Titel:
Einstweilige Verfügung, Vollstreckungserinnerung, Räumungstitel, Außergerichtliche Kosten, Verfügungsgrund, Kenntnis des Vermieters, Erlaubnis des Vermieters, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Räumungsvollstreckung, Glaubhaftmachung, Räumungsvergleiche, Räumung von Wohnraum, Hauptsacheverfahren, Räumungsklage, Voraussetzungen einer einstweiligen Verfügung, Antragsgegner, Voraussetzungen für den Erlaß, Schluss der mündlichen Verhandlung, Besitz Erwerb, Untermietvertrag
Leitsatz:
Zu den Voraussetzungen einer einstweiligen Verfügung nach § 940 ZPO auf Räumung gewerblich genutzter Räume.
Schlagworte:
Einstweilige Verfügung, Räumungsklage, Besitzrecht Dritter, Untermietverhältnis, Glaubhaftmachung, Verfügungsgrund, Berufungsverfahren
Vorinstanz:
LG München I, Urteil vom 30.11.2023 – 34 O 13613/23
Fundstelle:
BeckRS 2024, 47914
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 30.11.2023, Az. 34 O 13613/23, abgeändert. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die Beklagten zu 4 und zu 12 wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen von den Gerichtskosten die Klägerin 4/18 und die Beklagten zu 1 bis 3, zu 5 bis 7, zu 9 und 10 und zu 13 bis 18 14/18. Die Klägerin die durch die Anrufung des unzuständigen Amtsgerichts entstandenen Kosten sowie die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 4, zu 8 und zu 11 und 12. Die Beklagten zu 1 bis 3, zu 5 bis 7, zu 9 und 10 und zu 13 bis 18 tragen 14/18 der außergerichtlichen Kosten der Klägerin. Im übrigen tragen die Parteien ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren und für die erste Instanz auf 28.248,00 € festgesetzt.
Entscheidungsgründe
1
Die Klägerin verfolgt im Wege der einstweiligen Verfügung einen Antrag auf Räumung und Herausgabe gegen verschiedene Personen und Firmen, in einem von ihr angemieteten Objekt.
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Eigentümer der gegenständlichen Doppelhaushälfte, in M, ist Herr Prof. Dr. W. Die Klägerin hatte das Anwesen mit zwei Wohnungen von ihm bzw. von seiner Mutter gemietet. Der Mietvertrag ist beendet. Die Klägerin schloss mit Frau M einen Untermietvertrag über das Anwesen. Frau M vermietete das Anwesen mit Untermietvertrag vom 03.11.2013 weiter an die Beklagte zu 12, deren Geschäftsführerin sie zu diesem Zeitpunkt war, zu einer monatlichen Miete in Höhe von € 2.354,00. Die Beklagte zu 12 zahlte die Miete teilweise direkt an die Eigentümer. Die Beklagte zu 12 vermietete Räumlichkeiten in dem Anwesen weiter an die Beklagten zu 1, zu 2, zu 4, zu 6, zu 7, zu 9 und zu 10.
3
Die Klägerin wanderte im Jahr 2019 nach Teneriffa aus. Davor hat sie zeitweise bei der Beklagten zu 12 gearbeitet.
4
Die Klägerin kündigte den Untermietvertrag mit Frau M mit Schriftsatz vom 12.05.2022 fristlos wegen Zahlungsverzugs und wegen unerlaubter Umbauten. U.a. seien in den Kellerräumen Unterkünfte für Arbeiter errichtet worden und das Dachgeschoss sei zu einem Büro umgebaut worden.
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In dem Verfahren 34 O 13055/22 vor dem Landgericht München I verlangte die Klägerin von Frau M Räumung und Herausgabe des Mietobjekts. In der Verhandlung vom 31.01.2023 schloss die Klägerin mit Frau M einen Vergleich, mit dem sich Frau M u.a. verpflichtete, die Doppelhaushälfte bis zum 30.09.2023 an die Klägerin zurückzugeben.
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Im übrigen wird auf die Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen.
