Inhalt

LG Nürnberg-Fürth, Endurteil v. 02.10.2024 – 6 O 4728/21
Titel:

Stundung des Pflichtteilsanspruchs, Unbillige Härte, Nacherbenvermerk, Pflichtteilsberechtigter, Verurteilung zur Auskunftserteilung, Erstattungsanspruch, Nachlassverzeichnis, Vorerbschaft, Nicht befreiter Vorerbe, Elektronisches Dokument, Tod des Vorerben, Befreite Vorerbenstellung, Veräußerung, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Pflichtteilsrecht, Pflichtteilsanrechnung, Erblasser, Zinslose Stundung, Stundungsbegehren, Stundungseinrede

Leitsätze:
1. Das Prozessgericht ist für den Antrag eines Erben auf Stundung des Pflichtteils wegen einer unbilligen Härte nach §§ 2331a Abs. 2 i.V.m. 1381 Abs. 5 BGB zuständig, wenn dieser zumindest der Höhe nach strittig ist.
2. In die Abwägung des Stundungsverlangens eines nicht befreiten Vorerben nach § 2331a Abs. 1 BGB ist einzustellen, dass aufgrund der relativen Unwirksamkeit von Verfügungen nach § 2113 Abs. 1 BGB bei einem ererbten Hausgrundstück nicht mit einem Verkaufserlös zu rechnen ist, der den eingeklagten Pflichtteilsanspruch nennenswert befriedigen würde. Dem steht auch nicht entgegen, ob der Vorerbe sich jemals die Mittel zur Erfüllung des Pflichtteilsanspruchs beschaffen kann.
3. Auch ist eine drohende Obdachlosigkeit des Vorerben in die Abwägung nach § 2331a Abs. 1 BGB einzustellen.
4. Die Verzinsung nach §§ 2331a Abs. 2 S. 2 i.V.m. 1382 Abs. 2, 4 BGB ist eine Abwägungsentscheidung im Einzelfall. Die Zinshöhe kann bei einem nicht befreiten Vorerben vergleichsweise gering sein, da er über ein ererbtes (schlichtes) Hausgrundstück praktisch kaum disponieren kann und letztlich nur über einen Wohnvorteil verfügt.
Schlagworte:
Pflichtteilsanspruch, Nachlassverzeichnis, Stundung, Unbillige Härte, Vorerbschaft, Wertermittlung, Verzinsung
Fundstelle:
BeckRS 2024, 47345

Tenor

1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 22.142,91 € zu zahlen.  
2. Die Zahlung der Forderung aus Ziff. 1 wird mit der Maßgabe gestundet, dass der Beklagte an die Klägerin Zinsen in Höhe von 2 % aus 22.142,91 € ab 05.07.2024 zu zahlen hat.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. 
4. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
5. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar. 
6. Der Streitwert wird auf 22.142,91 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Klägerin macht gegen den Beklagten einen Pflichtteilsanspruch im Wege der Stufenklage geltend.
2
Die Parteien sind Abkömmlinge der am … verstorbenen … (Erblasserin). Diese hatte neben der Klägerin und dem Beklagen noch weitere vier Kinder, also insgesamt sechs Abkömmlinge.
3
Der Beklagte ist durch testamentarische Erbfolge zum alleinigen Vorerben der Erblasserin berufen worden. In ihrem Testament bestimmte die Erblasserin für die Stellung des Vorerben zugleich, dass der Beklagte nicht von den Beschränkungen einer Vorerbschaft befreit ist. Als Nacherbin setzte sie ihre – am Rechtsstreit nicht beteiligte – Tochter … ein. Die Nacherbschaft tritt verfügungsgemäß mit dem Tod des Vorerben ein. Für die Einzelheiten wird auf das Testament vom 17.03.2017 Bezug genommen (Anlage K1).
4
Nach der Verurteilung in der Auskunftsstufe legte der Beklagte über seine Betreuerin am 16.09.2023 ein Nachlassverzeichnis, gegliedert in Aktiva und Passiva, vor (Anlage K3 – Rückseite). Die Aktiva bestehen im Wesentlichen aus einem … Hausanwesen, dessen Wert mit 280.000,00 € ausgewiesen wird. Weitere Aktiva sind nur mit nicht nennenswerten Beträgen vorhanden (5,08 € und 639,51 €). Nach Abzug der aufgeführten Passiva errechnet sich ein Vermögen von 245.714,93 € bzw. 265.714,93 € (letzteres, falls eine als „event. Forderung“ gekennzeichnete Darlehensforderung der Erblasserin gegen den Beklagten in Höhe von 20.000,00 € hinzugerechnet wird).
