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OLG München, Endurteil v. 27.11.2024 – 7 U 2993/23 e
Titel:

Nachbearbeitungspflicht des Versicherers bei stornogefährdeten Versicherungsverträgen

Normenkette:
HGB § 87a Abs. 3, Abs. 4, § 92
Leitsätze:
1. Die Nichtausführung (Stornierung) eines Versicherungsvertrages ist schon dann iSv § 87a Abs. 3 S. 2 iVm § 92 HGB von dem Versicherungsunternehmen nicht zu vertreten, wenn es stornogefährdete Verträge in gebotenem Umfang nachbearbeitet hat. Das Versicherungsunternehmen muss derartige Verträge selbst nachbearbeiten oder dem Versicherungsvermittler durch Stornomitteilung die Möglichkeit einer Nachbearbeitung eröffnen, wobei sich Art und Umfang der gebotenen Nachbearbeitungsmaßnahmen nach dem jeweiligen Einzelfall bestimmen. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Mit Blick auf die dem Versicherer gegenüber dem Versicherungsvermittler obliegende Treuepflicht und die sich daraus ergebende Rücksichtnahmepflicht auf das Provisionsinteresse des Versicherungsvermittlers ist es in der Regel erforderlich, dass der Versicherer den Versicherungsnehmer ernsthaft und nachdrücklich zur Durchführung des Vertrages anhält. Zu einer gerichtlichen Verfolgung des Anspruchs im Rahmen einer Prämienklage ist der Versicherer jedoch in der Regel nicht verpflichtet, zumal eine solche Klage wegen der vergleichsweise geringen monatlichen Prämien und der in der Regel langen Laufzeit des Vertrags bei entsprechender Kündigungsmöglichkeit des Versicherungsnehmers wirtschaftlich nicht sinnvoll ist. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
1. Ein Versicherungsunternehmen hat die Nichtausführung (Stornierung) eines Versicherungsvertrages schon dann im Sinne der §§ 87a Abs. 3 S. 2, 92 HGB nicht zu vertreten, wenn es stornogefährdete Verträge in gebotenem Umfang nachbearbeitet hat. Der Versicherer muss solche Verträge selbst nachbearbeiten oder dem Versicherungsvermittler durch Stornomitteilung eine Nachbearbeitung ermöglichen. Art und Umfang der gebotenen Nachbearbeitungsmaßnahmen bestimmen sich dabei nach dem jeweiligen Einzelfall. (redaktioneller Leitsatz)
2. Mit Blick auf die dem Versicherer gegenüber dem Versicherungsvermittler obliegende Treuepflicht und die sich daraus ergebende Rücksichtnahmepflicht auf das Provisionsinteresse des Versicherungsvermittlers ist es in der Regel erforderlich, dass der Versicherer den Versicherungsnehmer ernsthaft und nachdrücklich zur Durchführung des Vertrages anhält. Zu einer gerichtlichen Verfolgung des Anspruchs im Rahmen einer Prämienklage ist der Versicherer jedoch in der Regel nicht verpflichtet. Das gilt umso mehr, als eine solche Klage wegen der vergleichsweise geringen monatlichen Prämien und der in der Regel langen Laufzeit des Vertrags bei entsprechender Kündigungsmöglichkeit des Versicherungsnehmers wirtschaftlich nicht sinnvoll ist. (Leitsätze der Redaktion) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Versicherungsvertrag, Kündigung, Provision, Nachbearbeitungspflicht, Aufrechnung, Stornosicherheit, Verjährung, Versicherungsvermittler
Vorinstanz:
LG München I, Urteil vom 29.06.2023 – 31 O 12004/22
Fundstellen:
BeckRS 2024, 45094
FDVersR 2025, 945094
r+s 2025, 637

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts München I vom 29.06.2023, Az. 31 O 12004/22, abgeändert und gemäß den nachfolgenden Ziffern neu gefasst:
2. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 5.475,01 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 09.09.2022 zu bezahlen.
