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VG München, Gerichtsbescheid v. 06.11.2024 – M 15 K 23.30991
Titel:

Asylrecht, Herkunftsland: Türkei, Zustellung an nur einen Bevollmächtigten, Wiedereinsetzung

Normenketten:
AsylG § 74
VwVfG § 14
VwZG § 4
VwGO § 60
Schlagworte:
Asylrecht, Herkunftsland: Türkei, Zustellung an nur einen Bevollmächtigten, Wiedereinsetzung
Fundstelle:
BeckRS 2024, 47213

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Der Kläger ist ausweislich eines im Februar 2022 in … ausgestellten Reisepasses türkischer Staatsangehöriger. Er reiste nach Aktenlage erstmals im Jahr 2008 in das Bundesgebiet ein und hatte Aufenthaltsrechte aus familiären Gründen. Ausweislich einer Eheurkunde in der Behördenakte hat der Kläger am … … 2022 (erneut) die Ehe mit einer in Belgien geborenen Frau geschlossen.
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Der Kläger wurde mit Bescheid der Landeshauptstadt … vom … … 2016 unter anderem auf Grund einer vorangegangenen strafrechtlichen Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren wegen einer Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz (BtMG) aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen (gerichtlich überprüft durch VG …, U.v. …2020 –  …  … …). Nach der Ausweisungsverfügung wurde der Kläger mit seit … Januar 2019 rechtskräftigem Urteil des Landgerichts …  u.a. wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von ...Jahr und ... Monaten verurteilt. Er befand sich nach Aktenlage zuletzt bis … … 2020 in Strafhaft.
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Mit anwaltlichem Schriftsatz vom … … 2020 stellte der Kläger einen Asylantrag, gestützt im Kern auf ein Tattoo des Klägers, das ihn als Sympathisanten der „Autonomen Region Kurdistan (Nordirak)“ erkennbar mache.
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Am ... und am … … 2020 wurde der Kläger durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) in anwaltlicher Begleitung in einer Justizvollzugsanstalt zu seinem Asylantrag angehört. Dabei gab er im Wesentlichen an, er sei durch eine Familienzusammenführung Mitte 2008 nach Deutschland gekommen und habe einen Aufenthaltstitel gehabt. Er habe sich im Jahr 2013 eine kurdische Flagge auf die Brust und im Jahr 2016 einen Adler tätowieren lassen. Der Arm sei mit einem Adler und der Parteiflagge der PKK tätowiert. Diese Flagge sei auch in Deutschland verboten. Er habe eine Vorladung für die Ableistung des Wehrdienstes erhalten, sei dann aber schon ausgereist gewesen. Wenn er jetzt zurückkehren würde, müsste er diesen Wehrdienst ableisten, würde dies jedoch nicht tun. Jeden Tag höre man, dass seine Brüder und Schwestern getötet würden. Er wolle nicht persönlich gegen sein eigenes Volk kämpfen. Er sei kein Mitglied aber Sympathisant der PKK. Er sei kein Mitglied einer kurdischen Gruppierung, aber wenn ein Freund ihm sage, dass es eine Demonstration gebe, nehme er teil, zuletzt im Jahr vor der Anhörung in … Vom Militärdienst freikaufen werde er sich nicht. Mit dem Geld würde man Bomben oder Flugzeuge kaufen und seine Brüder bombardieren. Er habe einen Feind in …, welcher seine Tattoos im Internet verbreite und ihn beim türkischen Staat anzeige. Er heiße … … und gebe ihn als Mitglied der PKK und Staatsfeind an. Er sei von ihm auch angegriffen worden. Er sei im Jahr 2013 zur Hochzeit seines Bruders in die Türkei gereist. Im Jahr 2012 habe er die Aussetzung des Wehrdienstes auf dem türkischen Konsulat in … beantragt. Dort sei ihm von dem Mitarbeiter vorgeworfen worden, dass er PKK-Mitglied sei und an Protesten teilgenommen habe. Er habe gehört, dass dieser Mitarbeiter Geheimdienstmitarbeiter sei. Nach dem Ablauf der Aussetzung der Wehrpflicht habe er keinen erneuten Versuch unternommen, eine Aussetzung zu beantragen. Die Frage ob eine Anklage, Haftbefehl oder Urteil gegen ihn in der Türkei vorliege verneinte er, wisse es aber nicht. Er habe eine Tochter in Deutschland.
