Inhalt

OLG München, Beschluss v. 13.08.2024 – 25 U 5146/23 e
Titel:

Abtretung der Ansprüche, Wirksamkeit der Abtretung, Abtretungsklausel, Abtretungserklärung, Abtretungsvereinbarung, Neue Abtretung, Abtretungsvertrag, Allgemeine Geschäftsbedingungen, Erstattungsanspruch, unangemessene Benachteiligung, Versicherungsnehmer, Rückforderungsansprüche, Unwirksamkeit, Beitragserhöhung, Rechtswidrigkeit, Rechtsanwaltsgebühren, Unberechtigte Geltendmachung, Vertragspartner, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Bestimmung

Schlagworte:
Abtretung, Unwirksamkeit, Transparenzgebot, Überraschende Klausel, Interessenabwägung, Geltungserhaltende Reduktion
Vorinstanzen:
LG München I, Endurteil vom 28.11.2023 – 23 O 18803/21
OLG München, Hinweisbeschluss vom 18.06.2024 – 25 U 5146/23 e
LG München I, Endurteil vom 28.11.2023 – 23 O 18803/21
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 02.04.2025 – IV ZR 119/24
Fundstelle:
BeckRS 2024, 47034

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 28.11.2023, Aktenzeichen 23 O 18803/21, wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München I ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 261.330,17 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Klägerin macht gegen den beklagten Versicherer aus abgetretenem Recht in einer Vielzahl von Fällen Ansprüche auf Erstattung von Krankenversicherungsbeiträgen geltend mit der Behauptung, Prämienanpassungen seien materiell-rechtlich und formal unwirksam, Rückzahlungsansprüche seien ihr von 120 Versicherungsnehmern wirksam abgetreten worden. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, weil die (behaupteten) Abtretungen unwirksam seien.
2
Die Klägerin beantragt,
Das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts München I wird abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 261.330,17 EUR nebst Zinsen in Höhe von neun Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten und Auslagen in Höhe von 28.235,73 EUR freizustellen.
3
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
4
Der Senat nimmt gemäß § 522 Abs. 2 Satz 4 ZPO Bezug auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil des Landgerichts. Zum Sachvortrag im Berufungsrechtszug verweist der Senat ergänzend auf die eingereichten Schriftsätze. Der Senat hat auf seine Absicht, die Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, mit Beschluss vom 18.06.2024 (Bl. 23/27 d. A. OLG) hingewiesen und dazu rechtliches Gehör gewährt.
II.
5
Die Berufung gegen das im Tenor bezeichnete Urteil des Landgerichts ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert. Auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung ist nicht geboten.
6
1. Die Entscheidung des Landgerichts beruht weder auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) noch rechtfertigen nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO). Der Senat verweist auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Urteil. Mit Recht hat das Landgericht entschieden, dass die (behaupteten) Abtretungen nicht wirksam vereinbart sind. Sie sind gemäß § 305c Abs. 1 BGB nicht Vertragsbestandteil geworden und wären jedenfalls gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam.
7
1.1. Eine Forderung kann von dem Gläubiger durch Vertrag mit einem anderen auf diesen übertragen werden (Abtretung oder Zession). Mit dem Abschluss des Vertrags tritt der neue Gläubiger an die Stelle des bisherigen Gläubigers (§ 398 BGB).
8
Die Forderungszession kann in Allgemeinen Geschäftsbedingungen vereinbart werden. Dafür müssen die Klauseln nach Maßgabe des § 305 Abs. 2 und 3 BGB wirksam in den Vertrag einbezogen und auch nicht im Sinne des § 305c Abs. 1 BGB so ungewöhnlich sein, dass der Vertragspartner des Verwenders nicht mit einer solchen Abtretungsklausel zu rechnen braucht. Die inhaltliche Angemessenheit beurteilt sich nach § 307 BGB und schränkt den Spielraum des Formularverwenders spürbar ein (BeckOGK-BGB/Lieder, 1.1.2024, § 398 Rn. 50; vgl. auch MünchKomm-BGB/Fornasier, 9. Aufl., § 305 Rn. 9 zur Anwendbarkeit der §§ 305 ff BGB auf Abtretungen).
9
Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die nach den Umständen, insbesondere nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrags, so ungewöhnlich sind, dass der Vertragspartner des Verwenders mit ihnen nicht zu rechnen braucht, werden nicht Vertragsbestandteil (§ 305c Abs. 1 BGB). Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen (§ 307 Abs. 1 Satz 1 BGB). Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB).
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1.2. Gegenstand der AGBrechtlichen Kontrolle ist die von der Klägerin für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingung zur Abtretung, welche die Klägerin ihren Vertragspartnern gestellt hat (vgl. § 305 Abs. 1 BGB).