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Mit Schriftsatz vom 24.10.2023 beantragte die Klägerin vor dem Landgericht München I im Wege der einstweiligen Verfügung gegen insgesamt 18 Antragsgegner die Duldung der Räumung der Doppelhaushälfte. Frau M habe auf zwei Anfragen, wer in den Räumlichkeiten wohne oder arbeite, nicht reagiert. Durch Abschreiben der Briefkastenaufschriften und durch die Einholung einer Einwohnermeldeanfrage habe sie nunmehr die 18 Antragsgegner als unberechtigte Besitzer ermitteln können. Diese seien mit Schreiben vom 27.07./02.08.2023 über die Beendigung des Mietvertrages mit Frau M durch Anschreiben informiert worden. Auf die Bitte um Mitteilung, ob fristgerecht zum 30.09.2023 geräumt werde, erfolgte keine Reaktion.
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Auf die Ankündigung eines Räumungstermins zum 31.10.2023 durch den Gerichtsvollzieher hätten die Antragsgegner zu 4 und zu 8 bis 12 Vollstreckungserinnerung eingelegt.
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Das Landgericht hat mit Endurteil vom 05.12.2023 antragsgemäß die Antragsgegner mit Ausnahme der Antragsgegner zu 8 und zu 11 verpflichtet, die Doppelhaushälfte geräumt an die Verfügungsklägerin herauszugeben.
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Es liege ein Verfügungsgrund vor. Die Klägerin habe glaubhaft gemacht, dass Frau M ihre Auskunftsersuchen unbeantwortet gelassen habe und sie erst nach der mündlichen Verhandlung vom 31.01.2023 von dem Besitz der meisten Beklagten erfahren habe. Die Beklagten zu 4 und zu 12 seien ihr bekannt, aber sie habe nur bis zum Jahr 2019 gewusst, dass sie das Objekt nutzen. Sie habe keine Kenntnis gehabt, ob die Beklagten das Objekt weiter genutzt hätten. Soweit die Klägerin eine Erkundigungsobliegenheit treffe, habe sie diese durch das fruchtlose Auskunftsbegehren gegenüber Frau M erfüllt. Sie sei nicht gezwungen gewesen, letztlich ins Blaue hinein Klage zu erheben. Bei der Abwägung der schutzwürdigen Interessen beider Seiten überwiege das Interesse der Klägerin.
11
Die Beklagten zu 4 und zu 12 haben gegen das Urteil Berufung eingelegt. Die Klägerin habe schon zum Zeitpunkt ihrer Auswanderung gewusst, dass die Beklagten das Haus nutzen, umbauen und zur Untervermietung nutzen würden. Sie habe auch nur glaubhaft gemacht, dass sie nicht gewusst hätte, dass die Beklagten ein Recht zum Besitz geltend machen würden.
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Die Beklagten zu 4 und zu 12 beantragen,
- 1.
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Das Endurteil des Landgerichts München I vom 30.11.2023, Aktenzeichen 34 O 13613/ 23 wird aufgehoben.
- 2.
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung der Klagepartei wird abgewiesen.
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Die Klägerin beantragt,
Die Berufung wird zurückgewiesen.
14
Die Beklagten haben beantragt, die Zwangsvollstreckung ohne Sicherheitsleistung einzustellen. Das Urteil sei dem Beklagtenvertreter bis zum Antrag vom 22.01.2024 nicht zugestellt worden. Damit sei die Berufung schon aus diesem Grund begründet, § 929 Abs. 2 ZPO. Der Antrag wurde mit Beschluss vom 08.02.2024 zurückgewiesen. Die Erteilung des Auftrags zur Räumungsvollstreckung sei ausreichend.
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Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die im Berufungsverfahren vorgelegten Schriftsätze Bezug genommen. Auf die Hinweise in der Terminsladung vom 18.01.2024 und das Protokoll der öffentlichen Sitzung vom 14.03.2024 wird verwiesen.
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Die Berufung der Beklagten zu 4 und zu 12 ist begründet. Das angegriffene Endurteil des Landgerichts München I vom 05.12.2023 ist auf die Berufung der Beklagten zu 4 und zu 12 dahin abzuändern, dass der Antrag der Klägerin auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die Beklagten zu 4 und zu 12 zurückgewiesen wird.
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1. Die sich aus § 940 ZPO ergebenden Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Verfügung auf Räumung und Herausgabe der gewerblich genutzten Räumlichkeiten liegen hinsichtlich der Beklagten zu 4 und zu 12 nicht vor. Die Klägerin hat einen Verfügungsgrund nicht ausreichend glaubhaft gemacht.
