Titel:
Beiladung, Abhängige Beschäftigung, Dienstvertrag, Nachforderung von Beitragen, Widerspruchsbescheid, Kosten des Berufungsverfahrens, Mehrwertsteuer, Freier Handelsvertreter, Unentgeltlichkeit, Sozialgerichte, Sozialversicherungsrechtliche, Außergerichtliche Kosten, Streitwertfestsetzung, Selbstständige Tätigkeit, Unternehmerrisiko, abhängige Beschäftigte, Beitragspflicht, Provisionszahlung, Provisionsvorauszahlung, Versicherungspflicht
Leitsatz:
Küchenverkäufer für eine Küchenfirma sind regelmäßig abhängig beschäftigt
Schlagworte:
Berufungsverfahren, Abhängige Beschäftigung, Unternehmerrisiko, Kostenentscheidung, Streitwertfestsetzung
Vorinstanz:
SG München, Urteil vom 01.06.2022 – S 14 BA 152/20
Rechtsmittelinstanz:
BSG Kassel, Beschluss vom 04.04.2025 – B 12 BA 27/24 B
Fundstelle:
BeckRS 2024, 46350
Tenor
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 1. Juni 2022 wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Außergerichtliche Kosten des Beigeladenen sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
IV. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 43 273 Euro festgesetzt.
Tatbestand
1
Im Berufungsverfahren ist noch streitig die Nachforderung von Beiträgen zur Sozialversicherung iHv rd 43.000 Euro aufgrund der Tätigkeit des Beigeladenen als Küchenverkäufer für die Klägerin und Berufungsklägerin (Klägerin) in der Zeit vom 1.1.2014 bis zum 31.12.2015.
2
Die Klägerin betreibt in der Form einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung ein Unternehmen mit dem Gegenstand Projektierung, Vertrieb und Montage von Einrichtungsgegenständen aller Art, insbesondere von Kücheneinrichtungen. Hierzu unterhielt sie im streitigen Zeitraum Küchenstudios an verschiedenen Standorten.
3
Der 1970 geborene Beigeladene war seit August 1998 für die Klägerin im Verkaufsbereich tätig. Grundlage dieser Tätigkeit war der Dienstvertrag (für freie Mitarbeit) vom 10.7.1998. Danach sei der Beigeladene für die Klägerin nebenberuflich ab dem 1.8.1998 als selbstständiger Mitarbeiter im Verkaufsbereich tätig. Die Arbeitszeit und der Umfang der Arbeit würden völlig frei und nach eigenem Gutdünken gestaltet. Der Beigeladene sei an Weisungen der Klägerin nicht gebunden; bei der Ausübung der Tätigkeit seien jedoch die Interessen und das Ansehen des Hauses stets zu berücksichtigen. Die Klägerin stelle das für sie übliche Prospektmaterial sowie die bei ihr geltenden Verkaufsunterlagen unentgeltlich zur Verfügung. Der Beigeladene erhalte als Vergütung für seine Tätigkeit eine Grundpauschale iHv 4 500 DM für die ersten drei Monate; die Pauschale sei berechnet auf einen monatlichen Leistungsumfang von ca 195 Arbeitsstunden. Danach gälten für alle vom Beigeladenen verkauften und von der Klägerin angenommenen und abgewickelten Aufträge 10% aus der Rohspanne als Verkaufsprovision als abgerechnet. Zusätzlich werde monatlich ein Fixum von 3 000 DM bezahlt. Diese Regelung gelte bis zu einer Monatsumsatzleistung von 80 000 DM netto. Bei Überschreitung dieser Umsatzgröße entfalle das Fixum und es würden 25% Provision aus der erzielten Handelsspanne bezahlt. Die Abrechnung erfolge durch den Mitarbeiter.
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Ausweislich der vom Beigeladenen an die Klägerin gestellten Rechnungen erzielte der Beigeladene für das Jahr 2014 eine monatliche Provisionsvorauszahlung iHv 3.980 Euro zzgl Mehrwertsteuer sowie eine Bonuszahlung für das Jahr 2014 iHv 5.000 Euro zzgl Mehrwertsteuer, die der Beigeladene mit Rechnung aus Juli 2014 geltend gemacht hatte. Mit den Rechnungen vom Januar und Februar 2014 stellte der Beigeladene der Klägerin jeweils 4.476,65 Euro zzgl Mehrwertsteuer in Rechnung sowie 4.400 Euro zzgl Mehrwertsteuer zur Erreichung des Umsatzziels im Jahr 2013.
