Titel:
Erfolglose Normenkontrolle gegen Besucherbeschränkungen für Kultureinrichtungen während Corona-Pandemie
Normenketten:
VwGO § 47
IfSG § 28 Abs. 1, § 32 S. 1
GG Art. 12, Art. 14
6. BayIfSMV § 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 2
Leitsätze:
1. Die ausnahmslose Begrenzung der Besucherzahl von Kulturveranstaltungen in geschlossenen Räumen auf 100 bzw. 200 Personen durch die 6. BayIfSMV war verhältnismäßig. (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Besucherbeschränkungen verstießen auch nicht gegen den Gleichheitssatz, weil der Verordnungsgeber die Besucherbeschränkung unabhängig von der Größe des Einrichtungsortes festgelegt hat. (Rn. 60) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Corona-Pandemie, Konzertveranstalter, Beschränkung der Besucherzahl in Kultureinrichtungen, Corona, Pandemie, Besucherzahl, Kultureinrichtungen, Besucherbeschränkung
Fundstelle:
BeckRS 2024, 4467
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
1
1. Mit ihrem Normenkontrollantrag nach § 47 VwGO begehrt die Antragstellerin die Feststellung, dass § 21 Abs. 2 Satz 1 Ziffer 2 der Sechsten Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (6. BayIfSMV) vom 19. Juni 2020 (BayMBl. Nr. 348, BayRS 2126-1-10-G), i. d. F. des § 1 der Verordnung vom 1. September 2020 (BayMBl. Nr. 494) unwirksam war.
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2. Der Antragsgegner hat am 19. Juni 2020 durch das Staatsministerium für Gesundheit und Pflege die streitgegenständliche Verordnung erlassen, die in der angegriffenen Fassung der Verordnung vom 1. September 2020 (BayMBl. Nr. 494) auszugsweise folgenden Wortlaut hatte:
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(1) Museen, Ausstellungen, Gedenkstätten, Objekte der Bayerischen Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen und vergleichbare Kulturstätten sowie zoologische und botanische Gärten können unter folgenden Voraussetzungen öffnen:
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1. Für gastronomische Angebote gilt § 13.
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2. Für Führungen gilt § 11 Abs. 2; für sonstige kulturelle Veranstaltungen gilt Abs. 2 entsprechend.
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3. Es darf nicht mehr als ein Besucher je 10 m² zugänglicher Fläche zugelassen werden.
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4. Der Betreiber hat ein Schutz- und Hygienekonzept auszuarbeiten und auf Verlangen der zuständigen Kreisverwaltungsbehörde vorzulegen.
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Für Angebote unter freiem Himmel gilt § 5 Abs. 1 Satz 2 entsprechend.
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(2) Kulturelle Veranstaltungen in Theatern, Konzerthäusern, auf sonstigen Bühnen und im Freien sowie die dafür notwendigen Proben und anderen Vorbereitungsarbeiten sind nur unter folgenden Voraussetzungen zulässig:
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1. Der Veranstalter hat durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass grundsätzlich zwischen allen Teilnehmern, also Besuchern und Mitwirkenden, die nicht zu dem in § 2 Abs. 1 bezeichneten Personenkreis gehören, ein Mindestabstand von 1,5 m eingehalten werden kann; bei Einsatz von Blasinstrumenten und bei Gesang ist ein Mindestabstand von 2 m einzuhalten.
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2. Unter Beachtung der Anforderungen nach Nr. 1 sind in geschlossenen Räumen höchstens 100 und unter freiem Himmel höchstens 200 Besucher zugelassen; bei Veranstaltungen mit zugewiesenen und gekennzeichneten Sitzplätzen beträgt die Anzahl der möglichen Besucher in geschlossenen Räumen höchstens 200 und unter freiem Himmel höchstens 400.
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3. Für die Besucher gilt in geschlossenen Räumen Maskenpflicht, solange sie sich nicht an ihrem Platz befinden.
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4. Für die Mitwirkenden gilt in geschlossenen Räumen, in denen sich auch Besucher aufhalten oder der Mindestabstand nicht eingehalten werden kann, Maskenpflicht; dies gilt nicht, soweit dies zu einer Beeinträchtigung der künstlerischen Darbietung führt oder wenn der Mitwirkende einen festen Platz eingenommen hat und den Mindestabstand einhält.
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5. Der Veranstalter hat ein Schutz- und Hygienekonzept auszuarbeiten und auf Verlangen der zuständigen Kreisverwaltungsbehörde vorzulegen; soweit ein von den Staatsministerien für Wissenschaft und Kunst und für Gesundheit und Pflege bekannt gemachtes Rahmenkonzept besteht, ist dieses zugrunde zu legen.
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6. Für gastronomische Angebote gilt § 13; die Teilnehmergrenzen nach Nr. 2 gelten auch insoweit.
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Für Veranstaltungen unter freiem Himmel gilt § 5 Abs. 1 Satz 2 entsprechend…“
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Die angegriffene Norm galt in der Fassung der Verordnung vom 1. September 2020 bis einschließlich 17. September 2020 (vgl. § 1 der Verordnung vom 17. September 2020, BayMBl. Nr. 533). Mit Ablauf des 1. Oktober 2020 trat die Sechste Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (6. BayIfSMV) vom 19. Juni 2020 (BayMBl. Nr. 348. BayRS 2126-1-10-G), die zuletzt durch § 1 der Verordnung vom 22. September 2020 (BayMBl. Nr. 535) geändert worden ist, außer Kraft (§ 26 Satz 2 7. BayIfSMV; BayMBl. 2020 Nr. 562).
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3. Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 7. September 2020 einen Antrag nach § 47 Abs. 1 VwGO gestellt und zuletzt mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 13. September 2023 beantragt,
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Es wird festgestellt, dass § 21 Abs. 2 Satz 1 Ziffer 2 der 6. BayIfSMV vom 19. Juni 2020 (BayMBl. Nr. 348, BayRS 2126-1-10-G) in der Fassung vom 1. September 2020 (BayMBl. Nr. 494) unwirksam gewesen ist.
