Inhalt

OLG München, Beschluss v. 28.08.2024 – 11 W 1306/23 e
Titel:

Notarkosten für Beurkundungsverfahren bei notariell erklärtem Verzicht eines Grundstücksverkäufers auf Steuerbefreiung

Normenketten:
FamFG § 70 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Alt. 1
UStG § 4 Nr. 9a, § 9 Abs. 1, Abs. 3 S. 2
GNotKG § 35Abs. 1, § 36, § 94 Abs. 1, § 97, § 109 Abs. 1, § 110 Nr. 2 lit. c
BGB § 311 b Abs. 1
Leitsätze:
Für den notariell erklärten Verzicht eines Grundstücksverkäufers auf die Steuerbefreiung gemäß § 9 Abs. 1 UStG fällt für das Beurkundungsverfahren eine 1,0 Gebühr nach Nr. 21200 KV-GNotKG an. Auch für eine „vorsorgliche Umsatzsteueroption“ gilt hierbei die Bewertungs- und Berechnungsabfolge nach den § 110 Nr. 2 lit. c, § 97 Abs. 1, 94 GNotKG. Eine Wertbestimmung nach billigem Ermessen gemäß § 36 GNotKG ist nicht geboten. (Rn. 24, 37 und 48 – 49)
Der Notar schuldet grundsätzlich keine nähere steuerliche Beratung. Es kann daher von ihm auch nicht verlangt werden, bei Erstellung seiner Kostenrechnung steuerliche Wahrscheinlichkeiten zu beurteilen. (Rn. 55) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
notarieller Kaufvertrag, notariell erklärten Verzicht, Beurkundungsverfahren, Gebühr, vorsorgliche Umsatzsteueroption, Bewertungs- und Berechnungsabfolge, Geschäftswertbestimmung, steuerliche Beratung
Fundstelle:
BeckRS 2024, 45411

Tenor

1. Unter Aufhebung des Beschlusses des Landgerichts München I, Az. 13 OH 10553/21, 13 OH 3229/23, vom 07.09.2023 wird dem Antrag auf Entscheidung gegen die Kostenrechnungen des Notars … vom 22.09.2017, Nr. A 1463/0/1 – 2017 sowie Nr. A 1463/0/2 – 2017, in der Fassung vom 06./07.03.2023, insofern stattgegeben, als jeweils unter Abänderung der sich ergebenden Gesamtsumme die Gebührentatbestände nach Nr. 21100 KV-GNotKG und nach den Nrn. 22110, 22112, 22113 KV-GNotKG wie folgt abzuändern sind:
KV 21100 Beurkundung: Mietvertrag, Vertragsangebot, Umsatzsteueroption aus einem Geschäftswert von € 6.146.945,00
Mietvertrag: § 99 GNotKG: € 2.136.645,00
Angebot (Kaufpreis): §§ 97, 47 GNotKG: € 3.370.000,00
Umsatzsteueroption: § 97 GNotKG: € 640.300,00
2,0 Gebühr: € 17.830,00
KV 22110, 22112, 22113 Vollzug: Vollzug eines Geschäfts (§ 112 GNotKG) aus einem Geschäftswert von € 6.146.945,00
0,5 Gebühr: € 4.457,50.
Der Geschäftswert der Umsatzsteueroption ist jeweils mit dem vollen Umsatzsteuerbetrag anzusetzen.
2. Die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof wird zugelassen.

Gründe

I.
1
Mit Schreiben vom 24.06.2021 beantragte Notar … beim Landgericht München I auf Weisung der Präsidentin des Landgerichts München I vom 14.06.2021 gemäß §§ 130 Abs. 2, 127 GNotKG eine gerichtliche Entscheidung des Landgerichts hinsichtlich einer Bewertungsfrage zum Vorgang URNr. A 1463/2017.
2
In dieser Urkunde „Mietvertrag und Kaufoption“ vom 07.09.2017 schloss der Beteiligte R.K. als „Vermieter“ „in Ausübung einer gewerblichen und selbständigen beruflichen Tätigkeit“ mit der Antragsgegnerin zu 2) den als Anlage 1 beigefügten „Gewerbemietvertrag Nr. 1/2017“. Nach dessen § 2 soll das Mietverhältnis vom 01.02.2017 bis zum 30.06.2020 laufen; nach § 3 Ziffer 3 wird die gesamte Mietsache („das komplette Areal“, bestehend aus den im Grundbuch des Amtsgerichts Ulm von Salach Blatt 4783 vorgetragenen Flurstücken Nrn. 437/4, 437/6, 437/114 bzw. 437/8, 437/9, 437/7, jeweils Gebäude- und Freiflächen in der Friedrichstraße) ab Januar 2018 zu einem Festpreis in Höhe von € 32.500,00 monatlich vermietet.