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Aus dem vorgenannten Betrag von 265.714,93 € errechnet die Klägerin, unter Zugrundelegung einer Pflichtteilsquote von 1 / 12 am Nachlass, ihren Pflichtteilsanspruch von 22.142,91 €, der vorliegend den Gegenstand der Klage bildet.
6
Der Beklagte ist persönlich und wirtschaftlich eingeschränkt. So ist er geschäftsunfähig und steht unter rechtlicher Betreuung. Mit Ausnahme des geerbten Hausanwesens ist er vermögenslos und ist zudem verschuldet. Von der Bundesagentur von Arbeit erhält er monatliche Leistungen in Höhe von 762,60 €, weitere Einkünfte erzielt er nicht. Vor dem Ableben der Erblasserin hatte er mehrere Jahre, von 2012 bis 2021, in einer Wohnung der städtischen Obdachlosenunterkunft in … gewohnt. Anschließend zog er in das geerbte Hausanwesen ein, das er auch weiterhin bewohnt.
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Die Klägerin hat ihrerseits Schulden, die sie mit 160.000,00 € angibt, kann krankheitsbedingt derzeit keine Erwerbstätigkeit ausüben und bezieht Krankengeld.
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Der Beklagte erhob im Verfahren schriftsätzlich den Stundungseinwand wegen unbilliger Härte gegen den Pflichtteilsanspruch der Klägerin.
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Mit vorgerichtlichem Rechtsanwaltsschreiben vom 07.06.2021 forderte die Klägerin den Beklagten dazu auf, ihr bis zum 28.06.2021 Auskunft über den Nachlass zu geben und ihren Pflichtteil zu bezahlen. Beides geschah in der Folge nicht.
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Die Klägerin behauptet, dass die Immobilie – wie im Nachlassverzeichnis angegeben – einen Wert von 280.000,00 € habe.
11
Die Klägerin behauptet, dass der Beklagte wirtschaftlich und persönlich ohnehin nicht fähig sei, das Hausanwesen zu erhalten. Werde das Hausanwesen nicht zeitnah verwertet, so drohe ein erheblicher Wertverlust. Bei einer Verwertung der Immobilie falle der Beklagte zudem lediglich in seine vorherigen Wohnverhältnisse zurück. Sie ist daher der Ansicht, dass keine unbillige Härte vorliege und somit der sofortigen Erfüllung ihres Pflichtteilsanspruchs nicht entgegenstünde. Im Übrigen sei dabei auch zu berücksichtigen, dass der Beklagte erst nach mehreren Jahren und einer Zwangsvollstreckung die Auskünfte zum Pflichtteilsanspruch erteilt habe. Schließlich habe sie, die Klägerin, selbst Schulden und daher ein erhebliches Interesse an dem Erhalt ihres Pflichtteils.
12
Das Gericht hat mit Teil – Versäumnisurteil vom 29.10.2021 den Beklagten auf der ersten Stufe zur Auskunftserteilung verurteilt. Mit Schriftsatz vom 15.11.2023 ist die Klägerin in die Leistungsstufe übergegangen und hat ihren zunächst unbezifferten Zahlungsantrag beziffert.
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Die Klägerin beantragt nunmehr zuletzt:
Der Beklagte wird dazu verurteilt, der Klägerin einen Betrag in Höhe von 22.142,91 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 29.06.2021 zu bezahlen.
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Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen und hilfsweise eine Stundung.
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Der Beklagte behauptet, dass das Hausanwesen lediglich 224.750,00 € wert sei.
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Weiterhin trägt er vor, dass die Klägerin noch eine Darlehensverbindlichkeit gegenüber dem Nachlass habe. Dies lasse sich aus dem Testament der Erblasserin nachvollziehen und betreffe einen Kredit, den die Erblasserin für ein KfZ der Klägerin aufgenommen und vier Jahre lang bedient habe, ohne dass die Klägerin ihr das Geld erstattet habe. Dies, so meint der Beklagte, müsse sich die Beklagte auf ihren Pflichtteil anrechnen lassen. Da die Höhe der noch offenen Verbindlichkeit der Klägerin derzeit nicht bekannt sei, sei die Klage derzeit unschlüssig.