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Sie trägt zur Begründung ihres Antrages im Wesentlichen sinngemäß vor, es bestehe eine konkrete Wiederholungsgefahr. Im Übrigen ergebe sich vorliegend ein Fortsetzungsfeststellungsbegehren im Hinblick auf einen möglichen Schadenersatzanspruch der Antragstellerin gegen den Freistaat Bayern, da der Antragstellerin und ihrer 100%igen Tochtergesellschaft … … GmbH durch die angegriffenen Regelungen wirtschaftliche Schäden in beträchtlicher Höhe entstanden seien. Die Antragstellerin und die … … GmbH hätten Coronabedingt allein im Zeitraum vom 1. Februar 2020 bis 15. August 2020 die 33 geplanten Veranstaltungen in M.absagen müssen. Alle diese 33 Konzerte hätten eine Besucherkapazität von ca. +/- 1.000 Sitzplätzen gehabt. Bei einer typischen Gewinnmarge ergebe sich hier insgesamt ein entgangener Gewinn von ca. EUR 99.000,00. Externe Kosten hätten größtenteils abgewendet und interne um in etwa die Hälfte reduziert werden können, sodass sich hier ein weiterer Schaden durch Kosten von ca. EUR 82.500,00 ergeben habe.
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Kulturveranstalter in Bayern hätten den stärksten Einschränkungen im Bundesgebiet unterlegen. Nachdem in anderen Bundesländern z.B. Konzerte in geschlossenen Räumen mit bis zu 1000 Besuchern hätten stattfinden dürfen, sei die bayerische Regelung willkürlich. Weder infektionslogisch noch epidemiologisch sei eine derart restriktive Regelung erforderlich und notwendig gewesen. Es seien auch keine sonstigen Gründe ersichtlich, die eine derart restriktive und starre Regelung gerechtfertigt hätten. Dies hätten auch die für den Personentransport, beispielsweise für Flugzeug und Bahn, geltenden Regelungen gezeigt, die derlei zahlenmäßigen Beschränkungen nicht beinhaltet hätten, obgleich hier Menschen für teilweise noch längere Zeiträume nicht getrennt gesessen hätten. Auch mit Blick auf große Hallen sei nicht nachvollziehbar, warum bei möglichen Konzertveranstaltungen höchstens 200 Besucher zugelassen seien. Die bayerische Regelung sei insofern auch unverhältnismäßig, als hier mögliche Differenzierungen, von denen andere Bundesländer ersichtlich Gebrauch gemacht hätten (Registrierung, Alkoholverbot, Berücksichtigung der Fläche, besonderes Genehmigungsverfahren) für die Frage einer Genehmigungsfähigkeit nicht berücksichtigt würden. Hinzu komme, dass sich der Freistaat Bayern selbst eine Ausnahmegenehmigung für die Vorstellungen der Bayerischen Staatsoper als Pilotversuch erteilt habe und zu den Vorstellungen bis zu 500 Besucher auf gekennzeichneten Plätzen zugelassen habe, um Erfahrungen mit kulturellen Veranstaltungen mit einer höheren Besucherzahl als den derzeit 200 zugelassenen Personen bei Kulturveranstaltungen in Innenbereichen sowie mit den hierfür erforderlichen Schutz- und Hygienemaßnahmen zu sammeln. Durch diesen Pilotversuch würden andere Veranstalter, die im Wettbewerb mit dem Freistaat Bayern stünden – so wie die Antragstellerin – ungerechtfertigt benachteiligt. Hinzu komme, dass für Veranstaltungen unter freiem Himmel eine Ausnahmemöglichkeit bestehe. Im Bereich der klassischen Musik sei dies in der kalten Jahreszeit jedoch nicht mehr möglich. Vorliegend bestehe auch kein tatsächlicher Einschätzungsspielraum des Verordnungsgebers, da die Entscheidungsgrundlagen einer etwaigen Ausnahme bei Veranstaltungen unter freiem Himmel und in geschlossenen Räumen identisch seien. Die Antragstellerin sei in ihrem Grundrecht auf Berufsfreiheit verletzt worden.
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4. Der Antragsgegner tritt dem Antrag entgegen und beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Der Fortsetzungsfeststellungsantrag sei nicht zulässig. Mit der einfachen Behauptung, es sei beabsichtigt, Amtshaftungsansprüche geltend zu machen, sei ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse (in Gestalt eines Präjudizinteresses) nicht hinreichend dargelegt. Es sei schon nicht ersichtlich, dass die Früchte des bisherigen Prozesses die Fortsetzung erforderten. Auch die geltend gemachte Wiederholungsgefahr sei nicht geeignet, ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse zu begründen. Schließlich liege auch kein schwerwiegender Grundrechtseingriff durch § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 6. BayIfSMV, der ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse begründen könnte, vor. Dies habe die Antragstellerin schon nicht geltend gemacht.
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Die Zugangsbeschränkungen in Kulturstätten (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 6. BayIfSMV) seien rechtmäßig gewesen. Die Zuschauerbeschränkung für Kulturstätten habe ihre Rechtsgrundlage in § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 IfSG in der Fassung des Gesetzes vom 27. März 2020 (BGBl. I S. 587) gefunden, wonach die zuständige Behörde u.a. Veranstaltungen und sonstige Ansammlungen von Menschen beschränken oder verbieten konnte. Bei den kulturellen Veranstaltungen der Antragstellerin habe es sich sowohl um Ansammlungen als auch um Veranstaltungen gehandelt. Die Ermächtigungsgrundlage begegne auch weder vor dem Hintergrund der Wesentlichkeitstheorie bzw. des Parlamentsvorbehaltes noch im Hinblick auf den Bestimmtheitsgrundsatz Bedenken. Im Urteil vom 22. November 2022, 3 CN 1.21, habe das Bundesverwaltungsgericht die Vereinbarkeit der Ermächtigungsgrundlage mit Verfassungsrecht ausdrücklich festgestellt. Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung seien hiernach im Gesetz hinreichend bestimmt nach Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG. Parlamentsvorbehalt und Wesentlichkeitsgrundsatz seien nicht verletzt. Das Bundesverwaltungsgericht habe durch Urteile vom 16. Mai 2023 (3 CN 4.22 und 3 CN 5.22) entschieden, dass § 32 i.V.m. § 28 Abs. 1 IfSG bis Mitte November 2020 eine wirksame, insbesondere verfassungsgemäße Befugnisnorm dargestellt habe.
