Inhalt

OLG Nürnberg, Hinweisbeschluss v. 29.02.2024 – 14 U 1504/23
Titel:

Insolvenzverwalter, Insolvenzmasse, Berufung, Dienstleistungen, Streithelfer, Bank, Stufenklage, Insolvenz, Schriftsatz, Auszahlung, Behandlung, Insolvenzbeschlag, Zeuge, Streitwert, erstinstanzliche Entscheidung

Schlagworte:
Insolvenzverwalter, Insolvenzmasse, Berufung, Dienstleistungen, Streithelfer, Bank, Stufenklage, Insolvenz, Schriftsatz, Auszahlung, Behandlung, Insolvenzbeschlag, Zeuge, Streitwert, erstinstanzliche Entscheidung
Vorinstanz:
LG Weiden, Urteil vom 20.06.2023 – 11 O 286/20
Rechtsmittelinstanzen:
OLG Nürnberg, Beschluss vom 22.04.2024 – 14 U 1504/23
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 26.06.2025 – IX ZR 74/24
Fundstelle:
BeckRS 2024, 48183

Tenor

Hinweis gemäß § 522 Abs. 2 ZPO
Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Weiden i.d. OPf. vom 20.06.2023, Az. 11 O 286/20, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.

Tatbestand

I.
1
Die Parteien streiten in der letzten Stufe einer Stufenklage noch über die Auszahlung sämtlicher Zahlungseingänge in der Zeit vom 28.10.2014 bis 20.03.2018 auf einem von der Beklagten geführten Konto mit der Nummer …, dessen Inhaber der Streithelfer war.
2
Das Amtsgericht – Insolvenzgericht – L. eröffnete mit Beschluss vom 01.06.2012 (Az.: …) das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Insolvenzschuldners S. (Streithelfer) und bestellte den Kläger zum Insolvenzverwalter.
3
Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nahm der Streithelfer eine weitere selbständige Tätigkeit im Bereich von Dienstleistungen und Beratungen für Gastronomie, Hotellerie und deren Zulieferer auf. Der Kläger erklärte als Insolvenzverwalter am 01.11.2012 gemäß § 35 Abs. 2 InsO die Freigabe dieser selbständigen Tätigkeit. Als Bestandteil der selbständigen Tätigkeit des Streithelfers wurde explizit dessen vormaliges Konto bei der S. L. mit freigegeben.
4
In der Folgezeit zog der Streithelfer nach M. um und eröffnete bei der Beklagten am 28.10.2014 ein Konto, welches laut Girovertrag ein Privatgirokonto war, wobei angegeben war, dass der Streithelfer selbständig tätig sei (Anlage B7). Dieses Konto wurde am 20.03.2018 in ein Pfändungsschutzkonto umgewandelt. Das Konto bei der S. L. wurde gekündigt bzw. geschlossen. Eine explizite Freigabe auch des neuen Kontos des Streithelfers bei der Beklagten erfolgte seitens des Klägers nicht.
5
Wegen des weiteren erstinstanzlichen Parteivorbringens sowie der in erster Instanz gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des am 20.06.2023 verkündeten Schlussurteils des Landgerichts Weiden i.d. OPf. Bezug genommen.
6
Mit diesem Urteil hat das Landgericht die Klage abgewiesen.
7
Gegen dieses seinen Prozessbevollmächtigen am 21.06.2023 zugestellte Urteil hat der Kläger mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 20.07.2023, eingegangen per beA am gleichen Tag, Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten am 18.08.2023 begründet.
8
Der Kläger meint, das streitgegenständliche Konto sei als Neuerwerb gemäß § 35 Abs. 1 Fall 2 InsO zu behandeln und falle daher in die Insolvenzmasse.
9
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des am 20.06.2023 verkündeten Urteils des Landgerichts Weiden i.d. OPf., Az. 11 O 286/20, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 99.664,54 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
10
Die Beklagte beantragt,
Die Berufung des Klägers gegen das Schlussurteil des Landgerichts Weiden i.d. OPf. vom 20.06.2023 – 11 O 286/20, wird zurückgewiesen.
11