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1.2.1. Die jeweiligen Abtretungsverträge enthalten ausweislich des unstreitigen Tatbestands des landgerichtlichen Urteils, an den der Senat gebunden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 02.12.2015 – VII ZB 48/13; Urteil vom 14.07.2009 – XI ZR 18/08; OLG München, Beschluss vom 06.05.2020 – 25 U 1027/20), unter anderem folgende Regelung:
„Mit ihrer untenstehenden Unterschrift treten Sie sämtliche Erstattungsansprüche und Schadensersatzansprüche, die im Zusammenhang mit zu viel gezahlten Beiträgen an den Schuldner entstanden sind, seien sie bekannt oder unbekannt, gegenwärtig, zukünftig oder vergangen an die Gesellschaft ab. Erfasst sind insbesondere sämtliche Zahlungen, die auf rechtswidrigen Beitragserhöhungen beruhen. Die Gesellschaft nimmt die Abtretung hiermit an.“
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Ausweislich der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin, auf deren Geltung im jeweiligen Abtretungsvertrag verwiesen wird, wird der Forderungskaufvertrag und zugleich der Abtretungsvertrag durch das Anklicken eines Links abgeschlossen. Über die so erfolgte Annahme des Angebots der Klägerin auf Abschluss des Forderungskaufvertrags und des Abtretungsvertrags wird eine elektronische Dokumentation in Form des elektronisch gezeichneten Abtretungsvertrags erstellt. Diese wird zur schriftlichen Unterzeichnung an den Zedenten übersandt und ist von diesem binnen sechs Monaten unterschrieben zurückzuschicken. Andernfalls verliert der Zedent den Anspruch auf den vereinbarten Auszahlungswert. Bei der erfolgten Abtretung verbleibt es jedoch. Das ergibt sich aus der Veröffentlichung der Klägerin im Internet unter der in den Abtretungsverträgen bezeichneten Adresse www. … . Darauf hat der Senat hingewiesen.
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1.2.2. Die Klausel zur Abtretung ist auszulegen.
14
1.2.2.1. Allgemeine Geschäftsbedingungen sind gemäß ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zu Grunde zu legen sind. Ansatzpunkt für die nicht am Willen der konkreten Vertragspartner zu orientierende Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen ist in erster Linie der Vertragswortlaut und dabei grundsätzlich der allgemeine Sprachgebrauch (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 17.12.1987 – VII ZR 307/86, NJW 1988, 1261; vom 14.07.2004 – VIII ZR 339/03, NJW 2004, 2961; vom 14.06.2006 – IV ZR 54/05, NJOZ 2006, 3019; BeckOGK-BGB/Bonin, 1.3.2024, § 305c Rn. 89; Thüsing in Graf von Westphalen/Thüsing/Pamp, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, 49. EL März 2023, Teil Vertragsrecht – Auslegung IV. Die Auslegung von allgemeinen Geschäftsbedingungen im Einzelnen Rn. 8 ff).
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1.2.2.2. Der Wortlaut lässt – wie das Landgericht zutreffend ausführt – nur das Verständnis zu, dass sämtliche Erstattungsansprüche und Schadensersatzansprüche, die im Zusammenhang mit zu viel gezahlten Beiträgen an den Versicherer entstanden sind, von der Abtretungsvereinbarung umfasst sein sollen. Das ist ausdrücklich so geregelt. Damit umfasst die Abtretung auch Ansprüche, die nicht in Zusammenhang mit Beitragserhöhungen nach § 203 Abs. 2 VVG stehen, sondern Ansprüche jeglicher Art, die auf Überzahlungen von Beiträgen beruhen. Durch den Zusatz „Erfasst sind insbesondere sämtliche Zahlungen, die auf rechtswidrigen Beitragserhöhungen beruhen“ wird das nicht eingeschränkt; das Wort „insbesondere“ weist vielmehr darauf hin, dass auch andere Ansprüche erfasst sein sollen.
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Umfasst sind daher auch Beitragsrückerstattungsansprüche, Rückforderungsansprüche wegen irrtümlich zu hohen Beitragseinzugs oder anderer versehentlicher Beitragsüberzahlungen, wegen rückwirkenden Vertragsbeendigungen oder rückwirkendem Wechsel in günstigere Tarife. Das betrifft bestehende und künftige Ansprüche, auch unbekannte.
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Unter Umständen sind auch Schadensersatzansprüche wegen zu viel gezahlter Beiträge aufgrund von Anpassungen des Selbstbehalts oder von Tarifbestimmungen umfasst, beispielsweise wenn Beitragsrückerstattungen zu gering ausfallen.
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1.3. Diese weitgehende Regelung des Umfangs der Abtretung ist gemäß § 305c Abs. 1 BGB nicht Vertragsbestandteil geworden.
19
1.3.1. Sie ist so ungewöhnlich, dass die Vertragspartner der Klägerin mit ihr nicht zu rechnen brauchten. Hierbei ist auch folgendes zu berücksichtigen: Der Forderungskaufvertrag und zugleich der Abtretungsvertrag wird – wie dargestellt – durch das Anklicken eines Links abgeschlossen (s.o. unter 1.2.1). Ein durchschnittlicher Verbraucher rechnet überhaupt nicht damit, dass er durch den Klick seine Ansprüche im dargestellten Umfang verliert, insbesondere auch solche, die in keinem Zusammenhang mit rechtswidrigen Prämienanpassungen nach § 203 VVG stehen, deretwegen er das Geschäft mit der Klägerin eingeht. Er rechnet auch nicht damit, dass er seine Ansprüche ohne Gegenleistung verliert, wenn er ein Schriftstück nicht rechtzeitig zurückschickt.
