Inhalt

VGH München, Beschluss v. 12.02.2024 – 11 CS 23.2216
Titel:

Zweifel an der Fahreignung nach einem Suizidversuch und mehrfachen stationären Krankenhausaufenthalten

Normenketten:
StVG § 3 Abs. 1 S. 1
FeV § 11 Abs. 2, § 46 Abs. 1 S. 1, § 48 Abs. 8 S. 1, Abs. 9 S. 2, Anl. 4 Nr. 6.6, 7.5, 9.3, 9.5
Leitsätze:
1. Ein Suizidversuch, mehrfache stationäre Krankenhausaufenthalte und bekannt gewordene Diagnosen sind geeignet, die Fahreignung in Frage zu stellen, da Suizide oder Suizidversuche häufig Ausdruck einer Depression, Psychose oder Substanzabhängigkeit sind. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die gutachterlichen Diagnosen zur Epilepsie und zur Abhängigkeit von Betäubungsmitteln sind hinsichtlich der Fahreignung unabhängig davon fahreignungsrelevant, ob es bereits zu Auffälligkeiten im Straßenverkehr gekommen ist oder nicht. Bei einer die Fahreignung ausschließenden Abhängigkeit von Betäubungsmitteln oder von anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen setzt deren Wiedererlangung grundsätzlich eine Entgiftung und Entwöhnung sowie eine anschließende einjährige Abstinenz voraus. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Entziehung der Fahrerlaubnis, Suizidversuch, Abhängigkeits- und Entzugssyndrom durch Sedativa oder Hypnotika sowie durch Opioide, generalisierte idiopathische Epilepsie und epileptische Syndrome, Betäubungsmittel, Fahreignung
Vorinstanz:
VG Regensburg, Beschluss vom 13.11.2023 – RO 8 S 23.1576
Fundstelle:
BeckRS 2024, 4456

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 11.250,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin wendet sich gegen den Sofortvollzug hinsichtlich der Entziehung ihrer allgemeinen Fahrerlaubnis und der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung inklusive der Verpflichtung zur Ablieferung der Führerscheine.
2
Durch Schreiben der Polizeiinspektion Na. vom 22. Juli 2022 erhielt das Landratsamt Sch.(Fahrerlaubnisbehörde) Kenntnis von einer Unterbringung der Antragstellerin im Bezirkskrankenhaus W. nach Suizidversuch am 20. Juli 2022. Das Gesundheitsamt teilte der Fahrerlaubnisbehörde mit Schreiben vom 7. September 2022 mit, die Antragstellerin habe keine Schweigepflichtentbindung zur Einholung weiterer Arztberichte erteilt. Eine fachpsychiatrische Begutachtung sei indiziert.
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Mit Schreiben vom 8. November 2022 forderte das Landratsamt die Antragstellerin auf, den Entlassungsbericht des Bezirksklinikums sowie etwaige weitere aktuelle ärztliche Befunde vorzulegen. Nachdem die Antragstellerin dieser Aufforderung zunächst nicht nachkam, forderte das Landratsamt sie mit Schreiben vom 19. Januar 2023 zur Beibringung eines ärztlichen Fahreignungsgutachtens bis spätestens 6. April 2023 auf. Die Antragstellerin legte daraufhin ein psychiatrisches Attest des Bezirksklinikums vom 6. Dezember 2022 vor, wonach sie sich seit Anfang 2021 fortlaufend in ambulanter psychotherapeutischer Behandlung befinde. Ihr psychopathologischer Zustand sei seit der Entlassung stabil, aktuell gut und ohne Hinweis auf eine psychische Störung, welche die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigen könne. Weiterhin legte die Antragstellerin den Entlassungsbericht des Bezirksklinikums vom 16. September 2022 vor, in dem unter anderem eine posttraumatische Belastungsstörung sowie Anpassungsstörungen diagnostiziert wurden. Es liege eine ausgeprägte psychische Störung vor. Die Antragstellerin sei zuletzt 2021 stationär aufgrund einer Abhängigkeitsproblematik in Behandlung gewesen und seither abstinent von Opiaten und Benzodiazepinen. Eine zufriedenstellende medikamentöse Einstellung sei nicht gelungen. Sie sei auf eigenen Wunsch nach fünf Wochen in stabilisiertem Zustand bei noch fortbestehenden Restsymptomen entlassen worden. Hinweise auf Fremdaggression hätten nicht bestanden.
