Inhalt

VG Bayreuth, Beschluss v. 09.01.2024 – B 6 S 23.858
Titel:

Ausweisung, generalpräventiv, Ordnungswidrigkeit, Geldbuße, Bußgeld, Verdacht, konstitutiver Erlass, Einreise- und Aufenthaltsverbot, Inzidentprüfung, Mindestlohngesetz (MiLoG), Ausweisungsinteresse, Ermessensausfall, Einstellung

Normenketten:
§§ 53, 54 Abs. 2 Nr. 9, § 55 Abs. 2 Nr. 5, § 81 Abs. 4, § 84, § 5 Abs. 1 Nr. 2,
AufenthG § 11
VwGO § 80 Abs. 5, § 114
StPO §§ 153a, 170 Abs. 2
Schlagworte:
Ausweisung, generalpräventiv, Ordnungswidrigkeit, Geldbuße, Bußgeld, Verdacht, konstitutiver Erlass, Einreise- und Aufenthaltsverbot, Inzidentprüfung, Mindestlohngesetz (MiLoG), Ausweisungsinteresse, Ermessensausfall, Einstellung
Fundstelle:
BeckRS 2024, 47378

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung der Klagen gegen den Bescheid des Landratsamts A. … vom 19.9.2023 wird angeordnet, soweit sie sich gegen das in Ziffer 2 des Bescheids enthaltene Einreise- und Aufenthaltsverbot sowie den dritten Satz in Ziffer 4 richten. Im Übrigen werden die Anträge abgelehnt.
2. Die Kosten des Verfahrens tragen die Antragsteller zu drei Vierteln und der Antragsgegner zu einem Viertel.
3. Der Streitwert wird auf 17.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragsteller wenden sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen einen Bescheid, mit welchem die Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnisse abgelehnt wurde und die Antragstellerin zu 1) aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen wurde.
2
Die Antragsteller sind vietnamesische Staatsangehörige. Nachdem die Antragstellerin zu 1) (im Folgenden: Antragstellerin) sich in den Jahren 2017 und 2018 bereits mehrere Wochen in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten hat, reiste die Antragstellerin am 7.5.2018 erneut ein. Der Antragsteller zu 2) ist der Ehemann der Antragstellerin, die Antragsteller zu 3) bis 6) sind die Kinder der Eheleute. Die Antragstellerin erhielt am 8.5.2018 eine bis zum 7.5.2019 befristete, am 22.3.2019 bis zum 7.5.2022 verlängerte Aufenthaltserlaubnis nach § 21 Abs. 1 AufenthG zur Ausübung einer selbständigen Tätigkeit. Die Aufenthaltserlaubnis enthielt die Nebenbestimmung, dass die selbständige Beschäftigung nur als Pächterin des Restaurants „M. …“ in A. … gestattet sei (Behördenakte Bl. 528). Am 28.5.2018 meldete die Antragstellerin den Betrieb der von ihr mit Vertrag vom 1.2.2018 gepachteten Schank- und Speisewirtschaft „M. …“ zum 1.6.2018 in A. … an (Behördenakte Bl. 432 ff. und Bl. 541).
3
Am …2018 wurde die Antragstellerin zu 5) in A. … geboren und erhielt am 11.1.2019 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 33 AufenthG, befristet bis zum 7.5.2019, die am 25.3.2019 bis zum 7.5.2022 verlängert wurde. Im April 2019 reisten die Antragsteller zu 2), 3) und 4) in die Bundesrepublik Deutschland ein. Der Antragsteller zu 2) erhielt am 15.4.2019 eine Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug nach § 30 AufenthG, befristet bis zum 14.4.2020, die mehrfach bis zum 7.5.2022 verlängert wurde. Die Antragsteller zu 3) und 4) erhielten am selben Tag Aufenthaltserlaubnisse nach § 32 AufenthG zum Kindernachzug, befristet jeweils bis zum 7.5.2022. Die Antragstellerin zu 6) wurde am …2021 geboren und erhielt eine Aufenthaltserlaubnis nach § 33 AufenthG, befristet bis zum 7.5.2022.
4
Am 25.11.2019 wurde gegen die Antragstellerin ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Straftaten des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelts nach § 266a StGB sowie der Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG i. V. m. § 27 StGB bezüglich der unter anderem in ihrem Restaurant tätigen elf vietnamesischen Staatsangehörigen eingeleitet (Behördenakte Bl. 624). Das Restaurant der Antragstellerin wurde am 15.9.2020 durchsucht. Im Rahmen der Durchsuchung des „M. …“ wurde der dort angestellte Koch K. … beim Arbeiten angetroffen. Dieser gab bei seiner Vernehmung am selben Tag an, vor etwa einem Jahr über ein drittes Land nach Deutschland geschleust worden zu sein und nach der Landung des Flugzeuges einen Aufenthaltstitel von unbekannten Personen erhalten zu haben. Bei einer Durchsuchung im Anwesen der Verpächterin des „M. …“ wurde ein gefälschter kroatischer Aufenthaltstitel des Herrn K. … aufgefunden. Herr K. … gab bei seiner Vernehmung weiter an, er habe im Zeitraum April 2019 bis September 2019 sowie seit Dezember 2019 an sechs Tagen der Woche jeweils 9 Stunden in dem Restaurant der Antragstellerin gearbeitet und hierfür zunächst monatlich 1.000,00 Euro und seit Dezember 2019 beziehungsweise April 2020 monatlich 1.500,00 Euro bar bezahlt bekommen.
5
Am 22.10.2020 meldete die Antragstellerin ein Gewerbe zum Betrieb einer Schank- und Speisewirtschaft (N. ….) unter ihrer Wohnadresse in S. … an und meldete es noch am selben Tag wieder ab (Behördenakte Bl. 555 ff.). Mit Schreiben vom 5.11.2020 beantragte die Antragstellerin beim Landratsamt A. … den Wechsel des Aufenthaltszweckes von der selbständigen Tätigkeit des Betriebs des Restaurants „M. …“ in A. … zum Betrieb eines Restaurants mit dem Namen „N. …“ in S. … Mit Schreiben vom 4.2.2021 hörte das Landratsamt A. … die Antragstellerin wegen beabsichtigter Ablehnung der Änderung der Auflage zur Aufenthaltserlaubnis nach § 21 AufenthG an (Behördenakte Bl. 614 f.).
6
Am 30.8.2021 wurde die Antragstellerin zu den gegen sie erhobenen Vorwürfen vernommen. Hierbei gab sie an, auch nach der Übernahme des „M. …“ durch Pachtvertrag sei noch alles Wichtige von der Verpächterin erledigt worden, da sie sich noch nicht ausgekannt habe. Nach einer gewissen Eingewöhnungszeit habe sie jedoch alles selbst erledigt. Die Angaben des Kochs zu seiner Beschäftigung wurden von ihr bestätigt.
7
Aufgrund einer am 29.10.2021 begonnenen Betriebsprüfung stellte die Deutsche Rentenversicherung … mit Bescheid vom 22.11.2021 Nachforderungen zur Sozialversicherung in Höhe von insgesamt 9.002,22 Euro (Behördenakte Bl. 631). Diese wurden von der Antragstellerin mit Überweisung vom 29.11.2021 bezahlt (Behördenakte Bl. 773).
8
Die Staatsanwaltschaft … stellte das Verfahren hinsichtlich des Tatvorwurfes der Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt am 5.1.2022 nach § 170 Abs. 2 StPO ein. Im Übrigen wurde das strafrechtliche Ermittlungsverfahren wegen des Tatvorwurfs des Vorenthaltens oder Veruntreuens von Arbeitsentgelt am 24.1.2022 gem. § 153a Abs. 1 StPO endgültig eingestellt, nachdem die Antragstellerin die dafür gemachten Voraussetzungen, die Begleichung der Nachforderungen der Sozialversicherung sowie Zahlung von 4.000,00 Euro nachgekommen war (Behördenakte Bl. 657 f., 674).
9
Mit Bußgeldbescheid des Hauptzollamtes … vom 28.1.2022 (Behördenakte Bl. 739 ff.) wurden gegen die Antragstellerin Geldbußen in Höhe von insgesamt 62.250,00 Euro wegen Verstößen gegen das Mindestlohngesetz (MiLoG) festgesetzt und die Antragstellerin verpflichtet, die Kosten des Verfahrens gem. § 105 Abs. 1, § 107 Abs. 1 MiLoG in Höhe von 3.112,50 Euro zu tragen. Von den Geldbußen entfielen 61.000,00 Euro auf einen Verstoß gegen § 20 MiLoG, weil die Antragstellerin ihrem Arbeitnehmer Herrn K. … nicht den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohn gezahlt hatte. Nach den Feststellungen des Hauptzollamtes hätte der Arbeitnehmer einen gesetzlichen Mindestlohnanspruch in Höhe von 33.511,50 Euro gehabt, jedoch nur 19.000,00 Euro erhalten. Die weiteren 1.250,00 Euro Geldbuße entfielen auf den Verstoß gegen die Aufzeichnungspflichten nach § 17 Abs. 1 MiLoG i. V. m. § 2a Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz, weil die Antragstellerin die tägliche Arbeitszeit ihrer Arbeitnehmer nicht aufgezeichnet hatte. Zur Höhe der Geldbuße ist im Bußgeldbescheid des Hauptzollamtes ausgeführt, dass diese zu Gunsten der Antragstellerin erheblich gemindert worden sei, wobei insbesondere berücksichtigt worden sei, dass die Antragstellerin Inhaberin eines Unternehmens war, welches der Gastronomiebranche zugehörig ist und demzufolge von der andauernden Corona-Pandemie erheblich geschädigt worden sei. Weiter sei berücksichtigt worden, dass die Antragstellerin geständig gewesen sei, sich einsichtig gezeigt und aktiv an der Aufklärung des Sachverhaltes mitgewirkt habe. Zudem bestünde durch das Ermittlungsverfahren und die für die Antragstellerin daraus gewonnenen Erkenntnisse keine Wiederholungsgefahr. Weitere Gründe, die zu einer Minderung der Geldbuße hätten beitragen können, seien nicht ersichtlich gewesen, insbesondere sei von der Antragstellerin nicht nachgewiesen worden, dass eine Rückzahlung des zu wenig entrichteten Lohnes durch entsprechende Ausgleichszahlungen zu Gunsten des Arbeitnehmers getätigt wurde. Die Antragstellerin legte zunächst Einspruch gegen den Bußgeldbescheid ein, den sie jedoch am 3.3.2022 zurücknahm. Die Geldbuße und die Gebühr in Höhe von insgesamt 65.362,50 Euro wurden von ihr beglichen (Behördenakte Bl. 738) .