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Sobald die Höhe der Darlehensverbindlichkeit feststehe und dadurch der Pflichtteil beziffert werden könne, so meint der Beklagte, käme die von ihm erhobene Stundungseinrede zum Tragen. Deren Voraussetzungen seien vorliegend gegeben. Denn nach der etwaigen Verwertung des Hausanwesens, so trägt er vor, könne er keine Wohnung auf dem freien Wohnungsmarkt bekommen. Dies sei aufgrund seiner persönlichen und wirtschaftlichen Lage nicht möglich. Vielmehr verbliebe letztlich nur, erneut eine Obdachlosenunterkunft zu beziehen.
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Im Übrigen sei es auch nicht gesichert, dass bei einer Verwertung zum jetzigen Zeitpunkt der klägerseits erhoffte Erlös für das Hausanwesen erzielbar wäre.
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Schließlich könne die Klägerin auch noch nach seinem Ableben ihren Pflichtteilsanspruch, dann gegen die Nacherbin, durchsetzen. Bis dahin sei keine Verschlechterung des Hausanwesens zu befürchten, da er, der Kläger, viele Instandsetzungs- und Reparaturarbeiten selbst erledigen und etwa auch Strom- und Heizkosten begleichen könne.
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Das Gericht hat keinen Beweis erhoben.
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Zur Vervollständigung des Tatbestands wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 05.07.2024 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist nur teilweise begründet.
I.
Zulässigkeit
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Die Klage ist zulässig. Insbesondere war die Sache nicht an das Nachlassgericht zu verweisen und das angegangene Gericht hatte über den Stundungsantrag des Beklagten (Ziff. II. 2.) zu entscheiden. Denn bei einem strittigen Pflichtteilsanspruch ist über diesen in einem Rechtsstreit zu verhandeln und ein Stundungsantrag ist beim Prozessgericht anzubringen, §§ 2331a Abs. 2 i.V.m. 1381 Abs. 5 BGB (Grüneberg, BGB, 82. Aufl. 2023, § 2331a Rn. 4). So liegt der Fall auch hier, da der Beklagte den Pflichtteilsanspruch zumindest der Höhe nach bestreitet und hilfsweise begehrt, den Anspruch zu stunden.
II.
Begründetheit – Hauptforderung
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1. Die Klägerin hat als Tochter der Erblasserin unstreitig einen Pflichtteilsanspruch dem Grunde nach in Höhe von 1 / 12, §§ 2303 Abs. 1, 1924 Abs. 1, 4 BGB. Dieser richtet sich während des Bestehens der Vorerbschaft einzig gegen den Vorerben (MüKo, BGB, 9. Aufl. 2022, § 2303 Rn. 46), vorliegend also gegen den Beklagten.
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Maßgeblich für die Berechnung ist der Wert des Nachlasses zum Todeszeitpunkt der Erblasserin am …, §§ 2311 Abs. 1 S. 1, 2317 BGB.
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Dabei ist es zwischen den Parteien strittig, welchem Wert das Hausanwesen hat und ob gegen die Klägerin ein Anspruch auf Erstattung eines Darlehens zu Gunsten des Nachlasses besteht.
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1.1 Die Klagepartei stützt sich für den von ihr errechneten Anspruch auf das von der Betreuerin mit Schreiben vom 16.09.2023 vorgelegte Nachlassverzeichnis, das den Wert des Hauses mit 280.000,00 € angibt (Anlage K3). Zwar hat der Beklagte diesen Wert im Verfahren zunächst damit bestritten, dass seine Betreuerin über eine Wohnmarktanalyse der Sparkasse einen Richtwert von 224.750,00 € ermittelt habe. Jedoch hat die Klägerin daraufhin die besagte Wohnmarktanalyse übermittelt, die ihr von der Betreuerin des Beklagten vorgelegt worden war und aus der sich ein Richtwert von 274.750,00 € ergibt (Anlage K4, dort S. 4). Dem ist der Beklagte sodann nicht mehr entgegengetreten und hat nichts Substantiiertes zu dem seinerseits zunächst behaupteten Richtwert von 224.750,00 € vorgetragen. Das Gericht hat daher auch keine begründeten Zweifel daran, dass der – von der beklagten Partei selbst – im Nachlassverzeichnis angegebene Wert von 280.000 € unrichtig wäre. Dies im Übrigen auch deswegen, da sich die Parteien nicht gegen die erfolgte Wertermittlung durch die Wohnmarktanalyse der Sparkasse gewendet haben und diese vielmehr jeweils für sich zu Grunde legen.
