Inhalt

LSG München, Urteil v. 21.11.2024 – L 9 U 282/18
Titel:

Gesamtergebnis des Verfahrens, Sachverständigenbeweis, kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage, Kostenentscheidung, versicherte Tätigkeit, Feststellungsklage, Haftungsausfüllende Kausalität, Widerspruchsbescheid, Versicherungsfall, Richterliche Überzeugung, Sozialgerichtsgesetz, Gutachten nach Aktenlage, medizinischer Sachverständiger, Verwaltungsverfahren, Berufungsverfahren, Unfallbedingtheit, Gutachteneinholung, Medizinisches Gutachten, Gesetzliche Unfallversicherung, Arbeitsunfall

Leitsätze:
1. Sind die geltend gemachten Unfallfolgen (hier: beginnende Lungenfibrose und Verschlimmerung eines vorbestehenden Asthmas bronchiale) nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen, erübrigen sich Überlegungen zur Frage der haftungsausfüllenden Kausalität.
2. Das Gericht ist nicht veranlasst, ein toxikologisches Gutachten einzuholen, wie dies der Kläger mehrfach angeregt hat. Bei der Bewertung, welche Gesundheitsschäden als Unfallfolge anzuerkennen sind, handelt es sich um eine medizinische Sachfrage, die durch medizinische Sachverständig zu bewerten ist. In der vom Kläger angeregten Rück-Berechnung des acht Tage nach dem Unfalltag erhobenen Quecksilberwertes im Blut auf den Unfalltag durch einen Toxikologen sieht der Senat keinen Erkenntnisgewinn, weil die Quecksilberwerte im Blut und Urin des Klägers am Unfalltag und auch im weiteren Zeitverlauf dokumentiert sind.
Schlagworte:
Arbeitsunfall, Unfallfolgen, Kausalität, Beweismaßstab, Sachverständigengutachten, Lungenfibrose, Berufung
Vorinstanz:
SG Nürnberg vom 13.06.2018 – S 15 U 154/16
Rechtsmittelinstanz:
BSG Kassel, Beschluss vom 16.04.2025 – B 2 U 1/25 B
Fundstelle:
BeckRS 2024, 48004

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 13.06.2018 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.  

Tatbestand

1
Der Kläger und Berufungskläger (die Bezeichnung der Beteiligten aus der ersten Instanz bleibt beibehalten) begehrt die Anerkennung von Unfallfolgen auf pneumologischem Fachgebiet als Folgen eines Arbeitsunfalls vom 11.03.2014 Der 1965 geborene Kläger ist amerikanischer Staatsangehöriger und diente in der Zeit von 1984 bis 1991 in der US-Army, wobei er im Golf-Krieg eingesetzt und dort nach seinen Angaben Kampfmitteln ausgesetzt war und mit verschiedenen unbekannten Stoffen geimpft wurde. Schon seit dem Jahr 2000 ist der Kläger wegen verschiedener Erkrankungen, für die er seinen Kriegseinsatz verantwortlich macht, in ärztlichen Behandlungen.
2
Am 11.03.2014 erlitt er einen Arbeitsunfall. Gegen 7:30 Uhr belud der Kläger im Rahmen seiner Tätigkeit als Paketzusteller bei der Brief Niederlassung N sein ZustellFahrzeug. Dabei nahm er einen Geruch nach Qualm wahr. Dieser verstärkte sich während der Zustellfahrt. Beim Kläger traten Übelkeit und ein Brennen in den Atemwegen auf. Der Kläger musste sich aufgrund von Übelkeit übergeben. Immer wieder versuchte er, beim Sortieren der Pakete im Kfz festzustellen, woher der Geruch kam. Gegen 12:00 Uhr kontrollierte er die verbliebenen Pakete. Er fand ein Paket, von dem der Geruch ausging, und nahm es in die Hände. Plötzlich lief eine blaue Flüssigkeit über seine rechte Hand und nachfolgend eine silbernfarbige Masse. Die silbernfarbige Masse perlte über die Hand auf den Boden und vereinigt sich zu einem Fleck (Quecksilber). Der Kläger brach die Zustellfahrt ab und begab sich gegen 13:30 Uhr ins Klinikum N.
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Das Paket wurde später geborgen, es enthielt ein defektes Bremsprüfgerät. Am 02.04.2014 wurde es (wie auch das Zustellfahrzeug) vom der LGA Immissions- und Arbeitsschutz GmbH untersucht (Bericht vom 14.04.2014), wobei u.a. Quecksilber im Luftraum des Bergegefäßes oberhalb des Päckchens gemessen wurde.
4
Der Kläger wurde stationär in der Zeit vom 11. bis 12.03.2014 im Klinikum N überwacht, es wurde ein Inhalationstrauma mit Quecksilber und einer weiteren nicht bekannten Substanz diagnostiziert. Die Laborkontrolle ergab eine Leukozytose, die sich am Folgetag normalisierte. Die Lungenfunktion war bei der Artikulation unauffällig. Es wurden im Blut (< 1,0 µg/l bei Normwert < 4,0 µg/l) und im Urin (1,33 µg/l bei Normwert < 7,0 µg/l) unauffällige Quecksilberwerte festgestellt. Der Röntgenbefund der Lunge war unauffällig, es ergab sich kein Hinweis auf ein Lungenödem. Als vom Unfall unabhängige gesundheitliche Beeinträchtigungen wurden vom Klinikum N vermerkt: neurologische Vorbehandlung, Asthma bronchiale, COPD (chronisch obstruktive Lungenerkrankung) seit 2 bis 3 Jahren mit Dreifachmedikation.
5
Der den Kläger seit 2011 regelmäßig behandelnde Facharzt für Innere Medizin, Pneumologie und Allergologie, K, Z, befundete in der Folgezeit eine deutliche Verschlechterung der Lungenfunktion trotz intensiver antiobstruktiver Therapie, die er als Verschlechterung infolge des Arbeitsunfalles wertete.
6
Die Beklagte holte medizinische Unterlagen von den behandelnden Ärzten ein, wobei P, Internist, N, in seinem Befundbericht vom 04.04.2014 mitteilte, dass eine signifikante Quecksilberinkorporation nur in der ersten Blutentnahme bei ihm vom 19.03.2014 habe nachgewiesen werden können (9,9 µ/l). In den Folgeuntersuchungen seien weder in der Blut- noch in der Urinbestimmung eine relevante Quecksilberkonzentration nachweisbar gewesen. Daneben holte die Beklagte ein Vorerkrankungsverzeichnis von der zuständigen Krankenkasse ein, aus dem sich unter anderem schon vor dem Arbeitsunfall eine langjährige Behandlung des Klägers wegen einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung, eines Asthmas bronchiale und verschiedener Infekte und Entzündungen im Mund- und Rachenraum (Rachenschleimhaut, Kehlkopf) ergaben. Daneben zog die Beklagte auch den Entlassungsbericht der auf W/Sylt durchgeführten medizinischen Rehabilitationsmaßnahme der Deutschen Rentenversicherung (DRV) in der Zeit vom 16.09.2014 bis 07.10.2014 bei.
7
Zur Bewertung der Unfallfolgen holte die Beklagte ein neurologisches Zusatzgutachten von L, (Direktor S) Universitätsklinikum E, vom 15.12.2014 ein. L führte im Gutachten aus, dass der Kläger bereits 2003 wegen seit längerem bestehenden Muskelzuckungen in den Armen und Beinen, Gelenkund Muskelschmerzen und Druck im Kopf stationär behandelt worden sei. Die damals beklagten Gelenk- und Muskelbeschwerden seien laut den damaligen Angaben des Patienten nach seinem Einsatz im Golfkrieg, bei welchem er als Dieselmechaniker eingesetzt war, bestehend gewesen. Im Rahmen des Golfkrieg-Einsatzes habe der Patient verschiedene Spritzen von der medizinischen Abteilung der amerikanischen Armee bekommen. Die Inhaltsstoffe der verschiedenen Spritzen seien dem Patienten nicht bekannt. Weiterhin habe er berichtet, dass er mit verschiedenen Chemikalien (Insektiziden, chemischen Kampfstoffen) und radioaktiven Materialien (Geschossummantelungen) Kontakt gehabt habe.
8
Anlässlich der persönlichen Untersuchung am 11.12.2014 habe der Kläger gegenüber dem Gutachter seine Vor-Aufenthalte in der neurologischen Klinik N 2003, 2008 und 2013 nicht erwähnt. Ein durchgeführter Beschwerde-Validierungstest sei so auffällig gewesen, dass mit keiner validen Befunderhebung im Leistungsbereich zu rechnen gewesen sei. Der Gutachter beschrieb ein hoch auffälliges Persönlichkeitsprofil des Klägers. Alle objektivierbaren Befunde, die von der Mitarbeit und verbalen Äußerungen des Probanden unabhängig waren, seien normal gewesen. Eine demonstrativ wirkende Unsicherheit sei außerhalb der eigentlichen Untersuchungssituation nicht zu beobachten gewesen. Insgesamt habe kein pathologischer Befund auf neurologischem Gebiet objektiviert oder nachgewiesen werden können, der im Zusammenhang mit dem Arbeitsunfall stehe. Die in den Vorbefunden mehrfach erwähnte Polyneuropathie sei nicht nachgewiesen.
9
Aus neurologischer Sicht sei eine akute Quecksilberintoxikation nennenswerten Ausmaßes nicht anzunehmen, da die Schwere der Initialsymptomatik ohne neurologischen Befund, die durch einen nachfolgenden eintägigen stationären Aufenthalt und sequenzielle Nachuntersuchungen gut dokumentiert sei, nach klinischen Kriterien hierfür nicht ausreiche und überdies keine Ingestion, sondern nur ein Hautkontakt oder eine Inhalation stattgefunden habe. Die selektive Wiedergabe der Vorgeschichte durch den Untersuchten lasse vermuten, dass sie – bewusst oder unbewusst – auf eine Verursachung durch den genannten Vorgang zugeschnitten worden sei. Aus organ-neurologischer Sicht und gestützt durch neurophysiologische wie neuropsychologische Untersuchungsinstrumente könne festgehalten werden: ein verifizierbarer pathologischer Befund auf neurologischem Fachgebiet sei nicht zu erheben und deshalb auch kein Zusammenhang mit dem inkriminierten Ereignis herzustellen. In der Gesamtschau sei die vorgebrachte Beschwerdesymptomatik unspezifisch, vieldeutig und spreche am ehesten für ein von psychiatrischer Seite näher zu definierendes Geschehen, zumal ein Persönlichkeitstest auffällig gewesen sei. Zeichen einer Quecksilber-Intoxikation hätten sich aus neurologischer Sicht nicht gefunden.