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Die pandemische Lage im Spätsommer 2020 habe die getroffene Maßnahme auch gerechtfertigt. Hierzu werde auf die entsprechenden Lageberichte des RKI verwiesen. Die Zuschauerbeschränkung in Kulturstätten habe im Übrigen auch eine notwendige, d.h. verhältnismäßige Schutzmaßnahme dargestellt. Sie habe einen legitimen Zweck verfolgt, sei geeignet, erforderlich und im engeren Sinne verhältnismäßig (angemessen) gewesen. Der Verordnungsgeber habe mit der Zuschauerbeschränkung in den jeweiligen Einrichtungen und Betrieben einen legitimen Zweck verfolgt. Dieser habe in der Verhinderung der Ausbreitung der Krankheit COVID-19 bestanden und damit dem Schutz der Bevölkerung, die im gesamten Hoheitsgebiet des Antragsgegners durch ein sich dynamisch entwickelndes Infektionsgeschehen mit dem zu diesem Zeitpunkt neuen und weitgehend unerforschten Virus SARS-CoV-2 in ihrem jeweiligen Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gefährdet gewesen sei, gedient. Zum Zeitpunkt des Verordnungserlasses am 19. Juni 2020 sei somit die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Bayern weiterhin hoch bzw. sehr hoch gewesen. Diese Gefährdungseinschätzung des RKI lasse sich auch in den Berichten vom 1. Juli 2020, 1. August 2020 und 1. September 2020 weiterhin finden. Die Zuschauerbegrenzung in Kulturstätten sei geeignet gewesen, das Ziel der Verhinderung der Ausbreitung der Krankheit COVID-19 und damit des Schutzes der Bevölkerung vor den daraus resultierenden Gefahren für Leben und Gesundheit zu erreichen. Das Ziel des Verordnungsgebers habe im Rahmen des ersten „Lockdowns“ und auch noch im Anschluss daran darin bestanden, durch zahlreiche Maßnahmen darauf hinzuwirken, dass die Zahl der Sozialkontakte reduziert werde, um auf diese Weise Infektionsgefahren zu vermeiden. Die streitgegenständliche Zuschauerbeschränkung in Kulturstätten sei ein Teil der weiterhin während des Sommerplateaus bestehenden Beschränkungsmaßnahmen gewesen. Mehr und mehr Lockerungen der zunächst umfassenden Schließungen von Einrichtungen hätten es notwendig gemacht, dass konkrete allgemeingültige Regelungen die Infektionsgefahr auch für Besucher von Kulturstätten eindämmten. Es habe sich insbesondere auch um Regelungen für den Innenbereich gehandelt, der weiterhin eine besondere Infektionsgefahr verursacht hätte. Im Geltungszeitraum der Norm sei kein milderes Mittel bekannt gewesen. Hygieneregeln in Kulturstätten hätten zum damaligen Zeitpunkt kein – in jeder Hinsicht gleichermaßen geeignetes – milderes Mittel zum Schutz vor dem Virus SARS-CoV-2, verglichen mit der Zuschauerbegrenzung, dargestellt. Konkrete Hygienekonzepte seien gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 6. BayIfSMV vielmehr zusätzlich zu erstellen gewesen. Es sei offensichtlich, dass eine absolute Zuschauerbeschränkung weniger Kontaktmöglichkeiten und weniger Infektionsgefahren geboten hätte als eine erheblich umfangreichere relative Beschränkung oder gar eine unbegrenzte Öffnung der Kulturstätten für Zuschauer. Unabhängig von der Größe der Kulturstätten komme es dort zu unmittelbaren Begegnungen zwischen Menschen. Je mehr Personen in einem Raum anwesend gewesen seien, desto mehr Infektionen über Aerosole und Tröpfchen hätten dort über die Luft stattfinden können. In geschlossenen Räumen sei das Infektionsrisiko nochmals weitaus höher als außerhalb geschlossener Räume. Auch die Mund-Nasen-Bedeckung (Fremdschutz) hätte insoweit kein gleich geeignetes milderes Mittel dargestellt. Aus Sicht des Infektionsschutzes habe eine Kombination aus Minimierung der physischen Kontakte zwischen den Menschen sowie weiterer nicht-pharmazeutische Interventionen eine weitaus effektivere Maßnahme dargestellt als jede Maßnahme für sich alleinstehend. Auch Desinfektionsmaßnahmen, die v.a. der Kontaktinfektion vorbeugten, seien für sich genommen kein gleichermaßen geeignetes Mittel, um die Infektionen weiter einzudämmen. Eine persönliche Registrierung der Besucher habe zwar eine Nachverfolgung ermöglicht, solange die Infektionszahl nicht in besonders hohem Maße, also exponentiell, angestiegen sei. Jedoch hätte eine Nachverfolgung zunächst die Infektionen der Besucher der Kulturstätte sowie die Infektionen der engen persönlichen Kontakte im unmittelbaren Anschluss an den Besuch der Kulturstätte nicht verhindert. Auch technische Maßnahmen wie Luftfilter, Luftreinigung durch Lüftung oder Anlagen alleine hätten dann nicht zur Eindämmung der Infektionen ausgereicht, wenn das SARS-CoV-2-Virus in einer Variante vorliege, die eine leichte Übertragbarkeit und gleichzeitig eine erhebliche gesundheitliche Beeinträchtigung bis hin zur Beatmung und zum Tod zur Folge gehabt hätte. Dies sei im Sommer und Herbst 2020 der Fall gewesen. Ein Alkoholverbot hätte lediglich eine zusätzliche Maßnahme dargestellt, hätte jedoch nicht die Wirkung einer Zuschauerbegrenzung obsolet gemacht.
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5. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen. Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden
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Der Antrag, über den der Senat nach § 47 Abs. 5 Satz 1 VwGO ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entscheidet, ist zulässig, aber unbegründet, weil § 21 Abs. 2 Satz 1 Ziffer 2 der 6. BayIfSMV vom 19. Juni 2020 (BayMBl. Nr. 348, BayRS 2126-1-10-G), in der Fassung vom 1. September 2020 (BayMBl. Nr. 494) wirksam war.
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Die Antragstellerin hat ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Unwirksamkeit von § 21 Abs. 2 Satz 1 Ziffer 2 der 6. BayIfSMV i. d. F. vom 1. September 2020, auch wenn diese Fassung nur bis zum 17. September 2020 galt und die Regelung mit Ablauf des 1. Oktober 2020 außer Kraft getreten ist.