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a) Eine Regelungsverfügung wird erlassen, wenn sie notwendig ist. § 940 ZPO nennt als Beispiele die Abwendung wesentlicher Nachteile und die Verhinderung drohender Gewalt, lässt aber auch andere Gründe zu. Die Regelungsverfügung dient der Wahrung des Rechtsfriedens durch präventiven Rechtsschutz (vgl. G. Vollkommer in: Zöller, Zivilprozessordnung, 35. Auflage 2024, § 940 ZPO Rn. 4).
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Bei einer Leistungsverfügung, die zu einer (teilweisen) Befriedigung des Gläubigers führt, sind an den Verfügungsgrund grundsätzlich strenge Anforderungen zu stellen. Die erforderliche besondere Dringlichkeit liegt in der Regel nur vor, wenn der Nichterlass der einstweiligen Verfügung den Gläubiger in eine Notlage brächte oder wenn die Verweisung auf das Hauptsacheverfahren jedenfalls praktisch einer Rechtsverweigerung gleichkäme.
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b) Bei einem Antrag nach § 940 ZPO auf Räumung von gewerblich genutzten Räumen ist außerdem in der Regel ein Verfügungsgrund gegeben, wenn die in § 940a Abs. 2 ZPO genannten Voraussetzungen vorliegen, die den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen Dritte auf Räumung von Wohnraum ermöglichen (OLG München, Beschluss vom 12. Dezember 2017 – 32 W 1939/17; OLG Dresden, Urteil vom 29. November 2017 – 5 U 1337/17 –, juris; KG, Beschluss vom 9. Mai 2019 – 8 W 28/19 –, juris; LG Krefeld, Beschluss vom 8. März 2016 – 2 S 60/15 –, juris; G. Vollkommer in: Zöller, Zivilprozessordnung, 35. Auflage 2024, § 940a ZPO, Rn. 4; wohl auch OLG Frankfurt, Urteil vom 13. September 2019 – 2 U 61/19 –, juris).
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aa) Nach § 940a Abs. 2 ZPO darf die Räumung von Wohnraum durch einstweilige Verfügung auch gegen einen Dritten angeordnet werden, der im Besitz der Mietsache ist, wenn gegen den Mieter ein vollstreckbarer Räumungstitel vorliegt und der Vermieter vom Besitzerwerb des Dritten erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung Kenntnis erlangt hat. Die Räumungsverfügung gem. § 940a Abs. 2 ZPO soll einem Missbrauch des Mieters vorbeugen, der sich gegen die Räumung dadurch zu wehren sucht, dass er die Wohnung einem Dritten überlässt, der mangels Kenntnis des Vermieters nicht mitverklagt werden konnte und deshalb im Räumungstitel nicht genannt ist (Schmidt-Futterer/Streyl, 16. Aufl. 2024, ZPO § 940a Rn. 5). Aus dem Gesetzeszweck sind die Anforderungen an die Glaubhaftmachung für die fehlende Kenntnis des Vermieters abzuleiten. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll mit der Vorschrift anstelle eines zeitaufwändigen Hauptsacheverfahrens im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes ein Titel gegen Mitbesitzer erlangt werden können, die ohne Kenntnis des Vermieters Mitbesitz an der Wohnung begründet haben (BT-Drs. 17/10485, S. 34). Der Anspruch setzt voraus, dass gegen den oder die Mieter von Räumen bereits ein vollstreckbarer Räumungstitel vorliegt, aber weitere Dritte ohne Kenntnis des Vermieters Besitz an den Räumen begründet haben. Diejenigen, die er kennt, kann der Vermieter auch im Hauptsacheverfahren mitverklagen. Maßgeblich ist, dass der Vermieter zum Schluss der mündlichen Verhandlung von der konkreten Besitzbegründung keine Kenntnis hatte. Die Unkenntnis ist in dem Antrag auf Räumungsanordnung glaubhaft zu machen (BT-Drs. 17/10485, S. 34).