Die Beklagte verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung.
12
Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens in der Berufungsinstanz wird auf die Schriftsätze vom 18.08.2023 (Bl. 239 ff. d.A.), 25.10.2023 (Bl. 249 ff. d.A.) und 24.11.2023 (Bl. 255 ff. d.A.) Bezug genommen.
II.
13
Das Landgericht Weiden i.d. OPf. hat die Klage zu Recht abgewiesen. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Auszahlung sämtlicher Zahlungseingänge, die auf dem von der Beklagten geführten Konto mit der Nummer … im Zeitraum vom 28.10.2014 bis 20.03.2018 eingegangen sind, unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt, insbesondere nicht aus dem Girokontovertrag des Streithelfers in Verbindung mit §§ 80, 35, 36, 82 InsO zu.
14
1. Nach § 80 InsO geht das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über. Gemäß § 35 Abs. 1 InsO fällt das gesamte Vermögen in die Insolvenzmasse.
15
Die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters erstreckt sich damit auf alle zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögensgegenstände, beschränkt sich aber auch hierauf. Der Insolvenzverwalter tritt in die Rechte und Pflichten des Schuldners ein (MüKoInsO/Vuia, 4. Auflage 2019, § 80 Rn. 43). Pfändbare Einkünfte, die ein selbständig tätiger Schuldner nach der Insolvenzeröffnung während des laufenden Insolvenzverfahrens erzielt, gehören ebenfalls zur Insolvenzmasse und zwar grundsätzlich vollen Umfangs (MüKoInsO/Peters, a.a.O, § 35 Rn. 48). Allerdings eröffnet § 35 Abs. 2 InsO die Möglichkeit, dass der Insolvenzverwalter erklärt, dass das Vermögen des Schuldners aus einer ausgeübten selbständigen Tätigkeit nicht zur Insolvenzmasse gehört und Ansprüche aus dieser Tätigkeit nicht im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können (vgl. BGH, Urteil vom 21.02.2019 – IX ZR 246/17, juris Rn. 19). Es handelt sich um eine Art Freigabe des Vermögens, welches der gewerblichen Tätigkeit gewidmet ist, einschließlich der dazu gehörenden Vertragsverhältnisse (BGH, a.a.O., m.w.N.; BGH, Urteil vom 09.02.2012 – IX ZR 75/11, juris Rn. 19, m.w.N.; BT-Drucks. 16/3227, S. 17). Der Neuerwerb aus dieser selbständigen Tätigkeit haftet während des eröffneten (Erst-)Verfahrens nur den Neugläubigern, nicht den (Alt-)Insolvenzgläubigern (BGH, Urteil vom 21.02.2019 – IX ZR 246/17, juris Rn. 19, m.w.N.).
16
Ist es zum Neuabschluss eines Girovertrags erst nach Wirksamwerden der Freigabeerklärung gekommen, so käme eine Behandlung als insolvenzfreies Vermögen des Schuldners dann in Betracht, wenn dieser der Bank mitgeteilt hat, dass es sich um ein Geschäftskonto für seine selbständige Tätigkeit handelt, oder sich eine solche Bestimmung aus den Umständen des Vertragsschlusses ergäbe (BGH, Urteil vom 21.02.2019 – IX ZR 246/17, juris Rn. 15).
17
2. Ausgehend von diesen Grundsätzen stellen die streitgegenständlichen Zahlungseingänge insolvenzfreies Vermögen des Streithelfers dar.
18
Der Kläger hat als Insolvenzverwalter nach § 35 Abs. 2 InsO die vom Streithelfer ausgeübte selbständige Tätigkeit aus dem Insolvenzbeschlag freigegeben. Damit sind sowohl das gesamte der selbständigen Tätigkeit gewidmete Vermögen als auch sämtliche Erträge aus der selbständigen Tätigkeit aus dem Haftungsverbund entlassen.
19
a) Aufgrund der Umstände bei Eröffnung des streitgegenständlichen Kontos ergibt sich, dass dieses als Geschäftskonto des Streithelfers für seine selbständige Tätigkeit anzusehen ist.
20