10
Im April 2022 beantragten die Antragsteller die Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnisse. Der Antragstellerin sowie dem Antragsteller zu 2) wurden erstmals am 15.6.2022 Fiktionsbescheinigungen nach § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG ausgestellt, dem Antragsteller zu 3) erstmals am 30.3.2023, die in der Folgezeit mehrfach verlängert wurden, zuletzt am 29.6.2023 bis zum 28.9.2023. Am 7.6.2022 hörte das Landratsamt A. … die Antragstellerin wegen einer beabsichtigten Ablehnung des Antrags auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis und einer möglichen Ausweisung an (Behördenakte Bl. 258 f.).
11
Mit Bescheid vom 19.9.2023 lehnte das Landratsamt A. … die Anträge auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnisse ab (Ziffer 1), wies die Antragstellerin aus der Bundesrepublik Deutschland für die Dauer von drei Jahren aus (Ziffer 2) und forderte die Antragsteller auf, das Bundesgebiet unverzüglich, spätestens bis zum Ablauf von 30 Tagen nach Zustellung des Bescheids zu verlassen (Ziffer 3). In Ziffer 4 des Bescheids lauten Satz 1 und 2: „Falls Sie der unter Nr. 3 genannten Aufforderung nicht innerhalb der Frist nachkommen, wird Ihnen und Ihrer Familie hiermit die Abschiebung nach Vietnam angedroht. Sie können auch in einen anderen Staat, in den Sie einreisen dürfen oder der zu Ihrer Rückübernahme verpflichtet ist, abgeschoben werden.“ Satz 3 der Ziffer 4 lautet: „Im Falle einer Abschiebung wirkt eine Wiedereinreisesperre von drei Jahren.“ Weiter erlegte das Landratsamt A. … den Antragstellern auf, die Kosten ihrer Abschiebung selbst zu tragen (Ziffer 5).
12
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die für die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis der Antragstellerin gem. § 8 Abs. 1 AufenthG erforderliche allgemeine Erteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nicht erfüllt sei. Es liege bezüglich der Antragstellerin ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG vor. Aufgrund der Höhe des gegen die Antragstellerin am 28.1.2022 verhängten Bußgeldes von 65.362,50 Euro sei eine Geringfügigkeit ausgeschlossen, da hierfür eine Grenze von ca. 1.000 Euro anzusetzen sei. Ergänzend könne eine vorsätzliche Tat grundsätzlich nicht als geringfügig angesehen werden. Der Begriff der Geringfügigkeit erfordere eine wertende und abwägende Beurteilung, insbesondere der Begehungsweise, des Verschuldens und der Tatfolgen. Die Antragstellerin habe Herrn K. … in der Zeit von 2019 bis 2020 über mehrere Monate in ihrem Restaurant beschäftigt und ihm hierfür einen Betrag in Höhe von 14.511,50 Euro Bruttolohn zu wenig gezahlt. Darüber hinaus hätten Verstöße gegen die Zeiterfassungspflicht und Sozialversicherungspflicht ihrer Arbeitnehmer vorgelegen. Daneben sei wegen des Verdachts des Verstoßes gegen die Straftatbestände § 266a StGB sowie § 95 AufenthG i. V. m. § 27 StGB ermittelt worden, wobei § 53 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG nicht das Vorliegen einer rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung, sondern lediglich das zweifelsfreie Feststehen des Verstoßes verlange. Diese Verstöße habe die Antragstellerin gerade einmal ein Jahr nach der Gewerbeanmeldung für das Restaurant „M. …“ begangen. Zudem handele es sich bei § 21 Abs. 1 Satz 1 AufenthG um eine Ermessensvorschrift. Ein wirtschaftliches Interesse oder regionales Bedürfnis der selbständigen Tätigkeit für die Stadt S. … werde zwar durch den Bürgermeister Herrn … sowie von der Industrie- und Handelskammer zu A. … positiv prognostiziert, dieser Punkt sei jedoch in der Gesamtschau gegen die erheblichen Rechtsverstöße der Antragstellerin abzuwägen. Bei der Abwägung für die Ausübung pflichtgemäßen Ermessens sei das gesetzgeberische Ziel, mit der Regelung in § 21 Abs. 1 Satz 1 AufenthG die Erleichterung der Zuwanderung von ausländischen Unternehmern mit guten Geschäftsideen zu ermöglichen, zu berücksichtigen. Obwohl die Erteilungsvoraussetzungen des § 21 Abs. 1 Satz 1 AufenthG vorliegen mögen, könne wegen der mehrmonatigen Verstöße gegen Rechtsvorschriften keine Aufenthaltserlaubnis nach § 21 Abs. 1 AufenthG erteilt werden. Insbesondere die Verstöße der Antragstellerin gegen das Mindestlohngesetz und die Sozialversicherungspflicht, die mit einem Bußgeld in Gesamthöhe von 65.362,50 Euro geahndet worden seien, wögen bei dieser Abwägung schwer. In Bezug auf das Bußgeld sei zu erwähnen, dass dieses wegen der Corona-Pandemie erheblich zu Gunsten der Antragstellerin gemindert worden sei. Weiterhin liege kein Nachweis über Ausgleichszahlungen an Herrn K. … vor, der die Einsichtigkeit der Antragstellerin unterstreichen würde. Wegen des Vorliegens des schwerwiegenden Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG sei der zwingende Ausweisungstatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG erfüllt. Durch die ausweisungsrechtlich relevanten Verstöße gegen Rechtsvorschriften des Mindestlohngesetzes und des Strafgesetzbuches bestehe eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Zwar könne von einer Wiederholungsgefahr und damit von einer Ausweisung aus Gründen der Spezialprävention abgesehen werden, es bestehe jedoch die Gefahr fehlender Abschreckung, so dass aus Gründen der Generalprävention auszuweisen sei. Das Verhalten der Antragstellerin erfordere eine ausländerrechtliche Reaktion, um negative Vorbildfunktion und Verfestigung zu vermeiden. Das schwerwiegende Ausweisungsinteresse sei mit den Bleibeinteressen der Antragstellerin abzuwägen. Soweit die Antragstellerin sich im vorangegangenen Schriftverkehr darauf berufe, sich bereits seit fünf Jahren in der Bundesrepublik Deutschland aufzuhalten, lägen die Voraussetzungen für ein Bleiberecht aus Art. 8 EMRK als sog. faktische Inländerin nicht vor, weil das dafür geforderte Hineinwachsen in die hiesigen Verhältnisse, die Verwurzelung mit gleichzeitiger Entfremdung vom Heimatland und dadurch irreversible Integration in Deutschland bei der Antragstellerin insbesondere angesichts dessen, dass die Antragstellerin eine Ausbildung als Ärztin in Vietnam abgeschlossen habe, nicht vorlägen. Für den Antragsteller zu 2), der in Vietnam ebenfalls als Arzt praktiziert habe und die beiden ältesten Kinder der Antragstellerin (die Antragsteller zu 3) und 4)), sei es ebenfalls nach vier Jahren Aufenthalt in Deutschland ohne unzumutbare Härte möglich, in ihr Heimatland zurückzukehren und sich in die dortigen Lebensverhältnisse einzufügen. Die Erkrankung des ältesten Sohnes am Asperger-Syndrom und weiteren Erkrankungen und Störungen stellten kein besonders schwerwiegendes Bleibeintresse dar, da in Vietnam eine flächendeckende medizinische Grundversorgung gewährleistet sei. Auch lägen die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG nicht vor, weil diese Krankheiten keine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben darstellten, was eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung voraussetze, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde. Insbesondere sei es zwei vietnamesischen Ärzten zumutbar, in Kenntnis der medizinischen Versorgung in Vietnam entsprechende Behandlungsmöglichkeiten für ihren Sohn ausfindig zu machen und diese effektiv zu nutzen. Auch, dass die beiden jüngsten Kinder der Antragstellerin (die Antragstellerinnen zu 5) und 6)) nach den Angaben der Antragstellerin die Kindertagesstätte besuchten und sich dort sehr gut eingewöhnt hätten, stelle kein schwerwiegendes Bleibeinteresse im Sinne von § 55 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG dar. Zum einen werde das Kindswohl nicht im Sinne der Norm beeinträchtigt oder gefährdet, wenn wegen Ablehnung der Aufenthaltserlaubnisse die familiäre Bindung aufrecht erhalten bleibe. Zum anderen bestehe für die Antragstellerinnen zu 5) und 6) als Kleinkinder keine große Hürde, sich in Vietnam zügig einzugewöhnen. Besonders schwerwiegende Bleibeinteressen seien nicht vorgebracht worden. In der Abwägung überwiege daher das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse der Antragstellerin. Zur Gewichtung des Ausweisungsinteresses wird zusätzlich ausgeführt, dass der kurze Zeitraum zwischen Anmeldung des Gewerbes und Beginn der Verstöße gegen Rechtsvorschriften auf eine kriminelle Energie im Zusammenhang mit dem Unternehmen der Antragstellerin schließen lasse. Das Landratsamt A. … teile die Ansicht, dass eine Wiederholungsgefahr nicht drohe oder in Zukunft nicht anderweitig gegen Rechtsvorschriften verstoßen werde, nicht. Zwar sei das Ermittlungsverfahren gegen die Antragstellerin wegen Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt und Vorenthaltens oder Veruntreuens von Arbeitsentgelt nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden. Es finde dennoch Gewichtung in der Abwägung der Ausweisungs- und Bleibeinteressen, weil dafür keine rechtskräftige Verurteilung nötig sei. Zudem sei „keine Einstellung nach § 153 StPO (erwiesene Unschuld)“ erfolgt.