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1. Gemäß § 47 Abs. 1 VwGO kann den Normenkontrollantrag jede natürliche oder juristische Person stellen, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Zwar geht § 47 Abs. 1 VwGO vom Regelfall der noch geltenden Rechtsvorschrift aus (vgl. auch § 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO). Ist die angegriffene Norm während der Anhängigkeit des Normenkontrollantrags außer Kraft getreten, bleibt er aber zulässig, wenn die Antragstellerin weiterhin geltend machen kann, durch die zur Prüfung gestellte Norm oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt (worden) zu sein. Darüber hinaus muss er ein berechtigtes Interesse an der Feststellung haben, dass die Rechtsvorschrift unwirksam war (stRspr., vgl. BVerwG, U. v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – juris)
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2. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
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a) Die Antragstellerin hat ihren Normenkontrollantrag am 7. September 2020 und damit während der Geltungsdauer der angegriffenen Verordnungsregelung anhängig gemacht (vgl. zu diesem Erfordernis: BVerwG, B. v. 28.7.2022 – 3 BN 8.21, BeckRS 2022, 22986 Rn. 10, 12, 16 f.). Nach deren Außerkrafttreten mit Ablauf des 1. Oktober 2020 kann sie weiterhin geltend machen, in ihren Rechten verletzt worden zu sein. Auf der Grundlage ihres Vortrags erscheint es möglich, dass sie durch § 21 Abs. 2 Satz 1 Ziffer 2 der 6. BayIfSMV, der die Besucherzahl bei Kulturveranstaltungen auf 100 bzw. 200 Personen begrenzte, jedenfalls in ihrem durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Recht der Berufsausübungsfreiheit verletzt wurde.
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b) Die Antragstellerin hat trotz des Außerkrafttretens der Regelung ein berechtigtes Interesse an der Feststellung, dass die Zuschauerbeschränkung unwirksam war. Art. 19 Abs. 4 Satz 1GG garantiert effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt. Die Gerichte sind verpflichtet, bei der Auslegung und Anwendung des Prozessrechts einen wirkungsvollen Rechtsschutz zu gewährleisten und den Zugang zu den eingeräumten Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren. Mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes ist es grundsätzlich vereinbar, die Rechtsschutzgewährung von einem fortbestehenden Rechtsschutzinteresse abhängig zu machen und bei Erledigung des Verfahrensgegenstandes einen Fortfall des Rechtsschutzinteresses anzunehmen. Trotz Erledigung des ursprünglichen Rechtsschutzziels kann ein Bedürfnis nach gerichtlicher Entscheidung aber fortbestehen, wenn das Interesse des Betroffenen an der Feststellung der Rechtslage in besonderer Weise schutzwürdig ist. Das ist unter anderem dann der Fall, wenn ein gewichtiger Grundrechtseingriff von solcher Art geltend gemacht wird, dass gerichtlicher Rechtsschutz dagegen typischerweise nicht vor Erledigungseintritt erlangt werden kann (stRspr., vgl. BVerwG, U. v. 16.5.2023 – 3 CN 5.22 – NVwZ 2023,1846 Rn 15).
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Danach besteht ein schützenswertes Interesse der Antragstellerin an der nachträglichen verwaltungsgerichtlichen Klärung der Wirksamkeit von § 21 Abs. 2 Satz 1 Ziffer 2 der 6. BayIfSMV. Die zur Prüfung gestellte Norm hatte eine kurze Geltungsdauer (19.6.2020 – 1.10.2020), innerhalb derer gerichtlicher Rechtsschutz in einem Hauptsacheverfahren nicht erlangt werden konnte. Die Antragstellerin macht Beeinträchtigungen ihres Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG geltend, die ein Gewicht haben, das die nachträgliche Klärung der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Verordnungsregelung rechtfertigt. Auch wenn Kulturveranstaltungen grundsätzlich erlaubt waren, wurde die Berufsausübung der Antragstellerin durch die ausnahmslose Zuschauerlimitierung auf 100 bzw. 200 Personen erheblich eingeschränkt. Dass das Gewicht des Eingriffs durch staatliche Hilfsprogramme zur finanziellen Kompensation seiner Folgen gemindert wurde, kann die nachträgliche Prüfung der Rechtmäßigkeit der Vorschriften ebenfalls nicht erübrigen. Eine gewichtige Beeinträchtigung der erwerbswirtschaftlichen Seite der Berufsausübungsfreiheit kann für sich genommen ein fortbestehendes Feststellungsinteresse begründen. (vgl. BVerwG, B. v. 16.5.2022 – 3 CN 6.22 – BeckRS 2023, 10365 Rn. 16). Darüber hinaus hat die Antragstellerin schlüssig dargelegt Entschädigungsansprüche gegen den Antragsgegner geltend machen zu wollen (vgl. hierzu BayVGH, U. v. 6.10.2022 – 20 N 20.794 – juris Rn. 40).
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Der Normenkontrollantrag ist jedoch unbegründet, weil die angegriffene Verordnungsregelung wirksam war.
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1. § 32 Satz 1 des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) vom 20. Juli 2000 (BGBl. 2000 I 1045) i. d. F. des Gesetzes zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise (Corona-Steuerhilfsgesetz) vom 19. Juni 2020 (BGBl. 2020 I 1385) ermächtigt die Landesregierungen, unter den Voraussetzungen, die für Maßnahmen (u.a.) nach § 28 IfSG maßgebend sind, auch durch Rechtsverordnungen entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen. Gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG in der bei Erlass und während der Geltung der Verordnung zuletzt durch das Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 27. März 2020 (BGBl. 2020 I 587) geänderten Fassung dieser Vorschrift trifft die zuständige Behörde, wenn Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden oder sich ergibt, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in den §§ 29 bis 31 IfSG genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist; sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten. Nach § 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG kann die zuständige Behörde unter den Voraussetzungen von S. 1 Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen von Menschen beschränken oder verbieten und Badeanstalten oder in § 33 IfSG genannte Gemeinschaftseinrichtungen oder Teile davon schließen. Die Grundrechte der Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 GG), der Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG), der Freizügigkeit (Art. 11 Abs. 1 GG) und der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1GG) werden insoweit eingeschränkt (§§ 28 Abs. 1 Satz 4, 32 Satz 3 IfSG). Die Beschränkung der Besucherzahl in Kulturbetrieben, die dazu dienen sollte, die Verbreitung der COVID-19-Krankheit und eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern, konnte unabhängig von einem Krankheits- oder Ansteckungsverdacht in den Kulturstätten eine notwendige Schutzmaßnahme i.S.v. § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG sein (zur vollständigen Betriebsschließung: vgl. BVerwG, U. v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – BVerwGE 177, 60).
