Titel:
Berufsgerichtliches Verfahren wegen Verletzung zahnärztlicher Berufspflichten
Normenketten:
GG Art. 103 Abs. 2, Art. 5 Abs. 1 S. 1
HKaG Art. 17, Art. 19, Art. 66, Art. 77, Art. 80 Abs. 1
Leitsätze:
1. Die Klauseln des zahnärztlichen Berufsrechts können auch nach dem Maßstab des Art. 103 Abs. 2 GG eine ausreichende Grundlage für eine berufsgerichtliche Sanktion darstellen. (Rn. 8)
2. Bei Ausführungen eines Gutachters zu dem Ergebnis einer vorangegangenen ärztlichen Behandlung handelt es sich in der Regel um ein Werturteil. (Rn. 13)
3. Wird gegen einen gutachterlich tätigen Zahnarzt aufgrund der von ihm gutachterlich getätigten Äußerungen im berufsgerichtlichen Verfahren der Vorwurf eines unkollegialen Verhaltens erhoben, bedarf es einer Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit des Antragsgegners einerseits und der von der Berufsordnung geschützten Rechtsgüter andererseits. Dazu ist der Sinn der Äußerung ausgehend von ihrem Wortlaut zu deuten. Der sprachliche Kontext, in dem sie steht, sowie die für den Rezipienten erkennbaren Begleitumstände, unter denen sie gefallen ist, sind zu berücksichtigen. (Rn. 17 – 18)
4. Bei der Abwägung der widerstreitenden Rechtsgüter kann eine maßgebliche Rolle spielen, wenn der Antragsgegner die verfahrensgegenständlichen Formulierungen jeweils im Rahmen der Erstattung von Gutachten für Versicherungen verwendete, um die nach seiner Ansicht folgenschweren Behandlungsfehler von Kollegen zu unterstreichen. Kritik kann, auch wenn sie mit deutlichen Worten erfolgt, der Qualitätssicherung innerhalb des Berufsstandes dienen. (Rn. 27)
1. Auch bei wissenschaftlichen Stellungnahmen handelt es sich in der Regel um Meinungsäußerungen. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Schmähkritik ist eine Äußerung dann, wenn in ihr nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern jenseits auch polemischer oder überstürzter Kritik die Diffamierung der Person im Vordergrund steht, etwa wenn sich die Äußerungen von dem sachlichen Anlass völlig gelöst hätten oder der Verfahrensbezug nur als mutwillig gesuchter Anlass oder Vorwand genutzt wurde, um den Betroffenen zu diffamieren. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Klauseln, zahnärztliches Berufsrecht, Gutachter, Werturteil, unkollegiales Verhalten, Abwägung, Versicherungen, wissenschaftliche Stellungnahmen, Schmähkritik
Vorinstanz:
LG München I, Beschluss vom 07.08.2023 – BG-Z 1/22
Fundstelle:
BeckRS 2024, 4469
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die im Rechtsmittelverfahren erwachsenen notwendigen Auslagen des Antragsgegners werden dem Antragsteller auferlegt, der auch seine eigenen Auslagen zu tragen hat.
Gründe
1
Der Beschwerdeführer wendet sich mit seinem Rechtsmittel gegen einen Beschluss des Landgerichts München I – Berufsgericht für Heilberufe – vom 7. August 2023. Darin hat das Landgericht dem Antrag des Beschwerdeführers, ein berufsgerichtliches Verfahren zu eröffnen, keine Folge gegeben.
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Mit Schriftsatz vom 18. Mai 2022 nebst Anlagen hat der Z. Bezirksverband M. Stadt und Land beim Landgericht gemäß Art. 39 Abs. 1 und Art. 77 Abs. 1 Nr. 1 HKaG die Einleitung eines berufsgerichtlichen Verfahrens gegen den Antragsgegner, einen in M. niedergelassenen Zahnarzt, beantragt. Zur Begründung hat der Bezirksverband unter Wiedergabe von Auszügen aus den der Antragsschrift als Anlagen beigefügten Schriftstücken ausgeführt, dass der Antragsgegner im Rahmen von Begutachtungen, die dieser im Auftrag privater Krankenversicherungen zur Prüfung der medizinischen Notwendigkeit von Heilbehandlungen wegen Krankheit gemäß § 192 Abs. 1 VVG und der gebührenrechtlichen Erstattungsfähigkeit von Kostenvoranschlägen und Rechnungen der behandelnden Zahnärzte erstellt hätte, sich unkollegial verhalten und gutachterliche Stellungnahmen nicht neutral, nicht unabhängig und nicht sorgfältig abgegeben hätte. Die beanstandeten Passagen finden sich in einer vierten ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 3. Oktober 2021 für die VRK Krankenversicherung (Fall 1), einer gutachterlichen Stellungnahme vom 8. Februar 2021 für die HUK C. Krankenversicherung AG (Fall 2), der Niederschrift einer Patientin vom 17. Februar 2021 über den Inhalt eines Telefonats mit dem Antragsgegner am 16. Februar 2021 im Rahmen der Gutachtenerstattung (Fall 3), der Begutachtung „Zweite Fachberateranfrage“ aus Anlass einer Anfrage vom 2. Juli 2019 (Fall 4) und der Begutachtung „Dritte Fachberateranfrage“ aus Anlass einer Anfrage vom 22. November 2019 (Fall 5). Nach der Rechtsauffassung des Antragstellers hat der Antragsgegner mit den verfahrensgegenständlichen Äußerungen gegen das Gebot, den Beruf gewissenhaft auszuüben und dem ihm entgegengebrachten Vertrauen zu entsprechen, gegen das Gebot der Kollegialität und gegen das Gebot, Gutachten neutral und unabhängig zu erstellen, verstoßen. Die Antragsschrift sieht darin eine Verletzung von §§ 2, 3, 8 und 13 BOZ sowie der GutachterO der BLZK.
