Inhalt

SG Landshut, Beschluss v. 18.12.2024 – S 11 AY 19/24 ER
Titel:

Leistungsausschluss, Vorläufige Leistung, Antragsgegner, Einstweilige Anordnung, Prozesskostenhilfe, Persönliche und wirtschaftliche Verhältnisse, Einstweiliger Rechtsschutz, Asylantrag, Hinreichende Wahrscheinlichkeit, Prozeßbevollmächtigter, Asylverfahren, Europarechtskonformität, Sozialgerichtsgesetz, Antragstellers, Elektronischer Rechtsverkehr, Vollziehbar Ausreisepflichtige, Leistungsanspruch, pflichtwidriges Verhalten, Landessozialgericht, Erniedrigende Behandlung

Schlagworte:
Einstweilige Anordnung, Leistungsausschluss, Existenzminimum, Sekundärmigration, Verfassungsmäßigkeit, Europarechtskonformität, Dublin-Verfahren
Fundstelle:
BeckRS 2024, 45955

Tenor

I. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig Leistungen nach den §§ 3, 3a Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) für die Zeit vom 08.12.2024 bis zum 31.03.2025 in Höhe der Regelbedarfsstufe 1 zu gewähren. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
II. Der Antragsgegner trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers.
III. Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt B., B-Straße, Passau bewilligt. Ratenzahlungen sind nicht zu erbringen.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung, ihm vorläufig Leistungen nach § 3 AsylbLG ab 08.12.2024 ohne Anspruchseinschränkung zu gewähren. Umstritten ist insoweit ein Leistungsausschluss nach § 1 Abs. 4 AsylbLG.
2
Der 2004 geborene Antragsteller ist syrischer Staatsangehöriger und reiste am 22.07.2024 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 09.09.2024 wurde er dem Landkreis P. zugewiesen und lebt seither in einer Gemeinschaftsunterkunft in A-Stadt.
3
Der Antragsgegner bewilligte dem Antragsteller mit Bescheid vom 10.09.2024 Leistungen nach dem AsylbLG gemäß den §§ 3, 3a AsylbLG für den Zeitraum vom 09.09.2024 bis 31.10.2024. Der für Oktober 2024 bewilligte Geldbetrag wurde dem Antragsteller auch im Folgemonat ausgezahlt.
4
Am 24.07.2024 stellte der Antragsteller einen Asylantrag. Der Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 11.10.2024 als unzulässig abgelehnt. Ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes liege nicht vor.
5
Die Abschiebung nach Italien werde angeordnet. Auf der Grundlage der Ermittlungen sei von einer illegalen Einreise, Aufenthalt sowie Weiterreise ohne Stellung eines Asylantrags in Italien auszugehen. Am 09.08.2024 sei ein Übernahmeersuchen nach der Dublin-III-VO an Italien gerichtet worden. Eine fristgerechte Antwort der italienischen Behörden sei nicht erfolgt. Folglich gehe die Zuständigkeit für das Asylverfahren mit Ablauf des 09.10.2024 gemäß Art. 22 Abs. 7 Dublin-III-VO auf Italien über. Gründe zur Annahme von systemischen Mängeln im italienischen Asylverfahren lägen jedoch nicht vor. Das italienische Asylverfahren sowie die dortigen Aufnahmebedingungen wiesen keine Schwachstellen auf, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung gemäß Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK darstellten. Dem Antragsteller werde die Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise aufgezeigt, sofern dies mit allen beteiligten Stellen abgestimmt sei.
6
Die Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge wurde bestandskräftig.
7
Mit Schreiben vom 07.11.2024 hörte der Antragsgegner den Antragsteller an. Gem. § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AsylbLG bestehe kein Anspruch auf Leistungen nach dem AsylbLG mehr, sofern der Asylantrag der betroffenen Person durch eine Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gem. § 29 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 31 Abs. 6 AsylG als unzulässig abgelehnt worden sei, eine Abschiebung nach § 34a Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 AsylG angeordnet wurde und die Ausreise nach der Feststellung des BAMF rechtlich und tatsächlich möglich ist, auch wenn die Entscheidung noch nicht anfechtbar sei.
