Inhalt

VGH München, Beschluss v. 12.02.2024 – 4 C 23.1887, 4 C 23.1888
Titel:

Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung im Rahmen eines Vereinsverbotes 

Normenketten:
VereinsG § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 4, § 10 Abs. 2, Abs. 5 S. 2
VwGO § 146 Abs. 1
GG Art. 9
Leitsätze:
1. Beim Erlass einer richterlichen Durchsuchungsanordnung nach § 10 Abs. 2 S. 5 VereinsG ist die Rechtmäßigkeit der zugrundeliegenden sofort vollziehbaren Verbotsfeststellung (§ 3 Abs. 1 VereinsG) und der damit verbundenen Beschlagnahme- und Einziehungsverfügungen (§ 3 Abs. 1 S. 2 VereinsG) nicht in vollem Umfang zu überprüfen, da dies jeweils in gesonderten Klage- oder Eilverfahren durch andere gerichtliche Spruchkörper zu geschehen hat. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Durchsuchung von Wohn- oder Geschäftsräumen zum Zwecke der Sicherstellung vereinsrechtlich beschlagnahmter Sachen setzt gem. § 10 Abs. 2 VereinsG nur eine wirksame und vollziehbare Beschlagnahmeanordnung voraus; ob diese behördliche Verfügung und die ihr zugrundeliegende Verbotsfeststellung zu Recht ergangen sind, kann und muss der zuständige Richter (§ 10 Abs. 2 S. 6 VereinsG) vor Erlass der Durchsuchungsanordnung als einer Vollzugsmaßnahme nicht im Einzelnen aufklären und abschließend bewerten. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der nach § 10 Abs. 2 S. 6 VereinsG zuständige Richter ist allerdings verpflichtet, die für die Verbots- und Beschlagnahmeverfügung angeführten Gründe in summarischer Form auf ihre Schlüssigkeit und Plausibilität hin zu überprüfen und im Falle offenkundiger Mängel den Antrag auf Anordnung der Durchsuchung abzulehnen. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beschwerde, Durchsuchungsanordnung, Beschlagnahmeanordnung, Vereinsverbot, Vereinsrechtliches Ermittlungsverfahren, Wohnung, Schlüssigkeitsprüfung, V-Leute, Nationalsozialismus, Beweismittel, Vereinsvermögen
Vorinstanzen:
VG Würzburg, Beschluss vom 22.09.2023 – W 5 X 23.1344
VG Würzburg, Beschluss vom 22.09.2023 – W 5 X 23.1345
Fundstelle:
BeckRS 2024, 4493

Tenor

I. Die Verfahren 4 C 23.1887 und 4 C 23.1888 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
II. Die Beschwerden der Antragsgegner werden zurückgewiesen.
III. Die Antragsgegner haben die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
IV. Der Streitwert wird für die Beschwerdeverfahren vor Verbindung auf jeweils 2.500 Euro, nach Verbindung auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragsgegner sind Eheleute. Mit Beschlüssen vom 22. September 2023 erließ das Verwaltungsgericht Würzburg auf einen vom Antragsteller am 21. September 2023 gestellten Antrag hin gegenüber der Antragsgegnerin zu 1 (Az. W 5 X 23.1344) und dem Antragsgegner zu 2 (Az. W 5 X 23.1345) jeweils eine auf ihre gemeinsame Wohnung bezogene vereinsrechtliche Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung, die am 27. September 2023 vollzogen wurde.
2
Die Antragsgegner wenden sich dagegen mit ihren am 11. Oktober 2023 beim Verwaltungsgericht Würzburg eingegangenen Beschwerden. Sie beantragen jeweils,
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„die Durchsuchungsbeschlüsse vom 22.8.2023, welche am 27.9.2023 vollzogen und bekannt gemacht wurden, aufzuheben und festzustellen, dass diese rechtswidrig waren und die Beschlagnahmegüter herauszugeben sind.
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Hilfsweise wird beantragt, die über die Durchsuchungsbeschlüsse hinaus beschlagnahmten Gegenstände herauszugeben.“
5
Zur Begründung tragen sie vor, die Antragsgegnerin zu 1 sei zwar „Leiterin“ des mit Verbotsverfügung des Bundesministeriums des Inneren und für Heimat mit Verfügung vom 4. August 2023 verbotenen Vereins „Die Artgemeinschaft – Germanische Glaubensgemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e. V.“. Es sei aber keine Eintragung ins Vereinsregister erfolgt. Nachprüfbare Belege für die Teilnahme der Antragsgegner an Vereinsveranstaltungen fehlten. Die Durchsuchungsbeschlüsse gegen die Eheleute unterschieden außerdem nicht ausreichend zwischen Vereins- und Privatvermögen. Die Vollzugsbehörden hätten zu weitgehend und zu umfangreich beschlagnahmt. Auch an der Verbotsverfügung bestünden erhebliche Zweifel, da die dort aufgeführten Belege schon lange zurücklägen.
