Titel:
Erlöschen der Zollschuld bei Wiederausfuhr
Normenkette:
UZK Art. 79, Art. 124 Abs. 1 Buchst. k, Art. 220, Art. 237 Abs. 1 Buchst. a-c
Schlagworte:
Erlöschen der Zollschuld bei Wiederausfuhr, Zolllager, übliche Behandlung, Einspruchsverfahren, Kaufpreiszahlung, Täuschungsversuch, Festsetzungsverfahren
Rechtsmittelinstanz:
BFH München vom -- – VII R 3/24
Weiterführende Hinweise:
Revision zugelassen
Fundstelle:
BeckRS 2024, 4454
Tenor
1. Der Einfuhrabgabenbescheid (…) vom (…). April 2018 und die Einspruchsentscheidung vom (…). September 2018 werden aufgehoben.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
1
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Bescheides, mit dem Zoll festgesetzt wurde.
2
Die Klägerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH), die [u.a.] in den Bereichen (…) Im- und Export von Kraftfahrzeugen (…) tätig ist. Der Beklagte (das Hauptzollamt – HZA) hatte ihr (…) eine Bewilligung zum Betrieb eines Zolllagers (Typ C) erteilt. Im Feld 23 der Bewilligung sind als übliche Behandlungen „Einlagerung, Probennahme, Wiegen, Bestandsaufnahme“ sowie „Lüften, Ausbreiten, Trocknen, Entstauben, einfache Reinigungsvorgänge, Ausbessern von Verpackungen, Ausbessern nach Transport- und Lagerschäden, sofern es sich um einfache Maßnahmen handelt, Anbringen und Entfernen einer schützenden Umhüllung für den Transport“ genannt. Unter der Überschrift „Weitere Auflagen“ ist vermerkt: „Neben den in der Bewilligung explizit aufgeführten üblichen Behandlungen dürfen nur die in Anhang 71-03 zur DVO (EU) Nr. 2015/2446 genannten Tätigkeiten durchgeführt werden. Einer separaten Bewilligung bedarf es hierfür nicht. Die Durchführung ist unverzüglich in den Bestandsaufzeichnungen zu erfassen (Datum und Art der Tätigkeit) und dem überwachenden Hauptzollamt mitzuteilen“.
3
Mit Zollanmeldung vom (…). März 2017 beantragte die Klägerin die Überführung des aus Kanada eingeführten Fahrzeugs der Marke „Lexus“, Modell: LX570, Fahrzeugidentifikationsnummer: (…), in das Zolllagerverfahren. Das Hauptzollamt A – Zollamt B – nahm die Zollanmeldung am selben Tag an.
4
Das streitgegenständliche Fahrzeug war bei der Einfuhr mit einem Fahrersitz, einem Beifahrersitz, zwei Sitzen in zweiter Reihe und zwei zusätzlichen Sitzen in dritter Reihe („Notsitze“) ausgestattet. Im November 2017 montierte der frühere Geschäftsführer der Klägerin, X, die beiden „Notsitze“ des Fahrzeuges ab. Kurz danach wurde das Fahrzeug vom beauftragten Transportunternehmen abgeholt und zum Zollamt C (…) verbracht, um es dort zu gestellen und nach Usbekistan auszuführen. Die beiden abmontierten Notsitze blieben im Zolllager der Klägerin. Nachdem das Zollamt C (…) nach einer am (…). November 2017 angeordneten Kontrollmaßnahme die Ausfuhr abgelehnt hatte, wurde das Fahrzeug in den Betrieb der Klägerin zurückgebracht und am (…). Dezember 2017 erneut beim Zollamt C (…) gestellt. Die beiden ausgebauten Ledersitze befanden sich zu diesem Zeitpunkt lose im Kofferraum des Fahrzeugs. Es wurde am (…). Dezember 2017 ausgeführt.
5
Mit Bescheid vom (…). April 2018 setzte das HZA Abgaben in Höhe von insgesamt 56.392,50 € (davon 18.250,00 € Zoll und 38.142,50 € Einfuhrumsatzsteuer – EUSt) gegen die Klägerin fest, da der Ausbau der Sitze aus Sicht des Beklagten keine übliche Behandlung i.S.v. Art. 220 der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Oktober 2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union (Unionszollkodex – UZK) i.V.m. Art. 180 und Anhang 71-03 der Delegierten Verordnung (EU) 2015/2446 der Kommission zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates mit Einzelheiten zur Präzisierung von Bestimmungen des Zollkodex der Union (UZK-DA) darstelle.