3. Die Widerklage wird abgewiesen.
4. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
5. Dieses Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
6. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe

1
Die Parteien streiten klagend um Rückzahlung nicht ins Verdienen gebrachter Provisionen aus der Vermittlung einer fondsgebundenen Rentenversicherung und widerklagend um Auszahlung einbehaltener Provisionen.
A.
2
Der Beklagte war ab 16.08.2018 bis 30.4.2021 aufgrund eines Mehrfach-Agenturvertrages als Versicherungsvermittler für die Klägerin tätig (Anlage K1, Beginn der Tätigkeit dort unter „I.“ vereinbart). Bestandteil dieses Vertrages sind nach dessen Ziffern II. und V. die dem Vertrag beiliegenden Provisionsbestimmungen. Die Provisionstabelle sieht für die Vermittlung von Versicherungen aus dem Bereich „Leben“ (einschließlich Rentenversicherung mit Ausnahme von Riester-Versicherungen) eine Gesamtprovision in Höhe von 44 ‰ vor, davon 29 ‰ als Abschlussprovision und 15 ‰ als Summe der Jahrescourtagen (Ziffer 1. der „Provisionstabelle VBL“ = Anlage K1, S. 3). Die Jahrescourtage wurde nach den Provisionsbestimmungen zu je einem Drittel in den Jahren 6 bis 8 vergütet (Ziffer 5.4 der „Provisionstabelle VBL“ = Anlage K1, S. 8), jedoch war nach den Provisionsbestimmungen des Vertrages in dem auf den Produktionsmonat folgenden Monat auf die gesamten Jahrescourtagen (Provisionspflichtige Summe x Jahrescourtagesatz in ‰) ein dann mit der jeweils angefallenen Jahrescourtage zu verrechnender Vorschuss zu zahlen, Anlage K 1, dort S. 10 und S. 18. Der Haftungszeitraum für die Abschlussprovision beträgt nach dem Vertrag 60 Monate (Anlage K1, S. 16).
3
Auf S. 18 f. des Vertrages findet sich unter der Überschrift „Stellung von Sicherheiten“ auszugsweise folgende Regelung:
„Für das durch die vorschüssige Vergütung von Provisionen und Jahrescourtagen entstehende Haftungsrisiko hat der MGA den VB-Unternehmen Sicherheiten zu stellen.
Als Mindestdeckung wird eine Sicherheitsquote von 30% vereinbart.
(…).
Die Sicherheiten verbleiben bei den VB-Unternehmen bis zur vollständigen Abrechnung und Deckung aller Verbindlichkeiten aus dem Vertragsverhältnis. (…) Die VB-Unternehmen sind berechtigt, gegen die Sicherheiten mit Forderungen aufzurechnen, die einem der Unternehmen gegen den MGA zustehen.“
4
Der Mehrfach-Agenturvertrag endete zum 30.04.2021 durch Kündigung des Beklagten.
5
Der Beklagte vermittelte 2020 eine mit Ausfertigungsdatum 05.12.2020 policierte fondsgebundene Rentenversicherung des Versicherungsnehmers …, Anlage K5. Diese Versicherung hatte einen Versicherungsbeginn ab 01.01.2021 und sah bei einem Beitragszahlungszeitraum von 39 Jahren die Zahlung von insgesamt 140.400 € in monatlichen Beiträgen zu je 300 € ab 01.01.2021 bis 01.01.2060 vor. Der Beklagte erhielt hierfür im Januar 2021 eine Abschlussprovision in Höhe von 4.071,60 € und einen Vorschuss auf die Jahrescourtagen in Höhe von 2.106,00 € (Anlage K 2b). Zugleich bestanden bei Beendigung des Mehrfach-Agenturvertrages Sicherheiten in Höhe von 697,05 €.