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Die Beklagte holte daneben ein wissenschaftlich begründetes, arbeitsmedizinisches Fachgutachten von D, Direktor des Instituts und der Klinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Universität E-N vom 05.02.2015 ein. Dieses Gutachten entstand nach ambulanter Untersuchung des Klägers vom 15.10.2014. Anlässlich der Untersuchung war keine aktuelle Erhöhung der Quecksilberwerte in Urin und Blut des Klägers nachweisbar. Bei der Bodyplethysmographie/Flussvolumen-Untersuchung zeigten die Patientenunabhängigen Werte keine signifikante Obstruktion. Die Patientenabhängigen Werte konnten laut Gutachter nicht beurteilt werden. Die vom Kläger geschilderte Symptomatik nach dem Arbeitsunfall sei eine Vergiftungsreaktion, möglicherweise auch in Zusammenhang mit dem beißenden Geruch der nachgewiesenen flüchtigen Stoffe. Symptome einer schweren Quecksilbervergiftung im Sinne einer akuten Lungen- oder Nierenschädigung würden fehlen. Sowohl die klinische Überwachung und die Röntgenaufnahme der Lunge als auch die Laboruntersuchungen seien während des stationären Aufenthaltes im Klinikum N unauffällig gewesen. Dies würden auch die Verläufe der Quecksilbergehalte in Urin und Blutproben zeigen. Die im Krankenhaus innerhalb der ersten 24 Stunden gemessenen Werte in Blut und Urin seien völlig unauffällig gewesen und sprächen somit gegen eine signifikante Quecksilberbelastung. Damit sei auch keine Quecksilbervergiftung anzunehmen. Eine Kontrolle des Blut- und Urinwertes am 31.03.2014 und am 19.10.2014 seien unauffällig gewesen. Demgegenüber sei ein signifikanter Quecksilberwert in der Blutuntersuchung vom 18.03.2014 (gemeint wohl 19.03.2014) am ehesten im Zusammenhang mit einer Fischmahlzeit zu sehen. Unter Berücksichtigung der Urinkonzentrationen, die nach dem Unfall gemessen worden seien, ließe sich die Quecksilberbelastung im Blut am 18.03.2014 (gemeint wohl 19.03.2014) nicht in Zusammenhang mit dem Unfall vom 11.03.2014 bringen. Unstrittig sei, dass der Kläger eine kurzzeitige Quecksilberspitzenexposition gehabt habe, wahrscheinlich oberhalb des Arbeitsplatzgrenzwertes, wie im Bericht der LGA angeführt werde. Die Quecksilberexposition sei jedoch nicht so hoch, um zu einer dauerhaften gesundheitlichen Schädigung zu führen; die Quecksilberinhalation am 11.03.2014 habe zu einer kurzzeitigen Einschränkung des Allgemeinzustandes geführt, jedoch nicht langfristige Schäden im Sinne der vorgetragenen Beschwerden verursacht. In Übereinstimmung mit dem neurologischen Zusatzgutachter handele es sich hier nicht um ein organ-neurologisches Krankheitsbild, sondern um eine vorbestehende psychische Störung, wobei insgesamt eine psychiatrische Abklärung zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung sinnvoll wäre.
11
Abschließend hat die Beklagte noch ein fachinternistisches-pneumologisches Gutachten von Privatdozent F, Universitätsklinikum E, vom 31.08.2015 eingeholt. Der Gutachter hat nach ambulanter Untersuchung des Klägers am 17.06.2015 erhebliche Zweifel an den vom behandelnden Lungenfacharzt K mitgeteilten Messergebnissen seit dem 13.03.2014 geäußert, weil dort nur Spirometrien, aber keine bodyplethys-mographischen Werte mitgeteilt worden seien. Die Werte der neurologischen Rehabilitation in der N-Klinik W vom 16.09.bis zum 07.10.2014 hätten eine normale Blutgasanalyse, eine nur geringe Restriktion und keine echte Diffusionsstörung gezeigt. Das Atemfluss-Muster anlässlich der Untersuchung am 17.06.2015 zeige nach mehrfachen Messungen ein chaotisches Bild, angesichts der Mitarbeit-Problematik sei keine verwertbare Lungenfunktionsdiagnostik möglich. Aktuell seien aus pneumologischer Sicht keine objektivierbaren Gesundheitsschäden feststellbar. Nur vermutet werden könne, ob eine posttraumatische Somatisierungsstörung (Atemneurose) vorliege.
12
Daraufhin erließ die Beklagte den Bescheid vom 22.09.2015 mit folgenden Verfügungssätzen: „Das Ereignis vom 11.03.2014 wird als Arbeitsunfall anerkannt. Die Beschwerden auf pneumologischem Fachgebiet werden nicht als Folgen des Ereignisses vom 11.03.2014 anerkannt. Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung werden insoweit nicht gewährt.“ In den Gründen wurde ausgeführt, dass keine unfallbedingten Gesundheitsschäden festgestellt worden seien. Der Kläger habe ein Inhalationstrauma mit Quecksilber und eine Reizung der Atemwege erlitten. Es sei jedoch nicht zu strukturellen Schädigungen an der Lunge oder am Gesamtorganismus gekommen. Die Reizung der Atemwege sei unfallbedingt. Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung seien diesbezüglich gewährt worden. Die bestehenden Beschwerden auf pneumologischem Fachgebiet seien rechtlich wesentlich nicht auf das Ereignis vom 11.03.2014 zurückzuführen. Die Behandlung sei zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung durchzuführen.
13
Hiergegen erhob der Kläger am 29.09.2015 Widerspruch, den er auf die Befundberichte von K stützte, der eine hochgradige Einschränkung der Ventilation bei bekanntem Asthma bronchiale diagnostizierte. Es liege eine deutliche Verschlechterung der Lungenfunktion vor sowie eine glaubhafte Belastungsdyspnoe infolge des Inhalationstraumas; Hinweise auf eine Aggravation bestünden demgegenüber nicht.
14
Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19.05.2016 zurück, dieser war überschrieben mit: „Abgrenzung von Unfallfolgen“. Es liege kein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Arbeitsunfall und den geltend gemachten pneumologischen Beschwerden vor. Nach den Ergebnissen der interdisziplinären Zusammenhangs-Begutachtung lägen objektivierbare Unfallfolgen nicht vor. Die Beschwerden seien nach Auffassung der Gutachter unfall-fremder Ursache (d. h. auf die seit Jahren bestehenden erheblichen Vorerkrankungen mit psychosomatischer Komponente zurückzuführen). Die seit dem Arbeitsunfall eingetretene Verstärkung pneumologischer Beschwerden beruhe vor diesem Hintergrund nicht auf unfallbedingten organischen Veränderungen, sondern sei funktionell bedingt.
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Die dagegen vom Bevollmächtigten des Klägers erhobene Klage ist am 16.06.2016 beim Sozialgericht Nürnberg (SG) eingegangen. Der Kläger hat geltend gemacht, dass durch den Arbeitsunfall eine deutliche Verschlechterung der Lungenfunktion eingetreten sei.
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Das SG hat einen Befundbericht von K, Z, vom 02.05.2017 eingeholt, der seine Behandlungsunterlagen seit dem 05.05.2011 vorgelegt und ausgeführt hat, dass seit dem Inhalationstrauma beim Kläger eine persistierende, schwergradige Ventilationsstörung der Lunge vorliege. Das SG hat die Schwerbehindertenakte des Zentrums Bayern Familie und Soziales (ZBFS) beigezogen und Beweis erhoben durch Einholung eines ärztlichen Fachgutachtens vom Internisten, Lungen- und Bronchialheilkundler, Allergologen, Umweltmediziner und Facharzt für Arbeitsmedizin S1, E, vom 26.07.2017, das nach ambulanter Untersuchung des Klägers am 26.06.2017 erstellt wurde. S1 hat darin ausgeführt, dass das Messergebnis der Quecksilberkonzentration im Bergefass nicht auf den Innenraum des Fahrzeugs und insbesondere nicht auf den Fahrerbereich im Fahrzeug übertragen werden könne, da durch die Luftzufuhr und die Umwälzung die Quecksilberkonzentration in der Luft verdünnt worden sei. Es bestehe allerdings kein Zweifel daran, dass der Kläger einer Quecksilber-Einwirkung, durchaus auch oberhalb des Arbeitsplatzgrenzwertes, ausgesetzt gewesen sei. Die genaue Quantifizierung und Beurteilung der Belastung gelinge durch die Quecksilbermessung im Blut und Urin. Dort sei lediglich einmal die Quecksilberkonzentration oberhalb des Grenzwertes gemessen worden, sodass sowohl die Quecksilbermessungen im Blut und im Urin als auch der Verlauf der Beschwerden im unmittelbaren Anschluss an den Arbeitsunfall gegen eine bleibende Schädigung der Lunge durch die Inhalation von Quecksilber spreche. Die am Unfalltag auftretenden Beschwerden (Übelkeit und Erbrechen) mit der Notwendigkeit des Klinikaufenthaltes vom 11. bis zum 12.03.2014 seien mit Wahrscheinlichkeit wesentlich auf das Ereignis vom 11.03.2014 zurückzuführen. Die Beklagte habe die Unfallfolgen in dem Bescheid vom 22.09.2015 vollständig erfasst. Das Ereignis vom 11.03.2014 sei nicht mit Wahrscheinlichkeit wesentlich ursächlich für die Entstehung oder Verschlimmerung von bleibenden Gesundheitsschäden des Klägers.
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In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 26.10.2017 hat S1 ausgeführt, dass das Zielorgan einer Quecksilbervergiftung nicht die Lunge sei. Er hat damit auf die fehlende Organspezifität hingewiesen. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Quecksilbereinwirkung und dem Asthma könne aufgrund der fehlenden Organspezifität des Quecksilbers für die Lunge nicht begründet werden. Im Rahmen des Unfallereignisses konnten auch keine anderen atemwegsreizenden Substanzen ermittelt werden, aus denen ein Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem Asthma begründet werden könnte. Dies gelte insbesondere in Kenntnis der gemessenen Quecksilberkonzentrationen beim Kläger in Blut und Urin.
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Der behandelnde Lungenfacharzt K, Z, hat in seinem Attest vom 24.10.2017 demgegenüber nochmals bekräftigt, dass eine massive Verschlechterung der vorbestehenden Asthmaerkrankung als Folge des berufsbedingten Inhalationstraumas durch die Quecksilberdämpfe eingetreten sei, die bronchiale und pulmonale Reizungen verursachen könnten.
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In seiner weiteren ergänzenden Stellungnahme hat S1, E, am 05.03.2018 ausgeführt, dass die stark erhöhte Quecksilberkonzentration im Bergefass und die Abschätzung des Raumvolumens des Transporters im Verhältnis zum Bergefass und den mehrfachen Luftwechseln pro Stunde durchaus die Vermutung zulasse, dass der Kläger einer gesundheitsschädlichen Quecksilberkonzentration ausgesetzt gewesen sei, diese sei aber nicht näher bestimmbar. Allerdings könne die Einwirkungsdosis anhand der Konzentration von Quecksilber im biologischen Material (Blut und Urin) gemessen werden. Diese Messungen ergäben eine weit genauere Information über die tatsächliche Belastung eines Beschäftigten als die alleinige Kenntnis der Raumluftkonzentrationen. Die tatsächlichen Messwerte im biologischen Material sprächen aber eindeutig gegen eine Quecksilbervergiftung des Klägers. Von den in der Literatur beschriebenen Messwerten bei Quecksilbervergiftungen sei der Kläger um das 100-fache bzw. um das 500-fache niedriger belastet gewesen.
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Zuletzt hat der Kläger beim SG beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 22.09.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.05.2016 zu verurteilen, als Folgen des Arbeitsunfalles vom 11.03.2014 eine Lungenfunktionsschädigung anzuerkennen und die sich daraus ergebenden Leistungen zu erbringen. Hilfsweise hat er die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens eines Lungenfacharztes, der besondere Kenntnisse im Bereich der Einwirkung von Quecksilber auf das Atemwegssystem habe, beantragt.
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Mit Urteil vom 13.06.2018 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass die Klage unbegründet sei. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten seien nicht zu beanstanden. Die beim Kläger vorliegenden Beschwerden auf pneumologischem Fachgebiet seien nicht als Folgen des Ereignisses vom 11.03.2014 anzuerkennen, auch nicht im Sinne einer Verschlimmerung.