3
In „§ 2 Angebot“ der Urkunde URNr. A 1463/2017 wurde zudem zwischen dem Beteiligten R.K. als „Verkäufer“ und der Antragsgegnerin zu 1) „Käufer“ eine Kaufoption entsprechend dem als Anlage 2 beigefügten Kaufvertrag geregelt. Kaufgegenstand sind die im Grundbuch des Amtsgerichts Ulm von Salach Blatt 4783 vorgetragenen Flurstücke Nrn. 437/4, 437/6, 437/114 bzw. 437/8, 437/9, 437/7, jeweils Gebäude- und Freiflächen in der Friedrichstraße. Nach Ziffer III.1. des Kaufvertrags beträgt der Kaufpreis insgesamt netto € 3.370.000,00.
4
Die Kosten der Urkunde URNr. A 1463/2017 trägt nach § 3 („Schlussbestimmungen“), dort Ziffer 3, unbeschadet der gesamtschuldnerischen Haftung aller Beteiligter der Käufer unabhängig davon, ob er das Angebot annimmt oder nicht.
5
Im Kaufvertrag ist unter Ziffer III. („Kaufpreis“) eine Umsatzsteueroption wie folgt geregelt:
„2.
6
Die Beteiligten gehen davon aus, dass es sich bei der heutigen Veräußerung um einen nicht steuerbaren Vorgang im Sinne von § 1 Abs. 1a UStG handelt …
7
3. Der Verkäufer erklärt zudem gleichzeitig und unbedingt gemäß § 9 Abs. 1 und 3 UStG den Verzicht auf die Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 9a UStG und optiert hiermit unwiderruflich zur Umsatzsteuerpflicht … Der Käufer erklärt sich mit der Option einverstanden …
8
4. Dem Käufer ist bekannt, dass er bei wirksamem Verzicht auf die Freiheit von Umsatzsteuer hinsichtlich des Grundbesitzes die auf den Nettokaufpreis entfallende Umsatzsteuer dem Fiskus unmittelbar schuldet (§ 13b Abs. 2 UStG) …“.
9
Die Kaufoption wurde nicht ausgeübt.
10
Mit Kostenrechnungen vom 22.09.2017 – Nr. A 1463/0/1 – 2017 (Antragsgegnerin zu 1) bzw. Nr. A 1463/0/2 – 2017 (Antragsgegnerin zu 2) – rechnete der Notar den Beurkundungsvorgang über eine Gesamtsumme netto von € 21.390,70 wie folgt ab:
- Nr. 21100 KV-GNotKG: Beurkundung: Vertragsangebot, Mietvertrag
aus einem Wert von € 5.506.645,00 (zusammengesetzt aus: Angebot (Kaufpreis): € 3.370.000,00 und Mietvertrag (Mietsumme auf Mietzeit): € 2.136.645,00) in Gesamthöhe von € 17.050,00
- Nrn. 22110, 22112, 22113 KV-GNotKG: Vollzug: Vollzug eines Geschäfts
aus einem Wert von € 5.506.645,00 (§ 112 GNotKG) in Gesamthöhe von € 4.262,40
- Nr. 32001 KV-GNotKG: Auslagen: Dokumentenpauschale schwarz/weiß in Gesamthöhe von € 1,20
- Nr. 32005 KV-GNotKG: Auslagen: Pauschale Post- und Telekommunikationsdienstleistungen in Gesamthöhe von € 20,00
- Nr. 32011 KV-GNotKG: Auslagen: Abrufgebühren: Registereinsichten in Gesamthöhe von € 57,00.
11
Von dem Gesamtrechnungsbetrag netto von € 21.390,70 wurde der Antragsgegnerin zu 1) ein Betrag von € 13.090,85 und der Antragsgegnerin zu 2) ein Betrag von € 8.299,85 zugewiesen und jeweils zuzüglich 19,00 % Umsatzsteuer nach Nr. 32014 KV-GNotKG abgerechnet (Antragsgegnerin zu 1): € 15.578,11, Antragsgegnerin zu 2): € 9.876,82).