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1.2 Ferner dringt der Beklagte nicht mit dem Einwand durch, dass dem Nachlass ein Erstattungsanspruch für ein Darlehen zustehe, das sich die Klägerin auf ihren Pflichtteilsanspruch anrechnen lassen müsse.
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Zwar ist es richtig, dass die Erblasserin in ihrem Testament vom 17.03.2017 angab, dass sie zwei Darlehen zum Erwerb von Fahrzeugen für die Klägerin aufgenommen habe. Dabei gab sie zugleich an, dass die Klägerin ihr eines der Darlehen vollständig zurückgezahlt habe. Hingegen habe die Klägerin von dem zweiten Darlehen lediglich die Raten für drei Jahre bezahlt und sie, die Erblasserin, habe die restlichen Kreditraten (für vier Jahre) bisher übernommen.
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Hierzu befragt, erklärte die Klägerin in ihrer informatorische Anhörung, dass die Erblasserin für sie nur einmal einen Kredit für einen Pkw aufgenommen habe. Diesen habe sie, die Klägerin, aber vollständig zurückbezahlt. Zudem konnte der Beklagte den etwaigen Erstattungsanspruch des Nachlasses weder in seinem Nachlassverzeichnis vom 16.09.2023 noch im Klageverfahren weitergehend darlegen oder einen Restbetrag beziffern. Auf den Umstand der fehlenden Bezifferung hat das Gericht auch in der mündlichen Verhandlung hingewiesen, weiterer Sachvortrag des Beklagten erfolgte dann hierzu nicht mehr. Da ferner die Erblasserin die ausstehenden Darlehensraten in ihrem Testament nicht bezifferte und zwischen dessen Errichtung und dem Erbfall mehrere Jahre vergingen, in denen grundsätzlich eine Erstattungszahlung hätte erfolgen können, kann alleine aus dieser Urkunde kein anzurechnender Gegenanspruch des Nachlasses substantiiert werden. Die Anrechnung etwaiger Erstattungsansprüche auf den Pflichtteil der Klägerin konnte daher nicht erfolgen.
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2. Der Verurteilung zur Zahlung des Pflichtteilsanspruchs steht aber bis auf Weiteres der hilfsweise vorgebrachte Stundungseinwand des Beklagten entgegen, § 2331a Abs. 1 BGB.
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2.1 Das nicht ausdrücklich mit dem Klageabweisungsantrag angebrachte Stundungsbegehren war als Hilfsantrag auszulegen, der auch zulässig ist. Denn der Beklagte hat bereits in der Klageerwiderung vom 22.12.2023 darauf hingewiesen, dass der geltend gemachte Pflichtteilsanspruch zumindest derzeit der Klägerin nicht zustehe und hat hierbei ausdrücklich eine unbillige Härte und einen Anspruch auf Stundung des § 2331a BGB benannt. Mit weiteren Schriftsätzen vom 30.01.2024 und 05.03.2024 hat er für den Fall des Bestehens und der konkreten Bezifferung des Pflichtteilsanspruchs eingewendet, dass sein Stundungsantrag durchgreife. Daher war vorliegend über den Stundungsantrag zu befinden.
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2.2 Die Voraussetzungen der Stundung des Pflichtteilsanspruchs sind vorliegend erfüllt, § 2331a Abs. 1 BGB.