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Mit Schreiben an die Beklagte vom … … 2020 führte der damalige Prozessbevollmächtigte des Klägers im Nachgang zur Anhörung weiter aus und übersandte mit Schreiben an die Beklagte vom … … 2020 einen Bildabdruck des F...accounts und einen Bescheid über die Anordnung eines Kontaktverbots an … … Mit Schreiben vom … … 2021 übersandte er das Sachverständigengutachten eines Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht … zum Aussagegehalt der Tattoos des dortigen Klägers.
6
Mit Bescheid des Bundesamtes vom … … 2023, laut Aktenvermerk am … … 2024 als Einschreiben zur Post gegeben, wurde der Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 1.) und auf subsidiären Schutz (Ziffer 2.) jeweils als offensichtlich unbegründet abgelehnt und es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht vorliegen (Ziffer 3.). Die Klägerseite wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen, anderenfalls würde sie in die Türkei oder in einen anderen Staat, in den sie einreisen dürfe oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet sei, abgeschoben. Die Vollziehung der Abschiebungsandrohung und der Lauf der Ausreisefrist wurden bis zum Ablauf der Klagefrist und, im Fall der rechtzeitigen Stellung eines Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage, bis zur Bekanntgabe der Ablehnung des Eilantrags durch das Verwaltungsgericht ausgesetzt (Ziffer 4.). In Ziffer 6. des Bescheids wurde ein Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG angeordnet und auf 60 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
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Hiergegen erhob der Kläger durch seinen damaligen Prozessbevollmächtigten mit Schriftsatz vom … … 2023, beim Bayerischen Verwaltungsgericht … eingegangen am selben Tag, Klage und beantragte
1. den Bescheid vom ... 2023 aufzuheben
2. die Beklagte zu verpflichten, die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise subsidiären Schutz zu gewähren und nationale Abschiebungsverbote festzustellen
8
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Kläger bei einer Ausreise in die Türkei mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit gefährdet sei, einer grausamen Behandlung im Sinne des Art. 3 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) zuteil zu werden. Dies resultiere aus seiner Anhängerschaft zur PKK, welche über die sich in den Akten befindlichen Fotodokumente der aussagekräftigen Tattoos dokumentiert sei. Zudem befinde sich in der Bundesamtsakte ein Post eines erklärten Spitzels der „…-Regierung“ in … und eines „Erzfeindes“ des Klägers, der diesen verunglimpfe mit den entsprechenden Tattoos zeige und ihn explizit als PKK-Sympathisant bezeichne. Darüber hinaus sei der Kläger vom Amtsgericht …  im Jahr 2011 wegen Unterstützung der PKK zu einer Geldstrafe verurteilt worden.
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Die Beklagte beantragte,
die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung bezog sie sich auf die angefochtene Entscheidung.
11
Neben der Klage stellte der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage. Mit (unanfechtbarem) Beschluss vom … … 2023 ( …  …) lehnte das Verwaltungsgericht diesen Antrag ab. Am … … 2023 beantragte der Kläger die Abänderung des Beschlusses vom … … 2023 [richtig … … 2023] mit dem Ziel der Anordnung der aufschiebenden Wirkung bzw. der Aussetzung der Ausreisepflicht bis zur Entscheidung in der Hauptsache über das Vorliegen der Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG. Mit (unanfechtbarem) Beschluss vom … … 2023 ( … … …) wurde der Antrag abgelehnt. Mit Schriftsatz vom … … 2023 beantragte der Kläger die Abänderung der Beschlüsse vom … [richtig …] … 2023 und … … 2023 sowie die Beteiligung der Landeshauptstadt … und den Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenüber der Landeshauptstadt …, von Abschiebemaßnahmen abzusehen und diesbezüglich einen Hängebeschluss zu erlassen.