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Die o.g. Voraussetzungen lägen hier vor.
9
Die Weiterreise in das, sowie der Verbleib im Bundesgebiet trotz Zuständigkeit des EU- und Dublin-Mitgliedsstaats Italien für den Asylantrag stelle ein vorwerfbares Fehlverhalten dar, das zum Ausschluss der Leistungen nach AsylbLG führen solle. Der Antragsteller habe es selbst in der Hand, dieses Fehlverhalten durch eine Ausreise nach Italien abzustellen.
10
Es werde daher beabsichtigt, über den 30.11.2024 hinaus keine Leistungen der §§ 3, 3a AsylbLG mehr zu gewähren.
11
Mit Bescheid des Antragsgegners vom 22.11.2024 stellte der Antragsgegner die Leistungen gem. den §§ 3, 3a AsylbLG mit Ablauf des 30.11.2024 ein. Im Zeitraum 01.12.2024 bis 14.12.2024 würden einmalig Überbrückungsleistungen gem. § 1 Abs. 4 Sätze 2 bis 5 AsylbLG in Höhe von 106,40 EUR erbracht. Die Einstellung der Leistungen beruhe auf§ 1a Abs. 4 Sätze 1 und 2 i. V. m. Abs. 1 AsylbLG. Danach haben Inhaber einer Aufenthaltsgestattung, denen von einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union oder einem am Verteilmechanismus teilnehmenden Drittstaat im Sinne von § 1a Abs. 4 Satz 1 AsylbLG internationaler Schutz oder aus anderen Gründen ein Aufenthaltsrecht gewährt worden ist, keinen Anspruch auf die Leistungen der §§ 2, 3 und 6 AsylbLG.
12
Diese Voraussetzungen lägen hier vor. Der Antragsteller sei als vollziehbar Ausreisepflichtiger gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG vom personalen Anwendungsbereich des § 1 Abs. 4 AsylbLG erfasst. Dies stelle ein selbst zu vertretendes pflichtwidriges Fehlverhalten dar, das vom Anwendungsbereich des § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG erfasst ist. Die Vorschrift solle dazu dienen, die Sekundärmigration insbesondere aus anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union nach Deutschland zu begrenzen. Dem Antragsteller sei es jederzeit möglich, das oben geschilderte pflichtwidrige Verhalten in Form einer Ausreise nach Italien abzustellen.
13
Bei § 1a AsylbLG handele es sich um eine gebundene Entscheidung. Bei Vorliegen eines der Tatbestände des § 1a AsylbLG sei eine Leistungseinschränkung zwingend vorzunehmen; ein Ermessensspielraum werde der zuständigen Leistungsbehörde nicht eingeräumt. Nachdem kein Anspruch auf Leistungen der §§ 3, 3a AsylbLG mehr bestehe, seien diese einzustellen.
14
Mit Fax seines Prozessbevollmächtigten vom 08.12.2024 erhob der Antragsteller Widerspruch gegen den Bescheid vom 22.11.2024. Über den Widerspruch wurde bisher, soweit ersichtlich, noch nicht entschieden.
15
Mit seinem Antrag vom 08.12.2024 auf einstweiligen Rechtsschutz hat sich der Antragsteller, vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten, an das Sozialgericht Landshut gewandt. § 1 Abs. 4 AsylbLG sei evident verfassungswidrig. Die Praxis, soziokulturelle Bedarfe als entbehrlich anzusehen, sei mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht vereinbar. Migrationspolitische Erwägungen könnten Absenkungen des Existenzminimums nicht rechtfertigen. Der Leistungsausschluss gem. § 1 Abs. 4 AsylbLG verfolge kein legitimes Ziel im Sinne der Rechtsprechung des Eufach0000000001s (BVerfG). Darüber hinaus werde der Leistungsausschluss den strengen Anforderungen der Verhältnismäßigkeit nicht gerecht, die an eine Minderung existenzsichernder Leistungen zur Durchsetzung von Mitwirkungspflichten zu stellen sind. Außerdem müsse der Gesetzgeber bei Leistungsminderungen unter das verfassungsrechtlich gebotene Existenzminimum der Wahl und Ausgestaltung seines Konzepts eine verfassungsrechtlich tragfähige Einschätzung zugrunde legen; soweit er sich auf Prognosen über tatsächliche Entwicklungen und insbesondere über die Wirkungen seiner Regelung stütze, müssten diese hinreichend verlässlich sein. Es fehle eine verfassungsrechtlich tragfähige Einschätzung der Eignung, Erforderlichkeit und Angemessenheit. Ein dauerhafter Leistungsausschluss, ohne die Möglichkeit der Betroffenen, die Sanktion durch eigenes Handeln abzuwenden, sei mit Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz (GG) nicht vereinbar. Darüber hinaus verstoße § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AsylbLG gegen Unionsrecht.