12
Die Option (Verzicht auf die Umsatzsteuerbefreiung) bewertete der Notar nach diesen Kostenrechnungen demnach nicht gesondert. Das Beschwerdeverfahren betrifft die Frage, ob dies zutreffend ist.
13
Der Notar vertritt die Auffassung, die Option sei nicht gesondert zu bewerten, allenfalls sei der Ansatz des Auffangwertes nach § 36 Abs. 3 GNotKG von € 5.000,00 gerechtfertigt. Die Klausel sei einer „Rechtsbereinigungsklausel“ vergleichbar, solle lediglich Streit mit dem Finanzamt vermeiden und Rechtssicherheit über die Steuerfolgen für den Verkäufer schaffen; der Ansatz des Betrages der Umsatzsteuer als Geschäftswert der Option sei daher nicht gerechtfertigt. Das Kostenrecht biete die Möglichkeit, die Kostenfolge der wirtschaftlichen Bedeutung der beurkundeten Erklärung anzupassen. Der Notar legte zudem mit Schreiben vom 21.07.2023 eine Stellungnahme des Steuerberaters des Veräußerers vor, aus der sich ergibt, dass es sich „unstreitig“ um eine Geschäftsveräußerung im Ganzen (§ 1 Abs. 1a UStG) handele, und verwies zudem auf die langjährige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, wonach die Übertragung eines vermieteten Grundstücks dann zur Geschäftsveräußerung im Ganzen im Sinne von § 1 Abs. 1a UStG führe, wenn durch den mit dem Grundstückserwerb verbundenen Eintritt in den Mietvertrag ein Vermietungsunternehmen übernommen werde (im Einzelnen: vgl. Bl. 2 ff. sowie Bl. 78 f. d.A.).
14
Die vom Landgericht beteiligte Notarkasse vertritt hingegen in ihrer Stellungnahme vom 15.12.2022 (Bl. 55 ff. d.A.) die Auffassung, für den erklärten Verzicht des Verkäufers auf die Steuerbefreiung gemäß § 9 Abs. 1 UStG (Option, Umsatzsteueroption) in einem Kaufvertrag sei, auch wenn dieser Verzicht nur rein vorsorglich erklärt werde, nach §§ 97 Abs. 1 GNotKG, 110 GNotKG) eine 1,0 Gebühr gemäß Nr. 21200 KV-GNotKG anzusetzen; Geschäftswert sei der volle Umsatzsteuerbetrag in Höhe von € 640.300,00 = 19 % des Kaufpreises.
15
Die Kostenschuldnerinnen haben sich im Verfahren nicht geäußert.
16
Das Landgericht München I hat in seinem Beschluss vom 07.09.2023 (Bl. 80/83 d.A.) den Antrag des Notars auf Entscheidung gegen die vorgenannten Kostenrechnungen vom 22.09.2017 zurückgewiesen.
17
Das Landgericht folgt damit unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung der Auffassung des Notars:
18
Nachdem sich der Geschäftswert für die Option nicht aus einer speziellen Bestimmung des GNotKG ergebe oder aus sonstigen Gründen feststehe, sei für die Wertbestimmung auf die allgemeine Vorschrift des § 36 Abs. 1 GNotKG zurückzugreifen. Maßgeblich für die Ermessensausübung seien demnach die Umstände des Einzelfalls, wobei lediglich von objektiven Kriterien auszugehen sei. Der steuerliche Kontext sei ein solches objektives Kriterium, sodass auch ein Rückgriff auf den Auffangwert nach § 36 Abs. 3 GNotKG nicht erforderlich sei.
19
Der steuerliche Kontext stelle sich bei den vorliegend beurkundeten Erklärungen so dar, dass es sich – wäre die Kaufoption ausgeübt worden – nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (vgl. Urt. v. 11.10.2017 – V R 57/06) um eine Geschäftsveräußerung im Ganzen und damit um einen nicht steuerbaren Vorgang im Sinne von § 1 Abs. 1a UStG gehandelt hätte. Es wäre im Ergebnis nie dazu gekommen, dass die Umsatzsteuer anfällt und vom Käufer zu zahlen ist. Daher könne nicht auf den vollen Umsatzsteuerbetrag abgestellt werden.
