Inhalt

VGH München, Urteil v. 01.02.2024 – 22 N 22.2440
Titel:

Unzulässige Sperrzeitverlängerung für einen Altstadtbereich

Normenketten:
VwGO § 47 Abs. 2 S. 1, § 86 Abs. 3, § 88
LStVG Art. 19
GastG § 18 Abs. 1
GastV § 7 Abs. 1, § 8 Abs. 1
BImSchG § 3 Abs. 1
Leitsätze:
1. Die von § 8 Abs. 1 GastV iVm § 18 Abs. 1 GastG geforderten örtlichen Verhältnisse setzen voraus, dass sich die Verhältnisse im örtlichen Bereich so von den Verhältnissen anderer örtlicher Bereiche unterscheiden, dass deswegen eine Abweichung von der allgemeinen Sperrzeit gerechtfertigt erscheint. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Wenn eine Sperrzeitverlängerung abstrakt und generell für einen bestimmten räumlichen Geltungsbereich vorgenommen wird, müssen die tatbestandlichen Voraussetzungen für den gesamten räumlichen Geltungsbereich vorliegen. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Normenkontrollverfahren hinsichtlich einer Sperrzeitverordnung, abstrakt-generelle Sperrzeitverlängerung, Fehlen der tatbestandlichen Voraussetzungen (öffentliches Bedürfnis; besondere örtliche Verhältnisse) für eine Sperrzeit¬verlängerung, Normenkontrolle, Sperrzeitverordnung, Sperrzeitverlängerung, Gaststätte, besondere örtliche Verhältnisse, atypische Gebietsverhältnisse, durch Gäste hervorgerufener Lärm, Mischgebiet, urbanes Gebiet, Würdigung der Gesamtlärmsituation, Verhältnismäßigkeit
Fundstellen:
BayVBl 2025, 54
DVBl 2025, 47
BeckRS 2024, 4480
LSK 2024, 4480

Tenor

I. § 2 Abs. 1 und 2 der Verordnung der Antragsgegnerin zur Regelung der Sperrzeit von Gaststätten und Vergnügungsstätten (Sperrzeitverordnung) vom 12. August 2022 (Amtsblatt der Antragsgegnerin Nr. 12 vom 15.8.2022) ist unwirksam.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Antragsgegnerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Antragstellerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1
Gegenstand des Normenkontrollverfahrens ist die Sperrzeitverordnung der Antragsgegnerin, soweit mit ihr die Sperrzeit in geschlossenen Räumen für den Bereich der Altstadt verlängert wurde.
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1. Die Antragstellerin betreibt aufgrund der gaststättenrechtlichen Erlaubnis des Landratsamts ...-... vom 18. Juli 2019 eine Schank- und Speisewirtschaft im Stadtgebiet der Antragsgegnerin.
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Der Stadtrat der Antragsgegnerin beschloss am 24. Mai 2022 die Verordnung zur Regelung der Sperrzeit von Gaststätten und Vergnügungsstätten (Sperrzeitverordnung), die zusammen mit einem dazugehörigen Lageplan am 12. August 2022 ausgefertigt und im Amtsblatt vom 15. August 2022 bekannt gemacht wurde. Sie trat gemäß § 7 Satz 1 der Sperrzeitverordnung eine Woche nach Bekanntmachung in Kraft und gilt für Schank- und Speisewirtschaften, für vorübergehende Gaststättenbetriebe i.S. des § 12 GastG, für öffentliche Vergnügungsstätten sowie für öffentliche Vergnügungen i.S. des Art. 19 LStVG, nicht aber für Spielhallen (§ 1 der Sperrzeitverordnung). Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 der Sperrzeitverordnung beginnt die Sperrzeit im Bereich der Altstadt in geschlossenen Räumen montags bis freitags um 1 Uhr sowie samstags, sonn- und feiertags (mit Ausnahme stiller Tage im Sinn des Bayer. Feiertagsgesetzes) um 3 Uhr. Sperrzeitende ist jeweils 6.00 Uhr. Die Altstadt wird gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 der Sperrzeitverordnung durch vier Straßezüge begrenzt: im Westen durch den Sp., im Norden durch den H., im Osten durch den Sch. und im Süden durch den B., wobei jeweils beide Straßenseiten erfasst werden (§ 2 Abs. 1 Satz 3 der