Titel:
Darlegungslast des Klägers in Online-Glückspielfällen
Normenketten:
BGB § 242, § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 1, § 817
GlüStV § 4
ZPO § 141, § 286
Leitsätze:
1. Der Vortrag der Beklagten, Klagen auf Rückforderung von Verlusten aus Online-Glückspiel seien regelmäßig finanziert und die betreffenden Forderungen seien abgetreten, dies sei vermutlich auch im vorliegenden Fall geschehen, ist als Behauptung ins Blaue hinein unbeachtlich. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es besteht keine Vermutung dahingehend, dass Teilnahmen an einem Online-Glücksspiel regelmäßig von dem Wohnsitz des Spielers aus durchgeführt werden. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
3. Das Nichterscheinen des Klägers zur persönlichen Anhörung kann zu seinen Lasten gewertet werden, wenn dadurch Lücken in der Aufklärung des Sachverhalts verbleiben. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Glücksspiel, Konzession, Abtretung, Aktivlegitimation, Prozessfinanzierungsvertrag, Kenntnis, Anhörung, persönliches Erscheinen, Sachverhaltsaufklärung, Kondiktionsausschluss
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Beschluss vom 17.07.2024 – 24 U 1393/24 e
Fundstelle:
BeckRS 2024, 46725
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 5.387,95 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Der Kläger macht vorliegend Ansprüche auf Rückzahlung von Spielverlusten im Zusammenhang mit Online – Glücksspiel geltend.
2
Der Kläger nahm im Zeitraum vom 13.08.2021 bis 11.10.2022 unter seinem in Deutschland registrierten Account (…) über die Internetdomain der Beklagten (…) ein Online-Casino, abrufbar über die Internetadresse (…), an Online-Glücksspielen teil.
3
Der Kläger hat im Zeitraum vom 13.08.2021 bis 11.10.2022 Spieleinsätze in Höhe von insgesamt 5.387,95 EUR getätigt.
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Das Angebot der Beklagten bestand dabei in der Veranstaltung von Online – Casinospielen.
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Eine Erlaubnis zum Anbieten von öffentlichen Glücksspielen im Internet ist der Beklagtenpartei für den streitgegenständlichen Zeitraum nicht erteilt worden.
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Der Kläger meint, dass seinen Einzahlungen keine Auszahlungen im streitgegenständlichen Zeitraum gegenübergestanden haben, so dass insgesamt auf das Angebot der Beklagten somit ein Verlust des Klägers in Höhe von 5.387,95 EUR entfallen seien.
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Der Kläger ist der Auffassung, dass er einen Anspruch auf Rückzahlung seiner Verluste aus § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 1 BGB bzw. einen Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 in Verbindung mit § 4 Abs. 4 Glücksspielstaatsvertrag gegenüber der Beklagten habe. Die Spielverträge seien wegen Verstoß gegen § 4 Glücksspielstaatsvertrag nichtig. Das Internetverbot des § 4 Abs. 4 Glücksspielstaatsvertrag stehe im Einklang mit Verfassungs- und Europarecht. Auch eine behördliche Duldung des Online-Glücksspielangebots der Beklagten gebe es nicht. Eine behördliche Duldung könne allenfalls im Innenverhältnis einen Vertrauenstatbestand gegenüber der duldenden Behörde begründen, jedoch nie zu einer Entbindung von der zivilrechtlichen Haftung Verbrauchern gegenüber führen. Die dem Beklagten erteilte ausländische Lizenz genüge dem Erlaubnisvorbehalt nicht und entfalte auch keine Legalisierungswirkung.
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Die Online-Casinospiele seien nach geltendem Recht nicht genehmigungsfähig gewesen.
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Die Leistungskondiktion sei weder nach § 817 Satz 2, nach § 762 Abs. 1, Satz 1 noch nach § 242 BGB ausgeschlossen. Ein Ausschluss nach § 817 Satz 2 scheitere mangels eines Gesetzesverstoßes des Klägers. Der Kläger selbst habe keine Kenntnis von der fehlenden Erlaubtheit des Online-Glücksspiels gehabt. Hilfsweise sei die Vorschrift teleologisch zu reduzieren. Kenntnis des Klägers von der Illegalität habe er nicht gehabt.
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Die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Memmingen ergebe sich aus Art. 18 EuGVVO. Der Kläger habe als Verbraucher gehandelt. Eine Entreicherung der Beklagten liege nicht vor.
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Trotz ordnungsgemäßer Ladung zu den Verhandlungsterminen am 19.01.2024 und 08.03.2024 und trotz Übersendung der Einwahldaten zum Verhandlungstermin vom 19.01.2024 durch den Klägervertreter ist der Kläger zu beiden Verhandlungsterminen nicht erschienen.
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Der Kläger beantragt zuletzt (Bl. 2, 99 d.A.),
die Beklagtenpartei zu verurteilen,
- 1.
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an die Klagepartei 5.387,95 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.06.2023 zu zahlen.
- 2.
