Titel:
Entziehung des akademischen Grades „Dr. rer. pol.“, Entziehungsverfahren, Zuständigkeit des Promotionsausschusses, Besetzung des Promotionsausschusses, unentschuldigtes Fehlen von Mitgliedern, Gremiensitzung in Form einer Videokonferenz, Täuschung, selbstständige Anfertigung
Normenketten:
BayVwVfG Art. 28
BayVwVfG Art. 48
Art. 69 BayHSchG vom 23. Mai 2006
Promotionsordnung für die Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der J.-M.-Universität Würzburg vom 6. Dezember 2016
Grundordnung der der J.-M.-Universität Würzburg vom 15. Juni 2017
Schlagworte:
Entziehung des akademischen Grades „Dr. rer. pol.“, Entziehungsverfahren, Zuständigkeit des Promotionsausschusses, Besetzung des Promotionsausschusses, unentschuldigtes Fehlen von Mitgliedern, Gremiensitzung in Form einer Videokonferenz, Täuschung, selbstständige Anfertigung
Fundstelle:
BeckRS 2024, 4566
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über die Rechtmäßigkeit der Entziehung des akademischen Grades „Dr. rer. pol.“.
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1. Der Kläger wurde am 13. November 2007 als Doktorand an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Beklagten zum Zwecke der Promotion unter der Betreuung von Prof. T. zugelassen. Zum Thema „S. N. I.“ fertigte er eine 128-seitige Promotionsschrift zuzüglich eines 4-seitigen Literaturverzeichnisses an, die er am 30. Oktober 2009 bei der Beklagten einreichte. Mit Schreiben vom Oktober 2009 beantragte er die Zulassung zur Doktorprüfung mit dem angestrebten Doktorgrad „Dr. rer. pol.“ und gab eine Erklärung ab, die Dissertation selbstständig verfasst und keine weiteren als die im Schrifttumsverzeichnis angegebenen Hilfsmittel benutzt zu haben. Sowohl der Erstgutachter Prof. T. als auch der Zweitgutachter Prof. K. bewerteten die Dissertation mit der Note „magna cum laude“ (= eine sehr gute Leistung). Nach Durchführung der mündlichen Prüfung am 24. März 2010 verlieh die Beklagte dem Kläger mit Urkunde vom selben Tag den akademischen Grad „Dr. rer. pol.“ mit der Gesamtbewertung „magna cum laude“.
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2. Durch eine anonyme Anzeige aus dem Jahr 2015 wurden Plagiatsvorwürfe gegen den Kläger bekannt, die zu einer Untersuchung durch die Ständige Kommission zur Untersuchung wissenschaftlichen Fehlverhaltens der Beklagten (Kommission) führten. Im abschließenden Bericht vom 4. Dezember 2018, auf dessen Inhalt verwiesen wird, stellte die Kommission einstimmig fest, dass der Kläger den Tatbestand wissenschaftlichen Fehlverhaltens durch Verletzung geistigen Eigentums verwirklicht habe, weil seine Dissertation in erheblichem Umfang Plagiate enthalte. Die Kommission empfahl dem Promotionsausschuss der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Beklagten (Promotionsausschuss), den Doktorgrad zu entziehen.
4
Der Promotionsausschuss beschloss in seiner Sitzung am 27. März 2019 einstimmig, gegen den Kläger ein Prüfverfahren im Hinblick auf einen Titelentzug wegen eindeutiger Verdachtsmomente für das Vorliegen eines Plagiats einzuleiten. Als Berichterstatter fertigte Prof. P. in Abstimmung mit zwei weiteren Berichterstattern eine Stellungnahme zum möglichen wissenschaftlichen Fehlverhalten des Klägers vom 1. Juli 2019 an, auf deren Inhalt Bezug genommen wird. In dieser kommt Prof. P zu dem Schluss, dass der Kläger den Tatbestand des wissenschaftlichen Fehlverhaltens verwirklicht habe, indem er in erheblichem Umfang geistiges Eigentum von Dr. A. für sich reklamiert habe, ohne kenntlich zu machen, dass dieser die wissenschaftlichen Vorarbeiten geleistet habe. Die Verletzung des geistigen Eigentums von Dr. A sei für die Arbeit des Klägers auch maßgeblich. Es müsse ferner zwingend von einer vorsätzlichen und sehr umfangreichen Täuschung der Gutachter und des Promotionsausschusses ausgegangen werden, weshalb der Entzug des Doktortitels wegen wissenschaftlichen Fehlverhaltens empfohlen werde.
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In der Folge nahm der Klägerbevollmächtigte mit Schreiben vom 12. September 2019 zu den Vorwürfen Stellung. Der Tatbestand der Übereinstimmung einzelner bildlicher Darstellungen in der Dissertationsschrift des Klägers mit einzelnen bildlichen Darstellungen in der Dissertationsschrift des Dr. A. werde nicht in Abrede gestellt. Tatsächlich besitze das Urheberrecht an diesen Darstellungen möglicherweise nicht etwa Dr. A., sondern der Erstbetreuer beider Dissertationen, Prof. T., der die Schaubilder entwickelt habe, deren Gebrauch am Lehrstuhl, an dem sowohl der Kläger als auch Dr. A. ihre Arbeiten erstellt hätten, allgemein üblich gewesen sei. Zudem habe Prof. T. dem Kläger ausdrücklich mitgeteilt, dass eine Zitation wegen des Gebrauchs der Schaubilder nicht erforderlich sei. Dies habe Prof. T. in einem Schreiben vom 29. Juli 2018 nochmals bestätigt. Die bildlichen Darstellungen erfüllten im Übrigen in der Dissertationsschrift keine tragende Funktion und dienten lediglich zur grafischen Veranschaulichung der Ausarbeitung. Dass die in Rede stehenden Abbildungen nicht auf eigener Urheberschaft beruhten, stehe außer Frage. Es sei aber bis zum heutigen Tage nicht verbindlich bekannt, wo überhaupt die Urheberschaft der Abbildungen liege. Prof. T. führe aus, dass diese von ihm und seinen Mitarbeitern entwickelt worden seien. Insofern sei auch nicht klar, wie ein Zitat überhaupt hätte aussehen sollen.
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In seiner Sitzung vom 21. Oktober 2019 hörte der Promotionsausschuss Dr. A. zur Entstehung seiner Promotionsschrift an. Auf das Protokoll der Sitzung wird verwiesen. In seiner Sitzung vom 7. Juni 2021 gab der Promotionsausschuss nochmals dem Kläger Gelegenheit, sich vor dem Gremium zu den erhobenen Vorwürfen zu äußern. Hiervon machte der Klägerbevollmächtigte für den Kläger Gebrauch. Die Sitzung fand per Videokonferenz statt, auf die schriftliche Wiedergabe der Aufzeichnung der Anhörung des Klägerbevollmächtigten wird Bezug genommen. Der Klägerbevollmächtigte beantragte abschließend unter anderem die Anhörung von Prof. T. zu bestimmten aufgeworfenen Fragestellungen.
7
Der Promotionsausschuss hörte in seiner Sitzung vom 12. Juli 2021 per Videokonferenz schließlich Prof. T. zu den von dem Klägerbevollmächtigten aufgeworfenen Fragestellungen an. Auf die schriftliche Wiedergabe der Aufzeichnung der Anhörung von Prof. T. wird verwiesen. Insbesondere führte Prof. T. aus, dass er davon ausgehe, dass der Kläger die Abbildungen und Prozesse entwickelt habe. Das, was der Kläger dann bezogen auf die Arbeit von Dr. A. zitiert habe, habe natürlich Dr. A. entwickelt. Das Projekt, an dem Dr. A. mit dran gesessen habe, sei ein Forschungsprojekt gewesen, in dem mehrere Mitarbeiter involviert gewesen seien. Dr. A. habe einen Teil, der nachher zu der Dissertation geführt habe, gemacht und habe es auch ordentlich gemacht. Der Kläger habe dann später auf diesen Themenkomplex aufgesetzt und aus seiner Sicht einen anderen Fokus beleuchtet und dabei durchaus ein paar gänzlich andere Ansätze entwickelt. Der Kläger und Dr. A. hätten nicht zusammengearbeitet. Die Frage, ob die Abbildungen, die Dr. A. entwickelt habe, Allgemeingut am Lehrstuhl gewesen seien, verneinte er. Es habe so etwas wie Allgemeingut am Lehrstuhl nicht gegeben. Auch die Frage, ob er dem Kläger gesagt habe, dass er nicht zitieren müsse, verneinte er. Der Promotionsausschuss beschloss anschließend einstimmig, dem Kläger den Doktorgrad zu entziehen.
