Titel:
Tätigkeitsmerkmale, vielseitige Fachkenntnisse, selbständige Leistungen, Entgeltgruppe, Eingruppierungsfeststellungsklage, auszuübende Tätigkeit, Arbeitsvorgang, Gründliche Fachkenntnisse, Höhergruppierung, Streitwertfestsetzung, Arbeitsergebnis, Patientenakten, Ermessensausübung, Feststellungsinteresse, Stellenausschreibung, Tabellenentgelt, Kostenentscheidung, Aufgabenkreis, Entgeltordnung, Rechtsmittelbelehrung
Schlagworte:
Eingruppierung, Tarifrecht, Kodierfachkraft, Tätigkeitsmerkmale, Darlegungs- und Beweislast, Arbeitsvorgang, selbständige Leistungen
Rechtsmittelinstanz:
LArbG Nürnberg, Urteil vom 18.02.2025 – 6 SLa 231/24
Fundstelle:
BeckRS 2024, 47583
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 17.529,12 € festgesetzt.
4. Eine gesonderte Zulassung der Berufung ist nicht veranlasst.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über die zutreffende Eingruppierung der Klägerin.
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Die Klägerin, eine gelernte Zahnarzthelferin (vgl. Bl. 19 d. A.) mit kaufmännischer Weiterbildung (Bl. 20 ff. d. A.), ist bei der Beklagten seit 12.10.2009 beschäftigt (vgl. Arbeitsvertrag, Bl. 24 ff. d. A., sowie Änderungsvertrag, Bl. 27 d. A.) und war zunächst in der Patientenabrechnung der Beklagten eingesetzt.
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Nach Absolvierung einer Weiterbildung zur Kodierfachkraft in der Zeit vom 09.12.- 12.12.2013 sowie 15.01.-17.01.2014 (Bl. 30 d. A.) ist sie seit 01.10.2017 als Kodierassistentin im Medizincontrolling der Beklagten eingesetzt, derzeit in Vollzeit mit 38,5 Stunden pro Woche.
4
Mit Wirkung zum 01.05.2018 wurde sie in die in Entgeltgruppe (EG) 8, Entwicklungsstufe 4 TVöD höhergruppiert (Bl. 32 d. A.), seit 01.04.2022 hat sie in der EG 8 die Entwicklungsstufe 5 erreicht. Ihr monatliches Brutto-Tabellenentgelt beläuft sich auf 3.518,19 €.
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Das Tabellenentgelt in EG 9a Stufe 5 TVöD beträgt 4.005,92 €.
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Die Klägerin ist mit 100% ihrer Arbeitszeit als Kodierassistentin bei der Beklagten tätig, d. h. sie analysiert die jeweilige Patientenakte und verschlüsselt/kodiert die dort erfassten Krankheiten, Diagnosen und Behandlungen. Dadurch ermöglicht sie die korrekte Abrechnung durch die Beklagte nach Fallkostenpauschalen entsprechend der sog. German Diagnosis Related Groups (G-DRG). Dieses System schließt verschiedene Behandlungsfälle zu Gruppen zusammen und legt so, unabhängig von der Verweildauer im Krankenhaus, eine Fallpauschale fest. Verschiedene Kriterien, wie insbesondere die Hauptdiagnose, Nebendiagnosen, Patientenalter, Behandlungsprozeduren, Beatmungsstunden und einige weitere, bestimmen die Zuteilung zur jeweiligen Fallgruppe.
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Die in den Akten dokumentierten Krankheiten (sowohl Diagnosen als auch Symptome) werden von der Kodierfachkraft in eine maschinenlesbare Kombination aus Buchstaben und Zahlen (sog. ICD-10 Codes) verschlüsselt. Die durchgeführten medizinischen Leistungen (Prozeduren, Diagnostik und Operationen) werden in Operation- und Prozedurenschlüssel (sog. OPS-Codes) umgewandelt. Dabei begleitet die Klägerin die eingehenden Fälle abrechnungstechnisch von Anfang an. Grundlage der Tätigkeit sind die allgemeinen Kodierrichtlinien für Krankheiten (Deutsche Kodierrichtlinien – im Folgenden: DKR).