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Daraufhin forderte das Landratsamt die Antragstellerin zur Vorlage aussagekräftiger ärztlicher Unterlagen hinsichtlich der diagnostizierten Abhängigkeit auf. Hierzu legte die Antragstellerin einen weiteren Bericht des Bezirksklinikums vom 20. Juli 2021 über eine eigenmotivierte zweite stationäre Entzugsbehandlung mit den Diagnosen (u.a.) Abhängigkeits- und Entzugssyndrom durch Sedativa oder Hypnotika sowie durch Opioide und generalisierte idiopathische Epilepsie und epileptische Syndrome vor. Anamnestisch habe sich vor vielen Jahren durch zunehmenden Medikamentenkonsum wegen Schmerzen und Traumata in der Kindheit eine Abhängigkeit entwickelt. Seit Anfang 2021 seien unkontrollierte Zuckungen in den Beinen oder Fingern und am 6. Mai 2021 im Rahmen eines kalten Entzugs erstmals ein generalisierter Krampfanfall sowie Halluzinationen aufgetreten, wodurch eine stationär-intensivmedizinische Behandlung erforderlich geworden sei.
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Mit Schreiben vom 16. Februar 2023 erneuerte das Landratsamt die Aufforderung zur Beibringung eines ärztlichen Fahreignungsgutachtens unter Einbeziehung der durch die vorgelegten Berichte neuen Erkenntnisse bis 28. April 2023. Das nach Fristverlängerung vorgelegte ärztliche Gutachten der Begutachtungsstelle für Fahreignung D... e.V. Dr. vom 24. Mai 2023 (Versanddatum) kommt zu dem Ergebnis, wegen des Vorliegens einer posttraumatischen Belastungsstörung mit Hinweisen auf eine schwere depressive Symptomatik und auf eine Persönlichkeitsstörung Cluster A und Epilepsie sowie wegen der in der Vergangenheit festgestellten Abhängigkeit von Sedativa oder Hypnotika und Opioiden sei die Antragstellerin nicht in der Lage, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppen 1 und 2 vollständig gerecht zu werden. Eine Entwöhnungsbehandlung habe es nicht gegeben, Abstinenzbelege über einen hinreichend langen Zeitraum lägen nicht vor. Auf Alkohol verzichte die Antragstellerin nicht vollständig. Eine ausreichende Compliance in Bezug auf eine regelmäßige Medikamenteneinnahme sei nicht mit Sicherheit positiv zu beantworten. Aktuell sei zwar kein Hinweis auf Epilepsie festgestellt worden, die erforderliche Kontrolluntersuchung drei Monate nach Absetzen der Medikation inklusive EEG habe die Antragstellerin jedoch nicht durchführen lassen. Es bedürfe einer weitergehenden verkehrspsychologischen Klärung insbesondere im Hinblick auf die früher diagnostizierte Abhängigkeitsproblematik, die Stabilität der Abstinenz und das Leistungsvermögen.
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Nach Anhörung, in deren Rahmen die Antragstellerin durch ihren Prozessbevollmächtigten (nochmals) das psychiatrische Attest des Bezirksklinikums vom 6. Dezember 2022, eine psychiatrische Bestätigung des Bezirksklinikums vom 10. Mai 2023 sowie eine Haaranalyse (Entnahme am 12.6.2023) vorlegen ließ, entzog ihr das Landratsamt mit Bescheid vom 26. Juli 2023 unter Anordnung des Sofortvollzugs die allgemeine Fahrerlaubnis (Klassen AM, B, BE, C1, C1E, CE79, L und T) und die Erlaubnis zur Fahrgastbeförderung und verpflichtete sie zur Ablieferung der Führerscheine. Das vorgelegte und nachvollziehbare Gutachten, dessen Einschätzungen sich das Landratsamt anschließe, komme zu dem Ergebnis, dass die Fahreignung wegen verschiedener Krankheitsbilder und nicht erfüllter Voraussetzungen im Hinblick auf die früher festgestellte Abhängigkeitsthematik trotz der bestätigten Stabilisierung derzeit nicht gegeben sei. Die Antragstellerin habe zwar Abstinenznachweise über einen rückwirkenden Zeitraum von sechs bzw. drei Monaten vorgelegt, die erforderliche Entwöhnungsbehandlung habe jedoch nicht stattgefunden. Wegen der Nichteignung sei die Leistungsdiagnostik derzeit nicht geboten und könne erst im Neuerteilungsverfahren im Rahmen einer medizinisch-psychologischen Untersuchung durchgeführt werden.