5
Im Rahmen der von der Beklagten eingeleiteten Betriebsprüfung gab der Beigeladene an, seine Einsatzzeiten bei der Klägerin frei wählen zu können. Anwesenheitszeiten, feste Arbeitszeiten oder Mindestarbeitszeiten hätten nicht bestanden. Er habe als freier Mitarbeiter Küchen geplant, die Kunden beraten und einen entsprechenden Vertrag abgeschlossen, wobei er die Planung und Ausarbeitung eines Auftrages in seinem Büro erledigt habe. Hierzu habe er seine eigenen Arbeitsmittel (Pkw und PC) eingesetzt. Mit der Abwicklung des Vertrages habe der Beigeladene – anders als andere Mitarbeiter der Klägerin – nichts zu tun gehabt. Da die Tätigkeit des Beigeladenen für die Klägerin allein durch Provisionszahlungen vergütet worden sei, sei sein Interesse darauf gerichtet gewesen, das vereinbarte Umsatzziel zu erreichen bzw zu übertreffen. Die Umwandlung des freien Dienstvertrages in ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis zum 1.1.2016 sei aus rein privaten Gründen erfolgt. Seitdem sei der Beigeladene als fest angestellter Mitarbeiter an Weisungen der Klägerin gebunden, habe feste Arbeitszeiten einzuhalten, Aufträge anderer Mitarbeiter abzuarbeiten und Aufträge nachzubearbeiten.
6
Die Klägerin teilte mit, dass die Aufgabenbereiche des Beigeladenen und der weiteren Mitarbeiter der Klägerin nicht identisch gewesen seien. Der Beigeladene sei nicht in ihre Arbeitsorganisation eingegliedert gewesen, sei keinem Weisungsrecht unterlegen und habe Arbeitszeit- und -ort frei bestimmen können. Die im Dienstvertrag vereinbarte monatliche Arbeitszeit iHv 195 Stunden sei lediglich eine Rechengröße und habe für den der streitigen Nachforderung zugrundeliegenden Zeitraum keine Relevanz. Der Beigeladene sei als freier Mitarbeiter anders vergütet worden, als die von der Klägerin sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Das Unternehmerrisiko des Beigeladenen resultiere bereits daraus, dass seine Vergütung allein auf Provisionsbasis erfolgt sei. Soweit eine Vorabvergütung der Provision mittels Raten erfolgt sei, beruhe dies darauf, dass der Beigeladene im Rahmen seiner langjährigen Tätigkeit für die Klägerin gezeigt habe, dass er die Umsatzziele immer erreiche. Die gleichbleibende Höhe der Raten sei letztlich irrelevant.
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Die Beklagte forderte nach entsprechender Anhörung von der Klägerin aufgrund der Tätigkeit des Beigeladenen in der Zeit vom 1.1.2014 bis 31.12.2015 Beiträge zu allen Zweigen der Sozialversicherung sowie die Umlagen U1, U2 sowie nach § 358 SGB III iHv 43.273,20 Euro zzgl Säumniszuschlägen nach. Es überwögen die Merkmale für eine abhängige Beschäftigung. Der Beigeladene habe kein nennenswertes Kapital eingesetzt und kein unternehmerisches Risiko getragen. Unterschiede zur Tätigkeit festangestellter Mitarbeiter seien nicht zu erkennen. Die Tätigkeit des Beigeladenen sei Dritten gegenüber nicht als selbstständige erkennbar gewesen. Durch die monatliche Mindestprovisionsvorauszahlung erziele der Beigeladene tatsächlich ein monatliches Festgehalt. Über weitere Auftraggeber neben der Klägerin habe der Beigeladene nicht verfügt (Bescheid vom 13.11.2018, Widerspruchsbescheid vom 29.5.2020).