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Ihre Tätigkeiten schlüsseln sich – nach unwidersprochenem Beklagtenvortrag – folgendermaßen auf:
Tätigkeit
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Anteil an der ges.
Arbeitszeit in %
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1. Für alle Neuaufnahmen von Patienten der Neurochirurgie (inkl. Intensivfälle), Med1 Station 202 und Intensivfälle der Med1:
Aufnahmediagnosen ins System eingeben, erste Arbeits-DRG ermitteln (Haupt-, ggf. Nebendiagnosen erfassen)
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2. Aktualisierung aller liegenden Patienten der unter 1. genannten Fachrichtungen mit Hilfe der Revisionssoftware „MOMO“ (Online-Kodierung)
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3. Arbeits-DRG aktualisieren, soweit durch neue Leistungen bzw. Behandlungsmaßnahmen Handlungsbedarf besteht
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4. Fallbesprechung mit Ärzten (auf der Station oder per Telefon), evtl. neue Erkenntnisse zu Diagnosen oder Prozeduren kodieren, fehlende Befund/OP-Berichte anmahnen
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5. Bearbeitung der Intensivfälle Neurochirurgie und MED1, Erfassung der Beatmungsstunden und der TISS und SAPS-Punkte
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6. nach Patientenentlassung: endgültige Kodierung und Erstellung der Arbeits-DRG zum jeweiligen Fall
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Mit Schreiben vom 23.08.2022 (Bl. 34 ff. d. A.) hat die Klägerin gegenüber der Beklagten eine Höhergruppierung in Entgeltgruppe 9a TVöD beantragt. Diesen Antrag wies die Beklagte mit Schreiben vom 19.07.2023 (Bl. 38 d. A.) zurück.
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Mit der Klage vom 15.04.2024 verfolgt die Klägerin das Ziel weiter, in EG 9a Entwicklungsstufe 5 TVöD höhergruppiert zu werden.
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Die Klägerin meint, sie erfülle zunächst die Voraussetzungen der EG 5 sowie EG 6 TVöD. Ihre Tätigkeit setze sowohl gründliche als auch vielseitige Fachkenntnisse voraus, denn sie erfordere vertiefte und ausführliche Kenntnisse über die DRK sowie die DRG und OPS-Codes sowie deren Handbücher, indes auch, wie die Stellenausschreibung zeige, medizinisches Fachwissen und Kenntnisse über medizinische Fachbegriffe.
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Überdies umfasse die Tätigkeit auch selbständige Leistungen, indem es der Klägerin obliege, zu entscheiden, ob die Haupt- und Nebendiagnosen korrekt, wie in den DKR angegeben, erfasst seien. Sie entscheide auch darüber, ob noch weitere Dokumentationen/Ergänzungen im Arztbrief erforderlich seien und wann die Einholung ärztlicher Fachkompetenz erforderlich sei.
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Dies habe auch die Beklagte durch ihre Darstellung deutlich gemacht, wonach das Auffinden von Diskrepanzen, fehlenden Angaben und Ungereimtheiten sowie deren anschließende Klärung mit dem zuständigen Behandler im Einzelfall eine eigene Entschließung voraussetze. Allein mit diesem Arbeitsschritt – welcher ca. 15% ihrer Arbeitszeit beanspruche – werde die Schwelle des rechtserheblichen Ausmaßes an selbständigen Leistungen innerhalb des Arbeitsvorgangs der Kodierung erreicht und dies rechtfertige die Eingruppierung in die EG 9a TVöD.
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Der Auffassung, dass die Tätigkeit der Klägerin selbständige Leistungen beinhalte, sei die Beklagte im Übrigen selbst, wie sie durch die Höhergruppierung in die EG 8 TVöD (mindestens zu einem Drittel selbständige Leistungen) gezeigt habe.
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Die Klägerin beantragt zuletzt
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger rückwirkend ab dem 01.03.2022 eine Vergütung gemäß der Entgeltgruppe 9a Stufe 5 der Anlage 1 – Entgeltordnung (VKA) zum TVöD, Teil A – Allgemeiner Teil – Abschnitt I Ziffer 3, zu bezahlen und die monatliche Nettovergütungsdifferenz zwischen der Entgeltgruppe 8 und der Entgeltgruppe 9a mit 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt zu verzinsen.