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Mit dem Bevollmächtigten des Antragstellers am 17. August 2023 zugestellten Beschluss vom 7. August 2023 hat das Berufsgericht für Heilberufe den Antrag des Antragstellers auf Eröffnung des berufsgerichtlichen Verfahrens abgelehnt. Die Äußerungen des Antragsgegners hielten sich innerhalb der Grenzen der Meinungsfreiheit. Mit Beschluss vom 14. September 2023 hat das Berufsgericht unter der Beteiligung von zwei ehrenamtlichen Richtern der Beschwerde des Antragstellers vom 29. August 2023, bei Gericht eingegangen am 30. August 2023, nicht abgeholfen und das Verfahren dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
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Die sofortige Beschwerde ist zulässig. Das Rechtsmittel ist nach Art. 93 Abs. 1 S. 1 des Bayerischen Heilberufe-Kammergesetz (HKaG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 6. Februar 2002 (GVBl. S. 42, BayRS 2122-3-G), zuletzt geändert durch § 3 des Gesetzes vom 24. Juli 2023 (GVBl. S. 431), statthaft. Es ist auch fristgerecht (Art. 93 Abs. 1 S. 2 HKaG) eingelegt worden. Als Landesberufsgericht nach Art. 68 Abs. 1 und Abs. 2 S. 3 ist der Senat für die Entscheidung über die Beschwerde gemäß Art. 93 HKaG zuständig. Er entscheidet im Beschlusswege ohne die Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter (Art. 93 Abs. 2 S. 3 i.V.m. Art. 69 Abs. 1 S. 2 HKaG).
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Die Beschwerde erweist sich jedoch als unbegründet. Das Berufsgericht hat die Eröffnung des berufsgerichtlichen Verfahrens zu Recht mit Beschluss nach Art. 80 Abs. 1 HKaG abgelehnt. Denn eine Verletzung der Berufspflichten liegt nicht vor.
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I. Nach Art. 66 Abs. 1 S. 1, Art. 39, Art. 46, Art. 77, Art. 83 Abs. 1 HKaG eröffnet das Berufsgericht das berufsgerichtliche Verfahren mit Beschluss, wenn sich nach der Antragsschrift eines Antragsberechtigten hinreichende Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Beschuldigte seine Berufspflichten verletzt hat. Nach Art. 80 Abs. 1 HKaG gibt das Berufsgericht dem Antrag auf Eröffnung keine Folge, wenn sich aufgrund der Äußerungen der nach Art. 79 Abs. 3 HKaG Beteiligten ergibt, dass eine Verletzung der Berufspflicht nicht vorliegt.
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II. Die Berufspflichten eines niedergelassenen Zahnarztes folgen aus Art. 17, Art. 19 HKaG in Verbindung mit Art. 46 HKaG und dem zahnärztlichen Satzungsrecht. Die hier maßgeblichen Pflichten lauten wie folgt:
„Nach Art. 17 HKaG i.V.m. Art. 46 HKaG ist der Zahnarzt verpflichtet, seinen Beruf gewissenhaft auszuüben und dem ihm im Zusammenhang mit dem Beruf entgegengebrachten Vertrauen zu entsprechen. Nach den Regeln der Berufsordnung ist der Zahnarzt gehalten, seinen Beruf gewissenhaft und nach den Geboten der ärztlichen Ethik und der Menschlichkeit auszuüben sowie dem ihm im Zusammenhang mit dem Beruf entgegengebrachten Vertrauen zu entsprechen (§ 2 Abs. 2 S. 2 a und c der Berufsordnung für die Bayerischen Zahnärzte vom 18. Januar 2006 (BZB, Heft 1-2/2006, S. 68), zuletzt geändert durch Satzung vom 6. Mai 2021 (BZB, Heft 7-8/2021, S. 81). § 8 Abs. 1 der Berufsordnung sieht vor, dass der Zahnarzt gegenüber allen Berufsangehörigen jederzeit kollegiales Verhalten zu zeigen hat. Unsachliche Äußerungen über die Person, die Behandlungsweise oder das berufliche Wissen eines Kollegen sind berufsunwürdig. Gutachten hat der Zahnarzt nach § 13 Abs. 1 der Berufsordnung neutral, unabhängig und sorgfältig zu erstellen. Herabsetzende und emotionale Äußerungen hat er zu unterlassen (§ 3 Abs. 1 der Berufsordnung i.V.m. Nr. 4.4 der Gutachterordnung der Bayerischen Landeszahnärztekammer, letztere zitiert in der ab 1. Juni 2023 geltenden Fassung).“
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III. Die Klauseln des zahnärztlichen Berufsrechts können auch nach dem Maßstab des Art. 103 Abs. 2 GG eine ausreichende Grundlage für eine berufsgerichtliche Sanktion darstellen (zu den Anforderungen vgl. BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 1. Februar 2011 – 1 BvR 2383/10 –, BVerfGK 18, 345-353, juris Rn. 18). Gegen die hinreichende Bestimmtheit der verfahrensmaßgeblichen Regelungen bestehen hier keine grundsätzlichen rechtlichen Bedenken; Berufspflichten können auch in einer Generalklausel zusammengefasst werden, die die Berufsangehörigen zu einer gewissenhaften Berufsausübung und zu einem achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten innerhalb und außerhalb des Berufs anhält (vgl. BVerfG, Beschluss vom 9. Mai 1972 – 1 BvR 518/62, 308/64 –, BVerfGE 33, 125, juris Rn. 116). Eine derartige Satzung genügt auch den Anforderungen des Art. 10 Abs. 2 EMRK (vgl. EGMR, Urteil vom 25. März 1985 – 10/1983/66/101- NJW 1985, 2885, 2886 Rn. 46).