20
Eine Abänderung der Kostenrechnungen habe nicht zu erfolgen: Es sei bei der Ermessensentscheidung nach § 36 Abs. 1 GNotKG vorliegend ein Teilwert von 5 % des Umsatzsteuerbetrages (= € 32.000,00) zugrundezulegen. Bei diesem Teilwert, aber auch einem höheren (45,8 %) erhöhten sich die Gebühren nicht, weil es zu keinem sog. „Gebührensprung“ komme.
21
Gegen den Beschluss hat der Notar mit Schreiben vom 05.10.2023, vorgenannter Weisung der Präsidentin des Landgerichts München I entsprechend, Beschwerde eingelegt, der das Landgericht im Beschluss vom 25.10.2023 nicht abgeholfen hat.
II.
22
Die gemäß §§ 129 Abs. 1 GNotKG statthafte und auch form- und fristgerecht eingelegte (§ 130 Abs. 3 GNotKG i.V.m. §§ 63 Abs. 1, 64 Abs. 1, 2 FamFG) Beschwerde hat in der Sache Erfolg.
23
In der Beschwerde wie bereits auch in der Anweisung und dem Prüfungsantrag ist zwar nicht ausdrücklich ausgeführt, mit welchem Ergebnis der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt wurde bzw. wird. Dies ergibt sich jedoch aus dem in Bezug genommenen Schreiben der Notarkasse vom 15.12.2022 sowie der Tatsache der Beschwerdeeinlegung gegen den Beschluss des Landgerichts vom 05.10.2023.
24
Der Senat folgt der Ansicht der Notarkasse, wonach generell für den erklärten Verzicht des Verkäufers eines Grundstücks auf die Steuerbefreiung gemäß § 9 Abs. 1 UStG in einem Kaufvertrag nach den Bestimmungen des GNotKG (§ 97 Abs. 1 GNotKG, § 110 GNotKG) eine 1,0 Gebühr nach Nr. 21200 KV-GNotKG anzusetzen ist.
25
Dementsprechend ist in vorliegender Konstellation dem Antrag auf Entscheidung gegen die streitigen Kostenberechnungen insofern stattzugeben, als die Kostenrechnungen des Notars Ruhwinkel vom 22.09.2017, Nr. A 1463/0/1 – 2017 sowie Nr. A 1463/0/2 – 2017, in der Fassung vom 06./07.03.2024 wie tenoriert abzuändern sind.
26
Im Einzelnen:
27
1. Der im hiesigen Kaufvertrag erklärten Option zur Umsatzsteuer liegt folgende steuerliche Ausgangsbetrachtung zugrunde:
28
1.1. Für den Verkauf von Grundstücken durch einen Unternehmer im Rahmen seines Unternehmens fällt abweichend von § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG grundsätzlich keine Umsatzsteuer an. Denn nach § 4 Nr. 9 lit. a UStG sind Umsätze, die unter das Grunderwerbsteuergesetz fallen, von der Umsatzsteuer befreit. Allerdings eröffnet § 9 Abs. 1 UStG dem Unternehmer mit einer Optionserklärung die Möglichkeit, den Verkauf des Grundstücks der Umsatzsteuer zu unterwerfen, wenn der Verkauf an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen erfolgt.
29
Hintergrund für die Umsatzsteueroption ist § 15a Abs. 1 UStG: Hat ein Unternehmer für den Kauf eines Grundstücks Vorsteuerabzug geltend gemacht und verkauft er das Objekt innerhalb von zehn Jahren umsatzsteuerfrei, muss er eine bereits abgezogene Vorsteuer zeitanteilig zurückzahlen. Dies kann er verhindern, wenn er vorgenannte Umsatzsteueroption ausübt und so den Verkauf der Umsatzsteuer unterwirft. In einem solchen Fall ist gemäß § 13 b Abs. 2 Nr. 3, Abs. 5 UStG der Käufer der Steuerschuldner, der die Umsatzsteuer nicht als Teil des Kaufpreises an den Verkäufer, sondern unmittelbar an das Finanzamt zu entrichten hat (ausführliche Darstellung bei Flues, RNotZ 2012, 528 ff.).