Dabei schadet die Bezeichnung als „Privatgirokonto“ nicht, weil zum einen bereits bei der Kontoeröffnung vermerkt wurde, dass der Streithelfer selbständig ist (Anlage B7). Zum anderen gab der Zeuge S. an, dass er bei der Kontoeröffnung bei der Beklagten die Freigabe durch den Insolvenzverwalter für die selbständige Tätigkeit vorgelegt und gesagt habe, dass er ein Konto für seine selbständige Tätigkeit brauche. Die Sachbearbeiterin habe gemeint, dass sie ihm wegen der Insolvenz ein reines Geschäftskonto nicht anbieten könne, sondern lediglich ein Privatkonto (Sitzungsniederschrift vom 27.07.2021, Seite 3, Bl. 52 d.A). Danach war auch der Beklagten klar, dass der Streithelfer das streitgegenständliche Konto für seine selbständige Tätigkeit benötigte.
21
b) Soweit der Kläger auf die Ausführungen des Bundesgerichtshofs in seiner Entscheidung vom 21.02.2019 – IX ZR 246/17 (juris Rn. 14) verweist, verhilft dies seiner Berufung nicht zum Erfolg. Denn diese Erwägungen befassen sich mit dem Neuabschluss eines Girovertrages vor der Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters.
22
Unabhängig davon diente das streitgegenständliche Konto der selbständigen Tätigkeit des Streithelfers und er nutzte es nahezu ausschließlich als Geschäftskonto seiner selbständigen Tätigkeit. Der Zeuge S. sagte im Rahmen seiner ergänzenden Vernehmung aus, dass es sich bei den Zahlungseingängen auf dem streitgegenständlichen Konto hauptsächlich um Beträge handele, die er aus seiner selbständigen Tätigkeit als Berater erwirtschaftet habe. Zum Teil seien es auch Bargeldzahlungen gewesen, die er erhalten habe, nachdem er eine Rechnung gestellt hätte. Die Zahlungen von der B. f. A. seien in den Zeiträumen erfolgt, in denen er keine Aufträge gehabt habe und einer selbständigen Tätigkeit nicht nachgegangen sei. In den Zahlungseingängen befänden sich keinerlei Eingänge, die er aus einer privaten Tätigkeit erwirtschaftet habe. Auch Zahlungen seiner Eltern seien zur Unterstützung seiner selbständigen Tätigkeit gedacht gewesen, nicht zur Unterstützung seines Privatlebens (Sitzungsniederschrift vom 30.05.2023, Seiten 3-4, Bl. 195 f. d.A.).
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3. Zudem könnte sich der Kläger nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht darauf berufen, dass sämtliche Zahlungseingänge auf dem streitgegenständlichen Konto im Zeitraum vom 28.10.2014 bis 20.03.2018 zur Insolvenzmasse gehören. Ein widersprüchliches Verhalten des Klägers ist darin zu sehen, dass er das vormalige Konto – das ebenfalls ein Privatkonto war (vgl. Aussage des Zeugen S., Sitzungsniederschrift vom 30.05.2023, Seite 3, Bl. 195 d.A.) – unstreitig explizit freigegeben hatte und er nunmehr aus dem – allein wegen des Umzugs des Streithelfers von L. nach M. – neu eröffneten streitgegenständlichen Konto Ansprüche geltend macht.
24
Der Senat nimmt Bezug auf die Ausführungen des Landgerichts Weiden i.d. Opf. unter Ziff. I. 1. b) der Entscheidungsgründe des Endurteils vom 20.06.2023 (dort Seiten 6-8, Bl. 207 ff. d.A.).
25
Dies gilt umso mehr, als der Kläger im laufenden Verfahren Folgendes erklärt hat: „Soweit ich im Rahmen der Kontoeröffnung des Kontos bei der Beklagten im Hinblick auf eine Freigabe auch dieses Kontos seitens des Insolvenzschuldners angefragt worden wäre, hätte ich dieses aus der heutigen Betrachtung wahrscheinlich auch freigegeben.“ (Sitzungsniederschrift vom 27.07.2021, Seite 5, Bl. 54 d.A.).
III.
26
Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).
27
Der Senat beabsichtigt, den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 99.664,54 € festzusetzen.
28
Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen nach Zustellung dieses Hinweises.