Titel:
Krankengeldbezug, persönlicher Geltungsbereich, Widerklage, Auskunftsanspruch, Arbeitsrechtlicher Gleichbehandlungsgrundsatz, Teilzeitbeschäftigung, Auskunftserteilung, Beschäftigungsverhältnis - Ende, Teilzeitbeschäftigte, Rentenversicherungspflicht, Allgemeinverbindlicher Tarifvertrag, Lohnabrechnung, Versicherungspflichtige Tätigkeit, Gesellschafter-Geschäftsführer, Tarifvertragspartei, Streitwertfestsetzung, betrieblicher Geltungsbereich, Tarifanspruch, Arbeitsunfähigkeit, Wöchentliche Arbeitszeit
Schlagworte:
Inflationsausgleichsprämie, Teilzeitbeschäftigung, Krankengeldbezug, Tarifvertrag, Auskunftsanspruch, Prozessuale Zulässigkeit
Rechtsmittelinstanz:
LArbG Nürnberg, Urteil vom 24.02.2025 – 1 SLa 253/24
Fundstelle:
BeckRS 2024, 45407
Tenor
I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 500,-- € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 23.12.2023 zu bezahlen.
II. Die Widerklage wird abgewiesen.
III. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
IV. Der Streitwert wird auf 1.000,-- € festgesetzt.
V. Die Berufung wird nur hinsichtlich der Klage, nicht aber hinsichtlich der Widerklage gesondert zugelassen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten im Rahmen der Klage darüber, ob und in welcher Höhe der Klägerin ein Anspruch auf eine tarifliche Inflationsausgleichsprämie zusteht und im Rahmen der Widerklage darüber, ob die Klägerin gegenüber der Beklagten zur Auskunft verpflichtet ist, woher sie die in diesem Verfahren vorgelegte Lohnabrechnung einer anderen Mitarbeiterin der Beklagten hat.
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Die Klägerin ist bei der Beklagten, einem Betrieb des Baugewerbes, seit 2012 als Büroangestellte in Teilzeit mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden angestellt (vgl. Anstellungsvertrag vom 01.06.2012, Bl. 5 ff. der Akte).
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Vertretungsberechtigte Geschäftsführer der Beklagten sind A. und A., die jeweils allein zur Vertretung der Gesellschaft befugt sind. Die Geschäftsführer sind zudem Gesellschafter. Sie liegen miteinander im Streit. Die Klägerin ist die Ehefrau des Geschäftsführers A.
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Die Klägerin ist seit 28.06.2023 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt und bezieht seit dem 09.08.2023 Krankengeld.
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Mit ihrer Klage macht die Klägerin die Inflationsausgleichsprämie gem. § 2 des allgemein verbindlichen Tarifvertrags Inflationsausgleichsprämie für das Baugewerbe Bundesrepublik Deutschland (im folgenden TV Inflationsausgleichsprämie) geltend.
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Dieser lautet auszugsweise wie folgt:
(1) Räumlicher Geltungsbereich
Das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland.
(2) Betrieblicher Geltungsbereich
Betriebe, die unter den betrieblichen Geltungsbereich des Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) in der jeweils geltenden Fassung fallen.
(3) Persönlicher Geltungsbereich Erfasst werden
1. Angestellte und Poliere
2. gewerbliche Arbeitnehmer (Arbeiter),
3. zur Ausbildung für den Beruf eines Angestellten Beschäftigte,
4. zur Ausbildung für den Beruf eines Arbeiters Beschäftigte,
die eine nach den Vorschriften des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) versicherungspflichtige Tätigkeit ausüben.
§ 2 Inflationsausgleichsprämie
(1) Zur Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise zahlen Arbeitgeber den gewerblichen Arbeitnehmern, Angestellten und Polieren zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Entgelt eine Inflationsausgleichsprämie gemäß § 3 Nr. 11c EStG und § 1 SvEV in Höhe von insgesamt 500,00 €, zahlbar bis spätestens 30. September 2023, und weiteren insgesamt 500,00 €, zahlbar bis spätestens 30. September 2024.
(5) Ist die vereinbarte Arbeitszeit geringer als die tarifliche, so mindert sich die Inflationsausgleichsprämie im Verhältnis der vereinbarten wöchentlichen Arbeitszeit zur tariflichen Arbeitszeit. Gewerbliche Arbeitnehmer und Angestellte in Altersteilzeit erhalten unabhängig von der konkreten Verteilung der Arbeitszeit die Hälfte der jeweiligen Inflationsausgleichsprämie.