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Zum Schutz des Käufers kann der Verzicht auf die Steuerbefreiung nach § 9 Abs. 3 S. 2 UStG nur in dem gemäß § 311 b Abs. 1 BGB notariell zu beurkundenden Grundstückskaufvertrag erklärt werden (vgl. Bormann/Diehn/Sommerfeldt, GNotKG, 4. Aufl., Bormann zu § 110 GNotKG, Rnrn. 13, 14; BeckOK UStG, Weymüller, 41. Ed., Suabedissen zu § 9 UStG, Rn. 93).
31
1.2. Bei der Veräußerung von Grundstücken – wie bei dem streitgegenständlichen Kaufvertrag entsprechend Anlage 2 – ist allerdings nicht immer zweifelsfrei, ob ein steuerfreier Umsatz im Sinne von § 4 Nr. 9 lit. a UStG oder bereits eine nicht steuerbare Geschäftsveräußerung im Sinne von § 1 Abs. 1a UStG vorliegt, bei der der Verzicht ins Leere ginge. Die hiesigen Beteiligten gehen zwar entsprechend Ziffer III.2. des Kaufvertrags davon aus, dass es sich bei der Veräußerung um einen nicht steuerbaren Vorgang im Sinne von § 1 Abs. 1a UStG handelt; maßgeblich ist jedoch die spätere Beurteilung durch die Finanzverwaltung.
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Da der notarielle Kaufvertrag die einzige Möglichkeit ist, den Verzicht wirksam zu erklären – eine spätere Heilung ist nicht möglich – wird in diesen Konstellationen häufig vorsorglich vereinbart, dass der Veräußerer für den Fall des Nichtvorliegens einer Geschäftsveräußerung zur Umsatzsteuerpflicht der Grundstücksveräußerung optiert, mithin auf die Umsatzsteuerbefreiung verzichtet („bedingte Option“ oder – wie hier vereinbart – auch „unbedingt“), um eine Vorsteuerberichtigung nach § 15 a UStG bzw. längere Streitigkeiten mit dem Finanzamt zu vermeiden.
33
2. Der Senat schließt sich im Gegensatz zum Landgericht der Auffassung der Notarkasse an, wonach das Kostenrecht nicht die Möglichkeit eröffnet, die hiesige nur „vorsorgliche“ Option anders zu bewerten als eine „echte“.
2.1. „Echte“ Option
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Nach § 110 Nr. 2 lit. c GNotKG bildet die Optionserklärung einen von den Vereinbarungen zum Kaufvertrag verschiedenen Beurkundungsgegenstand, der gesondert zu bewerten ist. Es handelt sich folglich nicht um die Vereinbarung eines weiteren Entgeltbestandteils, sondern um eine gegenüber dem Finanzamt abgegebene einseitige Verzichtserklärung des Verkäufers.
35
Für die Umsatzsteueroption als einseitige Erklärung fällt nach Nr. 21200 KV-GNotKG ein Gebührensatz von 1,0 an. Der Geschäftswert der Optionserklärung bestimmt sich gemäß § 97 Abs. 1 GNotKG nach der Höhe der anfallenden Umsatzsteuer, die aus dem Nettokaufpreis zu berechnen ist (vgl. Bormann/Diehn/Sommerfeldt, a.a.O., Bormann zu § 110 GNotKG, Rn. 16; Korintenberg, GNotKG, 22. Aufl., Diehn zu § 110 GNotKG, Rn. 37: BFH NJW 2006, 1455).
36
Da für den Kaufvertrag nach Nr. 21100 KV-GNotKG ein Gebührensatz von 2,0, für die Umsatzsteueroption nach Nr. 21200 KV-GNotKG jedoch nur ein Gebührensatz von 1,0 anfällt, ist nach § 94 GNotKG abschließend eine Vergleichsberechnung durchzuführen.
2.2. „Vorsorgliche“ Option
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Diese vorgegebene Bewertungs- und Berechnungsabfolge §§ 110 Nr. 2 lit. c, 97 Abs. 1, 94 GNotKG gilt aus Sicht des Senats auch für die „vorsorgliche Option“.
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2.2.1. Insbesondere verbietet die ausdrückliche Regelung in § 110 Nr. 2 lit. c GNotKG die von dem Notar ebenfalls in den Raum gestellte Nichtbewertung einer vorsorglichen Option wie der vorliegenden. Die Vorschrift wäre sinnlos, wenn eine Bewertung nicht zu erfolgen hätte.