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Die Beklagte beantragt
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Sie ist einerseits der Auffassung, die klägerische Tätigkeit umfasse mindestens drei Arbeitsvorgänge: Kodierung der Aufnahmediagnosen, Kontrolle der Patientenakte und Untersuchungsberichte etc. auf Vollständigkeit sowie die abschließende Kodierung zur Abrechnung gegenüber der jeweiligen Krankenkasse. Diese Aufgaben seien in der Vergangenheit u.a. in der Urlaubsvertretung und bei anderen Kolleginnen auch schon einzeln zugewiesen worden.
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Weiter meint die Beklagte, die Tätigkeiten der Klägerin wiesen keine selbständigen Leistungen auf, da die Kodierung umfassend und bis ins Detail von den DKR vorgegeben sei. Zwar müsse die Klägerin diese sehr genau kennen, ebenso wie die DRG und OPSCodes, allerdings sei in diesen Regelwerken kein Ermessensspielraum vorgesehen. Soweit die Klägerin unter Anwendung ihrer Fachkenntnisse Unklarheiten, Ungereimtheiten oder fehlende Angaben in der jeweiligen Krankenakte erkennen, herausfiltern sowie diese mit den behandelnden Ärzten klären müsse, sei dies ein untergeordneter Vorgang, der separat von der eigentlichen Kodierung als eigene Tätigkeit zu bewerten sei. Im Übrigen sei auch dieser Schritt weitgehend vorgegeben und die Absprache mit dem behandelnden Arzt der einzige Weg, um Diskrepanzen aufzulösen. Hierbei habe sie daher keinen eigenen Ermessens- und Entschließungsspielraum, wie ihn die „selbständigen“ Leistungen voraussetzten. Der Behandler entscheide, welche Diagnosen oder Ergänzungen er in die Akte aufnehme, so dass die Klägerin diese abschließend, richtig und vollständig kodieren könne. Der behandelnde Arzt sei hierfür ausweislich der D001a der DKR ausschließlich zuständig, wohingegen die Klägerin dafür weder ausreichend medizinisch kompetent noch dazu befugt sei.
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Auch die passende Kodierung ergebe sich anhand der Krankenakte sowie der DKR und der sie ergänzenden Regelungen zwingend, ohne dass die Klägerin hierbei eigenes Ermessen ausüben könne.
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Schließlich sei die Bezahlung der Klägerin nach EG 8 TVöD eine arbeitsmarktpolitische Entscheidung der Beklagten, keine Anerkennung des Vorliegens selbständiger Leistungen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle Bezug genommen, §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 313 Abs. 2 Satz 2 ZPO.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage führt in der Sache nicht zum Erfolg.
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Die Klage ist zulässig.
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1. Für die Klage ist insbesondere der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten gegeben, § 2 I Nr. 3 lit. a) ArbGG. Das Arbeitsgericht Weiden ist gemäß §§ 46 II 1 ArbGG, 12, 17 ZPO örtlich zuständig.
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2. Das Feststellungsinteresse nach § 256 ZPO ist vorliegend ebenfalls gegeben, vgl. zur Zulässigkeit der Eingruppierungsfeststellungsklage u.a. BAG, Urt. v. 23.09.2009 – 4 AZR 308/08, BeckRS 2010, 66637 (zitiert nach beck-online).
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Im Übrigen bestehen gegen die Zulässigkeit der Klage keine Bedenken.
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Die Klage ist jedoch unbegründet, die Klägerin ist nicht in einer höheren als der bisherigen Entgeltgruppe eingruppiert. Sie hat auch keinen Anspruch auf eine höhere Vergütung.
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1. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft beidseitiger Tarifbindung der TVöD-K (VKA) Anwendung.
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Im TVöD heißt es u.a.:
§ 12 TVöD – Eingruppierung
(1) Die Eingruppierung der/des Beschäftigten richtet sich nach den Tätigkeitsmerkmalen der Anlage 1 – Entgeltordnung (VKA). Die/Der Beschäftigte erhält Entgelt nach der Entgeltgruppe, in der sie/er eingruppiert ist.
