Inhalt

LG München I, Beschluss v. 12.12.2024 – 1 S 7231/24 WEG
Titel:

Formverstoß bei Übermittlung eines Wiedereinsetzungsantrages

Normenkette:
ZPO § 130a Abs. 4 Nr. 2, § 130d, § 295 Abs. 2
Leitsätze:
1. Ein sicherer Übermittlungsweg nach § 130a Abs. 4 Nr. 2 ZPO ist nur gegeben, wenn die verantwortende Person den Schriftsatz selbst versendet. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Defekt am Endgerät des Rechtsanwalts stellt keine technische Störung iSv § 130d S. 2 ZPO dar. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Wiedereinsetzungsantrag, technische Störung, qualifizierte elektronische Signatur, einfache Signatur, beA, sicherer Übermittlungsweg, Form, Endgerät, Rechtsanwalt
Vorinstanz:
AG München vom 02.05.2024 – 1294 C 12666/21
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 15.05.2025 – V ZB 1/25
Fundstellen:
ZMR 2025, 651
BeckRS 2024, 46533

Tenor

1. Der Antrag des Berufungsklägers vom 23.08.2024 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bezüglich der Frist zur Begründung der Berufung wird zurückgewiesen.
2. Die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Amtsgerichts München vom 02.05.2024, Aktenzeichen 1294 C 12666/21 WEG, wird verworfen.
3. Die Klagepartei hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 8.484,90 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Mit Endurteil des Amtsgerichts München vom 02.05.2024 war ein klageabweisendes Versäumnisurteil vom 28.03.2023 aufrechterhalten worden. Das Endurteil wurde dem Kläger am 21.05.2024 zugestellt.
2
Gegen diese Entscheidung wendet er sich mit seiner Berufung, eingegangen am 21.06.2024. Mit Schriftsatz vom 18.07.2024 begehrte er die Fristverlängerung zur Berufungsbegründung bis 21.08.2023, welche mit Verfügung vom 22.07.2024 antragsgemäß gewährt wurde.
3
Am 23.08.2024 übersandte Rechtsanwalt ... welcher in dieser Sache nicht mandatiert ist, aber der sich angabegemäß in Bürogemeinschaft mit dem Prozessbevollmächtigten des Berufungsklägers, Rechtsanwalts ... befindet, aus seinem besonderen elektronischen Anwaltspostfach zwei Schriftsätze des Rechtsanwalts ... vom 23.08.2024 und 21.08.2024. Der Schriftsatz des Rechtsanwalts ... trug dessen Unterschrift. Mit dem Schriftsatz des Rechtsanwalts ... vom 23.08.2024 wurde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Berufungsbegründungsfrist beantragt; dieser Schriftsatz trägt, ebenso wie der unter dem 21.08.2024 datierte Schriftsatz, welcher die Berufungsbegründung beinhaltet, die Unterschrift des Rechtsanwalts ...
4
Der Wiedereinsetzungsantrag wurde damit begründet, dass sich Rechtsanwalt ... derzeit im Urlaub in Kroatien befinde wo sein Laptop, der bis 16:00 Uhr am 21.08.2024 noch einwandfrei funktioniert habe, sich plötzlich nicht mehr habe „hochfahren“ lassen. Eine Reparatur sei am Urlaubsort nicht mehr möglich gewesen. Mit Schriftsatz vom 19.11.2024 trug der Berufungskläger ergänzend vor, das Rechtsanwalt ... im Urlaub seinen Laptop mit dem beA-Zertifikat ebenso wie ein Kartenlesegerät und seine beA-Karte mit sich geführt habe. Die Berufungsbegründung sei um 16:00 Uhr bis auf redaktionelle Korrekturen fertiggestellt gewesen, nur eine Rücksprache mit dem Kläger sei noch ausgestanden. Nachdem eine Reparatur am Urlaubsort nicht möglich gewesen wäre, habe Rechtsanwalt ... mit seinem Smartphone auf seine Schriftsätze zugegriffen, von dem ein Versand über das beA-Postfach aber nicht möglich sei. Es habe daher keine Alternative dazu gegeben, die Schriftsätze per E-Mail an Herrn Rechtsanwalt ... zu übersenden, damit dieser sie per beA bei Gericht einreicht. Mit Schriftsatz vom 10.12.2024 nahm der Berufungskläger auf die mit Verfügung vom 20.11.2024 erteilten Hinweise ergänzen Stellung.
