Titel:
Vorbescheid, Doppelhaus, Doppelhausrechtsprechung, Doppelhauscharakter, Drittschutz
Normenketten:
BayBO Art. 71
BauNVO § 22
Leitsatz:
Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
Schlagworte:
Vorbescheid, Doppelhaus, Doppelhausrechtsprechung, Doppelhauscharakter, Drittschutz
Fundstelle:
BeckRS 2024, 47359
Tenor
1. Der Vorbescheid der Beklagten vom 15. Februar 2024 (Az. …*) wird aufgehoben.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Die
Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Tatbestand
1
Die Kläger wenden sich gegen den Vorbescheid der Beklagten zur Aufstockung einer bestehenden Doppelhaushälfte durch die Beigeladene.
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Die Kläger sind Eigentümer des Grundstücks FlNr. …, Gemarkung …, auf welchem sich ein Wohngebäude befindet. Das Gebäude trägt die Anschrift … Die Kläger sind ausweislich der Gerichtsakte auch dort wohnhaft.
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An das Klägergrundstück grenzt im Süden unmittelbar das Grundstück der Beigeladenen FlNr. …, Gemarkung …, an. Auf dem Grundstück befindet sich ein Wohngebäude, welches mit dem Klägergebäude verbunden ist. Das Gebäude trägt die Anschrift … Für die Grundstücke gelten keine bauplanungsrechtlichen Festsetzungen. In der näheren Umgebung finden sich ein- und zweigeschossige Wohngebäude. Auf den dargestellten Lageplan wird verwiesen.
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Mit am 3. Juli 2023 bei der Beklagten eingegangenen, digitalen Formblättern beantragte die Beigeladene die Erteilung eines Vorbescheids für die „Aufstockung, Erweiterung und Umbau der best. Doppelhaushälfte in ein Zweifamilienwohnhaus“ auf dem Grundstück FlNr. … Im Vordruck wurde die Zeile „Im Vorbescheid soll über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens entschieden werden.“ angekreuzt. Zudem wurde eine Vorbescheidsfrage formuliert. Hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung wurden eine Grundfläche von 72,9 qm und eine Geschossfläche von 163,88 qm angegeben.
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Den digitalen Formblättern liegt ein Dokument vom 2. Juli 2023 bei, welches die Ansichten von Norden, Westen, Süden und Osten im Maßstab 1:100, einen Schnitt im Maßstab 1:100 sowie einen Abstandsflächenplan im Maßstab 1:200 umfasst (Blatt 34 der digitalen Behördenakte). Zudem finden sich Grundrisse für das Kellergeschoss, Erdgeschoss, Obergeschoss und Dachgeschoss, jeweils im Maßstab 1:100 (Blatt 35 der digitalen Behördenakte). Die Ansichten West und Ost sowie der Schnitt sehen eine Traufhöhe des Vorhabens von 6,05 Meter und eine Firsthöhe von 10,75 Metern vor. In der Ansicht Nord ist zudem das Gebäude der Kläger dargestellt. Nach dem Abstandsflächenplan sowie dem Grundriss Erdgeschoss bleibt die Grundfläche des Vorhabens im Erdgeschoss unverändert. Dem Abstandsflächenplan ist zudem zu entnehmen, dass das Vorhaben in seiner Ost-West-Ausdehnung weiterhin mit dem Klägeranwesen übereinstimmen und mit diesem eine Gebäudeflucht bilden soll.
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Ausweislich der Seite 3 und 4 der digitalen Behördenakte haben die Kläger die Zustimmung zu dem Bauvorhaben nicht erteilt. Ausweislich des digitalen Bauantragsformulars beantragte die Beigeladene von der Nachbarbeteiligung nach Art. 71 Satz 4 Halbsatz 2 BayBO abzusehen.