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Das Sozialgericht München hat die am 10.6.2020 erhobene Klage hinsichtlich der im Berufungsverfahren noch streitigen Nachforderung der Sozialversicherungsbeiträge und Umlagen abgewiesen. In dem der streitigen Nachforderung zugrundeliegenden Zeitraum habe sich die Aufgabe des Beigeladenen für die Klägerin nach den Angaben der Beteiligten im Verwaltungsverfahren und den Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung so dargestellt, dass der Beigeladene im Wesentlichen in dem von der Klägerin betriebenen Küchenstudio die Produktpalette der Klägerin bezüglich Kücheneinrichtungen beratend anzubieten hatte, die entsprechende Planung von Küchen für die Kunden der Klägerin mit den von der Klägerin zur Verfügung gestellten Küchenplanungsprogrammen vorzunehmen und die Kunden zum Kauf zu motivieren hatte. Auf die Preisbildung der Küche habe der Beigeladene keinen unmittelbaren eigenen Einfluss gehabt. Die Vergütung des Beigeladenen sei dem Dienstleistungsvertrag zufolge durch ein monatliches Fixum von 3 000 DM zzgl 10% der Rohspanne aus der Verkaufsprovision von abgewickelten Aufträgen bei einer Monatsumsatzleistung von 80 000 DM erfolgt, bei Überschreiten der Monatsumsatzleistung sei eine Provision iHv 25% der erzielten Handelsspanne bezahlt worden. Die Abrechnung der Vergütung sei monatlich durch Provisionsvorauszahlungen erfolgt, wobei aus der Provision Mehrwertsteuer abgeführt worden sei. Der Beigeladene habe Einkommensteuer aus Einkünften aus Gewerbebetrieb abgeführt, bei Krankheit und Urlaub keine Entgeltfortzahlung erhalten und sei nach eigenen Angaben verpflichtet gewesen, die Tätigkeit für die Klägerin höchstpersönlich auszuführen. Ihm sei das übliche Prospektmaterial von der Klägerin unentgeltlich zur Verfügung gestellt worden. Der Beigeladene habe die Interessen und das Ansehen des Hauses der Klägerin bei der Tätigkeit zu berücksichtigen gehabt.
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Das Sozialgericht sei auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Beschäftigung iS des § 7 Abs. 1 SGB IV sowie zur Abgrenzung der Tätigkeit eines selbstständigen Handelsvertreters von der eines abhängig Beschäftigten (bezugnehmend auf BSG, Urteil vom 29.1.1981 – 12 RK 63/79; Urteil vom 22.6.2005 – B 12 KR 28/03) unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu der Überzeugung gelangt, dass der Beigeladene für die Klägerin abhängig beschäftigt gewesen sei. Auch habe es ein wesentliches Unternehmerrisiko beim Beigeladenen nicht erkennen können.
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Der Beigeladene sei in den Betrieb der Klägerin eingegliedert gewesen, weil er funktionsgerecht dienend am Arbeitsprozess teilhatte und er in seiner Funktion als Küchenverkäufer in eine fremde Arbeitsorganisation eingegliedert gewesen sei. Der Beigeladene habe seine Verkäufertätigkeit größtenteils in dem Küchenstudio der Klägerin mit Hilfe des dort vorhandenen Equipments zu den betriebsüblichen Arbeitszeiten (Öffnungszeiten des Küchenstudios) ausgeübt. Die erforderlichen Arbeitsmittel (Schreibtisch, Programme zur Planung von Küchen) seien ihm von der Klägerin unentgeltlich zur Verfügung gestellt worden. Unerheblich sei, dass der Beigeladene die Planung der Küchen auch von zu Hause unter Nutzung seines PCs bzw seiner Büroausstattung durchführen konnte und nach eigenem Vorbringen für die Planung immer seinen PC benutzt habe. Auch bei abhängig Beschäftigten sei Arbeiten im Home-Office durchaus üblich, so dass örtliche Flexibilität nicht mehr als relevantes Abwägungskriterium berücksichtigt werden könne. Der Beigeladene und die Klägerin hätten übereinstimmend angegeben, dass der wesentliche Arbeitszeitanteil des Beigeladenen in dem Küchenstudio der Klägerin zu den üblichen Ladenöffnungszeiten vorgenommen worden sei. Soweit der Geschäftsführer der Klägerin in der mündlichen Verhandlung angegeben habe, dass der Beigeladene über einen Schlüssel verfügt und Kunden auch außerhalb der Öffnungszeiten betreut habe, sei dies vom Beigeladenen im Verwaltungsverfahren nicht vorgetragen worden. Es spiele jedoch für die streitige Beurteilung keine wesentliche Rolle, da der Beigeladene und die Klägerin