16
Dem Antragsteller sei kein pflichtwidriges Verhalten vorzuwerfen. Er habe sich weder pflichtwidrig in die Bundesrepublik Deutschland begeben, noch habe er hier pflichtwidrig verweilt. Auch sei ein aktuelles pflichtwidriges Verhalten, auf das mit der Leistungskürzung hingewirkt werden soll, ist nicht zu erkennen. Eine Überstellung des Antragstellers nach Italien sei nicht zulässig, weil ihm für den Fall seiner Rücküberstellung nach Italien die ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung drohe. Auch der Umstand, dass der Antragsteller Möglichkeiten der freiwilligen Ausreise nicht wahrgenommen hat, führe nicht zu einem vorwerfbaren Verhalten. Schließlich liege die nach § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AsylbLG erforderliche Feststellung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge nicht vor, wonach die Ausreise rechtlich und tatsächlich möglich ist.
17
Tatsächlich sei eine Überstellung des Antragstellers nach Italien nicht möglich, weil die italienische Regierung seit Ende 2022 keine Dublin-Überstellungen mehr annehme.
18
Die Eilbedürftigkeit ergebe sich aus der grundrechtsrelevanten Kürzung der Leistungen zur Sicherung des soziokulturellen Existenzminimums.
19
Der Antragsteller beantragt,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller für den Zeitraum ab 08.12.2024 vorläufig Leistungen gem. §§ 3, 3a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 AsylbLG (Regelbedarfsstufe 1) in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
20
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
21
Es bestehe weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund. Der Antragsteller könne nach erfolgter Ausreise nach Italien, ggf. unter Inanspruchnahme einer Reisebeihilfe, dort Sozialleistungen beantragen und somit die Mittelosigkeit abwenden.
22
Aus Sicht des Antragsgegners sei der Tatbestand des § 1 Abs. 4 Satz.1 Nr. 2 AsylbLG vorliegend unzweifelhaft erfüllt. Das BAMF komme im Ablehnungsbescheid zur Feststellung, dass die Ausreise rechtlich und tatsächlich möglich sei. Aus Sicht des Antragsgegners müsse er hier dem zuständigen BAMF vertrauen können und könne nicht als Kontrollinstanz einem ihr zwar nicht fremden, aber ihr doch auch nicht obliegenden Rechtsgebiet auftreten. Es handele sich um eine gebundene Entscheidung, die der AsyIbLG-Leistungsbehörde kein Ermessen einräume. Anhaltspunkte dafür, dass die neue Regelung des § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AsyIbLG rechtswidrig wäre bzw. das eine Rechtswidrigkeit gerichtlich festgestellt worden wäre, lägen dem Antragsgegner nicht vor.
23
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des ergänzenden Vortrags der Beteiligten wird auf die Akte des Gerichts und die beigezogene Akte des Antragsgegners verwiesen.
II.
24
Der Antrag ist als Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung statthaft, zulässig und begründet.
25
Der Antrag auf einstweilige Anordnung ist zulässig und begründet. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) begründet, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.
26
Voraussetzung für den Erlass einer Regelungsanordnung ist stets, dass sowohl ein Anordnungsgrund (d. h. die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile) als auch ein Anordnungsanspruch (d. h. die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs) glaubhaft gemacht werden (vgl. § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO)).
