Titel:
Kosten eines Sachverständigengutachtens, Einschaltung eines Sachverständigen, Sachverständigenrechnung, Sachverständigenkosten, Übliches Sachverständigenhonorar, Elektronisches Dokument, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Abtretung des Anspruchs, Wirksamkeit der Abtretung, Schadensschätzung, unangemessene Benachteiligung, Schätzungsgrundlage, Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit, Elektronischer Rechtsverkehr, Nebenkosten, Schadenminderungspflicht, Rückforderungsansprüche, Streitwert, Verfahren nach billigem Ermessen, Sicherungsabtretung
Schlagworte:
Schadensersatzanspruch, Verkehrsunfallhaftung, Sachverständigenkosten, Abtretung, Erforderlichkeit der Kosten, Schadensschätzung, Nebenkosten
Fundstelle:
BeckRS 2024, 45992
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 533,12 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 31.05.2024 zu zahlen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 533,12 € festgesetzt.
Entscheidungsgründe
1
Gemäß § 495a ZPO bestimmt das Gericht das Verfahren nach billigem Ermessen. Innerhalb dieses Entscheidungsrahmens berücksichtigt das Gericht grundsätzlich den gesamten Akteninhalt.
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Die zulässige Klage ist in vollem Umfang begründet.
3
Der Kläger hat gegen die Beklagte einen weiteren Schadensersatzanspruch in Höhe von 533,12 € aus abgetretenem Recht.
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Unstreitig haftet die Beklagte für die Schäden aus dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall.
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Wirksamkeit der Abtretung:
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Die Klägerin hat den Anspruch auf Ersatz der Sachverständigenkosten von dem Geschädigten D. durch Abtretung vom 25.05.2024, vorgelegt als Anlage K 09, erworben.
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Eine unangemessene Benachteiligung des Geschädigten im Sinne des § 307 BGB ist nicht erkennbar. Die Rechtsfolgen die Abtretung für das Rechtsverhältnis zwischen dem Geschädigten und der Klägerin aus dem zugrundeliegenden Werkvertrag sind unzweifelhaft geregelt. Der Geschädigte kann nur dann in Anspruch genommen werden, soweit der Unfallgegner nicht zahlt. Eine Inanspruchnahme des Geschädigten trotz Zahlung des Unfallgegners ist damit nicht zu besorgen. Im Übrigen handelt es sich um eine Sicherungsabtretung, deren Wesen gerade in der – wenn auch nachrangigen – fortdauernden Haftung des Abtretenden liegt.
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Erstattungsfähigkeit der Sachverständigenkosten:
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Nach der aktuellen Rechtsprechung des OLG München (Beschluss vom 14.12.2015, 10 U 579/15), sind die weiteren Sachverständigenkosten hier voll erstattungsfähig.
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Die Kosten eines Sachverständigengutachtens gehören zu den mit dem Schaden unmittelbar verbundenen und gemäß § 249 I BGB auszugleichenden Vermögensnachteilen, soweit die Begutachtung zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs erforderlich und zweckmäßig ist (vgl. BGH NJW-RR 1989, 953, 956). Ebenso können diese Kosten zu dem nach § 249 II BGB erforderlichen Herstellungsaufwand gehören, wenn eine vorherige Begutachtung zur tatsächlichen Durchführung der Wiederherstellung erforderlich und zweckmäßig ist (vgl. BGH VersR 1974, 90). Für die Frage der Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit einer solchen Begutachtung ist auf die Sicht des Geschädigten zum Zeitpunkt der Beauftragung abzustellen (vgl. BGH NJW 1995, 446, 447). Demnach kommt es darauf an, ob ein verständig und wirtschaftlich denkender Geschädigter nach seinen Erkenntnissen und Möglichkeiten die Einschaltung eines Sachverständigen für geboten erachten durfte (vgl. BGHZ 54, 82, 85 und 61, 346, 349 f.). Diese Voraussetzungen sind zwar der Schadensminderungspflicht aus § 254 II BGB verwandt. Gleichwohl ergeben sie sich bereits aus § 249 BGB, so dass die Darlegungs- und Beweislast hierfür beim Geschädigten liegt (vgl. BGHZ 61, 346, 351).
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Liegen die mit dem Sachverständigen vereinbarten oder von diesem berechneten Preise für den Geschädigten erkennbar über den üblichen (vgl. § 632 II BGB) Preisen, so sind diese nicht geeignet, als erforderlich i.S.d. § 249 BGB zu gelten. Der erforderliche Geldbetrag ist vom Tatrichter anhand tragfähiger Anknüpfungstatsachen gemäß § 287 ZPO zu ermitteln (vgl. BGH NJW 2014, 3151).
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Die Rechtsprechung des OLG München steht nach Auffassung des erkennenden Gerichts auch im Einklang mit der BGH-Rechtsprechung.