selbst vorgebracht hätten, dass der Beigeladene das Küchenstudio im Wesentlichen während der Öffnungszeiten genutzt habe. In organisatorischer Hinsichtlich sei der Beigeladene als Küchenverkäufer auch auf die Zusammenarbeit mit den weiteren Angestellten der Klägerin angewiesen gewesen. Er habe während der Küchenplanung mit diesen kommuniziert, um etwaige Rückfragen zu klären. Der Beigeladene habe damit nicht, wie es für einen Selbstständigen typisch sei, die zur Erreichung des wirtschaftlichen Erfolgs notwendigen Handlungen nach eigenen betrieblichen Voraussetzungen organisieren können. Diese Umstände belegten, dass der Kläger in einen für ihn fremden, dh den Interessen eines anderen dienenden und von seinem Willen beherrschten Betrieb eingegliedert gewesen sei, damit der objektiven Ordnung dieses Betriebes unterlegen und schon deshalb abhängig beschäftigt gewesen sei. Für die Kammer sei die Tätigkeit des Beigeladenen für die Klägerin diejenige einer Verkaufstätigkeit von Küchen – gegebenenfalls auch im Außendienst – jedenfalls jedoch nicht die eines selbstständigen Handelsvertreters. Hierbei spiele es keine Rolle, dass der Beigeladene im Übrigen einem konkreten inhaltlichen Weisungsrecht der Klägerin nicht unterlegen sei. Fehlende inhaltliche Einzelweisungen durch die Klägerin führten nämlich zu keinem anderen Ergebnis. Im Rahmen der Kundengespräche habe nach Bedarf gehandelt werden müssen. Einzelanweisungen würden hier in der Regel der Sachlage nicht gerecht, so dass aus ihrem Fehlen nicht auf Selbstständigkeit geschlossen werden könne.
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Der Beigeladene habe kein wesentliches Unternehmerrisiko getragen. Der Beigeladene habe für die Tätigkeit bei der Klägerin keine Aufwendungen gehabt, weil ihm die entsprechenden Arbeitsmittel wie das Planungsprogramm, die Küchenausstellung auf der Verkaufsfläche und die entsprechenden Waren zur Verfügung gestellt worden seien. Soweit der Beigeladene in seiner Privatwohnung einen Büroraum eingerichtet hatte, seien ihm hierdurch zusätzliche Ausgaben nicht entstanden. Eigene Angestellte habe der Beigeladene nicht beschäftigt. Ebenso verhalte es sich mit Blick auf den eigenen PC und Pkw.
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Der Beigeladene habe seine Arbeitskraft nicht mit der Gefahr des Verlustes eingesetzt. Es könne offenbleiben, ob eine bloße Provisionszahlung relevantes Unternehmerrisiko begründe. Dem Beigeladene sei unabhängig von dem von ihm getätigten Umsatz ein fester Betrag bezahlt worden. So habe der Beigeladene ausweislich des Dienstvertrages ein monatliches Fixum auch dann erhalten, wenn das Umsatzziel nicht erreicht worden sei. Dabei sei nicht relevant, dass es hierzu in der Vergangenheit nicht gekommen sei. Denn auch bei Nicht-Erreichen des Umsatzzieles habe der Beigeladene gegenüber der Klägerin immer das monatliche Fixum geltend machen können. Auch Beschäftigte seien bisweilen in der Lage, die Höhe ihres Einkommens durch Provision zu beeinflussen.
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Für Selbstständigkeit spreche, dass für den Beigeladenen keine Anwesenheitspflicht im Betrieb bestanden habe und er seine Zeit habe frei einteilen können. Diese scheinbare Freiheit sei allerdings durch die dienstvertraglich vereinbarte monatliche Leistungspflicht von zumindest 195 Stunden eingeschränkt worden. Soweit die Klägerin und der Beigeladene für den der streitigen Nachforderung zugrundeliegenden Zeitraum kein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis hätten vereinbaren wollen, spreche dies nicht gegen die Annahme einer solchen. Die Versicherungspflicht in der Sozialversicherung stünde nicht zur Disposition der Beteiligten. Die fehlende Vereinbarung von Entgeltfortzahlung bei Krankheit und Urlaub sei typisch, wenn beide Seiten eine selbstständige freie Mitarbeit vereinbaren wollten. Entsprechendes gelte hinsichtlich der Abführung von Mehrwertsteuer an das Finanzamt. Maßgeblich sei das Gesamtbild der Arbeitsleistung nach den tatsächlichen Verhältnissen und nicht die von den Beteiligten gewählte vertragliche Beziehung. Schließlich sei nicht relevant, dass der Beigeladene für weitere Auftraggeber habe tätig sein können.