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Dies setzt voraus, dass für den Erben die sofortige Erfüllung des gesamten Anspruchs wegen der Art der Nachlassgegenstände eine unbillige Härte wäre, insbesondere wenn sie ihn zur Aufgabe des Familienheims zwingen würde, das für ihn die wirtschaftliche Lebensgrundlage bildet. Dabei sind die Interessen des Pflichtteilsberechtigten angemessen zu berücksichtigen. So scheidet eine unbillige Härte etwa aus, wenn der Erbe den Pflichtteilsanspruch aus seinem eigenen Vermögen – ohne Veräußerung des Nachlassgegenstands – erfüllen kann (Staudinger, BGB, 2021, § 2331a Rn. 15). Dasselbe kann gelten, wenn der Erbe sich der Zahlung des Pflichtteilsanspruchs um jeden Preis widersetzt (Grüneberg, BGB, 82. Aufl. 2023, § 2331a Rn. 3). Ferner ist zu Gunsten des Pflichtteilsberechtigten zu berücksichtigten, ob ihm hinsichtlich seiner Einkommens- und Vermögensverhältnisse eine Stundung zumutbar ist (Grüneberg, a.a.O., § 2331a Rn. 3).
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Diese Abwägung geht vorliegend zu Gunsten des Beklagten aus.
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a) Die Erbmasse besteht zum ganz überwiegenden Teil aus dem Hausanwesen, nennenswerte andere Vermögenswerte sind nicht vorhanden. Dabei ist zu bedenken, dass der Beklagte selbst ein nicht befreiter Vorerbe ist und nach § 2113 Abs. 1 BGB seine Verfügungen an dem Grundstück im Falle der Nacherbfolge insoweit unwirksam wären, als sie das Recht der Nacherbin … beeinträchtigen würden. Eine wirtschaftliche Verwertung des Hausanwesens wäre daher praktisch äußerst schwierig. Dies ist auch daran ersichtlich, dass die für den Wert des Hausanwesens von den Parteien in Bezug genommene Wohnmarktanalyse der Sparkasse angibt, dass sie ohne Grundbucheinsicht erfolgt ist (Anlage K4, dort S. 4). Sie lässt daher den von Amts wegen einzutragenden Vor- und Nacherbenvermerk nach § 51 GBO außer Betracht. Daher wäre es bereits zweifelhaft, ob überhaupt ein ausreichender Betrag für den Pflichtteilsanspruch bei Verkauf und Veräußerung durch den Beklagten erzielbar wäre. Zumal gegen den Nachlass, ausweislich des Nachlassverzeichnisses, auch noch etliche, weitere Forderungen im fünfstelligen Bereich bestehen. Die Vorerbschaft des Beklagten besteht daher praktisch gesehen in der von ihm ausgeübten Wohnmöglichkeit im ererbten Hausanwesen. Sein Interesse hieran ist sehr hoch, da er hierdurch aus der Obdachlosenunterkunft heraus kam und auf dem freien Wohnungsmarkt nur schwerlich eine anderweitige Unterkunft finden dürfte. Die Aufgabe des Familienheims wäre für den Beklagten also existenzbedrohend.
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Die Annahme einer unbilligen Härte scheidet auch deshalb nicht aus, da der Beklagte unstreitig selbst vermögenslos ist, Schulden hat und somit den Pflichtteilsanspruch auch nicht anderweitig befriedigen kann. Auch die weiteren klägerseits angebrachten Einwände sprechen nicht gegen eine unbillige Härte.
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b) So ist es nicht ersichtlich, dass sich der Beklagte der Auskunft über den Nachlass und damit schließlich dem Pflichtteilsanspruch der Klägerin um jeden Preis widersetzt hätte. Denn der Beklagte ist nicht geschäftsfähig und steht unter Betreuung. Die klägerseits in Bezug genommene Zwangsvollstreckung, mit der die Verurteilung zur Auskunftserteilung durchgesetzt werden sollte, beruht auf einem Zwangsgeld-Beschluss des Gerichts vom 13.04.2022 (Bl. 7 des Vollstreckungshefts). Dabei ist zu bedenken, dass die seinerzeit bereits bestehende Betreuungssituation des Beklagten noch nicht bekannt war und die fehlende Auskunftserteilung hierdurch erklärbar war. So gibt die Klagepartei selbst an, dass sie eine Kenntnis über die vorgenannten persönlichen Umstände des Beklagten (Geschäftsunfähigkeit, Betreuung) erst im Januar 2023 erlangt habe. Sie, die Klägerin, sei dann auf die Betreuerin zugegangen und habe von dieser anschließend die gewünschten Auskünfte erteilt bekommen (im Verlauf des Jahres 2023). Vor diesem Hintergrund ist nicht erkennbar, dass der Beklagte die Anspruchserfüllung mutwillig verzögert oder sich dieser widersetzt habe.