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Im Urteil vom 26.04.2016, Az. VI ZR 50/15, hat der BGH ausgeführt, dass § 287 ZPO die Art der Schätzungsgrundlage nicht vorgibt.
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Der BGH führt hierzu aus: „Das Berufungsgericht hatte vorliegend aber nicht über die dem Kläger als Sachverständigen gemäß § 632 BGB zustehende Vergütung zu entscheiden. Maßgeblich war vielmehr, ob der in der Person der Frau R. entstandene Schadensersatzanspruch aus § 18 Abs. 1 Satz 1 StVG die vom Kläger in Rechnung gestellten Sachverständigenkosten in voller Höhe umfasst. Dies hängt davon ab, ob sich die vom Kläger berechneten Nebenkosten nach schadensrechtlichen Grundsätzen im Rahmen des zur Wiederherstellung Erforderlichen im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB halten (vgl. Senatsurteil vom 23. Januar 2007 – VI ZR 67/06, VersR 2007, 560 Rn. 14).“
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„§ 287 ZPO gibt die Art der Schätzungsgrundlage nicht vor. Soweit es sich um typische Fälle handelt, ist bei der Schadensbemessung das Interesse gleichmäßiger Handhabung mit in den Blick zu nehmen. Dementsprechend ist es anerkannt, dass sich der Tatrichter in Ermangelung konkreter Anhaltspunkte für eine abweichende Beurteilung im Rahmen der Schadensschätzung gesetzlich geregelter oder in anerkannten Tabellen enthaltener Erfahrungswerte bedienen kann (vgl. Senatsurteile vom 23. November 2004 – VI ZR 357/03, BGHZ 161, 151, 154; vom 17. November 2009 – VI ZR 64/08, VersR 2010, 268 Rn. 20; vom 18. Dezember 2012 – VI ZR 316/11, VersR 2013, 330 Rn. 10, jeweils mwN; vgl. auch BGH, Urteil vom 21. Mai 2015 – I ZR 62/14, AfP 2016, 35 Rn. 27; Beschlüsse vom 10. März 2010 – IV ZR 255/08, FamRZ 2010, 891 Rn. 6; vom 21. August 2014 – VII ZR 144/13, NJW-RR 2014, 1319).“ Im Urteil vom 26.04.2016, Az. VI ZR 50/15, hat der BGH ausgeführt, dass es nicht zu beanstanden sei, wenn im Rahmen der Schätzung der tatsächlich erforderlichen Nebenkosten mit Ausnahme der Fahrtkosten gemäß § 287 ZPO die Bestimmungen des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes als Orientierungshilfe herangezogen werden. Zwar regele dieses Gesetz lediglich das dem gerichtlichen Sachverständigen zustehende Honorar; eine Übertragung dieser Grundsätze auf die Vergütung privater Sachverständiger komme nicht in Betracht (so auch BGH, Urteil vom 04.06.2006, X ZR 122/05). Allerdings sei nicht über die dem Kläger als Sachverständigen gemäß § 632 BGB zustehende Vergütung zu entscheiden, sondern vielmehr, ob der in der Person des Geschädigten entstandene Schadensersatzanspruch die vom Kläger in Rechnung gestellten Sachverständigenkosten in voller Höhe umfasst. Dies hänge davon ab, ob sich die vom Kläger berechneten Nebenkosten nach schadensrechtlichen Grundsätzen im Rahmen des zur Wiederherstellung Erforderlichen im Sinne des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB halten.
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Nach den weiteren Ausführungen des BGH begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, wenn der Tatrichter das JVEG lediglich als Schätzungsgrundlage bei der Schadensbemessung nach § 287 ZPO – und eben nicht unmittelbar oder analog – heranzieht.
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Entscheidend ist aber, dass der BGH sodann explizit feststellt, dass § 287 ZPO die Art der Schätzungsgrundlage nicht vorgibt. Der Senat führt hierzu aus:
„Soweit es sich um typische Fälle handelt, ist bei der Schadensbemessung das Interesse gleichmäßiger Handhabung mit in den Blick zu nehmen. Dementsprechend ist es anerkannt, dass sich der Tatrichter in Ermangelung konkreter Anhaltspunkte für eine abweichende Beurteilung im Rahmen der Schadensschätzung gesetzlich geregelter oder in anerkannten Tabellen enthaltener Erfahrungswerte bedienen kann.“
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Insofern ergibt sich aus dem neuesten BGH-Urteil nicht, dass das JVEG zwingend als Schätzgrundlage heranzuziehen ist.