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In der Gesamtschau sei das Gesamtbild der Arbeitsleistung des Beigeladenen für die Klägerin geprägt von den für eine abhängige Beschäftigung sprechenden Merkmalen. Hierbei sei insbesondere maßgeblich, dass die Arbeit des Beigeladenen inhaltlich der eines angestellten Küchenverkäufers glich, denn die von ihm ausgeübte Tätigkeit werde bei der Klägerin klassischerweise von abhängig beschäftigten Verkäufern erbracht. Damit spiele auch keine Rolle, dass der Beigeladene sich nur auf den Küchenverkauf konzentriert habe, während andere festangestellte Mitarbeiter auch die Abwicklung, die Bestellung und etwaige Reklamationen zu bearbeiten hatten, so dass der Beigeladene in Teilbereichen aus der Organisation der Klägerin ausgegliedert gewesen sei. Bezeichnenderweise sei für die Zeit ab 1.1.2016 eine entsprechende abhängige Beschäftigung zwischen der Klägerin und dem Beigeladenen vereinbart worden (Urteil vom 1.6.2022, dem Klägerbevollmächtigten zugestellt am 20.6.2022).
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Mit ihrer am 8.7.2022 eingelegten Berufung hat die Klägerin neben ihrer grundsätzlichen Kritik an der sozialgerichtlichen Rechtsprechung zu § 7 Abs. 1 SGB IV sowie der gesetzlichen Versicherungs- und Beitragspflicht insbesondere in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung moniert, dass das Sozialgericht zu Unrecht davon ausgegangen sei, dass in dem von der Klägerin und der Beklagten abgeschlossenen Dienstvertrag ein Fixum vereinbart gewesen sei. Vielmehr sei zu Beginn des Vertrages eine Rechnungsgröße ermittelt worden, die vorab die Zahlung einer Teilvergütung ermöglicht habe, um dem Beigeladenen überhaupt zu ermöglichen, als Handelsvertreter tätig zu sein, da andernfalls in den ersten Monaten kein Zufluss gegeben sei. Dem Sozialgericht fehle jegliches Verständnis vom Handel. Vielmehr habe der Beigeladene einem freien Handelsvertreter entsprechend für fremde Rechnung Produkte des Auftraggebers vertrieben, indem er Kunden zum Kauf motivierte und hierfür eine Provision von 25% aus der Handelsspanne erhielt. Nach Ausräumung dieser Missverständnisse sei festzustellen, dass der Beigeladene als freier Handelsvertreter nicht sozialversicherungspflichtig tätig gewesen sei. Weiter würden die Unterschiede zwischen der Tätigkeit des Beigeladenen und der angestellten Küchenverkäufer der Klägerin für eine selbstständige Tätigkeit des Beigeladenen sprechen. (Ausreichender) Kapitaleinsatz sei für die Annahme von Unternehmerrisiko nicht erforderlich. Durch dieses Verfahren werde aufgezeigt, dass die Gesetze, die das Volk für sich bestimmt habe, für ihre Versorgung, durch die Auslegung der Gerichte, in Erklärung der Verwaltung, ausgehebelt würden.
16
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 1.6.2022 abzuändern und den Bescheid der Beklagten vom 13.11.2018 idG des Widerspruchsbescheides vom 29.5.2020 vollständig aufzuheben sowie die Revision zuzulassen.
17
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
18
Die zuständigen Fremdversicherungsträger sind über das vorliegende Verfahren informiert worden und haben ihre Beiladung zum Verfahren nicht beantragt.
19
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die vorliegenden Akten verwiesen, auch soweit sie vom Sozialgericht München und der Beklagten beigezogen worden sind.
Entscheidungsgründe
20
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Der Senat konnte in Abwesenheit des Beigeladenen verhandeln und entscheiden, da dieser über den Termin zur mündlichen Verhandlung informiert und dabei auf die Folgen seines Ausbleibens hingewiesen worden war (§ 110 Abs. 1 S. 2, § 153 Abs. 1 SGG).