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Der Antragsteller tritt den Beschwerden entgegen.
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Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten im vorliegenden Verfahren und im Ausgangsverfahren verwiesen.
II.
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Der weit gefasste Beschwerdeantrag vom 19. November 2023 bedarf der Auslegung.
9
Da die Beschlüsse jeweils in Ziffer III. die Beschlagnahme von Gegenständen und Unterlagen nur insoweit anordnen, als sie mit dem Zweck der Durchsuchung nach Ziffer I. Unterpunkt 3 im Zusammenhang stehen, kann sich das Rechtschutzbegehren der Antragsteller bei verständiger Auslegung (§ 88 VwGO) allein hierauf beziehen und nicht – wie die Formulierung im Beschwerdeschriftsatz nahelegen mag – auf die bereits mit dem Vereinsverbot verbundene Beschlagnahmeanordnung (§ 3 Abs. 1 Satz 2 VereinsG). Ein etwaiger Anspruch auf Herausgabe von Gegenständen, die nach Ansicht der Antragsgegnerin zu 1 weder zum Vereinsvermögen im Sinn des § 3 Abs. 1 Satz 2 VereinsG zählen noch als Beweismittel einzustufen sind, wäre wiederum vor dem Verwaltungsgericht im Wege einer eigenen (Leistungs-)Klage geltend zu machen, die nach unbestrittener Mitteilung des Antragstellers ohnehin schon anhängig gemacht wurde (Az. W 5 K 23.1476). In diesem Verfahren steht es den Antragsgegnern auch offen, die Übergabe eines Beschlagnahmeverzeichnisses gem. § 9 Abs. 3 VereinsG-DVO bzw. § 107 StPO einzufordern.
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Die Beschwerdeschrift enthält auch keinen Hinweis darauf, dass eine Durchsuchung der Antragsgegner selbst stattgefunden hat, wie sie in Ziff. II. angeordnet wurde, so dass auch nicht davon auszugehen ist, dass insoweit eine Feststellung begehrt wird. Ebenso wenig gibt die Beschwerdeschrift Anlass zu der Annahme, dass die Antragsgegner aus eigenem oder fremden Recht gegen die in den Ziffern V. verfügten begleitenden Duldungsanordnungen gegenüber dem jeweiligen Ehepartner und den gemeinsamen Kindern vorgehen wollen.
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1. Die Beschwerden gegen die richterlichen Durchsuchungsanordnungen sind nach § 146 Abs. 1 VwGO statthaft (vgl. Albrecht in Albrecht/Roggenkamp, VereinsG, 2014, § 4 Rn. 78) und innerhalb der Frist des § 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO eingelegt worden. Eine Beschwerdebegründungsfrist, wie es die Rechtsbehelfsbelehrungannimmt, sieht die Verwaltungsgerichtsordnung nur bei Eilverfahren vor (§ 146 Abs. 4 Satz 1).
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Da die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts vom 22. September 2023 durch die fünf Tage später erfolgte Durchsuchung der Wohnräume bereits vollzogen worden sind und sich damit hinsichtlich der angeordneten Wohnungsdurchsuchung erledigt haben, kann mit den vorliegenden Beschwerden insoweit nur noch das Ziel verfolgt werden, entsprechend § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO die Rechtswidrigkeit der richterlichen Durchsuchungsanordnungen feststellen zu lassen (vgl. BayVGH, B.v. 26.7.2004 – 4 C 04.360 – juris Rn. 7; B.v. 25.8.2008 – 4 C 08.1341 – juris Rn. 12; B.v. 8.1.2015 – 4 C 14.1708; VGH BW, B.v. 27.10.2011 – 1 S 1864/11 – NVwZ-RR 2012, 198; OVG Berlin-Bbg, B.v. 21.12.2012 – OVG 1 L 82.12 – NVwZ-RR 2013, 410; SächsOVG, B.v. 12.11.2013 – 3 E 70/13 – juris Rn. 4). Das dafür erforderliche Interesse an einer nachträglichen Feststellung ist bei Anordnungen, die das Grundgesetz vorbeugend dem Richter vorbehalten hat, wie z. B. die Durchsuchung von Wohn- oder Geschäftsräumen des Betroffenen (BVerfG, B.v. 5.7.2013 – 2 BvR 370/13 – juris Rn. 16), – und damit auch vorliegend – gegeben.
