die bisherigen Straftaten des Strafgefangenen gewesen ist. Anhaltspunkte für einen aktuellen Betäubungsmittelkonsum während der Inhaftierung in der Justizvollzugsanstalt S. seit 13.07.2022 etwa in Form von positiven Urinkontrollen oder Kontakten zum dortigen Betäubungsmittelumfeld waren nicht zutage getreten. Vielmehr hat der Strafgefangene auf Anregung der Justizvollzugsanstalt S. Kontakt zu einer externen Suchtberatung aufgenommen und ist dort angebunden. Auch bei den bereits erfolgten Privatbesuchen konnten keinerlei Verstöße festgestellt werden.
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Bei der Entscheidung hat die Justizvollzugsanstalt mithin den straftatursächlichen Faktoren gegenüber seinem bisherigen mit Ausnahme eines Disziplinarverstoßes, der jedoch keinen Bezug zu Betäubungsmitteln hatte, beanstandungsfreien Verhalten im Vollzug und seiner dortigen Persönlichkeitsentwicklung bis hin zur nicht widerlegbaren Abstinenz sowie fehlenden Anzeichen für einen aktuellen Suchtdruck mit der möglichen Gefahr einer Einwirkung auf Dritte, insbesondere seine Partnerin, ein zu hohes Gewicht beigemessen.
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(3) Relevant ist darüber hinaus der erst noch aufzuklärende Umstand, ob in der Justizvollzugsanstalt S. eine geeignete Räumlichkeit für Langzeitbesuche existiert. Bei der zu treffenden Ermessensentscheidung muss nämlich berücksichtigt werden, ob entsprechende Raumkapazitäten vorhanden sind (OLG Frankfurt, Beschluss vom 13. Oktober 2016 – 3 Ws 410/16 (StVollz) –, juris Rn. 7; Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Beschluss vom 02.06.2014 – 1 Ws 12/14 –, juris Rn. 11; KG, Beschluss vom 27.03.2006, Az.: 5 Ws 118/06 Vollz, juris Rn. 9; Dessecker/Schwind in Schwind/Böhm/ Jehle/Laubenthal, Strafvollzugsgesetze, a.a.O., 9. Kap. Teil B Rn. 28).
32
Aus verfassungsrechtlicher Sicht (vgl. zum Nachstehenden BVerfG, Beschluss vom 05.05.2008, Az.: 2 BvR 2111/06, BVerfGK 13, 487, juris Rn. 19 f., sowie BVerfG, Beschluss vom 26.10.2011, Az.: 2 BvR 1539/09, BVerfGK 19, 157, juris Rn. 18 f.; ständige Rspr.) sind für die Bestimmung zulässiger Grundrechtsbeschränkungen auch die räumliche und personelle Ausstattung der jeweiligen Justizvollzugsanstalt und die sich daraus ergebenden Grenzen für die Möglichkeit der Durchführung von Besuchen in Betracht zu ziehen. Einerseits kann ein Strafgefangener nicht verlangen, dass unbegrenzt personelle und sonstige Mittel aufgewendet werden, um Beschränkungen seiner grundrechtlichen Freiheiten zu vermeiden. Andererseits bestehen aber Grundrechte nicht nur nach Maßgabe dessen, was an Verwaltungs- oder Justizeinrichtungen tatsächlich oder üblicherweise vorhanden ist. Der Staat kann grundrechtliche und einfachgesetzlich begründete Ansprüche Gefangener nicht nach Belieben dadurch verkürzen, dass er die Vollzugsanstalten nicht so ausstattet, wie es zur Wahrung ihrer Rechte erforderlich wäre. Vielmehr ist der Staat verpflichtet, Vollzugsanstalten in der zur Wahrung der Grundrechte erforderlichen Weise auszustatten. Drohen aufgrund unzureichender Ausstattung von Haftanstalten Beeinträchtigungen, die normalerweise von Rechts wegen nicht hinnehmbar sind, so sind den Anstalten und ihren Trägern im Rahmen des Zumutbaren besondere Anstrengungen zum Ausgleich des Mangels und zur zügigen Abhilfe abzuverlangen.
33
Der Staat kann sich insoweit nicht darauf berufen, dass er seine Vollzugsanstalten nicht so ausstattet, wie es zur Wahrung des in Art. 6 Abs. 1 GG normierten Schutzauftrages erforderlich wäre (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.10.2006, Az.: 2 BvR 1797/06, StV 2008, 30, juris Rn. 29).
34
Dies zugrunde gelegt, ist die Justizvollzugsanstalt verfassungsrechtlich verpflichtet, eine für Langzeitbesuche geeignete Räumlichkeit vorzuhalten. Existiert eine solche bereits, ist sie dem Strafgefangenen zur Verfügung zu stellen. Wurde eine entsprechende Räumlichkeit im Rahmen von Baumaßnahmen zwar schon vorgesehen, mangels gesetzlicher Verpflichtung zur Schaffung von solchen Räumlichkeiten aber nur noch nicht fertig gestellt, ist es der Justizvollzugsanstalt zumutbar, die Fertigstellung herbeizuführen, um die Grundrechte des Strafgefangenen nicht leerlaufen zu lassen. Etwas anderes kann lediglich dann gelten, wenn entsprechende Räumlichkeiten erst noch geplant und gebaut werden müssten (Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 28.03.2022 – 203 StObWs 30/22 –, nicht veröffentlicht).
35
Das bedeutet indes nicht, dass jeder Strafgefangene dann auch unbegrenzt Anspruch auf die Nutzung solcher Räumlichkeiten hat. Die Kapazitäten der Justizvollzugsanstalt bleiben nämlich räumlich und personell begrenzt. Dann kann eine Priorisierung dergestalt angezeigt sein, Langzeitbesuche in erster Linie nahen Angehörigen, der Ehefrau, der Verlobten und der nichtehelichen Lebensgefährtin zu gewähren (vgl. etwa OLG Frankfurt, Beschluss vom 13.10.2016 – 3 Ws 410/16 (StVollz) –, juris Rn. 12; OLG Frankfurt, Beschluss vom 17.01.2008 – 3 Ws 1203/07 StVollz –, juris Rn. 12; OLG Hamm, Beschluss vom 29. Juni 1999 – 1 Vollz (Ws) 57/99 –, juris Rn. 20).
IV.
36
Somit sind die Erwägungen zur Ermessensausübung sowohl der Justizvollzugsanstalt als auch der Strafvollstreckungskammer fehlerhaft (Art. 208 BayStVollzG, § 115 Abs. 5 StVollzG). Eine Ermessensreduzierung auf Null kommt mangels ausreichend geklärter Tatsachengrundlagen und festgestellter Ermessensfehler nicht in Betracht. Deshalb hebt der Senat nicht nur den angefochtenen Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 16.02.2024, sondern auch den Ablehnungsbescheid der Justizvollzugsanstalt vom 25.10.2023 auf und verpflichtet die Justizvollzugsanstalt, über den Antrag des Beschwerdeführers auf Gewährung unüberwachten Langzeitbesuchs unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden.
V.
37
1. Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf Art. 208 BayStVollzG i.V.m. § 121 Abs. 1 und 4 StVollzG, § 467 Abs. 1 StPO.
38
2. Die Festsetzung des Geschäftswerts für das Rechtsbeschwerdeverfahren beruht auf § 1 Abs. 1 Nr. 8, §§ 60, 65, 52 Abs. 1 GKG.