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Da nach § 540 Abs. 1 S. 1 BGB der Mieter den Gebrauch an der Mietsache nicht ohne Erlaubnis des Vermieters einem Dritten überlassen darf, kann der Vermieter grundsätzlich davon ausgehen, dass auch nur der Mieter Besitz an der Mietsache hat. Der Vermieter ist nicht in jedem Fall ohne Anlass vor oder während einer Räumungsklage gehalten, den Mieter zur Mitteilung aufzufordern, ob dieser den Besitz einem Dritten überlassen hat. Wenn aber für den Vermieter Anlass zu der Annahme besteht, der Besitz sei Dritten überlassen worden, besteht eine Nachfrage- und Erkundigungsobliegenheit. Das Gesetz stellt allerdings auf die Kenntnis des Vermieters ab. Auch grobe fahrlässige Unkenntnis steht der Kenntnis grundsätzlich nicht gleich. Nach dem Rechtsgedanken des § 162 BGB steht aber die Kenntnismöglichkeit der Kenntnis gleich, wenn der Vermieter seine Augen vor einer sich aufdrängenden Kenntnisnahme bewusst verschließt (Schmidt-Futterer/Streyl, 16. Aufl. 2024, ZPO § 940a Rn. 26). Denn die Schaffung eines Räumungstitels im Wege der einstweiligen Verfügung ist nur gerechtfertigt, wenn die Verweisung auf das Hauptsacheverfahren praktisch einer Rechtsverweigerung gleichkäme. Dies kann nur in den Fällen angenommen werden, in denen die Gebrauchsüberlassung an den Dritten eine Pflichtverletzung des Mieters darstellt und es vor oder während der Räumungsklage gegen den Mieter keinen konkreten Anlass für Nachfragen oder Erkundigungen gab und Erkundigungen nicht leicht möglich waren.
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bb) Gemessen an diesen Voraussetzungen hat die Klägerin den Verfügungsgrund nicht ausreichend glaubhaft gemacht.
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(1) In ihrer eidesstattlichen Versicherung vom 13.11.2023, Anlage AST 9, gibt die Klägerin an, u.a. die Beklagten zu 4 und zu 12 seien ihr bekannt gewesen, bevor sie 2019 nach Teneriffa ausgewandert sei. Zu dem Termin, der in dem Räumungsvergleich mit Frau M vereinbart worden sei, sei nichts geschehen. Der Eigentümer habe ihr dann mitgeteilt, wer auf den Briefkästen und Klingeln stehe. Erst seit der Vollstreckungserinnerung wisse sie, dass u.a. die Beklagten zu 4 und zu 12 ein Recht zum Besitz am Haus geltend machen. Das habe sie im gesamten Verfahren gegen Frau M nicht gewusst.
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(2) Damit hat die Klägerin schon nicht glaubhaft gemacht, keine Kenntnis von dem Besitzerwerb der Beklagten zu 4 und zu 12 besessen zu haben. Sie wusste, dass ihre Untermieterin die Räumlichkeiten weiter an die Beklagte zu 12 untervermietet hatte und auch der Beklagte zu 4 Besitz an den Räumlichkeiten hatte. Sie hatte Kenntnis von dem Besitzerwerb. Sie hatte Anlass zu der Annahme, dass die Mieterin die Räumlichkeiten weiterhin an die Beklagte zu 12 überlassen hatte. Und sie konnte auch unschwer durch einen Blick auf die Klingelschilder und Briefkästen sich darüber erkundigen. Ob ein Vermieter gehalten ist, bei Anlass zu der Annahme der Überlassung an Dritte Auskünfte beim Einwohnermeldeamt oder beim Gewerberegister einzuholen, kann dahinstehen. Bei dieser Sachlage liegt unter keinem Gesichtspunkt ein Missbrauch des Mieters vor. Die Verletzung der Auskunftspflicht durch die Mieterin, die die Anfragen der Klägerin über Dritte unbeantwortet ließ, spielt demgegenüber keine Rolle.
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2. Die Kosten der Berufung hat die Klägerin zu tragen, § 91 ZPO. Die Entscheidung über die Kosten der ersten Instanz richtet sich nach §§ 92, 100, 281 Abs. 3 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.
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Der Streitwert bemisst sich nach § 41 GKG mit dem Jahresbetrag der Miete, die die Klägerin im Mietvertrag mit der Mieterin vereinbart hatte, und beträgt € 28.248,00, da die monatliche Miete € 2.354,00 betrug. Dies gilt auch bei einer Klage gegen den Untermieter auf Räumung des gesamten Mietobjekts. Die Anzahl der Untermieter ist dabei unerheblich. Der vom Landgericht festgesetzte Streitwert ist von Amts wegen zu berichtigen.