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2. Die Beschwerden gegen die richterlichen Durchsuchungsanordnungen bleiben ohne Erfolg, da die Voraussetzungen für die Anordnung zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorlagen.
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2.1 Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass beim Erlass einer richterlichen Durchsuchungsanordnung nach § 10 Abs. 2 Satz 5 VereinsG die Rechtmäßigkeit der zugrundeliegenden sofort vollziehbaren Verbotsfeststellung (§ 3 Abs. 1 VereinsG) und der damit verbundenen Beschlagnahme- und Einziehungsverfügungen (§ 3 Abs. 1 Satz 2 VereinsG) nicht in vollem Umfang zu überprüfen ist, da dies jeweils in gesonderten Klage- oder Eilverfahren durch andere gerichtliche Spruchkörper zu geschehen hat (vgl. HambOVG, B.v. 23.1.2001 – 4 Bs 299/00 – juris Rn. 6; OVG Bremen, B.v. 11.9.2013 – 1 S 131/13 – juris Rn. 9; SächsOVG, B.v. 12.11.2013 – 3 E 70/13 – juris Rn. 12; VG Augsburg, B.v. 21.12.2005 – Au 4 V 05.2015 – juris Rn. 3). Die Durchsuchung von Wohn- oder Geschäftsräumen zum Zwecke der Sicherstellung vereinsrechtlich beschlagnahmter Sachen setzt gemäß § 10 Abs. 2 VereinsG nur eine wirksame und vollziehbare Beschlagnahmeanordnung voraus; ob diese behördliche Verfügung und die ihr zugrundeliegende Verbotsfeststellung zu Recht ergangen sind, kann und muss der zuständige Richter (§ 10 Abs. 2 Satz 6 VereinsG) vor Erlass der Durchsuchungsanordnung als einer Vollzugsmaßnahme nicht im Einzelnen aufklären und abschließend bewerten (vgl. Seidl in Albrecht/Roggenkamp, VereinsG, § 10 Rn. 33). Er ist allerdings verpflichtet, die für die Verbots- und Beschlagnahmeverfügung angeführten Gründe in summarischer Form auf ihre Schlüssigkeit und Plausibilität hin zu überprüfen und im Falle offenkundiger Mängel den Antrag auf Anordnung der Durchsuchung abzulehnen (vgl. VGH München, B.v. 15.12.2005 – 4 C 05.2586 – juris; HambOVG, a.a.O.; OVG Bremen, a.a.O.). Dies folgt aus dem Grundgedanken der (in den Fällen des § 10 Abs. 2 Satz 5 VereinsG allerdings nicht unmittelbar anwendbaren) Vorschrift des § 6 Abs. 1 VereinsG und entspricht auch dem in Art. 19 Abs. 4 GG verankerten Gebot effektiven Rechtsschutzes, das gerade bei vereinsrechtlichen Eingriffsmaßnahmen gegenüber Dritten (§ 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, § 10 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2, § 12 Abs. 3 VereinsG) besondere Beachtung verlangt.
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2.2 Dass nach diesem Maßstab keine durchgreifenden Bedenken gegen die in der vereinsrechtlichen Verfügung des Bundesministeriums des Innern und für Heimat (BMI) vom 4. August 2023 enthaltene Verbotsfeststellung und Auflösungsverfügung gegenüber dem Verein „Artgemeinschaft“ bestehen, hat das Verwaltungsgericht nachvollziehbar dargelegt und wird von den Antragsgegnern in ihren Beschwerden nicht substantiiert in Frage gestellt.
