Titel:
Tragende Erwägungen, Abschalteinrichtung, Anspruchsgrundlage, Berufungskläger, Vorbringen erster Instanz, Sittenwidrige Schädigung, Abgasskandal, Vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten, Landgerichte, Schutzgesetzcharakter, Feststellung des Annahmeverzugs, Feststellungsantrag, Klageabweisung, Rückabwicklung des Kaufvertrags, Gelegenheit zur Stellungnahme, Finanzierungskosten, Eingegangene Schriftsätze, Tatsächliche Feststellungen, Unzulässigkeit, Fristverlängerung
Schlagworte:
Abgasskandal, Schadensersatzklage, Berufungsbegründung, Thermofenster, Abschalteinrichtungen, Sittenwidrige Schädigung, Unzulässigkeit der Berufung
Vorinstanz:
LG Bamberg, Endurteil vom 08.08.2022 – 43 O 200/22
Rechtsmittelinstanzen:
OLG Bamberg, Beschluss vom 30.09.2024 – 4 U 218/22
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 06.05.2025 – VIa ZB 5/24
Fundstelle:
BeckRS 2024, 46496
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Bamberg vom 08.08.2022, Az. 43 O 200/22, gemäß § 522 Abs. 1 ZPO zu verwerfen und den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 54.564,73 € festzusetzen.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis 22.07.2024.
Entscheidungsgründe
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Die Parteien streiten um Ansprüche im Zusammenhang mit dem sogenannten Abgasskandal.
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Die Klagepartei erwarb am 29.07.2019 das streitgegenständliche Wohnmobil der Marke … für 50.550,- €. Die Beklagte ist die Entwicklerin/Herstellerin des Basisfahrzeugs. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor … 2,3 l der Schadstoffklasse 6b ausgestattet. Ein verpflichtender 4 U 218/22 – Seite 2 – Rückruf für das streitgegenständliche Fahrzeug durch das Kraftfahrtbundesamt (KBA) oder die zuständige italienische Typgenehmigungsbehörde existiert nicht.
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Mit ihrer Klage begehrt die Klagepartei Schadensersatz wegen behaupteter unzulässiger Abschalteinrichtungen im Motor des streitgegenständlichen Fahrzeugs, u. a. in Form eines Thermofensters und einer Veränderung der AGR-Rate 22 Minuten nach Motorstart sowie einer Deaktivierung der Regeneration des NSK nach 22 Minuten oder nach 6 Regenerationsvorgängen. Die Klagepartei hat erstinstanzlich die Rückabwicklung des Kaufvertrages im Rahmen des großen Schadensersatzes nebst Ersatz der Finanzierungskosten, die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten mit der Entgegennahme des Fahrzeugs sowie die Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten geltend gemacht. Die Beklagte hat erstinstanzlich Klageabweisung beantragt.
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Das Landgericht hat die Klage mit Endurteil vom 08.08.2022 abgewiesen. Einem Anspruch der Klagepartei gemäß §§ 826, 31 BGB stünde die fehlende Darlegung von greifbaren Anhaltspunkten für ein sogenanntes Zeitfenster oder eine prüfstanderkennende Abschalteinrichtung entgegen. Der Einbau eines Thermofenster begründe den Vorwurf einer sittenwidrigen Schädigung nicht. Schließlich fehle es auch an einem Schaden des Klägers. Andere Anspruchsgrundlagen (§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. weiteren Rechtsnormen) seien nicht gegeben.
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Im Übrigen wird gemäß § 522 Abs. 2 Satz 4 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen.
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Gegen das ihm am 08.08.2022 zugestellte Urteil hat der Kläger mit am 08.09.2022 beim Oberlandesgericht eingegangen Schriftsatz Berufung eingelegt (Bl. 155 d.A.), die er (nach entsprechenden Fristverlängerungen) mit Schriftsatz vom 08.12.2022 begründet hat (Bl. 174 ff. d. A.). Mit der Berufung verfolgt der Kläger seine erstinstanzlichen Klageziele weiter.
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Die Beklagte hat beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
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Die Berufung des Klägers ist gemäß §§ 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2, 522 Abs. 1 ZPO zu verwerfen, da die Berufung nicht in einer den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Art und Weise begründet worden ist.
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1) Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt. Dazu gehört eine aus sich heraus 4 U 218/22 – Seite 3 – verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetzt. Besondere formale Anforderungen bestehen nicht; für die Zulässigkeit der Berufung ist es insbesondere ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind. Jedoch muss die Berufungsbegründung auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein, es reicht nicht aus, die Auffassung des Erstgerichts mit formularmäßigen Sätzen oder allgemeinen Redewendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen erster Instanz zu verweisen. Dabei muss die Berufung die tragenden Erwägungen des Erstgerichts angreifen und darlegen, warum diese aus Sicht des Berufungsklägers nicht zutreffen; die Begründung muss also – ihre Richtigkeit unterstellt – geeignet sein, das gesamte Urteil in Frage zu stellen. Hat das Erstgericht die Abweisung der Klage auf mehrere voneinander unabhängige, selbständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, muss die Berufungsbegründung jede tragende Erwägung angreifen; andernfalls ist das Rechtsmittel unzulässig (ständige Rechtsprechung: BGH, Beschluss vom 16. Januar 2023 – VIa ZB 19/22 –, Rn. 8, juris)
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2) Gemessen daran wird die Berufungsbegründung des Klägers den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO nicht gerecht.
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Das Landgericht hat eine Haftung der Beklagten wegen des Einbaus unzulässiger Abschalteinrichtungen daran scheitern lassen, dass es an einem substantiiert vorgetragenen Schaden des Klägers fehle (EU S. 15 f.). Dies betrifft insoweit auch sämtliche vom Landgericht geprüfte Anspruchsgrundlagen. Soweit das Landgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit Schutzgesetzen erst im Anschluss an seine Ausführungen zum Schaden behandelt hat, ist dies dahingehend zu verstehen, dass das Landgericht seinen sämtliche deliktische Anspruchsgrundlagen betreffende Erwägungen zum Schaden, weitere die Abweisung tragende Erwägungen zum Schutzgesetzcharakter der §§ 6, 27 EG-FGV und zur (fehlenden) Verwirklichung der Tatbestände des § 263 StGB hinzugefügt hat (BGH, a.a.O., Rn. 10). Die Ausführungen des Landgerichts zum fehlenden Schaden wegen des Einbaus unzulässiger Abschalteinrichtungen tragen jedoch die Abweisung der Klage in Bezug auf sämtliche deliktische Anspruchsgrundlagen. Dies gilt auch für den Feststellungsantrag, den das Landgericht aus den „dargelegten Gründen“ jedenfalls als unbegründet abgewiesen hat (EU S. 17, 18).
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Einen Angriff gegen die Ausführungen des Landgerichts zum fehlenden Schaden enthält die Berufungsbegründung jedoch nicht.