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Der Kläger habe am 11.03.2014 ein Inhalationstrauma mit Quecksilber und eine Reizung der Atemwege im Rahmen des Inhalationstraumas erlitten. Eine bleibende Schädigung der Lunge sei hierdurch jedoch nicht verblieben. Das beim Kläger vorbestehende Asthma bronchiale habe durch das Inhalationstrauma keine Verschlimmerung erfahren.
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Das Gericht habe keine Bedenken, sich insoweit den schlüssigen Ausführungen des Sachverständigen S1 anzuschließen. Dieser habe nachvollziehbar dargelegt, dass auch allgemein ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Quecksilbereinwirkung und Asthma in der medizinischen Literatur nicht belegt sei. Es seien dort allenfalls vorübergehende Atembeschwerden im Rahmen unfallartiger Ereignisse beschrieben.
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Die Klägerseite habe hiergegen eingewandt, dass der im Verwaltungsverfahren gehörte D in seinem Gutachten ausgeführt hätte, dass es durch die Inhalation von Quecksilberdampf zu einer Lungenschädigung im Sinne einer interstitiellen Pneumonie, einer Bronchiolitis oder eines Lungenödems kommen könne. Hierzu sei anzumerken, dass keiner dieser genannten Lungenschäden beim Kläger diagnostiziert worden sei.
25
Auch der Hilfsantrag des Klägers sei abzuweisen. Das Gericht sehe sich nicht gedrängt, die von der Klägerseite begehrte Gutachteneinholung auf lungenfachärztlichem Fachgebiet vorzunehmen. Das Gericht halte den gehörten Gutachter S1 für ausreichend kompetent, die Einwirkung von Quecksilber auf das Atemwegssystem sachgerecht beurteilen zu können. Auch den im Verwaltungsverfahren gehörten Gutachtern des Universitätsklinikums E D und PD F spreche das Gericht die entsprechende Kompetenz nicht ab.
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Gegen das am 27.07.2018 zugestellte Urteil des SG hat der Kläger am 27.08.2018 Berufung beim Bayerischen Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Zur Begründung hat er vortragen lassen, dass es durch das Inhalationstrauma zu einer Verschlechterung der Lungenfunktion und zu einer psychosomatischen Erkrankung gekommen sei. Dies werde auch von dem behandelnden Lungenfacharzt K bestätigt.
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Das Gericht hat mit richterlichem Schreiben vom 07.05.2019 darauf hingewiesen, dass weder die Beklagte noch das SG über die Anerkennung einer psychosomatischen Erkrankung entschieden habe. Ein auf die Anerkennung einer psychosomatischen Erkrankung als Folge des Arbeitsunfalles vom 11.03.2014 gerichteter Klageantrag wäre somit unzulässig.
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Auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG hat das Gericht ein Gutachten von G, W, Allgemeinmediziner, Homöopath und Umweltmediziner, vom 17.02.2020 eingeholt. G hat die im Verwaltungsverfahren und im SG-Verfahren eingeholten Gutachten kritisch bewertet und ist zu dem Schluss gekommen, dass die sehr divergierenden Lungenfunktionsergebnisse mit chaotischem Charakter aller Ärzte und Kliniken auffielen und dies auf eine Mitarbeits-Problematik zurückgeführt und psychologisch erklärt werde, gleichwohl ergebe sich aus den Messwerten eine schwere chronische Obstruktion der Bronchien, die infolge der abgelaufenen Quecksilberbelastung entstanden sein könne. Das Fehlen einer akuten Lungenerkrankung (Lungenödem) direkt nach der Exposition sei auf die schon laufende inhalative Therapie durch K zurückzuführen. Der ausgebliebene Anstieg des Quecksilberwertes in der ersten Blutentnahme sei mit hoher Wahrscheinlichkeit darauf zurückzuführen, dass Serum-Blut und kein EDTA- oder Vollblutröhrchen in das Labor geschickt worden sei. Die Ärzte hätten nicht gewusst, wie man mit einer akuten toxischen Quecksilberbelastung umgehen müsse. Der Kläger sei bei dem Arbeitsunfall vermutlich einer sehr hohen Quecksilber- und Lösemittelkonzentration ausgesetzt gewesen. Dies habe zu einer dauerhaften Lungenfunktionsstörung mit Atemnot und pathologischem Lungenfunktionstest, zu dauerhaften kognitiven und vegetativen Hirnleistungsstörungen, zu einer schweren chronischen Erschöpfung und zu einer emotionalen und depressiven Störung mit gewisser Persönlichkeitsveränderung geführt. Die Inhalation von Quecksilber in akuter und hoher Konzentration habe beim Kläger zu einem Nervenschaden vor allem in der Formatio retikularis des Stammhirns, in den pulmonalen Struktur- und Nervenzellen und den Mitochondrien geführt.
29
Die Beklagte hat zu dem Gutachten von G am 08.10.2020 Stellung genommen und sich dabei auf das eingeholte arbeitsmedizinische Fachgutachten nach Aktenlage von Z, B, Facharzt für Arbeits- und Umweltmedizin, Apotheker, Institutsdirektor des Instituts für Prävention und Arbeitsmedizin der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung an der Ruhruniversität B vom 17.08.2020 gestützt. Z hat ausgeführt, dass anhand der wissenschaftlichen Literatur und der allgemeinen der Fachwissenschaft vorliegenden Erkenntnisse zu Quecksilber ein Kausalzusammenhang der beim Kläger langfristig bestehenden Symptome und Befunde mit dem unfallartigen Ereignis im März 2014 nicht wahrscheinlich zu machen sei. G habe die vorbestehenden Einschränkungen der Lungenfunktion nicht angemessen bzw. richtig gewürdigt. Eine Verschlechterung der Lungenfunktionswerte nach dem Inhalationstrauma sei angesichts der aktenkundigen Unterlagen nicht gesichert. Ein Zusammenhang der White matter lesions im MRT von 2018 mit dem Inhalationstrauma bestehe nicht. Die Einschätzung von G dass trotz des anfangs eher leichten Gesundheitsschadens sich mit großer Latenz deutliche körperliche Defizite entwickelt hätten, sei nicht plausibel.
30
Das LSG hat mit Beweisanordnung vom 21.01.2021 N (LMU) M, zum medizinischen Sachverständigen nach § 106 SGG ernannt und diesen mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. N hat am 29.01.2021 mitgeteilt, dass er bereits am 05.01.2016 ein Gutachten über den Kläger für die Gutachten-Stelle für Arzt-Haftungsfragen bei der Bayerischen Landesärztekammer erstattet habe; er sei damals zu der Schlussfolgerung gekommen, dass die aktenkundigen Messergebnisse von Quecksilber im biologischen Material nicht für eine Quecksilberaufnahme im gesundheitsschädlichen Bereich sprächen.
31
Der Klägerbevollmächtigte hat am 04.02.2021 (Eingang beim LSG am 08.02.2021) den ärztlichen Sachverständigen N wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, weil dieser bereits im Arzthaftungsprozess mit der Angelegenheit des Klägers befasst gewesen sei. Mit Schreiben vom 10.02.2021 hat das LSG daher den medizinischen Sachverständigen von dem Gutachtensauftrag entbunden und um Übersendung des Gutachtens gebeten. N hat daraufhin sein Gutachten vom 05.01.2016 übersandt. Darin hat er ausgeführt, dass die Behandlung des Klägers im Klinikum N mit der gebotenen Sorgfalt erfolgt sei. Der klinische Verlauf und der fehlende Nachweis erhöhter Quecksilberwerte im biologischen Material habe zu Recht eine weitere stationäre notwendige Behandlung ausgeschlossen. Die aktenkundigen Messergebnisse von Quecksilber im biologischen Material sprächen nicht für eine Quecksilberaufnahme im gesundheitsschädlichen Bereich. Unter Berücksichtigung der im Krankenhaus erhobenen und unauffälligen Messwerte sei eine Quecksilberausleitungstherapie aus medizinischer Sicht kontraindiziert gewesen. Ein Behandlungsfehler des Arztes habe nicht vorgelegen.
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Das LSG hat im Hinblick auf das Gutachten von N der die sachverständigen Feststellungen von S1 im Gutachten vom 26.07.2017 bestätigt habe, die Rücknahme der Berufung angeregt.
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Der Bevollmächtigte des Klägers hat dazu am 28.04.2021 ausführlich Stellung genommen und dargelegt, dass das Gutachten von N aus dem Jahr 2016 für das Berufungsverfahren nicht von Bedeutung sei, da es um die bis heute erheblichen Einschränkungen des Klägers infolge der Quecksilbervergiftung gehe. Das Gutachten habe sich nur mit den Fragen der erstmaligen Behandlung im März 2014 und der Arzthaftung beschäftigt.
34
Am 05.10.2022 hat der Bevollmächtigte des Klägers den Berufungsantrag dahingehend geändert, dass die Feststellung der beim Kläger vorhandenen Gesundheitsstörungen auf pneumologischem Fachgebiet als weitere Folgen des Arbeitsunfalles vom 11.03.2014 begehrt werde. Er hat den Rentenbescheid der DRV Nord vom 02.08.2022 vorgelegt, nach dem der Kläger ab 01.01.2022 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bezieht. Weiterhin hat der Kläger ein lungenfachärztliches Attest von F1, N vom 11.10.2022 vorgelegt, wonach beim Kläger ein stabiler respiratorischer Zustand bei Asthma bronchiale, allergischer Rhinitis und Migräne mit Aura seit 2014 bestehe.
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Auf Nachfrage des Gerichts hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers am 29.11.2022 mitgeteilt, dass der Kläger die Anerkennung der beginnenden Lungenfibrose und die Verschlimmerung des vorbestehenden Asthmas bronchiale im Mischbild mit einer chronisch obstruktiven Atemwegserkrankung infolge Quecksilberintoxikation als Unfallfolgen begehre.
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Das LSG hat von den behandelnden Medizinern und Therapeuten Befundberichte eingeholt sowie die Schwerbehindertenakte des Zentrum Bayern Familie und Soziales (ZBFS) und die medizinischen Unterlagen der DRV Nord (Gutachtenakte) beigezogen.
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Das LSG hat anschließend Beweis erhoben durch Einholung eines fachärztlichen Gutachtens von L1, Internistin, Fachärztin für Lungen und Bronchialheilkunde, Öffentliches Gesundheitswesen und Umweltmedizin, S, vom 22.11.2023. In dem umfangreichen, 79-seitigen Gutachten nach Aktenlage hat sich L1 ausführlich mit den überlassenen Akteninhalten (Beklagten-Akten, Gerichtsakten SG und LSG, Gutachtensakte DRV Nord, Schwerbehindertenakte des ZBFS) befasst und diese zutreffend wiedergegeben.
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Die medizinische Sachverständige hat ausgeführt, dass aus dem Bericht des LGA vom 14.04.2014 zu entnehmen sei, dass der Fahrzeuginnenraum, der Paketbereich des DHL Paket-Auslieferungsfahrzeugs nach der Reinigung sowie der Luftraum des Bergegefäßes untersucht worden seien. Aus diesen Daten könne nicht zuverlässig auf die während der Transportzeit im Fahrerbereich vorhandene Quecksilber-Konzentration geschlossen werden, da im Bergegefäß eine artifizielle Situation mit einem sehr kleinen Raumvolumen im Vergleich zum Volumen im Laderaum vorgelegen habe und darüber hinaus das Ausmaß des Luftaustausches zwischen Laderaum und dem Fahrerbereich nicht bekannt sei. Aus diesem Grunde sei die Quecksilberkonzentration in Blut und Urin als aussagekräftiger anzusehen.