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1.3.2. Damit ist die gesamte Bestimmung zur Abtretung gemäß § 305c Abs. 1 BGB nicht wirksam einbezogen. Eine teilweise Aufrechterhaltung der Abtretungsregelung (vgl. § 306 Abs. 1 BGB) hat hier nicht zu erfolgen.
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Eine Teilbarkeit im Sinne von § 306 Abs. 1 und 2 BGB besteht, wenn die restlichen Vertragsbestandteile gegenüber den nicht einbezogenen oder unwirksamen Klauseln einen selbstständigen Inhalt haben, der unabhängig von den betroffenen Klauseln überprüft werden kann und seinerseits nicht zu beanstanden ist (BeckOGK-BGB/Bonin, 2024, § 306 Rn. 16 ff).
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Dies ist hier nicht der Fall. Die Bestimmung sieht vor, dass „sämtliche Erstattungsansprüche und Schadensersatzansprüche“ abgetreten werden, die im Zusammenhang mit zu viel gezahlten Beiträgen entstanden sind, wobei „insbesondere sämtliche Zahlungen, die auf rechtswidrigen Beitragserhöhungen beruhen“, erfasst sind. Diese Bestimmung ist nicht sachlich teilbar in einerseits eine Abtretung der Ansprüche, die auf rechtswidrigen Beitragserhöhungen beruhen, und andererseits eine Abtretung sämtlicher weiterer Ansprüche, die im Zusammenhang mit zu viel gezahlten Beiträgen entstanden sind. Striche man im Satzteil „… treten Sie sämtliche Erstattungsansprüche …“ das Wort „sämtliche“, so verbliebe schon keine verständliche und inhaltlich selbständige Regelung (vgl. hierzu BeckOGK-BGB/Bonin, 2024, § 306 Rn. 18). Denn eine Bestimmung, die sich nur auf „Erstattungsansprüche und Schadensersatzansprüche“ „im Zusammenhang mit zu viel gezahlten Beiträgen“ ohne Klarstellung des Umfangs bezöge, sähe sich rechtlichen Bedenken ausgesetzt. Für die Abtretung als Verfügungsgeschäft gilt das Bestimmtheitsgebot, wonach die abgetretenen Ansprüche bestimmt oder wenigstens bestimmbar sein müssen. Eine Regelung, die gerade nicht „sämtliche“ Ansprüche erfasst, die in einer bestimmten Weise beschrieben werden, sondern (möglicherweise) nur einen nicht weiter bestimmten Teil davon, legt nicht hinreichend bestimmt fest, was Gegenstand des Verfügungsgeschäfts sein soll.
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1.4. Wäre die Bestimmung – wie nicht – wirksam einbezogen, so wäre die vorliegende Regelung zur Abtretung wegen Verstoßes gegen § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam, weil sie die Kunden der Klägerin unangemessen benachteiligt.
24
1.4.1. Bei der Regelung zum Umfang der übertragenen Ansprüche handelt es sich nicht um den unmittelbaren Gegenstand der Hauptleistung (sogenannte Leistungsbeschreibung), sondern um eine Klausel, die das Hauptleistungsversprechen ausgestaltet. Solche Regelungen sind gemäß § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB inhaltlich zu kontrollieren (vgl. BGH, Urteil vom 12.06.2001 – XI ZR 274/00, BGHZ 148, 74, juris Rn. 14 zu § 8 AGBG).
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1.4.2. Die Regelung benachteiligt die Vertragspartner der Klägerin entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen.
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1.4.2.1. Zwar ist für die Beurteilung der Wirksamkeit zwischen dem schuldrechtlichen Kaufvertrag (hier: Forderungskauf) und der Zession zu differenzieren. Allerdings ist eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen vereinbarte Forderungszession bei Vorliegen einer unangemessenen Benachteiligung nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB oder bei mangelnder Transparenz nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam (BeckOGK-BGB/Lieder, 1.1.2024, § 398 Rn. 50). Das ist hier der Fall.
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Bei der durchzuführenden Interessenabwägung ist als Hauptanliegen der Kunden der Klägerin die Wahrung der Äquivalenz zwischen Leistung und Gegenleistung zu bewerten (vgl. BeckOK-BGB/H. Schmidt, 1.5.2024, § 307 Rn. 40). Vorliegend besteht durch die von der Klägerin gewählte Ausgestaltung des Umfangs der Abtretung eine (erhebliche) Äquivalenzstörung. Die Kunden der Klägerin verlieren durch die Abtretung nicht nur Ansprüche, die durch Zahlungen auf unzureichend begründete oder sonst rechtswidrige Prämienanpassungen erfolgten, sondern auch (zukünftige) Ansprüche, die in keinerlei Zusammenhang mit Anpassungen nach § 203 VVG stehen, beispielsweise auf Beitragsrückerstattungen und auch zukünftige Ansprüche auf Beitragsrückzahlung, wenn künftige Anpassungen materiell-rechtlich unwirksam sind. Außerdem verlieren sie – unabhängig von jeglichem Verschulden – den Anspruch auf die Gegenleistung der Klägerin schon dann, wenn sie nur eine Unterlage nicht rechtzeitig zurücksenden (zu allem s.o. unter 1.2.2.2).
