Titel:
Rechtsanwaltsgebühren, Elektronisches Dokument, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Verspätetes Vorbringen, Streitwert, Elektronischer Rechtsverkehr, Willenserklärungen, Beweisantrag, Wert des Beschwerdegegenstandes, Kostenentscheidung, Daseinsvorsorge, Anderweitige Erledigung, Erledigung des Rechtsstreits, Hausverbot, Eigentumsgarantie, Diskriminierungsverbot, Grundstückseigentum, Qualifizierte elektronische Signatur, sachlicher Grund, Klageabweisung
Schlagworte:
Hausverbot, Hausrecht, Grundstückseigentum, Privatautonomie, Monopolstellung, Verspätetes Vorbringen
Fundstelle:
BeckRS 2024, 45175
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Der Streitwert wird auf 1.000,00 € festgesetzt.
Tatbestand
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Die Klägerin begehrt Aufhebung eines Hausverbots.
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Der Beklagte betreibt als eingetragener Kaufmann die Edeka-Filiale in der … in M. . Die 77-jährige Klägerin ist im selben Anwesen wohnhaft und tätigte regelmäßig im Supermarkt des Beklagten ihre Einkäufe, bis ihr der Beklagte Ende 2023/Anfang 2024 ein Hausverbot erteilte.
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Fußläufig in einer Entfernung von 500 bis 900 Metern zum Wohnort der Klägerin befinden sich zumindest vier weitere Supermärkte.
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Mit Schreiben vom 06.02.2024 ließ die Klägerin den Beklagten erfolglos anwaltlich auffordern, das Hausverbot zurückzunehmen.
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Die Klägerin behauptet, der Beklagte habe das Hausverbot als Reaktion auf eine Kundenbeschwerde der Klägerin ohne ersichtlichen Grund erteilt. Sie bringt vor, sie sei gesundheitlich stark eingeschränkt, leide unter Klaustrophobie, sei nicht in der Lage, längere Strecken zurückzulegen und deshalb auf den Zutritt zu der steritgegenständlichen Edeka-Filiale angewiesen. Sie ist der Ansicht, das ausgesprochene Hausverbot würde ihre Teilnahme am gesellschaftlichen Leben in erheblichem Maße beeinträchtigen.
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Sie ist der Auffassung, das Hausverbot sei rechtswidrig und beantragt:
1. Der Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin während der jeweils geltenden Öffnungszeiten uneingeschränkt Zutritt zu den für die Öffentlichkeit zugänglichen Flächen und Räumen der Edeka-Filiale Filiale in … M. zu gewähren.
2. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin Rechtsanwaltsgebühren für die außergerichtliche Vertretung in Höhe von 739,23 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
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Er trägt vor, dass Anlass für die Verhängung des Hausverbots ein wiederholtes Fehlverhalten seitens der Klägerin sei. Es immer wieder zu Problemen und Unstimmigkeiten zwischen der Klägerin und dem Beklagten bzw. dessen Mitarbeitern gekommen. Die Klägerin habe Kunden beim Betreten des Edeka-Marktes vom Fenster ihrer Wohnung aus beschimpft. Sie habe das Geschäft regelmäßig ohne Einkaufsabsicht aufgesucht und Mitarbeiter in Gespräche verwickelt und diese von der Arbeit abgehalten. Sie habe sich zudem immer wieder an der Frischetheke des Marktes Ware aufschneiden lassen und diese dann später anstatt zu kaufen im Laden abgelegt.
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Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze und die zur Akte gelangten Unterlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Anspruch gegen den Beklagten auf Rücknahme des erteilten Hausverbotes. Der Beklagte ist als Betreiber des Supermarkts aufgrund seines Hausrechts grundsätzlich berechtigt, Kunden selbst ohne sachlichen Grund ein Hausverbot zu erteilen. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob tatsächlich ein Fehlverhalten der Klägerin vorlag.
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1. Das Hausrecht beruht auf dem Grundstückseigentum oder -besitz (§§ 858 ff., 903, 1004 BGB) und ermöglicht es seinem Inhaber, in der Regel frei darüber zu entscheiden, wem er Zutritt gestattet und wem er ihn verwehrt. In ihm kommt die aus der grundrechtlichen Eigentumsgarantie (Art. 14 GG) fließende Befugnis des Eigentümers zum Ausdruck, mit der Sache grundsätzlich nach Belieben zu verfahren und andere von der Einwirkung auszuschließen (§ 903 Satz 1 BGB). Darüber hinaus ist das Hausrecht Ausdruck der durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleisteten Privatautonomie, die die Selbstbestimmung des Einzelnen im Rechtsleben schützt. Dazu gehört, dass rechtlich erhebliche Willenserklärungen in der Regel keiner Rechtfertigung bedürfen; das gilt in gleicher Weise für die Entscheidung, ob und in welchem Umfang einem Dritten der Zugang zu einer bestimmten Örtlichkeit gestattet wird (BGH, Urteil vom 29. Mai 2020 – V ZR 275/18 –, Rn. 5, juris, m.w.N.).
