Titel:
Herkunftsland Afghanistan, Familie mit minderjährigen Kindern, in der Bundesrepublik, Deutschland nachgeborenes Kind, Schutzgewährung für die Familie in Spanien, Rückkehrperspektive im Einzelfall
Normenketten:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
EMRK Art. 3
GRCh Art. 4
EMRK Art. 8
Schlagworte:
Herkunftsland Afghanistan, Familie mit minderjährigen Kindern, in der Bundesrepublik, Deutschland nachgeborenes Kind, Schutzgewährung für die Familie in Spanien, Rückkehrperspektive im Einzelfall
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 10.07.2025 – 24 ZB 24.31074
Fundstelle:
BeckRS 2024, 48164
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Tatbestand
1
Zur Darstellung des Sachverhalts wird auf Nr. I des Beschlusses im Eilverfahren vom 6 Nuni 2024 (M 6 S 24.30509) sowie die Darstellung im streitgegenständlichen Bescheid der Beklagten vom 6. Februar 2024 Bezug genommen. Die Kläger beantragten zuletzt den Bescheid der Beklagten vom 6. Februar 2024 in den Nrn. 3 und 4 aufzuheben.
2
Die Beklagte übermittelte ihre Akte elektronisch und beantragte mit Schriftsatz vom 21. Februar 2024,
3
Durch Beschluss vom 12. September 2024 wurde der Rechtstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen (§ 76 Abs. 1 AsylG). Am 30. Oktober 2024 wurde zur Sache mündlich verhandelt und die Kläger informatorisch zu ihrem Aufenthalt in Spanien sowie zur Rückkehrperspektive der Familie dorthin ausführlich befragt.
4
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichts- und Behördenakte einschließlich derjenigen im Eilverfahren sowie die Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 30. Oktober 2024 ergänzend Bezug genommen (§ 117 Abs. 3).
Entscheidungsgründe
5
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten vom 6. Februar 2024 ist, soweit er angegriffen wird, rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO analog). Insbesondere droht ihnen bei Abwägung aller hierfür relevanten Gesichtspunkte im Fall einer Rückkehr nach Spanien dort nicht die Verletzung ihrer elementaren Grundrechte aus Art. 3 EMRK, Art. 4 GRCh oder mit Blick auf die Familie aus Art. 8 EMRK.
6
Zur Begründung nimmt das Gericht zunächst Bezug auf die zutreffenden rechtlichen Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid sowie die Ausführungen im Eilbeschluss vom 6. Juni 2024 (Az. M 6 S 24.30509) und macht diese zum Gegenstand der Begründung der vorliegenden Entscheidung (§ 77 Abs. 3 AsylG). Ergänzend ist auszuführen:
7
Auch die neuere ins Verfahren eingeführte Rechtsprechung beurteilt – zu Recht – die Situation anerkannt Schutzberechtigter in Spanien ebenso kritisch wie differenziert. Schwierigkeiten etwa bei der Wohnungssuche oder das Problem der Diskriminierung dieser Menschen wird thematisiert und in ihrer Bedeutung nicht verkannt. Weiterhin Einigkeit besteht in einen Großteil der Rechtsprechung dahin, dass anerkannt Schutzberechtigten in Spanien nicht grundsätzlich die Verletzung ihrer elementaren Grundrechte aus Art. 3 EMRK, Art. 4 GRCh droht, weil es dort zwar durchaus Missstände gibt, jedoch keine systemischen Mängel vorliegen. Dem schließt sich der erkennende Einzelrichter ausdrücklich an und verweist insbesondere auf die neuere Rechtsprechung (VG Düsseldorf, B.v. 9.7.2024, Az. 22 L 14422/24.A; VG Göttingen U.v. 29.7.2024, Az. 1 A 229/21 – jeweils zitiert nach juris). Die letztgenannte Entscheidung gab der Klage statt, weil einem Familienmitglied, von dessen Rückkehr nur im Familienverband wegen krankheitsbedingter Abhängigkeit zusammen mit seinen Angehörigen nach Spanien auszugehen war, dort eine Verletzung seiner Menschenrechte drohen würde, weil es in diesem konkreten Einzelfall den erwachsenen arbeitsfähigen Familienmitgliedern nicht gelingen werde, alle von ihm abhängigen übrigen Familienmitgliedern angemessen zu versorgen und für diese sowie für sich selbst mindestens ein menschenwürdiges Existenzminimum durch Arbeit zu erwirtschaften. Aber auch diese Entscheidung geht nicht vom Vorliegen systemischer Mängel in Spanien aus, sondern kommt unter Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalls zu dieser Beurteilung.