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1.4.2.2. Darüber hinaus ergibt sich eine unangemessene Benachteiligung daraus, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist (vgl. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB).
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Es ist nicht ausreichend klar, welche Schadensersatzansprüche gemeint sein sollen. „Schadensersatzansprüche, die im Zusammenhang mit zu viel gezahlten Beiträgen an den Schuldner entstanden sind“, sollen abgetreten sein. Zahlungen erfolgen jeweils durch die Zedenten. Durch die Zahlungen selbst können keine Schadensersatzansprüche entstehen; auf rechtswidrige Erhöhungsverlangen des Versicherers stellt die Bestimmung nicht ausdrücklich ab. Weiter ist unklar, ob Schadensersatzansprüche und bereicherungsrechtliche Ansprüche wegen rechtswidrigen Anpassungen des Selbstbehalts und von Tarifbedingungen abgetreten sein sollen.
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1.4.3. Die gesamte Bestimmung zur Abtretung ist gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam. Eine teilweise Aufrechterhaltung der Abtretungsregelung (vgl. § 306 Abs. 1 BGB) hat hier nicht zu erfolgen. Zum Maßstab hierfür wird Bezug genommen auf die entsprechenden Ausführungen zur Einbeziehungskontrolle (s.o. unter 1.3.2).
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1.4.3.1. Wie dort besprochen ist die Bestimmung nicht sachlich teilbar in einerseits eine Abtretung der Ansprüche, die auf rechtswidrigen Beitragserhöhungen beruhen, und andererseits eine Abtretung sämtlicher weiterer Ansprüche, die im Zusammenhang mit zu viel gezahlten Beiträgen entstanden sind.
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1.4.3.2. Gleiches gilt für die (fehlende) sachliche Teilbarkeit in einerseits eine Abtretung bekannter, gegenwärtiger oder vergangener Ansprüche und andererseits eine Abtretung unbekannter oder zukünftiger Ansprüche.
33
Die Klägerin meint, die Abtretungserklärungen (s.o. unter 1.2.1) lauteten nach dem sogenannten Blue-pencil-Test folgendermaßen (Gegenerklärung vom 30.07.2024, S. 10, Streichungen dort, Bl. 40 d. A. OLG):
„Mit Ihrer untenstehenden Unterschrift treten Sie sämtliche Erstattungsansprüche und Schadensersatzansprüche, […] die im Zusammenhang mit zu viel gezahlten Beiträgen an den Schuldner entstanden sind, seien sie bekannt oder unbekannt, gegenwärtig, zukünftig oder vergangen, an die Gesellschaft ab. Erfasst sind insbesondere sämtliche Zahlungen, die auf rechtswidrigen Beitragserhöhungen beruhen. Die Gesellschaft nimmt die Abtretungen hiermit an.“
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Es kann an dieser Stelle dahinstehen, ob dies eine verständliche und inhaltlich selbständige Regelung wäre. Jedenfalls würde auch eine solche Regelung die Vertragspartner der Klägerin unangemessen benachteiligen.
35
Auch nach dieser Regelung würden die Vertragspartner sämtliche Erstattungsansprüche im Zusammenhang mit zu viel gezahlten Beiträgen abtreten, ohne dass dies – bei der gebotenen Auslegung (s.o. unter 1.2.2) – eingeschränkt würde auf „Zahlungen, die auf rechtswidrigen Beitragserhöhungen beruhen“. Die Formulierung im zweiten Satz der Bestimmung, dass solche Zahlungen „erfasst“ sind, bringt (auch ohne das Wort „insbesondere“) nicht zum Ausdruck, dass sich die Abtretung auf solche Ansprüche beschränken soll. Deshalb muss der Vertragspartner nach dem ersten Satz von einer Abtretung „sämtlicher“ Ansprüche ausgehen.
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Eine Abtretung sämtlicher Erstattungsansprüche ginge aber auch für bereits entstandene Ansprüche zu weit. Sie würde beispielsweise auch Beitragsrückerstattungsansprüche, Rückforderungsansprüche wegen irrtümlich zu hohen Beitragseinzugs oder anderer versehentlicher Beitragsüberzahlungen, wegen rückwirkenden Vertragsbeendigungen oder rückwirkendem Wechsel in günstigere Tarife (s.o. unter 1.2.2.2) oder aus ganz anderen Rechtsgründen erfassen und damit den wirtschaftlichen Rahmen des mit der Abtretung zusammenhängenden Forderungskaufs überschreiten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nach dem eigenen Vortrag der Klägerin deren Kunden einmalig und abschließend den Forderungskaufpreis erhalten, während nicht vorgesehen ist, dass die Klägerin den Kunden solche Einziehungserlöse auskehrt, die sie aus Forderungen realisiert, die andere Gründe haben als rechtswidrige Prämienanpassungen nach § 203 VVG.