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c) Ferner kann die Stundung nicht damit abgelehnt werden, dass die Klägerin Schulden hat und in der Arbeitsfähigkeit derzeit eingeschränkt ist. Dabei ist nämlich erneut zu bedenken, dass bei Veräußerung des Hausanwesens nicht damit zu rechnen wäre, dass ein den Pflichtteilsanspruch nennenswert befriedigender Erlös erzielt würde. Dies ist, wie ausgeführt, in der Anordnung einer nicht befreiten Vorerbenstellung des Beklagten begründet. Ein zur Befriedigung des Pflichtteilsanspruchs ausreichender Erlös wird voraussichtlich erst mit Eintritt des Nacherbfalls gegeben sein, da in diesem Moment die Wirkungen des § 2113 Abs. 1 BGB entfallen und der Pflichtteilsanspruch gegen die Nacherbin gerichtet werden kann.
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d) Ferner verfängt auch nicht die Meinung, dass im Rahmen der Interessenabwägung eine Stundung ausscheide, wenn keine Aussicht beim Erbe bestehe, sich jemals die Mittel zur Erfüllung des Pflichtteilanspruchs beschaffen zu können (Grüneberg, BGB, 82. Aufl. 2023, § 2331a Rn. 4 mit Verweis auf OLG Rostock, Urteil vom 20.06.2019, Az. 3 U 32/17, NJW-RR 2019, S. 1291). Denn hierbei müsste auch bedacht werden, ob denn durch die Verwertung des Wohnanwesens der Anspruch erfüllbar wäre (vgl. OLG Rostock, a.a.O., S. 1291, 1292). Letzteres ist in der vorliegenden Konstellation einer Vorerbschaft mit dem Beklagten als nicht befreiten Vorerben nicht ersichtlich.
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e) Der Annahme einer unbilligen Härte steht schließlich auch nicht die klägerische Annahme entgegen, dass der Beklagte wirtschaftlich und persönlich nicht in der Lage sei das Hausanwesen ordnungsgemäß zu verwalten und sich hierdurch ein Wertverfall ergebe. Denn diese beklagtenseits bestrittene Behauptung ist bereits von der Klagepartei nicht unter Beweis gestellt. Des Weiteren ergibt sich aus der von den Parteien in Bezug genommenen Wohnmarktanalyse, dass der Grundstücksanteil den weit überwiegenden Wert des Hausanwesens ausmacht (81%). Diese Einschätzung wird ferner durch den vorgelegten Energieausweis vom 20.09.2022 untermauert, der das Baujahr des Gebäudes mit 1914 und eine niedrige Energieeffizienz angibt.
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Darüber hinaus ist es fernliegend, dass der Beklagte zumindest für die üblichen Versorgungskosten – etwa Strom, Heizung, Wasser – nicht aufkommen könne. Denn er bezieht Leistungen der Bundesagentur für Arbeit und es ist grundsätzlich anzunehmen, dass durch diese Leistungen regelmäßig – zumindest einfache – Wohnkosten bestritten werden können, zumal das Haus ausweislich des Energieausweises nur eine Gebäudenutzfläche von 42,7 qm hat.
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2.3 Die Stundung bewirkt zwar, dass die Fälligkeit des Pflichtteilsanspruchs zunächst bis auf Weiteres hinausgeschoben wird (siehe Ziff. III.). Gleichwohl kann die Klägerin gegen die Stundung zum Zwecke der Abänderung gerichtlich vorgehen, wenn sich die zu Grunde liegenden Umstände geändert haben, §§ 2331a Abs. 2 i.V.m. 1382 Abs. 6 BGB (OLG Dresden, Urteil vom 23.07.1998, Az. 7 U 254/98, Rn. 50, juris; Dauner-Lieb/Grziwotz, Pflichtteilsrecht, 3. Aufl. 2022, § 2331a BGB Rn. 22).
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3. Vorliegend war eine Verzinsung des gestundeten Betrags auszusprechen, §§ 2331a Abs. 2 S. 2 Hs. 1 i.V.m. 1382 Abs. 2, 4 BGB.