(2) 1Die/Der Beschäftigte ist in der Entgeltgruppe eingruppiert, deren Tätigkeitsmerkmalen die gesamte von ihr/ihm nicht nur vorübergehend auszuübende Tätigkeit entspricht. 2Die gesamte auszuübende Tätigkeit entspricht den Tätigkeitsmerkmalen einer Entgeltgruppe, wenn zeitlich mindestens zur Hälfte Arbeitsvorgänge anfallen, die für sich genommen die Anforderungen eines Tätigkeitsmerkmals oder mehrerer Tätigkeitsmerkmale dieser Entgeltgruppe erfüllen. 3Kann die Erfüllung einer Anforderung in der Regel erst bei der Betrachtung mehrerer Arbeitsvorgänge festgestellt werden (z.B. vielseitige Fachkenntnisse), sind diese Arbeitsvorgänge für die Feststellung, ob diese Anforderung erfüllt ist, insoweit zusammen zu beurteilen. 4Werden in einem Tätigkeitsmerkmal mehrere Anforderungen gestellt, gilt das in Satz 2 bestimmte Maß, ebenfalls bezogen auf die gesamte auszuübende Tätigkeit, für jede Anforderung. 5Ist in einem Tätigkeitsmerkmal ein von den Sätzen 2 bis 4 abweichendes zeitliches Maß bestimmt, gilt dieses. 6Ist in einem Tätigkeitsmerkmal als Anforderung eine Voraussetzung in der Person der/des Beschäftigten bestimmt, muss auch diese Anforderung erfüllt sein.
Protokollerklärung zu Absatz 2:
1Arbeitsvorgänge sind Arbeitsleistungen (einschließlich Zusammenhangsarbeiten), die, bezogen auf den Aufgabenkreis der/des Beschäftigten, zu einem bei natürlicher Betrachtung abgrenzbaren Arbeitsergebnis führen (z.B. unterschriftsreife Bearbeitung eines Aktenvorgangs, eines Widerspruchs oder eines Antrags, Erstellung eines EKG, Fertigung einer Bauzeichnung, Konstruktion einer Brücke oder eines Brückenteils, Bearbeitung eines Antrags auf eine Sozialleistung, Betreuung einer Person oder Personengruppe, Durchführung einer Unterhaltungs- oder Instandsetzungsarbeit). 2Jeder einzelne Arbeitsvorgang ist als solcher zu bewerten und darf dabei hinsichtlich der Anforderungen zeitlich nicht aufgespalten werden. 3Eine Anforderung im Sinne der Sätze 2 und 3 ist auch das in einem Tätigkeitsmerkmal geforderte Herausheben der Tätigkeit aus einer niedrigeren Entgeltgruppe.
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Für Kodierfachkräfte gibt es im TVöD-VKA keine speziellen Regelungen, es sind die Regelungen der Entgeltordnung VKA – Teil A – Allgemeiner Teil heranzuziehen. Hier heißt es auszugsweise:
I. Allgemeine Tätigkeitsmerkmale
3. Entgeltgruppen 2 bis 12 (Büro-, Buchhalterei-, sonstiger Innendienst und Außendienst)
Buchhaltereidienst bezieht sich nur auf Tätigkeiten von Beschäftigten, die mit kaufmännischer Buchführung beschäftigt sind.
1. Beschäftigte mit erfolgreich abgeschlossener Ausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungsdauer von mindestens drei Jahren und entsprechender Tätigkeit
2. Beschäftigte, deren Tätigkeit gründliche Fachkenntnisse erfordert. (Gründliche Fachkenntnisse erfordern nähere Kenntnisse von Rechtsvorschriften oder näheres kaufmännisches oder technisches Fachwissen usw. des Aufgabenkreises)
Beschäftigte der Entgeltgruppe 5 Fallgruppe 1, deren Tätigkeit gründliche und vielseitige Fachkenntnisse erfordert, sowie Beschäftigte der Entgeltgruppe 5 Fallgruppe 2, deren Tätigkeit vielseitige Fachkenntnisse erfordert.