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Am 2. August 2023 hat die Antragstellerin ihre Führerscheine (allgemeine Fahrerlaubnis und Erlaubnis zur Fahrgastbeförderung) beim Landratsamt abgegeben.
8
Mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 28. August 2023 hat die Antragstellerin beim Verwaltungsgericht Regensburg Klage gegen den Bescheid erheben lassen, über die das Verwaltungsgericht noch nicht entschieden hat, und beantragen lassen, die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen. Diesen Antrag hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 13. November 2023 abgelehnt. Die Entziehung der Fahrerlaubnisse sei nach summarischer Prüfung rechtmäßig und habe auf das vorliegende Gutachten gestützt werden können. Dieses sei jedenfalls hinsichtlich der Ausführungen zu Sucht- und Abhängigkeitserkrankungen sowie der als epileptisch eingestuften generalisierten Krampfanfälle nachvollziehbar. Eine Anfallsfreiheit durch die vereinbarte Kontrolluntersuchung und eine erfolgreiche Entwöhnungsbehandlung mit anschließender einjähriger Abstinenz habe die Antragstellerin nicht nachgewiesen. Erkenntnisse oder Anhaltspunkte dafür, dass die Entwöhnungsbehandlung ausnahmsweise nicht erforderlich sei, lägen nicht vor. Außerdem konsumiere die Antragstellerin nach eigenen Angaben, wenn auch nur selten, Alkohol und verzichte nicht ganz darauf, was bei Vorliegen eines Abhängigkeitssyndroms jedoch erforderlich sei. Die vorgelegten Haaranalysen beträfen einen unzureichend langen Zeitraum. Allein der verbesserte psychische Allgemeinzustand der Antragstellerin sei aufgrund der fahreignungsausschließenden Tatbestände unerheblich.
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Zur Begründung der hiergegen eingereichten Beschwerde, der der Antragsgegner entgegentritt, lässt die Antragstellerin ausführen, sowohl die Ausgangsbehörde als auch das Verwaltungsgericht würden sich medizinische Kenntnisse anmaßen. Der Gesundheitszustand der Antragstellerin sei nicht abschließend geklärt, obwohl dies durch Einholung eines neuen Gutachtens geboten gewesen wäre. Es habe keinerlei Fahrauffälligkeiten der Antragstellerin gegeben und die Sicherheit des Straßenverkehrs sei zu keinem Zeitpunkt gefährdet gewesen. Die Antragstellerin leide nicht unter epileptischen Anfällen. Noch am 31. März 2022 habe das Landratsamt ihr die Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung erteilt. Um diese zu erhalten, könne man nicht psychisch gestört sein.
10
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Behörden- und Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
11
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu ändern oder aufzuheben wäre. Vielmehr ist das Verwaltungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass der angefochtene Bescheid rechtmäßig ist und die Klage der Antragstellerin keine Aussicht auf Erfolg hat, weshalb auch die Interessenabwägung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu ihren Ungunsten ausfällt.
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1. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis ist der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, hier also der Bescheiderlass am 26. Juli 2023, maßgeblich (vgl. BVerwG, U.v. 7.4.2022 – 3 C 9.21 – BVerwGE 175, 206 Rn. 13; U.v. 11.4.2019 – 3 C 14.17 – BVerwGE 165, 215 Rn. 11; U.v. 4.12.2020 – 3 C 5.20 – BVerwGE 171, 1 Rn. 12 m.w.N.).