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Hinsichtlich der Unfallkausalität hat die medizinische Sachverständige dargelegt, dass sich letztlich ausschließlich die Aussage treffen lasse, dass der Kläger bei seiner beruflichen Tätigkeit am Unfalltag von 7:45 Uhr bis ca. 13:00 Uhr gegenüber Quecksilberdämpfen und gegenüber Dämpfen von Substanzen, die vom LGA bei der Untersuchung eines flüssigkeitsgetränkten Papiers (am 31.03.2014) und bei der Untersuchung des Luftraumes des Bergegefäßes (am 02.04.2014) gefunden worden seien, exponiert gewesen sei, wobei die Höhe der Exposition und letztlich auch die Zeitdauer der Exposition (wegen des wiederholten Verlassens des Fahrzeugs) unbekannt seien.
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Aufgrund der unauffälligen Blut- und Urinwerte am 11.03.2014 sei als Folge der Quecksilbereinwirkung nicht von einer relevanten Quecksilbervergiftung auszugehen. Die Beschwerdesymptomatik und die Befundlage, die am Unfalltag, am 11.03.2014 erhoben worden sei, spreche eindeutig gegen eine hohe, nahezu tödliche Dosis von anorganischem Quecksilber. Der Kläger habe bei der Aufnahmeuntersuchung am 11.03.2014 angegeben, dass ihm schwindlig geworden sei, er sich zweimal erbrochen habe und er auch Atemprobleme/Atemnot bekommen habe, jedoch kein Fieber.
41
Die anamnestischen Angaben des Klägers seien zu den verschiedenen Zeitpunkten unterschiedlich gewesen, wobei im Rahmen der gutachterlichen Untersuchung bei D zahlreiche weitere Symptome geschildert worden seien, die weder im Rahmen der stationären Aufnahme am Unfalltag, noch gegenüber S (gemeint L) geäußert wurden und zum größten Teil tatsächlich Symptomen entsprächen, die bei oraler Aufnahme von organischem Quecksilber auftreten würden, nicht jedoch bei oraler Aufnahme von anorganischem Quecksilber und erst recht nicht bei Inhalation von anorganischen Quecksilberdämpfen, wie dies bei dem Kläger der Fall gewesen sei. Quecksilber sei bei dem Unfallereignis nicht oral aufgenommen worden. Dem Entlassungsbericht des Klinikums N vom 12.03.2014 sei zu entnehmen, dass eine Reizung der Atemwege nach Inhalation von Quecksilberdämpfen und einer weiteren unbekannten Substanz aufgetreten sei. Der Röntgen-Thorax sei unauffällig gewesen, es habe sich kein Hinweis auf ein Lungenödem ergeben. Bei der körperlichen Untersuchung sei die Lunge auskultatorisch unauffällig, ohne Hinweis für ein Lungenödem gewesen. Vesikuläres Atemgeräusch sei auskultiert worden, Nebengeräusche seien nicht hörbar gewesen. Auch habe keine Zyanose bestanden. Es sei eine Monitorüberwachung erfolgt vom 11.03.2014 bis 12.03.2014. Durchwegs sei der Kläger atem- und kreislaufstabil gewesen. Atembeschwerden seien nicht dokumentiert worden. Während des stationären Aufenthaltes seien keine therapeutischen Maßnahmen erfolgt, auch bei Entlassung sei keine Medikation verordnet worden. Eine Lungenfunktionsprüfung sei nicht veranlasst worden, da sich hierfür keine Notwendigkeit ergeben habe.
42
Der Durchgangsarzt (D-Arzt) B habe in seinem Befund vom 12.03.2014 berichtet, dass sich kein Anhalt für ein Lungenödem oder sonstige pathologische Befunde ergeben habe. Am 13.03.2014 habe der Kläger sich zudem beim D-Arzt R vorgestellt. Dokumentiert sei, dass der Kläger sich noch schwach und müde gefühlt habe. Bei bekannter COPD (unfallunabhängig) sei die Vorstellung beim bisherigen Pneumologen zur Kontrolle erfolgt. Atembeschwerden seien anamnestisch nicht angegeben bzw. seien nicht dokumentiert worden, ebenso wenig wie ein krankhafter Herz-Lungen-Befund.
43
Die Schädigung sei bei Inhalation schädigender Substanzen abhängig davon, ob diese gering oder gut wasserlöslich seien, ebenso von der Partikelgröße. Quecksilber sei praktisch nicht löslich in Wasser. Daher seien die oberen Atemwege meist nicht betroffen. Es komme vorwiegend zur Schädigung der distalen Atemwege, der Bronchiolen und Alveolen. Eine Asphyxie sowie ein Lungenödem seien klinisch und röntgenologisch ausgeschlossen worden. Auch eine Schädigung im Alveolarbereich sowie eine Bronchiolitis seien röntgenologisch ausgeschlossen worden im Rahmen der stationären Behandlung am Unfalltag sowie durch den behandelnden Lungenarzt K am 15.05.2014. Es sei jeweils ein unauffälliger Röntgen-Thorax beschrieben worden. Frau H beschreibe in ihrem Thorax-CT-Befund vom 08.04.2022 (Gutachtenakte der DRV), dass sich keine bildmorphologischen Kriterien einer interstitiellen Lungenerkrankung zeigten, lediglich eine inhomogene Lungendichte, vereinbar mit einer Erkrankung der kleinen Atemwege, zum Beispiel im Rahmen des bekannten Asthmas bronchiale. Auch pulmonale Rundherde oder Raumforderungen seien nicht nachweisbar gewesen. Eine Lungenfibrose, wie von G angegeben, sei somit ausgeschlossen worden, ebenso wie eine andere interstitielle Lungenerkrankung. Anorganischer Quecksilberdampf sei nicht geeignet eine toxische Bronchitis oder Tracheitis oder eine Reflexbronchokonstriktion auszulösen.
44
Eine Schädigung der Lunge durch die Inhalation von Quecksilberdämpfen am 11.03.2014 könne aufgrund dieser Befundlage mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden.
45
Die medizinische Sachverständige hat anschließend ausgeführt, dass die neben Quecksilber nachgewiesenen Stoffe (vgl. Bericht des LGA vom 14.04.2014) nicht geeignet gewesen seien, eine toxische Bronchitis oder Tracheitis oder eine Reflexbronchiokonstruktion auszulösen. Es sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass auch im Rahmen des Ereignisses am 11.03.2014 hinsichtlich dieser Verbindungen keine Konzentration vorgelegen habe, die sich chemisch-irritativ oder toxisch auf die oberen oder unteren Atemwege ausgewirkt habe.
46
Auch eine Bronchokonstriktion sei nicht diagnostiziert worden, ebenso wenig ein RADS (Reactive Airway Dysfunction Syndrome, asthmaähnliche Anfälle mit Husten nach Exposition von meist gewerblichen Gasen oder anderen chemisch irritativen Stoffen), wie dies von G angenommen werde. Die Kriterien eines RADS seien tatsächlich nicht erfüllt. Der Kläger habe vor dem Ereignis bereits seit vielen Jahren ein Asthma bronchiale mit Übergang in eine chronisch obstruktive Atemwegserkrankung gehabt. Die medizinische Sachverständige hat dies aus den seit 2011 vorliegenden lungenfachärztlichen Behandlungsberichten von K hergeleitet. Der Kläger habe sich am 14.01.2014 in lungenärztlicher Behandlung bei K vor dem Ereignis befunden. In diesem Befund werde die Diagnose Rhinokonjunktivitis allergica sowie Asthma bronchiale – Mischbild zur COPD angegeben. Es habe also eine obstruktive Ventilationsstörung bereits vor dem Ereignis am 11.03.2014 bestanden mit Durchführung einer hochdosierten inhalativen antientzündlichen und Bronchuserweiternden Therapie und Einnahme von Montelukast. Es hätten bereits vor dem Ereignis Beschwerden von Seiten der oberen und unteren Atemwege bestanden. Eine RADS, wie von G angenommen, lasse sich somit ausschließen, zumal auch weitere Bedingungen nicht erfüllt seien. Es habe keine Exposition gegenüber Atemwegsirritativen Noxen in sehr hohen Konzentrationen und auch kein Symptombeginn in Assoziation zu dem Ereignis vorgelegen.
47
L1 ist anschließend der Frage nachgegangen, ob das Ereignis vom 11.03.2014 beim Kläger auf Grund der vorgeschädigten Lunge zu einer Verschlechterung des vorbestehenden Asthmas bronchiale mit anhaltender Verschlechterung der Atemwegsbeschwerden und der Lungenfunktion geführt habe. Um dies zu prüfen, sei der Verlauf des vorbestehenden Asthmas bronchiale mit Übergang zur chronisch obstruktiven Atemwegserkrankung (COPD), insbesondere der Verlauf der Lungenfunktion, auszuwerten.
48
Um eine obstruktive oder restriktive Ventilationsstörung oder eine Überblähung festzustellen, sei die Durchführung einer Bodypletyhsmographie erforderlich. Notwendig bei der Beurteilung seien hierbei insbesondere die FEV1 (= Einsekundenkapazität), die inspiratorische und forcierte Vitalkapazität, der Atemwegswiderstand, das intrathorakale Gasvolumen, das Residualvolumen und die Lungenkapazität. Unabdingbar notwendig zur Beurteilung sei die Lungenfunktionsgraphik (Resistanceschleife, Flussvolumenkurve). Zu berücksichtigen sei hierbei, dass lediglich der Atemwegswiderstand (= Resistance) und das intrathorakale Gasvolumen Mitarbeitsunabhängig seien, während die übrigen angegebenen Messwerte von der Mitarbeit abhängig seien. Bei der FEV1 handele es sich um das maximale Volumen, das nach maximaler Einatmung innerhalb einer Sekunde maximal ausgeatmet werden könne. Bei der inspiratorischen Vitalkapazität handele es sich um das maximale Volumen, das nach maximaler Ausatmung maximal eingeatmet werden könne. Bei der FVC handelt es sich um die forcierte Vitalkapazität, also das maximale Volumen, das mit forcierter Einatmung nach maximaler Ausatmung eingeatmet werden könne. Anhand der Flussvolumenkurve, die den gesamten Atemzyklus aufzeige (maximale Ausatmung – maximale Einatmung – maximale Ausatmung) sei es möglich festzustellen, ob die Mitarbeit optimal oder unzureichend war. Anhand der Grapfik (Resistanceschleife, FEV1, Flussvolumenkurve), insbesondere der Flussvolumenkurve könne festgestellt werden, ob ein Mitarbeitabhängiges oder ein organisches Problem vorliege. Zur Feststellung einer obstruktiven Ventilationsstörung sei es erforderlich, den Atemwegswiderstand (= Resistance) zu messen sowie die FEV1 und die Vitalkapazität. Aufgrund der FEV1 alleine sei es tatsächlich nicht möglich, festzustellen, ob eine Obstruktion vorliege und in welchem Ausmaß. Die FEV1 sei nämlich auch erniedrigt, wenn die Vitalkapazität eingeschränkt sei, wie beispielsweise bei einer Lungenfibrose, ohne dass eine Obstruktion vorliege. Deshalb werde im Lungenfunktionsprotokoll, sowohl in der Bodypletyhsmographie als auch in der Spirometrie, bei der lediglich die Vitalkapazität (VC) und die FEV1 bestimmt würden, auch immer der Tiffeneau-Index angegeben, FEV1%VC. Wenn dieser Quotient im Normbereich liege, bedeute dies, dass trotz eines erniedrigten FEV1-Wertes keine obstruktive Ventilationsstörung vorliege, sondern die erniedrigte FEV1 Folge einer erniedrigten Vitalkapazität sei. Auch bei Mitarbeitabhängigen Problemen, die an der Flussvolumenkurve erkannt werden könnten, sei in aller Regel sowohl die Vitalkapazität als auch die FEV1 betroffen, sodass der Tiffeneau-Index im Normbereich liege, also keine obstruktive Ventilationsstörung vorliege. Wenn eine Bodypletyhsmographie durchgeführt werde, werde auch der Mitarbeitunabhängige Atemwegswiderstand (Resistance) bestimmt, der bei fehlender obstruktiver Ventilationsstörung im Normbereich liege.