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Mit Stellungnahme vom 10. Juli 2023 erklärte das Stadtplanungsamt der Beklagten, dass das Vorhaben der Beigeladenen bauplanungsrechtlich zulässig sei. Das Vorhaben befinde sich im unbeplanten Innenbereich nach § 34 Abs. 1 BauGB und füge sich hinsichtlich seiner Geschossigkeit II+D in die Eigenart der näheren Umgebung ein, welche durch eine Geschossigkeit von I+D sowie II+D geprägt sei.
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Mit Datum vom 15. Februar 2024 erteilte die Beklagte der Beigeladenen den streitgegenständlichen Vorbescheid:
„Zu dem oben genannten Antrag ergeht zu der gestellten Frage:
Frage 1: Dürfen wir, wie die Nachbarn schräg gegenüber, um ein weiteres Vollgeschoss aufstocken? Die Abstandsflächen würde der Nachbar … übernehmen. Um das Gebäude in zwei gut funktionierende, separat zugängliche Wohnungen aufzuteilen, wird das von Nöten sein.
1. Das Vorhaben ist im Rahmen der gemäß Art. 71 BayBO gestellten Fragen nach Maßgabe der Bauvorlagen (…) zulässig, wenn in dem zu stellenden Bauantrag die angegebenen Punkte beachtet bzw. erledigt werden. Alle übrigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften wurden nicht geprüft. (…)“
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Auf die Begründung des Bescheids wird verwiesen.
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Mit am 21. März 2024 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz ließen die Kläger Klage mit dem Ziel erheben, den Vorbescheid aufzuheben.
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Der Vorbescheid sei rechtswidrig und verletze die Kläger in ihren Rechten. Es liege ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme vor, da das Vorhaben erdrückende Wirkung gegenüber den Klägern habe. Aus den vorgelegten Lichtbildern und dem genehmigten Schnitt werde deutlich, dass das bestehende Gebäude um ein Geschoss aufgestockt werden solle und die Bewohner des Vorhabens dann auf die Kläger herabblicken könnten. Hinzu komme, dass die Kläger durch das Vorhaben dazu verpflichtet werden würden, ihren Schornstein zu erhöhen, um die Nachbarn im errichten Obergeschoss nicht unzumutbar mit Abgasen zu belästigen. Nach allgemeiner Auffassung könne sich ein Nachbar auch bereits gegen den Vorbescheid wenden, obwohl mit diesem noch nicht gebaut werden dürfe.
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Die Kläger beantragen,
Der Vorbescheid der Beklagten vom 15.02.2024 – … – wird aufgehoben.
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Die Beklagte beantragt
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Eine erdrückende Wirkung ergebe sich durch das Bauvorhaben trotz der deutlich unterschiedlichen Traufhöhen nicht, da beide Gebäude auf der West- und Ostseite weiterhin in einer Flucht liegen würden und es keine Vor- und Rücksprünge gebe. Die Bewohner des Vorhabens könnten daher auch nicht auf die Kläger hinabblicken. Das Maß der baulichen Nutzung, beispielsweise die Geschossigkeit, vermittle keine drittschützende Wirkung. Es könne daher dahinstehen, ob es in der näheren Umgebung „Vorbilder“ für das Vorhaben der Beigeladene gebe.
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Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt und schloss sich lediglich der Argumentation der Beklagten an.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten sowie Behördenakten und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 21. Oktober 2024 verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Streitgegenstand ist der Vorbescheid der Beklagten vom 15. Februar 2024 zur Aufstockung einer bestehenden Doppelhaushälfte.
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Der Streitgegenstand wird nach § 88 VwGO aus dem klägerischen Antrag sowie dem zugrundeliegenden Lebenssachverhalt gebildet. Vorliegend begehren die Kläger die Aufhebung des Vorbescheids und rügen dessen vermeintliche (nachbarrechtsrelevante) Rechtswidrigkeit.
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Die zulässige Anfechtungsklage hat in der Sache Erfolg.
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Nach Auffassung der Kammer sind nachbarschützende Rechte verletzt, die vom Prüfungsumfang des streitgegenständlichen Vorbescheids umfasst sind.