6
Der hiergegen eingelegte Einspruch (…) war teilweise erfolgreich. Mit Bescheid vom (…). Juni 2018 wurde die festgesetzte EUSt (…) unter Hinweis auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 2. Juni 2016 C-226/14 erlassen. Nachdem die Klägerin im Einspruchsverfahren einen Kontoauszug vorgelegt hatte, der eine Kaufpreiszahlung von (…) belegte, berechnete das HZA den Zollbetrag mit 13.001,38 € (statt 18.250,00 €) und erließ mit Bescheid vom (…). September 2018 den Differenzbetrag in Höhe von 5.248,62 €. Im Übrigen wies es den Einspruch als unbegründet zurück. Auf die Ausführungen in der Einspruchsentscheidung vom (…). September 2018 wird verwiesen.
7
Mit ihrer Klage macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, dass der Beklagte zu Unrecht davon ausgehe, dass das Abmontieren der beiden „Notsitze“ und die anschließende Ausfuhr des Fahrzeuges zum Entstehen einer Zollschuld geführt hat. Das Abmontieren der beiden „Notsitze“ sei vom Anhang 71-03 zum UZK-DA erfasst. Wenn auch das Abmontieren im Abs. 12 des vorgenannten Anhangs nicht explizit aufgeführt sei, sei dieses jedoch mit dem dort genannten Hinzufügen oder Austauschen von Zubehörteilen vergleichbar. Zudem werde die Art der ursprünglichen Ware dadurch nicht verändert und auch die Leistung des Fahrzeuges nicht verbessert. Zumindest sei das Abmontieren der beiden „Notsitze“ unter Abs. 22 des vorbezeichneten Anhangs zu subsumieren. Zu den üblichen Behandlungen gehörten dort: „Andere als die vorgenannten üblichen Behandlungen, die darauf gerichtet sind, das Aussehen oder die Absetzbarkeit der Einfuhrwaren zu verbessern oder sie für den Vertrieb oder Wiederverkauf vorzubereiten, sofern diese Vorgänge weder die Art der ursprünglichen Waren verändern, noch ihre Leistung verbessern.“ In dem hier vorliegenden Fall seien die beiden „Notsitze“ auf Wunsch des Kunden abmontiert worden, sodass diese Tätigkeit der Absetzbarkeit der Einfuhrwaren diente. Zudem sei das Abmontieren auch darauf gerichtet gewesen, den Vertrieb, mithin den Weiterverkauf an den Kunden vorzubereiten. Das Abmontieren der beiden „Notsitze“ habe weder die Art der ursprünglichen Ware verändert noch die Leistung des Fahrzeugs verbessert.
8
Sollte es durch das Abmontieren der beiden „Notsitze“ zu einer Pflichtverletzung im Rahmen des Zolllagerverfahrens gekommen sein, sei die Einfuhrzollschuld in voller Höhe gemäß Art. 124 Abs. 1 Buchst. k UZK durch die Wiederausfuhr erloschen. Jeder Verstoß gegen die im Anhang 71-03 zum UZK-DA aufgeführten üblichen Behandlungen im Rahmen des Zolllagerverfahrens sei im Ergebnis eine Verwendung. Diese Verwendung gehe aber nicht über die bewilligten Lagervorgänge hinaus, sondern könne lediglich einen Verstoß gegen diese selbst darstellen. Anderenfalls wäre es im Rahmen des Zolllagerverfahrens nicht möglich eine nach Art. 79 UZK entstandene Zollschuld gemäß Art. 124 Abs. 1 Buchst. k UZK zum Erlöschen zu bringen. Gerade dies würde aber im Widerspruch zu dem Ziel dieser Vorschrift stehen. Hierzu seien die Ausführungen des EuGH im Urteil vom 8. Oktober 2020 in der Rechtssache C-476/19 auf den Streitfall übertragbar. Ein anderweitiger oder ein darüberhinausgehender Verstoß wie zum Beispiel ein Entzug aus der zollamtlichen Überwachung liege im streitgegenständlichen Fall gerade nicht vor.