(Die gründlichen und vielseitigen Fachkenntnisse brauchen sich nicht auf das gesamte Gebiet der Verwaltung (des Betriebs), bei der die/der Beschäftigte tätig ist, zu beziehen. Der Aufgabenkreis der/des Beschäftigen muss aber so gestaltet sein, dass er nur beim Vorhandensein gründlicher und vielseitiger Fachkenntnisse ordnungsgemäß bearbeitet werden kann.)
Beschäftigte der Entgeltgruppe 6, deren Tätigkeit mindestens zu einem Fünftel selbständige Leistungen erfordert.
(Selbständige Leistungen erfordern ein den vorausgesetzten Fachkenntnissen entsprechendes selbständiges Erarbeiten eines Ergebnisses unter Entwicklung einer eigenen geistigen Initiative; eine leichte geistige Arbeit kann diese Anforderung nicht erfüllen.)
Beschäftigte der Entgeltgruppe 6, deren Tätigkeit mindestens zu einem Drittel selbständige Leistungen erfordert.
(selbständige Leistungen erfordern ein den vorausgesetzten Fachkenntnissen entsprechendes selbständiges Erarbeiten eines Ergebnisses unter Entwicklung einer eigenen geistigen Initiative; eine leichte geistige Arbeit kann diese Anforderungen nicht erfüllen.)
Beschäftigte der Entgeltgruppe 6, deren Tätigkeit selbständige Leistungen erfordert.
(selbständige Leistungen erfordern ein den vorausgesetzten Fachkenntnissen entsprechendes selbständiges Erarbeiten eines Ergebnisses unter Entwicklung einer eigenen geistigen Initiative, eine leichte geistige Arbeit kann diese Anforderungen nicht erfüllen.)“
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Der Lohn ist gem. § 24 Abs. 1 TVöD spätestens am letzten Tag des Monats fällig.
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2. Im Prozess um die zutreffende Eingruppierung richtet sich die Darlegungs- und Beweislast nach den allgemeinen zivilprozessualen Grundsätzen und trifft die Arbeitnehmerin für all diejenigen Tatsachen, die ihren Anspruch auf eine Eingruppierung in eine höhere Entgeltgruppe begründen sollen (st. Rspr., etwa BAG, Urt. v. 14.09.2016 – 4 AZR 964/13, NZA-RR 2017, 264).
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a. Daher muss der Arbeitnehmervortrag dem Gericht ermöglichen, die Erfüllung der Anforderungen des beanspruchten Tätigkeitsmerkmals zu überprüfen und alles darlegen, damit das Gericht daraus die relevanten Arbeitsvorgänge (vgl. hierzu etwa BAG, Urt. v. 13.05.2015 – 4 AZR 355/13, NZA-RR 2015, 644) bestimmen kann. Dazu gehört detaillierten Vortrag zu den auszuübenden Tätigkeiten mit deren Anteil an der Gesamttätigkeit (BAG, Urt. v. 14.08.1985 – 4 AZR 21/84, BAGE 49, 250), ebenso Vortrag dazu, welche Arbeitsergebnisse im Rahmen welcher Arbeitsorganisation tatsächlich erbracht werden.
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Nicht ausreichend ist die pauschale Bezugnahme etwa auf eine Stellenbeschreibung.
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b. Unter einem Arbeitsvorgang versteht die Rechtsprechung eine unter Hinzurechnung der Zusammenhangstätigkeiten bei Berücksichtigung einer sinnvollen, vernünftigen Verwaltungsübung nach tatsächlichen Gesichtspunkten abgrenzbare und rechtlich selbstständig zu bewertende Arbeitseinheit der zu einem bestimmten Arbeitsergebnis führenden Tätigkeit (z. B. BAG, Urt. v. 29.11.2001 – 4 AZR 736/00, NZA 2002, 1288 – beck-online). Entscheidendes Bestimmungskriterium ist das Arbeitsergebnis, vgl. BAG, Urt. v. 25.08.2010 – 4 AZR 5/09, NJOZ 2011, 380. Innerhalb eines Arbeitsvorgangs müssen die qualifizierenden Anforderungen eines Tätigkeitsmerkmales nicht ihrerseits wiederum in dem tariflich für den Arbeitsvorgang als solchen grundsätzlich geforderten Umfang von mindestens der Hälfte der Arbeitszeit vorliegen, vielmehr ist das Vorliegen des Qualifizierungsmerkmals in rechtserheblichem Ausmaß ausreichend, vgl. BAG, Urt. v. 25.08.2010 – 4 AZR 5/09, NJOZ 2011, 380 – beck-online.