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Für den an den Versicherungsnehmer … vermittelten Vertrag konnte nachfolgend kein Erstbeitrag eingezogen werden. Nach der Mitteilung der Klägerin, dass der zum 01.01.2021 fällige Erstbeitrag nicht abgebucht werden konnte (Anlage K7), bat der Versicherungsnehmer mit Rückantwort vom 25.01.2021 (Anlage K8) zunächst, Beitragszahlung und Versicherungsschutz für zwölf Monate auszusetzen. Mit weiterem Schreiben vom 02.02.2021 bat der Versicherungsnehmer sodann, Beitragszahlung und Versicherungsschutz nur für 6 Monate auszusetzen (Anlage K9), die Klägerin bestätigte die Aussetzung für 6 Monate mit Schreiben vom 03.02.2021 (Anlage K10). Auch der Abbuchungsversuch der Klägerin zum 01.07.2021 blieb erfolglos (Anlage K11). Mit Schreiben vom 13.07.2021 (Anlage K12) bat der Versicherungsnehmer, den Beginn des Vertrages „aufgrund eines weiterhin anhaltenden finanziellen Engpasses, bedingt durch die Corona-Pandemie“ vom 01.07.2021 auf den 01.01.2022 zu verlegen. Dem Versuch einer Abbuchung des Erstbeitrags zum 01.01.2022 widersprach der Versicherungsnehmer gegenüber seiner Bank am 06.01.2022. Mit Schreiben vom 08.02.2022 kündigte der Versicherungsnehmer die Versicherung (Anlage K15). In diesem Schreiben führt der Versicherungsnehmer unter Bezugnahme auf ein Telefonat mit einer Mitarbeiterin der Klägerin aus, da die Klägerin mitgeteilt habe, dass eine Beginnverlegung nicht möglich sei und eine Kündigung mit Neuabschluss empfohlen habe, kündige er den Versicherungsvertrag. Die Klägerin bestätigte die Kündigung mit Schreiben vom 14.02.2022 und verwies den Versicherungsnehmer für Fragen zu dem Abschluss einer neuen Versicherung an den Beklagten.
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In erster Instanz behauptete die Klägerin, für die Vermittlung des Versicherungsvertrages des Versicherungsnehmers … seien dem Beklagten Provisionen in Höhe von „6.176,60 € (2.106,00 und 4.071,60 €)“, – rechnerisch richtig mithin 6.177,60 € – gutgeschrieben worden. Nach Rückbelastung dieser Provisionen weise das Konto des Beklagten unter Verrechnung von Sicherheiten in Höhe von 697,05 € (und, wie sich aus Anlage K 2 b ergibt, Verrechnung einer Gutschrift in Höhe von 5,54 €) eine Unterdeckung in Höhe von 5.475,01 € auf. Der Versicherungsvertrag sei nicht zu retten gewesen, nachdem der Versicherungsnehmer mit Schreiben vom 08.02.2022 gekündigt habe. Nachdem Beginn und Ablauf des Vertrages mehrfach verlegt wurden, habe der Versicherungsnehmer kein Interesse mehr gehabt. Der Haftungszeitraum habe für die Abschlussprovision 60 Monate, für die Jahrescourtage 12 Monate betragen. Da auf den Versicherungsvertrag keinerlei Beitrag gezahlt wurde, sei die gesamte Provision zurückzuzahlen.
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Die Klägerin beantragte,
Den Beklagten zu verurteilten, an den Kläger 5.475,01 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
9
Der Beklagte beantragte,
die Klage abzuweisen sowie, widerklagend, die Klägerin dazu zu verurteilen, an den Beklagten 697,05 € nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Die Klägerin beantragte
die Widerklage abzuweisen.