-
an die Klagepartei die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 719,95 EUR nebst Zinsen von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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Die Beklagte meint, dass die Höhe der behaupteten Einzahlungen der Klagepartei auf ihr Spielerkonto unzutreffend sei. Auch die als Anlage K1 vorgelegte Transaktionsliste stütze den vom Kläger behaupteten Einzahlungsbetrag nicht. Zudem entspreche die Anlage K1 gerade nicht der Auskunft, welche die Beklagte dem Kläger zur Verfügung gestellt habe. Vielmehr habe der Kläger mehrere Spalten aus der Tabelle herausgeschnitten, welche er von der Beklagten erhalten habe, unter anderem die Spalte, welche die Transaktionsart beschrieb, ob es sich um eine Einzahlung oder um eine Auszahlung handelte. Der Kläger habe somit vielmehr im streitgegenständlichen Zeitraum insgesamt neun Auszahlungen in Höhe von insgesamt EUR 2.704,45 erhalten.
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Weiter ist die Klägerin der Auffassung, dass Ansprüche des Klägers nicht bestehen, da er jeweils ein legales Angebot genutzt habe.
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Ein Rückforderungsanspruch nach Bereicherungsrecht sei nach § 817 BGB ausgeschlossen. Der Kläger habe sich zumindest leichtfertig der Sittenwidrigkeit seines Tuns verschlossen. Für eine teleologische Reduktion bestehe kein Raum. Ein Anspruch sei auch nach § 242 BGB ausgeschlossen.
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Aufgrund der AGB habe er Kenntnis davon gehabt, dass es in seiner Verantwortung liege, zu wissen, ob das Glücksspiel in seinem Heimatland legal ist.
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Zudem habe die Klagepartei sämtliche eventuellen Ansprüche gegenüber der Beklagten an ihren Prozessfinanzierer abgetreten. Sie klage also kein eigenes Recht, sondern ein fremdes Recht in gewillkürter Prozessstandschaft ein. Ihr Prozessfinanzierer sei kein Verbraucher im Sinne des Unionsrechts, sondern agiere gewerblich.
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Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
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1. Die Klage ist zulässig.
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a) Das Landgericht Memmingen ist sachlich nach § 23 Nummer 1, 71 Abs. 1 GVG, örtlich nach Art. 18 Abs. 1 EuGVVO zuständig. Bei dem Kläger handelt es sich um einen Verbraucher im Sinne von Art. 17 Abs. 1 EuGVVO. Als Verbraucher ist (in autonomer Auslegung) jede natürliche Person anzusehen, die Verträge zur Deckung ihres privaten Eigenbedarfs schließt, sofern diese nicht ihrer gegenwärtigen oder zukünftigen beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden können. Verbraucher ist daher auch die Person, die einen Vertrag über die Teilnahme am Online-Glücksspiel mit dem Ziel abschließt, daraus erhebliche Gewinne zu erwirtschaften (vgl. Gottwald, in Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2022, Brüssel IA – Verordnung, Art. 17). Vorliegend ergibt sich auch aus der informatorischen Anhörung des Klägers nichts anderes. So gab er an, dass er gearbeitet habe, um die Einsätze finanzieren zu können. Das ausgeübte Glücksspiel stellt daher keine Erwerbstätigkeit, sondern reine Freizeitbeschäftigung dar.
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Von der Regelung gemäß Art. 17, 18 EuGVVO erfasst sind auch Bereicherungsansprüche als Folge der Rückabwicklung des Vertrages (vgl. Gottwald, in Münchener Kommentar zur ZPO, Brüssel IA – Verordnung Art. 17 Rn. 5).
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b) Auch in anderer Hinsicht begegnet die Klage keinen Zulässigkeitsbedenken, insbesondere steht die behauptete Sicherungsabtretung der Geltendmachung der Klageforderung nicht entgegen.
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Einer Aufklärung der Frage, ob der Kläger die klagegegenständliche Forderung sicherungshalber abgetreten hat, bedarf es nicht. Grundsätzlich kann der Zedent zwar nach der Offenlegung der Sicherungsabtretung im Prozess nur noch Zahlung an den Sicherungsnehmer verlangen (s. etwa Weth, in: Musielak/Voit, ZPO, 20. Auflage 2023, § 51 ZPO, Rn. 30 m.w.N.). Vorliegend ist die Sicherungsabtretung aber nicht in diesem Sinne offengelegt worden, sondern wird vom Kläger weiterhin in Abrede gestellt. Eine geschwärzte Vorlage eines Prozessfinanzierungsvertrages – wie von beiden Seiten angenommen – hat nicht stattgefunden.
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Zweifel an der Aktivlegitimation des Klägers hegt das Gericht nicht. Der Vortrag der Beklagten ist spekulativ. Sie stellt lediglich – ohne dies für den vorliegenden Fall durch Fakten belegen zu können – in den Raum, weil Klagen regelmäßig finanziert und die betreffenden Forderungen dann abgetreten würden, sei dies vermutlich auch im vorliegenden Fall geschehen. Dieser Vortrag ins Blaue hinein ist aus Sicht des Gerichts jedoch nicht geeignet, eine sekundäre Darlegungslast des Klägers hinsichtlich der Finanzierung seiner Klage und einer etwaigen Abtretung der streitgegenständlichen Forderung auszulösen.