13
Gegen diesen Bescheid ließen die Antragsteller am 20.10.2023 Klage zum Verwaltungsgericht Bayreuth erheben mit den Anträgen in der Hauptsache, den Bescheid des Antragsgegners vom 19.9.2023, zugestellt am 26.9.2023, aufzuheben (Ziffer I) und den Antragsgegner zu verpflichten, den Antragstellern einen Aufenthaltstitel zu erteilen bzw. zu verlängern, hilfsweise eine neue Entscheidung unter Beachtung der Auffassung des Gerichts zu treffen (Ziffer II). Dieses Verfahren wird unter dem Aktenzeichen B 6 K 23.859 geführt.
14
Weiter haben die Antragsteller mit dem Schriftsatz vom 20.10.2023 beantragen lassen,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Teile des streitgegenständlichen Bescheids des Beklagten und Antragsgegners, bei dem die Klage keine aufschiebende Wirkung hat, anzuordnen bzw. wiederherzustellen.
15
Darüber hinaus haben die Antragsteller ebenfalls mit dem Schriftsatz vom 20.10.2023 beantragen lassen,
ihnen Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Unterfertigten zu bewilligen.
16
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt: Die strafrechtlichen Verstöße der Antragstellerin und der ergangene Bußgeldbescheid könnten nicht dazu führen, dass von einem schwerwiegenden Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG gesprochen werden könne. Die Regelung in § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG müsse im Hinblick auf die Regelungen in den Nrn. 1- 4 gewertet werden. Die strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gegen die Antragstellerin seien eingestellt worden. Die Antragstellerin habe erst im Rahmen der Kontrolle des Zolles im Jahr 2020 erfahren, dass der von ihr eingestellte Koch mit einem falschen Visum in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sei. Die Antragstellerin habe aufgrund mangelnder Kenntnis zu geringe Löhne an ihren Koch ausbezahlt. Aus dem Bußgeldbescheid sei ersichtlich, dass die Antragstellerin sich nach Übernahme des Restaurants „M. …“ in A. … zu sehr auf die Verpächterin verlassen habe, ohne selbst genügend Erfahrungen zu haben um zu überblicken, was es bedeute, selbständig ein Restaurant zu führen und welche Verantwortungen auf ihr lasteten. Dies sei sicher ein Fehler der Antragstellerin gewesen, sie habe diesen jedoch eingesehen, so dass auch im Bußgeldbescheid selbst ausgeführt werde, dass sich die Antragstellerin einsichtig zeige, aktiv an der Aufklärung des Sachverhalts mitgewirkt habe und dass aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse keine Wiederholungsgefahr bestehe. Der Einspruch gegen den Bußgeldbescheid sei damit begründet worden, dass die Arbeitstage im Jahr 2019 und 2020 im Bußgeldbescheid falsch berechnet, also viel zu hoch angesetzt worden seien. Dies hätte zur Folge gehabt, dass auch das Bußgeld hätte verringert werden müssen. Die Ausländerbehörde beim Landratsamt A. … habe ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine Entscheidung bezüglich des neuen Antrags auf Änderung der Nebenbestimmung zum Betrieb des Restaurants in S. … erst dann erfolgen würde, wenn das Bußgeldverfahren rechtskräftig abgeschlossen sei. Nachdem der Einspruch über drei Monate anhängig gewesen sei und es nicht abzusehen gewesen sei, bis wann in diesem Verfahren eine Entscheidung ergehen würde, wurde der Einspruch letztendlich wieder zurückgenommen. Der Bürgermeister von S. … habe sich selbst dafür eingesetzt, dass die Antragsteller ihr Asia Restaurant in S. … würden betreiben können. In einem Telefonat des Bürgermeisters mit der Ausländerbehörde sei gegenüber diesem wohl der Eindruck erweckt worden, dass nach rechtskräftigem Abschluss des Ordnungswidrigkeitsverfahrens eine Änderung der Nebenbestimmung der Aufenthaltserlaubnis der Antragstellerin möglich wäre und so der Betrieb des Restaurants in S. … möglich sei. Dies habe der Bürgermeister auch der Antragstellerin mitgeteilt, die sich daraufhin entschieden habe, den Einspruch zurückzunehmen. Hinsichtlich des Antrags auf Wechsel des Aufenthaltszwecks sei nicht entschieden worden. Das für Gaststättenerlaubnisse zuständige Ordnungsamt habe beabsichtigt, der Antragstellerin eine gaststättenrechtliche Erlaubnis zu erteilen, obwohl dieses mehrmals auf den Bußgeldbescheid hingewiesen worden sei. Es sei zudem nicht richtig, dass keine Ausgleichszahlungen an den Koch Herrn K. … geleistet worden seien. Die Antragstellerin habe in ihrem Urlaub in Vietnam die Ausgleichszahlungen an die Familie des Kochs ausbezahlt, da ein direkter Kontakt zu diesem wegen seines illegalen Aufenthalts in Deutschland nicht mehr bestanden habe. Hierzu wird auf eine vorgelegte Bestätigung verwiesen. Des Weiteren sei das wirtschaftliche Interesse und das regionale Bedürfnis an dem Betrieb des Gewerbes der Antragstellerin in S. … nicht ausreichend berücksichtigt worden. Eine Ausweisung aus Gründen der Generalprävention sei in keiner Weise gerechtfertigt, weil nicht ersichtlich sei, wer durch die Ausweisung der Antragstellerin abgeschreckt werden sollte.
17
Es bestehe ein Bleibeinteresse. Die Antragstellerin und der Antragsteller zu 2) seien beide in Vietnam ausgebildete Fachärzte. Beide Elternteile hätten die Absicht, ihren Beruf auch in Deutschland wieder auszuüben. Es sei in keiner Weise berücksichtigt worden, welche Auswirkungen die Ausweisung für die Familie der Antragstellerin, die Antragsteller zu 2) bis 6) habe. Die Antragstellerin habe bereits bei der Einreise als weiteren Zweck angegeben, dass sie nach Deutschland kommen wolle, damit ihr autistisch veranlagtes Kind besser versorgt und gefördert werde. Die Antragstellerin und ihr Mann seien Ärzte und hätten gerade in der Bundesrepublik Deutschland die besten Fördermöglichkeiten gesehen. Der Antragsteller zu 3) habe nun die Möglichkeit, ab September 2023 ein Jahr lang eine Berufsvorbereitung in … zu absolvieren. Eine mit den Bildungswerken in … vergleichbare Institution gebe es in Vietnam nicht. Es wird auf vorgelegte Unterlagen verwiesen, unter anderem auf ein Attest einer Fachärztin für Kinder und Jugendpsychiatrie vom 13.7.2023, in dem die Ärztin davon ausgeht, dass die vom Antragsteller zu 3) benötigte Förderung in Vietnam nicht möglich sei, was dazu führe, dass dort eine erhebliche Verschlechterung seines Krankheitsbildes drohe. Auch auf die schulische und kulturelle Integration der Antragsteller zu 4) bis 6) wird verwiesen. Bei der Gesamtabwägung des Ausweisungsinteresses der Behörde und der Bleibeinteressen der Antragsteller müsse man zu der Überzeugung gelangen, dass die Bleibeinteressen in diesem Falle bei weitem überwögen.
18
Der Antragsgegner beantragte mit Schriftsatz vom 29.11.2023, den Antrag auf Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage als unbegründet abzulehnen.
19
Es wird im Wesentlichen ausgeführt: Die Erkenntnisse des Hauptzollamtes seien bei der ausländerrechtlichen Betrachtung des Sachverhalts berücksichtigt, jedoch eine differenzierte Schlussfolgerung gezogen worden. Der Antragstellerin sei es zumutbar gewesen, sich zumindest zu erkundigen, wie hoch der Mindestlohn in Deutschland sei beziehungsweise welche arbeits- und aufenthaltsrechtlichen Regelungen wichtig seien. Die Höhe des zu wenig gezahlten Bruttolohnes spiele hierbei eine entscheidende Rolle. Bei einer Arbeitszeit von zehn Stunden pro Tag bei sechs Tagen in der Woche sei lediglich ein Monatslohn von 1.000,00 Euro und seit April 2020 von 1.500,00 Euro entrichtet worden. Es bedürfe keiner speziellen betriebswirtschaftlichen Ausbildung oder langjährigen Erfahrung in der selbständigen Erwerbstätigkeit, um im Voraus zu wissen, dass die gezahlten Monatslöhne die geleistete Arbeitszeit entlohnten. Diese Handlung lediglich als Fehler zu bezeichnen, aus dem keine Wiederholungsgefahr erkannt werden könne, sei untertrieben und werde in keinster Weise geteilt. Zu dem vermeintlichen Telefonat des Bürgermeisters der Gemeinde S. … mit der Ausländerbehörde des Landratsamts A. … könne keine konkrete Aussage getroffen werden, weil hierüber kein Aktenvermerk bestehe, weshalb davon auszugehen sei, dass das Telefonat mit den vorgetragenen Aussagen nicht geführt worden sei. Bei der für die Frage der Ausweisung vorgenommenen Abwägung seien die Dauer des Aufenthalts der Antragstellerin, deren Bindungen im Bundesgebiet sowie im Herkunftsstaat und die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige, insbesondere die medizinischen Bedürfnisse des Antragstellers zu 3) berücksichtigt worden. Die Antragstellerin habe sich knapp 40 Jahre im Herkunftsstaat aufgehalten, jedoch nur 4,5 Jahre in Deutschland. Dies sei vergleichsweise wenig. Zudem habe bislang keine irreversible Integration stattgefunden.
20
Die Anträge auf Prozesskostenhilfe wurden mit Schriftsatz vom 2.1.2024 zurückgenommen.
21
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird ergänzend auf die Gerichts- und Behördenakte Bezug genommen.
II.
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Die Anträge auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klagen vom 20.10.2023 sind zulässig, jedoch nur teilweise begründet.