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Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 VereinsG i.V. mit Art. 9 Abs. 2 Alt. 2 GG ist eine Vereinigung verboten, wenn sie sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richtet. Zu dieser Ordnung gehören nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vor allem die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten sowie das demokratische Prinzip mit der Verantwortlichkeit der Regierung, das Mehrparteienprinzip und das Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition (vgl. BVerwG, U.v. 13.5.1986 – 1 A 12/82 – Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 8 S. 7; U.v. 30.8.1995 – 1 A 14/92 – NVwZ 1997, 66; U.v. 13.4.1999 – 1 A 3/94 – NVwZ-RR 2000, 70). Das Verbot einer Vereinigung ist nicht schon gerechtfertigt, wenn diese die verfassungsmäßige Ordnung lediglich ablehnt und ihr andere Grundsätze entgegenstellt. Sie muss ihre verfassungsfeindlichen Ziele auch kämpferisch-aggressiv verwirklichen wollen. Dazu genügt, dass sie die verfassungsmäßige Ordnung fortlaufend untergraben will; sie muss ihre Ziele nicht durch Gewaltanwendung oder sonstige Rechtsverletzungen zu verwirklichen suchen (BVerwG, U.v. 2.12.1980 – 1 A 3/80 – BVerwGE 61, 218/220). Eine zum Verbot führende Zielrichtung gegen die verfassungsmäßige Ordnung ist ohne Weiteres dann zu bejahen, wenn eine Vereinigung in Programm, Vorstellungswelt und Gesamtstil eine Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus aufweist.
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Das Verwaltungsgericht ist nach summarischer Prüfung der Verbotsverfügung davon ausgegangen, dass diese anhand einer Vielzahl von Erkenntnissen überzeugend eine Wesensverwandtschaft der Vereinigung Artgemeinschaft mit dem Nationalsozialismus darlege. Das von der Vereinigung befürwortete Konzept der biologisch definierten „Volksgemeinschaft“, ihre antisemitische Grundhaltung und die damit einhergehende Verächtlichmachung der bestehenden demokratischen Ordnung weise deutliche Parallelen zum Nationalsozialismus auf. Diese Einschätzung teilt der Senat.
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Die in der Beschwerdebegründung geäußerten Einwände überzeugen nicht.
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Die Forderung nach einer Erklärung des Bundesamtes für Verfassungsschutz, die Vereinigung sei nicht durch V-Leute beeinflusst, wird nicht durch Anhaltspunkte gestützt, die eine solche Beeinflussung auch nur entfernt nahelegen könnten. Sie verkennt außerdem, dass sich die Verbotsverfügung nicht nur auf eine Vielzahl von Schriftwerken stützt, sondern auf zentrale Publikationen der Vereinigung Bezug nimmt, die das Selbstverständnis des Vereins seit Jahrzehnten prägen. Ebenso wenig verfängt daher der pauschale Einwand der Beschwerde, länger zurückliegende Äußerungen könnten nicht als Beleg angeführt werden, zumal eine weitestgehend unveränderte Fassung der erstmals 1954 erschienenen und vom damaligen Vorsitzenden Rieger überarbeiteten Schrift „Artbekenntnis“ als Teil der Vereinssatzung („Unsere Ordnung“, Nr. 16) zuletzt Anfang 2023 in der Vereinszeitschrift „N. Zeitung“ erschienen ist. Dies räumt auch die Beschwerdebegründung ein, wenn sie ausführt, „der Verein bzw. seine Mitglieder [hätten] sich von seiner Gründung 1951 an zu diesem Artbekenntnis bekannt“. Eine Distanzierung von in der Vereinsatzung referenzierten Gründungsschriften und ihrer Kommentierung, an denen die Vereinigung über Jahrzehnte festgehalten hat, musste das BMI daher auch nicht als milderes Mittel in Betracht ziehen, weil es einer Auflösung der Vereinigung in ihrer jetzigen Form gleichgekommen wäre. Die Verbotsverfügung (S. 62 ff). verweist weiterhin auf den Buchdienst „a.“ des Vereins, über den seit 2015 rechtsextremistische Literatur vertrieben worden sei (Autoren wie Karl Hein, Jürgen Rieger sowie diverse „Kinder- und Jugendbücher“, die den „Kampf der eigenen Art“ gegen das „Fremde und Böse“ zum Gegenstand haben und vor der „biblischen Vergiftung von Begriffen schützen“ solle, in dem das Kind eine „arteigen ausgerichtete Vorstellung“ erlerne).