9
Die Klägerin beantragt,
den Einfuhrabgabenbescheid (…) vom (…). April 2018 und die Einspruchsentscheidung vom (…). September 2018 aufzuheben.
10
Der Beklagte beantragt,
11
Seiner Auffassung nach könnten Nicht-Unionswaren nach Art. 210 Buchst. b) UZK im Verfahren der Lagerung innerhalb des Zollgebiets der Union unter den Voraussetzungen des Art. 237 Abs. 1 Buchst. a-c UZK gelagert werden. In ein Zolllager übergeführte Waren könnten nach Art. 220 UZK i.V.m. Art. 180 UZK-DA „üblichen Behandlungen“ unterzogen werden, die ihrer Erhaltung, der Verbesserung ihrer Aufmachung oder Handelsgüte oder der Vorbereitung ihres Vertriebs oder Weiterverkaufs dienten. Der Ausbau der Sitze stelle eine nicht zulässige Behandlung dar. Insbesondere sei das Abmontieren der Sitze nicht von Abs. 12 des Anhangs 71-03 zum UZK-DA erfasst, da dieser Absatz nur ein Hinzufügen von Waren bzw. Hinzufügen oder Austauschen von Zubehörsteilen erlaube, um die Übereinstimmung mit technischen Normen zu gewährleisten und die Art der ursprünglichen Waren nicht verändert werde. Bei den Sitzen handele es sich weder um ein Zubehörteil eines Fahrzeugs noch sei ein Teil des Fahrzeugs hinzugefügt oder ausgetauscht worden. Vielmehr seien die Sitze ausgebaut und ohne Ersatz entfernt worden. Ebenso wenig sei der Ausbau der Sitze von Abs. 22 des Anhangs 71-03 zum UZK-DA erfasst. Er gehe über die in Abs. 22 beschriebene zulässige Lagerbehandlung hinaus, da dadurch eine Ware anfalle, nämlich die Sitze, die einem anderen achtstelligen Code der Kombinierten Nomenklatur (KN) zuzuordnen seien. Dies sei ohne ausdrückliche Zulassung nicht möglich.
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Die auf Grund einer Pflichtverletzung nach Art. 79 Abs. 1 Buchst. a i.V.m. Art. 237 Abs. 1 Buchst. b UZK entstandene Zollschuld sei nicht nach Art. 124 Abs. 1 Buchst. k UZK erloschen. Denn der Ausbau der Sitze gehe über eine bloße Verwendung des Fahrzeugs hinaus und stelle sich als eine unzulässige Lagerbehandlung dar. Der spätere Wiedereinbau könne die unzulässige Lagerbehandlung nicht nachträglich rückgängig machen. Wenn überhaupt, seien nur Verwendungen einer Ware unschädlich, die zur Zollschuldentstehung führen, aber im Rahmen des Zolllagerverfahrens grundsätzlich erlaubt wären. Sollen an Waren weitergehende Behandlungen vorgenommen werden als dies im Zolllagerverfahren möglich sei, komme grundsätzlich eine aktive Veredelung in Betracht. Würde man ein Erlöschen der Zollschuld im Falle einer unzulässigen Lagerbehandlung nach Art. 124 Abs. 1 Buchst. k UZK bejahen, wäre eine aktive Veredelung nicht mehr erforderlich mit der Folge, dass die festgelegten Grundsätze dieses Zollverfahrens nicht eingehalten werden müssten.