Sperrzeitverordnung). Der Geltungsbereich ergibt sich im Einzelnen aus einem beigefügten Lageplan, der zum Bestandteil der Verordnung erklärt wurde (§ 2 Abs. 1 Satz 4 der Sperrzeitverordnung). § 2 Abs. 2 der Sperrzeitverordnung trifft Ausnahmeregelungen von Absatz 1: in der Nacht zum 1. Januar ist die Sperrzeit aufgehoben (Satz 1); während des Altstadtfestes, der Volksfeste sowie bei sonstigen städtischen Veranstaltungen beginnt die Sperrzeit erst um 3.00 Uhr (Satz 2). Für das übrige Stadtgebiet bleibt nach § 2 Abs. 3 der Sperrzeitverordnung die Regelung des § 7 Abs. 1 der Gaststättenverordnung (GastV) für geschlossene Räume unberührt. Die §§ 3 bis 5 der Sperrzeitverordnung regeln die Sperrzeit im Freien, die Erteilung von Ausnahmen sowie den Widerruf von Sperrzeitverkürzungen. § 6 der Sperrzeitverordnung enthält Bußgeldtatbestände. In der Eingangsformel der Verordnung wird u.a. § 10 GastV als Rechtsgrundlage zitiert.
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In der zugrundeliegenden Beschlussvorlage vom 7. April 2022 wird die Verlängerung der Sperrzeit mit besonderen örtlichen Verhältnissen gerechtfertigt. Der historisch gewachsene Altstadtbereich unterscheide sich aufgrund überwiegend enger Straßen ohne Begleitgrün und insgesamt wenig Bäumen sowie aufgrund der mit harten Materialien versehenen Straßenbeläge und einer nahtlosen Bebauung der Grundstücke bis zur Grundstücksgrenze erheblich von den übrigen Stadtgebieten. Diese Umstände ließen eine ungehinderte Schallausbreitung zu und führten zu einem gesteigerten „Lärmmaß“. Deshalb gelte auch in Teilen der Altstadt ab 22.00 Uhr ein Fahrverbot für Personenkraftwagen. Bei der Festsetzung von Sperrzeiten seien Lärmemissionen von Gaststätten und das Interesse der Nachbarn an einer ungestörten Nachtruhe zu berücksichtigen. „Festzuhalten“ sei, dass es bei der vorgeschlagenen Verordnung nicht darum gehe, möglichen Problemen mit einzelnen Gaststätten zu begegnen. Vielmehr gelte es die wirtschaftlichen Interessen der Gastronomie mit den Interessen der Altstadtbewohner abzuwägen, wobei letztere im Ergebnis höher zu bewerten seien.
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2. Die Antragstellerin beantragt,
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§ 2 Abs. 1 und 2 der Verordnung der Antragsgegnerin zur Regelung der Sperrzeit von Gaststätten und Vergnügungsstätten (Sperrzeitverordnung) vom 12. August 2022, amtlich bekannt gemacht am 15. August 2022, für unwirksam zu erklären.
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Besondere örtliche Verhältnisse (i.S.v. § 8 Abs. 1 GastV) lägen nicht vor. Für das flächendeckende Auftreten von unzumutbaren Lärmimmissionen im gesamten räumlichen Geltungsbereich der angegriffenen Sperrzeitverordnung fehle es an belastbaren Feststellungen. Es seien weder konkrete Lärmmessungen vorgenommen worden noch sei eine Immissionsprognose erstellt worden, aus der sich ergebe, dass der von Gaststätten im Altstadtbereich verursachte Lärm den Immissionsrichtwert der TA Lärm von nachts 45 dB(A) für ein Mischgebiet an zahlreichen Wohngebäuden im Altstadtbereich überschreite. Zwar seien in der Vergangenheit in wenigen Einzelfällen nächtliche Ruhestörungen aufgetreten. Dabei handle es sich aber jeweils nur um Einzelfälle, in denen die frühere Sperrzeitregelung vermutlich vom Betriebsinhaber dieser Lokale missachtet worden sei. Diese Lärmproblematik könne durch einzelfallbezogene Regelungen gelöst werden. Die abstrakt generelle Einschränkung durch die Sperrzeitverordnung sei daher auch unverhältnismäßig. Sie habe bei der Antragstellerin zu erheblichen Umsatzeinbußen von schätzungsweise mindestens 25% geführt.