27
Es besteht ein Anordnungsgrund. Der Antragsteller hat hinreichend glaubhaft gemacht, dass die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile eilbedürftig ist. Er begehrt Leistungen zur Deckung seines monatlichen Existenzbedarfs über den rein physischen Bedarf hinaus. Der Bedarf für die monatliche Existenzsicherung fällt immer aktuell an. Eine spätere Entscheidung kann den Nachteil einer laufenden Bedarfsunterdeckung nicht mehr beseitigen.
28
Des Weiteren hat der Antragsteller einen Anordnungsanspruch hinreichend glaubhaft gemacht. Es besteht eine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass in der Sache ein gegebener materieller Leistungsanspruch besteht und der Bescheid vom 22.11.2024 sich als rechtswidrig erweist.
29
Das Gericht geht ungeachtet der Tatsache, dass in der Begründung des Bescheids vom 22.11.2024 auch Ausführungen zu § 1a AsylbLG erfolgen, davon aus, dass vorliegend ein Fall des § 1 Abs. 4 AsylbLG zu diskutieren ist. Das schließt das Gericht aus der Anhörung und der Leistungseinstellung.
30
Es ist aus derzeitiger Sicht nicht festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 1 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 AsylbLG vorliegen. Danach haben vollziehbar Ausreisepflichtige keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Antragsteller, deren Asylantrag durch eine Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge nach § 29 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit § 31 Absatz 6 des Asylgesetzes als unzulässig abgelehnt wurde, für die eine Abschiebung nach § 34a Absatz 1 Satz 1 zweite Alternative des Asylgesetzes angeordnet wurde und für die nach der Feststellung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge die Ausreise rechtlich und tatsächlich möglich ist, auch wenn die Entscheidung noch nicht unanfechtbar ist.
31
Der Hinweis des Antragstellers, dass die Feststellung des Bundesamtes nicht vorliegt, ist zutreffend. Gemäß der Gesetzesbegründung zum aktuellen § 1 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 AsylbLG (Drucksache 20/12805, S. 29f.) erfolgt eine freiwillige Ausreise bzw. Überstellung nur, nachdem der andere Staat der Übernahme ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat und dem Asylsuchenden in diesem Staat keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Zudem muss die Ausreise tatsächlich möglich sein. Fehlt es an diesen Voraussetzungen, erfolgt keine Überstellung und die Ausreisepflicht ist ausgesetzt. Die Feststellung zur Übernahme des Antragstellers durch Italien ist weder behauptet, noch ergibt sich diese aus den Akten des Antragsgegners. Somit kann an dieser Stelle dahingestellt bleiben, ob dem Antragsteller eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht.
32
Die Europarechtskonformität des § 1 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 AsylbLG ist zudem zweifelhaft. In einem vergleichbaren Fall hat das Bundessozialgericht (BSG) eine EuGH-Vorlage vorgenommen (BSG, EuGH-Vorlage vom 25. Juli 2024 – B 8 AY 6/23 R –). Das BSG erachtet den Anwendungsbereich der Aufnahme-Richtlinie (RL) als eröffnet und begründet dies mit einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Vorgänger-RL 2003/9/EG. In dieser Entscheidung hatte der EuGH festgestellt, dass ein Mitgliedstaat, der mit einem Asylantrag befasst ist, die in der RL 2003/9/EG vorgesehenen Mindestbedingungen für die Aufnahme von Asylbewerbern auch einem Asylbewerber gewähren muss, bei dem er beschließt, einen anderen, gemäß der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (Dublin II) zuständigen Mitgliedstaat um dessen Aufnahme oder Wiederaufnahme zu ersuchen. Die Leistungspflicht des erstangegangenen Mitgliedstaates bestehe solange fort, bis der Asylbewerber tatsächlich an den anderen Staat überstellt werde. Für den Zugang zum Arbeitsmarkt nach Art. 15 der nun in Kraft befindlichen Aufnahme-RL hat der EuGH im Jahr 2021 vergleichbar entschieden (vgl. ZESAR 2024, 489, 490).