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IV. Soweit der Antragsteller dem Antragsgegner zur Last gelegt hat, die gutachterlichen Stellungnahmen nicht neutral, nicht unabhängig, nicht gewissenhaft und nicht sorgfältig erstattet zu haben, lassen sich der Antragsschrift bereits keine hinreichenden Tatsachen im Sinne von Art. 77 Abs. 2 HKaG i.V.m. § 200 StPO für die behaupteten Verfehlungen entnehmen. Der Antragsteller hat ausdrücklich offen gelassen („kann dahin gestellt bleiben“), ob die Kritik des Antragsgegners in der Sache selbst berechtigt war. Für eine unzulässige Beeinflussung des Antragsgegners oder ein Gefälligkeitsgutachten ist nichts dargetan. Dass die Ausführungen des Antragsgegners in seinen Gutachten aus der Sicht des Antragstellers jeweils für eine fachliche Begutachtung „weder geeignet noch notwendig“ waren, kann die Einleitung eines berufsgerichtlichen Verfahrens mangels Pflichtverletzung nicht rechtfertigen, da dem Gutachter bei seiner Expertise bezüglich der Eignung und Notwendigkeit seiner Ausführungen ein Freiraum zusteht, in den das Berufsgericht nicht ohne weiteres eingreifen darf. Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass es sich bei der Wertung des Antragsgegners im Fall 1, die Rechnungen des Behandlers Dr. H. seien wegen der sachlichen Fehler „ungültig“, ersichtlich um eine aus den im einzelnen konkret aufgeführten inhaltlichen Mängeln abgeleitete rechtliche Schlussfolgerung handelt, die den Vorwurf eines Verstoßes gegen das Neutralitätsgebot und die Sorgfaltspflicht hier ebenfalls nicht tragen könnte, zumal die Antragsschrift die doppelte und unkorrekte Abrechnung des Behandlers nicht in Abrede stellt.
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V. Bezüglich des Vorwurfs eines unkollegialen, vertrauensschädigenden Verhaltens und der vom Antragsteller besorgten unzulässigen Herabwürdigung von Kollegen mittels einer unangemessenen Wortwahl liegt eine zu ahndende berufsrechtliche Verfehlung nach der von Verfassungs wegen gebotenen Abwägung der Meinungsfreiheit des Antragsgegners einerseits und der von der Berufsordnung geschützten Rechtsgüter andererseits ebenfalls nicht vor.
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1. Zutreffend hat das Berufsgericht die vom Antragsteller dargestellten Äußerungen des Antragsgegners als Meinungsäußerungen beurteilt, die den Schutz von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG genießen.
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a. Für die Entscheidung, ob eine Äußerung die Grenze des rechtlich Zulässigen überschreitet, muss stets sorgfältig zwischen Tatsachenbehauptungen und Werturteilen unterschieden werden. Während Tatsachenbehauptungen durch die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Wirklichkeit geprägt werden und der Überprüfung mit Mitteln des Beweises zugänglich sind, handelt es sich bei einer Meinung um eine Äußerung, die durch Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägt ist (st. Rspr., vgl. etwa BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 4. August 2016 – 1 BvR 2619/13 –, juris Rn. 13 m.w.N.). Für die Frage, ob eine Äußerung ihrem Schwerpunkt nach als Tatsachenbehauptung oder als Werturteil anzusehen ist, kommt es entscheidend auf den Gesamtkontext der fraglichen Äußerung an (BVerfG a.a.O.). Die Abgrenzung zwischen Werturteilen und Tatsachenbehauptungen kann im Einzelfall schwierig sein, vor allem deswegen, weil die beiden Äußerungsformen nicht selten miteinander verbunden werden und erst gemeinsam den Sinn einer Äußerung ausmachen. In solchen Fällen ist der Begriff der Meinung im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes weit zu verstehen: Sofern eine Äußerung, in der Tatsachen und Meinungen sich vermengen, durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind, wird sie als Meinung von dem Grundrecht geschützt (BVerfG a.a.O.).
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b. Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der sich der Senat anschließt, handelt es sich bei Ausführungen eines Gutachters zu dem Ergebnis der vorangegangenen Untersuchung in der Regel um ein Werturteil und nicht um die Behauptung einer Tatsache, weil das Ergebnis, mag es auch äußerlich als Tatsachenbehauptung formuliert sein, auf Wertungen beruht (BGH, Urteil vom 2. Juli 2019 – VI ZR 494/17 –, juris Rn. 41; BGH, Urteil vom 18. Oktober 1977 – VI ZR 171/76-, juris; vgl. auch EGMR (Vierte Sektion), Urteil vom 16. Dezember 2008 – 53025/99- BeckRs 2008, 147641 zu ärztlichen Äußerungen; Ahrens in: Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, 1. Aufl. 2015, Kapitel 43: Die Rechtsstellung des Sachverständigen § 154 Rn. 61). Ebenso wie ein Sachverständiger die Existenz einer Tatsache, über die er aufgrund seiner Untersuchungen und Überlegungen Gewissheit erlangt zu haben meint, im Ergebnis uneingeschränkt behaupten wird und hiermit in der Regel ein Werturteil äußert (vgl. BGH, Urteil vom 18. Oktober 1977 – VI ZR 171/76-, juris), handelt es sich auch bei wissenschaftlichen Stellungnahmen in der Regel um Meinungsäußerungen (BGH, Urteil vom 2. Juli 2019 – VI ZR 494/17 –, juris Rn. 41 m.w.N.). Auch wenn der Autor eines Berichts mögliche Schlussfolgerungen auf der Grundlage unstreitiger Tatsachen in den Raum stellt, liegt hierin ein Werturteil (vgl. BGH, Urteil vom 27. September 2016 – VI ZR 250/13-, juris Rn. 11). Dem steht nicht entgegen, dass eine solche Behauptung im Einzelfall auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft werden kann, nämlich durch Verwendung besserer, etwa wissenschaftlicher Erkenntnismittel oder die Aufdeckung von Irrtümern bei den dem Ergebnis vorangehenden Untersuchungen (vgl. BGH, Urteil vom 2. Juli 2019 – VI ZR 494/17 –, juris Rn. 41 m.w.N.). Dies folgt unmittelbar aus der prinzipiellen Unabgeschlossenheit jeglicher wissenschaftlichen Erkenntnis (vgl. BVerfG, Urteil vom 29. Mai 1973 – 1 BvR 424/71 –, BVerfGE 35, 79-170, juris Rn. 92).