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3. Die Antragsgegnerin beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Der historisch gewachsene Altstadtkern sei besonders empfindlich für Störungen durch den Lärm, der während der Nacht durch den Betrieb und die Besucher von Gast- und Vergnügungsstätten verursacht werde. Da Anordnungen im Einzelfall nicht erfolgversprechend seien, bedürfe es einer abstrakt-generellen Regelung.
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Seit mehreren Jahren sei es zu diversen Vorfällen wegen Ruhestörungen im Innenstadtbereich und damit im Geltungsbereich der streitgegenständlichen Verordnung gekommen. Zum Nachweis legte die Antragsgegnerin eine Aufstellung der Polizeiinspektion ... vor, in der 140 Fälle von Ruhestörungen (unter Angabe von Ort und Zeitpunkt) im Zeitraum von März 2018 bis Dezember 2021 dokumentiert sind. Diese ließen sich nach polizeilicher Einschätzung aufgrund der Örtlichkeiten Gaststättenbetrieben zuordnen, auch wenn eine Einzelfallprüfung nicht erfolgt sei. Ruhestörungen, die aufgrund der Adresse eindeutig dem privaten Bereich zuzuordnen gewesen seien, hätten keine Aufnahme in die Auflistung gefunden. Es sei auch zu berücksichtigen, dass die pandemiebedingten Ausgangssperren sowie die Schließung der Gastronomiebetriebe in den besagten Zeitraum gefallen seien, so dass die Angaben insoweit „bereinigt“ seien. Die Zahl der Ruhestörungen wäre ohne die Pandemie und die damit verbundenen Maßnahmen um ein Vielfaches höher gewesen. Aus den polizeilich dokumentierten Vorkommnissen ergebe sich jedenfalls, dass es im Geltungsbereich der Sperrzeitverordnung zu einer Vielzahl von nachgewiesenen Lärmereignissen gekommen und dass es nicht möglich sei, diese Ruhestörungen einer oder mehreren konkreten Gaststätten zuzuordnen. Einzelmaßnahmen gegenüber bestimmten Gaststättenbetreibern kämen daher als mildere Mittel nicht in Betracht.
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Nach Angaben der Antragsgegnerin befinden sich im Geltungsbereich des § 2 Abs. 1 der Sperrzeitverordnung rund 40 Betriebe, die über eine gaststättenrechtliche Erlaubnis verfügen, darunter aber auch Bäckereifilialen mit Café, Imbissbetriebe, ein kirchliches Gemeindehaus sowie ein Jugendtreff. Belastbare Aussagen zum genauen Verhältnis von Wohn- zu gewerblicher Nutzung in der Altstadt seien nicht möglich, wobei letztere überwiege. Vielfach würden die Erdgeschosslagen gewerblich genutzt, während sich in den darüber liegenden Geschossen Wohnnutzung befinde. Die gewerbliche Nutzung bestehe – abgesehen von den gastronomischen Betrieben – vorwiegend aus Handels-, Handwerks- und Dienstleistungsbetrieben, die keine Konflikte mit der benachbarten Wohnnutzung entstehen ließen. Gleiches gelte für die Ausübung freiberuflicher Tätigkeiten. In der Altstadt gebe es auch zahlreiche Beherbergungsbetriebe und Ferienwohnungen sowie eine Alten- und Pflegeeinrichtung mit etwa 100 Pflegeplätzen, die eine besondere Schutzwürdigkeit aufwiesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Der zulässige Antrag hat in der Sache Erfolg.