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Der Vorbescheid vom 15. Februar 2024 war mithin aufzuheben.
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Bei der Anfechtungsklage eines Dritten bildet das gerichtliche Verfahren keine allumfassende Rechtmäßigkeitskontrolle. Stattdessen hat eine Drittanfechtungsklage nur unter zwei Voraussetzungen Erfolg:
- Die Rechtsverletzung muss zum Prüfungsumfang des bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahrens gehören. Rechtsgrundlage für die Erteilung des streitgegenständlichen Vorbescheids ist Art. 71 Satz 4, 68 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 BayBO. Eine Baugenehmigung ist demnach zu erteilen, wenn dem Bauvorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind. Bei einem Vorbescheid nach Art. 71 BayBO ist die bauaufsichtliche Prüfung über den Prüfungsumfang des Art. 59 Satz 1 BayBO bzw. Art. 60 Satz 1 BayBO hinaus beschränkt auf die vonseiten des Bauherrn zur Prüfung gestellten Fragen.
- Zudem muss sich die Rechtsverletzung aus einer Norm ergeben, die zumindest auch dem Schutz des Nachbarn dient (BVerwG, U.v. 28.4.1967 – 4 C 10/65 – NJW 1967, 1770; VGH München, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – beck-online Rn. 20). Eine öffentlich-rechtliche Norm schützt nach der sog. Schutznormtheorie den Nachbarn dann, wenn sie dem Ausgleich der widerstreitenden Interessen von Nachbarn und Bauherren zu dienen bestimmt ist, sie also auf dem Gedanken des wechselseitigen Austauschverhältnisses beruht (BVerwG, U.v. 24.2.2000 – 4 C 12.98 – NVwZ 2000, 1055; BeckOK BauNVO/Hornmann, 36. Ed. 15.1.2024, BauNVO § 23 Rn. 81).
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Diese Voraussetzungen sind nach dem Dafürhalten der Kammer vorliegend gegeben, sodass der Drittanfechtungsklage stattzugeben war.
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Soweit die Kläger – aufgrund einer etwaig erdrückenden Wirkung sowie der Schaffung neuer Einsichtnahmemöglichkeiten – einen Verstoß des Bauvorhabens gegen das Gebot der Rücksichtnahme monieren, kann diese Argumentation nicht verfangen. Denn gerade bei der Annahme einer erdrückenden Wirkung von Wohngebäuden ist die Rechtsprechung sehr restriktiv (vgl. VGH München, B.v. 5.9.2016 – 15 CS 16.1536 – beck-online; OVG Hamburg, B.v. 26.9.2017 – 2 Bs 188/07 – beck-online; VG München, B.v. 24.1.2019 – M 8 SN 18.5522 – beck-online). Dasselbe gilt hinsichtlich neugeschaffener Einsichtnahmemöglichkeiten in bestehende Räumlichkeiten, welche regelmäßig nicht die Schwelle zur Rücksichtslosigkeit überschreiten, sondern in einem dicht bebauten Siedlungsraum wie der Bundesrepublik Deutschland – von besonderen Fallkonstellationen abgesehen – hinzunehmen sind (VGH München, B.v. 15.10.2019 – 15 ZB 19.1221 – beck-online). Die klägerischen Ausführungen hinsichtlich der Geschossigkeit des Bauvorhabens können – für sich genommen – ebenfalls nicht zur Begründetheit der Drittanfechtungsklage führen, da das Maß der baulichen Nutzung im unbeplanten Innenbereich grundsätzlich keinen Drittschutz vermittelt (VGH München, B.v. 20.5.2020 – 9 ZB 18.2585 – beck-online Rn. 5; VG Augsburg, U.v. 6.8.2014 – 4 K 13.1807 – beck-online Rn. 51).