12
Mit gerichtlichem Schreiben vom … … 2024 wurde der Klägerseite mit Gelegenheit zur Stellungnahme mitgeteilt, dass die am … … 2023 bei Gericht eingegangene Hauptsacheklage ( …  …) nach vorläufiger Einschätzung der Kammer unzulässig sei, da der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamtes den gegenüber der Behörde zu diesem Punkt ebenfalls noch bevollmächtigten anderen Rechtsanwälten des Klägers ( … … … … … …) bereits im Januar 2023 zugestellt worden sei. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand komme wohl nicht in Betracht. Aufgrund dessen fehle dem Antrag nach § 80 Abs. 7 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) das Rechtsschutzbedürfnis, sodass dieser als unzulässig abzulehnen sei. Mit Schriftsatz vom … … 2024 übersandte die Klägerseite eine Kopie einer Email von einem der im Zeitpunkt der Zustellung des Bescheids bevollmächtigten anderen Rechtsanwälte des Klägers … … … … … … vom … … 2024, in der er dem Kläger bestätigt, dass dieser am … … 2023 nicht mehr deren Mandant gewesen sei. Der Bescheid des Bundesamtes habe dem Kläger auch nicht zugestellt bzw. übermittelt werden können.
13
Mit Schreiben vom … … 2024 führte der neue Prozessbevollmächtigte des Klägers aus, dass nach den vorliegenden Unterlagen der Bescheid des Bundesamtes vom … … 2023 am … … 2023 in der Kanzlei … … … … … eingegangen sei. Die Kündigung des bestehenden Mandats zwischen dem Kläger und der oben genannten Kanzlei sei mit Schreiben vom … … 2023 gegenüber dem Bundesamt angezeigt worden. Bei der Übersendung des Bescheids im Mai 2023 an Rechtsanwalt … … handele es sich um einen Zweitbescheid und nicht nur um eine wiederholende Verfügung. Ob ein Bescheid als Zweitbescheid oder lediglich als wiederholende Verfügung anzusehen sei, bestimme sich danach, ob und inwieweit die Behörde durch ihre Verlautbarung eine neue Sachentscheidung getroffen habe. Dies sei durch Auslegung der Verfügung zu ermitteln. Hierfür komme es auf deren Erklärungsinhalt an, der durch fallbezogene, die konkreten Umstände in den Blick nehmende Auslegung nach Maßgabe der entsprechend anwendbaren gesetzlichen Auslegungsregeln der §§ 133, 157 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zu ermitteln sei. Für die Abgrenzung sei die Behördenäußerung nicht ohne Rücksicht auf ihr Erscheinungsbild zu würdigen. Maßgebend sei nicht der innere, sondern der erklärte Wille. Dieser Grundsatz verlange Eindeutigkeit der Erklärung. Eine nachträgliche Erläuterung könne die eingetretene, das Wesen der Behördenäußerung selbst betreffende Wirkung nicht mehr beseitigen. Dies zugrunde gelegt habe das Bundesamt mit seinem Schreiben vom Mai 2023 einen Zweitbescheid und nicht lediglich eine wiederholende Verfügung erlassen. Dies ergebe sich aus einer Verfügung des Bundesamts vom … … 2023 in der es heiße „… Bestandskraft des Bescheides vom … … 2023 stornieren und bitte Bescheid vom … … 2023 erneut an RA … zustellen.“ Somit sei im … 2023 ein erneuter Verwaltungsakt ergangen, der eine neue Klagefrist ausgelöst habe, die mit Eingang der Klage am … … 2023 beim Verwaltungsgericht eingehalten worden sei.
14
Mit (unanfechtbarem) Beschluss vom … … 2024 ( … … …) lehnte das Gericht den Antrag ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass nach jetziger Sach- und Rechtslage die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage aufgrund Nichteinhaltung der einwöchigen Klagefrist nach §§ 74 Abs. 1, 36 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 AsylG nicht geboten sei.
15
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten in diesem Verfahren und in den Verfahren  …  …,  … … … und  … … … sowie auf die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO).

Entscheidungsgründe

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Über die Klage konnte nach vorheriger Anhörung der Beteiligten durch Gerichtsbescheid entschieden werden, da sie keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 VwGO).