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Der Annahme einer Wesensverwandtschaft zum Nationalsozialismus in Programm, Vorstellungswelt und Gesamtstil, die die Verbotsverfügung unter Auswertung von eigenen Regelwerken der Vereinigung, ihren Publikationen in Vereinszeitschriften und eigenem Buchhandel, Sozialen Medien, der Nutzung szenetypischer Parolen und Grußformeln und der Vernetzung mit anderen rechtsextremistischen Personen und Organisationen auf rund siebzig Seiten begründet, setzt die Beschwerdebegründung nur die Einwendung entgegen, der Begriff der „Erbkrankheit“ sei keine „Erfindung des Nationalsozialismus“. Zu dieser Argumentationsform führte das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 1. September 2010 (6 A 4/09 – juris) im Rahmen des damaligen Verbots des Vereins „Heimattreue Deutsche Jugend“ zutreffend aus, die Klagepartei bediene sich „mit diesen Äußerungen eines bekannten Argumentationsmittels, das darin besteht, eine Aussage aus einem anderweitigen, nicht negativ besetzten historischen oder anerkannten wissenschaftlichen Zusammenhang zu entnehmen, diese mit einer dem Wortlaut, aber nicht dem Sinn nach übereinstimmenden positiven Aussage zum Nationalsozialismus gleichzusetzen und dann zu schlussfolgern, dass diese nicht missbilligt werden dürfe, wenn dies mit jener nicht gleichermaßen geschehe. Diese Art der Auseinandersetzung bleibt rein formal und missdeutet deshalb inhaltlich die historischen Tatsachen.“ Wie schon der Verein „Heimattreue Deutsche Jugend“ bekennt sich auch der Verein „Artgemeinschaft“ zur sog. „Volksgemeinschaft“ als Kernbegriff der nationalsozialistischen Ideologie und zur Ausgrenzung von „volksschädlichen“ und „volksfremden“ Personen (vgl. BVerwG U.v. 1.9.2010 – 6 A 4/09 – NVwZ-RR 2011, 14 f; BayVGH, B.v. 11.4.2011 – 4 C 10.2246), wie insbesondere aus der synoptischen Gegenüberstellung der Verbotsverfügung deutlich wird (BA S. 40 ff.).
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Ohne Erfolg wendet sich die Beschwerdebegründung schließlich gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts und der Verbotsverfügung, dass die Vereinigung ihre verfassungsfeindlichen Ziele kämpferisch-aggressiv verwirklichen wolle, wozu eine kämpferisch-aggressive Haltung ausreiche (vgl. dazu BVerfG, B.v. 13.7.2018 – 1 BvR 1474/12 – BVerfGE 149, 160 Rn. 109). Auf eine tatsächliche Gefährdung kommt es dabei nicht an; für das Verbot einer Vereinigung genügen auch Aktivitäten, die sich gegen elementare Bestandteile der verfassungsmäßigen Ordnung auf gemeindlicher oder lokaler Ebene in „abgegrenzten Sozialräumen“ richten (vgl. BVerfG, U.v. 17.01.2017 – 2 BvB 1/13 – BVerfGE 144, 20 Rn. 933 ff.), auch wenn im Rahmen dieser Aktivitäten geäußerte Meinungen noch von Art. 5 GG geschützt sein mögen (dies verkennt VG Frankfurt, B.v. 7.9.2023 – 5 L 2671/23.F – juris Rn. 13). Dies deckt sich mit Stimmen in Rechtsprechung und Literatur, die auf Betätigungen abstellen, die auf ein „Wirksamwerden“ der verfassungsfeindlichen Ideologie gerichtet sind (vgl. Roth in Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Aufl. 2019, VereinsG, § 3 Rn. 74).
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Die kämpferisch-aggressive Haltung bejaht die Verbotsverfügung insbesondere mit dem Hinweis auf die beabsichtigte Indoktrinierung von Kindern und Jugendlichen und die Herabwürdigung des politischen Gegners. Soweit die Beschwerdebegründung annimmt, die Vereinigung wolle „unter sich“ bleiben und wolle gerade keine Außenwirkung erzielen, steht dies im Gegensatz zu diversen in der Verbotsverfügung zitierten Passagen in den Regelwerken des Vereins, die auf die – auch gewaltsame – Durchsetzung der eigenen Ideologie gegenüber Außenstehenden und Andersdenkenden gerichtet sind (wiederum exemplarisch: „Kampf ist Teil des Lebens. [..]. Jeder einzelne von uns wie unsere gesamte Art stehen in diesem Ringen.“ [Artbekenntnis Nr. 2]; „Das Sittengesetz in uns gebietet uns […] Wehrhaftigkeit bis zur Todesverachtung gegen jeden Feind von Sippe, Land, Volk, germanischer Art und germanischem Glauben“ [Nr. 3]; „Das Sittengesetz in uns gebietet [die] Steigerung unserer Kraft, Macht zu wollen und sich ihrer mit Bedacht zu bedienen“ [Nr. 8]). Die zitierte „Küre 2 des Artbekenntnisses“ wurde von Rieger nach der Verbotsverfügung wie folgt kommentiert: „Wenn unsere Welt in Ordnung wäre, könnten wir die Hände in den Schoß legen und die Regierung ‚machen lassen‘. Aber sie ist aus den Fugen. […] Wer dies erkennt, gleichwohl schweigt und nicht Kraft und Geld zur Bekämpfung einsetzt, wird mitschuldig“.