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Im Ergebnis kann die Entscheidung dieser Fragen jedoch dahinstehen, da das Bauvorhaben der Beigeladenen den nachbarschützenden Doppelhauscharakter des Kläger- und Beigeladenengebäudes nicht mehr wahrt und die Drittanfechtungsklage bereits deshalb begründet ist.
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Dem liegt folgende rechtliche Würdigung zugrunde:
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Die Bauweise nach § 22 BauNVO ist von der Genehmigungswirkung des streitgegenständlichen Vorbescheids umfasst (vgl. Ziffer 1). Die Eigenart der näheren Umgebung ist durch die offene Bauweise im Sinne des § 22 Abs. 2 BauNVO gekennzeichnet (vgl. Ziffer 2). Die Wahrung des Doppelhauscharakters durch ein Bauvorhaben ist für den Eigentümer der anderen Doppelhaushälfte drittschützend (vgl. Ziffer 3). Das Bauvorhaben der Beigeladenen wahrt den bestehenden Doppelhauscharakter des Kläger- und Beigeladenengebäudes nicht (vgl. Ziffer 4).
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1. Die Bauweise nach § 22 BauNVO ist von der Genehmigungswirkung des streitgegenständlichen Vorbescheids umfasst.
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Nach Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a) BayBO prüft die Bauaufsichtsbehörde im vereinfachten Genehmigungsverfahren die Übereinstimmung des Bauvorhabens mit den Vorschriftlichen über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit nach §§ 29 bis 38 BauGB. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens ist vorliegend auch (in Gänze) von der Genehmigungswirkung des Vorbescheids umfasst.
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Zwar wurde nach der Vorbescheidsfrage nur die Aufstockung um ein weiteres Vollgeschoss beantragt, sodass grundsätzlich eine Beschränkung des Vorbescheids auf das Maß der baulichen Nutzung denkbar wäre.
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Allerdings nimmt der Vorbescheid in Ziffer 1 des Tenors Bezug auf die beigeladenenseits eingereichten Bauvorlagen. Die auf den 2. Juli 2023 datierenden Schnitte, Ansichten, Grundrisse sowie der Abstandsflächenplan sind auch mit einem Genehmigungsstempel der Beklagten vom 15. Februar 2024 und dem Aktenzeichen des Vorbescheids (* …*) versehen.
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Nach den detaillierten Planzeichnungen ist davon auszugehen, dass auch die weiteren Aspekte der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit, insbesondere die Bauweise nach § 22 BauNVO, von der Genehmigungswirkung des Vorbescheids umfasst sind.
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2. Da keine bauplanerischen Festsetzungen existieren, befinden sich Kläger- und Beigeladenengebäude im unbeplanten Innenbereich nach § 34 BauGB. Die Eigenart der näheren Umgebung ist durch die offene Bauweise im Sinne des § 22 Abs. 2 BauNVO gekennzeichnet.
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Nach § 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO werden in der offenen Bauweise die Gebäude mit seitlichem Grenzabstands als Einzelhäuser, Doppelhäuser oder Hausgruppen errichtet. Die Länge der Hausformen darf hierbei höchstens 50 Meter betragen, § 22 Abs. 2 Satz 2 BauNVO.
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In der näheren Umgebung des Vorhabensgrundstücks finden sich ein- und zweigeschossige Wohngebäude als Einzel- und Doppelhäuser sowie Hausgruppen, sodass die offene Bauweise nach § 22 Abs. 2 BauNVO anzunehmen ist.
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So schließt sich unmittelbar nördlich des streitgegenständlichen Anwesens das eingeschossige Doppelhaus mit der Anschrift … und … (FlNr. … sowie …, jeweils Gemarkung …*) an. Dieses Anwesen stellt aufgrund der an der gemeinsamen Grundstücksgrenze aneinandergebauten und im Wesentlichen gleich aussehenden Gebäude mit seitlichem Grenzabstand nach Norden (* …*) bzw. Süden (* …*) ein Doppelhaus im Sinne des § 22 Abs. 2 BauNVO dar.