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Mit Bescheid vom 31. August 2021, dem Klägerbevollmächtigten zugegangen am 14. September 2021, entzog die Beklagte dem Kläger den akademischen Grad „Dr. rer. pol.“ gemäß § 16 Abs. 6 der Promotionsordnung für die Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät vom 6. Dezember 2016 i.d.F. vom 4. Juli 2018 (Promotionsordnung) i.V.m. Art. 69 BayHSchG i.V.m. Art. 48 BayVwVfG rückwirkend und ordnete die Rückgabe der verliehenen Doktorurkunde mit Eintritt der Rechtskraft an. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Verleihung des Doktorgrades rechtswidrig erfolgt sei. Der Kläger habe den Nachweis der Befähigung zu vertiefter und „selbstständiger“ wissenschaftlicher Arbeit nicht erbracht. In seiner Dissertation habe der Kläger ein Petri-Netzbasiertes Simulationsmodell und zahlreiche Abbildungen, die das Simulationsmodell beschrieben, aus der Dissertation von Dr. A. übernommen, ohne kenntlich zu machen, dass es sich hierbei um geistiges Eigentum von Dr. A. handele. Die Arbeit von Dr. A. sei im Jahr 2008 eingereicht worden und er sei 2009 promoviert worden. Die Arbeit des Klägers sei am 30. Oktober 2009 eingereicht worden. Das Kapitel 4 der Dissertation des Klägers, das der Beschreibung der Petri-Netz-Modelle und der dazugehörigen Analysen gewidmet sei, nehme auch einen überragenden Stellenwert in der Arbeit ein. Zum einen umfasse es mit insgesamt 38 von 125 Seiten ca. 30% der Arbeit, zum anderen beinhalte es den zentralen wissenschaftlich-methodischen Ansatz, mithin den Kernbereich der Arbeit. Es sei auch von einer Täuschung auszugehen. Ein schutzwürdiges Vertrauen des Klägers in den Bestand seiner Dissertation sei nachdrücklich zu verneinen. Im Übrigen wird auf die Gründe des Bescheids Bezug genommen.
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3. Dagegen ließ der Kläger durch seinen Bevollmächtigten mit Schreiben vom 16. September 2021, eingegangen bei der Beklagten per Telefax am selben Tag, Widerspruch einlegen. Zur Begründung ließ er im Wesentlichen ausführen, dass der Kläger die Beschreibung und die dazugehörigen Analysen aus der Dissertation von Dr. A. übernommen habe, sei zuvor nicht Gegenstand der Anwürfe gegen den Kläger gewesen. Eine Anhörung Dr. A.s sei dem Klägerbevollmächtigten bislang entgangen. Der Kläger bleibe dabei, dass die Abbildungen nicht etwa auf Forschungsarbeiten Dr. A.s beruhten und von diesem erdacht worden seien, sondern am Lehrstuhl allgemein zugänglich und gebräuchlich gewesen seien.
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In seiner Sitzung vom 20. Dezember 2021 im Format einer Videokonferenz beschloss der Promotionsausschuss einstimmig, dass dem Widerspruch des Klägers nicht abgeholfen werden solle.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 20. Januar 2022, dem Klägerbevollmächtigten zugegangen am 27. Januar 2022, wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück (Ziffer 1) und ordnete die Rückgabe der verliehenen Doktorurkunde mit Eintritt der Rechtskraft an (Ziffer 2). Die Kosten des Verfahrens wurden dem Kläger auferlegt (Ziffer 3 und 4). Auf die Gründe des Widerspruchbescheids wird Bezug genommen.
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Dagegen ließ der Kläger mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 28. Januar 2022, eingegangen bei Gericht am selben Tag, Klage zum Verwaltungsgericht Würzburg erheben.
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Zur Begründung ließ der Kläger durch seinen Bevollmächtigten im Wesentlichen ausführen: Es habe das unzuständige Gremium entschieden. Art. 69 BayHSchG verweise nicht auf den Art. 48 BayVwVfG, sondern stelle sich neben ihn. Der Verweis in § 16 Abs. 3 der Promotionsordnung, auch über § 16 Abs. 6 der Promotionsordnung, gehe damit ins Leere. Denn die Zuständigkeitsregelung in § 16 Abs. 6 Satz 2 der Promotionsordnung beziehe sich damit nur auf die Entziehung des Doktorgrades nach Art. 69 BayHSchG, was vorliegend nicht der Fall sei. Dies gelte auch, wenn man davon ausgehe, dass es sich bei § 16 Abs. 6 Satz 1 der Promotionsordnung um eine Rechtsgrundverweisung handele, wobei in diesem Fall neben die Täuschung auch noch die Unwürdigkeit treten müsse. In Art. 64 Abs. 5 Satz 2 BayHSchG werde zudem nicht auf Art. 61 Abs. 1 Satz 2 Nr. 9 BayHSchG Bezug genommen. Der veröffentlichte Text der Promotionsordnung verhalte sich nicht dazu, ob tatsächlich der Senat die Promotionsordnung beschlossen habe. Schließlich sei unbeschadet satzungsrechtlicher Festlegungen die sich aus Art. 48 BayVwVfG, Art. 69 S. 2, 27 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2, 31 Abs. 2 Satz 1 BayHSchG ergebende Zuständigkeit vorrangig. Danach sei für die Rücknahme des Doktorgrades der Fakultätsrat zuständig. Die Zusammensetzung des Promotionsausschusses am 12. Juli 2021 habe nicht den Vorgaben des § 3 Abs. 2 der Promotionsordnung entsprochen. Es werde zudem um Glaubhaftmachung der Entschuldigungen von Prof. Fe., Prof. Fi., Prof. Fl., Prof. Thi. und Prof. Wa. für die Teilnahme an der Sitzung des Promotionsausschusses am 12. Juni 2021 gebeten. Ein normativ beschlussfähiges Gremium könne einen rechtswidrigen Beschluss treffen, wenn normativ vorgesehene Mitglieder unentschuldigt fehlten. Die Teilnahme an Gremiensitzungen stehe nicht unter einem Voluntativvorbehalt der Gremienmitglieder, sondern gehöre zu deren Dienstpflichten, und das Fehlen eines Gremienmitglieds könne sich kausal auf die Entscheidungsfindung auswirken. Es sei zweifelhaft, ob Dr. L. als beratendes Mitglied i.S.d. § 3 Abs. 2 Satz 2 der Promotionsordnung von der Gruppe der wissenschaftlichen Mitarbeiter benannt worden sei. Die Sitzungen des Promotionsausschusses vom 12. Juli 2021 und vom 20. Dezember 2021 seien im Online-Format in Form von Videokonferenzen durchgeführt worden. Der Promotionsausschuss entscheide nach § 3 Abs. 3 Satz 1 der Promotionsordnung jedoch in Anwesenheit seiner Mitglieder. Der Kläger habe diesem Vorgehen nicht ausdrücklich zugestimmt. Zu diesen beiden Zeitpunkten habe es auch keinen COVID-19-bedingten Ausnahmefall mehr gegeben. Zudem sei nichts dafür ersichtlich, dass die Beklagte ihr Ermessen hinsichtlich der Form der Anhörung des Klägerbevollmächtigten im Rahmen einer Videokonferenz in der Promotionsausschusssitzung am 7. Juni 2021 ausgeübt habe. § 3 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 der Promotionsordnung erkläre schließlich die Grundordnung der Beklagten für entsprechend anwendbar und lasse darauf schließen, dass die Grundordnung dann nicht entsprechend für den Anwendungsbereich der Promotionsordnung gelte, wo dies nicht ausdrücklich so geregelt sei. Zudem werde der Täuschungsvorwurf weiterhin bestritten.
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Der Kläger lässt durch seinen Bevollmächtigten beantragen,
den Bescheid der Beklagten vom 31. August 2021 und den Widerspruchsbescheid vom 20. Januar 2022 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
16
Zur Begründung führt die Beklagte im Wesentlichen aus: Der Promotionsausschuss sei gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 1, 69 Satz 2, 64 Abs. 1 Satz 5 BayHSchG i.V.m. § 16 Abs. 3 und 6 der Promotionsordnung für die Entziehung des Doktorgrades zuständig gewesen. Innerhalb der Hochschule richte sich die Zuständigkeit nach der Promotionsordnung. § 16 Abs. 3 der Promotionsordnung regele ausdrücklich das Verfahren der Entziehung eines Doktorgrades und verweise diesbezüglich auf Abs. 6 der gleichen Vorschrift. Es gehe nicht um inhaltliche Verweise, es gehe lediglich um Verfahrensverweise. Auch die Zweifel der Gegenseite an der Zusammensetzung des Promotionsausschusses anlässlich der Beschlussfassungen am 12. Juli 2021 und am 20. Dezember 2021 könnten ausgeräumt werden. Die Entschuldigungen seien nicht glaubhaft zu machen, weil es aufgrund der Beschlussfähigkeit des Promotionsausschusses darauf nicht ankomme. Richtig sei, dass Prof. S. ausweislich des Protokolls der Sitzung des Promotionsausschusses vom 12. Juli 2021 weder anwesend noch entschuldigt gewesen sei. Auf seine Rechtsstellung als Zweitmitglied in der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften komme es vorliegend damit nicht an. Denn seine Ladung sei trotz eventuell mangelnder Zugehörigkeit zum Promotionsausschuss gemäß Art. 46 BayVwVfG unschädlich, weil sie die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst habe. Dr. L. sei beratendes Mitglied und auch so von der Gruppe der wissenschaftlichen Mitarbeiter benannt worden. Auch das Sitzungsformat der Videokonferenzen beider Sitzungen vom 12. Juli 2021 und vom 20. Dezember 2021 sei nicht zu beanstanden. Gemäß § 30 Abs. 5a der Grundordnung der Beklagten vom 15. Juni 2017 in der Fassung vom 15. Oktober 2020 könne die Durchführung einer Sitzung in Ausnahmefällen mithilfe digitaler Medien, so auch per Videokonferenz, erfolgen. Die ungewöhnlich lange Dauer der Covid-19-Pandemie stelle eine solche Ausnahme dar. In diesem Zusammenhang sei auch darauf hinzuweisen, dass die Beklagte sich erst nach anhaltender Perspektivlosigkeit dazu entschieden habe, diese Sitzungen per Videokonferenz durchzuführen. Die Gegenseite habe dieser Vorgehensweise zudem konkludent zugestimmt und an der Anhörung rügelos teilgenommen. Nachweislich des Rundschreibens der COVID-19-Taskforce der Beklagten seien die Einschränkungen durch das Infektionsschutzkonzept erst zum 28. Februar 2023 aufgehoben worden. Auch sei es ständige Rechtsprechung, dass die Behörde hinsichtlich Form und Zeitpunkt einer Anhörung ein Ermessen habe. § 3 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 der Promotionsordnung verweise lediglich deklaratorisch auf die Grundordnung der Beklagten. Dies schließe den weiteren Geltungsbereich der Grundordnung nicht aus. Die Regelungen der Grundordnung, insbesondere auch die gemeinsamen Vorschriften für Gremien der §§ 29 ff., gälten für alle Gremien und damit auch für die Promotionsausschüsse, sofern keine besonderen Regelungen existierten.