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2. Die infektionsschutzrechtliche Generalklausel des § 32 Satz 1 IfSG i.V.m. § 28 Abs. 1 IfSG war dementsprechend beim Erlass von § 21 Abs. 2 Satz 1 Ziffer 2 der 6. BayIfSMV und während der Geltungsdauer der Regelung eine verfassungsgemäße Grundlage für Beschränkung der Besucherzahl. Die Generalklausel genügte in der maßgeblichen Zeit sowohl den Anforderungen des Bestimmtheitsgebots (Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG) als auch denen des Parlamentsvorbehalts als einer Ausformung des Demokratie- und Rechtsstaatsprinzips. Entschädigungs- und Ausgleichszahlungen an die von Beschränkungen betroffenen Inhaber von Einrichtungen und Betrieben musste das Infektionsschutzgesetz nicht regeln (vgl. im Einzelnen: BVerwG, U. v. 16.5.2023 – 3 CN 5.22 – NVwZ 2023,1846).
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Die Voraussetzungen, unter denen nach diesen Vorschriften Verbote zur Bekämpfung einer übertragbaren Krankheit erlassen werden können, lagen vor. Bei Erlass der Verordnung waren unstreitig – auch in Bayern – Kranke festgestellt worden. Regelungen zur Beschränkung von Kontakten und zur Beschränkung von Einrichtungen und Betrieben, die – wie hier – unabhängig von einem Krankheits- oder Ansteckungsverdacht in der betroffenen Einrichtung zur Verhinderung der Verbreitung einer übertragbaren Krankheit angeordnet werden, können notwendige Schutzmaßnahmen im Sinne von § 32 Satz 1 i. V. m. § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 IfSG sein (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. November 2022 – 3 CN 1.21 – NVwZ 2023, 1000 Rn. 21 ff.). Notwendige Schutzmaßnahmen in diesem Sinne müssen an dem Ziel ausgerichtet sein, die Verbreitung der Krankheit zu verhindern, und sie müssen verhältnismäßig sein, das heißt geeignet und erforderlich, den Zweck zu erreichen, sowie verhältnismäßig im engeren Sinne (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. November 2022 – 3 CN 2.21 – NVwZ 2023, 1011 Rn. 12).
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3. Die ausnahmslose Begrenzung der Besucherzahl von Kulturveranstaltungen in geschlossenen Räumen auf 100 bzw. 200 Personen war verhältnismäßig und damit eine notwendige Schutzmaßnahme im Sinne von § 32 i. V. m. § 28 Abs. 1 IfSG.
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a) Der Verordnungsgeber verfolgte mit der Begrenzung der Besucherzahl von Kulturveranstaltungen durch § 21 Abs. 2 Satz 1 Ziffer 2 der 6. BayIfSMV ein Ziel, das mit dem Zweck der Verordnungsermächtigung im Einklang stand.
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aa) Der 6. BayIfSMV vom 19. Juni 2020 lag der Beschluss des Chefs des Bundeskanzleramtes und der Chefinnen und Chefs der Senats- und Staatskanzleien vom 26. Mai 2020 zugrunde, dass die Kontaktbeschränkungen jedenfalls bis 29. Juni 2020 fortgeschrieben werden (https://www.bundesregierung.de/resource/blob/976074/1755468/c2aa26dfd22b43a66ce3f65da6ea67cc/2020-05-26-chefbkcdsbeschluss-data.pdf?download=1). Dieser Beschluss knüpfte an die Beschlüsse der Telefonschaltkonferenz der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder vom 6. Mai 2020 (https://www.bundesregierung.de/breg-de/service/archiv/telefonschaltkonferenz-der-bundeskanzlerin-mit-den-regierungschefinnen-und-regierungschefs-der-laender-am-06-mai-2020-1750988) an und verfolgte eine weitere schrittweise Lockerung der Infektionsschutzmaßnahmen. Im Rahmen der Telefonschaltkonferenz der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder am 27. August 2020 (https://www.bundesregierung.de/breg-de/service/archiv/telefonschaltkonferenz-der-bundeskanzlerin-mit-den-regierungschefinnen-und-regierungschefs-der-laender-am-27-august-2020-1780566) wurde festgestellt, dass in den letzten Wochen die Infektionszahlen jedoch wieder gestiegen seien. Als besonders begünstigend für die Ausbreitung des Virus hätten weiterhin Gemeinschaftsunterbringungen, Veranstaltungen, Feiern und die urlaubsbedingte Mobilität im Mittelpunkt gestanden. Dieser Anstieg in den Sommermonaten sei deshalb besonders ernst zu nehmen, weil die im Sommer verstärkten Aktivitäten im Freien eine Eindämmung des Virus eigentlich eher begünstigten, während damit zu rechnen sei, dass mit dem Beginn der kalten Jahreszeit die Infektionsrisiken eher stiegen. Deshalb verfolgten Bund und Länder das Ziel, gemeinsam die Infektionszahlen wieder so weit wie möglich zu senken. Jetzt gelte es, eine erneute exponentielle Verbreitung durch gegenseitige Rücksichtnahme, Umsicht und Vorsicht zu verhindern, um zur Pandemiebekämpfung erforderliche Einschränkungen auf Dauer möglichst gering halten zu können. Dieses Ziel entsprach dem Zweck der Verordnungsermächtigung, übertragbare Krankheiten zu bekämpfen (§ 32 Satz 1 IfSG) und ihre Verbreitung zu verhindern (§ 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG).