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Unmittelbar südlich an das Vorhaben grenzt die im Wesentlichen zweigeschossige Hausgruppe mit den Anschriften … (FlNr. …, …, …, …, jeweils Gemarkung …*) an. Nach den Messungen der Kammer in den allgemein zugänglichen Quellen weist die Hausgruppe eine Länge von etwa 40 Metern auf. Zudem werden seitliche Grenzabstände eingehalten, sodass auch hinsichtlich dieses Anwesens die Anforderungen der offenen Bauweise nach § 22 Abs. 2 BauNVO gewahrt werden.
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Auf der gegenüberliegenden Seite der … finden sich die (freistehenden) Einzelhäuser … (FlNr. …, Gemarkung …*) sowie … (FlNr. …, Gemarkung …*) und die etwa 25 Meter lange Hausgruppe mit den Anschriften … sowie … (FlNr. … und …, jeweils Gemarkung …*). Auch für diesen Bereich ist demnach die offene Bauweise im Sinne des § 22 Abs. 2 BauNVO anzunehmen.
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3. Die Wahrung des Doppelhauscharakters durch ein Bauvorhaben ist für den Eigentümer der anderen Doppelhaushälfte drittschützend.
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So führt der Bayer. Verwaltungsgerichtshof München wie folgt aus:
„Nach einer Leitentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v.24.02.2000 – 4 C 12/98 – BVerwGE 110, 255 = juris LS 2 und Rn. 27 (…) ist die Doppelhausfestsetzung in der offenen Bauweise gemäß § 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO nachbarschützend. Dies ergibt sich aus dem Gedanken des wechselseitigen Austauschverhältnisses: Weil und soweit der einzelne Eigentümer gemeinsam mit anderen – benachbarten – Eigentümern in der Ausnutzung seines Grundstücks öffentlich-rechtlichen Beschränkungen unterworfen ist, kann er grundsätzlich deren Beachtung auch im Verhältnis zu anderen Eigentümern verlangen. Das gilt unabhängig davon, ob der Plangeber einen Willen zur drittschützenden Wirkung ausdrücklich zu erkennen gegeben hat. (…)“ (VGH München, B.v. 14.2.2018 – 15 CS 17.2549 – beck-online Rn. 4).
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4. Das Bauvorhaben der Beigeladenen wahrt den bisher bestehenden Doppelhauscharakter nicht.
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a) Die Gebäude der Kläger und der Beigeladenen stellen derzeit ein Doppelhaus dar.
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Bei ihnen handelt es sich um zwei an der gemeinsamen Grundstücksgrenze zu einer baulichen Einheit aneinandergebaute, im Übrigen jedoch freistehende Gebäude (VGH München, B.v. 1.2.2024 – 9 CS 23.1963 – beck-online Rn. 16). Das Gebäude der Kläger, das streitgegenständliche Vorhaben sowie das im Norden angrenzende Haus (* …*) wurden ursprünglich mit Baugenehmigung vom 10. Juni 2002 genehmigt. Tekturgenehmigungen, unter anderem zum Anbau von Gauben in den Doppelhaushälften, datieren auf den 11. August 2003 sowie auf den 4. Februar 2004. Die Gebäude sind in den Bauzeichnungen als Haus 1 und 2 (* …*) sowie Haus 3 (Klägeranwesen) und Haus 4 (Bauvorhaben) bezeichnet. Ausweislich der mit Tekturgenehmigung vom 11. August 2003 genehmigten Schnitte C-C sowie D-D und Ansicht West wiesen die klägerische Doppelhaushälfte und das Vorhaben vor dem streitgegenständlichen Vorbescheid eine identische Traufhöhe, Firsthöhe, Firstrichtung, Dachneigung und Ost-West-Ausdehnung auf. Die Gebäude weisen daher eine wechselseitige Verträglichkeit auf, welche den Gesamteindruck einer offenen, aufgelockerten Bebauung nicht stören, da sie als ein Gebäude erscheinen (VGH München, B.v. 1.2.2024 – 9 CS 23.1963 – beck-online Rn. 16). Nach dem Dafürhalten der Kammer kann alleine die unterschiedliche Breite der Gebäude (Klägergebäude 5,55m; Beigeladenengebäude 6,05m; vgl. Tekturgenehmigung vom 11. August 2003) die Einordnung als Doppelhaus nicht verhindern.