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In der mündlichen Verhandlung am 7. Februar 2024 beantragte der Klägerbevollmächtigte Zeugenbeweiserhebung für die Tatsache, dass Prof. Fe., Prof. Fi., Prof. Fl., Prof. Thi. und Prof. W. für die Teilnahme an der Sitzung des Promotionsausschusses am 12. Juli 2021 nicht entschuldigt waren. Das Gericht lehnte den Beweisantrag wegen Entscheidungsunerheblichkeit ab.
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Im Übrigen wird auf den weiteren Inhalt der Gerichtsakte mit der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 7. Februar 2024 und der beigezogenen Behördenakten sowie auf die Dissertationsschriften des Klägers sowie des Dr. A. verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist nicht begründet.
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Der Bescheid vom 31. August 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Januar 2022 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Für die Entziehung des Doktorgrades ist die Promotionsordnung für die Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät vom 6. Dezember 2016 in der Fassung vom 4. Juli 2018 (Promotionsordnung) maßgeblich. Die Rechtmäßigkeit der Entziehung des Doktorgrades bestimmt sich mangels einer abweichenden Regelung nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids (BVerwG, U.v. 29.9.1982 – 8 C 138/81 – BVerwGE 66, 178/182; U.v. 28.7.1989 – 7 C 39/87 – BVerwGE 82, 260/261; VGH BW, U.v. 19.4.2000 – 9 S 2435/99 – KMK-HSchR/NF 21A Nr. 19; VG Karlsruhe, U.v. 4.3.2013 – 7 K 3335/11 – VBlBW 2013, 429; VG Düsseldorf, U.v. 20.3.2014 – 15 K 2271/13 – ZUM 2014, 602; VG Regensburg, U.v. 31.7.2014 – RO 9 K 13.1442 – juris). Die Übergangsbestimmung des § 19 der Promotionsordnung findet keine Anwendung. Danach werden bei Inkrafttreten bereits laufende Promotionsverfahren nach den Vorschriften der bisher geltenden Fassung der Promotionsordnung oder auf Antrag des Doktoranden nach der neuen Promotionsordnung durchgeführt. Vorliegend war das Promotionsverfahren jedoch mit der Verleihung des Doktorgrades an den Kläger mit Urkunde vom 24. März 2010 vollständig abgeschlossen. Das Entziehungsverfahren, welches auf den „actus contrarius“ gerichtet ist, stellt ein hiervon unabhängiges Verfahren dar (vgl. VG Würzburg, U.v. 29.6.2016 – W 2 K 15.692 – juris; vgl. hierzu auch BayVGH, B.v. 20.11.2023 – 7 ZB 22.1396 –, juris Rn. 14). Weiter sind das Bayerische Hochschulgesetz vom 23. Mai 2006 (BayHSchG), zuletzt geändert durch § 2 des Gesetzes vom 23. Dezember 2021 (GVBl. S. 669), sowie die Grundordnung der Beklagten vom 15. Juni 2007 (Grundordnung), zuletzt geändert durch § 1 der Satzung zur Änderung der Grundordnung vom 15. Oktober 2020, heranzuziehen.
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Die Entziehung des Doktorgrades beruht auf § 16 Abs. 3 und 6 der Promotionsordnung i.V.m. Art. 69 BayHSchG i.V.m. Art. 48 BayVwVfG. Die Vorschrift des Art. 48 BayVwVfG genügt dabei auch bei der Rücknahme einer Promotionsentscheidung dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes (BVerwG, B.v. 20.10.2006 – 6 B 67/06 – juris).
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Der Bescheid vom 31. August 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Januar 2022 ist sowohl formell als auch materiell rechtmäßig.
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1. Die angegriffenen Bescheide sind formell rechtmäßig zustande gekommen.
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1.1. Mit dem Promotionsausschuss der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Beklagten (Promotionsausschuss) hat das für die Entziehung des Doktorgrades funktionell zuständige Gremium über die Entziehung entschieden.
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Mit § 16 Abs. 6 Satz 2 der Promotionsordnung enthält diese eine ausdrückliche und spezielle Regelung der funktionellen Zuständigkeit des Promotionsausschusses, die die Zuständigkeit des Fakultätsrats nach Art. 27 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2, 31 Abs. 2 Satz 1 BayHSchG verdrängt (vgl. BayVGH, U.v. 4.4.2006 – 7 BV 05.388 – juris Rn. 11; VG Würzburg, U.v. 25.3.2015 – W 2 K 14.228 – juris Rn. 31). Die Zuständigkeitsregelung in § 16 Abs. 6 Satz 2 der Promotionsordnung stützt sich auf Art. 64 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. Art. 61 Abs. 3 Satz 2 Nrn. 2 und 8 BayHSchG.
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Dabei verweist § 16 Abs. 3 der Promotionsordnung für das Verfahren, wenn die Täuschung erst nach Aushändigung der Promotionsurkunde bekannt wird, zunächst auf die Vorschriften über den Entzug eines Doktorgrades nach Absatz 6 der Regelung. Danach richtet sich der Entzug des Doktorgrades nach Art. 69 BayHSchG (Satz 1). Zuständig für die Entscheidung ist der Promotionsausschuss (Satz 2).
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Anders als der Klägerbevollmächtigte meint, umfasst die Zuständigkeitsregelung in § 16 Abs. 6 Satz 2 der Promotionsordnung dabei auch den Fall der Entziehung des Doktorgrades nach Art. 69 BayHSchG i.V.m. Art. 48 BayVwVfG. Dies ergibt die Auslegung der Vorschrift des § 16 Abs. 6 Satz 1 der Promotionsordnung, die auf Art. 69 BayHSchG verweist. Denn Art. 69 BayHSchG enthält gerade nicht nur eine Regelung zur Entziehung des akademischen Grades wegen nachträglicher Unwürdigkeit. Er enthält vielmehr daneben auch die ausdrückliche Klarstellung, dass für die Rücknahme eines rechtswidrig zuerkannten Doktorgrades die allgemeine Verfahrensvorschrift des Art. 48 BayVwVfG zur Anwendung kommen soll (vgl. BayVGH, U.v. 4.4.2006 – 7 BV 05.388 – juris Rn. 11). Der Verweis auf Art. 69 BayHSchG in § 16 Abs. 6 Satz 1 der Promotionsordnung erfolgt dabei vollumfänglich und ohne jegliche Einschränkungen. So ist dem Wortlaut der Vorschrift allem voran keine Beschränkung auf die Regelung zur Entziehung des akademischen Grades wegen nachträglicher Unwürdigkeit zu entnehmen. Eine solche Beschränkung ergibt sich insbesondere auch nicht aus der Formulierung „Entzug des Doktorgrades“ in § 16 Abs. 6 Satz 1 der Promotionsordnung. Denn auch Art. 69 BayHSchG ist mit dem Begriff der „Entziehung“ überschrieben, womit von diesem Begriff sowohl die Regelung zur nachträglichen Unwürdigkeit als auch die ausdrückliche Klarstellung der Anwendbarkeit der Verfahrensvorschrift des Art. 48 BayVwVfG für die Rücknahme eines rechtswidrig zuerkannten Doktorgrades umfasst ist.
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Demgegenüber steht einer einschränkenden Auslegung des Verweises in § 16 Abs. 6 Satz 2 der Promotionsordnung auf die Fälle der nachträglichen Unwürdigkeit auch die Satzungssystematik entgegen. So spricht nichts dafür, dass der Satzungsgeber den Entzug des Doktorgrades über die Vorschrift des § 16 der Promotionsordnung hinaus auf die Fälle der nachträglichen Unwürdigkeit beschränken wollte (vgl. Art. 104 Abs. 1 BayHSchG). Vielmehr ergibt sich aus § 16 Abs. 3 der Promotionsordnung ausdrücklich, dass in Absatz 6 gerade auch das Verfahren für den Entzug des Doktorgrades für den Fall geregelt wird, dass die Täuschung erst nach Aushändigung der Urkunde bekannt wird, also für die Fälle der Rücknahme eines rechtswidrig zuerkannten Doktorgrades. Dies erfolgt in § 16 Abs. 6 Satz 1 der Promotionsordnung sodann durch den umfassenden Verweis auf Art. 69 BayHSchG, der wiederum die ausdrückliche Klarstellung der Anwendbarkeit des Art. 48 BayVwVfG beinhaltet. Für die Entscheidung zuständig ist nach § 16 Abs. 6 Satz 2 der Promotionsordnung der Promotionsausschuss.