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Zur Begründung des Klageabweisungsantrags trug der Beklagte zunächst vor, der zwischen den Parteien bestehende Vertrag habe zum 31.12.2017 geendet. Die Forderungen seine daher verjährt. Die Klägerin könne zudem einen Nachweis ausreichender Nachbearbeitung nicht führen, sodass die Provisionsansprüche des Beklagten nach § 87 a Abs. 3 S. 2 HGB fortbestünden. Der Beklagte selbst habe nach Beendigung des Vermittlungsvertrages keinerlei Möglichkeit gehabt, auf den Fortbestand des Versicherungsvertrages einzuwirken. Das Scheitern des Versicherungsvertrages habe die Klägerin zu vertreten. Zur Begründung der Widerklage führt der Beklagte aus, die Klägerin habe zu Unrecht die einbehaltene Sicherheit in Höhe von 697,05 € auf den vermeintlichen Provisionsrückzahlungsanspruch verrechnet. Die Klägerin schulde daher die Auszahlung der Sicherheit an den Beklagten.
12
Mit Endurteil vom 29.06.2023, Az.: 31 O 12004/22, wies das Landgericht München I die Klage ab und verurteilte die Klägerin auf die Widerklage des Beklagten hin, an den Beklagten 697,05 € nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten ab dem 09.09.2022 zu zahlen. Zur Begründung führt das Landgericht aus, die Klägerin habe gegen den Beklagten keine Ansprüche auf Rückzahlung der Provisionen, denn die Klägerin habe nicht dargelegt, dass die Nichtausführung des vermittelten Versicherungsvertrages im Sinne von § 87 a HGB auf Umständen beruht, die die Klägerin nicht zu vertreten habe. Eine ausreichende Nachbearbeitung sei durch die Klägerin nicht erfolgt. Da der Vertrag mit dem Beklagten seit 31.12.2017 beendet gewesen sei, habe sich die Klägerin selbst um die Rettung des Versicherungsvertrages bemühen müssen. Aus dem Schreiben des Versicherungsnehmers (Anlage K15) ergebe sich zwar ein Gespräch zwischen der Klägerin und dem Versicherungsnehmer, es lasse sich daraus aber nicht entnehmen, dass die Klägerin versucht habe, den Kunden dazu zu bringen, den ursprünglichen Vertrag aufrecht zu erhalten. Für weitere Einzelheiten wird das angegriffene Urteil in Bezug genommen, § 540 ZPO.
13
Mit ihrer am 11.07.2023 eingelegten und durch Schriftsatz vom 26.07.2023 begründeten Berufung verfolgt die Klägerin ihre ursprünglichen Klageziele weiter. Der Beklagte schulde die Rückzahlung der Provisionen, da bei dem vermittelten Vertrag trotz mehrfacher Verlegung des Vertragsbeginns noch nicht einmal der Erstbeitrag bezahlt worden sei.
14
Die Klägerin beantragt, unter Abänderung des Urteils des Landgerichts
1. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 5.475,01 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
2. Die Widerklage abzuweisen.
15
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
16
Der Beklagte verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung. Das von der Klägerin in der Berufungsinstanz vorgelegte Schreiben der Klägerin an den Versicherungsnehmer vom 24.02.2022 (Anlage Bb1) bestätige gerade, dass die Klägerin das Scheitern des Versicherungsvertrages zu vertreten habe. Der Beklagte sei zu diesem Zeitpunkt kein Vermittler der Klägerin mehr gewesen. Die Klägerin habe dem Kunden keinen Ansprechpartner mitgeteilt.
17
Der Senat hat am 27.11.2024 mündlich verhandelt. Für weitere Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift der mündlichen Verhandlung vom 27.11.2024 und auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze verwiesen.
B.
18
Die form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung ist begründet. Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Rückerstattung nicht ins Verdienen gebrachter Provisionen in Höhe von 5.475,01 € nebst Rechtshängigkeitszinsen, während der mit der Widerklage geltend gemachte Anspruch nicht besteht. Auf die Berufung der Klägerin war das Urteil des Landgerichts daher abzuändern, der Beklagte entsprechend zur Zahlung zu verurteilen und die Widerklage abzuweisen.
Im Einzelnen:
19
I. Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Rückzahlung nicht ins Verdienen gebrachter Provisionen in Höhe von 5.475,01 €.