8
In Würdigung der Umstände des vorliegenden Falles und unter Einbeziehung des Eindrucks, den sich der erkennende Einzelrichter von den Klägern im Verlauf der mündlichen Verhandlung verschafft hat, droht den Klägern zu seiner Überzeugung nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Verletzung ihrer Rechte aus Art. 3 ERMK, Art. 4 GRCh sowie Art. 8 EMRK. Vielmehr werden sie insbesondere mit Hilfe des Klägers zu 1) und unter Inanspruchnahme der vielfältigen Hilfsmöglichkeiten in der Lage sein, im Falle ihrer Rückkehr dort Fuß zu fassen und sich wenigstens ein menschenwürdiges Existenzminimum zu erarbeiten. Wie schon das thüringische Oberverwaltungsgericht (B.v. 18.1.2023, Az. 2 ZKO 283/22 juris) kommt auch das Verwaltungsgericht Göttingen in seinem Urteil vom 29.7.2024 (a.a.O. Rn. 26 ff.) unter Auswertung aktueller Erkenntnismittel zu dem Ergebnis, anerkannt Schutzberechtigten drohe in Spanien grundsätzlich nicht die Verletzung ihrer Menschenrechte. Dem schließt sich der erkennende Einzelrichter ausdrücklich an, da er unter Würdigung der ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen, einschließlich solcher aus dem Jahr 2024, keinen Anlass hat, dies anders zu beurteilen. Über die von der genannten Rechtsprechung in Bezug genommenen Erkenntnisse hinaus geht aus allgemein zugänglichen Quellen hervor, dass die spanische Wirtschaft im Vergleich zu den anderen Ländern der Eurozone im Jahr 2024 mit voraussichtlich 2,4 bis 2,7 Prozent eine der höchsten Wachstumsraten ausweist und zudem die seit 15 Jahren niedrigste Arbeitslosenquote, wenngleich diese mit voraussichtlich 11,3 Prozent immer noch sehr hoch ist. Zugleich hat Spanien seinen geradezu existenziellen Mangel an Arbeitskräften erkannt, und ergreift Maßnahmen, den Zugang zu seinem Arbeitsmarkt zu erleichtern, etwas durch Abbau bürokratischer Hemmnisse oder die schnellere Anerkennung ausländischer Qualifikationen (vgl. https://kontrast.at/spanien-wirtschaftswachstum/). Diese Zahlen und Einschätzungen unterstreichen die Tragfähigkeit der Prognose, den Kläger werde es gelingen, bei entsprechendem Einsatz, Engagement und Willen im Falle ihrer Rückkehr auch als Familie in Spanien Fuß zu fassen, insbesondere Unterkunft und Arbeit zu finden.
9
Zudem vermochte es der Kläger zu 1), unter den schwierigen Bedingungen in Afghanistan bis zur Ausreise der Familie mit damals schon zwei Kleinkindern durch seine Arbeit deren Existenz zu sichern und ausreichend Mittel für die Reise der Familie von Spanien nach Deutschland aufzubringen. Im Verlauf der mündlichen Verhandlung vermochte insbesondere der Kläger zu 1) den erkennenden Einzelrichter nicht davon zu überzeugen, Gleiches werde ihm in Spanien nicht gelingen, obwohl es sich um ein Land der Europäischen Union, einen Rechtsstaat und ein Land im wirtschaftliche Aufschwung handelt, wo insbesondere im Bereich Tourismus und Landwirtschaft Arbeitskräfte sowie zahlreiche Dienstleistungen dringend gesucht sind. Zudem lässt sich den Erkenntnisquellen eine Vielzahl von Unterstützungsleistungen entnehmen, die vor allem auch Familien mit Kindern zustehen, wie etwa Kindergeld und Sozialhilfe. Die Kläger haben nicht eine einzige Initiative zur Erlangung von Unterstützung in Spanien berichtet, sondern dieses Land noch vor Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft verlassen. Der nachdrücklich geäußerte Wunsch, in Deutschland leben und die Kinder hier aufwachsen zu lassen, ist ein menschlich verständliches, jedoch kein rechtlich tragendes Argument.
10
Diese Einschätzung einer positiven Rückkehrpersektive wird zusätzlich gestützt durch die Schilderung des Klägers zu 1) bezüglich seiner Ausbildung und seines anschließenden beruflichen Werdegangs in Afghanistan. Er hat unter den dort dauerhaft schwierigen Verhältnissen nicht etwa als Ungelernter sich durchschlagen müssen, sondern in verschiedenen gehobenen beruflichen Positionen gearbeitet und seine Familie ernährt. Seine diversen Qualifikationen samt Computer- und Englischkenntnissen werden es ihm zur Überzeugung des Einzelrichters auch in Spanien erlauben, sich nicht in die Reihe der Tagelöhner und prekär Beschäftigten zu stellen, sondern auf dem regulären Arbeitsmarkt Fuß zu fassen und so der Familie ein Leben oberhalb des Existenzminimums zu ermöglichen.
11
Im Ergebnis verhilft die Berücksichtigung der Tatsache, dass die Kläger inzwischen ein weiteres in der Bundesrepublik nachgeborenes Familienmitglied haben, der Klage nicht zum Erfolg.
12
Die in der Bundesrepublik Deutschland geborene Tochter war nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Ob sie eine Rechtsstellung erlangen wird, aus der heraus die Frage der Rückführung der Kläger im vorliegenden Verfahren anders zu beurteilen sein wird, ist nicht Gegenstand der vorliegenden Entscheidung. Es bleibt den Klägern unbenommen, mit geeigneten Anträgen an die zuständigen Behörden diesbezüglich nochmals heranzutreten.
13
Gegenwärtig verfügt die Tochter nur über eine Aufenthaltsgestattung für die Dauer ihres Asylverfahrens. Schon deshalb ist eine weitergehende Prüfung der Frage, ob ihr Bleiberecht in der Bundesrepublik der Rückführung der Familie als Ganzes nach Spanien entgegenstehen könnte, nicht veranlasst (zu all dem instruktiv: BayVGH, Urt. v. 4.3.2024, 24 B 22.30376 – juris). Das Kind in dem vom BayVGH (a.a.O.) entschiedenen Fall verfügte über einen Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 3 AufenthG.
14
Davon abgesehen hat der erkennende Einzelrichter gleichwohl die Frage vorstehend geprüft, ob die Familie – ob mit oder ohne die nachgeborene Tochter – in Spanien eine tragfähige Rückkehrperspektive hat. Denn wäre dies zu verneinen, fiele an dieser Stelle die mangels Prüfung dieser Frage im streitgegenständlichen Bescheid vom erkennenden Einzelrichter vorzunehmende Abwägung zugunsten der Kläger aus mit der Folge der Stattgabe der Klage im beantragten Umfang.
15
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.