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b) Der streitgegenständliche Vorbescheid wahrt den bestehenden Doppelhauscharakter des Kläger- und Beigeladenengebäudes nicht.
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Zu den bauplanerischen Anforderungen an ein Doppelhaus führte der Bayer. Verwaltungsgerichtshof jüngst wie folgt aus:
„Ein Doppelhaus in diesem Sinne ist der Sache nach eine Modifikation der offenen Bauweise (…). Es handelt sich um zwei an einer seitlichen Nachbargrenze zu einer baulichen Einheit aneinandergebauten, im Übrigen jedoch freistehende Gebäude. (…). Für die Frage, ob grenzständige Gebäude ein Doppelhaus bilden, kommt es auf die wechselseitige Verträglichkeit dieser Gebäude an. Ein Doppelhaus liegt dann vor, wenn es den Gesamteindruck einer offenen, aufgelockerten Bebauung nicht stört, eben weil es als ein Gebäude erscheint (BVerwG, U.v. 19.3.2015 – 4 C 12.14 – juris Rn. 19). Dabei ist eine Gesamtwürdigung des Einzelfalls vorzunehmen, wobei qualitative und quantitative Kriterien nicht isoliert betrachtet werden dürfen, denn es ist ebenso denkbar, dass größere quantitative Abweichungen bei deutlich einheitlicher Gestaltung hingenommen werden können, wie es vorstellbar ist, dass eine deutlich abweichende Gestaltung in ihrer Wirkung gemildert wird, weil die Gebäudeteile in quantitativer Hinsicht sehr übereinstimmen. Eine isolierte Betrachtung vernachlässigt auch, dass Fälle denkbar sind, in denen erst das Zusammenwirken quantitativer und qualitativer Kriterien den Charakter eines Doppelhauses entfallen lassen (…). Dabei darf jedoch nicht unberücksichtigt bleiben, dass eine gemeinsame Gebäudehöhe für das Maß der Übereinstimmung beider Gebäude von besonderer Bedeutung ist, weil dieses nach außen besonders sichtbar wird (…).“
(VGH München, B.v. 1.2.2024 – 9 CS 23.1963 – beck-online Rn. 16-18).
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In der Kommentarliteratur finden sich zudem folgende Ausführungen:
„Aufeinander abgestimmt sind die Hälften eines Doppelhauses, wenn sie sich in ihrer Grenzbebauung noch als „gleichwertig“ und „im richtigen Verhältnis zueinander“ als harmonisches Ganzes darstellen, ohne disproportional, als zufällig an der Grundstücksgrenze zusammengefügte Einzelhäuser ohne hinreichende räumliche Verbindung zu erscheinen. Das Vorliegen eines Doppelhauses ist (lediglich) mit Blick auf die bauplanungsrechtlichen Ziele der Steuerung der Bebauungsdichte sowie der Gestaltung des Orts- und Stadtbildes zu prüfen, weshalb auch keine einheitliche Gestaltung, sondern nur ein Mindestmaß an Übereinstimmung gefordert werden kann (…) BVerwG Urt. v. 5. Dez. 2013 – 4 C 5.12, BVerwGE 148, 290 ff. (…). Dazu reicht es grundsätzlich aus, wenn es zumindest einzelne der ihm Proportionen und Gestalt gebenden Elemente aufgreift (…). Es geht um eine spezifische Gestaltung des Orts- und Straßenbildes, die darin liegt, dass das Doppelhaus den Gesamteindruck einer offenen, aufgelockerten Bebauung nicht stört, eben weil es als ein Gebäude erscheint (…)“
(Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, 154. EL April 2024, BauNVO § 22 Rn. 28a).