5
Der Kläger beantragte
I. Das Endurteil des Amtsgerichts München vom 02.05.2024 – Az. 1294 C 12666/21 WEG – und das Versäumnisurteil des Amtsgerichts vom 28.03.2023 – Az. 1294 C 12666/21 WEG – werden aufgehoben.
II. 1. Es wird festgestellt, dass die Klageanträge zu 1. und 2. vom 02.08.2021 erledigt sind. Die Kosten werden insoweit der Beklagten auferlegt.
2. Der in der Wohnungseigentümerversammlung vom 02.07.2021 zu TOP 3 gefasste Beschluss über die Einzelabrechnungen 2011 wird für ungültig erklärt, soweit diese ohne Rücksicht auf die Ungültigkeit des Punktes „Dachsanierung“ erneut unverändert beschlossen wurden.
3. Der in der Wohnungseigentümerversammlung vom 02.07.2021 zu TOP 4 gefasste Beschluss, den Verwaltungsbeirat zu entlasten, wird für ungültig erklärt.
4. Der in der Wohnungseigentümerversammlung vom 02.07.2021 zu TOP 5 gefasste Beschluss, den Verwalter zu entlasten, wird für ungültig erklärt.
III. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung über den Beschlussersetzungsantrag zu 7.2. vom 17.02.2022 an einen anderen Richter des Amtsgerichts München zurückverwiesen mit der Maßgabe, dass dem Kläger anstelle des Erstattungsanspruchs ein noch näher zu bestimmender Schadensersatzanspruch wegen der ihm aus der verspäteten sowie fehlerhaften Beschlussfassung zu TOP 3 erwachsenen Prozessschäden zuzusprechen ist.
6
Die Beklagten beantragten
Zurückweisung der Berufung.
II.
7
Der Antrag des Berufungsklägers vom 23.08.2024 auf Wiedereinsetzung in die Frist zur Berufungsbegründung war unzulässig gestellt, im Übrigen war er auch unbegründet.
8
1. Der Wiedereinsetzungsantrag vom 23.08.2024 war aus dem Anwaltspostfach des Herrn Rechtsanwalts ... und mit der Unterschrift des Herrn Rechtsanwalts ... nicht formwirksam gestellt worden.
9
Die Übermittlung als elektronisches Dokument ist eine unverzichtbare (§ 295 Abs. 2 ZPO), von Amts wegen zu prüfende Wirksamkeitsvoraussetzung (vgl. BT-Drucks. 17/12634, S. 27 re. Sp.). Ein entgegen § 130d ZPO nicht als elektronisches Dokument übermittelter Schriftsatz ist nicht formgerecht. Der Formverstoß führt zur Unwirksamkeit der Prozesserklärung (BGH, Beschluss vom 25. Januar 2023 – IV ZB 7/22 –, Rn. 16, juris). Der Aussteller muss das Dokument eigenhändig aus seinem Postfach versenden und es dabei vorab auf Richtigkeit und Vollständigkeit prüfen. Fehlt es an dieser Identität, ist das Dokument nicht ordnungsgemäß eingereicht. Nach § 23 Abs. 3 S. 5 RAVPO (VO über die Rechtsanwaltsverzeichnisse und die besonderen elektronischen Anwaltspostfächer v. 23.9.2016, BGBl. 2016 I, S. 2167) darf das Recht, nicht qualifziert-elektronisch signierte Dokumente über das beA zu versenden, nicht auf Dritte übertragen werden. Die einfache Signatur soll – ebenso wie die eigene Unterschrift oder die qualifizierte elektronische Signatur – die Identifizierung des Urhebers der schriftlichen Verfahrenshandlung ermöglichen und dessen unbedingten Willen zum Ausdruck bringen, die volle Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes zu übernehmen und diesen bei Gericht einzureichen (BAGE 172, 186 = NJW 2020, 3476 Rn. 19 mwN; BSG NJW 2022, 1334 Rn. 10). […] Fehlt es hieran, ist das Dokument nicht ordnungsgemäß eingereicht. Die einfache Signatur soll gerade sicherstellen, dass die von