39
§ 110 GNotKG regelt bestimmte Fälle, in denen trotz eines Abhängigkeitsverhältnisses abweichend von § 109 Abs. 1 GNotKG verschiedene Beurkundungsgegenstände vorliegen, weil der Gesetzgeber eine Wertaddition (§ 35 Abs. 1 GNotKG) bzw. eine gesonderte Gebührenberechnung (§ 94 Abs. 1 1. HS GNotKG) für angemessen hält (vgl. Bormann/Diehn/Sommerfeldt, a.a.O., Bormann zu § 110 GNotKG, Rn. 1). Mit der Regelung wich der Gesetzgeber bewusst vom früheren Verständnis von zueinander gegenstandsgleichen Erklärungen ab und regelt Sachverhalte neu, welche seiner Vorstellung nach jetzt ausdrücklich als gegenstandsverschieden anzusehen sind. Dies ist namentlich für die in § 110 Nr. 2 lit. b GNotKG (Erklärungen zu Bestellung von subjektivdinglichen Rechten) und § 110 Nr. 2 lit. c GNotKG („Umsatzsteueroption“) sowie in § 110 Nr. 3 GNotKG (Vollmacht und „Patientenverfügung“ u.a.) geregelten Tatbestände der Fall (vgl. BeckOK, Kostenrecht, Därndorfer/Wendtland/Gerlach/Diehn, 46. Ed., Bachmayer zu § 110 GNotKG, Rn. 6).
40
Wie im Kostenverzeichnis zum GNotKG abschließend geregelt ist, für welche Amtstätigkeit Gebühren erhoben werden dürfen (vgl. Renner/Otto/Heinze, Leipziger Gerichts- & Notarkostenkommentar, 4. Aufl., Heinze zu § 1 GNotKG, Rn. 9), so ist gleichsam vorgeschrieben, dass die Gebühren nach den jeweiligen Gebührentatbeständen auch erhoben werden müssen, es sei denn, es liegt ein Fall unrichtiger Sachbehandlung durch den Notar nach § 21 GNotKG vor.
41
Die in § 110 Nr. 2 lit. c GNotKG geregelte Gegenstandsverschiedenheit der Optionserklärung und der sonstigen Vereinbarungen im Kaufvertrag bedingt daher für beide Beurkundungsvorgänge eine eigenständige Bewertung.
42
2.2.2. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs und der Kommentarliteratur (vgl. 2.1.) bestimmt sich der Geschäftswert der Optionserklärung gemäß § 97 Abs. 1 GNotKG nach der Hähe der anfallenden Umsatzsteuer, die aus dem Nettokaufpreis zu berechnen ist. Ein Rückgriff auf § 36 GNotKG und damit eine ermessensabhängige Geschäftswertbestimmung ist nicht veranlasst.
43
§ 97 Abs. 1 GNotKG lautet:
44
(1) Der Geschäftswert bei der Beurkundung von Verträgen und Erklärungen bestimmt sich nach dem Wert des Rechtsverhältnisses, das Beurkundungsgegenstand ist.
45
§ 97 Abs. 1 GNotKG ist eine Grundnorm, die alle Verträge und einseitigen Erklärungen erfasst, soweit keine anderweitige Ausnahmeregelung besteht (vgl. Korintenberg, a.a.O., Tiedtke zu § 97 GnotKG, Rnrn. 1, 3a). Für eine Umsatzsteueroption besteht keine solche Ausnahmeregelung wie z.B. für Eheverträge in § 100 GNotKG, letztwillige Verfügungen in § 102 GNotKG oder gesellschaftsrechtliche Regelungen in den §§ 107, 108 GNotKG. § 97 Abs. 1 GNotKG ist mithin einschlägig. Maßgebliches Rechtsverhältnis ist der Anfall bzw. Nichtanfall der Umsatzsteuer für das beurkundete Rechtsgeschäft.
46
§ 36 GNotKG stellt hingegen seinerseits einen Auffangtatbestand dar, mit folgendem Wortlaut: (1) Soweit sich in einer vermögensrechtlichen Angelegenheit der Geschäftswert aus den Vorschriften dieses Gesetzes nicht ergibt und er auch sonst nicht feststeht, ist er nach billigem Ermessen zu bestimmen. …
47
(3) Bestehen in den Fällen der Absätze 1 und 2 keine genügenden Anhaltspunkte für eine Bestimmung des Werts, ist von einem Geschäftswert von 5.000 Euro auszugehen.