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c. Bei den in Frage stehenden Äußerungen des Antragsgegners handelt es sich jeweils um die Bewertung eines tatsächlichen Vorgangs, nämlich der zahnärztlichen Befunderhebung, der Behandlungsplanung, der Behandlung nebst deren wissenschaftlichen Grundlagen und der Abrechnung.
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d. Der Grundrechtsschutz für Meinungsäußerungen entfällt entgegen der Annahme des Antragstellers auch dann nicht, wenn die Kritik inhaltlich verfehlt und in ironischabschätziger Form verfasst gewesen sein sollte (st. Rspr., vgl. etwa BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 14. Februar 2000 – 1 BvR 390/95 –, juris Rn. 28). Er besteht unabhängig davon, ob die Äußerung begründet oder grundlos ist und ob sie von anderen für nützlich oder schädlich, wertvoll oder wertlos gehalten wird (BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 1995 – 1 BvR 1476/91 –, BVerfGE 93, 266-319, juris). Die Grenze zulässiger Meinungsäußerungen liegt – entgegen der Rechtsauffassung des Antragstellers – nicht schon da, wo eine polemische Zuspitzung für die Äußerung sachlicher Kritik nicht erforderlich ist (BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 19. August 2020 – 1 BvR 2249/19-, juris Rn. 15; BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 14. Februar 2000 – 1 BvR 390/95 –, juris Rn. 28).
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2. Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit ist nicht vorbehaltlos gewährleistet. Nach Art. 5 Abs. 2 GG findet es seine Schranke in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze. Dazu gehören auch die von dem Antragsteller als verletzt erachteten Vorschriften der Berufsordnung der Zahnärzte (§ 2 Abs. 2, § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1 und § 13 Abs. 1 BOZ; zur Beschränkung des Grundrechts der Meinungsfreiheit durch berufsregelnde Vorschriften vgl. Bayerischer Verfassungsgerichtshof, Entscheidung vom 24. August 1979 – Vf. 12-VII-78 BeckRS 2014, 54085; BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 28. Februar 2007 – 1 BvR 2520/05 –, juris Rn. 18 zu § 29 Abs. 1 der Berufsordnung der Ärztekammer Niedersachsen; BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 14. Februar 2000 – 1 BvR 390/95 –, juris Rn. 30 zu § 19 Abs. 1 der Berufsordnung der Landesärztekammer Baden-Württemberg).
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3. Die das Grundrecht einschränkenden Vorschriften müssen ihrerseits im Lichte des eingeschränkten Grundrechts ausgelegt und angewandt werden (vgl. BVerfGE 7, 198 <205 ff.>; 94, 1 <8>; st. Rspr.). Das erfordert eine Abwägung zwischen der Bedeutung der Meinungsfreiheit einerseits und des Rechtsguts, in dessen Interesse sie eingeschränkt werden soll, andererseits (BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 28. Februar 2007 – 1 BvR 2520/05 –, juris Rn. 26 und BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 14. Februar 2000 – 1 BvR 390/95 –, juris Rn. 32 jeweils zu Äußerungen eines Arztes; BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 14. Februar 2000 – 1 BvR 390/95 –, juris Rn. 32; Landesberufsgericht für Heilberufe Münster, Beschluss vom 17. Juli 2023 – 36 E 986/21.T –, juris).
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4. Voraussetzung jeder Abwägung ist, dass der Sinn einer Äußerung zutreffend erfasst wird. Die richtige Sinndeutung einer Äußerung ist unerlässlich für die rechtliche Würdigung ihres Aussagegehalts. Der Einfluss des Grundrechts auf die Meinungsfreiheit würde verkannt, wenn sich das Gericht unter mehreren objektiv möglichen Deutungen für die zur Verurteilung führende entscheiden würde, ohne die anderen unter Angabe schlüssiger Gründe auszuschließen (st. Rspr., vgl. BVerfGE 93, 266 <295 f.>; 107, 275 <281 f.>). Die Auslegung selbst hat vom Wortlaut der Äußerung auszugehen, muss aber auch den sprachlichen Kontext, in dem sie steht, sowie die für den Rezipienten erkennbaren Begleitumstände, unter denen sie gefallen ist, berücksichtigen. Die isolierte Betrachtung eines bestimmten Äußerungsteils oder Satzes, wie sie die Antragsschrift vornimmt, wird den verfassungsrechtlichen Anforderungen einer zuverlässigen Sinnermittlung nicht gerecht (st. Rspr., vgl. BVerfGE 93, 266 <295>).
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a. Nach der gebotenen Einbettung in den Kontext, in dem sie geäußert wurden, deutet der Senat die in der Antragsschrift beanstandeten Formulierungen dahingehend, dass der Antragsgegner im Fall 1, ausgehend von dem ergänzenden Auftrag der Krankenversicherung, drei Rechnungen des Behandlers gutachterlich auf die medizinische Erforderlichkeit der Leistungen und deren Erstattungsfähigkeit zu prüfen, am 3. Oktober 2021 in seiner gutachterlichen Stellungnahme gegenüber dem Behandler den Vorwurf von nicht mehr reinen Flüchtigkeitsfehlern bei der Abrechnung erhob, die Rechnungsstellung als für den Patienten unzumutbar intransparent und befremdlich bezeichnete und dies in seiner gutachterlichen Stellungnahme (von der Antragsschrift insoweit unerwähnt gelassen) unter anderem damit begründete, dass der Zahnarzt ungeachtet der Hinweise des Gutachters in dessen früheren Stellungnahmen diverse Abrechnungspositionen identischer Behandlungstage unchronologisch jeweils in drei separat erstellten Rechnungen aufgeführt und dem Patienten gegenüber doppelt abgerechnet hätte (Seite 2 der vierten ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 3. Oktober 2021) sowie zudem eine Vielzahl von Positionen fachlich zu Unrecht zu Lasten des Patienten in die Rechnungen eingestellt hätte (Seiten 2 – 6 der vierten ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 3. Oktober 2021).