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c. Das BAG vertritt hierbei die Auffassung, Bearbeitungen können dann nicht zusammengefasst werden, wenn sie tariflich unterschiedlich zu bewerten sind. Dies gilt jedoch nur, wenn die unterschiedlich wertigen Arbeitsleistungen von vorne herein – sei es auf Grund der Schwierigkeit oder anderer Umstände – auseinandergehalten werden können und voneinander zu trennen sind. Allein die theoretische Möglichkeit, einzelne Arbeitsschritte isoliert auf andere Angestellte übertragen zu können, ist hierbei nicht entscheidend, es kommt vielmehr auf die tatsächliche Arbeitsorganisation und die Frage an, ob die unterschiedlich bewerteten Tätigkeiten tatsächlich als eine einheitliche Arbeitsaufgabe einer Person übertragen sind (BAG, Urteil vom 23. 9. 2009 – 4 AZR 308/08, NZA-RR 2010, 494, R. 24 – beck-online).
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3. Unter Berücksichtigung der zitierten Rechtsprechung ist die Kammer der Auffassung, dass die Tätigkeiten der Klägerin insgesamt nur einen Arbeitsvorgang (mit 100% ihrer Arbeitszeit) darstellen, nämlich die Analyse der Patientenakte mit anschließender Erfassung aller medizinischen Leistungen mittels Fallpauschalen oder anders gesprochen die Kodierung der medizinischen Leistungen der Beklagten gegenüber dem einzelnen Patienten zur anschließenden Abrechnung.
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Orientiert an dem einheitlichen Arbeitsergebnis, der kodierten Patientenakte, ergeben sich hier entgegen der Ansicht der Beklagten keine drei Arbeitsvorgänge, denn alle Tätigkeiten der Klägerin sind einheitlich auf die abschließende Kodierung als relevantes Arbeitsergebnis gerichtet und dienen ihr. Ein verwertbares Zwischenergebnis liefern die einzelnen Arbeitsschritte, welche die Beklagte darstellt – Kodierung der Hauptdiagnosen, Aktualisierung der Kodierung bei neuen Behandlungen, Ergänzung von weiteren Daten wie SPASCodes, Ermittlung von Diskrepanzen oder Unvollständigkeiten in der Akte – nicht, sie sind Zusammenhangstätigkeiten, die in die abschließende Kodierung münden und dieser als unselbständige Einzeltätigkeiten hinzuzurechnen sind.
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Nicht entscheidend ist es hierbei, wenn einzelne der oben angeführten Arbeitsschritte theoretisch auch aufgeteilt oder anderen Personen separat zugewiesen werden könnten, denn im konkreten Fall füllt die Klägerin all die Tätigkeiten von der Aufnahme eines Patienten und der Erfassung der Arbeits-DRG bis hin zur abschließenden Kodierung nach Ende der Behandlung einheitlich aus. Damit sind diese Tätigkeiten für ihren Arbeitsplatz als einheitlicher Arbeitsvorgang aufzufassen.
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4. a. Die Tätigkeit der Klägerin erfordert zunächst – unstreitig – gründliche Fachkenntnisse im Sinne der EG 5 Fallgr. 2 TVöD, wobei darunter unter Berücksichtigung des Klammerzusatzes nähere Kenntnisse von Gesetzen, Verwaltungsvorschriften und Tarifbestimmungen des fraglichen Aufgabenkreises zu verstehen sind. Es sind Fachkenntnisse von nicht ganz unerheblichem Ausmaß und nicht nur oberflächlicher Art zu verlangen (vgl. BAG v. 27.2.2019 – 4 AZR 562/17, NJOZ 2019, 769 – zitiert nach beck-online).