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Es bestehen schließlich auch keinerlei Anhaltspunkte für begründete Zweifel daran, dass die Promotionsordnung tatsächlich vom Senat der Beklagten beschlossen wurde (Art. 64 Abs. 1 Satz 5 BayHSchG). Solche wurden weder vom Klägerbevollmächtigten aufgezeigt noch sind sie sonst ersichtlich. Die Beklagte hat diesbezüglich zudem die Bestätigung des Leiters des Gremienservice der Beklagten über die Beschlussfassung vorgelegt.
31
Im Übrigen und ohne, dass es hierauf noch ankäme, würde sich die Zuständigkeit des Promotionsausschusses auch aus Art. 48 BayVwVfG unmittelbar ergeben. Demnach sachlich zuständig ist diejenige Behörde, die zum Zeitpunkt der Rücknahmeentscheidung unter Berücksichtigung der zu diesem Zeitpunkt geltenden Sach- und Rechtslage für die Ausgangsentscheidung zuständig wäre (J. Müller in Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, 61. Ed. 1.7.2023, § 48 Rn. 126, m.V.a. BVerwG NVwZ-RR 2019, 278; VGH Mannheim BeckRS 2008, 38990). Damit ist der Promotionsausschuss als für die Verleihung des Doktorgrades zuständiges Gremium auch nach Art. 48 BayVwVfG für dessen Entzug als „actus contrarius“ zuständig.
32
1.2. Der Promotionsausschuss war zudem sowohl in seiner Sitzung vom 12. Juli 2021 als auch in seiner Sitzung vom 20. Dezember 2021 ordnungsgemäß besetzt und beschlussfähig. Die Beklagte konnte alle diesbezüglich von dem Klägerbevollmächtigten vorgebrachten Zweifel ausräumen.
33
Nach § 3 Abs. 2 der Promotionsordnung setzt sich der Promotionsausschuss aus allen Hochschullehrerinnen und Hochschullehrern, die an der Fakultät hauptberuflich tätig sind, zusammen. Zusätzlich stellt die Gruppe der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einen Vertreter bzw. eine Vertreterin, der bzw. die vom Fakultätsrat der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät als beratendes Mitglied benannt wird.
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Nach den Ausführungen der Beklagtenseite, an denen die Kammer keine Zweifel hegt, hat Prof. B. nach seinem Eintritt in den Ruhestand lediglich eine Seniorprofessur an der Fakultät inne und gehörte damit zum Zeitpunkt der Beschlussfassungen nicht zum Kreis der hauptberuflichen Hochschullehrer. Prof. Kn. hat zeitweise den Lehrstuhl von Prof. Lo. vertreten, jedoch nicht zum Zeitpunkt der Sitzung vom 12. Juli 2021. Zu dieser Zeit war er kein hauptberuflicher Hochschullehrer der Fakultät. Prof. Le. schied am 30. September 2021 aus der Fakultät aus und ist daher nicht mehr auf der Homepage der Beklagten vertreten. Prof. Me. schied ebenfalls am 30. September 2021 aus der Fakultät aus und erscheint daher nicht mehr auf der Homepage der Beklagten. Prof. Thi. ist als entschuldigtes Mitglied des Promotionsausschusses im Protokoll vermerkt. Prof. Ma. ist auch als außerplanmäßiger Professor hauptberuflicher Hochschullehrer der Fakultät. Er hat ausweislich des Protokolls an den Sitzungen des Promotionsausschusses am 12. Juli 2021 und am 20. Dezember 2021 teilgenommen. Prof. F. ist erst seit dem 1. Oktober 2021 hauptberuflicher Hochschullehrer der Fakultät. Er hat ausweislich des Protokolls an der Sitzung des Promotionsausschusses am 20. Dezember 2021 teilgenommen. Prof. D. und Prof. Ko. haben die Fakultät bereits seit längerer Zeit verlassen.
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Prof. S. hat ausweislich der Protokolle weder an der Sitzung des Promotionsausschusses am 12. Juli 2021 (nicht entschuldigt) noch an der Sitzung des Promotionsausschusses am 20. Dezember 2021 (entschuldigt) teilgenommen. Auf dessen Stellung als Zweitmitglied der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät und die Frage, ob er zugleich hauptberuflicher Hochschullehrer dieser Fakultät ist, kommt es damit jedenfalls nicht entscheidungserheblich an. Denn er hat an den hier gegenständlichen Beschlüssen ohnehin nicht mitgewirkt. Für den Fall, dass er trotz mangelnder Zugehörigkeit zum Promotionsausschuss geladen wurde, hat sich diese Ladung somit nicht auf die Entscheidung in der Sache ausgewirkt, Art. 46 BayVwVfG.
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Dr. L. war beratendes Mitglied und wurde nach Auskunft der Beklagten, an der die Kammer keine Zweifel hegt, als solcher von der Gruppe der wissenschaftlichen Mitarbeiter benannt.
37
Auf eine Glaubhaftmachung der Entschuldigungen von Prof. Fe, Prof. Fi., Prof. Fl., Prof. Thi., Prof. W. oder anderer Ausschussmitglieder kommt es hingegen wiederum nicht entscheidungserheblich an. Der in der mündlichen Verhandlung am 7. Februar 2024 gestellte Zeugenbeweisantrag zu der Tatsache, dass diese Personen für die Teilnahme an der Sitzung des Promotionsausschusses am 12. Juli 2021 nicht entschuldigt waren, war daher abzulehnen. Der Promotionsausschuss war trotz des Ausbleibens bzw. einer möglicherweise fehlenden Entschuldigung dieser Personen beschlussfähig. Die Beschlussfähigkeit des Promotionsausschusses setzt neben einer ordnungsgemäßen Ladung voraus, dass die Mehrheit der Mitglieder anwesend und stimmberechtigt ist (vgl. § 3 Abs. 3 Satz 1 der Promotionsordnung, § 30 Abs. 2 der Grundordnung). An der Einhaltung dieser Vorgaben bestehen keine durchgreifenden Zweifel. Das Sitzungsprotokoll ist ebenfalls ordnungsgemäß erfolgt. Die Verletzung anderer Verfahrensvorschriften ist darüber hinaus nicht ersichtlich. Soweit der Klägerbevollmächtigte hier eine etwaige Dienstpflichtverletzung der ausgebliebenen und möglicherweise unentschuldigten Ausschussmitglieder aufwirft, könnte sich eine solche jedenfalls nicht auf die formelle Rechtmäßigkeit der hier gegenständlichen Beschlüsse auswirken. Dies gilt auch im Hinblick auf den klägerischen Vortrag, dass das Fehlen eines Ausschussmitglieds sich auf die Entscheidungsfindung kausal ausgewirkt haben könnte. Denn es ist gerade nicht Voraussetzung der Beschlussfähigkeit oder einer formell rechtmäßigen Beschlussfassung, dass ausbleibende Ausschussmitglieder (förmlich) entschuldigt sind. Eine entsprechende Verfahrensregelung für die Beschlussfassung, die hierdurch verletzt sein könnte, ist nicht ersichtlich und wurde von dem Klägerbevollmächtigten auch nicht aufgezeigt. Sie wäre auch aus Gründen der Effizienz nicht sinnvoll.
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1.3. Schließlich durfte der Promotionsausschuss die Sitzungen am 12. Juli 2021 und am 20. Dezember 2021 im Format einer Videokonferenz abhalten.
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Nach § 30 Abs. 5a der Grundordnung kann in Ausnahmefällen die Zuschaltung eines Mitglieds oder einer anderen teilnahmeberechtigten Person (z.B. Gutachter) sowie die Durchführung einer Sitzung oder von Teilen einer Sitzung mit Hilfe digitaler Medien (z.B. Videokonferenz) erfolgen, sofern eine Übertragung sicher und datenschutzgerecht erfolgt und sichergestellt ist, dass die Mitwirkung des bzw. der Zugeschalteten nicht beeinflusst wird.
40
Diese Vorschrift ist auf die o.g. Sitzungen des Promotionsausschusses anwendbar. Die Grundordnung enthält in ihrem Achten Teil gemeinsame Vorschriften für Gremien der Beklagten, mithin auch für den Promotionsausschuss. Diese gemeinsamen Vorschriften für Gremien werden in der Promotionsordnung für den Promotionsausschuss konkretisiert. Soweit der Klägerbevollmächtigte darauf verweist, dass § 3 Abs. 3 Satz 1 der Promotionsordnung die Anwesenheit der Promotionsausschussmitglieder vorschreibt und damit § 30 Abs. 5a der Grundordnung verdrängt, kann dem jedoch nicht gefolgt werden. Denn § 3 Abs. 3 Satz 1 der Promotionsordnung wiederholt an dieser Stelle lediglich die allgemeinen Vorgaben der Regelung in § 30 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 der Grundordnung und beinhaltet damit keine eigenständige oder gar speziellere Regelung, die die Grundordnung verdrängen könnte. Zu den allgemeinen Vorgaben in § 30 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 der Grundordnung formuliert § 30 Abs. 5a der Grundordnung sodann einen Ausnahmefall, der – mangels speziellerer oder abweichender Regelungen in der Promotionsordnung – auch auf den Promotionsausschuss anwendbar ist. Auch die historische Auslegung steht der Annahme einer Verdrängung des § 30 Abs. 5a der Grundordnung durch § 3 Abs. 3 Satz 1 der Promotionsordnung entgegen. Denn § 30 Abs. 5a wurde erst mit Wirkung zum 23. Februar 2019 in die Grundordnung aufgenommen und wurde damit zeitlich nach § 3 Abs. 3 Satz 1 der Promotionsordnung gefasst. Auch nach diesem zeitlichen Ablauf ist damit nicht davon auszugehen, dass § 3 Abs. 3 Satz 1 der Promotionsordnung eine gegenüber den neueren § 30 Abs. 5a der Grundordnung speziellere, abweichende bzw. verdrängende Regelung enthält.