20
1. Der Beklagte hat für die Vermittlung der fondsgebundenen Rentenversicherung des Versicherungsnehmers … insgesamt unstreitig 6.176,60 € an Provisionsgutschriften erhalten, wovon 2.106 € auf die Vorschüsse an Jahrescourtagen und 4.071,60 € auf die nach dem Mehrfachagenturvertrag geschuldete Abschlussprovision entfielen. Der vermittelte Versicherungsvertrag wurde noch vor Zahlung der Erstprämie durch den Versicherungsnehmer gekündigt.
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2. Da vorliegend bereits die Erstprämie nicht bezahlt wurde, schuldet der Beklagte nach dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag grundsätzlich die Rückzahlung der Vorschüsse und die Rückerstattung der Abschlussprovision. Soweit das Landgericht in seinem Urteil davon ausgeht, die vertragliche Rückerstattungspflicht sei wegen eines Verstoßes gegen § 87a Abs. 3 und Abs. 4 HGB unwirksam (LGU S. 4 f.), übersieht das Gericht, dass sich für die hier streitgegenständliche Versicherungsvermittlung die gesetzliche Fälligkeit der Provision nicht nach § 87a HGB, sondern nach § 92 Abs. 4 HGB richtet und dass nach dieser Vorschrift eine Fälligkeit der Provisionen vorliegend nicht eingetreten wäre, da auf die vermittelte Versicherung keine Prämien bezahlt wurden. Die vertragliche Vereinbarung ist daher einschließlich der nach dem Vertrag bestehenden Rückerstattungsregelungen für den Beklagten gegenüber der gesetzlichen Regelung günstiger.
22
3. Dem Rückzahlungsverlangen der Klägerin steht vorliegend im Ergebnis auch § 87a Abs. 3 HGB nicht entgegen. Grundsätzlich gilt § 87a Abs. 3 HGB auch für die Versicherungsvermittlung. Nach § 87a Abs. 3 Satz 2 HGB in Verbindung mit § 92 HGB entfällt der Anspruch auf Provision im Falle der Nichtausführung des vermittelten Vertrags, wenn und soweit die Nichtausführung auf Umständen beruht, die nicht vom Versicherer zu vertreten sind. Das Versicherungsunternehmen muss daher stornogefährdete Verträge selbst nachbearbeiten oder dem Versicherungsvermittler durch Stornomitteilung die Möglichkeit einer Nachbearbeitung eröffnen, wobei sich Art und Umfang der gebotenen Nachbearbeitungsmaßnahmen nach dem jeweiligen Einzelfall bestimmen, BGH Urteil vom 28.06.2012 – VII ZR 130/11, juris Rz. 15.
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Mit Blick auf die dem Versicherer gegenüber dem Versicherungsvermittler obliegende Treuepflicht und die sich daraus ergebende Rücksichtnahmepflicht auf das Provisionsinteresse des Versicherungsvermittlers ist es daher in der Regel erforderlich, dass der Versicherer den Versicherungsnehmer ernsthaft und nachdrücklich zur Durchführung des Vertrages anhält, so bereits Senat, Urteil vom 27.03.2019 – OLG München, 7 U 618/18, ZVertriebsR 2019, 194, 196 Rn. 28 im Anschluss an BGH Versäumnisurteil vom 01.12.2010 – VIII ZR 310/09, juris Rn. 22. Zu einer gerichtlichen Verfolgung des Anspruchs im Rahmen einer Prämienklage ist der Versicherer jedoch in der Regel nicht verpflichtet, zumal eine solche Klage wegen der vergleichsweise geringen monatlichen Prämien und der in der Regel langen Laufzeit des Vertrags bei entsprechender Kündigungsmöglichkeit des Versicherungsnehmers wirtschaftlich nicht sinnvoll ist, s. Semmler in Ebenroth/Boujong, HGB, 5. Auflage 2024, § 92 Rn. 28 und Emde in Staub, HGB, 6. Auflage 2021, § 92 HGB Rn. 17 (Klage des Lebensversicherers auf die erste Prämie grundsätzlich unzumutbar).