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bb) Die Annahme des Verordnungsgebers, dass dieses Ziel ohne die erlassenen Verbote und Einschränkungen gefährdet und die Gefahr wegen einer möglichen Überlastung des Gesundheitssystems dringlich war, hatte eine tragfähige tatsächliche Grundlage (vgl. zu diesem Erfordernis: BVerfG, B. v. 19.11.2021 – 1 BvR 781/21 u. a. – BVerfGE 159, 223 Rn. 177; BVerwG, U. v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – - NVwZ 2023, 1000 Rn. 52).
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Nach dem Situationsbericht des RKIs(RKI) vom 31. August 2020 (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/2020-08-31-de.pdf? blob=publicationFile) war in der 35. Kalenderwoche die kumulative COVID-19-Inzidenz der letzten 7 Tage nach einem starken Anstieg zwischen der 29. und 34. Kalenderwoche leicht gesunken. Auch wenn die Fallzahlen in einigen Bundesländern wieder abnahmen, blieb die Entwicklung der letzten Wochen weiterhin beunruhigend. Die kumulative Inzidenz der letzten 7 Tage lag deutschlandweit bei 9,6 Fällen pro 100.000 Einwohner. Die 7-Tage-Inzidenzen lagen in den Bundesländern Bayern, Baden-Württemberg, Bremen, Berlin und Hessen deutlich über dem bundesweiten Durchschnittswert. Insgesamt waren in Deutschland 242.381 laborbestätigte COVID-19-Fälle an das RKI übermittelt worden, darunter 9.298 Todesfälle in Zusammenhang mit COVID-19-Erkrankungen. Es traten darüber hinaus bundesweit in verschiedenen Settings COVID-19-bedingte Ausbrüche auf, wie u.a. in Alten- und Pflegeheimen, Krankenhäusern, Einrichtungen für Asylbewerber und Geflüchtete, Gemeinschaftseinrichtungen, verschiedenen beruflichen Settings sowie im Zusammenhang mit Familienfeiern, religiösen Veranstaltungen und insbesondere Reisen bzw. Reiserückkehrern. Es handelte sich weltweit und in Deutschland um eine sehr dynamische und ernst zu nehmende Situation. Weltweit nahm die Anzahl der Fälle weiterhin zu. Nach wie vor gab es keine zugelassenen Impfstoffe und die Therapie schwerer Krankheitsverläufe war komplex und langwierig. DasRKI schätzte die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland weiterhin als hoch ein, für Risikogruppen als sehr hoch.
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SARS-CoV-2 war zum damaligen Zeitpunkt nach der Einschätzung des RKI grundsätzlich leicht von Mensch zu Mensch übertragbar. Das Infektionsrisiko war stark vom individuellen Verhalten (AHA-Regel: Abstand halten, Hygiene beachten, Alltagsmasken tragen), der regionalen Verbreitung und von den Lebensbedingungen (Verhältnissen) abhängig. Hierbei spielten Kontakte in Risikosituationen (wie z.B. langer face-to-face Kontakt) eine besondere Rolle. Die Aerosolausscheidung stieg bei lautem Sprechen, Singen oder Lachen stark an. In Innenräumen stieg hierdurch das Risiko einer Übertragung deutlich und bestand auch, wenn ein Abstand von mehr als 1,5 m eingehalten wurde. Wenn der Mindestabstand von 1,5 m ohne Mund-Nasen-Bedeckung unterschritten wurde, z. B. wenn Gruppen von Personen an einem Tisch saßen oder bei größeren Menschenansammlungen, bestand auch im Freien ein erhöhtes Übertragungsrisiko (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/2020-08-31-de.pdf? blob=publicationFile).
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Diese fachliche Einschätzung trug die vom bayerischen Verordnungsgeber angenommene Gefährdungslage. Der Verordnungsgeber konnten sich dabei insbesondere auf die Risikobewertung und weiteren Erkenntnisse des RKI stützen (vgl. BVerwG, U. v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – NVwZ 2023, 1000 Rn. 56 f.).
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b) Der Antragsgegner hat die in § 21 Abs. 2 Satz 1 Ziffer 2 der 6. BayIfSMV Besucherbeschränkungen als geeignet ansehen dürfen, um das mit der Verordnung verfolgte Ziel zu erreichen.
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aa) Für die Eignung reicht es aus, wenn die Verordnungsregelung den verfolgten Zweck fördern kann. Bereits die Möglichkeit der Zweckerreichung genügt (stRspr, vgl. BVerfG, B. v. 19.11.2021 – 1 BvR 781/21 u. a. – BVerfGE 159, 223 Rn. 185; BVerwG, U. vom 22. November 2022 – 3 CN 1.21 – NVwZ 2023, 1000 Rn. 59, jeweils m. w. N.).
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bb) Ausgehend von der Beurteilung des RKI zur Übertragbarkeit des Virus (UA Rn. 30 <S. 12>) war die angeordneten Besucherbeschränkung für Kulturveranstaltungen geeignet, physische Kontakte zwischen Menschen zu reduzieren, um weitere Infektionen mit dem hochansteckenden Virus SARS-CoV-2 einzudämmen und damit den Erhalt der Leistungsfähigkeit des Gesundheitswesens und insbesondere der Krankenhäuser zur Behandlung schwer- und schwerstkranker Menschen sicherzustellen. Dies gilt im Übrigen allgemein für Maßnahmen, um Ansammlungen zu verhindern oder zu beschränken (§ 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG) und damit die Mobilität innerhalb der Bevölkerung zu reduzieren.
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c) Die durch § 21 Abs. 2 Satz 1 Ziffer 2 der 6. BayIfSMV angeordneten Besucherbeschränkungen waren zur Zweckerreichung erforderliche Maßnahmen.
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aa) An der Erforderlichkeit einer Maßnahme fehlt es, wenn dem Verordnungsgeber eine andere, gleich wirksame Maßnahme zur Erreichung des verfolgten Zwecks zur Verfügung steht, die weniger in die Grundrechte der Betroffenen eingreift und Dritte und die Allgemeinheit nicht stärker belastet. Die sachliche Gleichwertigkeit der alternativen Maßnahme zur Zweckerreichung muss dafür in jeder Hinsicht eindeutig feststehen (stRspr, vgl. BVerfG, B. v. 19.11.2021 – 1 BvR 781/21 u. a. – BVerfGE 159, 223 Rn. 203 m. w. N.; BVerwG, U. v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – NVwZ 2023, 1000 Rn. 63).