41
Der Anwendbarkeit des § 30 Abs. 5a der Grundordnung auf die o.g. Sitzungen des Promotionsausschusses steht auch nicht entgegen, dass die Promotionsordnung an anderer Stelle, nämlich in § 3 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 der Promotionsordnung, für den Fall der Beschlussunfähigkeit ausdrücklich auf die Grundordnung verweist. Dieser punktuelle ausdrückliche Verweis auf die Grundordnung schließt bereits systematisch nicht jeglichen weiteren Rückgriff auf die Grundordnung aus. Es handelt sich dabei vielmehr um einen ausdrücklichen klarstellenden Verweis, der auf die weitere Anwendbarkeit der Grundordnung als Regelung der allgemeinen Grundlagen der Universität und deren Organe und Gremien, wie es sich bereits aus dem Titel der Grundordnung und deren Zwecksetzung ergibt, keinen weiteren Einfluss hat.
42
In der COVID-19-Pandemie ist zudem ein Ausnahmefall im Sinne des § 30 Abs. 5a der Grundordnung zu sehen. Die Grundordnung stellt an den Ausnahmefall keine weiteren oder konkreteren Anforderungen. Der beispiellose weltweite Ausbruch der Infektionskrankheit COVID-19 und die damit einhergehenden drastischen Auswirkungen und Einschränkungen zum Schutz der Bevölkerung, die allem voran auf eine Reduzierung der physischen Kontakte abzielten, stellt einen solchen Ausnahmefall dar. Dieser Ausnahmefall bestand auch noch über den 20. Dezember 2021 hinaus fort. Der Klägerbevollmächtigte konnte hiergegen keine durchgreifenden Einwände aufzeigen. So wurde insbesondere auch das Infektionsschutzkonzept der Beklagten erst zum 28. Februar 2023 aufgehoben, nachdem auch das Staatsministerium für Gesundheit und Pflege seine Infektionsschutzvorgaben erst zum selben Tag auslaufen ließ. Die COVID-19-Pandemie und die mit ihr einhergehenden Maßnahmen und Infektionsschutzkonzepte zum Schutz der Bevölkerung vor Ansteckungen sind auch nicht allein aufgrund ihrer langen Dauer bis zur Sitzung des Promotionsausschusses am 20. Dezember 2021 von insgesamt etwa einem Jahr und neun Monaten statt als Ausnahmefall als Regelfall einzuordnen, wie der Klägerbevollmächtigte dies vertritt. So steht allein ein längerer Zeitraum der Annahme eines Ausnahmefalls nicht pauschal entgegen. Darüber hinaus stellt auch die Zeitdauer von etwa einem Jahr und neun Monaten in Relation mit der Geltungsdauer der Grundordnung der Beklagten einen Ausnahmefall und keinen Regelfall dar. Schließlich ist der beispiellose weltweite Ausbruch dieser Infektionskrankheit – auch unter Berücksichtigung der hier relevanten Dauer von etwa einem Jahr und neun Monaten – unter Berücksichtigung des Normzwecks als ein Ausnahmefall i.S.d. § 30 Abs. 5a der Grundordnung einzustufen.
43
1.4. Die Anhörung des Klägers gemäß Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG erfolgte ordnungsgemäß. Dem Kläger wurde von der Beklagten vor der Beschlussfassung des Promotionsausschusses die Möglichkeit gegeben, sich in der Sitzung am 7. Juni 2021 zu den Vorwürfen zu äußern. Hiervon hat der Klägerbevollmächtigte Gebrauch gemacht. Insbesondere stellte er in dieser Anhörung Beweisanträge, denen die Beklagte im weiteren Verfahren mit einer Anhörung des Prof. T. nachkam. Für den Kläger bestand zudem stets die Möglichkeit sich schriftlich gegenüber der Beklagten zu äußern.
44
Die Anhörung des Klägerbevollmächtigten in der Sitzung am 7. Juni 2021 durfte zudem im Format einer Videokonferenz erfolgen. Entgegenstehende Anhaltspunkte oder Regelungen hat der Kläger nicht vorgebracht oder aufgezeigt. Insbesondere bestand zu diesem Zeitpunkt auch noch eine Ausnahmesituation i.S.d. § 30 Abs. 5a der Grundordnung (vgl. hierzu bereits oben unter 1.3.). An der diesbezüglichen Ermessensentscheidung der Beklagten bestehen keine Bedenken. So ergibt sich bereits aus den zeitlichen Abläufen sowie den Telefonaten und dem Schriftverkehr der Beklagten mit dem Klägerbevollmächtigten, wie sie in der Behördenakte dokumentiert sind, dass die Beklagte dem Wunsch des Klägerbevollmächtigten nach einer persönlichen Anhörung nach Möglichkeiten zu entsprechen versuchte und erst nach anhaltender Perspektivlosigkeit im Hinblick auf die Pandemiesituation die Anhörung per Videokonferenz durchführte (s. z.B. Schreiben der Beklagten an den Klägerbevollmächtigten vom 10. März 2021). Unabhängig hiervon ist schließlich klägerseits auch weder vorgetragen noch schlüssig dargelegt, dass das Format der Videokonferenz die Anhörung des Klägerbevollmächtigten in irgendeiner Form beeinflusst oder gar beeinträchtigt hätte, Art. 46 BayVwVfG, § 30 Abs. 5a der Grundordnung. Hierfür sind auch keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich. Darüber hinaus hat der Klägerbevollmächtigte die Anhörung per Videokonferenz rügelos wahrgenommen, so dass er sich im Hinblick auf den Rechtsgrundsatz venire contra factum proprium nun im Nachhinein nicht auf eine diesbezügliche Rechtsbeeinträchtigung berufen kann.
45
2. Der Bescheid vom 31. August 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Januar 2022 ist auch materiell rechtmäßig, § 16 Abs. 3 und 6 der Promotionsordnung i.V.m. Art. 69 BayHSchG i.V.m. Art. 48 BayVwVfG.
46
Gemäß Art. 48 Abs. 1 und 3 BayVwVfG kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder die Vergangenheit zurückgenommen werden (vgl. BVerwG, B.v. 20.10.2006 – 6 B 67.06 – juris). Während Art. 48 Abs. 1 und 3 BayVwVfG nur die objektive Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts voraussetzt, knüpfen die § 16 Abs. 1 bis 4 Promotionsordnung an das Vorliegen einer Täuschung bzw. ein vorsätzliches Verhalten an. Nach § 16 Abs. 3 Promotionsordnung richtet sich das Verfahren nach den Vorschriften über den Entzug eines Doktorgrades, wenn die Täuschung erst nach Aushändigung der Urkunde bekannt wird.
47
Die Verleihung des Doktorgrades war rechtswidrig, weil der Kläger den Nachweis der Befähigung zu vertiefter und selbstständiger wissenschaftlicher Arbeit nicht erbracht und hierüber getäuscht hat.
48
2.1. Es steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger zumindest seinen Zweitgutachter sowie den Promotionsausschuss (vgl. hierzu VG Regensburg, U.v. 31.7.2014 – RO 9 K 13.1442 – juris Rn. 47 m.V.a. OVG Nordrhein-Westfalen, U.v. 20.12.1991 – 15 A 77/89 – juris) vorsätzlich über den Inhalt seiner wissenschaftlichen Leistung im Rahmen seiner Doktorarbeit täuschte.
49
Mit dem Begriff der Täuschung knüpft die Promotionsordnung an die Merkmale des Straftatbestands des § 263 StGB an (vgl. VG Düsseldorf, U.v. 20.3.2014 – 15 K 2271/13 – ZUM 2014, 602; VG Regensburg, U.v. 31.7.2014 RO 9 K 13.1442 – juris). Danach sind Voraussetzungen einer Täuschung das Vorliegen einer rechtserheblichen Täuschungshandlung, durch die ein Irrtum erregt wird, sowie die Ursächlichkeit der Täuschungshandlung für den erregten Irrtum und schließlich das Vorliegen eines Täuschungsvorsatzes. Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass der Promotionsausschuss diese Voraussetzungen in Bezug auf die Dissertation des Klägers als gegeben angesehen hat.
50
2.1.1. Der Kläger täuschte zumindest den Zweitgutachter sowie den Promotionsausschuss darüber, dass es sich bei wesentlichen Passagen seiner Arbeit um eine selbstständige wissenschaftliche Leistung handelt, denn diese waren vielmehr der Promotionsschrift des Dr. A. entnommen.