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1. Gegenstand des Verfahrens ist § 2 Abs. 1 und 2 der Sperrzeitverordnung der Antragsgegnerin vom 12. August 2022. Die Antragstellerin hat ihr Begehren in der mündlichen Verhandlung insofern klargestellt (§ 86 Abs. 3, § 88 VwGO; vgl. BVerwG, B.v. 1.9.2010 – 9 B 80.09 – NVwZ 2010, 1438 = juris Rn. 4). Von der Bestimmung des § 2 Abs. 3 der Sperrzeitverordnung, wonach im übrigen Stadtgebiet die Regelung des § 7 Abs. 1 GastV unberührt bleibt, kann der im Altstadtbereich befindliche Betrieb der Antragstellerin nicht berührt sein; ebenso wenig von der Sperrzeitregelung im Freien nach § 3 der Sperrzeitverordnung (regelmäßige Sperrzeit von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr), weil die gaststättenrechtliche Erlaubnis vom 18. Juli 2019 eine entsprechende Betriebszeitbeschränkung für die Außenbewirtschaftung vorsieht. § 2 Abs. 1 und 2 der Sperrzeitverordnung ist wegen des eigenständigen Regelungsgehalts (vgl. BVerwG, U.v. 17.2.2005 – 7 CN 6.04 – NVwZ 2005, 695 = juris Rn. 15 f.; Wysk in ders., VwGO, 3. Aufl. 2020, § 47 Rn. 58) der Sperrzeit in geschlossenen Räumen von den übrigen Bestimmungen abtrennbar. Die Sperrzeitverordnung kann ohne die angegriffenen Regelungen Bestand haben, was auch dem mutmaßlichen Willen des Normgebers entspricht, die Wohnbevölkerung in der Altstadt vor Lärmbeeinträchtigungen durch öffentliche Vergnügungen i.S.d. Art. 19 LStVG und durch Gastronomiebetriebe umfassend zu schützen (vgl. dazu bereits BayVGH, B.v. 25.1.2010 – 22 NE 09.2019 – juris Rn. 17 f.).
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2. Der Antrag ist zulässig. Die Antragstellerin ist antragsbefugt (§ 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO), weil sie als Betreiberin einer im Altstadtbereich gelegenen Schank- und Speisewirtschaft zu dem für die Frage der Antragsbefugnis maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung geltend machen kann, durch die angegriffene Sperrzeitverordnung in ihren Rechten verletzt zu sein (vgl. BayVGH, U.v. 10.8.2011 – 22 N 10.1867, u.a. – juris Rn. 14).
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3. Der Normenkontrollantrag ist auch begründet. § 2 Abs. 1 und 2 der formell nicht zu beanstandenden Sperrzeitverordnung (vgl. zur Unschädlichkeit von Fehlzitaten in der Eingangsformel BayVGH, U.v. 25.1.2022 – 10 N 20.1227 – juris Rn. 94) ist ungültig und für unwirksam zu erklären (§ 47 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 1 VwGO), weil er nicht von der Ermächtigungsgrundlage des § 8 Abs. 1 GastV i.V.m. § 18 Abs. 1 GastG gedeckt ist. Danach kann bei Vorliegen eines öffentlichen Bedürfnisses oder besonderer örtlicher Verhältnisse die Sperrzeit durch Verordnung der Gemeinde verlängert werden. Diese Voraussetzungen liegen für die streitgegenständlichen Regelungen nicht vor.
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3.1 Die von der Antragsgegnerin in erster Linie geltend gemachten besonderen örtlichen Verhältnisse sind nicht gegeben.
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3.1.1 Voraussetzung wäre, dass sich die Verhältnisse im örtlichen Bereich so von den Verhältnissen anderer örtlicher Bereiche unterscheiden, dass deswegen eine Abweichung von der allgemeinen Sperrzeit gerechtfertigt erscheint, was in der Regel atypische Gebietsverhältnisse im Sinne einer besonderen Störungsempfindlichkeit (oder auch Unempfindlichkeit) der Umgebung voraussetzt (BayVGH, B.v. 25.1.2010 – 22 N 09.1193 – juris Rn. 27 ff.; U.v. 10.8.2011 – 22 N 10.1867, u.a. – juris Rn. 19 m.w.N.; B.v. 24.5.2012 – 22 ZB 12.46 – juris Rn. 13). In der Rechtsprechung und Literatur besteht Einigkeit, dass die von Gaststätten hervorgerufenen Lärmimmissionen sowie das Interesse der Nachbarn an einer ungestörten Nachtruhe zu berücksichtigen sind und dass Gesichtspunkte des Schutzes vor schädlichen Umwelteinwirkungen im Sinne des Bundes-Immissionsschutzgesetzes sowie vor sonstigen erheblichen Nachteilen, Gefahren oder erheblichen Belästigungen sowohl für Bewohner der Nachbargrundstücke als auch für die Allgemeinheit (§ 5 Abs. 1 Nr. 3 GastG) bei der Prüfung einer Sperrzeitfestsetzung zu berücksichtigen sind (BayVGH, U.v. 10.8.2011 – 22 N 10.1867, u.a. – a.a.O., m.w.N.).