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1.5. Jenseits der sachlichen Teilbarkeit, an der es hier fehlt (s.o. unter 1.3.2 und 1.4.3), ist eine Reduktion der Bestimmung nicht möglich.
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Eine gegen eine Vorschrift der §§ 307-309 BGB verstoßende Allgemeine Geschäftsbedingung ist vollumfänglich unwirksam. Sie darf insbesondere nicht auf das gerade noch gesetzlich zulässige Maß beschränkt werden. Es gilt das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion. Der Verwender trägt das Risiko der Gesamtunwirksamkeit der von ihm verwendeten Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Dies soll ihn dazu anhalten, selbst für die Angemessenheit seiner Bedingungswerke Sorge zu tragen, wenn er schon einseitig seine Gestaltungsmacht durchsetzen will. Anderenfalls wäre den Unternehmen gestattet, gefahrlos benachteiligende Allgemeine Geschäftsbedingungen zu verwenden und die Grenzen zulässiger Klauseln gegebenenfalls durch die Gerichte klären zu lassen (vgl. BGH, Urteil vom 13.07.1994 – IV ZR 107/93, BGHZ 127, 35, juris Rn. 29; Staudinger in Bach/Moser, Private Krankenversicherung, 5.  Aufl. 2016, Einleitung Teil A Rn. 154; Armbrüster in Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 29. Aufl. 2015, Einleitung Rn. 201; bei Verstoß einer Klausel gegen europäisches Recht: EuGH, Urteil vom 14.06.2012 – C-618/10, NJW 2012, 2257; vgl. auch BGH, Urteil vom 22.01.1992 – IV ZR 59/91).
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2. Zu den Ausführungen in der Berufungsbegründung vom 06.05.2024 (Bl. 13/20 d. A. OLG) ist Folgendes anzumerken:
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2.1. Die Klägerin meint, das Landgericht habe seine Hinweispflicht aus § 139 ZPO verletzt und eine Überraschungsentscheidung erlassen.
41
Sie verweist auf ihren Schriftsatz vom 14.11.2023 (Bl. 240/243 d. A. LG) und das Beweisangebot (Einvernahme der Zedenten als Zeugen und Parteieinvernahme des Vorstands der Klägerin). Der Beweisantrag bezieht sich lediglich auf folgenden Sachverhalt (aaO S. 1):
„Die Beklagte hat recht, wenn sie den fehlenden Vortrag zu den Rückübertragungen in der Replik bemängelt. Der Grund hierfür ist, dass es in dem vorliegenden Fall keine Rückübertragungen gegeben hat und diese zu keinem Zeitpunkt von der Klägerin vorgetragen wurden. Diese werden erstmalig in der Duplik von der Beklagten behauptet, welche sodann im Termin das Nichtvorliegen dieser Rückabtretungen ihrerseits mit Nichtwissen bestreitet. Es dürfte deutlich werden, dass dies prozessual sinnfrei und das Bestreiten an sich unzulässig sein dürfte. Sollte das Gericht dies dennoch als beachtlich sehen, bitten wir um richterlichen Hinweis und werden sodann hierzu wie folgt Beweis anbieten.“
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Dieser Sachverhalt ist nicht entscheidungserheblich. Darauf, ob Rückübertragungen erfolgten, kommt es nicht an. Hinweise zu dem Beweisangebot waren schon deswegen nicht veranlasst.
43
Der Inhalt der vereinbarten Abtretung ist – wie das Landgericht im Tatbestand des angefochtenen Urteils festgestellt hat – unstreitig und rechtlich zu bewerten. Eine Zeugeneinvernahme zu Rechtsfragen sieht die Zivilprozessordnung nicht vor.
44
2.2. Da die Wirksamkeit der Abtretungen Kernproblem des Rechtsstreits war, musste das Landgericht dazu keine Hinweise erteilen. Im Übrigen wurde die Frage der Wirksamkeit der Abtretungen ausweislich des Protokolls vom 17.10.2023 erörtert (Bl. 235 d. A. LG).
45
2.3. Dass die Klägerin die Forderungen von den Zedenten bedingungslos und endgültig gekauft und dafür an jeden Zedenten den entsprechend vereinbarten Kaufpreis gezahlt hat, unterstellt das Landgericht bei seiner Entscheidung. Hinweise waren dazu nicht erforderlich. Zutreffend bewertet das Landgericht die Abtretungen als unwirksam.
46
2.4. Auf eine mögliche Sittenwidrigkeit der Abtretungen muss nicht abgestellt werden.
47
2.5. Dass die Abtretungen nach §§ 305 ff BGB unwirksam sind, wurde bereits dargelegt (s.o. unter 1). Das Landgericht war nicht gehalten, die Klägerin bei der Gestaltung der materiellen Rechtslage zu unterstützen.
48
2.5.1. Soweit die Klägerin vorträgt, alle Zedenten seien durch die Klägerin umfassend darüber informiert worden, dass von der Abtretung nur die hier klageweise geltend gemachten Ansprüche umfasst sind, ist dieser Vortrag nicht entscheidungserheblich. Es handelt sich bei der behaupteten Information schlicht um die Mitteilung einer (falschen) rechtlichen Einschätzung.