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Bei der Beurteilung der Erforderlichkeit hatte der Verordnungsgeber angesichts der auch im hier maßgeblichen Zeitraum noch fehlenden Erfahrungen mit dem SARS-CoV-2-Virus und den Wirkungen von Schutzmaßnahmen einen tatsächlichen Einschätzungsspielraum, der sich darauf bezog, die Wirkung der von ihm gewählten Maßnahmen im Vergleich zu anderen, weniger belastenden Maßnahmen zu prognostizieren (vgl. BVerfG, B. v. 19.11.2021 – 1 BvR 781/21 u. a. – BVerfGE 159, 223 Rn. 204). Ein solcher Spielraum hat jedoch Grenzen. Die Einschätzung des Verordnungsgebers muss auf ausreichend tragfähigen Grundlagen beruhen. Das Ergebnis der Prognose muss einleuchtend begründet und damit plausibel sein (vgl. BVerwG, U. v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – NVwZ 2023, 1000 Rn. 64). Das unterliegt der gerichtlichen Überprüfung (vgl. BVerwG, U. v. 22.11.2022 – 3 CN 2.21 – NVwZ 2023, 1011 Rn. 17 ff.).
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bb) Kulturveranstaltungen wie z.B. die der Antragstellerin haben nicht nur Ansammlungen von Menschen hervorgerufen, sondern zusätzliche Kontaktmöglichkeiten auf dem Weg zu und von den Einrichtungen geschaffen, denen auch mit dem Hygienekonzept der Antragstellerin nicht hätte begegnet werden können. Eine Beschränkung der Besucherzahl führt notwendiger Weise zu einer Reduktion entsprechender Kontaktmöglichkeiten und damit prognostisch einhergehend zu einer Verringerung der Ansteckungen mit SARS-CoV-2. In dem Kontext der Kulturveranstaltungen gleich wirksame Maßnahmen als die Beschränkung der Besucherzahl sind insoweit nicht ersichtlich. Insbesondere durfte der Verordnungsgeber davon ausgehen, dass Abstandsgebote, Maskenpflicht und Hygienemaßnahmen alleine, ohne Besucherbeschränkungen, nicht genauso wirksam sein konnten.
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d) Die in § 21 Abs. 2 Satz 1 Ziffer 2 der 6. BayIfSMV angeordneten Besucherbeschränkungen waren angemessen und damit verhältnismäßig im engeren Sinne.
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aa) Die Angemessenheit und damit die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne erfordern, dass der mit der Maßnahme verfolgte Zweck und die zu erwartende Zweckerreichung nicht außer Verhältnis zu der Schwere des Eingriffs stehen (stRspr., vgl. BVerfG, B. v. 19.11.2021 – 1 BvR 781/21 u. a. – BVerfGE 159, 223 Rn. 216 m. w. N.). In einer Abwägung sind Reichweite und Gewicht des Eingriffs in Grundrechte einerseits und die Bedeutung der Maßnahme für die Zweckerreichung andererseits gegenüberzustellen. Angemessen ist eine Maßnahme dann, wenn bei der Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht sowie der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt wird. Dabei ist ein angemessener Ausgleich zwischen dem Gewicht des Eingriffs und dem verfolgten Ziel sowie der zu erwartenden Zielerreichung herzustellen (stRspr, vgl. BVerwG, U. v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – NVwZ 2023, 1000 Rn. 75 m. w. N.).
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bb) Die durch § 21 Abs. 2 Satz 1 Ziffer 2 der 6. BayIfSMV angeordneten Besucherbeschränkungen waren ein gewichtiger Eingriff in die Berufsausübungsübungsfreiheit der Antragstellerin (Art. 12 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 19 Abs. 3 GG). Sie haben auch deswegen besonderes Gewicht, weil in der vorgehenden Zeit im ersten „Lockdown“ in Bayern von März bis mindestens Mai 2020 der Betrieb von Kultureinrichtungen untersagt oder beschränkt war. Das Eingriffsgewicht wurde allerdings durch die für die von den Schließungen und Beschränkungen betroffenen Einrichtungen vorgesehenen staatlichen Hilfsprogramme gemindert. Zwar ist das Grundrecht der Berufsfreiheit in erster Linie persönlichkeitsbezogen, konkretisiert also im Bereich der individuellen beruflichen Leistung und Existenzerhaltung das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Daher kann eine finanzielle Kompensation für sich genommen dem Bedeutungsgehalt der Berufsfreiheit nicht gerecht werden. Gleichwohl verminderten Hilfsprogramme die Wahrscheinlichkeit einer existenzbedrohenden Lage und unterstützten die Betroffenen darin, die ausgeübte Tätigkeit künftig weiterhin wirtschaftlich ausüben zu können (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 23.3.2022 – 1 BvR 1295/21 – NJW 2022, 1672 Rn. 28 m. w. N.; zur <verneinten> Erforderlichkeit gesetzlicher Entschädigungsregelungen vgl. BVerwG, U. vom 16.5.2022 – 3 CN 4.22 – Rn. 60 ff. m. w. N.). Auch wenn die staatlichen Hilfsmaßnahmen zum Zeitpunkt des Verordnungserlasses noch nicht in Kraft gesetzt waren, durfte der Verordnungsgeber davon ausgehen, dass diese Hilfen den betroffenen Betrieben alsbald zur Verfügung gestellt würden (BVerwG, U. v. 16.5.2023 – 3 CN 6.22 – juris Rn. 69).