23
1. Die Anträge sind zulässig.
24
a) Die Klagen gegen die Ablehnung der Aufenthaltserlaubnisse (Ziffer 1 des Bescheides vom 19.9.2023) betreffend kann vorläufiger Rechtsschutz über einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO ersucht werden. Die Anträge auf Verlängerung der Aufenthaltstitel, die im April 2023 bei der zuständigen Ausländerbehörde eingegangen sind, wurden rechtzeitig gestellt, bevor die Geltungsdauer der bisherigen Aufenthaltstitel am 7.5.2022 auslief und haben damit eine Fortgeltungsfiktion gemäß § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG ausgelöst. Diese Begünstigung ist durch die ablehnende Entscheidung im Bescheid vom 19.9.2023 entfallen und die Klagen haben gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 AufenthG keine aufschiebende Wirkung (zur Statthaftigkeit eines Antrages gemäß § 80 Abs. 5 VwGO vgl. statt vieler Kluth in Kluth/Heusch, BeckOKAuslR, Stand 1.10.2023, § 81 AufenthG Rn. 48 m. w. N.).
25
b) Auch soweit sich die Klagen gegen die Anordnung und Befristung von Einreise- und Aufenthaltsverboten richten, sind sie statthaft. Die Antragstellerin wird in Ziffer 2 des Bescheides „für eine Dauer von drei Jahren ausgewiesen“. Die darin ausgesprochene Befristung ist als konstitutiver Erlass eines Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 AufenthG, das auf drei Jahre befristet wurde, auszulegen. Der dritte Satz in Ziffer 4 des Bescheids, „[i]m Falle einer Abschiebung wirkt eine Wiedereinreisesperre von drei Jahren“, ist ebenfalls als konstitutiver Erlass eines Einreise- und Aufenthaltsverbots für den Fall der Abschiebung auszulegen, das auf drei Jahre befristet wurde (§ 11 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 AufenthG). Bei objektiver Betrachtung setzt die Behörde mit der Befristung ein wirksames, rechtmäßig entstandenes Einreiseverbot voraus. Aus diesem Grund lässt die Befristungsentscheidung nur die Deutung zu, dass die Behörde ein Einreiseverbot auch im Einzelfall für die Dauer der Frist will, so dass sie es zumindest konkludent für den Fall, dass es nicht schon kraft Gesetzes angeordnet ist, selbst festsetzt (BVerwG, U. v. 21.8.2018 – 1 C 21/17 – juris Rn. 25). Die Anträge auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO sind statthaft, weil die Klagen gegen die Anordnung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 AufenthG keine aufschiebende Wirkung entfalten. Trotz des missverständlichen Gesetzeswortlauts („Befristung“) entfällt aufgrund von § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 AufenthG die aufschiebende Wirkung der Klage sowohl hinsichtlich der Anordnung als auch hinsichtlich der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, weil es sich insoweit um einen einheitlichen, nicht teilbaren Verwaltungsakt handelt (VGH BW, B. v. 13.11.2019 – 11 S 2996/19 – BeckRS 2019, 29732 Rn. 39 ff.; vgl. auch BVerwG, U. v. 7.9.2021 – 1 C 47/20 – NVwZ 2021, 1842 Rn. 10).
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c) Schließlich sind die Anträge auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO statthaft, soweit sich die Klagen gegen die Abschiebungsandrohung (Ziffer 4 des Bescheides vom 19.9.2023) richten, weil diese gemäß § 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO, Art. 21a Satz 1, Art. 29 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4, Art. 34 Satz 1, Art. 36 Abs. 1 Satz 1 VwZVG keine aufschiebende Wirkung haben.
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2. Die Anträge sind nur in Bezug auf die in Ziffer 2 und Ziffer 4 Satz 3 des Bescheids vom 19.9.2023 erlassenen auf drei Jahre befristeten Einreise- und Aufenthaltsverbote begründet. Im Übrigen sind sie unbegründet.
28
Im Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO entscheidet das Gericht auf Grundlage einer eigenen Abwägung des nach der Wertung des Gesetzgebers grundsätzlich gegebenen öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehung des Bescheides und des Interesses des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung der Klage. Wesentliches Element dieser Interessenabwägung ist die Beurteilung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache, die dem Charakter des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens entsprechend nur auf der Grundlage einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage erfolgen kann (st. Rspr. vgl. nur BVerwG, B. v. 16.9.2014 – 7 VR 1/14 – NVwZ 2015, 82 Rn. 10). Wird die Klage offensichtlich erfolglos bleiben, weil der angegriffene Verwaltungsakt offensichtlich rechtmäßig ist und/oder keine Rechte des Antragstellers verletzt, wird der Antrag abgelehnt (Külpmann in Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 7. Aufl. 2017, Rn. 970 m. w. N.). Der Antrag hat hingegen Erfolg, wenn die Klage offensichtlich Erfolg haben wird, weil der angegriffene Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist und der Antragsteller dadurch in seinen Rechten verletzt ist, weil dann kein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts bestehen kann oder wenn das private Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung das öffentliche Vollzugsinteresse aus anderen Gründen überwiegt.
29
An diesen Grundsätzen gemessen fällt die im Rahmen des § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung mit Ausnahme der in Ziffer 2 und in Ziffer 4 Satz 3 des streitgegenständlichen Bescheids geregelten Einreise- und Aufenthaltsverbote zu Lasten der Antragsteller aus. Eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsacheklagen ergibt, dass diese nach der zum Entscheidungszeitpunkt bestehenden Sachlage voraussichtlich nur hinsichtlich der in Ziffer 2 und in Ziffer 4 Satz 3 des Bescheids geregelten Einreise- und Aufenthaltsverbote Erfolg haben werden; im Übrigen erweist sich der Bescheid nach summarischer Prüfung als rechtmäßig und verletzt die Antragsteller nicht in ihren Rechten.
30
a) Dem Erfolg der Klage der Antragstellerin auf Verpflichtung des Antragsgegners zur Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis sowie der hilfsweise erhobenen Klage auf Verpflichtung des Antragsgegners, ihren Antrag unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden, steht nach § 11 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. Satz 1 AufenthG bereits die Sperrwirkung des in Ziffer 2 des Bescheides angeordneten Einreise- und Aufenthaltsverbotes entgegen.
31
aa) Die Titelerteilungssperre ist unmittelbare Folge des Einreise- und Aufenthaltsverbots. Der Eintritt der Titelerteilungssperre setzt allein den wirksamen Erlass des Einreise- und Aufenthaltsverbots voraus, was vorliegend der Fall ist. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot muss weder bestandskräftig, noch sofort vollziehbar sein. Die Sperrwirkung würde auch nicht entfallen, wenn – wie im vorliegenden Fall beantragt – die aufschiebende Wirkung der Klage gegen das Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet wird. Dies ergibt sich zwar nach der seit dem 21.8.2019 geltenden Fassung des § 11 AufenthG nicht mehr unmittelbar aus der in § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG enthaltenen Klarstellung, nach welcher die Wirksamkeit einer Ausweisung oder eines sonstigen Verwaltungsaktes, der die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beendet, von der aufschiebenden Wirkung einer Klage unberührt bleibt. Jedoch ließe die aufschiebende Wirkung der Klage auch die Wirksamkeit des Einreise- und Aufenthaltsverbots unberührt und hinderte nur seine Vollziehung (vgl. nur m. vielen N. auch zur Rsp. Gersdorf in Posser/Wolff/Decker, BeckOK VwGO, Stand 1.10.2023, § 80 Rn. 25). Dennoch kann es mit Blick auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG erforderlich sein, im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auch die Rechtmäßigkeit des Einreise- und Aufenthaltsverbots gerichtlich zu kontrollieren. Dies war unter der bisherigen Rechtslage in Bezug auf die Ausweisung anerkannt, welche die Titelerteilungssperre unmittelbar auslöste. An einem solchen Erfordernis der inzidenten Kontrolle des auslösenden Verwaltungsakts hat sich infolge der Neufassung des § 11 AufenthG nichts dadurch geändert, dass die Titelerteilungssperre nun nicht mehr unmittelbar aus der Ausweisung, sondern aus dem nach § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG zwingend mit der Ausweisung zu erlassenden Einreise- und Aufenthaltsverbot folgt. Da der Erlass des Einreise- und Aufenthaltsverbots seinerseits wiederum allein den Erlass einer wirksamen Ausweisung erfordert, die ihrerseits weder bestandskräftig noch vollziehbar sein muss, kann im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen die Ablehnung eines Aufenthaltstitels die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der Ausweisung nach wie vor nicht unberücksichtigt bleiben. Die Ausweisung bleibt auch nach der Neuregelung der eigentliche Grund für die Titelerteilungssperre und die intendierte Aufenthaltsbeendigung. Dagegen fordert das Gebot effektiven Rechtsschutzes im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht, bei der gerichtlichen Kontrolle der Versagung der Aufenthaltserlaubnis die Rechtmäßigkeit des Einreise- und Aufenthaltsverbots auch im Übrigen umfassend zu berücksichtigen. Insbesondere muss die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen die Ablehnung eines Antrags auf Verlängerung eines Aufenthaltstitels nicht angeordnet werden, wenn das Einreise- und Aufenthaltsverbot nur deshalb rechtswidrig ist, weil es fehlerhaft befristet worden ist, die Ausweisung aber rechtmäßig ist (vgl. zum Ganzen: VGH BW, B. v. 31.1.2020 – 11 S 3477/19 – juris Rn. 16 ff.; VG München, B. v. 20.3.2023 – M 12 S 23.622 – juris Rn. 40 ff.).
32
bb) Die danach erforderliche summarische Inzidentprüfung der Ausweisung ergibt, dass diese voraussichtlich rechtmäßig ist. Daraus folgt, dass auch das Einreise- und Aufenthaltsverbot, soweit es auf Grundlage der Ausweisung erlassen wurde, voraussichtlich rechtmäßig ist. Daher besteht kein Grund, die Sperrwirkung des wirksam erlassenen Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Versagung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zu durchbrechen.
33
(1) Gemäß § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.