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Unter Zugrundelegung dieser rechtlichen Anforderungen sieht die Kammer den Doppelhauscharakter durch den streitgegenständlichen Vorbescheid als nicht mehr gewahrt an.
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Denn zwar ist der Beklagten zuzugeben, dass Kläger- und Beigeladenengebäude in Richtung der … einerseits und der Gärten andererseits eine einheitliche Außenwand aufweisen (vgl. Abstandsflächenplan zum streitgegenständlichen Vorbescheid vom 2. Juli 2023). Es besteht mithin kein Versatz zwischen den beiden Gebäuden. Die Fassaden bilden in beide Richtungen eine Gebäudeflucht. Dafür, dass weiterhin ein Doppelhaus vorliegt, spricht auch, dass beide Gebäude über ein Satteldach mit derselben Firstrichtung sowie Schleppgauben zur Gartenseite verfügen.
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Bei der angezeigten Gesamtwürdigung aller Umstände sprechen jedoch die gewichtigeren Argumente dafür, dass das Klägergebäude und das Beigeladenengebäude in Gestalt des Vorbescheids nicht mehr als gleichwertig und wechselseitig verträglich angesehen werden können. Vielmehr werden durch das Bauvorhaben zwei selbstständige Gebäudeteile entstehen und der bisher bestehende einheitliche Baukörper aufgelöst.
51
Hierfür sprechen vor allem die deutlich versetzten Traufen, welche auf der Straßensowie Gartenseite auf der gesamten Länge der Gebäude zu finden sein werden. Den durch den Vorbescheid genehmigten Ansichten ist zu entnehmen, dass der Traufhöhe des Klägergebäudes von 3,70 Metern eine Traufhöhe des Beigeladenengebäudes von 6,05 Metern gegenüberstehen wird.
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Mit diesem erheblichen Unterschied in den Traufhöhen geht auch ein – von außen deutlich erkennbarer – Unterschied in der Geschossigkeit der beiden Gebäude einher. Auf der gesamten Grundfläche stellt sich das Klägergebäude als ein Gebäude mit Erdgeschoss und Dachgeschoss dar. Hingegen wird ein objektiver Betrachter bei dem Beigeladenengebäude oberhalb des Erdgeschosses auf eine senkrechte Außenwand blicken, welche auch mit ihren Wandfenstern den Eindruck eines weiteren Vollgeschosses zwischen Erdgeschoss und Dachgeschoss vermittelt.
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Der Eindruck der Überdimensionierung des Bauvorhabens im Vergleich zum Klägergebäude wird durch die unterschiedliche Firsthöhe (10,75 Meter zu 9,70 Meter; vgl. genehmigte Ansichten vom 2. Juli 2023) sowie die unterschiedliche Breite der Gebäude (Klägergebäude 5,55m, Beigeladenengebäude 6,05m; vgl. Tekturgenehmigung vom 11. August 2003) noch verstärkt.
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Abschließend sind – der zitierten Entscheidung des Bayer. Verwaltungsgerichtshofs folgend – auch die unterschiedlichen Dachneigungen von 45° (Klägergebäude) und 38° (Bauvorhaben) der Einordnung der beiden Gebäude als Doppelhaus abträglich (VGH München, B.v. 1.2.2024 – 9 CS 23.1963 – beck-online Rn. 18).
55
Nach alledem war der Klage stattzugeben, da nachbarschützende Rechte verletzt sind, die vom Prüfungsumfang des streitgegenständlichen Vorbescheids umfasst sind. Der Vorbescheid vom 15. Februar 2024 war mithin aufzuheben.
56
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Beigeladene trägt billigerweise gemäß § 162 Abs. 3 VwGO ihre außergerichtlichen Kosten selbst, da sie keinen Antrag gestellt hat und sich damit keinem Kostenrisiko nach § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt hat.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.