(6) Für jeden vollen Kalendermonat im Zeitraum Februar 2023 bis Dezember 2024, in dem kein Beschäftigungs- oder Ausbildungsverhältnis im Geltungsbereich besteht, vermindert sich die Inflationsausgleichsprämie um ein Dreiundzwanzigstel.“
7
Die Klägerin ist der Ansicht, dass ihr die dort geregelte Inflationsausgleichsprämie ungekürzt zustehe. Die bestehende Arbeitsunfähigkeit bzw. der Krankengeldbezug ändere daran nichts, da sich die Klägerin in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis befinde, weshalb sie in einem Beschäftigungsverhältnis im Sinne des Tarifvertrags stehe. Ihrer Ansicht nach würde das auch aus § 7 Abs. 3 SGB IV folgen, der vorsehe, dass bei Krankengeldbezug das Beschäftigungsverhältnis als fortbestehend gelte. Im Übrigen sei auch in einer gemeinsamen Mitteilung des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie und des Zentralverbands Deutsches Baugewerbe vom 30.01.2023 (vgl. Bl. 39 ff d.A.) klargestellt worden, dass Zeiträume ohne Entgeltfortzahlung (z. B. Krankengeldbezug) nicht zu einer Kürzungsmöglichkeit führten.
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Die Klägerin ist außerdem der Ansicht, dass vorliegend keine Kürzung im Hinblick auf ihre Teilzeittätigkeit nach § 2 Abs. 5 TV Inflationsausgleichsprämie erfolgen dürfe. Dies folge aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz. Denn die Beklagte habe unter anderem auch der „als Putzfrau“ beschäftigten Ehefrau des Geschäftsführers A., A., die Prämie in voller Höhe ausbezahlt, obwohl mit dieser eine vertragliche Wochenarbeitszeit von nur 10,5 Stunden vereinbart gewesen sei. Zum Beweis dieser Behauptung hat die Klägerin die Gehaltsabrechnung dieser Mitarbeiterin vom 30.09.2023 vorgelegt (vgl. Bl. 8 der Akte).
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Die Klägerin macht hilfsweise geltend, dass ihr im Falle einer Kürzung des Anspruchs wegen des Krankengeldbezugs gem. § 2 Abs. 6 TV Inflationsausgleichsprämie zumindest ein anteiliger Anspruch in Höhe von 304,35 € zustünde (wegen der Berechnung vgl. Seite 3 des klägerischen Schriftsatzes vom 15.04.2024, Bl. 32 der Akte).
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Die Klägerin beantragt zuletzt,
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 500,00 € netto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Klagezustellung zu bezahlen.
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Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen und im Wege der Widerklage:
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Die Klägerin/Widerbeklagte wird verurteilt,
der Beklagten/Widerklägerin Auskunft darüber zu erteilen, auf welche Weise und durch welche Mittel sie an die unternehmensinterne Abrechnung 09.2023 der Arbeitnehmerin A. vom 30.09.2023 gelangt ist.
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Die Klägerin beantragt,
die Widerklage abzuweisen.
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Die Beklagte ist der Ansicht, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Auszahlung der Inflationsausgleichsprämie habe. Auf Grund der Tatsache, dass die Klägerin seit dem 28.06.2023 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt sei und die Entgeltfortzahlungspflicht am 08.08.2023 geendet habe, stünde die Klägerin nicht mehr in einem Beschäftigungsverhältnis zur Beklagten im Sinne des § 7 SGB IV. Entgegen der Ansicht der Klägerin folge aus § 7 Abs. 3 S. 3 SGB IV gerade im Gegenteil, dass mit dem Krankengeldbezug das Beschäftigungsverhältnis ende.
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Die Beklagte ist außerdem der Ansicht, dass ein etwaiger Anspruch der Klägerin auf Grund ihrer Teilzeitbeschäftigung vorliegend gem. § 2 Abs. 5 TV Inflationsausgleichsprämie um 50% zu kürzen sei. Aus dem arbeitsgerichtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz ergebe sich kein Anspruch der Klägerin auf ungekürzte Auszahlung. Für die Ungleichbehandlung der Mitarbeiter läge ein sachlicher Grund vor, weil die Beklagte entschieden hätte, bei aktiv beschäftigten Arbeitnehmern in Teilzeit auf die Minderung der Inflationsausgleichsprämie zu verzichten. Die Klägerin sei aber keine aktiv beschäftigte Arbeitnehmerin, da sie sich im dauerhaften Krankengeldbezug befinde.