49
In den Akten seien zahlreiche lungenärztliche Befundberichte von Herrn K dokumentiert, in denen jedoch durchwegs nur der FEV1-Wert sowie dessen Prozentwert in Bezug auf den Sollwert angegeben sei. In den Akten seien tatsächlich nur vier Lungenfunktionsprotokolle dokumentiert, nämlich vom 16.03.2015, 23.05.2018, 07.04.2022 und vom 11.10.2022.
50
Der Verlauf der Lungenfunktionsprüfungen zeige, dass tatsächlich keine richtungsgebende Verschlechterung der Lungenfunktion nach dem Ereignis am 11.03.2014 eingetreten sei. Eine Verschlechterung des vorbestehenden Asthmas bronchiale/COPD sei somit durch das Ereignis am 11.03.2014 nicht eingetreten.
51
Die von G erwähnten weiteren Erkrankungen auf neurologischem Fachgebiet seien bereits seit 2009 dokumentiert und würden vom Kläger in Zusammenhang mit der Teilnahme am Irakkrieg gebracht.
52
Zusammenfassend hat die medizinische Sachverständige die Beweisfragen wie folgt beantwortet:
„1. Bei dem Ereignis am 11.03.2014 erlitt der Kläger ein Inhalationstrauma mit Quecksilber und anderen chemisch-irritativ und toxisch wirkenden Stoffen.
2. Folgende Gesundheitsstörungen (Vorschäden) lagen zum Zeitpunkt des Ereignisses vor:
1) Allergisches Asthma bronchiale mit Übergang zur chronisch obstruktiven Atemwegserkrankung (COPD) und Rhinokonjunktivitis allergika
o bei Allergien gegenüber Baumpollen, Gräserpollen und Tierhaaren – der Kläger besaß/besitzt einen Hund und Vögel
o bei Nachweis einer Sensibilisierung gegenüber Hausstaubmilben
o bei beendetem Nikotinabusus 09/2013
2) Refluxkrankheit der Speiseröhre mit Refluxösophagitis
3) Schluckstörungen (Dysphagie) bei hypermotiler Speiseröhre im oberen Drittel
4) Leichtgradige demyelinisierende-mototische Polyneuropathie unklarer Ursache
5) Myalgien (Muskelbeschwerden) sowie gesteigerte muskuläre Erschöpfbarkeit unklarer Ursache
6) Rezidivierende lendenwirbelsäulenabhängige Beschwerden bei Bandscheibenschäden
7) Passagere Liquorpleozytose sowie Eiweißerhöhung unklarer Signifikanz im Liquor
8) Leukoplakien im Bereich der Stimmlippe links
9) Bluthochdruck
10) Hämorrhoidalleiden
11) Fettstoffwechselstörung
12) Chronischer, unbeeinflussbarer Schmerz
13) Somatoforme Störung
3. bis 7. (…)
8. Unfallfolgen waren leichtgradige, akute, unspezifische Reizerscheinungen im Bereich des Magentraktes sowie der Schleimhäute der oberen und unteren Atemwege. Wie in der Beurteilung im Detail ausgeführt, wurden durch das Unfallereignis am 11.03.2014 die beim Kläger vorbestehenden Gesundheitsstörungen weder vorübergehend, noch dauernd richtungsgebend verschlimmert.
9. Behandlungsbedürftigkeit aufgrund des Unfallereignisses bestand von 11.03.2014-12.03.2014.
10. In Übereinstimmung mit dem arbeitsmedizinischen Gutachten von Herrn D bestand aufgrund der objektivierbaren Befunde Arbeitsunfähigkeit von 11.03.2014 (Zeitpunkt des Unfallereignisses) bis 12.04.2014, wie dies auch vom D-Arzt B attestiert wurde.
11. Es sind keine Unfallfolgen ab dem Beginn der 26. Woche nach dem Ereignis nachweisbar, sodass keine MdE von mindestens 10 v.H. bedingt wird.
12. Die Befundlage ist umfassend und ausreichend, ein Gutachten auf anderem Fachgebiet ist nicht erforderlich.“
53
Auf das gerichtliche Schreiben vom 29.11.2023 hin, wonach die Ermittlungen abgeschlossen seien und angeregt worden ist, die Berufung zurückzunehmen, hat der Kläger am 25.03.2024 mitteilen lassen, dass er vollumfänglich an seinem Klagebegehren festhalte. Bei L1 handele es sich um eine Arbeitsmedizinerin und nicht um eine Toxikologin, sodass nach Auffassung des Klägers erhebliche Zweifel an deren getroffenen Feststellungen bestünden. Neben verschiedenen einzelnen Einwänden gegen das Gutachten hat der Kläger auch vortragen lassen, dass er ausweislich eines Attestes vom 25.05.2022 an einem angeborenen Genschaden (Alpha 1 Antitrypsinmangel) leide, welcher Auswirkungen auf die Schädigung der Lunge und der Leber durch Giftstoffe habe. Dies sei bislang unberücksichtigt geblieben. Weitere Ermittlungen seien erforderlich, insbesondere die Einholung eines Sachverständigengutachtens durch einen Toxikologen. Mit weiterem Schriftsatz vom 16.07.2024 hat der Kläger zusätzliche Kritikpunkte an dem Gutachten von L1 angebracht.
54
Das Gericht hat daraufhin die ergänzende Stellungnahme von L1, S, vom 10.09.2024 eingeholt. Die medizinische Sachverständige ist darin detailliert und ausführlich auf die einzelnen Kritikpunkte des Klägers eingegangen.
55
L1 hat ausgeführt, dass die Forderung nach einem Sachverständigengutachten durch einen Toxikologen etwas verwundere, da ein Gutachten gemäß § 109 SGG beim Sachverständigen G (Allgemeinmediziner mit den Zusatzbezeichnungen Homöopathie und Umweltmedizin), vom Kläger beantragt worden sei. Im Übrigen sei sie in ihrem Gutachten ohnehin auch davon ausgegangen, dass die zulässige Arbeitsplatzexposition für Quecksilberdämpfe am Unfalltag überschritten worden sei.
56
Zum Kritikpunkt, dass sie eine Schädigung der Lunge durch Inhalation von Quecksilberdämpfen am 11.03.2014 mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen habe, obwohl nach dem Gutachten der LGA vom 14.04.2014 unstreitig festgestellt worden sei, dass Grenzwerte in dem durch die freigesetzten Giftstoffe kontaminierten Zustellfahrzeug über dem Normalwert lagen, hat Frau L1 auf die Ausführungen im Gutachten verwiesen. Im Gutachten werde detailliert erläutert, dass aus den Messdaten des LGA nicht zuverlässig auf die vorhandene Konzentration während der Transportzeit im Fahrerbereich geschlossen werden könne und selbst das Fehlen von Quecksilber in Blut und Urin im Unterschied zu systemischen Wirkungen im Körper nicht auf das Fehlen möglicherweise kurzzeitig hoher Exposition an den Atemwegen geschlossen werden könne. Im Gutachten sei auch erläutert, dass Quecksilber keine Organspezifität hinsichtlich der Lunge/des Respirationstraktes habe. Entscheidend sei die objektivierbare medizinische Befundlage am 11.03.2014 und am 12.03.2014, die gegen eine schwere Vergiftung durch Quecksilber oder die anderen Stoffe spreche und insbesondere auch gegen eine Schädigung der Lunge, der Bronchien, der Nieren und des zentralen Nervensystems.
57
Zu der Kritik, dass sie beurteilt habe, dass es keine Verschlechterung des vorbestehenden Asthmas bronchiale gegeben habe und dabei außer Acht gelassen habe, dass sich der Kläger seit dem Unfallereignis jedes Jahr mehr als einer intensiven Cortison- und Antibiotikatherapie unterziehen müsse, hat die medizinische Sachverständige ebenfalls auf ihr Gutachten verwiesen. Sie habe den Verlauf des Asthmas bronchiale seit März 2011 im Detail dargestellt mit Dokumentation der vorliegenden Lungenfunktions-Messwerte und der Liste der Arbeitsunfähigkeitszeiten ab Juli 2007 ausgewertet. Exazerbationen des Asthmas bronchiale bzw. der chronisch-obstruktiven Atemwegserkrankung als Folge der Allergie bzw. als Folge von Infekten seien also bereits Jahre vor dem Ereignis am 11.03.2014 aufgetreten. Eine richtungsgebende Verschlimmerung des vorbestehenden Asthmas bronchiale/COPD durch das Ereignis vom 11.3.2014 sei nicht eingetreten.
58
Zu dem Genschaden hat L1 ausgeführt, dass bislang kein Sachverständiger einen Alpha-1-Antitrypsin-Mangel erwähnt habe, da in der umfangreichen Akte (1.700 Seiten) kein entsprechender Befund dokumentiert sei. Der unvollständige Befundbericht des Zentrums für Gastroenterologie vom 25.05.2022 sowie ein Eintrag in die Karteikarte vom 07.07.2022 sei erstmals im Berufungsverfahren 2024 vorgelegt worden. Die medizinische Sachverständige hat in ihrer ergänzenden Stellungnahme erläutert, was ein Alpha 1 Antitrypsin Mangel (= AAT-Mangel) bedeutet, und welche Wirkungen von ihm ausgehen. Dazu hat die Sachverständige ausgeführt:
„Unter Alpha-1-Antitrypsinmangel (= AAT-Mangel) versteht man einen autosomal rezessiv vererbbaren AAT-Mangel mit Lungen- und Lebermanifestation. (…) Antitrypsin ist ein sogenannter Proteinnasen-Inhibitor (Enzymhemmer). Es hemmt die Funktionsweise von Enzymen, vor allem von Trypsin und Neutrophiler Elastase. In der Lunge werden Fremdkörper (zum Beispiel Staubteilchen oder Keime) durch weiße Blutkörperchen bekämpft, indem beispielsweise Neutrophile Elastase freigesetzt wird, um den Fremdkörper zu eliminieren. Die Menge und die Lebensdauer dieser im Grunde nützlichen Enzyme wird durch Alpha-1-Antitrypsin reguliert. Die positive Seite des Alpha-1 Antitrypsinmangels ist, dass Enzyme Infektionen der Atemwege ungehindert und damit effektiv bekämpfen können. Die Gefahr ist allerdings, dass sie auch gesundes Gewebe zerstören und ungehindert über lange Zeit den Körper selbst schädigen (…).