dem Übermittlungsweg beA ausgewiesene Person mit der Person identisch ist, welche mit der wiedergegebenen Unterschrift die inhaltliche Verantwortung für das Dokument übernimmt (BGH, Beschluss vom 7. September 2022 – XII ZB 215/22 –, Rn. 11, juris). Es ist mit Blick auf die Systematik sowie auf den Sinn und Zweck der Vorschrift des § 130a Abs. 4 Nr. 2 ZPO eine Auslegung dahin geboten, dass ein sicherer Übermittlungsweg nach § 130a Abs. 4 Nr. 2 ZPO nur gegeben ist, wenn die verantwortende Person den Schriftsatz selbst versendet. Der Gleichrang von qualifizierter elektronischer Signatur und sicherem Übermittlungsweg bei einfacher Signatur ergibt sich auch aus der Entwurfsbegründung zum Gesetz. Auf S. 25 heißt es dort, dass die das Dokument verantwortende Person das elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz versehen oder einen sicheren Übermittlungsweg nutzen muss (BT-Drs. 17/12634 S. 25). Beide Pflichten richten sich demnach an die verantwortende Person (LG München I, Beschluss vom 12. März 2024 – 16 T 926/24 –, Rn. 11, juris). Die Anwendung dieser Grundsätze wurden auch durch das Bundessozialgericht in einem dem vorliegenden vergleichbaren Fall der Einreichung eines Schriftsatzes über das beA-Postfach eines anderen Rechtsanwalts ... auch bereits höchstrichterlich bestätigt (BSG, Beschluss vom 16. Februar 2022 – B 5 R 198/21 B –, Rn. 10, juris).
10
Es lag im Übrigen auch keine Ausnahme von der Benutzungspflicht nach § 130d Satz 2 ZPO vor. Dabei ist schon fraglich, ob eine technische Störung im Sinne von § 130d Satz 2 ZPO überhaupt vorlag. Die beispielhafte Benennung eines Ausfalls des Servers oder der technischen Einrichtungen des Rechtsanwalts in der Begründung des Gesetzentwurfs (BT-Drucks. 17/12634, S. 27 re. Sp.) deutet darauf hin, dass der Gesetzgeber nur Fälle erfassen wollte, in denen einer Übermittlung des Schriftsatzes in elektronischer Form insgesamt rein technische Gesichtspunkte entgegenstehen. Hätte der Gesetzgeber eine Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften bereits bei jeglicher vorübergehenden Unmöglichkeit des Zugriffs auf die an sich funktionsfähigen technischen Einrichtungen als zulässig ansehen wollen, so hätte er dies in der Neuregelung deutlich machen müssen (BGH, Beschluss vom 25. Januar 2023 – IV ZB 7/22 –, Rn. 14, juris). Die technischen Einrichtungen sowohl auf Seiten des besonderen elektronischen Anwaltspostfach aus wie auf Seiten der Justiz lagen aber zum Zeitpunkt des Fristablaufs vor. Lediglich Rechtsanwalt ... war aufgrund eines Defekts seines Laptops als Endgerät an der Bedienung der an sich funktionsfähigen Technik zur Übertragung gehindert. Solche rein persönlichen technischen Probleme sind aber aufgrund der eng auszulegenden Ausnahmebestimmung nicht anzuerkennen (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Januar 2023 – IV ZB 7/22 –, Rn. 13, juris). Schließlich sieht § 130d Satz 2 ZPO auch gerade keine Übertragung auf dem sicheren Übertragungsweg eines anderen Rechtsanwalts vor, weil die Vorschrift eben den Ausfall dieses Systems voraussetzt. Hinzu kommt, dass der Wiedereinsetzungsantrag sich nicht dazu verhält, wieso am 23.08.2024 die Störung noch fortbestand und nicht zwischenzeitlich eine Reparatur möglich gewesen sein soll.