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In seinem Urteil vom 8. Oktober 2020 (C-476/19) führe der EuGH aus, dass im Verfahren der aktiven Veredelung auf Waren kein Einfuhrzoll erhoben wird, die lediglich bewilligten Veredelungsvorgängen unterzogen und danach wieder aus dem Gebiet der Union ausgeführt werden (Rz. 34). Nur eine Verwendung, die über die bewilligten Veredelungsvorgänge hinausgeht, sei demnach als Verwendung i.S.v. Art. 124 Abs. 1 Buchst. k UZK zu verstehen. Auf den Streitfall übertragen bedeute dies, dass eine Verwendung, die über die zulässige übliche Behandlung der Ware hinausgeht, ein Erlöschen nach Art. 124 Abs. 1 Buchst. k UZK ausschließt. In diesem Fall sei es gerechtfertigt für eine eingeführte Ware Zoll zu erheben, weil sie vor ihrer Ausfuhr unzulässig verwendet wurde. Das Urteil des EuGH bestätige die Ansicht, dass im vorliegenden Streitfall ein Erlöschen der Zollschuld nach Art. 124 Abs. 1 Buchst. k UZK ausgeschlossen sei. Zu den Ausführungen der Klägerin, dass ein Verstoß gegen die im Anhang 71-03 zum UZK-DA aufgeführten üblichen Behandlungen nicht über die bewilligten Lagervorgänge hinausgehen würde, weil anderenfalls eine Zollschuld nach Art. 79 UZK nie nach Art. 124 Abs. 1 Buchst. k UZK erlöschen würde, sei anzumerken, dass z.B. solche Verstöße zum Erlöschen führen können, die auf Fehler der Lagerbuchführung zurückzuführen sind (z.B. undokumentierte vorübergehende Auslagerungen aus dem Zollager).
14
Das Verfahren ruhte bis zu den Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (BFH) im Revisionsverfahren VII R 1/20 und des EuGH im Verfahren C-476/19.
15
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die eingereichten Schriftsätze, auf die vorgelegten Unterlagen und Akten sowie auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung am 25. Januar 2024 verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist begründet. Der Abgabenbescheid vom (…). April 2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom (…). September 2018 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO).
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1. Die Zollschuld ist nach Art. 79 Abs. 1 Buchst. a UZK entstanden.
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Danach entsteht eine Einfuhrzollschuld u.a. dann, wenn eine der Verpflichtungen in Bezug auf die Lagerung nicht erfüllt wurde.
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Die Klägerin hat ihre Pflichten in Bezug auf die Lagerung verletzt, weil sie das streitgegenständliche Fahrzeug einer unerlaubten Behandlung unterzogen hat.
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Nach Art. 220 UZK können in ein Zolllager übergeführte Waren üblichen Behandlungen unterzogen werden, die ihrer Erhaltung, der Verbesserung ihrer Aufmachung oder Handelsgüte oder der Vorbereitung ihres Vertriebs oder Weiterverkaufs dienen. Die üblichen Behandlungen gemäß Art. 220 UZK sind in Anhang 71-03 zum UZK-DA (abschließend) beschrieben (Art. 180 UZK-DA).
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a) Das Entfernen zweier „Notsitze“ aus dem Fahrzeug ist keine übliche Behandlung i.S.v. Abs. 12 des Anhangs 71-03 zum UZK-DA.
22
Danach gehört zu den üblichen Behandlungen das Hinzufügen von Waren bzw. Hinzufügen oder Austauschen von Zubehörteilen, sofern dieses Hinzufügen oder Austauschen ein relativ unerheblicher Vorgang ist oder dazu dient, die Übereinstimmung mit technischen Normen zu gewährleisten, und die Art der ursprünglichen Waren nicht verändert und deren Leistung nicht verbessert wird, auch wenn diese Behandlung dazu führt, dass für die hinzugefügten oder ausgetauschten Waren ein anderer achtstelliger KN-Code angewendet wird.
23
Dem streitgegenständlichen Fahrzeug wurde weder etwas hinzugefügt noch wurden Zubehörteile ausgetauscht. Vielmehr wurden die beiden „Notsitze“ ursprünglich mit der Absicht ausgebaut, sie ersatzlos zu entfernen.
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Nach dem Einleitungssatz im Anhang 71-03 zum UZK-DA darf sich die zolltarifliche Einreihung der Ware in den achtstelligen KN-Code durch die Behandlung nur dann verändern, wenn dies ausdrücklich geregelt ist. Weil in Abs. 12 eine entsprechende Ausnahme vorgesehen ist, ist die Vorschrift eng auszulegen. Eine über den Wortlaut hinausgehende Ausweitung auf den Fall des ersatzlosen Entfernens, das damit einhergeht, dass eine ursprünglich zusammengesetzte und einheitlich einzureihende Ware (hier: PKW mit sechs Sitzen) in mehrere eigenständig und in verschiedene KN-Codes einzureihende Waren (hier: PKW mit vier Sitzen und zwei Sitze von der für Kraftfahrzeuge verwendeten Art) getrennt wird, kommt deshalb nicht in Betracht.