24
Nach diesen Maßstäben genügt die von der Klägerin vorgenommene Nachbearbeitung des stornogefährdeten Versicherungsvertrages des Versichungsnehmers …, um eine Verantwortung der Klägerin für die Nichtausführung des Vertrages im Sinne von § 87a Abs. 3 Satz 2 HGB auszuschließen. Die Klägerin stimmte nach der Rückbelastung der ersten Lastschrift zum 01.01.2021 der zunächst gewünschten Verschiebung des Vertragsbeginns um ein Jahr, sodann auf Wunsch des Versicherungsnehmers verkürzt auf 6 Monate, zu und hatte auch nach der Rückbelastung des zweiten Versuchs, die Erstprämie zum 01.07.2021 einzuziehen, einer neuerlichen Verschiebung des Beginns des Versicherungsvertrages um weitere 6 Monate zugestimmt. Damit hat die Klägerin die ihr obliegende Nachbearbeitungspflicht erfüllt und sie war nicht verpflichtet, auch nach dem nunmehr dritten Scheitern des Einzugs der Erstlastschrift (jetzt zum 01.01.2022) einer weiteren Verschiebung des Beginns des Versicherungsvertrags zuzustimmen oder den Versicherungsnehmer zu einer Zahlung anzuhalten. Insoweit ist insbesondere beachtlich, dass bei jedem der drei gescheiterten Versuche, die Erstprämie zu erhalten, die Klägerin jeweils vertragsgemäß einen Lastschrifteinzug in die Wege geleitet hatte, während der Versicherungsnehmer eine (erneute) Verschiebung des Vertragsbeginns nicht von sich aus mit der Klägerin abgesprochen hatte, sondern zunächst nur der jeweiligen Lastschrift widersprach und erst im Nachgang zu der jeweiligen Lastschriftenrückgabe jeweils in Beantwortung einer Mitteilung der Klägerin um Verschiebung des Versicherungsbeginns bat. Da jeder der erfolglosen Versuche, die Erstprämie zu dem jeweils geänderten Termin einzuziehen, mit entsprechendem Verwaltungsaufwand und Bankkosten verbunden war, hatte die Klägerin nach den Umständen des Einzelfalls die ihr zuzumutende Nachbearbeitung mit der zweimaligen Verlegung des Versicherungsbeginns und den insgesamt drei erfolglosen Versuchen, die Erstprämie zu unterschiedlichen Zeitpunkten einzuziehen, erbracht.
25
Eine Verletzung der Nachbearbeitungspflicht der Klägerin folgt sodann und schließlich auch nicht aus dem Telefonat, das – nach dem von der Klägerin bestrittenen Beklagtenvortrag – der Versicherungsnehmer nach dem Scheitern des dritten Versuchs, die Erstprämie per Lastschrift einzuziehen, mit einem Mitarbeiter der Klägerin geführt hat. Selbst wenn man mit dem Beklagtenvortrag davon ausgeht, dass der Versicherungsnehmer dort eine neuerliche Verschiebung des Versicherungsbeginns gefordert hatte und dies von der Klägerin abgelehnt und statt dessen ggf. ein Neuabschluss verlangt wurde, so kann hierin aufgrund der oben dargelegten Umstände, insbesondere der bereits zweifach erfolgten Verlegung des Versicherungsbeginns jeweils nach einem erfolglosen Versuch, die Erstprämie per Lastschrift einzuziehen, keine Verletzung der Nachbearbeitungspflicht gesehen werden, denn der Klägerin war eine neuerliche Verlegung des Beginns der Versicherung aus Sicht des Senats nicht zumutbar. Hierbei ist auch beachtlich, dass der streitgegenständliche Versicherungsvertrag mit einer Beitragszeit von 39 Jahren auf eine besonders lange vertrauensvolle Zusammenarbeit angelegt war, die von Seiten des Versicherungsnehmers schon ganz zu Beginn des Vertrages durch die Lastschriftrückgaben wiederholt in Frage gestellt wurde.