Die Pathophysiologie des Alpha-1-Antitrypsin-Mangels ist vielschichtig. Neben demVerlust der protektiven Eigenschaften des M-Proteins (Wildtyp), sind für das veränderte Protein (zumeist Z-Mutation) und deren Polymere einer Reihe von pro-inflammatorischen und immunmodulatorischen Eigenschaften beschrieben. (..).“
59
Nach dem vorliegenden Laborbefund vom 23.06.2022 leide der Kläger an einem Alpha-1-Antitrypsin Mangel, heterozygot vererbt mit dem Phänotyp PiMZ. Angegeben sei in diesem Befund, dass die Alpha-1-Antitrypsin-Konzentration 50-60% der Norm betrage. Ein Befund hinsichtlich der tatsächlich beim Kläger vorliegenden Alpha-1-Antitrypsini-Konzentration sei nicht dokumentiert. Weder in dem inkomplett vorliegenden Befund des Zentrums für Gastroenterologie vom 25.05.2022, noch im Karteikarteneintrag vom 07.07.2022 werde über ein Absinken der Alpha-1-Antitrypsin-Konzentration unter die Schwelle von 50 mg/dl berichtet. Dokumentiert sei tatsächlich, dass bei Personen mit PiMZ kein schwerer Mangel an Alpha-1 Antitrypsin zu erwarten sei, sodass dementsprechend auch keine schwerwiegenden Auswirkungen hinsichtlich des Vorliegens eines Lungenschadens oder eines Leberschadens zu erwarten seien. Der Kläger leide seit mittlerweile wohl 30 Jahren an einem allergischen Asthma bronchiale. Bis Herbst 2013 habe der Kläger regelmäßig geraucht, was sich bei Vorliegen auch eines heterozygoten Alpha-1-Antitrypsin Mangels ungünstig auswirke. Darüber hinaus sei ein Immunglobulin IgM-Mangel festgestellt worden, welcher einhergehen könne mit häufigeren und länger andauernden Infektionen, insbesondere auch der Atemwege.
60
Zu betrachten sei das singuläre Ereignis am 11.03.2014. Tatsächlich wirke sich der beim Kläger vorliegende leichtgradige Alpha-1-Antitrypsin Mangel bei einer akuten Schadstoffexposition der Lunge positiv und nicht negativ aus. In der Lunge werde jede Art von Fremdkörper durch weiße Blutkörperchen bekämpft, indem beispielsweise Neutrophile Elastase freigesetzt werde, um den Fremdkörper zu eliminieren. Die positive Seite des Alpha-1-Antitrypsinmangels sei, dass diese Enzyme Fremdkörper, ebenso wie Infektionen der Atemwege ungehindert und damit effektiv bekämpfen könnten. Bei einer nur einmaligen, zeitlich begrenzten Exposition gegenüber Schadstoffen jedweder Art wirke sich der Alpha-1-Antitrypsin-Mangel daher tatsächlich positiv aus. Nach dem gegenwärtigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand, insbesondere auch unter Berücksichtigung der toxikologischen Fachliteratur und der von G angeführten Studien seien die Lunge und die Bronchien allerdings nicht das Zielorgan bei Quecksilbervergiftungen. Zu einer Schädigung der Bronchien und Lungen komme es nur bei nahezu tödlicher oder tödlicher Konzentration.
61
Wie im Gutachten im Einzelnen dargestellt, seien durch das Unfallereignis am 11.03.2014 keine anhaltenden Schäden im Bereich des Magen-Darmtraktes und der Schleimhäute der oberen und unteren Atemwege verursacht worden und auch keine richtungsgebende Verschlimmerung des vorbestehenden allergischen Asthma bronchiale, welches bereits vor dem Unfallereignis in eine chronisch obstruktive Atemwegserkrankung bei stattgehabtem Nikotinabusus bis September 2013 übergegangen war, eingetreten.
62
Zu dem Vorwurf, sie habe den CT Befund des G1 vom 25.10.2018 außer Acht gelassen, der eine Lungenfibrose beschrieben habe, hat sich die medizinische Sachverständige wie folgt geäußert:
„Der CT-Befund von Herrn G1 vom 25.10.2018 wurde tatsächlich nicht außer Acht gelassen, sondern der aktuellere Thorax-CT-Befund vom 08.04.2022 von Frau H, in dem ein Vergleich des CTs mit demjenigen aus dem Jahr 2018 vorgenommen wurde, herangezogen. (…). Frau H stellt bei Zustand nach Quecksilberdampf-Inhalation keine bildmorphologischen Kriterien einer interstitiellen Lungenerkrankung fest, sondern lediglich eine inhomogene Lungendichte, welche vereinbar ist mit einer Erkrankung der kleinen Atemwege, zum Beispiel im Rahmen des bekannten Asthmas. Weiter beschreibt Frau H unverändert zu 2018 in beiden Unterlappen Subsegmentatelektasen, nicht jedoch retikuläre Strukturvermehrungen, Traktionsbronchiektasen oder Honeycombingartige Strukturen, wie sie bei einer Lungenfibrose nachweisbar wären. Trotz des bekannten Alpha-1-AntitrypsinMangels und Zustand nach jahrelangen Nikotinabusus bis 2013 sind auch keine strukturellen Veränderungen eines Lungenemphysems nachweisbar. (…) Aufgrund des Fehlens struktureller Veränderungen eines Lungenemphysems ist davon auszugehen, dass beim Kläger nur ein sehr geringer Alpha-1-Antitrypsin-Mangel vorliegt.“
63
Zu der Kritik des Klägers, kein in diesem Verfahren bestellter Sachverständige habe erklären können, weshalb zwei Tage nach dem Unfall eine massive Verschlechterung der Lungenfunktion beim Kläger durch K festgestellt worden sei, hat L1 auf ihre Ausführungen im Gutachten zu den unterschiedlichen Messverfahren von Lungenfunktionen hingewiesen. Einzelne Messwerte, insbesondere die FEV 1 allein ohne Bezug zu weiteren Lungenfunktionsmesswerten habe wenig bis keine Aussagekraft hinsichtlich des Vorliegens einer obstruktiven Ventilationsstörung, insbesondere, wenn die Lungenfunktionsgraphik nicht vorliege. Im Gutachten sei festgestellt, dass im Zeitraum von 03/2011 bis 08/2014 unter Zugrundelegung des Tiffeneau-Index tatsächlich keine wesentliche Verschlechterung der obstruktiven Ventilationsstörung nachweisbar gewesen sei.
64
Zu der Kritik des Klägers, nur ein Toxikologe könnte die divergierenden Quecksilberwerte in den Blutproben bewerten, hat L1 erläutert, dass Äußerungen über eine fehlerhafte Blutabnahme bzw. über eine fehlerhafte Bestimmung der Quecksilberwerte im Labor rein spekulativ seien. Tatsächlich spreche die Tatsache, dass der Oberarzt des Klinikums N P1 sich bei der weiteren Vorgehensweise mit der Giftnotrufzentrale abgestimmt habe, dafür, dass sowohl die Blutabnahme als auch der Transport lege artis – also nach den Regeln der ärztlichen Kunst – erfolgt seien.
65
In Übereinstimmung mit den arbeitsmedizinischen Gutachten aus dem Berufungsverfahren sei festzustellen, dass die Beschwerdesymptomatik und die Befundlage, die am Unfalltag – am 11.03.2014 – erhoben worden sei, eindeutig gegen eine Quecksilbervergiftung spreche. Anzumerken sei, dass Arbeitsmediziner sehr wohl toxikologische Fachkenntnisse hätten, da sie für die Überwachung von Arbeitnehmern zuständig seien, welche gegenüber toxischen Stoffen bei ihrer beruflichen Tätigkeit exponiert seien. Wie Z zutreffend ausführt habe, wäre bei einer Exposition mit einer nahezu tödlichen Dosis von anorganischem Quecksilber in der Dampfphase Quecksilber sowohl im EDTA-Blut, im Urin als auch im Serum nachweisbar gewesen, was jedoch bei dem Kläger nicht der Fall gewesen sei.
66
Zu dem wiederholten Hinweis des Klägers, infolge des Unfalls habe sich seine Gesundheit erheblich verschlechtert, was sich erst aus den Messungen des behandelnden Pneumologen K ergeben habe, hat L1 ausgeführt, sie habe mehrfach im Gutachten und in ihrer Stellungnahme aufgezeigt und dargestellt, dass die Lungenfunktionstests keine massive Verschlechterung der Lungenfunktion seit 2011 gezeigt hätten. Eindrücklich könne dies an zwei Untersuchungsergebnissen aufgezeigt werden: Am 13.01.2014 sei laut dem lungenärztlichen Befund von Herrn K vom 14.01.2014, also zwei Monate vor dem Ereignis, bei dem Kläger eine inhalative Behandlung durchgeführt worden mit Spiriva Respimat (2-0-0), Viani DA (2-0-2), Singulair 10 (0-0-1) und Salbutamol Dosieraerosol bei Bedarf. Der Tiffeneau-Index habe bei 70% gelegen. Am 11.10.2022 sei laut dem lungenärztlichen Befund von F1 dieselbe Therapie mit Viani und Spiriva Respimat in derselben Dosierung durchgeführt, allerdings Singulair nicht mehr eingenommen worden. Lungenfunktionsanalytisch sei der Atemwegswiderstand normal gewesen, der Tiffeneau-Index habe bei 70,97% gelegen. Eine Verschlechterung des vorbestehenden Asthmas bronchiale/COPD sei somit durch das Ereignis am 11.03.2014 nicht eingetreten.
67
Eine Änderung der Beurteilung im obengenannten Gutachten sei nicht angezeigt.
68
Auch im Hinblick auf die ergänzende Stellungnahme von L1 vom 10.09.2024 hat der Kläger seine Berufung aufrechterhalten.
69
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 13.06.2018, Az.: S 15 U 154/16, abzuändern und die die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 22.09.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.05.2016 zu verurteilen, die beim Kläger vorhandenen Gesundheitsstörungen auf pneumologischem Fachgebiet (beginnende Lungenfibrose und Verschlimmerung des vorbestehenden Asthmas bronchiale im Mischbild mit einer chronisch obstruktiven Atemwegserkrankung infolge der Quecksilberintoxikation) als weitere Folgen des Arbeitsunfalles vom 11.03.2014 festzustellen.
70
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
71
Zur Vervollständigung des Sachverhalts wird auf die Verfahrensakten beider Instanzen sowie auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten, des ZBFS und der DRV Nord verwiesen.

Entscheidungsgründe

A.
72
Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 22.09.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.05.2016 und das klageabweisende Urteil des SG vom 13.06.2018.
73
In der Sache streitig ist die Feststellung weiterer Unfallfolgen aus dem Arbeitsunfall vom 11.03.2014.
B.
74
Die Berufung der Klägerin ist zulässig, insbesondere wurde sie form- und fristgerecht gemäß § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) am 27.08.2018 beim LSG gegen das am 27.07.2018 zugestellte Urteil des SG vom 13.06.2018 erhoben. Die Berufung ist auch ohne Zulassung gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nummer 1 SGG zulässig, da sie auf eine Feststellung und nicht auf eine Geldleistung gerichtet ist.
C.
75
Die Berufung ist jedoch nicht begründet.
76
Zutreffend hat das SG die Klage abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 22.09.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.05.2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Senat kann sich weder davon überzeugen, dass beim Kläger infolge seines Arbeitsunfalls vom 11.03.2014 eine beginnende Lungenfibrose vorliegt, noch, dass eine Verschlimmerung des vorbestehenden Asthmas bronchiale im Mischbild mit einer chronisch obstruktiven Atemwegserkrankung infolge Quecksilberintoxikation eingetreten ist.
77
Dabei würdigt der Senat das im Berufungsverfahren eingeholte medizinische Sachverständigen-Gutachten vom 22.11.2023 und die hierzu eingeholte ergänzende Stellungnahme vom 10.09.2024 von L1, das nach § 109 SGG eingeholte Gutachten von G vom 17.02.2020 sowie das im erstinstanzlichen Klageverfahren eingeholte Gutachten des S1 vom 26.07.2017 einschließlich seiner ergänzenden Stellungnahmen vom 26.10.2017 und 05.03.2018 nach § 128 SGG, § 118 Abs. 1 SGG, §§ 402 ff ZPO im Wege des Sachverständigenbeweises. Die Gutachten von L/S, D und PD F aus dem Verwaltungsverfahren werden im Wege des Urkundsbeweises nach § 128 SGG, § 118 SGG, §§ 415 ff ZPO gewürdigt.