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cc) Diesen durch die Beschränkung von Einrichtungen und Angeboten bewirkten, gewichtigen Grundrechtseingriffen standen Gemeinwohlbelange von überragender Bedeutung gegenüber. Ziel der Verordnung war es, die Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus und der dadurch verursachten bedrohlichen COVID- 19 -Erkrankung (vgl. § 2 Nr. 3a IfSG) zu verlangsamen und damit die Bevölkerung vor Lebens- und Gesundheitsgefahren zu schützen. Die Rechtsgüter Leben und Gesundheit haben eine überragende Bedeutung (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG; stRspr, vgl. BVerfG, B. v. 19.11.2021 – 1 BvR 781/21 u. a. – BVerfGE 159, 223 Rn. 231 m. w. N.; BVerwG, U. v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – NVwZ 2023, 1000 Rn. 80 und – 3 CN 2.21 – NVwZ 2023, 1011 Rn. 32). Der Verordnungsgeber durfte bei Erlass der Regelungen davon ausgehen, dass nach wie vor Handlungsbedarf bestand. Das RKI schätzte die Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland, wie bereits ausgeführt, weiterhin als hoch, für Risikogruppen als sehr hoch ein. Wegen der Zahl der Neuinfektionen und der COVID-19-Patienten in Krankenhäusern und Intensivstationen hatte die Verlangsamung der Ausbreitung ein hohes Gewicht. Nach dem – plausiblen – Schutzkonzept des Verordnungsgebers war die Beschränkung von Einrichtungen in den Bereichen Kultur neben den Beschränkungen von Einrichtungen und Angeboten des Sports, der Gastronomie und des Tourismus und der Freizeit, der Kontaktbeschränkung im öffentlichen und im privaten Raum, der Pflicht, in bestimmten Situationen eine Mund-Nase-Bedeckung zu tragen, der Anordnung von Hygieneregeln – ein zentrales Mittel zur Zielerreichung. Der Verordnungsgeber hat für den zu beurteilenden Zeitraum mit den angegriffenen Regelungen einen angemessenen Ausgleich zwischen den mit ihnen verfolgten besonders bedeutsamen Gemeinwohlbelangen und den schwerwiegenden Grundrechtsbeeinträchtigungen gefunden.
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dd) Die Abwägung des Verordnungsgebers ist auch dann nicht zu beanstanden, wenn man nicht nur die Eingriffe in die Berufsfreiheit der Betriebsinhaber und Veranstalter, sondern zusätzlich die Folgen der Beschränkungen für die Besucher der Kultureinrichtungen in die Abwägung einstellt. Die Beschränkung von Kultureinrichtungen schränkten die Möglichkeiten privater Lebensgestaltung potentieller Besucher ein. Der Verordnungsgeber hat mit der Einschätzung, das Ziel, die weitere Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus zu verlangsamen, habe angesichts des Standes der Pandemie im maßgeblichen Zeitraum ein so hohes Gewicht, dass es auch die negativen Folgen der Maßnahmen für die Nutzer der Kultureinrichtungen überwiege, seinen Einschätzungs- und Bewertungsspielraum nicht überschritten.
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Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Rechtsbetroffenheit der ausübenden Künstler. Die durch Art. 5 Abs. 3 GG gewährleistete Kunstfreiheit ist in Fällen, in denen es um den Ausgleich von Erwerbsschäden aufgrund von infektionsschutzrechtlichen Veranstaltungsverboten und -beschränkungen geht, nicht in ihrer immateriellen, sondern in ihrer vermögensrechtlichen Dimension betroffen. Soweit die Kunst beruflich oder gewerblich ausgeübt wird, ist daher die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG maßgeblich (BGH, U. v. 3.8.2023 – III ZR 54/22 – juris LS 4). Besucherbeschränkungen stellten auch in dieser Beziehung zulässige Berufsausübungsregelungen dar.
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ee) Die durch § 21 Abs. 2 Satz 1 Ziffer 2 der 6. BayIfSMV angeordneten Besucherbeschränkungen verstießen auch nicht gegen den Gleichheitssatz nach Art. 3 GG, weil der Verordnungsgeber die Besucherbeschränkung unabhängig von der Größe des Einrichtungsortes festgelegt hat. Wobei hier eine Ungleichbehandlung ohnehin nur in Betracht kommt, wenn der Verordnungsgeber verpflichtet gewesen wäre, weiter zu differenzieren. Zwar mag die vom bayerischen Verordnungsgeber gewählte Lösung, eine Besucherbeschränkung unabhängig von den Besonderheiten des Veranstaltungsortes zu wählen, auf der einen Seite ein vergleichsweise grobes Raster darstellen. Andererseits entspricht die Beschränkung der absoluten Besucherzahl in Verbindung mit dem Abstandserfordernis einer Typisierungsbefugnis des Verordnungsgebers. In diesem Zusammenhang ist auch von Bedeutung, dass Art. 3 Abs. 1 GG nicht verlangt die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung zu wählen (BVerfG, B. v. 8.6.2004 – 2 BvL 5/00BVerfGE 110, 412/436; Jarass in: Jarass/Pieroth, Art. 3 GG Rn 20, 17. Auflage 2022). Gerade auch im Hinblick darauf, dass es sich lediglich um eine Besucherbeschränkung handelte, also der Besuch von kulturellen Einrichtungen grundsätzlich möglich war, und es eine sachbezogene und nicht personenbezogene Ungleichbehandlung (vgl. hierzu Jarass in: Jarass/Pieroth, Art. 3 GG Rn 24, 17. Auflage 2022) darstellte, vermag der Senat hier keine aus dem Gleichheitssatz hergeleitete weiteres Differenzierungserfordernis zu erkennen.
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Der Umstand, dass der Antragsgegner unter eigener Verantwortung an der Bayerischen Staatsoper im Nationaltheater München und in der Philharmonie im Gasteig einen Pilotbetrieb mit bis zu 500 Zuschauern durchgeführt bzw. gestattet hatte, ändert an dieser Beurteilung nichts. Zwar ist nicht ersichtlich, dass § 21 Abs. 1 Nr. 2 6. BayIfSMV bei der Durchführung von Kulturveranstaltungen zwischen einem Regelbetrieb und einem Sonderbetrieb unterschieden hat, sodass alle Kulturveranstaltungen in geschlossenen Räumen der entsprechenden Zuschauerbegrenzung unterlagen. Die Rechtsgrundlage hierfür wurde auch erst mit der Verordnung zur Änderung der Sechsten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung und der Einreise-Quarantäneverordnung vom 17. September 2020 (BayMBl. 2020 Nr. 533) geschaffen. Aus der faktischen Durchführung ohne Ausnahmegenehmigung kann die Antragstellerin jedoch keine rechtlichen Vorteile für sich herleiten (BayVGH, B. v. 15.9.2020 – 20 NE 20.2035 – juris Rn. 26).
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Gegenstandswertes ergibt sich aus § 52 Abs. 1 GKG.
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5. Die Revision wird nicht zugelassen, weil keine Revisionsgründe (§ 132 Abs. 2 VwGO) vorliegen.