26
4. Der Beklagte schuldet daher sowohl nach §§ 92 Abs. 2, 87a Abs. 2, 2. Hs. HGB, als auch nach dem Mehrfachagentur-Vertrag (Anlage K1, s. dort S. 18, 5. Absatz von unten), dem Grunde nach die Rückzahlung der erhaltenen, aber nicht verdienten Provision für den Versicherungsvertrag … in Höhe von 6.177,60 €. Diese Forderung ist auch nicht verjährt. Der erstinstanzliche Vortrag des Beklagten, der Vermittlungsvertrag habe bereits 2017 geendet, ist offensichtlich unzutreffend und auch in sich widersprüchlich. Die Vermittlung des hier streitgegenständlichen Versicherungsvertrages erfolgte unstreitig im Dezember 2020. Damit ist zugleich offensichtlich, dass der Beklagte noch im Jahr 2020 als Versicherungsvermittler für die Klägerin tätig war und das Vertragsverhältnis nicht bereits im Jahr 2017 beendet wurde. Der streitgegenständliche Anspruch auf Rückzahlung nicht ins Verdienen gebrachter Provisionen entstand mit der Nichtausführbarkeit des vermittelten Vertrages durch die Kündigung des Versicherungsnehmers im Februar 2022. Die Klägerin hat bereits am 05.07.2022 den gerichtlichen Mahnantrag gestellt. Eine Verjährung ist nicht eingetreten. Der Beklagte ist dem Vortrag der Klägerin, der Vermittlungsvertrag habe durch Kündigung des Beklagten zum 30.04.2021 geendet, in zweiter Instanz auch nicht mehr substantiiert entgegengetreten.
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5. Die Klägerin war nach dem Mehrfachagentur-Vertrag (Anlage K1, dort S. 19) befugt, mit der Forderung auf Rückzahlung der Provision gegen die Storno-Sicherheiten aufzurechnen. Nach Verrechnung mit der auf dem Provisionskonto verbliebenen Stornosicherheit in Höhe von 697,05 € und Verrechnung mit der weiteren Gutschrift in Höhe von 5,54 € verbleibt die mit der Klage geltend gemachte Forderung der Klägerin in Höhe von 5.475,01 €.
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6. Die Klägerin hat Anspruch auf die von ihr begehrten Zinsen nach § 291 BGB. Da das Mahnverfahren alsbald nach Widerspruch an das Streitgericht abgegeben wurde (Widerspruch am 13.09.2022, Abgabe an das Landgericht München I am 04.10.2022, s. Bl. 3 eAkte des LG), ist Rechtshängigkeit vorliegend bereits mit der Zustellung des Mahnbescheids am 08.09.2022 eingetreten, § 696 Abs. 3 ZPO, sodass der Zinslauf am 09.09.2022 beginnt.
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II. Die zulässige Widerklage ist nicht begründet. Auf die Berufung der Klägerin war das Urteil des Landgerichts auch insoweit abzuändern und die in erster Instanz zugesprochene Widerklage war abzuweisen. Zwar wies das Provisionskonto des Beklagten am 28.03.2022 als Stornosicherheit einbehaltene Provisionen in Höhe von 697,05 € aus, Anlage K2b. Wie oben unter I.5 dargelegt, konnte die Klägerin mit ihrer Forderung auf Rückzahlung der Provisionen aus dem an den Versicherungsnehmer … vermittelten Vertrag gegen die Stornosicherheit aufrechnen. Der Anspruch des Beklagten auf Auszahlung der als Stornosicherheit einbehaltenen Provisionen ist als Folge dieser Aufrechnung erloschen, § 389 BGB.
C.
30
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 97 ZPO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt § 708 Nr. 10, 713 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, da ein Zulassungsgrund im Sinne von § 543 Abs. 2 ZPO nicht besteht. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung, noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Zu entscheiden waren Fragen des Einzelfalls.