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Die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Verbotsverfügung liegen damit nach summarischer Prüfung vor; zur Ablehnung der Durchsuchung führende offenkundige Mängel sind spiegelbildlich dazu nicht gegeben.
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2.3. Das Verwaltungsgericht hat die Zulässigkeit der beantragten Wohnungsdurchsuchung im Hinblick auf die ersten beiden Durchsuchungszwecke zutreffend am Maßstab des § 10 Abs. 2 VereinsG gemessen. Nach dieser Vorschrift können aufgrund der nach § 3 Abs. 1 Satz 2 VereinsG mit der Verbotsverfügung verbundenen Beschlagnahme von Sachen im Gewahrsam des Vereins und aufgrund besonderer Anordnung auch Sachen im Gewahrsam Dritter sichergestellt werden. Soweit es der Zweck der Sicherstellung erfordert, dürfen Räume betreten sowie verschlossene Türen und Behältnisse geöffnet werden (vgl. § 10 Abs. 2 Satz 2 VereinsG).
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2.3.1 Das Gericht hat insoweit zu prüfen, ob hinreichende Anhaltspunkte (vgl. die insoweit identische Regelung in § 4 Abs. 4 Satz 2 VereinsG) dafür bestehen, dass die Durchsuchung zum Auffinden von sicherzustellendem Vereinsvermögen führen wird (vgl. BayVGH B.v. 25.8.2008 – 4 C 08 1341 – juris Rn. 18; Seidl in Albrecht /Roggenkamp, VereinsG, § 10 Rn. 33; Roth, a.a.O., VereinsG, § 10 Rn. 33 ff.), da nur dann der Zweck der Sicherstellung eine Durchsuchung erfordert (§ 10 Abs. 2 Satz 2 VereinsG). Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebietet hierbei eine abgestufte Vorgehensweise, die sich an der Rolle bzw. Stellung des Wohnungsinhabers im Verein orientiert (vgl. im Einzelnen Roth a.a.O. zur jeweiligen Darlegungslast der Behörde). Bei Vorstandsmitgliedern ist ohne weiteres davon auszugehen, dass hinreichende Anhaltspunkte für das Auffinden von Vereinsvermögen bestehen. Ausreichend kann aber auch das faktische Innehaben einer leitenden Stellung im Verein sein (vgl. § 4 Abs. 4 Satz 2 VereinsG: „Hintermann“). Ist aufgrund einer gemeinsamen Wohnung von einem Mitgewahrsam Dritter auszugehen, so liegen auch in Bezug auf diese Dritten hinreichende Anhaltspunkte für die Gebotenheit einer Durchsuchung vor.
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2.3.2 Das Verwaltungsgericht hat für die Wohnung der Antragsgegnerin zu 1 hinreichende Anhaltspunkte für das Auffinden von Vereinsvermögen bejaht und zur Begründung ausgeführt, diese sei ausweislich der Niederschrift des „Thing-Treffens“ im Oktober 2021 zur neuen Leiterin gewählt und darauffolgend auch in das Vereinsregister als Vorstand eingetragen worden. Auch zuvor habe sie als stellvertretende Leiterin Führungsfunktionen innegehabt und an der Verbreitung der Vereinsideologie an Kinder und Jugendliche mitgewirkt. Die Leitungsfunktion der Antragsgegnerin zu 1 wird auch in der Beschwerdebegründung eingeräumt. Ihr Bestreiten der Eintragung ins Vereinsregister ist für den Senat angesichts des der Verbotsverfügung beigefügten anderslautenden Registerauszugs schon nicht nachvollziehbar; auf die formale Eintragung käme es nach dem oben dargelegten Maßstab aber auch nicht entscheidungserheblich an. Angesichts der unbestrittenen Leitungsfunktion der Antragsgegnerin zu 1 bedarf es keiner weiteren „Belege der Einbindung in die Vereinigung“, wie die Beschwerden offenbar meinen.