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b. Im Fall 2 war der Antragsgegner in seiner gutachterlichen Stellungnahme vom 8. Februar 2021 für die private Krankenversicherung zu der – in der Antragsschrift insoweit nicht wiedergegebenen, von ihr jedoch nicht angegriffenen – fachlichen Beurteilung gekommen, dass nach der dokumentierten Befundsituation die nach einer abgeschlossenen kieferorthopädischen Behandlung vom Behandler vorgenommene Beschleifung der fünf Frontzähne 12, 11, 21, 22 und 23 der damals 20- jährigen Patientin zu Kronenstümpfen und deren angeschlossene langzeitprovisorische Versorgung nicht medizinisch indiziert waren (Seite 3 und Seite 8 der gutachterlichen Stellungnahme vom 8. Februar 2021). Der Antragsgegner bewertete das Vorgehen des Behandlers als mit Blick auf das Alter der Patientin riskant (Seite 8). Es hätte sehr viel gesunde Zahnhartsubstanz gekostet, die hätte erhalten werden müssen (Seite 8). Nach der Expertise des Antragsgegners war auch keine medizinische Indikation für die vom Behandler veranlassten Kompositaufbauten an den Zähnen 32, 31, 41, und 42 erkennbar (Seite 3). Das sogenannte waxup für die Zielvorgabe der Bissumstellung hatte laut Aussage des Behandlers ein Zahntechnikermeister mit „OBI-Level 4“ erstellt (Seite 4 f.). Es hatte, da unter Laborbedingungen gefertigt, nach der Beurteilung des Antragsgegners eine weitgehend beliebige Bisssituation ergeben, so dass die aufgewachsten Modelle weder die Richtigkeit des Ausmaßes noch eine Notwendigkeit der Bisshebung belegen konnten (Seite 5). Die Veränderung einer Kieferrelation könne nur ein Zahnarzt festlegen, sie bedürfe reichlich klinischer funktionsanalytischer Erfahrung (Seite 5). Zur Behandlung mittels einer sogenannten MAGO-Schiene, einer frontzahngeführten Oberkieferschiene, führte der Antragsgegner aus, dass das kommerzielle MAGO-Konzept von der amerikanischen OBI-Foundation vertrieben werde, die laut ihrem Internetauftritt eine bioästhetische Philosophie vermarkte. Die auf der Homepage der OBI-Foundation wiedergegebenen Aussagen zur „Bioestethic Dentristry“ seien wissenschaftlich überholt. Sofern die Schiene jedoch nach den Regeln der modernen Funktionslehre gestaltet worden sei und auf das gesamte Kauorgan entlastend wirke, wäre sie zu akzeptieren (Seite 6 f.). Die vom Behandler geplante Therapie würde bei der Patientin zu grundlegenden Problemen führen (Seite 5 f.).
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Eingestellt in diesen Kontext versteht der Senat die in der Antragsschrift isoliert wiedergegebenen Äußerungen des Antragsgegners in der gutachterlichen Stellungnahme dahingehend, dass der Antragsgegner als Gutachter den „maximalinvasiven“ Behandlungsplan und die Therapie des Behandlers auf der Grundlage der dokumentierten Befundlage als medizinisch nicht indiziert beanstandete. Die Behandlungsplanung sei in ihrer Zielsetzung und im beabsichtigten Nutzen unverständlich, da die Beurteilung des Behandlers, bei der Patientin läge eine fehlerhafte Bisslage vor, die es zu verändern gälte, durch keinen Befund, insbesondere nicht durch den gebotenen klinischen Funktionsstatus, belegt sei. Die Aussagen des Behandlers zum Vorliegen einer fehlerhaften, behandlungsbedürftigen Bisslage, zu „Nonokklusionen“ und einer Funktionsstörung sowie zu behandlungsbedürftigen Beschwerden der Patientin wertete der Antragsgegner mangels ausreichender Dokumentation und aufgrund der vorgelegten Situationsmodelle als oberflächlich, wenig glaubhaft und verwirrend. Den therapeutischen Ansatz der vom Behandler geplanten irreversiblen Bisslageveränderung unter Einbeziehung sämtlicher Oberkieferzähne, Aufbau der Unterkieferfront mit Komposit und Versorgung der Zähne mit sogenannten tabletops beurteilte der Antragsgegner als nicht nachvollziehbar und fehlerhaft. Die OBI-Foundation habe sich eine heute nur noch esoterisch, keinesfalls wissenschaftlich anmutende Lehre zu eigen gemacht und vermarkte sie geschäftstüchtig. Aufgrund ihrer Äußerungen mute die OBI-Foundation sektenhaft an.
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c. Die Aussagen des Antragsgegners gegenüber der betroffenen Patientin anlässlich eines Telefongesprächs am 16. Februar 2021 versteht der Senat im Kontext mit dem Auftrag der Versicherung, die Patientin zu untersuchen (vgl. Gesprächsnotiz der Patientin vom 17. Februar 2021) dahingehend, dass der Antragsgegner bei dem Gespräch gegenüber der Patientin die Auffassung vertrat, dass die MAGO-Schiene in ihrem Fall keinen therapeutischen Nutzen erbracht und es alternative und vorzugswürdige Therapien gegeben hätte. Ihre Zähne seien aufgrund des maximalinvasiven Eingriffs des Behandlers auf Lebenszeit zerstört worden.