11
2. Der Wiedereinsetzungsantrag war aber auch, worauf es allerdings aufgrund seiner Unzulässigkeit nicht mehr entscheidend ankommt, unbegründet. Rechtsanwalt ... durfte zwar auch trotz seiner Urlaubsabwesenheit am Tag der verlängerten Berufungsbegründungsfrist diese ausschöpfen. Wenn der Rechtsanwalt die Frist zur Einlegung oder Begründung eines Rechtsmittels aber bis zum letzten Tag ausschöpft muss er wegen des damit erfahrungsgemäß verbundenen Risikos erhöhte Sorgfalt aufwenden hat, um die Einhaltung der Frist sicherzustellen (st. Rspr.; z.B. BGH, Beschluss vom 28. Mai 2020 – IX ZB 8/18 –, Rn. 10, juris). So entspricht es ständiger Rechtsprechung, dass es ein Verschulden des Rechtsanwalts begründet, wenn er aufgrund einer plötzlichen Erkrankung nicht mehr in der Lage ist, einen vertretungsbereiten Kollegen zu suchen oder die Suche aufgrund der Kürze der nur noch zur Verfügung stehenden Zeit erfolglos ist (BGH, Beschluss vom 28. Mai 2020 – IX ZB 8/18 –, Rn. 11, juris). Die Ausnutzung der Frist auch unter Berücksichtigung der Urlaubsabwesenheit des Rechtsanwalts und seines Auslandsaufenthalts auf einem Campingplatz in größerer Entfernung von der nächsten größeren Stadt hätte es geboten, zumutbare Vorkehrungen für einen Verhinderungsfall oder den Ausfall des einzigen zur Verfügung stehenden technischen Geräts zur Einreichung des Schriftsatzes zu treffen (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Januar 2023 – IV ZB 7/22 –, Rn. 18, juris). So hätte er dafür Sorge tragen können, dass ein vertretungsbereiter Rechtsanwalt, der zur Einreichung des Schriftsatzes bevollmächtigt ist, bis zur Absendung des Schriftsatzes zur Verfügung steht. Spätestens aber, nach dem Rechtsanwalt ... am 21.08.2024 um 16:00 Uhr bemerkte, dass er seinen Laptop nicht mehr hochfahren kann, hätte er Versuche unternehmen müssen, einen vertretungsberechtigten Kollegen zu finden. Nach seinem Vortrag befand sich Rechtsanwalt ... erst nach 19:00 Uhr nicht mehr im Büro. Damit hätte er zuvor noch genügend Zeit gehabt, die Schriftsätze gegebenenfalls nach Unterbevollmächtigung von diesem einreichen zu lassen. Dass er wieder zuvor entsprechende Vorbereitungen traf, noch nach Feststellung des Ausfalls war reagierte, begründet das Verschulden des Rechtsanwalts, das sich der Berufungskläger zurechnen lassen muss und welches der Wiedereinsetzung entgegensteht.
III.
12
Die Berufung des Klägers war gemäß § 522 Abs. 1 ZPO zu verwerfen, da sie nicht innerhalb der Frist des § 520 Abs. 2 ZPO begründet worden war. Die Frist zur Begründung der Berufung endete ursprünglich mit Ablauf des 22.07.2024 und war bis 21.08.2023 verlängert worden. Die Berufungsbegründung vom 21.08.2024, welche entsprechend den obigen Ausführungen ohnehin nicht den Anforderungen nach § 130d ZPO entsprechend eingereicht wurde, ging aber erst am 23.08.2024 bei Gericht ein.
13
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO. Der Wert wurde in Anwendung von § 47 GKG in Übereinstimmung mit den Ausführungen des Amtsgerichts zur Begründung der Wertfestsetzung mit Beschluss im Endurteil vom 02.05.2024 unter Abzug der abgetrennten, und damit im Berufungsrechtszug nicht anhängig gewordenen, Klageerweiterungen bestimmt.