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2. Nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs bedarf die Erteilung eines Hausverbots daher nicht schon dann eines sachlichen Grundes, wenn der Hausrechtsinhaber die Örtlichkeit für den allgemeinen Publikumsverkehr ohne Ansehen der Person öffnet, sondern nur unter der weiteren Voraussetzung, dass die Verweigerung des Zutritts für die Betroffenen in erheblichem Umfang über die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben entscheidet. In diesem Fall greift die Wirkung von Art. 3 Abs. 1 GG zwischen dem Betreiber einer solchen Einrichtung und deren (potentiellen) Besuchern, Gästen oder Kunden über die in Art. 3 Abs. 3 GG und in den §§ 19 ff. AGG besonders geregelten Diskriminierungsverbote hinaus und stellt die Ausübung des Hausrechts durch den Veranstalter bzw. Betreiber in einen Zusammenhang mit dem Recht des Einzelnen auf Teilhabe am kulturellen Leben (vgl. BVerfGE 148, 267 Rn. 42). Dem Betreiber einer Einrichtung, die erhebliche Bedeutung für das gesellschaftliche und kulturelle Leben hat, wird eine besondere rechtliche Verantwortung zugewiesen, die es ihm verbietet, bestimmte Personen ohne sachlichen Grund auszuschließen. Welche Bedeutung der Zugang zu einer Einrichtung für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben hat, ist daher nicht aus der Perspektive des einzelnen Besuchers zu beurteilen; vielmehr ist aus objektivierter Sicht desjenigen, der die Einrichtung dem allgemeinen Publikumsverkehr öffnet, zu fragen, welche Funktion die von ihm willentlich eröffnete und betriebene Einrichtung bei typisierender Betrachtung hat. Dies zeigt auch der von dem Bundesverfassungsgericht gezogene Vergleich zu anderen Fällen der mittelbaren Grundrechtswirkung, in denen insbesondere die Unausweichlichkeit von Situationen, das Ungleichgewicht zwischen sich gegenüberstehenden Parteien, die gesellschaftliche Bedeutung von bestimmten Leistungen oder die soziale Mächtigkeit einer Seite eine maßgebliche Rolle spielen (vgl. BVerfGE 148, 267 Rn. 33), wie etwa in den Fällen des Monopols oder der strukturellen Überlegenheit (BGH, a.a.O., Rn. 17, juris).
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3. Entgegen der Auffassung der Klägerin entscheidet die Verweigerung des Zutritts für die Klägerin nicht in erheblichem Umfang über die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. Für die Beurteilung, ob eine Einrichtung erhebliche Bedeutung für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben hat, kommt es nicht auf etwaige besondere Übungen, Bedürfnisse oder Interessen des einzelnen Besuchers an, sondern darauf, für welche Art der Nutzung der Betreiber seine Einrichtung aus objektivierter Sicht willentlich geöffnet hat. Ein Supermarkt, wie ihn der Beklagte betreibt, dient der Daseinsvorsorge in Form von Einkäufen des täglichen Bedarfs, insbesondere an Lebensmitteln, nicht der sozialen Interaktion oder des kulturellen Austausches.
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4. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass eine Monopolstellung oder sonstige strukturelle Überlegenheit des Beklagten vorliegt, die dazu führt, dass bestimmte Personen nicht ohne sachlichen Grund ausgeschlossen werden könnten (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 11. April 2018 – 1 BvR 3080/09 –, Rn. 41, juris). Eine solche Monopolstellung des Marktes des Beklagten für die tägliche Daseinsvorsorge ist im konkreten Fall nicht gegeben. Der Beklagte hat unbestritten ausgeführt, dass in fußläufiger Entfernung (ab 500 Metern) weitere Supermärkte vorhanden sind, die somit auch für betagtere Kunden problemlos zu erreichen sind.
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Soweit die Beklagte vorgetragen hat, sie sei aufgrund ihrer gesundheitlichen Konstitution, insbesondere der Einschränkung der Gehfähigkeit, nicht in der Lage, diese Märkte aufzusuchen, hat der Beklagte dies bereits in der Klageerwiderung bestritten. Die hierauf durch das Gericht gewährte Frist zur Replik ist am 16.08.2024 fruchtlos abgelaufen. Daraufhin hat das Gericht am 21.08.2024 Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 11.10.2024 bestimmt. Erst mit Schriftsatz vom 10.10.2024, eingegangen am Nachmittag vor dem Terminstag, hat die Klägerin für ihre Behauptung erstmals (Zeugen-)Beweis angeboten. Der Beweisantrag ist mithin nach Ablauf der gesetzten Frist zur Replik eingegangen. Wäre er fristgerecht angebracht worden, wäre die Beweisaufnahme unmittelbar im Termin vom 11.10.2024 möglich gewesen. Infolge der Verspätung war eine Ladung des angebotenen Zeugen nicht mehr möglich und es wäre ein weiterer Termin zur Beweisaufnahme erforderlich gewesen, was die Erledigung des Rechtsstreits absolut verzögert hätte. Das verspätete Vorbringen war daher gem. § 296 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708, 711 ZPO.
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Die Entscheidung über den Streitwert beruht auf § 3 ZPO, § 63 Abs. 2 S. 1 GKG. Es ist auf das wirtschaftliche Interesse der Klägerin abzustellen, einen bestimmten Einkaufsmarkt betreten zu können. Dieses Interesse ist im Hinblick auf die vom Beklagten benannten alternativen Einkaufsmöglichkeiten in unmittelbarer Nähe mit 1.000,00 Euro angemessen bewertet (vgl. etwa KG Berlin, Beschluss vom 18. August 2022 – 2 AR 34/22 –, Rn. 8, juris).