51
Eine rechtserhebliche Täuschungshandlung durch Vorspiegeln oder Unterdrücken von Tatsachen liegt u.a. vor, wenn Passagen der zur Bewertung abgegebenen Doktorarbeit nicht vom Doktoranden selbst, sondern von einem anderen Autor stammen und der Doktorand dies nicht kennzeichnet. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass „nur eine unter Offenlegung aller verwendeten Quellen und Hilfsmittel erbrachte wissenschaftliche Leistung den Anforderungen an eine Dissertation genügt“ (VGH Baden-Württemberg, U.v. 19.4.2000 – 9 S 2435/99 – juris) bzw. „die wörtliche oder sinngemäße Übernahme von Textpassagen aus fremden Werken ohne (ausreichendes) Zitat gegen grundlegende Maßstäbe wissenschaftlichen Arbeitens verstößt und die Annahme als Dissertation im Regelfall ausschließt“ (BayVGH, U.v. 4.4.2006 – 7 BV 05.388 – juris). Zu den Grundanforderungen wissenschaftlichen Arbeitens gehört gerade, dass der Beitrag auf eigenständigen Erwägungen beruht und nicht bloß Passagen aus dem Werk eines anderen Autors übernimmt (VGH Baden-Württemberg, U.v. 13.10.2008 – 9 S 494/08 – VBlBW 2009, 191). Die Anforderungen, die an den Nachweis der Eigenständigkeit wissenschaftlichen Arbeitens zu stellen sind, ergeben sich aus dem Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit und dem prüfungsrechtlichen Grundsatz der Chancengleichheit, Art. 3 Abs. 1 GG (vgl. zu alledem VG Regensburg, U.v. 31.7.2014 – RO 9 K 13.1442 – juris Rn. 33 ff.). Dementsprechend hat der Kläger mit Schreiben vom Oktober 2009 eine Erklärung abgegeben, die Dissertation selbstständig verfasst und keine weiteren als die im Schrifttumsverzeichnis angegebenen Hilfsmittel benutzt zu haben.
52
Aus dem Begriff der selbständigen wissenschaftlichen Leistung folgt dabei, dass fremde geistige Hervorbringungen, die zulässigerweise in der Dissertation verwertet werden, als solche in einer Weise zu kennzeichnen sind, dass der Leser ohne eigenen Aufwand wie das Nachschlagen von Zitaten in die Lage versetzt wird, fremde geistige Hervorbringungen in der Dissertation zuverlässig von eigenen geistigen Hervorbringungen des Verfassers der Dissertation zu unterscheiden. Ein Zitat darf beim Leser keine Fehlvorstellungen darüber hervorrufen, welchen Umfang es abdeckt (OVG Lüneburg, U.v. 15.7.2017 – 2 LB 363/13 – juris Rn. 104 und 110). Schließlich ist im Rahmen einer wissenschaftlichen Arbeit eine Kennzeichnung der wörtlichen Übernahmen unmittelbar an den betreffenden Passagen vorzusehen (VGH BW, U.v. 19.4.2000 – 9 S 2435/99 – KMK-HSchR/NF 21A Nr. 19; VG Karlsruhe, U.v. 4.3.2013 – 7 K 3335/11 – VBlBW 2013, 429; VG Freiburg, U.v. 23.5.2012 – 1 K 58/12 – juris; VG Frankfurt, U.v. 23.5.2007 – 12 E 2262/05 – juris; VG Düsseldorf, U.v. 20.3.2014 – 15 K 2271/13 – ZUM 2014, 602).
53
Der Kläger erweckt in seiner Dissertation den Eindruck, dass er ein reales System mit den Softwareprodukten SAP APO und SAP R/3 unter Nutzung von realen Unternehmensdaten (von Siemens, IBM und BASF) mit Petri-Netzen in einem repetitiven Prozess entwickelt und simuliert hat (vgl. S. 6 der Stellungnahme zum möglichen wissenschaftlichen Fehlverhalten des Klägers vom 1.7.2019). Es steht zur Überzeugung des Gerichts aber fest, dass der Kläger entgegen den oben genannten Anforderungen und entgegen seiner Erklärung stattdessen eine Vielzahl der Abbildungen von Petri-Netzen in seiner Doktorarbeit ohne erforderliche Kennzeichnung aus der Promotionsschrift des Dr. A. identisch (übersetzt ins Englische) oder in leicht modifizierter Form übernommen hat (vgl. zusammenfassende Dokumentation in dem Dokument 2015-02-BA/146A in der Behördenakte) und dadurch zumindest den Zweitgutachter sowie den Promotionsausschuss darüber getäuscht hat, dass es sich dabei um eine selbständige wissenschaftliche Leistung handelt. So sind drei Viertel der Abbildungen von Petri-Netzen in der Dissertation des Klägers ungeänderte Kopien oder trivial bzw. geringfügig abgeänderte Kopien von Petri-Netzen aus der Dissertation von Dr. A. (vgl. S. 2 der Stellungnahme zum möglichen wissenschaftlichen Fehlverhalten des Klägers vom 1.7.2019 und das Dokument 2015-02-BA/146A in der Behördenakte). Dabei übersah der Kläger noch, den Begriff „Textdateien“ in seiner Abbildung 4.3.1.7 auf Seite 56 (übernommen aus der Abbildung 71 auf Seite 176 der Dissertation von Dr. A) ins Englische zu übersetzen. In Kapitel 4.3. der Doktorarbeit des Klägers, in dem die hier relevanten Abbildungen von Petri-Netzen enthalten sind, gibt es weiter keine Hinweise darauf, dass die zugrundeliegenden Petri-Netz-Modelle und die sie beschreibenden Abbildungen im Rahmen anderer wissenschaftlicher Arbeiten entwickelt wurden (vgl. S. 2 der Stellungnahme zum möglichen wissenschaftlichen Fehlverhalten des Klägers vom 1.7.2019). Die Doktorarbeit von Dr. A. ist im Literaturverzeichnis der Doktorarbeit des Klägers aufgeführt, wird aber im Haupttext an keiner Stelle, insbesondere nicht bei den relevanten Abbildungen von Petri-Netzen zitiert (vgl. S. 3 des Abschlussberichts der Kommission vom 4.12.2018). Vielmehr führt der Kläger beispielsweise auf Seite 73 seiner Promotionsarbeit aus, dass er die Modelle selbst entwickelt habe (vgl. S. 2 der Stellungnahme zum möglichen wissenschaftlichen Fehlverhalten des Klägers vom 1. Juli 2019). Auch in der deutschsprachigen Zusammenfassung seiner Doktorarbeit führt der Kläger aus, dass für die vorliegende Untersuchung ein Modell entwickelt worden sei, das auf Basis von Prädikats-Transitions-Netzen die Logistik der Bedarfsermittlung und Beschaffungsabwicklung innerhalb und zwischen Industrieunternehmen simulieren könne. Gleichzeitig erweckt der Kläger auf Seite 71 seiner Doktorarbeit den Eindruck, dass die in der Tabelle 4.5.1-1 der Doktorarbeit genannten Daten im Rahmen der Petri-Netzbasierten Simulation verwendet wurden, was jedoch nicht plausibel ist (vgl. S. 3 der Stellungnahme zum möglichen wissenschaftlichen Fehlverhalten des Klägers vom 1. Juli 2019). Dabei kann ausgeschlossen werden, dass der Kläger unabhängig von der Doktorarbeit von Dr. A. auf identische Petri-Netz-Modelle und gleiche Parameter kam (vgl. S. 3 der Stellungnahme zum möglichen wissenschaftlichen Fehlverhalten des Klägers vom 1. Juli 2019).
54
Gegen diese mit Nachweisen aus der Dissertation des Klägers untermauerten Feststellungen in der Stellungnahme zum möglichen wissenschaftlichen Fehlverhalten des Klägers vom 1. Juli 2019 und in dem Abschlussbericht der Kommission vom 4. Dezember 2018 hat der Kläger keine plausiblen Einwendungen vorgebracht. Insbesondere gibt der Kläger an, über den Datenbestand sowie die Simulationsrechnungen nicht mehr zu verfügen, weil er den Datenbestand zurückgegeben habe und die Simulationsrechnungen bei verschiedenen Umzügen verloren gegangen seien (vgl. S. 3 des Abschlussberichts der Kommission vom 4.12.2018).
55
Soweit sich der Kläger darauf beruft, dass es sich bei den in Rede stehenden Petri-Netz-Abbildungen sowie dem zugrundeliegenden Simulationsmodell um allgemein zugängliches und nutzbares Wissensgut am Lehrstuhl des Prof. T. gehandelt habe, überzeugt dies nicht. Vielmehr offenbart dies zusätzlich, dass das für eine Dissertation essentielle Kriterium der Selbstständigkeit der wissenschaftlichen Leistung im Hinblick auf die Dissertation des Klägers – entgegen dem erweckten Eindruck – nicht erfüllt ist. Zudem ist es fernliegend, dass die Forschungsergebnisse des Dr. A. schon eineinhalb Jahre nach der Feststellung seiner Dissertation Allgemeingut und ohne dessen Einwilligung frei verfügbar geworden sein sollten (vgl. S. 3 des Abschlussberichts der Kommission vom 4.12.2018). Andererseits hat Prof. T. bei seiner Anhörung im Entziehungsverfahren selbst klargestellt, dass es an seinem Lehrstuhl kein entsprechendes allgemeines Wissensgut gegeben habe (vgl. S. 5 f. des Wortprotokolls aus der Sitzung des Promotionsausschusses vom 12.7.2021).