17
Die Klage ist bereits unzulässig. Die einwöchige Klagefrist nach §§ 74 Abs. 1, 36 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 AsylG wurde nicht eingehalten. Laut Aktenvermerk des Bundesamtes wurde der Bescheid vom … … 2023 als Einschreiben am … … 2023 zur Post gegeben (§ 4 Abs. 2 Satz 3 Verwaltungszustellungsgesetz – VwZG), sodass dieser grundsätzlich am dritten Tag nach der Aufgabe als zugestellt gilt (§ 4 Abs. 2 Satz 2 VwZG), demnach am … … 2023. Ein tatsächlich bereits früher erfolgter Zugang des Bescheids bereits am … Januar 2023 ist unerheblich. Die am … … 2023 beim Verwaltungsgericht … eingegangene Klage war somit verfristet (§§ 57 VwGO, § 222 Abs. 1 Zivilprozessordnung – ZPO i.V.m. §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB).
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1. Durch die Zustellung des Bescheids an die Rechtsanwälte … … … … … ist die Klagefrist wirksam angelaufen.
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Die Zustellung ist nach § 7 Abs. 1 Satz 2 VwZG an den Bevollmächtigten zu richten, wenn dieser eine schriftliche Vollmacht vorgelegt hat. Dabei genügt im Falle der Vertretung einer Partei durch mehrere Bevollmächtigte die Zustellung einer Ausfertigung der Entscheidung an einen der mehreren Bevollmächtigten (BVerwG, B.v. 21.12.1983 – 1 B 152/83 – NJW 1984, 2115). Auch in Asylverfahren setzt die Zustellung des Bescheids an einen Bevollmächtigten die Klagefrist in Lauf, auch wenn den weiteren Bevollmächtigten der Bescheid nicht zugestellt wurde (vgl. BayVGH, B.v. 6.3.2002 – 8 ZB 02.830341 – juris; Bruns in NK-AuslR, 3. Aufl. 2023, AsylG § 10 Rn. 22). Dies gilt sogar dann, wenn – anders als hier – die Nennung des weiteren Bevollmächtigten im Rubrum des Ablehnungsbescheids unterblieben ist (vgl. BayVGH, B.v. 6.3.2002 – 8 ZB 02.830341 – juris Rn. 7). Zwar erlischt die Vollmacht mit wirksamer Kündigung gegenüber dem Vollmachtgeber. Gegenüber der Behörde oder dem Gericht wird ein Widerruf der Vollmacht jedoch erst wirksam, wenn er ihr zugeht (§ 14 Abs. 1 Satz 4 Verwaltungsverfahrensgesetz – VwVfG).
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Diesen Grundsätzen entsprechend, konnte der Bescheid vom … … 2023 aufgrund der am … … 2020 beim Bundesamt eingegangenen Vollmacht (nur) an die Rechtsanwälte … … … … … zugestellt werden. Die Anzeige, dass diese den Kläger nicht mehr vertreten, erfolgte gegenüber dem Bundesamt erst mit am … … 2023 dort eingegangenem Schreiben vom … … 2023. Dass das Mandat gegenüber den Rechtsanwälten … … … … … möglicherweise bereits am … … 2023 gekündigt wurde, spielt – wie oben ausgeführt – keine Rolle.
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2. Etwas Anderes folgt auch nicht aus § 4 Abs. 2 Satz 2 VwZG.
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Zwar hat nach § 4 Abs. 2 Satz 2 VwZG die Behörde den Zugang und dessen Zeitpunkt im Zweifel nachzuweisen. Da § 4 Abs. 1 VwZG eine Zugangsvermutung in der Form eines gesetzlich normierten Anscheinsbeweises aufstellt, muss der Zugangszeitpunkt jedoch nur dann von Amts wegen ermittelt werden, wenn der Empfänger die Vermutung durch entsprechenden Tatsachenvortrag erschüttert. Gefordert wird ein substantiiertes Bestreiten in der Weise, dass der Betroffene einen abweichenden Geschehensablauf schlüssig vorträgt, weil anderenfalls die Zugangsvermutung wertlos wäre. Ein einfaches Bestreiten reicht dabei nicht aus (BSG, U.v. 23.5.2000 – B 1 KR 27/99 R – juris Rn. 11; BFH, U.v. 5.3.1986 – BFHE 146, 27- NVwZ 1986, 968; Ronellenfitsch in BeckOK VwVfG, Stand 10/2023, VwZG, § 4 Rn. 25).