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Die Beklagte macht widerklageweise Anspruch auf Auskunft geltend, auf welche Weise und durch welche Mittel die Klägerin an die im Verfahren vorgelegte Abrechnung der Mitarbeiterin A. vom 30.09.2023 gelangt sei. Die Klägerin habe offensichtlich Zugang zu dieser internen Abrechnung gehabt, ohne dass ihr dieser Zugang dienstlich gewährt worden sei. Sie habe offenbar ohne Genehmigung oder ohne dienstliche Notwendigkeit die Abrechnung der Mitarbeiterin A. an sich genommen und unautorisiert kopiert. Die Gehaltsabrechnung würde ein vertrauliches und internes Dokument der Beklagten darstellen. Dieses Verhalten würde einen erheblichen Verstoß gegen betriebliche Anweisungen und die im Unternehmen geltenden Datenschutzbestimmungen darstellen. Die Beklagte habe ein erhebliches Interesse daran, zu erfahren, auf welche Weise die Klägerin an die vertrauliche Abrechnung gelangt sei, um potentielle Sicherheitslücken zu identifizieren und zukünftige Verstöße zu verhindern. Der Auskunftsanspruch ergebe sich aus § 242 BGB. Dem Auskunftsanspruch stünde nicht entgegen, dass der Geschäftsführer A. gegebenenfalls Kenntnis habe. Insoweit sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin und ihr Ehemann gegenüber der Beklagten kollusiv zusammenwirken würden. Bei A. würde überdies die Empfangszuständigkeit für die Entgegennahme der Auskunft fehlen. Dies würde aus den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze der Kollusion folgen. Die Beklagte ist schließlich der Ansicht, dass der Klägerin im Hinblick auf eine mögliche unzulässige Selbstbelastung kein Recht zur Verweigerung der Auskunft zustehe.
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Die Klägerin hält die Widerklage für unzulässig, im Übrigen unbegründet. Dem alleinvertretungsberechtigten Gesellschafter A. seien im Hinblick auf die vorgelegte Abrechnung mögliche Sicherheitslücken bekannt, so dass der Widerklage das Rechtsschutzbedürfnis fehle. Der andere Gesellschafter A. möge sich über den aus § 51a Abs. 1 GmbHG resultierenden Auskunftsanspruch Kenntnis verschaffen. Es sei nicht die Aufgabe der Klägerin, die Kommunikationsprobleme zwischen den Gesellschaftern zu beheben. Die Klägerin sei im Übrigen berechtigt die Auskunft zu verweigern, weil die Beklagte die Klägerin „ins Blaue hinein“ bei der Staatsanwaltschaft B-Stadt wegen eines angeblichen Verstoßes gegen das Bundesdatenschutzgesetz angezeigt habe. Zwar sei das Ermittlungsverfahren gegen die Klägerin zwischenzeitlich gem. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden. Mit der Einstellungsverfügung sei jedoch kein Strafklageverbrauch eingetreten. Die Klägerin oder eine ihr gegebenenfalls nahestehende Person müsste nach dem Inhalt der erteilten Auskunft gegebenenfalls mit einer Wideraufnahme des Ermittlungsverfahrens rechnen. Im Zivilprozess findet die Auskunftspflicht einer Partei jedenfalls dort ihre Grenzen, wo sie gezwungen wäre, eine von ihr womöglich begangene Straftat zu offenbaren.
18
Wegen des weitergehenden Sachvorbringens wird auf die wechselseitig eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Bezug genommen wird auch auf die Sitzungsprotokolle vom 09.02.2024 (Bl. 18 ff. der Akte) und vom 17.07.2024 (Bl. 65 ff. der Akte) sowie den gesamten Akteninhalt im Übrigen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist vollumfänglich begründet. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie iHv insgesamt 500 € zu. Die Widerklage ist zulässig, jedoch unbegründet. Der Beklagten steht der begehrte Auskunftsanspruch gegen die Klägerin nicht zu.
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Die zulässige Klage ist vollumfänglich begründet. Der Klägerin steht gem. § 2 TV Inflationsausgleichsprämie ein Inflationsausgleichsanspruch iHv. 250 € und nach dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz iHv weiteren 250 € zu.