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d. Im Fall 4 versteht der Senat die Äußerungen des Antragsgegners anlässlich der zweiten Fachberateranfrage vom 2. Juli 2019 unter Berücksichtigung des Kontexts dahingehend, dass der Antragsgegner auf der Grundlage der eigenen klinischen Untersuchung der Patientin zu dem Ergebnis kam, dass die Patientin zur Linderung ihrer Beschwerden auch in Zukunft eine Aufbissschiene zumindest nachts aufgrund der damit verbundenen entlastenden und beruhigenden Wirkung auf die unter unwillkürlichen Muskelanspannungen leidenden Strukturen des Gesichtsschädels tragen werden müsse. Sollte der Behandler der Patientin Hoffnungen gemacht haben, dass sie nach der geplanten Bearbeitung und Versorgung aller Zähne dauerhaft auf das Tragen einer Aufbissschiene werde verzichten können, erachte er eine derartige Aussage als unseriös.
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e. Bei der Auslegung der Äußerungen des Antragsgegners anlässlich der dritten Fachberateranfrage vom 22. November 2019 stellt der Senat mit ein, dass ihnen der Einwand vorausging, entgegen der fachlichen Beurteilung des Antragsgegners gelte die „neue Bruxismus-Leitlinie“ für den Behandlungsfall nicht, da bei der Patientin keine Abrasionen existierten. Der Antragsgegner begegnete dieser Aussage mit der Bemerkung, es irritiere sehr, dass dem Behandler der aktuelle Standard der Funktionslehre offenbar nicht bekannt sei, obgleich dieser in diesem Fachgebiet arbeite, und gab die Definition von Bruxismus, wie sie in der aktuellen Leitlinie zur Diagnostik und Behandlung von Bruxismus zu finden sei, wieder, wonach unter diesem Begriff eine wiederholte Kaumuskelaktivität, charakterisiert durch Kieferpressen und Zähneknirschen und /oder Anspannen oder Verschieben des Unterkiefers ohne Zahnkontakt zu verstehen sei.
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5. Ein Sonderfall einer Formalbeleidigung oder Schmähung, der ausnahmsweise eine Abwägung entbehrlich machen würde, (vgl. BVerfGE 82, 43 <51>; 90, 241 <248>; 93, 266 <294>), liegt hier nicht vor. Schmähkritik ist eine Äußerung dann, wenn in ihr nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern jenseits auch polemischer oder überstürzter Kritik die Diffamierung der Person im Vordergrund steht, etwa wenn sich die Äußerungen von dem sachlichen Anlass völlig gelöst hätten oder der Verfahrensbezug nur als mutwillig gesuchter Anlass oder Vorwand genutzt wurde, um den Betroffenen zu diffamieren (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. Juni 2016 – 1 BvR 2646/15-, juris Rn. 17, 18). Erfolgt – wie hier – die Äußerung im Rahmen der Auseinandersetzung um die Sache, ist nicht von einer Schmähkritik auszugehen (vgl. BVerfG a.a.O. Rn. 17)
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6. Für die somit gebotene Abwägung zwischen den betroffenen Rechtsgütern setzt der Senat das Gewicht der Meinungsäußerung des Antragsgegners zu den von der Berufsordnung der Zahnärzte geschützten Rechtsgütern ins Verhältnis. Die oben dargestellten Vorschriften der Berufsordnung dienen, wie das Berufsgericht im Ergebnis zutreffend ausgeführt hat, der Wahrung des Ansehens der Angehörigen der Heilberufe, dem Vertrauen der Bevölkerung in die Integrität und die Zuverlässigkeit des zahnärztlichen Berufsstandes und damit dem Schutz der Gesundheit des Patienten und einer funktionierenden Gesundheitsfürsorge (vgl. BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 28. Februar 2007 – 1 BvR 2520/05 –, juris Rn. 27 zu Äußerungen eines Arztes; BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 14. Februar 2000 – 1 BvR 390/95 –, juris Rn. 47 „Volksgesundheit“).
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a. Bei der gebotenen Abwägung der widerstreitenden Rechtsgüter spielt aus der Sicht des Senats eine maßgebliche Rolle, dass der Antragsgegner die verfahrensgegenständlichen Formulierungen jeweils im Rahmen der Erstattung von Gutachten verwendete, um die nach seiner Ansicht folgenschweren Behandlungsfehler und die eingeschliffenen Rechnungsstellungsfehler von Kollegen zu unterstreichen.
28
aa. Bei der Gewichtung der Belange darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Antragsgegner nach der Antragsschrift von den Versicherungen der Patienten beauftragt worden war, die medizinische Notwendigkeit von Heilbehandlungen wegen Krankheit gemäß § 192 Abs. 1 VVG und die gebührenrechtliche Erstattungsfähigkeit von Kostenvoranschlägen und Rechnungen der behandelnden Zahnärzte zu prüfen, und dass die Antragsschrift die vom Antragsgegner aufgezeigten erheblichen Behandlungsfehler und die nachhaltigen Abrechnungsmängel nicht in Zweifel zieht. Weisen die Behandlungskonzepte in den Fällen 2 bis 5 und die Abrechnungen im Fall 1 die vom Antragsgegner festgestellten Mängel jedoch auf, hat der Antragsgegner seiner Auffassung nach in seinen gutachterlichen Stellungnahmen sowohl den Patienten als auch den Krankenversicherungen gegenüber insbesondere in den Fällen 1 bis 3 gravierende Pflichtverletzungen und schwere fachliche Fehler der Behandler aufgedeckt.