56
Entsprechendes gilt für den Einwand des Klägers, Prof. T. habe dem Kläger widerholt mitgeteilt, dass die Petri-Netz-Abbildungen sowie das zugrundeliegende Simulationsmodell von ihm, Prof. T., und seinen Mitarbeitern entwickelt worden seien. Auch insoweit offenbart dies zusätzlich, dass das für eine Dissertation essentielle Kriterium der Selbständigkeit der wissenschaftlichen Leistung im Hinblick auf die Dissertation des Klägers nicht erfüllt ist. Zudem ist festzustellen, dass bereits keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Petri-Netz-Abbildungen sowie das zugrundeliegende Simulationsmodell nicht tatsächlich von Dr. A. im Rahmen seiner Dissertation entwickelt wurden. So sprechen alle vorliegenden Anhaltspunkte für Dr. A. als geistigen Urheber. Diesbezüglich gab Prof. T. bei seiner Anhörung im Entziehungsverfahren auch an, dass Dr. A. den Teil, der nachher zu der Dissertation geführt habe, ordentlich gemacht habe (vgl. S. 2 f. des Wortprotokolls aus der Sitzung des Promotionsausschusses vom 12.7.2021). Von einer Mitwirkung des Prof. T. an der Entwicklung der Petri-Netz-Abbildungen sowie des zugrundeliegenden Simulationsmodells ist demgegenüber nicht die Rede. Andere Autoren oder geistige Urheber hat der Kläger schon nicht benannt oder gar belegt. Das Gericht ist daher davon überzeugt, dass die Petri-Netz-Abbildungen sowie das zugrundeliegende Simulationsmodell von Dr. A. entwickelt wurden. Unabhängig von der Urheberschaft des Dr. A. oder anderer Personen reklamiert der Kläger in seiner Dissertation aber jedenfalls die geistige Urheberschaft wahrheitswidrig für sich, was vorliegend für die Annahme einer Täuschungshandlung ausreicht.
57
Soweit weiter davon die Rede ist, dass die betreffenden Abbildungen am Lehrstuhl des Prof. T. insbesondere von anderen Mitarbeitern bereits mehrfach bzw. „vielfach für simulative Untersuchungen“ verwendet worden seien, so ist dieser Vortrag für die gegenständliche Entscheidung bereits unerheblich. Die Verwendung und deren Umfang durch andere Personen an anderer Stelle können die Täuschungshandlung des Klägers im Rahmen seiner Dissertation nicht entfallen lassen.
58
Darüber hinaus überzeugt auch der Vortrag des Klägers nicht, es handele sich um vielfach für simulative Untersuchungen verwendete Standardmodelle. Nach den Ausführungen in der Stellungnahme zum möglichen wissenschaftlichen Fehlverhalten des Klägers vom 1. Juli 2019 gelangt die Kammer bereits zu der Überzeugung, dass es sich bei den in Rede stehenden Petri-Netz-Abbildungen sowie dem zugrundeliegenden Simulationsmodell nicht um ein Standardmodell handelt. Insoweit sei nur auf die Ausführungen zu der enormen Anzahl an Freiheitsgraden, insbesondere in Bezug auf den Abstraktions- bzw. Detaillierungsgrad auf Seite 2 f. der Stellungnahme verwiesen. Der Kläger hat die Ausführungen in der Stellungnahme auch nicht substantiiert angegriffen. Unabhängig hiervon ändert dieser Vortrag auch nichts an der Feststellung, dass der Kläger in seiner Dissertation insofern wahrheitswidrig vorgibt, die Petri-Netz-Abbildungen sowie das zugrundeliegende Simulationsmodell selbst entwickelt zu haben.
59
Schließlich konnte Prof. T. als Doktorvater den Kläger auch nicht von der Zitationspflicht wirksam freistellen. Seine diesbezüglichen Angaben hat Prof. T. bei seiner Anhörung im Entziehungsverfahren im Übrigen auch widerrufen (vgl. S. 6 f. des Wortprotokolls aus der Sitzung des Promotionsausschusses vom 12.7.2021).
60
Durch die o.g. Täuschungshandlung rief der Kläger zumindest bei seinem Zweitgutachter sowie beim Promotionsausschuss ursächlich den Irrtum hervor, der Doktorarbeit liege auch in Bezug auf die Petri-Netz-Abbildungen sowie das zugrundeliegende Simulationsmodell eine eigene gedankliche Leistung zugrunde. Dieser Irrtum war für die Verleihung des akademischen Grades „Dr. rer. pol.“ kausal.
61
Diese Täuschungshandlung betrifft auch einen wesentlichen Teil der Doktorarbeit des Klägers. Die Übernahme der wissenschaftlichen Arbeit von Dr. A. drückt sich zunächst zwar nur in den Abbildungen der Petri-Netze aus, bezieht sich darüber hinaus aber auf das zugrundeliegende Petri-Netz-Modell, das Dr. A. für Simulationsanalysen entwickelt und genutzt hat. Kapitel 4 der Arbeit des Klägers, welches der Beschreibung der Petri-Netz-Modelle und der zugehörigen Analysen gewidmet ist, nimmt einen wesentlichen Stellenwert in der Dissertationsarbeit ein. Es umfasst zunächst insgesamt 38 von 125 Seiten und damit etwa 30% der Arbeit. Zudem beinhaltet es nach den Ausführungen in der Dissertation selbst den zentralen wissenschaftlich-methodischen Ansatz der Arbeit. Die weiteren Kapitel beinhalten weder empirisch noch theoretisch substantiierte Beschreibungen und Schlussfolgerungen, die ohne Kapitel 4 geeignet wären, den im Rahmen einer Dissertation geforderten wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn zu erzielen (vgl. zu alledem S. 6 der Stellungnahme zum möglichen wissenschaftlichen Fehlverhalten des Klägers vom 1. Juli 2019). Durchgreifende Einwände hiergegen hat der Kläger nicht vorgebacht.
62
2.1.2 Zudem hat der Kläger – als selbstständig tragende weitere Täuschungshandlung – zur Überzeugung des Gerichts den Zweitgutachter sowie den Promotionsausschuss darüber getäuscht, dass die Petri-Netz-Abbildungen in seiner Dissertation das Modell eines unter Nutzung von realen Unternehmensdaten (von Siemens, IBM und BASF) entwickelten realen Systems mit den Softwareprodukten SAP APO und SAP R/3 abbilden (vgl. S. 6 der Stellungnahme zum möglichen wissenschaftlichen Fehlverhalten des Klägers vom 1. Juli 2019 und das Dokument 2015-02-BA/146A in der Behördenakte).
63
Denn bei drei Viertel der Abbildungen von Petri-Netzen in der Dissertation des Klägers handelt es sich um ungeänderte Kopien oder trivial bzw. geringfügig abgeänderte Kopien von Petri-Netzen aus der Dissertation von Dr. A. (vgl. S. 2 der Stellungnahme zum möglichen wissenschaftlichen Fehlverhalten des Klägers vom 1. Juli 2019 und das Dokument … in der Behördenakte). Dr. A. modelliert und analysiert in seiner Arbeit mit Hilfe von Petri-Netzen aber die Prozesse und Systeme zur Planung und Durchführung der Auftragserfüllung von insgesamt vier Modell-Unternehmen, die in Geschäftsbeziehungen zueinanderstehen, in einer fiktiven Modellumgebung. Dabei modelliert er die Prozesse für die spezifischen Softwaresysteme ICON-SCP und WAS-SCS, also Lösungen, die überwiegend im Mittelstand eingesetzt wurden (vgl. S. 3 der Stellungnahme zum möglichen wissenschaftlichen Fehlverhalten des Klägers vom 1. Juli 2019). Demgegenüber führt der Kläger in seiner Arbeit aus, dass seinen Modellen die Software-Lösungen SAP APO und SAP R/3 zu Grunde lägen. Diese zielen auf große und mittelgroße, jedoch überwiegend nicht mittelständische Kunden ab (vgl. S. 3 der Stellungnahme zum möglichen wissenschaftlichen Fehlverhalten des Klägers vom 1. Juli 2019). Dabei ist die Integration und Interaktion der beiden vom Kläger betrachteten Systeme vollkommen anders als die von ICON-SCP und WAS-SCS und den ERP-Systemen in den Modellunternehmen bei Dr. A., wobei sich auch die in diesen Systemen durchgeführten Geschäftsprozesse unterscheiden (vgl. S. 3 der Stellungnahme zum möglichen wissenschaftlichen Fehlverhalten des Klägers vom 1. Juli 2019). Es ist jedoch gänzlich ausgeschlossen, dass zwei Wissenschaftler, die unterschiedliche reale Systeme modellieren, zu im Wesentlichen identischen Petri-Netzen gelangen (vgl. S. 3 der Stellungnahme zum möglichen wissenschaftlichen Fehlverhalten des Klägers vom 1. Juli 2019). Hinzu kommt, dass der Kläger in seiner Arbeit den Eindruck erweckt, dass die im Kapitel 4.5 („R. o. t. S. R.“) im Unterkapitel 4.5.1 („R. D. …“) in Bezug genommene Tabelle 4.5.1-1 Daten über die Unternehmen IBM, Siemens und BASF nennt, die im Rahmen der Petri-Netzbasierten Simulation verwendet wurden. Dies ist aber nicht plausibel, weil die dargestellten Daten einerseits nicht relevant für die Parametrisierung der Petri-Netze sind. Andererseits ist insoweit nicht erklärbar, dass die Parameter der Petri-Netz-Modelle des Klägers für IBM, Siemens und BASF in den meisten Abbildungen exakt die gleichen Werte aufweisen wie die von Dr. A für seine fiktiven Modellfirmen (vgl. S. 3 der Stellungnahme zum möglichen wissenschaftlichen Fehlverhalten des Klägers vom 1. Juli 2019). Durchgreifende Einwände hiergegen hat der Kläger nicht vorgebacht.