48
§ 36 GNotKG kommt daher nur dann zur Anwendung, wenn und soweit keine spezielleren Vorschriften des GNotKG zur Bewertung von Gegenständen und zur Bestimmung des Geschäftswertes anwendbar sind. Durch die gesetzlichen Regelungen zum Geschäftswert, die vor allem in §§ 40 ff., 63 ff. und 97 ff. GNotKG enthalten sind, wird § 36 GNotKG mithin verdrängt. Lässt sich der Geschäftswert auf Grund der vorgenannten Normen ermitteln, ist für die Anwendung des § 36 GNotKG kein Raum. Nach Bormann (vgl. Korintenberg, a.a.O., § 36 GNotKG, Rn. 6) eignet sich die Vorschrift also nicht als Grundlage von „Kulanzbewertungen“ oder eines sonstigen Entgegenkommens gegenüber dem Kostenschuldner.
49
Dies gilt aus Sicht des Senats insbesondere für eine unbedingte – wenngleich vorsorgliche – Umsatzsteueroption, deren isolierter Erklärungsgehalt sich nicht von einer „echten“ Umsatzsteueroption unterscheidet – wie bei der hiesigen Umsatzsteueroption in Ziffer III.3. des Kaufvertrags.
50
Die Motive für die Protokollierung („Rechtsbereinigungsklausel“, „Angstklausel“) liegen außerhalb des Rechtsverhältnisses und sind daher unbeachtlich. Sie rechtfertigen insbesondere keine Wertabschläge, falls es sich nur um Klarstellungen handelt. Das Motiv für die Abgabe einer Erklärung ist kostenrechtlich generell irrelevant (vgl. Bormann/Diehn/Sommerfeldt, a.a.O., Diehn zu § 97 GNotKG, Rn. 11; Korintenberg, a.a.O., Diehn zu § 110 GNotKG, Rn. 36).
51
Das Kostenrecht bedarf in besonderer Weise klarer Vorgaben:
52
Der Ersteller einer Kostenrechnung hat nicht etwa Überlegungen dazu anzustellen, ob „eigentlich“ ein Betrieb im Sinne von § 1 Abs. 1a UStG vorliegt, ob also im konkreten Fall „eigentlich“ von einer Betriebsveräußerung auszugehen ist, wie „sicher“ dies ist und ob die Gefahr, der mit der fraglichen Option begegnet werden soll, nur „theoretisch“ besteht, weshalb sie sich „wohl kaum“ realisieren wird (vgl. Schriftsatz des Notars vom 24.06.2021, dort S. 2, 3). Maßgeblich ist, dass man es für erforderlich hielt, den Verzicht aufzunehmen um ein – und sei es geringes – Risiko auszuschließen. Diese Sicherheit, das Beschreiten des „sichersten Weges“ (Flues, a.a.O., 528, 542 li. Sp.), mag dann aber auch eine entsprechende Bewertung zur Folge haben. Anders als das Landgericht waren die Vertragspartner offenbar nicht so sicher, es werde nicht zum Anfall einer Umsatzsteuer kommen (vgl. Seite 5 o. der Begründung des Beschlusses), andernfalls sie die Verzichtserklärung hätten weglassen können.
53
Dabei wird nicht verkannt, dass die Erklärung wegen § 9 Abs. 3 UStG bereits in der Kaufvertragsurkunde erklärt werden muss, was bedeutet, dass das entsprechende Prognoserisiko vom Gesetzgeber auf die Beteiligten verlagert wurde (Schriftsatz Notar vom 04.01.2023, S. 1): Es ist jedoch nicht Sache des Kostenrechts, dies durch Billigkeitserwägungen zu korrigieren, weil etwa die Umsatzsteueroption „fast“ nie nötig wäre; vielleicht liegt gerade hier ein Ausnahmefall vor. Solche Beurteilungen bzw. Prognosen überfordern – jedenfalls hier – das Kostenrecht, gegebenenfalls müsste der Steuergesetzgeber eine Änderung herbeiführen.