34
§§ 54 und 55 AufenthG konkretisieren den in § 53 Abs. 1 AufenthG geregelten Grundtatbestand, indem sie, nicht abschließend, einzelnen in die Abwägung einzustellenden Ausweisungs- und Bleibeinteressen von vornherein ein spezifisches, bei der Abwägung zu berücksichtigendes Gewicht beimessen, jeweils qualifiziert als entweder „besonders schwerwiegend“ (Abs. 1) oder als „schwerwiegend“ (Abs. 2). Auch wenn der Tatbestand eines besonderen Ausweisungsinteresses nach § 54 AufenthG verwirklicht ist, ist bei einer auf spezialpräventive Gründe gestützten Ausweisung stets festzustellen, ob die von dem Ausländer ausgehende Gefahr im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt fortbesteht. Darüber hinaus können auch generalpräventive Gründe ein Ausweisungsinteresse begründen. Denn nicht nur das persönliche Verhalten eines Ausländers kann eine Gefahr darstellen, sondern nach dem Wortlaut von § 53 Abs. 1 AufenthG kann auch bereits der weitere Aufenthalt als solcher eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit bewirken (BVerwG, U. v. 9.5.2019 – 1 C 21.18 – BVerwGE 165, 331 = InfAuslR 2019, 381 Rn. 17). Bei der Abwägung zwischen den Ausweisungs- und den Bleibeinteressen, einer gebundenen und deshalb gerichtlich voll überprüfbaren Entscheidung auf der Tatbestandsseite, sind die in § 53 Abs. 2 AufenthG ebenfalls nicht abschließend aufgezählten Umstände und das Ausweisungs- bzw. Bleibeinteresse gemäß §§ 54 und 55 AufenthG nach ihrem spezifischen Gewicht zu berücksichtigen (grundlegend zur spezialpräventiven Ausweisung BVerwG, U. v. 22.2.2017 – 1 C 3/16 – BVerwGE 157, 325 = NVwZ 2017, 1883, jew. Rn. 20 -26; grundlegend zur generalpräventiven Ausweisung BVerwG, U. v. 9.5.2019 – 1 C 21.18 – BVerwGE 165, 331 = InfAuslR 2019, 381 Rn. 17).
35
(2) Bezüglich der Antragstellerin liegt ein nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG schwerwiegendes Ausweisungsinteresse vor.
36
Zum Anlass für die Ausweisungsverfügung hat der Antragsgegner genommen, dass die Antragstellerin gegen Rechtsvorschriften des Mindestlohngesetzes verstoßen hat und deswegen gegen die Antragstellerin mit Bescheid des Hauptzollamtes … eine Geldbuße verhängt wurde. Zudem stützt sich der Antragsgegner auf Verstöße gegen die Sozialversicherungspflichten und die Verwirklichung von Straftatbeständen.
37
Gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG wiegt das Ausweisungsinteresse schwer, wenn der Ausländer einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder behördliche Verfügungen begangen hat. Die Zuwiderhandlung muss dabei nur rechtswidrig sein. Ein Verschulden oder eine Ahndung des Verstoßes sind nicht erforderlich. Um einen Verstoß als nicht geringfügig einzustufen, sind die Umstände des Einzelfalls unter besonderer Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit umfassend abzuwägen.
38
Nach diesen Maßstäben liegt hinsichtlich der Antragstellerin ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse vor, weil sie arbeitsrechtliche Normen vorsätzlich verletzt hat. Bei den im Bußgeldbescheid festgestellten vorsätzlichen Verstößen gegen das Mindestlohngesetz handelt es sich um ganz erhebliche Verstöße. Das schwere Gewicht der Verstöße zeigt sich auch an der deswegen verhängten Geldbuße in Höhe von insgesamt 62.250,00 Euro, wobei bei der Bemessung der Bußgeldhöhe ermäßigend berücksichtigt wurde, dass der Betrieb der Antragstellerin zur Gastronomiebranche gehört und deswegen durch die Corona-Pandemie erheblich geschädigt wurde. Dies ändert aber nichts am Gewicht der Verstöße an sich. Soweit der Antragsgegner auf eine Geldbuße von 65.362,50 Euro abstellt, kann dem nicht gefolgt werden, da es sich bei den übrigen festgelegten 3.112,50 Euro um Verfahrensgebühren handelt. Die Differenz ist jedoch für die Gewichtung des Ausweisungsinteresses nahezu unerheblich. Soweit die Antragstellerin geltend macht, die im Bußgeldbescheid festgestellte Anzahl von Arbeitstagen, die wegen der daraus resultierenden Anzahl von zu wenig entlohnten Stunden der Geldbuße zugrunde gelegt wurde, sei falsch berechnet worden und die Geldbuße hätte deswegen wesentlich geringer angesetzt werden müssen, ist dieses Vorbringen zu unsubstantiiert, um eine erhebliche Abweichung glaubhaft zu machen. Die Antragstellerin hat jedenfalls im Zeitraum von April 2019 bis September 2019, also ein halbes Jahr lang, einem Koch für seine Arbeitsleistung von sechs Tagen pro Woche à neun Stunden Arbeitszeit lediglich einen Lohn in bar von 1.000,00 Euro gezahlt. Denselben Koch hat sie dann erneut ab Dezember 2019 bis September 2020 für fast ein weiteres Jahr beschäftigt und für das gleiche Arbeitspensum wieder nur 1.000,00 bzw. 1.500,00 Euro bar gezahlt. Auch wenn hier einige Arbeitstage zu viel oder zu wenig berechnet worden sein sollten, fiele dies – soweit ohne konkreten Vortrag der Antragstellerseite ersichtlich – nicht so stark ins Gewicht, dass die Schwere des Verstoßes erheblich anders zu bewerten wäre.
39
Soweit die Antragstellerin geltend macht, sie habe entgegen der Auffassung des Antragsgegners eine Ausgleichszahlung des zu wenig entrichteten Arbeitslohnes an die Familie ihres damaligen Arbeitnehmers gezahlt, reichen der Vortrag und die vorgelegten Unterlagen schon nicht aus, um dies glaubhaft zu machen. Zunächst sind die vorgelegten Kopien – selbst wenn sie im Original vorlägen – nicht geeignet, die Abgabe einer bestimmten Erklärung einer in Vietnam befindlichen Person zu belegen. Vorgelegt wurde die Kopie einer karierten Seite, die handschriftlich in vermutlich vietnamesischer Sprache beschrieben wurde. Dazu wurde die Kopie eines weiteren handschriftlichen Schreibens in deutscher Sprache, vermutlich die Übersetzung, eingereicht. Der Urheber der Übersetzung oder seine Qualifikation sind nicht erkennbar. Ein erkennbarer Bezug zum vermutlich übersetzten Dokument wird in dem Übersetzungsdokument nicht hergestellt. Ein laienhafter Vergleich der Texte legt nahe, dass die Übersetzung – wenn es eine ist – nicht vollständig ist. Mehrere grammatische Fehler deuten darauf hin, dass die Übersetzung nicht von einem professionellen Übersetzer erfolgt ist. Weiter genügte der Vortrag mit den vorgelegten Kopien auch dann nicht, wenn die Richtigkeit und Vollständigkeit der Übersetzung unterstellt würde. Die Ausgleichszahlungen sollen „an die Familie des Kochs geleistet“ worden sein, weil ein direkter Kontakt zu diesem nicht mehr bestanden habe, da dieser sich illegal in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten hatte und nach der Durchführung der Ermittlungen für die Antragstellerin nicht mehr erreichbar gewesen sei. Wer genau unter der „Familie des Kochs“ zu verstehen sein soll, wem konkret in welcher Weise ein Betrag von laut Bußgeldbescheid etwa 15.000 Euro überlassen worden sein soll, ist nicht dargelegt. Auch erscheint es widersprüchlich, dass die Zahlung an die Familie des Kochs erfolgt sein soll, weil dieser seit den Ermittlungsmaßnahmen für die Antragstellerin nicht mehr erreichbar gewesen sei, es aber möglich war, von diesem eine am 20.8.2022 in Vietnam ausgestellte Bestätigung über den Erhalt der Ausgleichszahlungen zu erhalten. In ihrem Bittschreiben an den Landrat Herrn … vom 6.10.2023 (Behördenakte Bl. 38 f.) gab die Antragstellerin noch an, die Ausgleichszahlung an Herrn K. … geleistet zu haben, ohne dessen Familie zu erwähnen. Auch insofern ist das Vorbringen der Antragstellerin inkonsistent. Die Übersetzung der Bestätigung lautet in ihrer Kernaussage:
„hiermit bestätigte ich mich, dass ich die Ausgleichszahlung von Frau …, … bekommen habe.“
40
Die pauschale Bestätigung mit dem exakten Wort „Ausgleichszahlung“ legt eher nahe, dass hier in Reaktion auf das im streitgegenständlichen Bescheid bemängelte Fehlen einer solchen, eine entsprechende Bestätigung erstellt wurde – sei es von Herrn K. … oder von einer anderen Person. Da die Antragstellerin nach ihrem Vortrag im verwaltungsgerichtlichen Verfahren seit der Durchführung der Ermittlungsmaßnahmen keinen Kontakt mehr zu ihrem ehemaligen Koch gehabt haben will, ist auch nicht plausibel, wie dieser in die Lage versetzt worden sein soll, die ihm nach deutschem Recht noch zustehende Forderung zu berechnen, um bestätigen zu können, dass er diesen Betrag (vollständig) erhalten hat. Wie die Antragstellerin im Urlaub über eine Summe von etwa 15.000 Euro verfügt hat, ist ebenfalls nicht vorgetragen, obwohl dies nahegelegen hätte. Schließlich wäre die Mitnahme oder ein Transfer eines so hohen Betrags aus der Bundesrepublik Deutschland heraus nach dem Außenwirtschaftsgesetz mit seiner dazugehörigen Außenwirtschaftsverordnung meldepflichtig gewesen. Nach alledem würde eine Ausgleichszahlung für die Bewertung des Ausmaßes des Verstoßes gegen Rechtsvorschriften keinen Unterschied machen, sondern allenfalls an anderer Stelle zu würdigen sein. Aus dem Bescheid der Deutschen Rentenversicherung vom 22.11.2021 ergibt sich weiter, dass die Antragstellerin ihren sozialversicherungsrechtlichen Pflichten nicht ausreichend nachgekommen ist, was ebenfalls einen Verstoß gegen Rechtsvorschriften darstellt.