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Soweit die Beschwerden rügen, die Vollzugsbehörden hätten zu weitgehend und zu umfangreich beschlagnahmt, weil die Durchsuchungsbeschlüsse ihrer Umgrenzungsfunktion nicht gerecht geworden seien, und zum Beleg hierfür aus dem Entwurf des Sicherstellungsbescheids zitieren, verkennen sie, dass die Beschlagnahme des Vereinsvermögens nicht Gegenstand der gerichtlichen Anordnungen war, sondern Teil der Verbotsverfügung (Nr. 5 – 7). Soweit § 4 Satz 2 VereinsG-DVO für die Beschlagnahme von Vereinsvermögen im Gewahrsam Dritter einen Sicherstellungsbescheid fordert, wirken sich etwaige Mängel dieses Bescheids auch nicht unmittelbar auf die Rechtmäßigkeit der Durchsuchungsanordnung aus. Der Sicherstellungsbescheid soll die Behörde zwar auch dazu anhalten, die im Falle des Gewahrsams Dritter nicht auf der Hand liegende Zugehörigkeit von Gegenständen zum Vereinsvermögen zu begründen (§ 4 Satz 3 VereinsG-DVO). Damit wird gewährleistet, dass bei Dritten keine Durchsuchung auf Verdacht, sondern nur im Falle konkreter Anhaltspunkte für das Auffinden von Vereinsvermögen erfolgt. Diese Anhaltspunkte kann die Behörde aber auch im Durchsuchungsantrag darlegen, da der Sicherstellungsbescheid als Grundlage der Beschlagnahme ohnehin erst zum Zeitpunkt der Sicherstellung bekannt gegeben werden muss (vgl. BayVGH, B.v. 24. 9. 2002 – 4 C 02/41- juris; VGH BW, B.v. 27. 10. 2011 − 1 S 1864/11 = NVwZ-RR 2012, 198) und auch im Falle einer fehlenden Begründung einer nachträglichen Heilung gem. Art. 45 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG zugänglich ist (vgl. Roth, a.a.O., VereinsG, § 10 Rn. 16 m.w.N.). Etwaige Mängel des Sicherstellungsbescheids betreffen dann nur die hier nicht streitgegenständliche Frage, ob sichergestellte Gegenstände wieder herausgegeben werden müssen. Für Gegenstände im Gewahrsam der Antragsgegnerin zu 1 stellt sich diese Frage auch deshalb nicht, weil sie als Organ des Vereins nicht als Dritte im Sinne des § 4 Satz 3 VereinsG-DVO anzusehen ist. Vereinsvermögen in ihrem Gewahrsam konnte die Vollzugsbehörde bereits aufgrund der für sofort vollziehbaren erklärten Beschlagnahmeanordnung in der Verbotsverfügung in Gewahrsam nehmen (§ 3 Satz 1 VereinsG-DVO).
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Der dritte vom Verwaltungsgericht genannte Durchsuchungszweck der Beschlagnahme von Beweismitteln zur weiteren Aufklärung der Vereinsstrukturen findet seine Rechtsgrundlage, wie das Verwaltungsgericht zutreffend darlegt, in § 4 Abs. 4 VereinsG. Für den konkreten Fall ist allerdings weder erkennbar noch vorgetragen, dass diesem Durchsuchungszweck eine eigenständige Begrenzungsfunktion zukam. Die Anordnung des Verwaltungsgerichts wäre daher selbst dann als rechtmäßig anzusehen, wenn gegen den dritten Durchsuchungszweck rechtliche Bedenken bestünden (vgl. BayVGH, B.v. 8.1.2015 – 4 C 14.1708 – juris Rn. 25). Der Senat sieht daher insoweit von weiteren Ausführungen ab.
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3. Die Beschwerden gegen die Beschlagnahmeanordnungen sind zulässig, aber ebenfalls unbegründet.
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3.1 Hinsichtlich der angeordneten Beschlagnahme wirken die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts möglicherweise noch fort, da die nicht näher spezifizierten beschlagnahmten Gegenstände bislang nach unbestrittenem Vortrag der Antragsgegner nicht zurückgegeben wurden. Der Senat kann nicht ausschließen, dass auch Gegenstände beschlagnahmt wurden, die unter die jeweilige Nummer III. der Beschlüsse des Verwaltungsgerichts fallen, also als Beweismittel von Bedeutung sein können, ohne dass sie bereits als Vereinsvermögen oder Sachen Dritter im Sinn des § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 3 VereinsG der Beschlagnahme unterlagen. Unter dieser Voraussetzung könnten die Antragsgegner einen zumindest möglichen Anfechtungsanspruch geltend machen. Im Falle der Erledigung der Beschlagnahmeanordnung könnten die Antragsgegner ein (Fortsetzungs-)Feststellungsinteresse vorweisen.