13
a) Der Suizidversuch der Antragstellerin, die mehrfachen stationären Krankenhausaufenthalte und die bekannt gewordenen Diagnosen waren geeignet, die Fahreignung der Antragstellerin in Frage zu stellen. Suizide oder Suizidversuche sind häufig Ausdruck einer Depression, Psychose oder Substanzabhängigkeit. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310, 919), im maßgeblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch das am 1. Juli 2023 in Kraft getretene Gesetz vom 12. Juli 2021 (BGBl I S. 3091), und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), vor Bescheiderlass zuletzt geändert durch das am 9. März 2023 in Kraft getretene Gesetz vom 2. März 2023 (BGBl. I Nr. 56), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies gilt sowohl für die allgemeine Fahrerlaubnis als auch für die zusätzliche Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung gemäß § 48 FeV, die mit der Entziehung der allgemeinen Fahrerlaubnis kraft Gesetzes erlischt (§ 48 Abs. 9 Satz 2 FeV). Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 3 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 2 Abs. 8 StVG, § 46 Abs. 3, § 48 Abs. 8 Satz 1 FeV). Bei Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung, insbesondere bei Hinweisen auf eine Erkrankung oder einen Mangel nach Anlage 4 oder 5 zur FeV, kann die Fahrerlaubnisbehörde in Zweifelsfällen, in denen die Ungeeignetheit noch nicht feststeht (§ 11 Abs. 7 FeV), mangels eigener medizinischer Fachkompetenz nicht ohne Gutachten über die Fahreignung entscheiden. Vielmehr hat sie – wie hier geschehen – nach § 11 Abs. 2 FeV die Beibringung eines ärztlichen Fahreignungsgutachtens anzuordnen, dessen Plausibilität sie allerdings selbst zu überprüfen hat. Zu den relevanten Erkrankungen und Mängeln zählen unter anderem – und zwar sowohl für die Fahrerlaubnis der Gruppe 1 (im Fall der Antragstellerin Klassen AM, B, BE, L und T) als auch der Gruppe 2 (hier Klassen C1, C1E, CE 79 und Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung) – Epilepsie (Anlage 4 Nr. 6.6 zur FeV), sehr schwere Depressionen (Anlage 4 Nr. 7.5 zur FeV) und die Abhängigkeit von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes oder von anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen (Anlage 4 Nr. 9.3 zur FeV).
14
Für die Durchführung der Untersuchung und die Erstellung des hierzu vom Landratsamt angeordneten und von der Antragstellerin vorgelegten ärztlichen Fahreignungsgutachtens gelten die in Anlage 4a zur FeV genannten Grundsätze (§ 11 Abs. 5 FeV). Die erforderliche Nachvollziehbarkeit des Gutachtens betrifft die logische Ordnung (Schlüssigkeit) des Gutachtens und erfordert die Wiedergabe aller wesentlichen Befunde und die Darstellung der zur Beurteilung führenden Schlussfolgerungen. Die Nachprüfbarkeit des Gutachtens betrifft die Wissenschaftlichkeit der Begutachtung und erfordert, dass die Untersuchungsverfahren, die zu den Befunden geführt haben, angegeben und, soweit die Schlussfolgerungen auf Forschungsergebnisse gestützt sind, die Quellen genannt werden (Anlage 4a Nr. 2 Buchst. a zur FeV).
15
b) Das Verwaltungsgericht hat zutreffend angenommen, dass allein die gutachterlichen Feststellungen zur Epilepsie und zur Abhängigkeit von Betäubungsmitteln jeweils für sich genommen das Ergebnis der fehlenden Fahreignung der Antragstellerin tragen und es daher einer Überprüfung ihres Leistungsvermögens für die Entscheidung nicht mehr bedurfte. In den von der Antragstellerin nach Aufforderung vorgelegten ärztlichen Unterlagen vom 20. Juli 2021, 16. September 2022 und 6. Dezember 2022 werden unter anderem eine ausgeprägte psychische Störung, eine Abhängigkeit von Opiaten und Benzodiazepinen durch zunehmenden, ärztlich so nicht verordneten Medikamentenkonsum und eine generalisierte idiopathische Epilepsie bzw. epileptische Syndrome diagnostiziert. Gegenüber der Gutachterin hat die Antragstellerin angegeben, im Rahmen einer medikamentösen Schmerzbehandlung seien 2017 oder 2018 erstmals Opioide verordnet worden. Innerhalb kurzer Zeit habe sich ein Gewöhnungseffekt und Wirkungsverlust eingestellt. 2019 habe sie die Dosis eigenmächtig erhöht und ihr Arzt daraufhin die Behandlung aufgekündigt. Im Rahmen eines von ihr initiierten kalten Entzugs sei am 6. Mai 2021 ein generalisierter Krampfanfall aufgetreten, seither jedoch nicht mehr.
