Inhalt

OLG Nürnberg, Beschluss v. 22.04.2024 – 14 U 1504/23
Titel:

Abschluss eines Girovertrages durch den Schuldner nach Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters

Normenkette:
InsO § 35 Abs. 1, Abs. 2
Leitsätze:
1. Schließt der Insolvenzschuldner nach Wirksamwerden der Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters einen Girovertrag, stellen die daraus resultierenden Ansprüche insolvenzfreies Vermögen des Schuldners dar, wenn dieser der Bank mitgeteilt hat, dass es sich um ein Geschäftskonto für seine selbstständige Tätigkeit handelt, oder sich eine solche Bestimmung aus den Umständen des Vertragsschlusses ergibt (Anschluss an BGH BeckRS 2019, 3046). (Rn. 8 – 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Allein die Bezeichnung des Girokontos als Privatkonto spricht noch nicht gegen die Annahme eines Geschäftskontos für eine selbstständige Tätigkeit des Schuldners. (Rn. 10 – 11) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Insolvenzverfahren, Freigabeerklärung, Girovertrag, Kontoeröffnung durch Schuldner, Zeitpunkt, insolvenzfreies Vermögen, Geschäftskonto, selbstständige Tätigkeit, Privatkonto
Vorinstanzen:
OLG Nürnberg, Hinweisbeschluss vom 29.02.2024 – 14 U 1504/23
LG Weiden, Urteil vom 20.06.2023 – 11 O 286/20
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 26.06.2025 – IX ZR 74/24
Fundstelle:
BeckRS 2024, 47809