64
Auf diese Weise rief der Kläger zumindest bei seinem Zweitgutachter sowie beim Promotionsausschuss ursächlich den Irrtum hervor, dass die Petri-Netz-Abbildungen in seiner Dissertation ein unter Nutzung von realen Unternehmensdaten (von Siemens, IBM und BASF) entwickeltes reales System mit den Softwareprodukten SAP APO und SAP R/3 abbilden. Dieser Irrtum war für die Verleihung des akademischen Grades „Dr. rer. pol.“ kausal.
65
Diese Täuschungshandlung betrifft auch einen wesentlichen Teil der Doktorarbeit des Klägers. Denn die Täuschung bezieht sich auf das dem zentralen wissenschaftlich-methodischen Ansatz zugrundeliegenden Petri-Netz-Simulationsmodell (s.o. unter 2.1.1.).
66
2.1.3. Der Kläger handelte zur Überzeugung des Gerichts auch mit Täuschungsvorsatz.
67
Ein Doktorand, der sich nicht über die Grundregeln wissenschaftlichen Arbeitens informiert, hält es zumindest für möglich und nimmt es billigend in Kauf, nicht korrekt zu zitieren und damit über den Umfang der eigenen geistigen Leistung zu täuschen (VG Hannover, U.v. 3.11.2016 – 6 A 6114/13 juris, Rn. 40).
68
Soweit der Kläger diesbezüglich vorträgt, dass Prof. T. als sein Doktorvater ihm versichert habe, dass eine Ergänzung der Abbildungen mit Zitatverweisen nicht erforderlich sei, und auf eine Stellungnahme des Prof. T. vom 29. Juli 2018 verweist, ist dieser Vortrag zur Überzeugung des Gerichts nicht geeignet, Zweifel an dem Täuschungsvorsatz des Klägers zu erwecken oder diesen gar entfallen zu lassen. Denn die Äußerungen in dem Schreiben beziehen sich zunächst nur auf die Notwendigkeit einer Zitation. Der Kläger hat aber über das Unterlassen der Zitation der Arbeit des Dr. A. hinaus in seiner Arbeit wahrheitswidrig vorgegeben, die Modelle, die die Petri-Netze abbilden, selbst entwickelt zu haben. Weiter gibt der Kläger in seiner Arbeit darüber hinaus wahrheitswidrig vor, dass die Petri-Netz-Abbildungen in seiner Dissertation ein unter Nutzung von realen Unternehmensdaten (von Siemens, IBM und BASF) entwickeltes reales System mit den Softwareprodukten SAP APO und SAP R/3 abbilden. Zu diesen weitergehenden Täuschungshandlungen verhält sich die Stellungnahme des Prof. T. vom 29. Juli 2018 schon nicht. Den diesbezüglichen jedenfalls bedingten Täuschungsvorsatz des Klägers kann sie daher bereits inhaltlich nicht entfallen lassen. Darüber hinaus hätte sich der Kläger auf die Aussage des Prof. T. aber auch nicht verlassen dürfen, soweit sie das Erfordernis einer Zitation betrifft. Denn bei der Zitierpflicht in wissenschaftlichen Arbeiten handelt es sich um einen elementaren Grundsatz, über den nicht seitens des Doktoranden und des Doktorvaters verfügt werden kann. Zudem weist der Doktorand mit seiner Dissertation gerade seine Befähigung zu vertiefter und selbstständiger wissenschaftlicher Arbeit nach, sodass das Unterlassen eines Zitats gerade auch den Zweck der Dissertation untergräbt.
69
Dem Kläger als Doktorand musste also in jedem Fall bekannt gewesen sein, dass eine solche Vorgehensweise und eine solche Irreführung in wissenschaftlichen Arbeiten unzulässig ist, sodass das Gericht jedenfalls den erforderlichen bedingten Vorsatz in Bezug auf beide Täuschungshandlungen selbstständig für gegeben hält.
70
Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass Prof. T. seine Angaben in der Stellungnahme vom 29. Juli 2018 bei seiner Anhörung im Entziehungsverfahren im Übrigen auch widerrufen hat (vgl. S. 6 f. des Wortprotokolls aus der Sitzung des Promotionsausschusses vom 12.7.2021).
71
2.2. Die Rücknahme des Doktorgrades ist auch ermessensfehlerfrei erfolgt (§ 114 VwGO).
72
Die Beklagte ist von einer vollständig ermittelten Tatsachengrundlage ausgegangen und hat alle widerstreitenden Interessen gewürdigt und gegeneinander abgewogen. Dabei ist es ist nicht zu beanstanden, dass der wissenschaftliche Rang und das akademische Interesse der Beklagten im Allgemeinen höher bewertet wurden als die beruflichen, gesellschaftlichen und sozialen Folgen für den Kläger.
73
Dem Promotionsausschuss steht ein Beurteilungsspielraum im Hinblick auf die Erheblichkeit der Täuschungshandlung zu (VGH BW, U.v. 19.4.2000 – 9 S 2435/99 – KMK-HSchR/NF 21A Nr. 19; VG Düsseldorf, U.v. 20.3.2014 – 15 K 2271/13 – ZUM 2014, 602; VG Regensburg, U.v. 31.7.2014 – RO 9 K 13.1442 – juris). Diesbezüglich ist die gerichtliche Kontrolle darauf beschränkt, ob ein Verstoß gegen das Willkürverbot oder sachfremde Erwägungen vorliegen (VGH BW, U.v. 19.4.2000 – 9 S 2435/99 – KMK-HSchR/NF 21A Nr. 19; VG Düsseldorf, U.v. 20.3.2015 – 15 K 2271/13 – ZUM 2014, 602). Hierfür bestehen keine Anhaltspunkte.
74
Die Rücknahmeentscheidung weist weder in Bezug auf den Ausgangs- noch auf den Widerspruchsbescheid Ermessensfehler auf (§ 114 VwGO). Die Beklagte hat ihr Entschließungs- und Auswahlermessen ordnungsgemäß ausgeübt. Es ist auch nicht zu beanstanden, dass das Entziehungsverfahren seinen Ursprung in einem anonymen Hinweis fand (vgl. VG Karlsruhe, U.v. 4.3.2013 – 7 K 3335/11 – VBlBW 2013, 429). Auf Vertrauensschutz kann sich der Kläger nicht berufen. Zwar müssen auch bei einem rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakt i.S.d. Art. 48 Abs. 3 BayVwVfG, der keine Geld- oder Sachleistungen gewährt, innerhalb der Ermessensausübung Vertrauensschutzgesichtspunkte berücksichtigt werden (BVerwG, B.v. 20.10.2006 – 6 B 67.06 – juris). Allerdings ist eine Berufung auf Vertrauensschutz ausgeschlossen, wenn der Kläger die Rechtswidrigkeit der Verleihung des Doktorgrades kannte, Art. 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 BayVwVfG. Insoweit weist die Beklagte in ihrem Bescheid zurecht darauf hin, dass von dem Kläger als Doktorand die Kenntnis erwartet werden durfte, dass seine Vorgehensweise in wissenschaftlichen Arbeiten unzulässig ist.
75
2.3. Die Rücknahmemöglichkeit war auch nicht verfristet.
76
Gemäß Art. 48 Abs. 4 Satz 1 BayVwVfG ist die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes nur innerhalb eines Jahres seit der Kenntniserlangung der Behörde von den die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen zulässig.
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Bezugspunkt der erforderlichen (Er-)Kenntnis ist nicht nur die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes und das Wissen um alle Tatsachen, aus denen sich diese ergibt. Darüber hinaus gehend fordert das Gesetz die Kenntnis von Tatsachen, die die Rücknahme „rechtfertigen“, sodass auch die vollständige Kenntnis des für die Entscheidung über die Rücknahme erheblichen Sachverhalts nötig ist. Dazu gehören auch alle für die Prüfung von Vertrauensschutz sowie für die Ermessensausübung bedeutsamen Umstände, die ggf. erst noch in einem Anhörungsverfahren zu einer beabsichtigten Rücknahmeentscheidung ermittelt werden müssen (J. Müller in Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, 61. Aufl. Stand 1.7.2023, § 48 Rn. 112 m.w.N.).
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Vorliegend wurde diese Frist gewahrt. Denn Prof. T. wurde abschließend im Rahmen des Rücknahmeverfahrens erst am 8. Juni 2021 angehört. Dies geschah auch auf die Beweisanträge des Klägerbevollmächtigten hin, sodass selbst die Klägerseite vorher nicht von einer Entscheidungsreife ausging.
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2.4. Als rechtmäßig erweist sich in der Folge auch die in Ziffer 2 des Bescheides verfügte Rückgabe der Promotionsurkunde nach Unanfechtbarkeit des Bescheides. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 16 Abs. 6 Satz 4 der Promotionsordnung i.V.m. Art. 52 Satz 1 BayVwVfG.
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Rechtmäßig ist darüber hinaus die Kostenentscheidung in Ziffern 3 und 4 des Widerspruchsbescheids vom 20. Januar 2022.
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Nach alledem war die Klage abzuweisen.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.