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2. Die Klage ist indes unbegründet.
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Ein Zahlungsanspruch des Klägers, gleich ob aus Bereicherungsrecht oder dem Recht der unerlaubten Handlung, scheidet jedoch bereits deshalb aus, weil nicht festgestellt werden konnte, dass zumindest einzelne Spielteilnahmen von einem Ort aus durchgeführt wurden, an dem die Teilnahme an den Spielen gegen ein gesetzliches Verbot verstieß, dass die Einzahlungen des Klägers nicht bereits durch Auszahlungen der Beklagten ausgeglichen wurden und, dass die Klagepartei keine Kenntnis von der Illegalität des Angebots der Beklagtenpartei gehabt hat.
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Hinsichtlich der Frage, von welchem Ort aus an dem Glücksspiel teilgenommen wurde, lässt sich schon eine Vermutung dahingehend, dass Teilnahmen an einem Online-Glücksspiel regelmäßig von dem Wohnsitz des Spielers aus durchgeführt werden, nicht begründen. Insbesondere bei Menschen, die über einen längeren Zeitraum hinweg nicht unerhebliche Summen bei solchen Glücksspielen einsetzen, ist vielmehr davon auszugehen, dass sie auch auf Reisen, insbesondere in das Ausland, spielen.
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Darüber hinaus hat die Beklagte substantiiert bestritten und dargelegt, dass den Einzahlungen des Klägers insgesamt neun Auszahlungen in Höhe von insgesamt EUR 2.704,45 gegenüberstanden, wobei diese Auszahlungen auch allesamt in der Datenschutzauskunft gemäß Art. 15 DSGVO enthalten gewesen sein sollen, welche der Kläger von der Beklagten erhalten habe. Insoweit trägt die Beklagte vor, dass der Kläger bewusst die Spalte „Transaktionsart“ aus der von ihm als Anlage 1 vorgelegten Transaktionsliste rausgelöscht habe, um das Gericht zielgerichtet über die Höhe des Schadens sowie die Tatsache, dass er auch Auszahlungen erhalten habe, zu täuschen.
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Schließlich kann der pauschale, bausteinartige Vortrag des Klägers dahingehend, dass er von der Illegalität des Glücksspiels – auch in Anbetracht der medialen Berichterstattung – keinen konkreten und auf den Fall bezogenen Vortrag dazu ersetzen, so dass dem Gericht angesichts der Widersprüchlichkeit des Vortrags zu den o.g. Umständen eine persönliche Anhörung des Klägers gem. § 141 ZPO notwendig erschien. Dies insbesondere auch um sich einen persönlichen Eindruck von dem Kläger zu verschaffen und ihm Gelegenheit zu geben, zu den Gesamtumständen sowie den Angaben der Beklagten bzw. den oben dargestellten Widersprüchen Stellung zu nehmen. Dies hat der Kläger dadurch vereitelt, indem er trotz ordnungsgemäßer persönlicher Ladung sowohl im Gerichtstermin vom 19.01.2024 als auch vom 08.03.2024 nicht erschienen ist. Im Rahmen des letzten Termins wurde durch den Prozessbevollmächtigten des Klägers ihm das Erscheinen noch am Morgen des gleichen Tages nahegelegt und sogar die Einwahldaten zur Teilnahme im Rahmen der Onlineverhandlung weitergeleitet.
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Demnach ist das Nichterscheinen des Klägers in diesem Kontext nach § 286 ZPO frei zu würdigen. Insbesondere können Lücken in der Aufklärung des Sachverhalts zu seinen Lasten gewertet werden (OLG Frankfurt a. M. NJW-RR 2000, 1344; OLG München NJW-RR 1996, 59 (60); Thomas/Putzo/Reichold Rn. 5).
33
Der Kläger hat auch weder dargetan noch glaubhaft gemacht, dass seiner Anhörung ein Hindernis – wie etwa eine Erkrankung – entgegensteht. Insofern lässt sein Verhalten nur den Schluss zu, dass er zu einer persönlichen Anhörung nicht bereit ist. Dies geht zu Lasten des Klägers, der insbesondere nach § 818 Abs. 1, 2 BGB nur Rückzahlung seiner – nicht zur Auszahlungen ausgeglichenen – Spieleinsätze verlangen kann, sofern diese von einem Ort aus getätigt wurden, an dem die Teilnahme an den Spielen gegen ein gesetzliches Verbot verstieß. Insoweit hat der Kläger, insbesondere nach dem substantiierten Bestreiten und der Darstellung der Beklagten, dass die Spieleinsätze teilweise durch Auszahlungen ausgeglichen wurden, nicht substantiiert vorgetragen. Durch sein Fernbleiben der mündlichen Verhandlung konnte der Kläger auch nicht die schon schriftsätzlich bestehenden Widersprüche ausräumen und dem Gericht auch nicht erläutern, warum er keine Kenntnis von der Illegalität des Angebots der Beklagtenpartei hatte, obwohl dies auch Gegenstand vereinzelter Berichterstattungen in den Medien war.
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Die Klage ist daher unbegründet und war abzuweisen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.