41
Soweit der Antragsgegner darauf abstellt, auch Verstöße gegen die Straftatbestände des § 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG i. V. m. § 27 StGB (Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt) sowie des § 266a StGB (Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt) begründeten vorliegend ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse, kann dem nicht gefolgt werden. Insoweit zutreffend geht die Ausländerbehörde davon aus, dass für die Annahme eines Ausweisungsinteresses wegen Begehung eines Delikts keine rechtskräftige Verurteilung erforderlich ist, sondern lediglich, dass der Verstoß zweifelsfrei feststeht (BayVGH, B. v. 21.11.2022 – 19 ZB 22.1612 – juris Rn. 13; B. v. 20.10.2022 – 19 ZB 22.1211 – juris Rn. 17; B. v. 24.6.2019 – 10 ZB 19.990 – juris Rn. 6; Cziersky-Reis in Hofmann, Ausländerrecht, 3. Aufl. 2023, § 54 AufenthG Rn. 75; noch zu § 46 Nr. 2 AuslG BVerwG, U. v. 17.6.1998 – 1 C 27/96 – juris Rn. 30). Verwaltungsbehörden und Gerichte können die im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren und im strafgerichtlichen Verfahren gewonnenen Erkenntnisse und Beweismittel einer eigenständigen Überprüfung unterziehen (BayVGH, B. v. 20.10.2022 – 19 ZB 22.1211 – juris Rn. 17), auch kann die Verwaltungsbehörde hierfür eigene Ermittlungen anstellen (Katzer in Decker/Bader/Kothe, BeckOK MigR, Stand 15.10.2023, § 54 AufenthG Rn. 98). Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass die Ausländerbehörde entsprechende Ermittlungen gemacht oder überhaupt Feststellungen getroffen hat. Der Antragstellerin wird zur Begründung des Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG vielmehr ohne Weiteres zur Last gelegt, dass gegen sie wegen des Verdachts des Verstoßes gegen die vorgenannten Straftatbestände ermittelt wurde und dies damit begründet, dass eine rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung nicht erforderlich sei, sondern nur das zweifelsfreie Feststehen der Verstöße. Die Ermittlungen gegen die Antragstellerin wegen des Verdachts der Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt wurden nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Die Ausländerbehörde führt im streitgegenständlichen Bescheid hierzu aus, dass das Ermittlungsverfahren dennoch Gewichtung finde, weil „keine Einstellung nach § 153 Abs. 1 StPO (erwiesene Unschuld)“ erfolgt sei. Anhaltspunkte dafür, dass die Antragstellerin gewusst haben könnte, dass der von ihr beschäftigte Koch sich mit einem gefälschten kroatischen Aufenthaltstitel in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten hat, sind nicht ersichtlich. Die Tatsache, dass bei einer Durchsuchung bei der Verpächterin der Antragstellerin ein gefälschter Aufenthaltstitel des bei letzterer beschäftigten Kochs gefunden wurde und deswegen auch gegen sie ein Anfangsverdacht bestand, der die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen sie gerechtfertigt haben mag, genügt hierfür nicht. Die Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO legt vielmehr nahe, dass sich die Antragstellerin diesbezüglich nichts hat zu Schulden kommen lassen. Eine Einstellung „wegen erwiesener Unschuld“ kennt die Strafprozessordnung nicht. Die Ermittlungen wegen des Verdachts der Begehung einer Straftat i. S. d. § 266a StGB wurden nach § 153a StPO eingestellt. Auch diese Ermittlungen werden der Antragstellerin ohne Weiteres als entsprechender Verstoß angelastet. Welche der in § 266a StGB normierten Straftaten die Antragstellerin begangen haben soll, wird im angegriffenen Bescheid nicht ausgeführt. Verstöße gegen die Pflicht zur Zahlung des gesetzlichen Mindestlohnes mögen nahelegen, dass es auch zur Verwirklichung eines Straftatbestandes gekommen sein könnte, eine entsprechende Feststellung machen sie jedoch nicht entbehrlich. Die Annahme der Ausländerbehörde, das Ermittlungsverfahren sei gegen Zahlung einer „Geldstrafe“ eingestellt worden (Bescheid vom 19.9.2023 S. 3, Schriftsatz v. 29.11.2023 S. 2 und 5), bestätigt, dass auch hier davon ausgegangen wurde, es stehe bereits fest, dass die Antragstellerin sich strafbar gemacht habe. Dem steht jedoch entgegen, dass bei einer Einstellung nach § 153a StPO gerade nicht erwiesen ist, dass die Antragstellerin die Straftat begangen hat, derer sie verdächtigt wurde. Die Einstellung nach § 153a StPO setzt gerade keinen Nachweis der Tat voraus; auch aus der Zustimmung des Beschuldigten zur Einstellung nach § 153a StPO darf nicht auf die Verwirklichung des Straftatbestandes geschlossen werden (BVerfG, B. v. 16.1.1991 – 1 BvR 1326/90 – NJW 1991, 1530, 1531; VG München, B. v. 24.5.2007 – M 6a E 07.503 – juris Rn. 21).
42
(3) Die Ausweisung der Antragstellerin ist unter generalpräventiven Gesichtspunkten gerechtfertigt.
43
Die Ausweisung hat eine ordnungsrechtliche Zwecksetzung, die künftigen Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vorbeugen soll (OVG RhPf, U. v. 23.5.2017 – 7 A 11445/16 – juris Rn. 47 m. w. N.). Die für alle Ausweisungen geltende Grundnorm des § 53 Abs. 1 AufenthG geht davon aus, dass grundsätzlich ein Ausweisungsinteresse besteht, wenn von dem weiteren Aufenthalt des Ausländers eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Die Gefahr kann auch unter generalpräventiven Gesichtspunkten bejaht werden, wenn vom weiteren Aufenthalt eines ordnungsrechtlich auffälligen Ausländers eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht, weil im Fall des Unterbleibens einer ausländerrechtlichen Reaktion auf sein Fehlverhalten andere Ausländer nicht wirksam davon abgehalten werden, sich vergleichbar zu verhalten (vgl. jeweils im konkreten Fall in Bezug auf deliktisches Verhalten BVerwG, U. v. 12.7.2018 – 1 C 16/17 – NVwZ 2019, 486, 488; BayVGH U. v. 12.10.2020 – 10 B 20.1795 – juris Rn. 33). Hierzu bedarf es keiner Verurteilung wegen besonders schwerwiegender Delikte; erforderlich ist lediglich, dass die Ausweisung an Straftaten oder Verhaltensweisen anknüpft, bei denen sie nach allgemeiner Lebenserfahrung geeignet erscheint, andere Ausländer von Taten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten (BayVGH a. a. O.). Die Art und Schwere der Anlasstat sind darüber hinaus lediglich im Rahmen der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen (BayVGH a. a. O.).
44
An diesen Maßstäben gemessen rechtfertigt das schwerwiegende Ausweisungsinteresse die Ausweisung der Antragstellerin aus generalpräventiven Gründen. Es besteht ein erhebliches öffentliches Interesse daran, anderen Ausländern in einer vergleichbaren Situation vor Augen zu führen, dass eine Unternehmensführung unter illegalen Geschäftspraktiken im erheblichen Ausmaß aufenthaltsrechtliche Konsequenzen hat. Mit über 60.000,00 Euro hat die Geldbuße für die Verstöße der Antragstellerin gegen das Mindestlohngesetz die Grenze der Geringfügigkeit für die mögliche Verneinung eines schwerwiegenden Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG um ein Vielfaches überschritten. Betrachtet man auszugsweise alleine den ersten Beschäftigungszeitraum von Herrn K. … von April 2019 bis September 2019, berechnet sich bei Zugrundelegung einer Sechstagewoche bei neun Stunden Arbeitszeit pro Tag, dass die Antragstellerin ihrem Arbeitnehmer einen Stundenlohn von nur etwas über 4,00 Euro bar auf die Hand bezahlt hat, was objektiv Lohnwucher darstellt, auch wenn es vorliegend am subjektiven Tatbestand gefehlt haben mag, weil die Antragstellerin nicht feststellbar wusste, dass ihr Koch sich mit einem gefälschten Aufenthaltstitel in der Bundesrepublik Deutschland befand und dieser zudem noch von ihrer Verpächterin einbehalten wurde, was ihn – der mittels Schleppern nach Deutschland gekommen war – in eine erhebliche Zwangslage gebracht und vulnerabel für ausbeuterische Beschäftigung gemacht haben dürfte. Bei der Bemessung der Schwere des Verstoßes kann zudem – obgleich dies vorliegend nicht einmal erforderlich ist – berücksichtigt werden, dass die Geldbuße zu Gunsten der Antragstellerin erheblich gemindert wurde, weil sie geständig war, sich einsichtig gezeigt hat, an der Sachverhaltsaufklärung mitwirkte und angenommen wurde, ihr Unternehmen sei als Gastronomiebetrieb durch die Corona-Pandemie erheblich wirtschaftlich geschädigt worden. Das sind allerdings Aspekte der Zumessung der Sanktionshöhe, welche die Geldbuße im Vergleich zur für den Verstoß angebrachten Geldbuße ohne sanktionsmindernde Umstände verringern. Dadurch wird jedoch der Verstoß nicht weniger gewichtig. Auch gegen Vorschriften des Sozialversicherungsrechts und ausländerrechtliche Vorschriften in Bezug auf die Beschäftigung eines Ausländers hat die Antragstellerin verstoßen. Zu so massiven, wiederholten und langanhaltenden Verstößen konnte es bei der für die Antragstellerin günstigsten Sichtweise nur kommen, weil die Antragstellerin, die als Akademikerin mit einem erheblichen Vermögen zur Unternehmensgründung nach Deutschland gekommen ist, trotz ihrer Voraufenthalte im Jahr 2017 und 2018 mit aufwändiger Vorbereitung ihres Daueraufenthalts und entsprechender Kenntnis der Komplexität deutscher Regelungen, sich in über einem Jahr Unternehmensführung jeglicher Information über die geltenden Rechtsregeln versperrt hat und sich hier nicht einmal um Grundkenntnisse oder Beratung außerhalb der mit ihr im offensichtlichen Interessenkonflikt stehenden Verpächterin bemüht hat. Es muss ihr klar gewesen sein, dass es bei einem so niedrigen Lohn und ohne ordnungsgemäße Anzeige des Beschäftigungsverhältnisses nicht rechtmäßig zuging. Daher ist es gerechtfertigt, auch anderen Ausländern vor Augen zu führen, dass so gewichtige Rechtsverstöße nicht nur ordnungsrechtliche Konsequenzen zur Folge haben, sondern auch die Aufenthaltsbeendigung sowie ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nach sich ziehen können.