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Mit Urteil vom 26.2.2016 hat das OLG München im Verfahren Az.10 U579/15 dargelegt:
„Wegen der für den Geschädigten bestehenden Schwierigkeit der Ermittlung der üblichen Sachverständigenhonorare erscheint es dem Senat im Übrigen ab dem 01.01.2016 für sachgerecht, dass in den Fällen, in denen auch nur teilweise eine Erstattung der Kosten für ein Schadensgutachten durch einen Unfallgegner oder dessen Haftpflichtversicherung in Betracht kommt, der Sachverständige im Rahmen seiner aus dieser Dreiecksbeziehung resultierenden Aufklärungspflicht gegenüber dem Auftraggeber (als Nebenpflicht des Gutachtensauftrags) verpflichtet ist, spätestens in der Sachverständigenkostenrechnung schriftlich darauf hinzuweisen, wenn er über den üblichen Sätzen gemäß §§ 249, 633 II BGB liegt und deshalb für den Auftraggeber die Gefahr besteht, dass die gegnerische Versicherung den überschießenden Betrag nicht bezahlt. Werden Honorarverhandlungen vor dem Abschluss des Gutachtensauftrags geführt, hat der Hinweis zu diesem Zeitpunkt schriftlich (etwa im Rahmen eines Kostenvoranschlags) zu erfolgen und muss im Streitfall nachgewiesen werden. Hierauf hat der Senat bereits im Beschluss vom 14.12.2015 (Bl. 103/109 d.A.) hingewiesen.Vorstehende Ausführungen haben im Einzelnen dann folgende Konsequenzen:aa) Hat der Sachverständige ordnungsgemäß aufgeklärt, kann sich der Geschädigte selbst in Fällen subjektiver Schadensbetrachtung (vgl. hierzu Hinweis des Senats vom 12.03.2015 Ziff. II 2, SP 2015, 200) nicht mehr darauf berufen, er habe nicht erkennen können, dass unübliche Sätze verlangt werden. In diesem Fall kann der Geschädigte deshalb vom Schädiger/dessen Versicherung maximal nur die üblichen Sätze (§ 632 II BGB) verlangen.bb)
Falls der Geschädigte vom Sachverständigen nicht ordnungsgemäß aufgeklärt wurde (bzw. der Sachverständige dies im Streitfall nicht nachzuweisen vermag), bekommt der Geschädigte (nicht aber der klagende Sachverständige, § 242 BGB) in Fällen subjektiver Schadensbetrachtung die volle Kostenrechnung des Sachverständigen (bis zur Grenze der Evidenz überhöhter Kosten, vgl. Hinweis vom 12.03.2015, Ziff. II 6, a.a.O.) erstattet, ist aber verpflichtet, seine Rückforderungsansprüche gegenüber dem Sachverständigen an die Versicherung/den Schädiger abzutreten (vgl. hierzu Hinweis vom 12.03.2015, a.a.O., Ziff. II 8).“
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Daraus folgt, das der klagende Sachverständige, wie hier, eine subjektive Sicht ab 2016 nicht geltend machen kann.
21
Die Sachverständigenkosten liegen insoweit nicht mehr im Einklang mit der geltenden Rechtsprechung unter Heranziehung der BVSK Befragung 2022 als zeitnahe Erhebung im Rahmen des Üblichen und sind der Höhe nach nicht zu beanstanden.
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Der Sachverständige rechnet branchenüblich ab, da er Sachverständigenkosten innerhalb der gültigen BVSK-Honorarbefragung 2022 abrechnet. Hierbei ist nach Ansicht des OLG München eine Gesamtbetrachtung der Honorarrechnung vorzunehmen, um zu vermeiden dass der Sachverständige benachteiligt wird, der ein niedrigeres Grundhonorar, dafür aber höhere Nebekosten verlangt (oder umgekehrt), wenn das Gesamthonorar andere Gesamthonorare von Sachverständigen in vergleichbaren Fällen nicht übersteigt.
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Dabei ergeben sich folgende Werte:
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Das Grundhonorar beträgt bei dieser Schadenshöhe entsprechend der BVSK Honorarbefragung 2022 662,00 € (unterer Betrag des HB-V-Korridors). Eine öffentliche Bestellung und allgemeine Vereidigung geht aus der Akte nicht hervor.
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Hinsichtlich der Nebenkosten gilt folgendes:
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EUR Gesamt
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Grundhonorar max
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Anzahl
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662
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Fahrtkosten 0,70 EUR/km
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0
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0
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Fotokosten 2,00 EUR
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12
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24
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2. Fotosatz (0,50 EUR)
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0,5
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Schreibkosten (1,80 EUR/S.)
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6
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10,8
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Kopien (0,50 EUR /Kopie)
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0
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0
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Porto/Telefon
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15
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Gesamtsumme Nebenkosten
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50,3
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Gesamtsumme incl. Grundhonorar netto
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712,3
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MwSt 19%
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135,337
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Gesamtsumme incl. Grundhonorar brutto
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847,637
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Die Sachverständigenrechnung übersteigt den danach ermittelten Wert nicht, so dass, da die Beklagte vorgerichtlich bereits 270,13 € geleistet hat, weiteren Sachverständigenkosten in Höhe von 577,50 € erstattungsfähig sind.
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Die Verurteilung zur Zahlung der Nebenforderung gründet sich auf §§ 280 Abs. 2, 286, 288 BGB.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.