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Die Klägerin benötigt zur Ausübung ihrer Kodiertätigkeit – was unter den Parteien unstreitig ist – vertiefte und breite Kenntnisse der deutschen Kodierrichtlinien, der sie ergänzenden Normen sowie der weiteren Kodier- und Schlüsselungsverzeichnisse (OPS, DRG).
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b. Weiter geht die Kammer davon aus, dass die Tätigkeit der Klägerin auch vielseitige Fachkenntnisse im Sinne der EG 6 Fallgr. 2 TVöD verlangt. „Vielseitige Fachkenntnisse“ erfordern gegenüber den gründlichen Fachkenntnissen eine Erweiterung des Fachwissens seinem Umfang nach. Dies kann sich beispielsweise aufgrund der Menge der anzuwendenden Vorschriften und Bestimmungen oder der Verschiedenartigkeit der sich aus einem Fachgebiet stellenden Anforderungen ergeben. Denkbar ist zwar, dass sich der Wissensbereich nur auf ein einzelnes, abgegrenztes Teilgebiet beschränkt, in dem der Angestellte eingesetzt wird, jedoch reicht ein eng abgegrenztes Teilgebiet mit etwa nur routinemäßiger Bearbeitung nicht aus, BAG, Urt. v. 16.10.2019 – 4 AZR 284/18, NZA-RR 2020, 194, Rn. 29 – beck-online.
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Dieses Merkmal sieht das Gericht aufgrund der notwendigen medizinischen Vorbildung und der erforderlichen Kenntnisse über medizinische Fachbegriffe, Diagnosen sowie Prozeduren, welche zur Erfüllung der „Übersetzungstätigkeit“ in die entsprechenden Codes und Fallpauschalen erforderlich sind, als gegeben an. Neben den umfangreichen und aktuellen Kenntnissen über die – sich laufend ändernden – DKR benötigt die Klägerin auch medizinisches Wissen, welches sie aus ihrer Berufsausbildung als Zahnarzthelferin mitbringt, um ihre Aufgabe ordnungsgemäß zu erfüllen. Hierdurch verbreitert sich der Wissens- und Kenntnisstand über ein einzelnes Regelwerk hinaus im Sinne der tariflichen Definition.
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Unterstrichen wird diese Einschätzung durch die Stellenausschreibung der Beklagten für die Stelle der Klägerin als Kodierfachkraft vom 28.09.2021 (Bl. 97 d. A.), in welcher die Beklagte sowohl medizinische Vorkenntnisse als auch einen sicheren Umgang mit dem medizinischen Fachvokabular für die Ausführung der streitgegenständlichen Tätigkeit als notwendig erachtet.
45
c. Hingegen kann die Kammer aufgrund des klägerischen Vorbringens unter Berücksichtigung der oben dargestellten Darlegungslast bei der streitgegenständlichen Tätigkeit keine „selbständigen Leistungen“ im Sinne des Tarifvertrags feststellen. Damit scheidet eine Eingruppierung in EG 9a TVöD aus.
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i. „Selbständige Leistungen“ erfordern ein den vorausgesetzten Fachkenntnissen entsprechendes selbständiges Erarbeiten eines Ergebnisses unter Entwicklung einer eigenen geistigen Initiative. Eine leichte geistige Arbeit kann diese Anforderungen nicht erfüllen.
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Dabei darf das Merkmal „selbständige Leistungen“ nicht mit dem Begriff „selbständig arbeiten“ verwechselt werden, worunter eine Tätigkeit ohne direkte Aufsicht oder Leitung zu verstehen ist.
48
Eine selbständige Leistung im Tarifsinne ist dann anzunehmen, wenn eine Gedankenarbeit erbracht wird, die im Rahmen der für die Vergütungsgruppe vorausgesetzten Fachkenntnisse hinsichtlich des einzuschlagenden Weges, insbesondere hinsichtlich des zu findenden Ergebnisses, eine eigene Beurteilung und eine eigene Entschließung erfordert. Kennzeichnend für selbständige Leistungen im tariflichen Sinne ist – ohne Bindung an verwaltungsrechtliche Fachbegriffe – ein wie auch immer gearteter Ermessens-, Entscheidungs-, Gestaltungs- oder Beurteilungsspielraum bei der Erarbeitung eines Arbeitsergebnisses. Es werden Abwägungsprozesse verlangt, in deren Rahmen Anforderungen an das Überlegungsvermögen gestellt werden. Dabei müssen für eine Entscheidung unterschiedliche Informationen verknüpft und untereinander abgewogen werden. Dass die Abwägungsprozesse bei entsprechender Routine durchaus schnell ablaufen können, ist unerheblich (BAG 22.02.2017 – 4 AZR 514/16, Rn. 19 m. w. N. – beck-online).