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3.2 Die hiernach zulässigen Beschwerden bleiben ohne Erfolg, da die angeordnete Beschlagnahme von (im Beschluss näher bezeichneten) Gegenständen und Unterlagen auf § 4 Abs. 4 Satz 2 und § 4 Abs. 4 Satz 1 VereinsG gestützt werden konnte.
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3.2.1 Als Beweismittel von Bedeutung im Sinne des § 4 Abs. 4 Satz 1 VereinsG können Gegenstände nur dann sein, wenn zumindest ein Anfangsverdacht für das Vorliegen von Verbotsgründen gegeben ist. Wird die Beschlagnahmeanordnung wie hier mit einer Durchsuchung einer Wohnung verbunden, kommt dieser Voraussetzung aber keine eigenständige Bedeutung mehr zu, da bereits die Durchsuchung eine entsprechende materiell-rechtliche Prüfung erfordert (vgl. oben 2.1).
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3.2.2 Die Beschlagnahme durfte sich auch auf Gegenstände und Unterlagen im Gewahrsam der Antragsgegner als „Mitglieder“ (§ 4 Abs. 4 Satz 2 VereinsG) des Vereins richten. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausführt, ist der Begriff des „Mitglieds“ dahingehend auszulegen, dass sich auf mögliche Beweismittel gerichtete Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnungen nur gegen Personen richten dürfen, bei denen aufgrund äußerer Umstände die Annahme berechtigt ist, dass sie ideologisch und/oder organisatorisch Wesentliches für den Verein leisten (BayVGH, B.v. 7.8.2012 – 4 C 12.1485 – juris Rn. 7; B.v. 11.12.2002 – 4 C 02.2478 – juris Rn. 18). Dies bedarf bei der Antragsgegnerin zu 1 als Leiterin des Vereins keiner weiteren Begründung. Beim Antragsgegner zu 2 ist als Ehepartner in der gemeinsamen Wohnung im Zweifelsfall von Mitgewahrsam an Gegenständen auszugehen, die als Beweismittel in Betracht kommen, so dass sich die Beschlagnahmeanordnung auch gegen ihn richten konnte und musste (vgl. dazu auch BVerfG, B.v. 9.8.2019 – 2 BvR 1684/18 – NJW 2019, 3633 Rn. 33 zur Reichweite von § 102 StPO). Aus den genannten Gründen lägen beim Antragsgegner zu 2 jedenfalls die Voraussetzungen des § 4 Abs. 4 Satz 3 VereinsG vor, ohne dass es darauf ankäme, ob und an welchen Vereinstreffen er teilgenommen und welche konkreten Leistungen er für den Verein erbracht hat.
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3.3.3 Die Beschlagnahmeanordnung ist hinreichend bestimmt und bezieht sich ihrer sachlichen Ausrichtung nach auf Gegenstände, bei denen hinreichende Anhaltspunkte für ihre Bedeutsamkeit als Beweismittel in einem Verbotsverfahren bestehen (vgl. § 94 StPO). Die Gegenstände sind in der Beschlagnahmeanordnung funktional mit der Formulierung eingegrenzt, dass sie als Beweismittel für die weitere Aufklärung der Vereinsstruktur von Bedeutung sein können. Ihrem Gegenstand nach beschränken sie sich auf Dokumente, IT-Technik (Computer und Speichermedien) sowie Postsendungen. Diese Präzisierungen genügen den rechtlichen Anforderungen, weil diese Festlegungen im Vollzug keinen Zweifel darüber entstehen lassen, ob bestimmte Gegenstände von der Beschlagnahmeanordnung umfasst sind oder nicht (vgl. BayVGH, B.v. 11.12.2002 – 4 C 02.2478; OVG NW, B.v. 4.9.2002 – 5 E 112.02; beide juris) und damit ihrem Zweck gerecht werden, den Zugriff auf Beweisgegenstände auf das erforderliche Maß zu begrenzen (vgl. BayVGH, B.v. 17.10.2013 – 4 C 13.1589 – juris).
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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5. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 52 Abs. 1 und 2 GKG.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).