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bb. Soweit sich der Antragssteller in diesem Zusammenhang auf die Therapiefreiheit eines Behandlers beruft, gilt folgendes:
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aaa. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zum Arzthaftungsrecht ist zwar die Wahl der Behandlungsmethode primär Sache des Arztes. Die Wahrung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten erfordert aber eine Unterrichtung über eine alternative Behandlungsmöglichkeit, wenn für eine medizinisch sinnvolle und indizierte Therapie mehrere gleichwertige Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, die zu jeweils unterschiedlichen Belastungen des Patienten führen oder unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen bieten (BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2013 – VI ZR 230/12 –, juris Rn. 8; vgl. § 630e Abs. 1 S. 3 BGB). Je schwerer und radikaler der Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Patienten ist, desto höher sind die Anforderungen an die medizinische Vertretbarkeit der gewählten Behandlungsmethode (BGH, Urteil vom 30. Mai 2017 – VI ZR 203/16 –, juris Rn. 7 zur zahnärztlichen Behandlung). In Behandlungsfehler kann nicht eingewilligt werden. Die Ausführung einer überflüssigen, medizinisch nicht indizierten Maßnahme mit nachhaltigen Eingriffen in die körperliche Substanz kann einen schwerwiegenden Behandlungsfehler darstellen, wenn der Behandler die Therapie den Regeln der zahnärztlichen Kunst widersprechend als medizinisch erforderlich empfohlen hat (zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Zahnarztes im Falle von medizinisch nicht indizierten Zahnextraktionen vgl. BGH, Urteil vom 22. Februar 1978 – 2 StR 372/77 –, juris).
31
bbb. Der Behandelnde ist zudem gesetzlich verpflichtet, in einer Patientenakte sämtliche aus fachlicher Sicht für die derzeitige und künftige Behandlung wesentlichen Maßnahmen und deren Ergebnisse aufzuzeichnen, insbesondere die Anamnese, Diagnosen, Untersuchungen, Untersuchungsergebnisse, Befunde, Therapien und ihre Wirkungen, Eingriffe und ihre Wirkungen, Einwilligungen und Aufklärungen (§ 630f Abs. 2 S. 1 BGB).
32
cc. Das Offenlegen von – gravierenden – Pflichtverletzungen eines Behandlers kann den Pflichten eines gutachterlich tätigen Zahnarztes nicht widersprechen. Vielmehr entspricht sie ihnen. Die dadurch hervorgerufene Transparenz dient einerseits dem Schutz des Patienten, aber auch dem Ethos des Berufsstands und einer funktionierenden Gesundheitsfürsorge.
33
aaa. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers ist der Patient über Behandlungsfehler aus Gründen der medizinischen Ethik immer und unverzüglich zu informieren, soweit der Behandelnde Umstände erkannt hat, die einen Behandlungsfehler vermuten lassen (BT-Drucks. 17/10488, S. 38). So sieht die Vorschrift von § 630c Abs. 2 S. 2 BGB im Falle von Behandlungsfehlern unter bestimmten Voraussetzungen eine gesetzliche Offenlegungspflicht des Behandlers vor (zur Unterstützungspflicht der Krankenkassen bei Behandlungsfehlern § 66 SGB V). Die Pflicht zur Offenbarung trifft jedoch nicht nur den Behandler. Kein Arzt, der es besser weiß, darf sehenden Auges eine Gefährdung seines Patienten hinnehmen, wenn ein anderer Arzt seiner Ansicht nach etwas falsch gemacht hat oder er jedenfalls den dringenden Verdacht haben muss, es könne ein Fehler vorgekommen sein. Das gebietet der Schutz des Patienten. In einem solchen Fall darf er im Rahmen seiner eigenen ärztlichen Sorgfaltspflichten dem Patienten gegenüber offenbare Versehen oder ins Auge springende Unrichtigkeiten nicht unterdrücken (BGH, Urteil vom 28. Mai 2002 – VI ZR 42/01 –, juris Rn. 6 und 7 m.w.N.).
34
bbb. Entsprechendes hat für einen Gutachter zu gelten, der aufgrund des ihm erteilten Auftrags verpflichtet ist, die Behandlung zu prüfen.
35
b. Wie das Berufsgericht bereits rechtsfehlerfrei dargelegt hat, ist bei der Abwägung der betroffenen Rechtsgüter ferner von Belang, dass die Beurteilungen des Antragsgegners nur eine äußerst beschränkte Außenwirkung entfalteten (vgl. BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 28. Februar 2007 – 1 BvR 2520/05 –, juris Rn. 28; BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 18. Dezember 2002 – 1 BvR 244/98 –, juris Rn. 19; BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 14. Februar 2000 – 1 BvR 390/95 –, juris Rn. 48). Gegen eine erhebliche Beeinträchtigung spricht hier, dass der Antragsgegner die Bewertungen nur zum jeweiligen Versicherungsfall und nicht einem breiten Kreis möglicher Patienten der kritisierten Zahnärzte zugänglich gemacht hat.
36
c. Der vom Antragsteller betonte Gesichtspunkt, die Formulierungen wären geeignet, das Vertrauensverhältnis zwischen den behandelnden Kollegen und dem Patienten erheblich zu beeinträchtigen, spielt demgegenüber bei der Gewichtung in den Fällen 1 bis 5 nur eine untergeordnete Rolle. Sollte der Antragsgegner in seinen Gutachten die fachlichen Mängel der Behandler zutreffend beurteilt haben, was der Antragsteller ausdrücklich offen lässt, könnte eine Preisgabe der Fehler auch unter zugespitzter Wortwahl keinen Vertrauensverstoß des Gutachters gegenüber dem geschädigten Patienten darstellen. Das Vertrauen des Patienten in eine fehlerbehaftete Behandlung oder Abrechnung des Behandelnden ist nicht schützenswert. Zudem hatte bereits die Einleitung einer Untersuchung und die Beauftragung eines Gutachters zur Folge, dass das Vertrauensverhältnis zwischen dem behandelnden Zahnarzt und dem Patienten belastet wurde. Im übrigen dient die Offenbarung von Fehlern auch dem Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient, welches nur ein gegenseitiges sein kann (vgl. BT-Drucks. a.a.O. S. 38, 39).