21
1. Der Klägerin steht gem. § 2 TV Inflationsausgleichsprämie ein Inflationsausgleichsanspruch iHv. 250 € zu.
22
a. Der Geltungsbereich des TV Inflationsausgleichsprämie ist eröffnet.
23
aa) Es besteht kein Streit darüber, dass der in § 1 Abs. 1 und 2 TV Inflationsausgleichsprämie geregelte räumliche und betriebliche Geltungsbereich eröffnet ist.
24
bb) Aber auch der persönliche Geltungsbereich iSd. § 1 Abs. 3 TV Inflationsausgleichsprämie ist eröffnet. Die Klägerin steht in einem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten und ist damit „Angestellte“ iSd. § 1 Abs. 3 Nr. 1 TV Inflationsausgleichsprämie. Sie hat während der Laufdauer des Tarifvertrags (gem. § 4 TV Inflationsausgleichsprämie vom 01.02.2023 bis 31.12.2024) auch eine versicherungspflichtige Tätigkeit iSd. § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI ausgeübt. Dass sie während der Laufdauer in den Krankengeldbezug eingetreten ist, lässt den einmal eröffneten Geltungsbereich unberührt. Eine etwaige Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses während der Laufzeit des Tarifvertrags führt gem. § 2 Abs. 6 TV Inflationsausgleichsprämie lediglich zur Anspruchskürzung. Hinzukommt, dass es für den persönlichen Geltungsbereich nach § 1 Abs. 3 TV Inflationsausgleichsprämie maßgeblich auf die gesetzliche Rentenversicherungspflicht nach den Vorschriften des SGB VI ankommt und § 3 S. 1 Nr. 3 SGB VI ausdrücklich vorsieht, dass Bezieher von Krankengeld rentenversicherungspflichtig bleiben, wenn sie – wie die Klägerin – im letzten Jahr vor dem Krankengeldbezug versicherungspflichtig waren.
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b. Die Klägerin hat damit gem. § 2 Abs. 1 TV Inflationsausgleichsprämie einen seit 30.09.2023 fälligen Anspruch auf Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie. Dem steht nicht entgegen, dass sie im Fälligkeitszeitpunkt kein Arbeitsentgelt mehr, sondern Krankengeld bezogen hat. Zwar spricht § 2 Abs. 1 TV Inflationsausgleichsprämie davon, dass die Inflationsausgleichsprämie „zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Entgelt“ zu zahlen ist. Diese Formulierung ist jedoch der ausdrücklich in diesem Zusammenhang zitierten Regelung des § 3 Nr. 11 c EStG entnommen. Hintergrund dieses auch für andere Steuerbefreiungstatbestände geltenden Tatbestandsmerkmals ist der fiskalpolitische Zweck, das Lohnsteuersubstrat sowie daran anknüpfend das Beitragsaufkommen in der Sozialversicherung zu sichern, weshalb die Umwandlung von steuerpflichtigem Lohn in steuerbefreiten Lohn hiermit unterbunden werden soll (vgl. Uffmann NZA 2023, 65, 68 mwN). Aus dieser Formulierung kann daher nicht geschlossen werden, dass eine steuerbegünstigte Inflationsausgleichsprämie nur an Personen gezahlt werden kann, die im Zeitpunkt der Zahlung tatsächlich Entgeltansprüche gegen den Zahlenden haben. Vielmehr sind insbesondere auch Arbeitnehmer im Krankengeldbezug im Rahmen des § 3 Nr. 11 c EStG als begünstigungsfähig anzusehen (vgl. Uffmann NZA 2023, 65, 67).
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c. Der Anspruch ist nicht gem. § 2 Abs. 6 TV Inflationsausgleichsprämie wegen des Krankengeldbezugs der Klägerin ab 08.08.2023 zu kürzen. Die Auslegung der Regelung ergibt, dass auch während der Dauer des Krankengeldbezugs ein „Beschäftigungsverhältnis im Geltungsbereich“ des TV Inflationsausgleichsprämie besteht. Dies ergibt sich wiederum daraus, dass es für den persönlichen Geltungsbereich nach § 1 Abs. 3 TV Inflationsausgleichsprämie maßgeblich auf die gesetzliche Rentenversicherungspflicht nach den Vorschriften des SGB VI ankommt und § 3 S. 1 Nr. 3 SGB VI ausdrücklich vorsieht, dass Bezieher von Krankengeld rentenversicherungspflichtig bleiben, wenn sie – wie die Klägerin – im letzten Jahr vor dem Krankengeldbezug versicherungspflichtig waren. Hätten die Tarifvertragsparteien gewollt, dass Zeiten des Krankengeldbezugs zur Anspruchskürzung führen, hätte es nahegelegen, im persönlichen Geltungsbereich auf die allgemeinen Vorschriften des SGB IV zu verweisen, mit der Folge, dass nach § 7 Abs. 3 S. 3 SGB IV bei Krankengeldbezug nicht von einem Beschäftigungsverhältnis auszugehen wäre. Sie haben jedoch ausdrücklich auf die Regelungen zur gesetzlichen Rentenversicherungspflicht des SGB VI verwiesen, mit der Folge, dass die besondere Regelung des § 3 S.1 Nr. 3 SGB VI zu beachten ist, die eben vorsieht, dass die Rentenversichersicherungspflicht bei Krankengeldbezug erhalten bleibt.