45
Über die Höhe und Fälligkeit der Verzinsung hatte das Gericht nach billigem Ermessen zu entscheiden. Zur Höhe wird etwa vertreten, dass die 4% des gesetzlichen Zinssatzes nach § 246 BGB als eine erste Bezugsgröße verwendbar seien (KG Berlin, Urteil vom 16. Mai 2012, Az. 26 U 42/09, Rn. 43, juris). Dies sei aber kein Mindestzinssatz, vorzugswürdig sei der Basiszinssatz des § 247 BGB mit einem Zuschlag (Staudinger, BGB, Neubearb. 2021, § 2331a Rn. 24). Bei der Bestimmung des konkreten Zinses sei maßgeblich auf die Ersparnis auf Seiten des Ausgleichspflichtigen und die Kosten bzw. entgangenen Vorteile, die dem Ausgleichsberechtigten aufgrund der Stundung entstehen, abzustellen (BeckOGK, BGB, Stand: 01.08.2024, § 1382 Rn. 43). Bei diesen verschiedenen Ansätzen ist es jedenfalls unstrittig, dass es sich um eine Abwägungsentscheidung im Einzelfall handelt (BayObLG (1. S), Beschluss vom 22.12.1980 – BReg. 1 Z 116/80, BayObLGZ 1980, S. 421, 425ff.)
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a) Die Zinsen waren vorliegend mit der Hälfte des gesetzlichen Zinssatzes des § 246 BGB, also mit 2% für das Jahr, anzusetzen. Dabei war zu bedenken, dass der Beklagte weitgehend vermögenslos ist. Insbesondere sprach ferner für einen vergleichsweise niedrigen Zinssatz der Umstand, dass der Beklagte – anders als in den voranstehend zitierten Entscheidungen – als nicht befreiter Vorerbe über das Hausanwesen praktisch kaum verfügen und dies nur schwerlich am Markt veräußern kann. Er ist daher in seiner Dispositionsfreiheit über die Erbschaft, deren Werthaltigkeit im Wesentlichen nur aus dem Hausanwesen besteht, erheblich eingeschränkt. Aus der Erbschaft zieht er daher letztlich nur den Wohnvorteil, indem er das sehr schlichte Haus (siehe dazu die voranstehenden Ausführungen) mietfrei bewohnen kann.
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Hingegen kam es nicht in Betracht, eine zinslose Stundung auszusprechen. Denn die Klägerin hat selbst Schulden und hat aus der Erbschaft, die eben weitgehend nur aus dem Hausanwesen besteht, bisher noch keinerlei Zahlungen auf ihren Pflichtteilsanspruch erhalten. Es ist ihr daher nicht zuzumuten, dass die Erfüllung ihres Pflichtteilsanspruchs ohne einen Ausgleich gestundet wird.
48
b) Für den Zinsbeginn hat das Gericht im Rahmen seines Ermessens den 05.07.2024 bestimmt. Denn an diesem Tag wurde erstmals zur Sache und damit auch zur Frage einer Stundung mündlich verhandelt.
49
4. Eine Sicherheitsleistung war nicht anzuordnen, da die Klägerin einen entsprechenden Antrag nicht gestellt hat, §§ 2331a Abs. 2 i.V.m. 1382 Abs. 3 BGB.
III.
Nebenforderungen
50
Der Beklagte schuldet vorliegend keine Verzugszinsen auf den Pflichtteilsanspruch. Denn die Stundung schiebt die Fälligkeit des Anspruchs hinaus, so dass kein Verzug eingetreten ist, §§ 2303 Abs. 1, 286 Abs. 1 i.V.m. 271, 288 BGB (MüKo, BGB, 9. Aufl. 2022, § 2331a Rn. 18; KG Berlin, Urteil vom 16. Mai 2012, Az. 26 U 42/09, Rn. 45, juris).
51
Daher war die Klageforderung in der Nebenforderung abzuweisen.
IV.
Nebenentscheidungen
52
1. Kosten des Rechtsstreits: § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.
53
Die Kosten des Rechtsstreits waren dem Beklagten aufzuerlegen, da er trotz gewährter Stundung in der Hauptsache unterliegt. (Dauner-Lieb/Grziwotz, Pflichtteilsrecht, 3. Aufl. 2022, § 2331a BGB Rn. 19; BeckOKG, BGB, Stand: 01.07.2024, § 2331a Rn. 36).
54
2. Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 709 S. 1, 2 ZPO