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d. Hinzu kommt, dass die Formulierungen des Antragsgegners in den Fällen 1, 2 und 4 ersichtlich von seinem Anliegen geprägt waren, an die betroffenen Kollegen zu appellieren, ihre gesetzlichen Berufspflichten (vgl. § 630a Abs. 1 und 2, § 630c Abs. 2 S. 2, § 630e Abs. 1 und § 630f Abs. 2 BGB; vgl. auch Landesberufsgericht für Heilberufe Münster, Urteil vom 6. Februar 2013 – 6t A 1843/10.T –, juris zur Berufspflichtverletzung aufgrund von systematischen Sorgfaltsverstößen bei der Erstellung einer ärztlichen Liquidation) zugunsten der Patienten zu beachten. Eine derartige Kritik kann, auch wenn sie mit deutlichen Worten erfolgt, ebenfalls der Qualitätssicherung innerhalb des Berufsstandes dienen.
38
e. Bei der Gewichtung ist im Fall 1 darüber hinaus mit einzustellen, dass das Aufzeigen von doppelter und fehlerhafter Abrechnung rechtlich nicht zu missbilligen ist, auch wenn es sich gegen einen Kollegen richtet. Zudem entsprach es der Aufgabenstellung des Antragsgegners. Kommt ein Gutachter zu dem Schluss, dass der Behandler ungeachtet früherer Beanstandungen weiterhin zu Lasten des Patienten Behandlungspositionen doppelt und in erheblichem Maße zu Unrecht abrechnet, ist der Vorwurf eines nicht nur flüchtigen Fehlers aus der Sicht des Senats zum Schutz des Patienten und der Abrechnungssysteme im Gesundheitswesen durchaus gerechtfertigt.
39
f. Das ärztliche Berufsethos ist kein Selbstzweck. Die ärztliche Tätigkeit hat primär im Dienst des Patienten und seiner Gesundheit zu stehen. Nachdem der Antragsgegner in den Fällen 2 und 3 in seiner Begutachtung auf der Grundlage seiner fachlichen Erkenntnisse zu dem Ergebnis gekommen ist, dass der behandelnde Zahnarzt unter Verstoß gegen seine Dokumentationspflichten irreversible Schädigungen von zahlreichen Zähnen der noch jungen Patientin ohne medizinische Indikation verursacht hatte und dass sich der behandelnde Arzt bei der Konzeption seiner Behandlung nicht sorgfältig an dem orientiert hat, was für seine Patientin aus medizinischer Sicht sinnvoll war, relativieren sich die von ihm im Fall 2 verwendeten Begrifflichkeiten „unverständlich“, „oberflächlich“, „wenig glaubhaft“, „verwirrend“, „nicht nachvollziehbar“ und „fehlerhaft“ von selbst.
40
g. Bei der Beurteilung der MAGO-Schiene im Fall 2 hat der Senat in die Abwägung mit eingestellt, dass der Antragsgegner die diesbezüglichen Äußerungen ausdrücklich auf die OBI-Foundation und deren Philosophie bezog und fachlich begründete. Zum konkreten Behandlungsfall führte er aus, dass, sollte die Schiene unter Beachtung des zahnmedizinischen Standards gefertigt worden sein, sie nicht zu beanstanden wäre.
41
h. Im Telefongespräch mit der Patientin im Fall 3 informierte der Antragsgegner die Patientin über die in seinem Gutachten festgestellten Behandlungsfehler. Der Senat beurteilt die Wortwahl mit Blick auf das Ergebnis der Begutachtung als gerechtfertigt und nicht unangemessen.
42
i. Im Fall 4 hatte der Antragsgegner seine Beurteilung der fehlenden Seriosität an eine Bedingung geknüpft und die Hintergründe dieser Einschätzung ausführlich dargelegt. Der Senat sieht in der Äußerung unter Berücksichtigung des Ergebnisses der fachlichen Beurteilung des Behandlungsfalls (Ausführungen zur zweiten Fachberateranfrage vom 2. Juli 2019 Seiten 2 bis 4) die von der Berufsordnung der Zahnärzte geschützten Rechtsgüter nur untergeordnet tangiert.
43
j. Die Äußerungen des Antragsgegners im Fall 5 als Reaktion auf einen gegen ihn gerichteten fachlichen Angriff erachtet der Senat mit Blick auf die aus der Sicht des Antragsgegners vorliegenden Fehler des Behandlers (Ausführungen zur dritten Fachberateranfrage vom 22. November 2019 Seiten 2 bis 6) und der Wortwahl des Behandlers in der Kommunikation mit der Versicherung als nicht derart überzogen, dass sie das Ansehen der Angehörigen der Heilberufe, das Vertrauen der Bevölkerung in die Integrität und die Zuverlässigkeit des zahnärztlichen Berufsstandes und eine funktionierende Gesundheitsfürsorge in erheblicher Weise beeinträchtigen könnten.
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7. Danach kommt der Senat in Übereinstimmung mit dem Berufsgericht zum Ergebnis, dass in allen Fällen die Meinungsfreiheit überwiegt und die vom Antragsteller beanstandeten Formulierungen somit von der Meinungsfreiheit gedeckt sind. Vor dem Hintergrund dessen scheidet die Verhängung einer berufsgerichtlichen Maßnahme aus rechtlichen Gründen aus, weshalb die Eröffnung des berufsgerichtlichen Verfahrens abzulehnen war.
45
Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Antragsgegners und des Antragstellers beruht auf Art. 95 Abs. 1 und Art. 96 Abs. 3, Abs. 6 S. 2 HKaG.