78
Das von der Beklagten am 08.10.2020 vorgelegte arbeitsmedizinische Fachgutachten nach Aktenlage von Z, Facharzt für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin und Umweltmedizin, Institut für Prävention und Arbeitsmedizin der Deutschen gesetzlichen Unfallversicherung an der Ruhruniversität B vom 17.08.2020 wird als urkundlich belegter, qualifizierter Beteiligtenvortrag nach § 128 SGG gewürdigt (BSG Urteil vom 06.10.2020 – B 2 U 94/20 B Rn. 11 nach juris, Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz 14. Auflage 2023, § 128 Rn. 7g).
79
1.) Die Klage, mit der der Kläger die Feststellung von Unfallfolgen begehrt, ist als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungklage nach §§ 54 Abs. 1, 55 SGG (Keller, a.a.O. § 55 Rn. 13 c zur Wahlmöglichkeit zwischen kombinierter Anfechtung- und Feststellungsklage und kombinierter Anfechtungs- und Leistungsklage in der gesetzlichen Unfallversicherung) zulässig, aber unbegründet.
80
Der Senat kann sich, wie das SG, nicht davon überzeugen, dass der Kläger überhaupt an einer beginnende Lungenfibrose und an einer Verschlimmerung des vorbestehenden Asthmas bronchiale leidet. Die vom Kläger geltend gemachten Unfallfolgen (beginnende Lungenfibrose und Verschlimmerung des vorbestehenden Asthmas bronchiale) sind nach Überzeugung des Senats nach durchgeführter Beweisaufnahme schon nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen. Es erübrigen sich daher Überlegungen zur Frage der haftungsausfüllenden Kausalität, so dass die Berufung des Klägers unbegründet ist.
81
2.) a. Nach § 8 Abs. 1 Sozialgesetzbuch VII -SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit; Satz 1). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (Satz 2). Für einen Arbeitsunfall ist danach im Regelfall erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis (dem Unfallereignis) geführt hat (Unfallkausalität) und das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität) (vgl. u.a. BSGE 96, 196, jeweils Rn. 10 m.w.N.).
82
Dabei ist der Gesundheitserstschaden eine den Versicherungsfall selbst begründende Tatbestandsvoraussetzung (vgl. BSG, Urteil vom 05.07.2011 – B 2 U 17/10 R – juris, Rn. 27; BSG, Urteil vom 24.07.2012 – B 2 U 23/11 R, Juris Rn. 15).
83
b. Unfallfolgen sind die Gesundheitsschäden, die wesentlich durch den Gesundheitserstschaden des Arbeitsunfalls verursacht wurden oder die nach besonderen Zurechnungsnormen wie § 11 SGB VII dem Gesundheitserstschaden bzw. dem Versicherungsfall zugerechnet werden (vgl. BSG, Urteil vom 05.07.2011 – B 2 U 17/10 R – juris).
84
Für die erforderliche Kausalität zwischen Unfallereignis und Gesundheitserstschaden sowie zwischen Gesundheits(erst) schaden und weiteren Gesundheitsschäden gilt die Theorie der wesentlichen Bedingung (vgl. BSG, Urteil vom 17.02.2009 – B 2 U 18/07 R – juris Rn. 12), die auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie beruht. Danach ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Als rechtserheblich werden aber nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Welche Ursache wesentlich ist, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs abgeleitet werden (vgl. BSG, Urteil vom 17.02.2009 – B 2 U 18/07 R – juris Rn. 12) sowie auf Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Krankheiten (vgl. BSG, Urteil vom 09.05.2006 – B 2 U 1/05 R – juris Rn. 17). Gesichtspunkte für die Beurteilung sind neben der versicherten Ursache als solcher, einschließlich Art und Ausmaß der Einwirkung, u.a. die konkurrierende Ursache (nach Art und Ausmaß), der zeitliche Ablauf des Geschehens, das Verhalten des Verletzten nach dem Unfall, Befunde und Diagnosen des erstbehandelnden Arztes sowie die gesamte Krankengeschichte (vgl. BSG, Urteil vom 09.05.2006 – B 2 U 1/05 R – juris Rn. 16). Es kann mehrere rechtlich wesentliche Mitursachen geben. Ist jedoch eine Ursache – allein oder gemeinsam mit anderen Ursachen – gegenüber anderen Ursachen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur die erstgenannte(n) Ursache(n) „wesentlich“ und damit Ursache(n) im Sinne des Sozialrechts (vgl. BSGE 12, 242, 245). Eine Ursache, die zwar naturwissenschaftlich ursächlich ist, aber nicht als „wesentlich“ anzusehen ist, kann auch als „Gelegenheitsursache“ oder Auslöser bezeichnet werden (vgl. BSG, Urteil vom 09.05.2006 – B 2 U 1/05 R – juris Rn. 15 m.w.N.).
85
c. Hinsichtlich des Beweismaßstabes ist zu beachten, dass das Vorliegen des Gesundheits(erst) schadens bzw. des Folgeschadens im Wege des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, für das Gericht feststehen muss, während für den Nachweis der wesentlichen Ursachenzusammenhänge die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit genügt (vgl. BSG, Urteil vom 02.04.2009 – B 2 U 29/07 R – juris Rn. 16). Diese liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden; die reine Möglichkeit genügt dagegen nicht (vgl. BSG, Urteil vom 09.05.2006 – B 2 U 1/05 R – juris Rn. 20). Dabei existiert keine zwingende Regel, dass bei fehlender Alternativursache die versicherte naturwissenschaftliche Ursache automatisch auch eine wesentliche Ursache ist, weil dies bei komplexen Krankheitsgeschehen zur Umkehr der Beweislast führen würde (vgl. BSG; ebenda; ebenso Urteil vom 17.12.2015 – B 2 U 11/14 R – juris Rn. 30).
86
d. Beim Vollbeweis muss sich das Gericht grundsätzlich die volle Überzeugung vom Vorliegen oder Nichtvorliegen der Tatsachen verschaffen. Absolute Gewissheit ist so gut wie nie möglich und nicht erforderlich. Ausreichend ist an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit (BSG, Urteil vom 27.06.2006 – B 2 U 20/04 R, BSGE 96, 291, 293). Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn die Tatsache in so hohem Maße wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (BSG Urteil vom 08.08.2001 – B 9 V 23/01 B, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4; Urteil vom 05.05.2009 – B 13 R 55/08 R, BSGE 103, 99 (104)). Gewisse Zweifel sind unschädlich, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (BSG, Urteil vom 31.01.2012 – B 2 U 2/11 R, NZS 2012, Keller, a.a.O. § 128 Rn. 3 b).
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3.) Die vom Kläger geltend gemachten Unfallfolgen (beginnende Lungenfibrose und Verschlimmerung des vorbestehenden Asthmas bronchiale) sind nach Überzeugung des Senats nach durchgeführter Beweisaufnahme schon nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen. Es erübrigen sich daher Überlegungen zur Frage der haftungsausfüllenden Kausalität.
88
Die volle richterliche Überzeugung nach § 128 SGG stützt sich insbesondere auf das im Berufungsverfahren eingeholte fundierte fachärztliche Gutachten von L1, Internistin, Fachärztin für Lungen- und Bronchialheilkunde, Öffentliches Gesundheitswesen und Umweltmedizin, S, vom 22.11.2023 sowie auf deren ergänzende Stellungnahme vom 10.09.2024 sowie auf die damit übereinstimmenden medizinischen Beurteilungen des Dr. Z., des S1, des D, des PD F und des L.
89
Die medizinische Sachverständige L1 hat nach Auswertung der umfangreichen Befundunterlagen und vorbestehenden Gutachten und medizinischen Stellungnahmen schlüssig und nachvollziehbar sowie in Übereinstimmung mit der einschlägigen unfallmedizinischen Fachliteratur (Schönberger, Mehrtens, Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 10. Auflage, S. 1109 ff, S. 1577 ff) ausgeführt, dass der Kläger am 11.03.2014 ein Inhalationstrauma mit Quecksilber und anderen toxisch wirkenden Stoffen, die in dem Bericht des LGA vom 14.04.2014 aufgeführt sind, erlitt, das zu Übelkeit, Erbrechen, Schwindel und vorübergehenden Atemproblemen führte. Als vollbewiesene Unfallerstschäden traten leichtgradige, unspezifische Reizerscheinungen im Bereich des Magen-Darm-Traktes sowie der Schleimhäute der oberen und unteren Atemwege auf.
90
Der Senat ist der vollen richterlichen Überzeugung, dass eine darüber hinaus gehende Schädigung der Lunge am 11.03.2014 aufgrund der Befundlage am Unfalltag mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist.
91
a. L1 hat nachvollziehbar und schlüssig dargelegt, dass die Beschwerdesymptomatik und die Befundlage am Unfalltag eindeutig gegen eine hohe, nahezu tödliche Dosis von anorganischen Quecksilber bzw. deren Dämpfe sprechen. Die medizinische Sachverständige hat überzeugend ausgeführt, dass sich auch in Kenntnis des Untersuchungsberichtes des LGA vom 14.04.2014 ausschließlich die Aussage treffen lässt, dass der Kläger bei seiner beruflichen Tätigkeit am Unfalltag zwischen 7:45 und 13:00 Uhr gegenüber Quecksilberdämpfen und gegenüber Dämpfen von den im Bericht genannten Substanzen exponiert gewesen ist, wobei die Höhe der Exposition und letztlich auch die Zeitdauer der Exposition (wegen des wiederholten Verlassens des Fahrzeugs) unbekannt ist. Schlüssig hat die medizinische Sachverständige dazu erläutert, dass aus den Messdaten des LGA nicht zuverlässig auf die während der Transportzeit im Fahrerbereich vorhandene Konzentration geschlossen werden kann, da im Bergegefäß eine artifizielle Situation mit einem sehr kleinen Raumvolumen im Vergleich zum Volumen im Laderaum vorlag und darüber hinaus das Ausmaß des Luftaustausches zwischen Laderaum und dem Fahrerbereich nicht bekannt sei. Aus diesem Grunde ist selbst für die Frage der Einwirkungsdosis und erst recht für die Frage einer Intoxikation im Sinne einer gesundheitsschädlichen Aufnahme von Quecksilber in den Körper die Quecksilberkonzentration in Blut und Urin als aussagekräftiger anzusehen.
92
Basierend auf den unauffälligen Blut- und Urinwerten vom 11.03.2014 ist als Folge der Quecksilbereinwirkung nicht von einer relevanten Quecksilbervergiftung auszugehen.
93
Die medizinische Sachverständige hat in ihrem Gutachten überzeugend die Wirkungsweise von Quecksilber bzw. Quecksilberdämpfen (nach den Kriterien Wasserlöslichkeit und Partikelgröße), insbesondere der hier maßgeblichen anorganischen Quecksilberdämpfe, dargestellt und nachvollziehbar u.a. anhand der Befundunterlagen des Klinikums N ausgeschlossen, dass über leichte, akute, vorübergehende Schleimhautreizungen hinaus eine Schädigung der Lunge durch die Inhalation der anorganischen Quecksilberdämpfe am 11.03.2014 erfolgt ist.