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d. Der tarifliche Anspruch ist jedoch gem. § 2 Abs. 5 TV Inflationsausgleichsprämie wegen der Teilzeitbeschäftigung der Klägerin im Umfang von unstreitig 50% der tariflichen Arbeitszeit um 50% gemindert, so dass er im Ergebnis 250 € beträgt.
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2. Der Klägerin steht auf Grund des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes ein Anspruch auf Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie von weiteren 250 € zu.
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a) Der Arbeitgeber ist bei freiwilligen Leistungen an den Grundsatz der Gleichbehandlung gebunden, wenn er die freiwillige Leistung nach von ihm selbst gesetzten allgemeinen Regelungen gewährt. Der Gleichbehandlungsgrundsatz gebietet dem Arbeitgeber, seine Arbeitnehmer oder Gruppen von Arbeitnehmern, die sich in vergleichbarer Lage befinden, bei Anwendung einer selbst gesetzten Regel gleich zu behandeln. Er verbietet nicht nur die willkürliche Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer innerhalb einer Gruppe, sondern auch eine sachfremde Gruppenbildung. Trotz des Vorrangs der Vertragsfreiheit ist der Gleichbehandlungsgrundsatz auch bei der Zahlung der Arbeitsvergütung anwendbar, wenn diese durch eine betriebliche Einheitsregelung generell angehoben wird oder der Arbeitgeber die Leistung nach einem erkennbaren und generalisierenden Prinzip gewährt, indem er Voraussetzungen oder Zwecke festlegt. Die Begünstigung einzelner Arbeitnehmer erlaubt noch nicht den Schluss, diese bildeten eine Gruppe. Eine Gruppenbildung liegt erst dann vor, wenn die Besserstellung nach bestimmten Kriterien vorgenommen wird, die bei allen Begünstigten vorliegen. Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz ist auch dann anwendbar, wenn der Arbeitgeber – nicht auf besondere Einzelfälle beschränkt – nach Gutdünken oder nach nicht sachgerechten oder nicht bestimmbaren Kriterien Leistungen erbringt (vgl. etwa BAG vom 26.04.2023 – 10 AZR 137/22, NJW 2023, 2592, Rn. 22 mwN).
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b) Vorliegend hat die Beklagte – nach ihrem eigenen Sachvortrag – bei der Auszahlung der Inflationsausgleichsprämie von einer Kürzung nach § 2 Abs. 5 TV Inflationsausgleichsprämie bei Teilzeitbeschäftigten abgesehen, die in einem „aktiven“ Beschäftigungsverhältnis stehen und will diese nur bei „nicht aktiven“ Teilzeitbeschäftigen vornehmen, die sich – wie die Klägerin – in dauerhaftem Krankengeldbezug befinden. Damit gewährt die Beklagte insoweit übertariflich (und damit freiwillig) eine Leistung nach einer selbst gesetzten, ab-strakten Regelung, so dass der Anwendungsbereich des Gleichbehandlungsgrundsatzes eröffnet ist. Die Ungleichbehandlung von aktiven und nicht aktiven Teilzeitbeschäftigten, die sich im dauerhaften Krankengeldbezug befinden, ist jedoch sachlich nicht gerechtfertigt. Damit wird nämlich bei der Kürzung nach § 2 Abs. 5 TV Inflationsausgleichsprämie ein Differenzierungskriterium eingeführt, das dort nicht vorgesehen ist und das der Regelung des § 2 Abs. 6 TV Inflationsausgleichsprämie widerspricht, der nach der hier gefundenen Auslegung (siehe oben zu I 1 c der Gründe) gerade keine Kürzung bei Krankengeldbezug vorsieht. Außerdem führt diese Differenzierung dazu, dass Teilzeitbeschäftigte im Krankengeldbezug im Vergleich zu Vollzeitbeschäftigten im Krankengeldbezug benachteiligt werden, da letztere trotz des Krankengeldbezugs keine Kürzung hinnehmen müssen. Schließlich gibt die Beklagte durch die von ihr vorgenommene Differenzierung den in § 2 Abs. 5 TV Inflationsausgleichsprämie zum Ausdruck gekommenen Pro-rata-temporis-Grundsatz und damit den strikten Arbeitsentgelt- und Arbeitszeitbezug der Inflationsausgleichsprämie bei Teilzeitbeschäftigten gerade auf. Aus diesen Gründen ist die vorgenommene Gruppenbildung als sachfremd anzusehen. Die Klägerin hat daher einen Anspruch auf ungekürzte Auszahlung der Inflationsausgleichsprämie und damit Anspruch auf Zahlung weiterer 250 €.