45
Jedes generalpräventive Ausweisungsinteresse verliert allerdings mit zunehmendem Zeitabstand an Bedeutung und kann ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr herangezogen werden. Eine generalpräventiv gestützte Ausweisung muss deshalb an ein Ausweisungsinteresse anknüpfen, das noch aktuell ist (BVerwG, U. v. 9.5.2019 – 1 C 21/18 – juris Rn. 18). Das generalpräventive Ausweisungsinteresse ist vorliegend hinreichend aktuell, da die Ausländerbehörde, sobald sie von dem Ermittlungsverfahren erfuhr, die weitere Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis aussetzte, nach Abschluss der Ermittlungsverfahren und eigener Ermittlungen sowie der erforderlichen Anstellung von Abwägungen die beantragte Aufenthaltserlaubnis ablehnte und die Antragstellerin auswies. Damit besteht ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen der Aufdeckung der Rechtsverstöße sowie ihrer ordnungsrechtlichen Ahndung und ihren aufenthaltsrechtlichen Konsequenzen.
46
(4) Als vertyptes schwerwiegendes Bleibeinteresse wirkt zugunsten der Antragstellerin lediglich § 55 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG, da die Belange und das Wohl ihrer Kinder bei der Ausweisungsentscheidung zu berücksichtigen sind. Die Vorschrift mit Auffangfunktion sichert die unabhängig von ihr bestehende Pflicht von Behörden und Gerichten, das Wohl und die sonstigen Belange von Kindern in jedem Einzelfall mit dem ihnen insbesondere auch unter Berücksichtigung der Wertungen der Art. 6 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK zukommenden Gewicht zu berücksichtigen (vgl. BayVGH, B. v. 29.3.2021 – 10 B 18.943 – juris Rn. 65). Auch der Ehegatte und die Kinder der Antragstellerin sind vollziehbar ausreisepflichtig. Sie hatten stets nur eine Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug, eine Verlängerung oder Neuerteilung ihrer Aufenthaltserlaubnisse kommt daher nur in Betracht, wenn dies auch für die Antragstellerin erfolgt. Dem steht jedenfalls für eine Aufenthaltserlaubnis aus beruflichen Gründen unabhängig von der Ausweisung § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG entgegen, da nach obigen Darlegungen jedenfalls ein Ausweisungsinteresse besteht. Es ist daher zu erwarten, dass die Familie der Antragstellerin unabhängig von der Ausweisung gemeinsam nach Vietnam zurückkehrt. Eine längere räumliche Trennung eines oder mehrerer Mitglieder der Kernfamilie von den übrigen Mitgliedern als Folge der Ausweisung ist daher nicht zu erwarten. Besondere Schwierigkeiten für den Ehemann oder die Kinder im Falle der Rückkehr der Familie nach Vietnam, die eine gemeinsame Rückkehr in Zweifel stellen könnten, sind nicht dargelegt.
47
Auch wenn man entgegen den oben stehenden Ausführungen die Belange und das Wohl der Kinder der Antragstellerin im Hinblick auf die gemeinsame Rückkehr der Familie in das Heimatland berücksichtigt, obwohl auch ohne die Ausweisung für keinen der Antragsteller eine Perspektive auf einen Verbleib im Bundesgebiet besteht, ist für die Gewichtung dieser Interessen zu berücksichtigen, dass durch eine Rückkehr keine gravierenden Nachteile zu befürchten sind. Es ist nicht glaubhaft gemacht oder sonst ersichtlich, dass es zwei Fachärzten in Vietnam nicht möglich sein könnte, jedes ihrer Kinder angemessen medizinisch zu versorgen. Soweit die Antragstellerin geltend macht, eine vergleichbare Fördermöglichkeit für ihren ältesten und gesundheitlich durch Asperger-Syndrom und andere Störungen beeinträchtigten Sohn gäbe es in Vietnam nicht, ist diese Behauptung nicht hinreichend substantiiert. Auch das vorgelegte Attest vom 13.7.2023 (Behördenakte Bl. 130) enthält dies nur als nicht nachvollziehbare Behauptung. Der Antragsteller zu 4) hat ebenfalls den überwiegenden Teil seines Lebens in Vietnam verbracht. Es ist nicht ersichtlich, welche Schwierigkeiten ihm bei einer Rückkehr in sein Heimatland begegnen sollten. Die Antragstellerinnen zu 5) und 6) sind zwar im Bundesgebiet geboren, befinden sich mit zwei und fünf Jahren aber noch im Kindergartenalter. Auch hier ist nicht ersichtlich, welche Umstände einem normalen Leben im Heimatland entgegenstehen könnten. Der pauschale Hinweis der Kinderärzte (Behördenakte Bl. 203 f.) darauf, dass ein Wechsel des Kulturkreises und sozialen Umfeldes in ein für sie fremdes Land einen massiven Umbruch bedeute, der aus kinderärztlicher Sicht das Kindeswohl stark gefährde und mit Risiken psychischer Erkrankungen, akuter Belastungsstörungen oder Entwicklungsregressionen verbunden sei, entbehrt einer konkreten Grundlage. Die bisherige Familienhistorie zeigt, dass die Antragstellerin und ihr Ehemann grundsätzlich in der Lage sind, ihre Kinder sogar in einem viel höheren und damit sozial und kulturell stärker geprägten Alter erfolgreich bei der Eingewöhnung in ein neues Lebensumfeld zu unterstützen. Warum die Antragstellerinnen zu 5) und 6) in ihrem Heimatland dem Risiko somatischer Erkrankungen durch Hitze, Infektionen und eingeschränkte medizinische Versorgung ausgesetzt sein sollen, erschließt sich nicht. Die Kinder würden lediglich in das reguläre Umfeld ihres Heimatstaates übersiedeln. Die Eltern der Kinder sind Fachärzte. Für die Antragstellerinnen zu 5) und 6) besteht daher sogar ein besonders geringes Risiko, nicht ausreichend medizinisch versorgt zu werden.
48
(5) Die Abwägung des öffentlichen Interesses an der Ausreise der Antragstellerin mit dem privaten Interesse an ihrem weiteren Verbleib im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse überwiegt.
49
(a) Bei der Abwägung sind neben den oben bereits aufgeführten Gesichtspunkten insbesondere die Dauer des Aufenthalts der Antragstellerin, ihre persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat, die sonstigen Folgen der Ausweisung für ihre Familienangehörigen sowie die Tatsache, ob sie sich rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen (§ 53 Abs. 2 AufenthG).
50
Die 1980 geborene Antragstellerin hält sich seit Mai 2018 mit Aufenthaltserlaubnis in der Bundesrepublik Deutschland auf. Sie hat also 38 Jahre und damit den ganz überwiegenden Teil ihres Lebens in Vietnam verbracht. Sie hat dort Medizin studiert und wurde dort zusätzlich im Jahr 2008 im Fachgebiet der Geburtshilfe und Gynäkologie promoviert. Ihren Ehemann und ihre damals bereits geborenen ersten zwei Kinder ließ sie für ein knappes Jahr in Vietnam zurück, bis diese im Jahr 2019 nachzogen. Von einer tiefen persönlichen und kulturellen Verwurzelung in ihrem Heimatland ist daher auszugehen.
51
Dem steht ein nicht einmal fünf Jahre andauernder Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland gegenüber, in dessen Zeitraum sie versucht hat, ein Restaurant zu führen, obwohl sie dafür nach ihrem eigenen Vortrag und Angaben keinerlei Erfahrungen oder Fachwissen hat.
52
Es spricht nichts dagegen, dass die Antragstellerin in ihrem Heimatland wieder als Ärztin tätig werden kann. Es entspricht sogar dem mehrfach geäußerten Wunsch der Antragstellerin, wieder als Ärztin tätig zu sein, auch wenn dieser bislang auf eine Tätigkeit in Deutschland gerichtet war. Wie oben bereits ausgeführt, steht jedoch § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG einer Verlängerung oder Neuerteilung ihrer Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer beruflichen Tätigkeit entgegen. Aus diesem Grund dürften für die Antragstellerin in Vietnam sogar wesentlich bessere Voraussetzungen dafür bestehen, sich einen angemessenen Lebensunterhalt durch Arbeit zu erwirtschaften, als in Deutschland.