33
In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist demnach noch nicht abschließend geklärt, ob der Leistungsausschluss mit dem Europarecht vereinbar ist. Diese Fragestellung ist auch für den vorliegenden Fall von Relevanz, beispielsweise im Falle einer Nachlieferung des Nachweises der Aufnahmebereitschaft. Sollte sich herausstellen, dass der Leistungsausschluss gemäß § 1 Abs. 4 europarechtswidrig ist, würden sich die Leistungsansprüche unmittelbar aus dem AsylbLG ergeben.
34
In Anbetracht der vorgenannten Umstände gelangt das Gericht zu der Einschätzung, dass dem Antragsteller ein Anspruch auf vorläufige Leistungen nach dem AsylbLG zusteht. Das Ermessen hinsichtlich der Entscheidung, vorläufig Leistungen zu bewilligen, ist vorliegend auf Null reduziert. Dies folgt aus dem existenzsichernden Charakter der begehrten Leistungen und aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG abgeleiteten Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 24. Juli 2017 – L 7 AS 427/17 B ER –, m. w. N.)
35
Daher ist der Antragsgegner vorläufig zu verpflichten, dem Antragsteller für den Zeitraum ab dem 08.12.2024 (Datum der Antragstellung) ungekürzte Leistungen zu gewähren. Dauer und Höhe der zuzusprechenden Leistungen liegen gemäß § 86b Abs. 1 Satz 4 SGG i.V.m. § 938 Abs. 1 ZPO im Ermessen des Gerichts.
36
Die Leistungen sind dem Antragsteller vorläufig ab Antragstellung bei Gericht zu gewähren. Die Begrenzung der zeitlichen Wirkung des Beschlusses auf einstweiligen Rechtsschutz bis zum 31.03.2025 ist ausreichend, um nach Ablauf des Zeitraums eine neue Betrachtungsweise vornehmen zu können. Der Zeitraum ist auch erforderlich, um zu verhindern, dass in nächster Zeit weitere Verfahren nach dem einstweiligen Rechtsschutz erforderlich werden.
37
In Bezug auf die Leistungshöhe erscheint eine Verpflichtung „dem Grunde nach“ als sachgerecht und sinnvoll, da auch bei einer solchen Grundverpflichtung für den Antragsgegner die Berechnung der jeweils konkreten Leistungshöhe möglich ist. Sofern lediglich eine Absenkung der Leistung, nicht jedoch die Höhe des Anspruchs strittig ist, ist eine bloße Verpflichtung „dem Grunde nach“ zulässig (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 01. Juli 2016 – L 7 AS 350/16 B ER –). Eine Verpflichtung dem Grunde nach im Sinne des § 130 Abs. 1 SGG ist zulässig, sofern mit hinreichender Wahrscheinlichkeit von einem (zumindest geringfügig höheren) Leistungsanspruch ausgegangen werden kann (vgl. SG Hannover, Beschluss vom 14. Juli 2017 – S 48 AS 1951/17 ER –, m. w. N.). N.). Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall gegeben. Des Weiteren obliegt es dem Antragsgegner, zu entscheiden, ob er die Leistungen zumindest teilweise in Form von Sachleistungen gewährt.
38
Die Kammer geht davon aus, dass der Antragsteller Anspruch auf vorläufige Leistungen nach § 3 AsylbLG in Höhe der Regelbedarfsstufe 1 hat. Diesbezüglich sei auf den Beschluss des Eufach0000000001s vom 19. Oktober 2022 (Az. 1 BvL 3/21, BVerfGE 163, 254-298) verwiesen.
39
Die Kostenentscheidung erfolgt auf Grundlage einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
40
Dem Antragsteller war Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Verfahrensbevollmächtigten ab Antragstellung zu bewilligen (§ 73a SGG i.V.m. §§ 114ff ZPO), da der Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen aus derzeitiger Sicht nicht in der Lage ist, die Kosten der Prozessführung aufzubringen und die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bot und nicht mutwillig erschien. Dem Antragsteller wird aufgegeben, jede Änderung seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse unverzüglich und ohne weitere Aufforderung durch das Gericht mitzuteilen.