21
Im Berufungsverfahren streitig ist das Urteil des Sozialgerichts München vom 1.6.2022, soweit die Klage gegen die Nachforderung von Beiträgen zur Sozialversicherung sowie Umlagen vom 13.11.2018 idG des Widerspruchsbescheides vom 29.5.2020 abgewiesen worden ist.
22
Die Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage gegen die Nachforderung von Beiträgen und Umlagen abgewiesen. Insoweit ist der Bescheid der Beklagten vom 13.11.2018 idG des Widerspruchsbescheides vom 29.5.2020 rechtmäßig. Die Beklagte war auf der Grundlage des § 28p Abs. 1 S. 5 SGB IV zur Nachforderung berechtigt. Die Versicherungspflicht beruht auf § 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI, § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, § 25 Abs. 1 S. 1 SGB III, § 20 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB XI, die Umlagepflicht auf § 10 iVm § 3 AAG sowie § 358 SGB III. Die Tätigkeit des Beigeladenen für die Klägerin als Verkäufer von Küchen erfolgte im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung iS des § 7 Abs. 1 SGB IV. Insoweit wird die Berufung aus den Gründen des angefochtenen Urteils zurückgewiesen und von deren erneuter Darstellung abgesehen (§ 153 Abs. 2 SGG).
Ergänzend ist auf folgendes hinzuweisen:
23
Der grundsätzlichen Kritik der Klägerin an der Rechtsprechung zu § 7 Abs. 1 SGB IV kann sich der Senat nicht anschließen. Entsprechendes gilt hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Versicherungs- und Beitragspflicht in der gesetzlichen Sozialversicherung.
24
Ausweislich des aktenkundigen Dienstvertrages hatte die Klägerin dem Beigeladene für die Zeit ab dem vierten Monat ein monatliches Fixum iHv 3 000 DM geschuldet („Danach… Zusätzlich wird monatlich ein Fixum von DM 3.000,- bezahlt. Diese Regelung gilt bis zu einer Monatsumsatzleistung von DM 80.000,- netto. Bei Überschreiten dieser Umsatzgröße entfällt das Fixum und es werden 25% der Provision aus der erzielten Handelsspanne gezahlt.“). Der Senat konnte sich schließlich nicht davon überzeugen, dass diese Regelung in dem der streitigen Nachforderung zugrundeliegenden Zeitraum nicht vollzogen worden ist. Insbesondere erhielt der Beigeladene auf seine entsprechende Rechnung regelmäßig monatlich einen Betrag iHv 3.980 Euro zzgl Mehrwertsteuer ausgezahlt.
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Es ist nicht ersichtlich, welche Auswirkungen die Tatsache, dass die dem Beigeladenen übertragene Aufgabe als Verkäufer lediglich die Planung und den Verkauf, nicht hingegen und anders als bei angestellten Verkäufern der Klägerin die Bereiche Abwicklung, Bestellung und etwaige Reklamationen der Aufträge beinhaltete, auf die vorliegend streitige sozialversicherungsrechtliche Beurteilung haben soll. Entsprechendes gilt, soweit vorgetragen wird, der Beigeladene sei anders als die bei der Klägerin angestellten Verkäufer vergütet worden.
26
Es kann dahinstehen, ob eine Tätigkeit als Küchenverkäufer (sozialversicherungsrechtlich) als Selbstständige beurteilt werden kann, wenn diese ohne relevanten Kapitaleinsatz durchgeführt wird. Denn zu Recht ist das angefochtene Urteil im Rahmen der Gesamtwürdigung davon ausgegangen, dass relevantes Unternehmerrisiko vorliegend nicht festzustellen ist und unter Berücksichtigung der übrigen Umstände mehr für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung als für das Vorliegen einer selbstständigen Tätigkeit spricht.
27
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 S. 1 SGG iVm § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Billigkeitsgesichtspunkte, die eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen begründen könnten, sind (auch im Berufungsverfahren) weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich.
28
Gründe für eine Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.
29
Die Streitwertfestsetzung für das Berufungsverfahren beruht auf § 197a Abs. 1 S. 1 HS 1 SGG iVm § 63 Abs. 2 S. 1, § 52 Abs. 1, Abs. 3 S. 1, § 47 Abs. 1 S. 1 GKG.