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Schädliche Umwelteinwirkungen sind nach § 3 Abs. 1 BImSchG Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen. Zu den zu berücksichtigenden Lärmeinwirkungen gehören dabei nicht nur die Geräusche durch den eigentlichen Gaststättenbetrieb, also den Lärm aus der Gaststätte, sondern auch sonstiger, der Gaststätte zurechenbarer Lärm wie der durch Gäste hervorgerufene Lärm auf dem Weg von und zu der Gaststätte, sofern er einen erkennbaren Bezug zu dem Betrieb hat. Die Beurteilung der Zumutbarkeit von Geräuschen hat nach der Lärmart und -intensität zu erfolgen, die nach dem einschlägigen technischen Regelwerk der TA Lärm ermittelt werden kann (BayVGH, U.v. 10.8.2011 – 22 N 10.1867, u.a. – juris Rn. 20 m.w.N.).
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Wenn eine Sperrzeitverlängerung abstrakt und generell für einen bestimmten räumlichen Geltungsbereich vorgenommen wird, müssen die genannten tatbestandlichen Voraussetzungen für den gesamten räumlichen Geltungsbereich vorliegen (BayVGH, U.v. 10.8.2011 – 22 N 10.1867, u.a. – juris Rn. 22 m.w.N.; VGH BW, U.v. 11.9.2012 – 6 S 947/12 – juris Rn. 26).
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3.1.2 Die Antragsgegnerin hat eine abstrakt-generelle Regelung für den Bereich der gesamten Altstadt erlassen, ohne dass die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Sperrzeitverlängerung in Gestalt besonderer örtlicher Verhältnisse für dieses Gebiet gegeben waren.
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Solche besonderen Verhältnisse sind in Bezug auf die bauliche Situation nicht ersichtlich. Soweit die Antragsgegnerin in der Sitzungsvorlage vom 28. April 2022 allgemein auf vermeintliche Besonderheiten des historisch gewachsenen „Altstadtkerns“ mit nahtloser Bebauung und wenigen Grünflächen verweist, greift dies zu kurz. Zum einen beschränkt sich der Geltungsbereich des § 2 Abs. 1 der Sperrzeitverordnung nicht auf diesen Kernbereich. Vielmehr sind auch Randbereiche der Altstadt mitumfasst (vgl. den Lageplan sowie § 2 Abs. 1 Satz 2 und 3 der Sperrzeitverordnung). Ausweislich der Luftbilder und Karten bilden diese einen ausgedehnten Grüngürtel, der durch eine aufgelockerte Bebauung mit zahlreichen Grünflächen sowie größeren Gärten geprägt ist. Auch das nächtliche Fahrverbot, auf das die Antragsgegnerin in diesem Zusammenhang verweist, gilt lediglich in einem kleinen Teil der zentralen Altstadt und nicht in den Randbereichen. Zum anderen hat der Senat bereits in einer früheren Entscheidung, die ebenfalls eine Sperrzeitverordnung der Antragsgegnerin zum Gegenstand hatte, derart allgemeine Hinweise zur baulichen Situation in der Altstadt nicht als Beleg für besondere örtliche Verhältnisse ausreichen lassen (BayVGH, B.v. 25.1.2010 – 22 NE 09.2019 – juris Rn. 24 f.). Daran ist festzuhalten.