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2.5.2. Soweit die Klägerin exemplarisch Angaben von Versicherungsnehmern zur Akte reicht (zu Bl. 13/20 d. A. OLG), ändert das an der Beurteilung nichts.
50
2.5.2.1. Diese Angaben können im Berufungsverfahren nicht verwertet werden.
51
Nach § 531 Abs. 2 Satz 1 ZPO sind in der Berufungsinstanz neue Angriffs- und Verteidigungsmittel nur zuzulassen, wenn sie einen Gesichtspunkt betreffen, der vom Gericht des ersten Rechtszuges erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten worden ist, wenn sie infolge eines Verfahrensmangels im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht wurden oder wenn sie im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht worden sind, ohne dass dies auf einer Nachlässigkeit der Partei beruht. Die Erfassung der Tatsachengrundlage ist prinzipiell der ersten Instanz zugewiesen. Die Berücksichtigung neuen Vorbringens ist in der Berufungsinstanz nur ausnahmsweise möglich (OLG München, Beschluss vom 05.03.2020 – 25 U 6602/19; Zöller/Heßler, ZPO, 35. Aufl., § 530 Rn. 1). Auf § 531 ZPO hat der Senat hingewiesen.
52
Die Klägerin hat ihren Vortrag zu einem angeblichen – dem Wortlaut der Vereinbarung eindeutig widersprechenden – übereinstimmenden Verständnis der Parteien bei Abschluss des Kaufvertrags erst in der Berufungsinstanz gehalten und die Erklärungen der Versicherungsnehmer erst in der Berufungsinstanz vorgelegt. Es handelt sich um ein neues Angriffsmittel im Berufungsverfahren.
53
Dieses hätte, da die Klägerin behauptet, bereits bei Vertragsschluss hätte ein solches übereinstimmendes Verständnis vorgelegen, bereits in erster Instanz vorgetragen werden können (eine neue Abtretung ist mit dem Vortrag nicht verbunden). Vorliegend liegt kein Ausnahmefall für eine Zulassung des neuen Vorbringens vor. Eine ausreichende Entschuldigung (Fehlen jeglicher Nachlässigkeit) ist nicht glaubhaft gemacht. Dazu wird von der Klägerin lediglich vorgetragen, dass die Erklärungen ihr erstinstanzlich nicht vorlagen. Es fehlen aber Angaben dazu, warum die Erklärungen nicht bereits in erster Instanz eingeholt und vorgelegt wurden und warum der entsprechende Sachvortrag nicht in erster Instanz erfolgte.
54
2.5.2.2. Unabhängig davon ist durch die schriftlichen Erklärungen der Beweis eines abweichenden Verständnisses nicht erbracht.
55
Privaturkunden begründen, sofern sie von den Ausstellern unterschrieben sind, vollen Beweis dafür, dass die in ihnen enthaltenen Erklärungen von den Ausstellern abgegeben sind (§ 416 ZPO). Sie beweisen aber nicht, dass der Inhalt der Erklärung richtig ist (vgl. z.B. Zöller/Feskorn, ZPO, 35. Aufl., § 416 Rn. 1).
56
2.6. Nicht entscheidungserheblich ist die Frage, ob ein Verstoß gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz vorliegt.
57
3. Zu den in der Gegenerklärung vom 30.07.2024 (Bl. 31/43 d. A. OLG) vorgebrachten Einwänden ist folgendes auszuführen:
58
3.1. Auf eine mögliche fehlende Substantiierung des Vortrags zur Begründung der Rückforderungsansprüche der Versicherungsnehmer muss nicht abgestellt werden.
59
3.2. Soweit die Klägerin rügt, das Landgericht hätte den Umfang der Abtretungen fehlerhaft als unstreitige Tatsachen behandelt, kann das nicht zu einem Erfolg der Berufung führen.
60
Eine Berufung kann nicht mit der Rüge begründet werden, der Tatbestand des angefochtenen Urteils sei falsch. Unrichtigkeiten der tatbestandlichen Feststellungen können nur im Berichtigungsverfahren behoben werden (BGH, Beschluss vom 02.12.2015 – VII ZB 48/13; Urteil vom 14.07.2009 – XI ZR 18/08 zur Erhebung der Einrede der Verjährung; OLG München, Beschluss vom 06.05.2020 – 25 U 1027/20). Einer Unrichtigkeit des Tatbestandes ist mit einem Berichtigungsantrag gemäß § 320 ZPO zu begegnen. Wird das versäumt, muss das Berufungsgericht von den Feststellungen bzw. der Wiedergabe des Tatsachenvortrages im Tatbestand ausgehen. Der Partei ist es deshalb auch verschlossen, die Unrichtigkeit des Tatbestandes allein unter Hinweis auf schriftsätzliches Vorbringen geltend zu machen. Das gilt auch für Tatsachen, die in den Entscheidungsgründen als unstreitig bezeichnet sind (BGH, Urteil vom 13.07.2000 – I ZR 49/98, NJW 2001, 448; vom 29.04.1993 – IX ZR 215/92, NJW 1993, 1851, juris Rn. 13; OLG München, Beschluss vom 06.05.2020 – 25 U 1027/20; BeckOK-ZPO/Wulf, 1.3.2024, § 529 Rn. 6).