53
Auch wenn die Antragstellerin Kenntnisse der deutschen Sprache erworben hat, ist eine besondere Integration in die hiesigen Verhältnisse nicht ersichtlich. Hiergegen spricht auch, dass die Antragstellerin nach ihrem eigenen Vortrag an sechs Tagen pro Woche erst nach 22.30 Uhr nach Hause kam, nachdem sie an mindestens fünf Tagen pro Woche 13 Stunden abwesend war. So ist auch das Vorbringen der Antragstellerin gut nachvollziehbar, dass neben einer solchen über eine Vollzeitbeschäftigung weit hinausgehenden Tätigkeit und der Versorgung ihrer Kinder kein ausreichender Raum für die Verfolgung sonstiger Interessen blieb, weswegen es ihr auch bislang nicht möglich gewesen sei, ihren Wunsch nach einer späteren ärztlichen Tätigkeit nachhaltig zu verfolgen. Bei der Gesamtwürdigung des Vorbringens der Antragstellerin hat sie in Deutschland in einem überwiegend vietnamesisch geprägten Umfeld gelebt. Sie hat den Betrieb von einer Landsfrau gepachtet und sich von jener in die Betriebsführung nach deren Art einweisen lassen, vietnamesische Landsleute in ihrem asiatischen Restaurant beschäftigt, das Grundstück in S. …, das ihr in Vietnam lebender Bruder von in Deutschland lebenden Vietnamesen gekauft hat, (mit-)erworben und im Übrigen ein Leben geführt, in dem außer sonntags neben ihrer Tätigkeit fast nur noch Raum blieb, nachts bei ihrer Familie zuhause zu sein. Dieser Lebenszuschnitt spricht dagegen, dass die Antragstellerin sich in den wenigen Jahren ihres Aufenthalts besonders tief sozial oder kulturell mit ihrem Lebensumfeld in der Bundesrepublik Deutschland verwurzelt hat.
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Gewichtige persönliche Bindungen über ihren Ehemann und ihre Kinder hinaus sind nicht vorgetragen. Bezüglich dieser ist jedoch zu erwarten, dass sie mit der Antragstellerin nach Vietnam ausreisen werden. Das Miteigentum der Antragstellerin an einem bebauten Grundstück fällt bei der Abwägung nicht erheblich ins Gewicht, da das Grundeigentum auch wieder veräußert werden oder aus dem Ausland verwaltet werden kann.
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Die nach § 53 Abs. 1 und Abs. 2 vorzunehmende Abwägung der widerstreitenden Interessen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls ergibt, dass die privaten Bleibeinteressen der Antragstellerin einschließlich der Belange ihrer Kinder nicht so schwer wiegen, dass sie das schwerwiegende öffentliche Interesse an ihrer Ausreise zu überwiegen vermögen.
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(b) Da die Aufzählung in § 53 Abs. 2 AufenthG nicht abschließend ist, können auch Gründe nach § 60a Abs. 2 AufenthG, die einer Abschiebung entgegenstehen, z. B. die rechtliche Unmöglichkeit nach Abs. 2 Satz 1 einer Abschiebung Berücksichtigung finden. Gründe für eine Aussetzung der Abschiebung sind jedoch nicht ersichtlich.
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b) Die Klagen der Antragsteller zu 2) bis 6) auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnisse haben nach summarischer Prüfung ebenfalls keine Aussicht auf Erfolg.
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Die Antragsteller zu 2) bis 6) hatten nach ihrer Einreise beziehungsweise Geburt jeweils Erlaubnisse zum Aufenthalt aus familiären Gründen nach dem Grundsatz des Familiennachzugs (§ 27 AufenthG). Dementsprechend hatten der Antragsteller zu 2) eine Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug nach § 30 AufenthG, die Antragsteller zu 3) und 4) Aufenthaltserlaubnisse nach § 32 AufenthG zum Kindernachzug, die Antragstellerin zu 5) und 6) Aufenthaltserlaubnisse nach § 33 AufenthG wegen Geburt im Bundesgebiet und die Antragstellerin zu 5) zudem nachfolgend wie ihre Brüder eine Aufenthaltserlaubnis nach § 32 AufenthG. Mit dem Ablauf der Aufenthaltserlaubnis der Antragstellerin liegen die Voraussetzungen nach § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Buchst. e AufenthG (Antragsteller zu 2) und § 32 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG (Antragsteller zu 3) bis 6)) für die Erteilung beziehungsweise gemäß § 8 Abs. 1 AufenthG für die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnisse nicht vor.
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Ansprüche auf Aufenthaltserlaubnisse außerhalb des Familiennachzugs sind nicht ersichtlich und wurden auch nicht geltend gemacht.
60
c) In Bezug auf das in Ziffer 2 des Bescheids ausgesprochene und auf drei Jahre befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 AufenthG begegnet die behördliche Entscheidung hingegen nach summarischer Prüfung durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
61
Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Wie bereits oben dargelegt, ergibt die Auslegung der noch der seit dem 21.8.2019 nicht mehr gültigen Fassung des § 11 Abs. 1 AufenthG entsprechenden Formulierung, dass eine solche Regelung in Ziffer 2 des Bescheides enthalten ist. Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird gemäß § 11 Abs. 3 AufenthG nach Ermessen entschieden, wobei die Länge außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten darf. Nach Art. 40 BayVwVfG hat eine Behörde das ihr durch Gesetz eingeräumte Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Die gerichtliche Prüfung ist nach § 114 Satz 1 VwGO auf die Rechtmäßigkeitskontrolle der Ausübung beschränkt. Ein danach beachtlicher Ermessensfehler liegt vor, wenn die Behörde das ihr eingeräumte Ermessen nicht (erkennbar) betätigt. Dafür müssen die bei der Ermessensausübung angestellten Erwägungen grundsätzlich aus der Entscheidung erkennbar sein. Ist dagegen nicht ersichtlich, welche Gesichtspunkte für die Ermessensentscheidung maßgeblich gewesen sind, liegt ein Ermessensausfall vor (vgl. zum Ganzen BayVGH, B. v. 15.2.2019 – 8 CS 18.2364 – juris Rn. 29 m. etl. N.; U. v. 18.2.2013 – 10 B 10.1028 – juris Rn. 27). Vorliegend ist ein Ermessensausfall gegeben. Die Begründung des angefochtenen Bescheides lässt überhaupt keine Ermessensausübung oder auch nur Ansätze davon erkennen. Die Begründung des angefochtenen Bescheides enthält bezüglich der in Ziffer 2 des Bescheids enthaltenen Regelung nach § 11 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 AufenthG gar keine Ausführungen, nicht einmal die Nennung der Rechtsgrundlage. Angesichts des vollständigen Fehlens von Ermessenserwägungen scheidet eine Ergänzung durch die Ausgangsbehörde im gerichtlichen Verfahren nach § 114 Satz 2 VwGO aus (vgl. BayVGH, B. v. 13.9.2018 – 4 ZB 17.1387 – juris Rn. 15). Daher wird die Klage insoweit nach summarischer Prüfung voraussichtlich Erfolg haben und ist insoweit die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gerechtfertigt.
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d) In Bezug auf das in Ziffer 4 Satz 3 des Bescheids geregelte Einreise- und Aufenthaltsverbot für den Fall der Abschiebung nach § 11 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 AufenthG werden die Klagen nach summarischer Prüfung ebenfalls Erfolg haben.
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Auch hier liegt ein Ermessensausfall vor. Bezüglich dieser Einreise- und Aufenthaltsverbote enthält die Begründung des Bescheids zwar Ausführungen, diese beschränken sich jedoch auf folgenden Satz:
„Im Falle einer Abschiebung darf Ihnen für drei Jahre kein Aufenthaltstitel mehr für die Bundesrepublik Deutschland erteilt werden und es ist Ihnen untersagt in dieser Zeit wieder in den Geltungsbereich des Aufenthaltsgesetzes einzureisen und sich hier aufzuhalten (§ 84 Abs. 2 Satz 1, § 11 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AufenthG).“
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Nicht nur lässt diese Begründung jede Einbeziehung von Ermessensgesichtspunkten für und gegen die sechs Antragsteller vermissen. Auffällig ist auch, dass gerade § 11 Abs. 3 AufenthG, der die Ausübung des Ermessens anordnet, nicht mitzitiert ist. Dies verstärkt die Zweifel daran, dass der Antragsgegner sich bei Erlass des Verwaltungsaktes über das ihm eingeräumte Ermessen überhaupt bewusst war. Auch insoweit ist die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klagen gerechtfertigt.
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e) Die Klagen gegen die Abschiebungsandrohung werden aller Voraussicht nach ohne Erfolg bleiben.
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Gemäß § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist die Abschiebung unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen.
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aa) Angedroht darf die Abschiebung schon dann werden, wenn der Ausländer ausreisepflichtig ist, ohne dass die Ausreisepflicht bereits vollziehbar sein muss (OVG Bremen, U. v. 8.2.2023 – 2 LB 268/22 – InfAuslR 2023, 221 Rn. 64 f. m. w. N; Dollinger in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, § 59 AufenthG, Rn. 14).
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Besitzt ein Ausländer einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht oder nicht mehr, ist er gemäß § 50 Abs. 1 AufenthG zur Ausreise verpflichtet. Danach sind die Antragsteller sämtlich ausreisepflichtig. Die Aufenthaltserlaubnisse der Antragsteller sind am 7.5.2022, beziehungsweise – worauf es vorliegend nicht ankommt – bei der Antragstellerin zu 5) laut Ausländerzentralregister-Historie vom 14.12.2023 am 7.5.2019, abgelaufen. Soweit infolge der Anträge auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnisse eine Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG eingetreten ist, ist diese mit der ablehnenden Entscheidung im streitgegenständlichen Bescheid erloschen. Die erhobenen Klagen lassen diese Ausreisepflicht nach der Klarstellung in § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG unabhängig von der Frage der Anordnung der aufschiebenden Wirkung bestehen. Eine Fiktion nach § 81 Abs. 4 AufenthG würde auch nicht wieder aufleben.
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bb) Gemäß § 59 Abs. 2 Satz 1 AufenthG soll in der Abschiebungsandrohung der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll. Da die Antragsteller vietnamesische Staatsangehörige sind, hat der Antragsgegner zu Recht Vietnam als Zielstaat einer möglichen Abschiebung bestimmt.
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cc) Weiter sieht § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG vor, dass dem Ausländer in der Abschiebungsandrohung eine angemessene Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise zu bestimmen ist. Da in Ziffer 3 des Bescheids mit einer Ausreisefrist von 30 Tagen der volle Zeitraum ausgeschöpft wurde, sind Rechtsfehler zulasten der Antragsteller nicht ersichtlich.
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3. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1, § 39 Abs. 1 GKG i. V. m. Ziff. 8.1, 8.2, 1.1.1 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.