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Die Widerklage ist zulässig, jedoch unbegründet.
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1. Der für die Zulässigkeit der Widerklage nach § 33 Abs. 1 ZPO erforderliche prozessuale Zusammenhang ist gegeben. Er wird durch die von der Klägerin als Beweismittel vorgelegte Lohnabrechnung vermittelt, auf die sich der widerklageweise geltend gemachte Auskunftsanspruch bezieht.
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2. Der Beklagten steht der gem. § 242 BGB begehrte Auskunftsanspruch gegen die Klägerin nicht zu, so dass die Widerklage unbegründet ist.
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a) Der geltend gemachte Auskunftsanspruch nach § 242 BGB setzt u.a. die entschuldbare Ungewissheit des Auskunftsfordernden über Bestehen und Umfang seiner Rechte sowie die Zumutbarkeit der Auskunftserteilung durch den Anspruchsgegner voraus (vgl. etwa BAG vom 26.04.2023- 10 AZR 137/22, NJW 2023, 2592).
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b) Vorliegend ist die Beklagte jedoch schon nicht entschuldbar im Ungewissen. Der allein vertretungsberechtigte Geschäftsführer und Mitgesellschafter A. hat nach dem Vorbringen der Klägerin Kenntnis darüber, wie die Klägerin an die vorgelegte Lohnabrechnung gelangt ist. Die Kenntnis ihres organschaftlichen Vertreters muss sich die Beklagte nach § 166 Abs. 1 BGB zurechnen lassen (vgl. nur MüKoBGB/Schubert, 9. Aufl. 2021, BGB § 166 Rn. 7 mwN). Das der andere alleinvertretungsberechtigte Geschäftsführer und Mitgesellschafter A. nicht über diese Kenntnis verfügt, steht dem nicht entgegen. Zu Recht verweist die Klägerin darauf, dass dieser nach Maßgabe des § 51a Abs. 1 GmbHG auskunftsberechtigt ist. Dieses Auskunftsrecht steht grundsätzlich auch einem Gesellschafter-Geschäftsführer zu (vgl. OLG München vom 21.12.2005 – 31 Wx 080/05). Soweit die Beklagte die Geltendmachung dieses Auskunftsrechts für unzumutbar hält, weil Klas A. mit seiner Ehefrau, der Klägerin, kollusiv zu Lasten der Beklagten zusammenwirken würden, ist dieser Einwand schon deshalb nicht überzeugend, weil die von der Beklagten in Anspruch genommene Klägerin nach dem Vorbringen der Beklagten ja ebenfalls am kollusiven Zusammenwirken beteiligt ist.
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c) Da der Auskunftsanspruch vorliegend schon an der erforderlichen entschuldbaren Ungewissheit scheitert, kann dahinstehen, ob er auch deshalb ausgeschlossen ist, weil der Klägerin die Auskunftserteilung vor dem Hintergrund einer möglichen strafrechtlich relevanten Selbstbelastung unzumutbar ist.
37
1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
38
2. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 61 Abs. 1 ArbGG. Für die Klage wurde ein Streitwert in Höhe von 500,00 €, für die Widerklage ein Streitwert in Höhe von ebenfalls 500,00 € angesetzt.
39
3. Die Berufungszulassung hinsichtlich der Klage beruht auf § 64 Abs. 3 Nr. 2 b) ArbGG. Hinsichtlich der Widerklage bestand kein gesetzlich begründeter Anlass, die Berufung gesondert zuzulassen.