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3.3. Die Gegenerklärung meint, das Landgericht habe den Kontext der Abtretung der streitgegenständlichen Forderungen rechtsfehlerhaft bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt. Aus dem von der Beklagten als Anlage B 1 vorgelegten Angebot ergebe sich eindeutig, dass zu keinem Zeitpunkt Beitragsrückerstattungen oder andere Ansprüche als die geltend gemachten rechtswidrigen Beitragserhöhungen von der Abtretung umfasst waren.
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Als „Angebot“ ist ein teilweise geschwärztes E-Mail-Schreiben an einen „…“ vorgelegt. Dieses Angebot zeigt den Umfang die Abtretungen nicht auf.
63
Ausweislich der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin, auf deren Geltung im jeweiligen Abtretungsvertrag verwiesen wird, wird der Forderungskaufvertrag zugleich mit dem Abtretungsvertrag unstreitig in der unter 1.2.1 dargestellten Weise durch das Anklicken eines Links abgeschlossen (vgl. auch Hinweis unter 1.2): Es wird eine elektronische Dokumentation in Form des elektronisch gezeichneten Abtretungsvertrags erstellt. Diese wird zur schriftlichen Unterzeichnung an den Zedenten übersandt und ist von diesem binnen sechs Monaten unterschrieben zurückzuschicken. Andernfalls verliert der Zedent den Anspruch auf den vereinbarten Auszahlungswert. Bei der erfolgten Abtretung verbleibt es jedoch. Die Abtretung ist dabei umfassend. Der Wortlaut lässt – wie dargelegt (s.o. unter 1.2.2.2) – nur das Verständnis zu, dass sämtliche Erstattungsansprüche und Schadensersatzansprüche, die im Zusammenhang mit zu viel gezahlten Beiträgen an den Versicherer entstanden sind, von der Abtretungsvereinbarung umfasst sein sollen.
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3.4. Die Klägerin verweist wiederum auf ergänzende Erklärungen der Versicherungsnehmer. Auf die Ausführungen hierzu (s.o. unter 2.5.2) wird Bezug genommen.
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3.5. Die Klägerin beharrt auf ihrer Auffassung, die Klausel sei nicht überraschend oder intransparent.
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3.5.1. Dabei geht sie allerdings unzutreffend davon aus, dass von der Abtretung – gegen ihren Wortlaut – nur die hier klageweise geltend gemachten Ansprüche umfasst seien. Auf die Ausführungen unter 1.2.2.2, 2.5, 3.2 und 3.3 wird Bezug genommen.
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3.5.2. Soweit die Klägerin vorträgt, sie hätte alle Zedenten informiert, dass von der Abtretung nur die hier klageweise geltend gemachten Ansprüche umfasst sind, und insoweit Beweis anbietet (alle Zedenten und …), kann das keinen Erfolg der Berufung begründen.
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Der Vortrag ist nicht entscheidungserheblich. Hätte die Klägerin eine solche Information erteilt, so würde das am tatsächlichen Umfang der Abtretung nichts ändern. Bloße Informationen einer Partei können nicht zu einer rechtswirksamen Veränderung vertraglicher Abreden führen. Unabhängig davon ist auch nicht dargelegt, wann solche Informationen erfolgt sein sollen, so dass der Vortrag unsubstantiiert ist und für eine etwaige Auslegung nicht zur Verfügung steht. Unabhängig davon wird Bezug genommen auf die Ausführungen zur Verspätung des Vortrags (s.o. unter 2.5.2.1).
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Auch unter Berücksichtigung der Homepage ist keine andere Bewertung möglich. Maßgebend sind die konkreten Abtretungsvereinbarungen (s.o. unter 1.2.1; Hervorhebung durch den Senat):
„Mit ihrer untenstehenden Unterschrift treten Sie sämtliche Erstattungsansprüche und Schadensersatzansprüche, die im Zusammenhang mit zu viel gezahlten Beiträgen an den Schuldner entstanden sind, seien sie bekannt oder unbekannt, gegenwärtig, zukünftig oder vergangen an die Gesellschaft ab. Erfasst sind insbesondere sämtliche Zahlungen, die auf rechtswidrigen Beitragserhöhungen beruhen. Die Gesellschaft nimmt die Abtretung hiermit an.“
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Die Klägerin meint, aus der Korrespondenz zwischen der Klägerin und den Zedenten (Anlage B 1), der Website der Klägerin und einer mündlichen Information durch die Klägerin sei den Parteien der Abtretungsverträge von Anfang an bewusst gewesen, welche Ansprüche von der Abtretung umfasst sein sollten. Davon kann – wie dargestellt (s.o. unter 1.2.2.2, 2.5) – gerade nicht ausgegangen werden.
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3.6. Es ist auch nicht dargetan, wann, wie und zwischen welchen Personen individualvertraglich mündlich andere Abtretungsverträge vereinbart worden sein sollten. Entsprechendes gilt für die E-Mail-Korrespondenz. Die Klägerin trägt nicht vor, welche Willenserklärungen abgegeben worden sein sollen. Es fehlt damit an schlüssigem Tatsachenvortrag für die Feststellung des Zustandekommens eines Abtretungsvertrags und seines Inhalts. Deshalb kommt es nicht in Betracht, die als Zeugen für den unschlüssigen Vortrag angebotenen Zedenten zu vernehmen.