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Der Anscheinsbeweis des Zugangs des Bescheids an die zu diesem Zeitpunkt gegenüber dem Bundesamt bevollmächtigten Rechtsanwälte … … … … … wurde von der Klägerseite nicht – schon gar nicht durch entsprechenden Tatsachenvortrag – erschüttert. Vielmehr hat der damals weitere Bevollmächtigte des Klägers … … laut Aktenvermerk des Bundesamtes vom … … 2023 in einem Telefonat angegeben, dass der Bescheid von den Rechtsanwälten … … … … … nicht an den Kläger weitergegeben worden sei, was dieser durch die in der Email an den Kläger vom … … 2024 enthaltenen Aussage, dass der Bescheid nicht an diesen zugestellt bzw. übermittelt werden konnte, bestätigt. Dies und auch der zeitliche Zusammenhang der Anzeige der Mandatsniederlegung durch die Rechtsanwälte … … … … … gegenüber dem Bundesamt mit Schreiben vom … … 2023 zum Versand des Bescheids, lassen im Gegenteil vielmehr den Schluss zu, dass die Zustellung an die Rechtsanwälte … … … … … auch tatsächlich erfolgt ist. Der nunmehr bevollmächtigte Prozessvertreter des Klägers bestätigte zudem zuletzt sogar den Erhalt des Bescheids des Bundesamtes durch die Rechtsanwälte … … … … … am … … 2023.
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3. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt nicht in Betracht.
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Nach § 60 Abs. 1 VwGO ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Ist die versäumte Rechtshandlung innerhalb der Antragsfrist nachgeholt worden, kann die Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden (§ 60 Abs. 2 Satz 4 VwGO). Eine Wiedereinsetzung von Amts wegen kommt dann in Betracht, wenn für das Gericht ohne weiteres erkennbar ist, dass den Kläger kein Verschulden an der Fristversäumung trifft, wenn also die eine Wiedereinsetzung rechtfertigenden Tatsachen offenkundig (§ 291 ZPO) oder sonst glaubhaft sind und die versäumte Prozesshandlung nachgeholt ist (Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 60 Rn. 36).
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Ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurde nicht gestellt. Selbst wenn man davon ausginge, dass die versäumte Rechtshandlung der Klageerhebung bereits am … … 2023, mithin innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses durch die erneute Zustellung des am … … 2023 als Einschreiben zur Post gegebenen Bescheids an den damals weiteren Bevollmächtigten des Klägers erfolgt ist, ist nicht ohne weiteres erkennbar, dass den Kläger kein Verschulden an der Fristversäumnis trifft. Dies folgt insbesondere auch nicht aus der wohl nicht erfolgten Weitergabe des an die Rechtsanwälte … … … … … zugestellten Bescheids an den Kläger. Das Verschulden der Rechtsanwälte ist dem Kläger wie eigenes Verschulden zuzurechnen (§ 173 VwGO iVm. § 85 Abs. 2 ZPO). Dies gilt auch für die Versäumung der Klagefrist im Asylverfahren (vgl. BVerfG, B.v. 21.6.2000 – 2 BvR 1989/97 – juris).
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4. Durch das Schreiben des Bundesamts vom … … 2023 an den damals bevollmächtigten Rechtsanwalt … … liegt kein Zweitbescheid vor, der eine erneute Klagefrist ausgelöst hätte.