94
Quecksilber schädigt die distalen Atemwege, die Bronchiolen und Alveolen. Eine Asphyxie sowie ein Lungenödem wurde sowohl klinisch als auch röntgenologisch ausgeschlossen. Auch eine Schädigung im Alveolarbereich sowie eine Bronchiolitis wurde röntgenologisch ausgeschlossen im Rahmen der stationären Behandlung am Unfalltag sowie durch den behandelnden Lungenarzt K am 15.05.2014. Es wurde jeweils ein unauffälliger Röntgen-Thorax beschrieben. Frau PD Dr. H. beschreibt in ihrem Thorax-CT-Befund vom 08.04.2022 (Gutachtenakte DRV), dass sich keine bildmorphologischen Kriterien einer interstitiellen Lungenerkrankung zeigen, lediglich eine inhomogene Lungendichte, vereinbar mit einer Erkrankung der kleinen Atemwege, zum Beispiel im Rahmen des bekannten Asthmas bronchiale. Auch pulmonale Rundherde oder Raumforderungen waren nicht nachweisbar. Eine Lungenfibrose, wie von Herrn G angegeben, wurde somit ausgeschlossen, ebenso wie eine andere interstitiellen Lungenerkrankung. Anorganischer Quecksilberdampf ist außerdem nicht geeignet, eine toxische Bronchitis oder Tracheitis oder eine Reflexbronchokonstriktion auszulösen, wie L1 überzeugend dargelegt hat.
95
Eine Schädigung der Lunge durch die Inhalation von Quecksilberdämpfen am 11.03.2014 kann aufgrund dieser Befundlage mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden.
96
Die medizinische Sachverständige hat anschließend überzeugend und nachvollziehbar ausgeführt, dass die neben Quecksilber nachgewiesenen Stoffe (vgl. Bericht des LGA vom 14.04.2014) ebenfalls nicht geeignet waren, eine toxische Bronchitis oder Tracheitis oder eine Reflexbronchiokonstruktion auszulösen. Es ist nach ihrer gutachterlichen Beurteilung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen, dass im Rahmen des Ereignisses am 11.03.2014 hinsichtlich dieser Verbindungen eine Konzentration vorlag, die sich chemisch-irritativ oder toxisch auf die oberen oder unteren Atemwege auswirkte.
97
Diese Einschätzung macht sich der Senat zu eigen.
98
Beim Kläger liegt neben den Vorerkrankungen (Asthma bronchiale, COPD) keine Lungenschädigung, insbesondere auch keine Lungenfibrose, infolge des Arbeitsunfalles vom 11.03.2014 vor. Eine Lungenfibrose ist nach der Überzeugung des Senats nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen. Hierzu stützt sich der Senat insbesondere auf die ergänzende Stellungnahme von L1 vom 10.09.2024 (vgl. dort S. 19 f). L1 hat den CT-Befund des G1 vom 25.10.2018, der erstmals 4 Jahre nach dem Unfallereignis beginnende fibrotische Veränderungen genannt hat, dabei nicht (wie vom Kläger moniert) außer Acht gelassen, sondern sie hat vielmehr die gesamte Entwicklung in die Beurteilung einbezogen und insbesondere die aktuelleren Thorax-Multislice-CT-Befunde vom 08.04.2022 der H herangezogen, der nicht nur die eigenen, sondern auch die 2018 gefertigten CT-Aufnahmen neben Thoraxaufnahmen der Praxis K von 2022 zum Vergleich und zur Auswertung vorgelegen haben. H hat bei Zustand nach Quecksilberdampfinhalation aber keine bildmorphologischen Kriterien einer interstitiellen Lungenerkrankung festgestellt, sondern lediglich eine inhomogene Lungendichte, welche vereinbar ist mit einer Erkrankung der kleinen Atemwege, zum Beispiel im Rahmen des beim Kläger lange vor dem Unfallereignis bereits vorbestehenden Asthmas. Weiter hat H – unverändert zu 2018 – in beiden Unterlappen Subsegmentatelektasen, jedoch keine retikulären Strukturvermehrungen, Traktionsbronchiektasen oder Honeycombingartige (honigwabenartige) Strukturen feststellen können, wie sie bei einer Lungenfibrose nachweisbar wären.
99
Der Senat ist der vollen richterlichen Überzeugung, dass beim Kläger damit keine Lungenfibrose nachgewiesen wurde und damit auch nicht als Unfallfolge anzuerkennen ist.
100
Der Kläger hatte vor dem Ereignis bereits seit vielen Jahren ein Asthma bronchiale mit Übergang in eine chronisch obstruktive Atemwegserkrankung. Die medizinische Sachverständige leitet dies aus den seit 2011 vorliegenden lungenfachärztlichen Behandlungsberichten von K her. Der Kläger befand sich am 14.01.2014 in lungenärztlicher Behandlung bei K, also zwei Monate vor dem Arbeitsunfall. In diesem Befund wird die Diagnose Rhinokonjunktivitis allergika sowie Asthma bronchiale – Mischbild zur COPD angegeben. Es bestand also eine obstruktive Ventilationsstörung schon vor dem Ereignis 11.03.2014 mit Durchführung einer hochdosierten inhalativen antientzündlichen und Bronchus -erweiternden Therapie und Einnahme von Montelukast. Es gab bereits vor dem Ereignis Beschwerden von Seiten der oberen und unteren Atemwege. Eine RADS, wie von Herrn G angenommen, konnte die medizinische Sachverständige überzeugend ausschließen.
101
Die Einschätzung der medizinischen Sachverständigen L1 steht in Übereinstimmung mit den im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren eingeholten Vorgutachten von D, F, S1 und Z, die allesamt keine Lungenfibrose und letztlich überhaupt keine Unfallfolgen befunden konnten.
102
b. Zur vollen Überzeugung des Senats hat der Arbeitsunfall vom 11.03.2014 auch nicht zu einer wesentlichen Verschlechterung des vorbestehenden Asthma bronchiale mit anhaltender Verschlechterung der Atemwegsbeschwerden und der Lungenfunktion geführt. Dies hat L1 nachvollziehbar und überzeugend begründet, so dass sich der Senat dieser Bewertung anschließt. L1 hat den Verlauf des vorbestehenden Asthmas bronchiale mit Übergang zur chronisch obstruktiven Atemwegserkrankung (COPD), insbesondere den Verlauf der Lungenfunktion unter sorgfältiger Auswertung der ärztlichen Unterlagen überprüft. Wie schon PD F in seinem fachinternistisch pneumologischen Gutachten vom 31.08.2015 festgestellt hatte, hat der behandelnde Lungenarzt K über Jahre jeweils nur den FEV 1 Wert mitgeteilt, der als isolierter Wert nur bedingt aussagekräftig hinsichtlich der Lungenfunktion ist. Ebenso wie PD F hat L1 auf die Mitarbeit-Problematik bei den Lungenfunktionsprüfungen hingewiesen und die vier, in den Akten vorliegenden Lungenfunktions-Protokolle vom 16.03.2015, 23.05.2018, 07.04.2022 und vom 11.10.2022 ausgewertet. In Übereinstimmung mit dem Gutachten von PD F hat die medizinische Sachverständige überzeugend und für den Senat nachvollziehbar ausgeführt, dass der Verlauf der Lungenfunktionsprüfungen zeigt, dass tatsächlich keine richtungsgebende Verschlechterung der Lungenfunktion nach dem Ereignis am 11.03.2014 eingetreten ist. Eine Verschlechterung des vorbestehenden Asthmas bronchiale/COPD ist somit durch das Ereignis am 11.03.2014 nicht eingetreten. Dieser nachvollziehbar hergeleiteten Bewertung der medizinischen Sachverständigen folgt der Senat.
103
c. Damit liegen nach Überzeugung des Senats keine anzuerkennenden Unfallfolgen beim Kläger vor. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des zuletzt geltend gemachten Genschadens, zu dessen Einordnung L1 in ihrer Stellungnahme vom 10.09.2024 abschließend und überzeugend Stellung genommen hat. Tatsächlich wirkt sich der beim Kläger vorliegende leichtgradige Alpha-1-Antitrypsin Mangel bei einer akuten Schadstoffexposition der Lunge positiv und nicht negativ aus. L1 hat ausgeführt, dass in der Lunge jede Art von Fremdkörper durch weiße Blutkörperchen bekämpft, indem beispielsweise Neutrophile Elastase freigesetzt werde, um den Fremdkörper zu eliminieren. Die positive Seite des Alpha-1-Antitrypsinmangels sei, dass diese Enzyme Fremdkörper, ebenso wie Infektionen der Atemwege ungehindert und damit effektiv bekämpfen könnten. Bei einer nur einmaligen, zeitlich begrenzten Exposition gegenüber Schadstoffen jedweder Art wirke sich der Alpha-1-Antitrypsin-Mangel daher tatsächlich positiv aus. Dieser überzeugenden und nachvollziehbaren Bewertung schließt sich der Senat vollumfänglich an.
104
Die Überzeugung des Senats wird nicht durch das Gutachten von G vom 17.02.2019 erschüttert, weil dieses die wissenschaftliche Fachliteratur nur unzulänglich ausgewertet hat. G geht z.T. von Sachverhalten aus, die durch aktenkundige Befunde nicht belegt sind und spekuliert zum Beispiel, dass die Quecksilberbestimmung im Serum und nicht im Vollblut am 11.03.2014 im Klinikum N stattgefunden habe und es dadurch zu Messfehlern gekommen sei. Daneben stützt er seine Einschätzung auf Spekulationen über eine „vermutlich sehr hohe Quecksilber- und Lösemittelkonzentration“ und wertet, was aus lungenfachärztlicher Sicht unzureichend ist, nur isolierte Lungenfunktionswerte – nämlich die FEV 1-Werte – aus, wobei er übrigens unzutreffend von einem „durchgehend konstanten Wertbereich FEV1 von 23% bis 48%“ ausgeht und damit im Verlauf gemessene höhere Messwerte – z.B. von 52% am 13.08.2014 bei K, von 62% am 14.09.2014 bei K oder von 61,9% laut Rehabilitationsentlassungsbericht vom 03.11.2014 – ignoriert.
105
Der Senat sieht sich auch nicht veranlasst, ein toxikologisches Gutachten einzuholen, wie dies der Kläger mehrfach angeregt hat. Bei der Bewertung, welche Gesundheitsschäden als Unfallfolge anzuerkennen sind, handelt es sich um eine medizinische Sachfrage, die durch medizinische Sachverständige, wie hier erfolgt, zu bewerten ist. In der vom Kläger angeregten Rück-Berechnung des am 19.03.2014 erhobenen Quecksilberwertes im Blut auf den Unfalltag (11.03.2014) durch einen Toxikologen sieht der Senat keinen Erkenntnisgewinn, weil die Quecksilberwerte im Blut und Urin des Klägers am Unfalltag und auch im weiteren Zeitverlauf dokumentiert sind. Anders als der Kläger hegt der Senat auch keinen Zweifel an der fachlichen Kompetenz der gehörten medizinischen Sachverständigen. Diese müssen nicht zu den wenigen Ärzten gehören, die die 6-8 (diese Zahl hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat genannt) in Deutschland pro Jahr durch Quecksilber/-dampf Geschädigte behandeln. Vielmehr haben sich die medizinischen Sachverständigen mit dem Stand der medizinischen Wissenschaft kritisch auseinanderzusetzen und diesen einzuordnen, was im vorliegenden Verfahren durch L1 überzeugend geschehen ist.
106
Damit ist die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG vom 13.06.2018 insgesamt zurückzuweisen.
D.
107
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
E.
108
Die Revision war nicht zuzulassen. Insbesondere hat die Sache keine grundsätzliche Bedeutung.