16
Diese Diagnosen sind hinsichtlich der Fahreignung unabhängig davon fahreignungsrelevant, ob es bereits zu Auffälligkeiten im Straßenverkehr gekommen ist oder nicht. Bei einer die Fahreignung ausschließenden Abhängigkeit von Betäubungsmitteln oder von anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen setzt deren Wiedererlangung grundsätzlich eine Entgiftung und Entwöhnung sowie eine anschließende einjährige Abstinenz voraus (Anlage 4 Nr. 9.5 zur FeV; ebenso Nr. 3.14.1 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung vom 27.1.2014 [Vkbl S. 110] in der Fassung vom 17.2.2021 [Vkbl S. 198], die nach § 11 Abs. 5 FeV i.V.m. Anlage 4a zur FeV Grundlage für die Eignungsbeurteilung sind). Der Nachweis einer erfolgreichen Entwöhnungsbehandlung ist angesichts der besonderen Rückfallgefahr bei Abhängigkeit erforderlich. Erst nach Ablauf des folgenden, besonders rezidivgefährdeten Jahrs kann ein Erfolg der Entwöhnungsbehandlung bestätigt werden. Nach den von der Antragstellerin vorgelegten und im Gutachten berücksichtigten Unterlagen haben zwar eine Entgiftung und im Mai 2021 ein kalter Entzug stattgefunden, aber offenbar keine professionelle Entwöhnungsbehandlung. Gegenüber der Gutachterin (S. 15) hat sie selbst angegeben, eine Entwöhnungsbehandlung habe nicht stattgefunden. Dass eine solche ausnahmsweise entbehrlich wäre, ergibt sich ebenfalls nicht hinreichend aus den ärztlichen Unterlagen, und zwar auch nicht aus dem Attest des Bezirksklinikums vom 10. Mai 2023, welches im Gutachten (S. 17 f.) entgegen der Annahme des Landratsamts im Bescheid auch berücksichtigt wurde. Sollte die Antragstellerin entsprechende fundierte Nachweise vorlegen, können diese allenfalls im Neuerteilungsverfahren gemäß § 20 FeV berücksichtigt werden.
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Unabhängig davon können auch die Eignungszweifel hinsichtlich einer Epilepsie nicht als ausgeräumt angesehen werden. Dies ist nach Anlage 4 Nr. 6.6 zur FeV nur ausnahmsweise der Fall, wenn kein wesentliches Risiko von Anfallsrezidiven mehr besteht, wovon in der Regel für die Fahrerlaubnisse der Gruppe 1 bei einem anfallsfreien Jahr und für die Fahrerlaubnisse der Gruppe 2 erst bei fünf anfallsfreien Jahren ohne Therapie auszugehen ist. Auch wenn die Antragstellerin nicht mehr unter epileptischen Anfällen leidet, hat sie die Wiedervorstellung drei Monate nach Ausschleichen der antikonvulsiven Therapie und Absetzen der Medikation zur Untersuchung inklusive EEG, die mit ihrem Neurologen nach dessen Arztbericht vom 30. September 2021 vereinbart war (hierzu S. 16 f. des Gutachtens), offenbar nicht wahrgenommen, jedenfalls hierfür keine Nachweise vorgelegt. Auch dies kann sie ggf. im Wiedererteilungsverfahren nachholen, in dessen Rahmen auch die Leistungsfähigkeit, die Auswirkungen der gegenwärtigen Medikation auf die Fahreignung und die Notwendigkeit vollständiger Alkoholabstinenz im Hinblick auf die (frühere) Suchtmittelabhängigkeit und die Wechselwirkungen mit der gegenwärtigen Medikation zu klären sein werden.
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Schließlich kann die Antragstellerin sich nicht darauf berufen, dass ihr das Landratsamt am 31. März 2022 die Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung erteilt hat. Zu diesem Zeitpunkt hatte das Landratsamt von den Eignungszweifeln noch keine Kenntnis. Andernfalls hätte es ihr die Fahrerlaubnis nicht erteilen dürfen.
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c) Die Verpflichtung zur Abgabe der Führerscheine, der die Antragstellerin bereits Folge geleistet hat, ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und § 48 Abs. 9 Satz 3 FeV.
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47, § 52 Abs. 1 i.V.m. § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1, 46.3, 46.5, 46.9 und 46.10 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
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3. Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).