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Eine besondere Störempfindlichkeit aufgrund der Nutzungsstruktur vermochte die Antragsgegnerin ebenfalls nicht darzulegen. Sie ist der Einordnung weiter Teile der Altstadt als Mischgebiet oder als urbanes Gebiet nicht entgegengetreten, so dass keine erhöhte Schutzwürdigkeit erkennbar ist. Auch aus den Angaben zur Zahl und zur Struktur der betroffenen Gaststätten ergeben sich keine Besonderheiten. Zwar liegen knapp 40 Betriebsstätten im Geltungsbereich des § 2 Abs. 1 der Sperrzeitverordnung, aus der von der Antragsgegnerin vorgelegten Aufstellung ist aber erkennbar, dass sich darunter zahlreiche Betriebe befinden, die in Bezug auf die maßgeblichen Zeiträume kein oder nur ein geringes Störpotential aufweisen, wie etwa Cafés, Eiscafés oder Speiselokale sowie das kirchliche Gemeindehaus. Es lässt sich daraus jedenfalls nicht ableiten, dass in der Altstadt eine zahlenmäßig beachtliche Wohnbevölkerung auf besonders auffällige Gaststätten treffen würde, so dass im gesamten Geltungsbereich eine konfliktträchtige Gemengelage entsteht, die als solche atypisch ist und eine Besonderheit darstellt (vgl. BayVGH, B.v. 24.5.2012 – 22 ZB 12.46 – juris Rn. 15 f.).
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Entgegen dem Vorbringen der Antragsgegnerin im Normenkontrollverfahren liegen auch keine überzeugenden (§ 108 Abs. 1 VwGO) Nachweise dafür vor, dass die Ausnutzung der allgemeinen Sperrzeit (gem. § 7 Abs. 1 GastV) im räumlichen Geltungsbereich der Verordnung aufgrund dadurch verursachter schädlicher Umwelteinwirkungen nicht mehr in Einklang mit der Rechtsordnung steht. Vielmehr fehlt es an einer nachvollziehbaren Würdigung der Gesamtlärmsituation. Die Antragsgegnerin beruft sich lediglich auf eine Auflistung der polizeilich registrierten Ruhestörungen im Zeitraum von März 2018 bis Dezember 2021. Eine Beurteilung von nächtlichem Lärm als schädliche Lärmeinwirkung auf die Nachbarschaft kann zwar grundsätzlich auch auf Grundlage von behördlichen sowie polizeilichen Aufzeichnungen erfolgen (vgl. BayVGH, B.v. 24.5.2012 – 22 ZB 12.46 – juris Rn. 21 m.w.N.). Die vorgelegten Unterlagen sind aber nicht geeignet, für das nach § 2 Abs. 1 der Sperrzeitverordnung maßgebliche Gebiet der Altstadt entsprechende Nachweise zu erbringen. In örtlicher Hinsicht lassen sich 11 der 140 Ereignisse der M. …-Straße zuordnen, die sich außerhalb des Geltungsbereichs befindet. Von den verbleibenden 129 Fällen entfielen in zeitlicher Hinsicht lediglich 64 auf den Zeitraum von 1 Uhr bis 6 Uhr, die übrigen 65 Vorfälle auf andere Zeiträume, vereinzelt sogar auf den frühen Nachmittag, wie etwa eine Ruhestörung am 17. April 2018 um 16.53 Uhr am K. …platz. Der Zusammenhang mit der beabsichtigten Vorverlegung des Sperrzeitbeginns auf 3.00 Uhr bzw. 1.00 Uhr ist insofern nicht erkennbar. Soweit sich die Antragsgegnerin auf das geänderte Ausgehverhalten während der pandemiebedingten Einschränkungen beruft und eine stärkere Belastung nach deren Beendigung prognostiziert, überzeugt dies ebenfalls nicht. Es kann kein Erst-Recht-Schluss gezogen werden, wonach es aufgrund der Beschränkungen zu weniger nächtlichen Ruhestörungen gekommen sei. Hierzu fehlen belastbare Erkenntnisse. Stattdessen gilt es zu berücksichtigen, dass während der Geltungsdauer der Dreizehnten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 5. Juni 2021 (BayMBl Nr. 384) im Zeitraum vom 7. Juni 2021 bis 1. September 2021 gastronomische Angebote nur bis 24.00 Uhr bzw. ab 1. Juli 2021 bis 1.00 Uhr nachts zur Verfügung gestellt werden durften (vgl. § 15 der 13. BayIfSMV i.d.F. vom 5.6.2021 und vom 30.6.2021). Soweit es in dieser Zeit zu Ruhestörungen in der Altstadt gekommen ist (für das Jahr 2021 entfallen 25 von 50 Fällen auf den Zeitraum von 11.6. bis 30.8.), könnte