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Weiden i.d. OPf. vom 20.06.2023, Aktenzeichen 11 O 286/20, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der der Nebenintervention zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Weiden i.d. OPf. ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten bzw. des Streithelfers abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des von diesen jeweils vollstreckbaren Betrages, wenn nicht die Beklagte bzw. der Streithelfer vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 99.664,54 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf die Ausführungen unter Ziff. I. im Hinweis des Senats vom 29.02.2024 Bezug genommen.
II.
2
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Weiden i.d. OPf. vom 20.06.2023, Aktenzeichen 11 O 286/20, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
3
Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats Bezug genommen.
4
Auch die Ausführungen in der Gegenerklärung geben zu einer Änderung keinen Anlass.
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1. Maßgeblich ist, dass der Streithelfer vorliegend ein Geschäftskonto für seine selbständige Tätigkeit nach Wirksamwerden der Freigabeerklärung eröffnete.
6
Bei Ansprüchen aus einem nach Insolvenzeröffnung eingegangenen Vertragsverhältnis handelt es sich regelmäßig um Neuerwerb gemäß § 35 Abs. 1 Fall 2 InsO, der in die Masse fällt. Dies gilt auch für Ansprüche aus einem Girovertrag. Anders wäre dies nur, wenn es sich beim Girovertrag um ein von der Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters erfasstes Vertragsverhältnis, ein vom Schuldner nach der Freigabeerklärung im Rahmen der freigegebenen selbständigen Tätigkeit neu begründetes Vertragsverhältnis oder sonst ein Vertragsverhältnis handelt, das – wie etwa ein Pfändungsschutzkonto gemäß § 850k ZPO – ausschließlich das insolvenzfreie Vermögen des Schuldners betrifft (zum Ganzen: BGH, Urteil vom 21.02.2019 – IX ZR 246/17, juris Rn. 10, m.w.N.).
7
Ist es bis zum Zeitpunkt einer Freigabeerklärung zum Neuabschluss eines Girovertrags gekommen, so sind Ansprüche aus dem Girovertrag als Neuerwerb gemäß § 35 Abs. 1 Fall 2 InsO Bestandteil der Masse. Anders wäre dies nur dann, wenn die Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters gemäß § 35 Abs. 2 InsO sich auch auf diesen Girovertrag erstreckte. Dies kann der Fall sein, wenn der Zahlungsdiensterahmenvertrag bereits zum Zeitpunkt der Freigabe der selbständigen Tätigkeit des Schuldners diente und der Schuldner das auf dieser Grundlage geführte Konto ausschließlich oder nahezu ausschließlich als Geschäftskonto seiner selbständigen Tätigkeit nutzte. Unter diesen Voraussetzungen scheidet ein Geschäftskonto mit der Freigabeerklärung aus der Masse aus und geht in das insolvenzfreie Vermögen des Schuldners über (zum Ganzen: BGH, a.a.O., Rn. 14, m.w.N.).
8
Ist es zum Neuabschluss des Girovertrags erst nach Wirksamwerden der Freigabeerklärung gekommen, so käme eine Behandlung als insolvenzfreies Vermögen des Klägers dann in Betracht, wenn dieser der Bank mitgeteilt hat, dass es sich um ein Geschäftskonto für seine selbständige Tätigkeit handelt, oder sich eine solche Bestimmung aus den Umständen des Vertragsschlusses ergäbe (BGH, a.a.O., Rn. 15).
9
Ausgehend davon ist danach zu differenzieren, ob ein Neuabschluss des Girovertrags vor oder nach Wirksamwerden der Freigabeerklärung vorliegt. Im vorliegenden Fall erklärte der Kläger als Insolvenzverwalter am 01.11.2012 gemäß § 35 Abs. 2 InsO die Freigabe der selbständigen Tätigkeit des Beklagten im Bereich von Dienstleistungen und Beratungen für Gastronomie, Hotellerie und deren Zulieferer. Erst danach eröffnete der Streithelfer am 28.10.2014 bei der Beklagten das streitgegenständliche Konto.
10
2. Der Senat hält auch daran fest, dass sich aus den Umständen bei der Eröffnung des streitgegenständlichen Kontos ergibt, dass dieses als Geschäftskonto des Streithelfers für seine selbständige Tätigkeit anzusehen ist.
11
Allein die Bezeichnung als Privatkonto kann dem nicht entgegenstehen, da diese Betrachtung außer Acht lässt, dass sich eine Bestimmung als Geschäftskonto auch aus den Umständen des Vertragsschlusses ergeben kann (BGH, a.a.O., Rn. 15). Dies ist hier der Fall (vgl. Ziff. II. 2. a) des Hinweises vom 29.02.2024).
12
3. Die Ausführungen des Senats unter Ziff. II. 2. b) des Hinweises vom 29.02.2024 befassen sich mit der Bezugnahme des Klägers auf die Ausführungen des Bundesgerichtshofs zum Neuabschluss eines Girovertrags vor der Freigabeerklärung (BGH, a.a.O., Rn. 14).
13
„Unabhängig davon“ heißt in diesem Zusammenhang, dass vorliegend zwar das streitgegenständliche Konto nach der Freigabeerklärung eröffnet wurde, der Beklagte dieses jedoch nahezu ausschließlich als Geschäftskonto seiner selbständigen Tätigkeit nutzte (vgl. Ziff. II. 2. b) des Hinweises vom 29.02.2024). Der Senat meint nicht, dass es schon genüge, „wenn das Konto auch für die selbständige Tätigkeit genutzt werde“ (Schriftsatz vom 15.04.2024, Seite 2, Bl. 276 d.A.).
14
4. Ein treuwidriges Verhalten des Insolvenzverwalters kann durchaus angenommen werden (vgl. auch OLG Hamm, Urteil vom 16.01.2017 – I-31 U 226/15, juris Rn. 40). Zudem könnte auch von einer konkludenten Freigabe des Kontos ausgegangen werden, weil gemäß dem unwidersprochen gebliebenen Sachvortrag der Beklagten im Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 06.07.2022 (Bl. 132 ff. d. A.) an den Kläger im Zeitraum 02.12.2014 bis einschließlich 18.04.2018 von den Zahlungseingängen auf dem streitgegenständlichen Konto bei der Beklagten Zahlungen in Höhe von insgesamt 4.904,41 € erfolgten (vgl. auch OLG Hamm, a.a.O., Rn. 39).
III.
15
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1, § 101 Abs. 1 ZPO.
16
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß § 708 Nr. 10, § 709 S. 2, § 711 ZPO.