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Hat eine Behörde anlässlich eines konkreten Sachverhalts bereits in der Vergangenheit eine Sachentscheidung durch Verwaltungsakt getroffen, die bestandskräftig geworden ist, so stellt ein erneuter Bescheid nur dann eine neue und damit eigenständig anfechtbare Regelung nach § 35 Satz 1 VwVfG in Gestalt eines sog. Zweitbescheids dar, wenn ihm entnommen werden kann, dass die Behörde in eine neue Sachprüfung eingetreten ist (vgl. etwa Ramsauer in Kopp/Ramsauer, VwVfG, 24. Aufl. 2023, § 35 Rn. 97; von Alemann/Scheffczyk in Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, Stand 1.4.2023, § 35 Rn. 188). Andernfalls liegt nur eine schlichte Wiederholung des unanfechtbaren Verwaltungsakts oder ein Hinweis auf einen solchen vor (sog. wiederholende Verfügung). Einer solchen Verfügung fehlt eine Regelung und damit die Eigenschaft als Verwaltungsakt (vgl. Windorffer in Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 35 Rn. 89). Sie kann daher nicht angefochten werden und eröffnet auch keine Möglichkeit eines (erneuten) Rechtsbehelfs gegen den bereits bestandskräftigen Verwaltungsakt (vgl. BVerwG, U.v. 11.12.2008 – 7 C 3.08 – juris Rn. 14; Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 10. Auf. 2022, § 51 Rn. 57 ff.; Hüttenbrink in Posser/Wolff/Decker, BeckOK VwGO, Stand 1.4.2023, § 72 Rn. 13). Entscheidend für die Abgrenzung zwischen Zweitbescheid und wiederholender Verfügung ist der durch Auslegung ermittelte Erklärungsinhalt des fraglichen Bescheids im konkreten Fall (vgl. BVerwG, B.v. 4.4.2013 – 8 B 74.12 – juris Rn. 5 m.w.N.). Es muss der Wille der Behörde erkennbar werden, erneut in eine Sachprüfung eingetreten, eine Sachentscheidung getroffen und dadurch die Bestandskraft ihrer vorherigen Entscheidung beseitigt zu haben (vgl. BVerwG, U.v. 11.12.2008 – 7 C 3.08 – juris Rn. 14). Maßgeblich ist dabei nicht der innere Wille der Behörde, sondern die nach außen verlautbarte Erklärung. Bei der Auslegung des Erklärungsgehalts eines Verwaltungsakts sind die rechtlich vorgegebenen Auslegungsregeln (insbesondere §§ 133, 157 BGB analog) zu beachten (BVerwG, B.v. 4.4.2013 – 8 B 74.12 – juris Rn. 5 m.w.N.). So ist darauf abzustellen, wie ein Empfänger des Bescheids bei verständiger Würdigung mit Blick auf die erkennbaren Umstände und die Interessenlage der Behörde vor und bei dem Ergehen der behördlichen Maßnahme diesen verstehen konnte und musste (vgl. zum Ganzen BayVGH B.v. 15.4.2024 – 24 CS 23.1582 – juris Rn. 21f.)
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Dem folgend stellt das Schreiben des Bundesamts vom … … 2023 keinen Zweitbescheid dar. Dem Schreiben kann nicht entnommen werden, dass das Bundesamt in eine erneute Sachprüfung eingetreten ist. Im Gegenteil wird dort sogar wörtlich derselbe Bescheid vom … … 2023 (nur) erneut zugestellt. Der Erklärungsinhalt des Schreibens lässt auch aus Sicht eines verständigen Empfängers keinen anderen Schluss zu, insbesondere wird dort nicht der Wille deutlich, eine erneute Entscheidung in der Sache zu treffen und gerade dadurch die Bestandskraft der bisherigen Entscheidung zu beseitigen. Etwas Anderes folgt auch nicht aus der Verfügung im Aktenvermerk vom … … 2023. Soweit dort verfügt wurde, die Ausländerbehörde umgehend zu informieren und die Bestandskraft des Bescheids vom … … 2023 zu stornieren, handelt es sich um eine Verfahrensanweisung innerhalb des Bundesamtes, die in Bezug auf Vollstreckungsmaßnahmen seitens der Ausländerbehörde erfolgt. Der Wille der Behörde, hier nach erneuter inhaltlicher Prüfung eine (abweichende) Sachentscheidung treffen zu wollen, tritt nicht hervor, was umso mehr gilt, als dass auch nach dieser Verfügung derselbe Bescheid vom … … 2023 nur erneut zugestellt werden soll.
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Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen; Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.