dies sogar als Beleg dafür gewertet werden, dass die Begrenzung der nächtlichen Öffnungszeiten gerade nicht zu den gewünschten Effekten geführt hat. Vor allem aber können die Aufstellungen der Polizeiinspektion weder einen Beweis dafür erbringen, dass nächtliche Ruhestörungen über dem zumutbaren Richtwert lagen, noch dafür, dass solche durch Gaststättenbetriebe verursacht wurden. Aus den vorgelegten Auflistungen ergeben sich weder Art und Ausmaß der Lärmbeeinträchtigung noch über die bloße Örtlichkeit hinausgehende Hinweise darauf, dass ein Zusammenhang mit Gaststättenbesuchen besteht. Soweit eine Ruhestörung innerhalb des maßgeblichen Zeitraums in der näheren Umgebung eines bestimmten Betriebs festgestellt wurde, kann von einem Ursachenzusammenhang auszugehen sein. Dagegen überzeugt es nicht, wenn laut Antragsgegnerin Lärmbeeinträchtigungen außerhalb des Nahbereichs von Gaststätten allein deshalb mit Gaststättenbesuchen in Zusammenhang stehen sollen, weil Ruhestörungen, die aufgrund der Adresse eindeutig dem „privaten Bereich“ zuzurechnen gewesen seien, keine Berücksichtigung in der Aufstellung gefunden hätten. Vielmehr können auch andere Ursachen in Betracht kommen. Dem steht auch das nächtliche Fahrverbot nicht zwingend entgegen, das ohnehin nur in einem begrenzten Bereich der Altstadt gilt. Die Anzeigen können im Übrigen auch nicht weiter verifiziert werden, weil die jeweiligen Anzeigeerstatter nicht bekannt sind.
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3.2 Ob dem Tatbestandsmerkmal des öffentlichen Bedürfnisses in Fällen einer Sperrzeitverlängerung eine eigenständige Bedeutung zukommt (vgl. einerseits BayVGH, B.v. 25.1.2010 – 22 NE 09.2019 – juris Rn. 21; B.v. 24.5.2012 – 22 ZB 12.46 – juris Rn. 13 und andererseits VGH BW, U.v. 11.9.2012 – 6 S 947/12 – juris Rn. 24) kann dahinstehen. Jedenfalls liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass ein solches bestehen könnte. Für die hier allein in Betracht zu ziehenden Belange des Immissionsschutzes fehlt es an einer hinreichenden Würdigung der Lärmsituation (vgl. oben 3.1.2).
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3.3 Es bestehen auch erhebliche Bedenken im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit der Sperrzeitverlängerung. Die Antragsgegnerin hat sich nicht hinreichend mit der Frage auseinandergesetzt, ob Einzelanordnungen gegenüber bestimmten Gaststätten als milderes Mittel in Betracht gekommen wären. Eine solche Prüfung hätte nahegelegen, nachdem sich ein erheblicher Anteil der Lärmereignisse auf zwei Bereiche konzentriert, bei denen – unter Zugrundelegung der Annahmen der Antragsgegnerin – ein Ursachenzusammenhang mit einzelnen Gaststätten plausibel erscheint. Als Örtlichkeit tritt zum einen die P. …gasse, Hausnummer … . und . mit 36 Meldungen (davon 14 in der Zeit von 1.00 Uhr bis 6.00 Uhr) hervor, die nähere Umgebung der Gaststätte „… … …“ (P. …gasse .), und zum anderen der Bereich S. …markt, Hausnummer . und . mit 30 Meldungen (davon 26 in der Zeit von 1.00 Uhr bis 6.00 Uhr), wo sich die Gaststätte „. …“ (S. …markt .) befindet. Von den restlichen Vorfällen betrafen im Übrigen weitere 4 die P. …gasse und 5 den S. …markt, ohne nähere Eingrenzung auf Hausnummern.
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4. Die Antragsgegnerin hat die Entscheidung, wonach § 2 Abs. 1 und 2 der Verordnung zur Regelung der Sperrzeit von Gaststätten und Vergnügungsstätten (Sperrzeitverordnung) vom 12. August 2022 unwirksam ist, ebenso zu veröffentlichen, wie zuvor die Rechtsvorschrift bekannt zu machen war (§ 47 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit einer entsprechenden Anwendung von § 708 Nr. 10 und § 711 ZPO.
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Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht erfüllt sind.