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Das BAG geht davon aus, dass allein der Umstand, dass es sich bei der Ausübung der Tätigkeit um Normvollzug handelt, dem Vorliegen selbständiger Leistungen nicht entgegensteht. Das gilt insbesondere, wenn die zu vollziehenden Normen unbestimmte Rechtsbegriffe enthalten und/oder Ermessensspielräume eröffnen. Etwas Anderes kann allerdings gelten, wenn es für den Vollzug detaillierte Handlungsanweisungen gibt, die die Beurteilung und Ermessensspielräume maßgebend einschränken und die erforderlichen Abwägungsprozesse – im Wesentlichen – vorwegnehmen, BAG, a. a. O., Rn. 25.
50
ii. Zusammenfassend konnte die Klägerin dem Gericht keine konkreten Arbeitsvorgänge aufzeigen, bei denen sie eine eigene Entschließung oder Abwägung trifft. Vielmehr ist die Vorgehensweise der Klägerin einerseits durch die detaillierten DKR vorgegeben, andererseits kann sie Unklarheiten, Unvollständigkeiten oder Ähnliches ausschließlich mit dem behandelnden Arzt klären.
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Im Ergebnis hat sie nach dem Verständnis des Gerichts die Vorgänge laut Patientenakte zu kodieren. Sollte diese an bestimmten Stellen unvollständig oder unklar sein, so wendet sie sich an die Behandler und kodiert anschließend das von ihnen gefundene Ergebnis. Das heißt im Umkehrschluss, sie setzt aufgrund ihrer Fachkenntnisse eine fremde Entscheidung (Arzt/Pflegekraft) in Code um, ohne hierbei eigenes Ermessen auszuüben oder zwischen verschiedenen Handlungsmöglichkeiten zu wählen. Dies wird unterstrichen durch die Regelung in D001a der DKR (Bl. 74 d. A.), welche festlegt, dass der behandelnde Arzt verantwortlich ist für die Klärung von Diskrepanzen zwischen Untersuchungsbefunden und Klinischer Dokumentation – und gerade nicht die Kodierfachkraft. Auch bei der abschließenden Kodierung selbst ist nach dem klägerischen Vortrag kein eigener Entscheidungsspielraum für die Klägerin erkennbar, insbesondere lassen die DKR nach dem unwidersprochenen Vortrag der Beklagten solche Ermessensspielräume gerade nicht offen, sondern geben für die jeweilige Kombination aus Diagnosen und Prozeduren das zutreffende Kodierergebnis vor.
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Somit ergeben sich weder aus den anzuwendenden Normen selbst noch aus etwaigen Handlungsalternativen zur Beseitigung von Unklarheiten oder der Erlangung fehlender Informationen Entschließungs- oder Ermessensspielräume für die Klägerin.
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Sie erfüllt daher aus Sicht des Gerichts nicht die Voraussetzung für die EG 9a TVöD, das Vorliegen selbständiger Leistungen zu mehr als 50%.
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1. Die Kostenentscheidung zu Lasten der Klägerin ergibt sich vorliegend aus §§ 46 II ArbGG, 91 I 1 ZPO.
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2. Die Streitwertfestsetzung in Höhe des 36-fachen monatlichen Unterschiedsbetrages zur begehrten Vergütung beruht auf §§ 61 I, 46 II ArbGG, 42 II 2 GKG.
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3. Soweit die Berufung nicht bereits kraft Gesetzes statthaft ist (§ 64 II lit. b und c ArbGG), war sie nicht zuzulassen, da die Zulassungsvoraussetzungen des § 64 III ArbGG nicht gegeben sind.