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3.7. Zutreffend zitiert die Klägerin den Bundesgerichtshof zu Schadensersatzansprüchen wegen unberechtigter Geltendmachung nicht geschuldeter Erhöhungsbeträge. Dass solche Ansprüche bestehen können, stellt der Hinweisbeschluss des Senats nicht in Abrede.
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Dort ist nur ausgeführt, dass in der Vereinbarung nicht hinreichend klargestellt ist, welche Schadensersatzansprüche abgetreten sein sollen (s. auch oben unter 1.4.2.2). Auf die unberechtigte Geltendmachung nicht geschuldeter Erhöhungsbeträge stellt die Vereinbarung nicht ab, sondern auf Zahlungen der Versicherungsnehmer. Denkbar ist zwar eine Auslegung, dass im Zusammenhang mit Zahlungen der Versicherungsnehmer auch Ansprüche wegen unberechtigter Geltendmachung von Erhöhungen stehen und damit von der Abtretung umfasst sind. Allerdings sind die von der Klägerin in der Vereinbarung genannten Schadensersatzansprüche nicht begrenzt auf die unberechtigte Geltendmachung nicht geschuldeter Erhöhungsbeträge nach Erhöhungen gemäß § 203 Abs. 2 VVG.
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3.8. Die Klägerin meint, in Fällen wie dem vorliegenden sei es geboten, das Gesamtklauselwerk einer differenzierten Wirksamkeitsprüfung zu unterziehen. Eine geltungserhaltende Reduktion der einheitlichen Klausel zur Abtretung kommt nicht in Betracht. Auf die Ausführungen hierzu (s.o. unter 1.3.2, 1.4.3 und 1.5) wird Bezug genommen.
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3.9. Auf eine mögliche Sittenwidrigkeit der Abtretungen muss nicht abgestellt werden.
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3.10. Die Klägerin macht geltend, das Landgericht habe übersehen, dass die Klägerin – unabhängig von der erfolgten Abtretung der streitgegenständlichen Ansprüche – gemäß Ziffer 3 der Abtretungsvereinbarungen dazu ermächtigt sei, die Ansprüche im eigenen Namen durchzusetzen, und daher aktivlegitimiert sei. Auch dieser Einwand führt nicht zum Erfolg der Berufung.
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Erstens ist auch die Vereinbarung in Ziffer 3 nicht wirksam. Denn der Umfang der Ermächtigung bezieht sich auf die abgetretenen Ansprüche, deren Festlegung, wie bereits ausführlich dargestellt, nicht Vertragsbestandteil geworden, jedenfalls aber unwirksam ist (s.o. unter 1).
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Und zweitens würde es sich bei einer Klage aufgrund einer Einziehungsermächtigung um einen anderen Streitgegenstand handeln als bei einer Klage aus abgetretenem Recht. Eine solche Klage hat die Klägerin nicht erhoben, wie sich aus dem Tatbestand des angefochtenen Urteils ergibt (S. 2, erster Absatz). Dass sich die Klägerin im Berufungsverfahren auf die Ermächtigung bezieht und hieraus eine Befugnis zur Geltendmachung im eigenen Namen herleitet, könnte, selbst wenn man dies als nachträgliche (hilfsweise) Klagehäufung auslegen würde, der Berufung nicht zum Erfolg verhelfen: Eine zweitinstanzliche Klageerweiterung hindert das Berufungsgericht nicht, bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen einen Beschuss nach § 522 Abs. 2 ZPO zu erlassen. Wird die den erstinstanzlichen Streitgegenstand betreffende Berufung durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen, verliert die Klageerweiterung entsprechend § 524 Abs. 4 ZPO ihre Wirkung (BGH, Urteil vom 3. November 2016 – III ZR 84/15, NJW-RR 2017, 56 Rn. 14 mwN; zu Ausnahmen: BGH, Beschluss vom 10. März 2016 – VII ZR 47/13, NJW 2016, 2508 Rn. 11). Nichts anderes könnte hier gelten.
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4. Mit Schriftsatz vom 05.08.2024 (Bl. 44/45 d. A. OLG) hat die Klägerin ein in anderer Sache auf eine mündliche Verhandlung vom 08.05.2024 ergangenes Urteil des Oberlandesgerichts Hamm (11 U 69/23) vorgelegt und aus diesem zu den Gesichtspunkten der Sittenwidrigkeit und eines Verstoßes gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz zitiert. Auf diese Gesichtspunkte muss für die Entscheidung nicht abgestellt werden.
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5. Die Nebenforderungen (Rechtsanwaltsgebühren und Zinsen) teilen das Schicksal der Hauptforderung.
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6. Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 97 Abs. 1 ZPO (Kosten), § 708 Nr. 10, § 711 ZPO (vorläufige Vollstreckbarkeit) und §§ 47, 48 GKG (Streitwert).