54
Im Übrigen ist die Einordnung einer Grundstücksveräußerung als Grundstückslieferung im Ganzen zumeist nicht eindeutig möglich und deswegen mit einer hohen Rechtsunsicherheit behaftet (Flues, a.a.O., 535, re. Sp. unten). Selbst wenn im konkreten Fall die Anwendung von § 1 Abs. 1a UStG naheliegt, mag dies in einem anderen Fall weniger absehbar sein. Würde man dann wieder auf eine „Wahrscheinlichkeit“ abstellen, müssten für die Kostenrechnung womöglich 10 % oder 20 % (?) zugrunde gelegt werden, was zu Unklarheiten bei der Rechnungserstellung führen würde.
55
Wenn der Notar vom Grundsatz her keine nähere steuerliche Beratung schuldet (siehe etwa Winkler, BeurkG, 21. Aufl., § 17 Rn. 366 m.w.N.), dann kann von ihm auch nicht verlangt werden, bei Erstellung der Kostenrechnung steuerliche Wahrscheinlichkeiten zu beurteilen.
56
Es kann daher dahinstehen, welche objektiven Kriterien der Ermessensausübung im Rahmen des § 36 GNotKG zugrundezulegen wären (Landgericht: „steuerlicher Kontext“: geringe Wahrscheinlichkeit, dass Option zum Tragen kommt, nur Ansatz eines Teilwertes von 5 % des Umsatzsteuerbetrages).
57
3. Vor diesem Hintergrund ergibt sich unter Berücksichtigung der Bestimmungen des § 94 Abs. 1 GNotKG folgende berichtigte Bewertung:
58
Bei einem Gesamtgeschäftswert (vgl. § 35 Abs. 1 GNotKG) von € 6.146.945,00 (Angebot-Kaufpreis: € 3.370.000,00; Mietvertrag: € 2.136.645,00; Umsatzsteueroption: € 640.300,00) fallen eine 2,0 Gebühr nach Nr. 21100 KV-GNotKG in Höhe von € 17.830,00 und eine 0,5 Vollzugsgebühr nach Nr. 22110 KV-GNotKG in Höhe von € 4.457,50 an (Abänderung in Höhe von € 975,10).
59
Diese nach dem höchsten Gebührensatz berechneten Gebühren aus dem Gesamtbetrag der Werte sind kostengünstiger als die getrennte Bewertung: 1,0 Gebühr nach Nr. 21200 KV-GNotKG aus einem Geschäftswert von € 640.300,00 in Höhe von € 1.175,00 sowie eine 0,3 Vollzugsgebühr nach Nr. 22110 KV-GNotKG in Höhe von € 352,50 (Abänderung in Höhe von € 1.527,50).
60
Die Kostenrechnungen vom 22.09.2017 – Nr. A 1463/0/1 – 2017 (Antragsgegnerin zu 1) bzw. Nr. A 1463/0/2 – 2017 (Antragsgegnerin zu 2), in der Fassung vom 06./07.03.2023 – sind daher entsprechend abzuändern.
61
Bei der förmlichen Neufassung hat der Notar zudem zu berücksichtigen, dass die Angaben der einschlägigen Wertvorschriften aufzunehmen sind, aus denen sich der Geschäftswert für den Beurkundungsgegenstand ergibt (§ 19 Abs. 3 Nr. 2 GNotKG).
III.
62
1. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. § 130 Abs. 2 S. 4 GNotKG greift nicht. Gerichtskosten fallen nicht an, vgl. Korintenberg, a.a.O., KV-GNotKG Nr. 19110 Rn. 5.
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2. Die trotz Wortlauts von § 129 Abs. 2 GNotKG nach § 70 Abs. 1 FamFG zulassungsbedürftige Rechtsbeschwerde (Korintenberg, GNotKG, 22. Aufl., Sikora zu § 129, Rn. 17) ist zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 70 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Alt. 1 FamFG erfüllt sind. Dieser Zulassungsgrund liegt vor, wenn der Einzelfall Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen oder des Verfahrensrechts aufzustellen oder Gesetzeslücken auszufüllen (vgl. BeckOK, FamFG, Hahne/Schlögel/Schlünder, 47. Ed. Obermann zu § 70 FamFG, Rn. 16).
gez.
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… Vorsitzender Richter
am Oberlandesgericht
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… Richterin
am Oberlandesgericht
66
… Richterin
am Oberlandesgericht