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b) Nach Auffassung des Senats kann zwar das bloße Lösen der Verbindung zwischen dem Fahrzeug und den „Notsitzen“, ohne sie aus dem Fahrzeug zu entfernen, eine unter Abs. 22 des Anhangs 71-03 zum UZK-DA fallende übliche Behandlung sein; werden jedoch die „Notsitze“ – wie im Streitfall – aus dem Fahrzeug entfernt, um es ohne diese Ausstattung auszuführen, ist die Grenze der üblichen Behandlungen i.S.v. Abs. 22 des Anhangs 71-03 zum UZK-DA überschritten.
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Nach Abs. 22 des Anhangs 71-03 zum UZK-DA gehören zu den üblichen Behandlungen andere als die in Abs. 1 bis Abs. 21 genannten üblichen Behandlungen, die darauf gerichtet sind, das Aussehen oder die Absetzbarkeit der Einfuhrwaren zu verbessern oder sie für den Vertrieb oder Wiederverkauf vorzubereiten, sofern diese Vorgänge weder die Art der ursprünglichen Waren verändern noch ihre Leistung verbessern.
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Als nicht regelmäßig genutzte Sitzgelegenheiten in einem PKW sind „Notsitze“ in der Regel so konstruiert, dass sie je nach Bedarf weggeklappt oder auch ganz abgenommen werden können. Dies gilt auch für den streitgegenständlichen Lexus LX570. Eine Demontage der „Notsitze“ als solche verändert die Art der ursprünglichen Ware (PKW mit vier regulären und zwei „Notsitzen“) deshalb nicht. Denn für die Tarifierung und die Abgabenbelastung macht es keinen Unterschied, ob die „Notsitze“ eingebaut sind oder sich lose im Fahrzeug befinden.
28
Werden jedoch die „Notsitze“ aus dem Fahrzeug entfernt, um es ohne diese Ausstattung auszuführen, werden aus einer zusammengesetzten Ware (ein PKW, der u.a. mit zwei „Notsitzen“ ausgestattet war) zolltariflich unterschiedlich einzureihende Waren (ein PKW mit vier Sitzen und zwei Sitze von der für Kraftfahrzeuge verwendeten Art), die jeweils neu zu bewerten sind und die unterschiedlichen Zollsätzen unterliegen.
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Zulässige Behandlungen sind nach dem Einleitungssatz im Anhang 71-03 zum UZK-DA regelmäßig nur gegeben, wenn die Ware nach der Behandlung in den gleichen achtstelligen KN-Code eingereiht werden kann (vgl. auch Witte, UZK, 8. Aufl., Art. 220 Rn. 16a). Abweichungen von diesem Grundsatz müssen ausdrücklich geregelt sein. Anders als z.B. Abs. 12 des Anhangs 71-03 zum UZK-DA sieht Abs. 22 keine entsprechende Ausnahme vor.
30
2. Die Klägerin schuldet den Zoll nach Art. 79 Abs. 3 Buchst. a UZK, weil sie die Pflichten in Bezug auf die Lagerung der Waren zu erfüllen hatte.
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3. Die nach Art. 79 Abs. 1 Buchst. a UZK entstandene Zollschuld ist aber nach Art. 124 Abs. 1 Buchst. k UZK erloschen.
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Danach erlischt eine nach Art. 79 UZK entstandene Einfuhrzollschuld, wenn den Zollbehörden nachgewiesen wird, dass die Waren nicht verwendet oder verbraucht, sondern aus dem Zollgebiet der Union verbracht wurden. Sie erlischt nicht für Personen, die einen Täuschungsversuch unternommen haben.
33
a) Anhaltspunkte für einen Täuschungsversuch liegen im Streitfall nicht vor.
34
b) Sowohl das streitgegenständliche Fahrzeug als auch die ausgebauten Sitze wurden am (…). Dezember 2017 aus dem Zollgebiet der Union ausgeführt.
35
c) Weder das Fahrzeug noch die ausgebauten Sitze wurden in einer das Erlöschen der Zollschuld ausschließenden Weise verwendet.
36
Der in Art. 124 Abs. 1 Buchst. k UZK enthaltene Begriff der „Verwendung“ ist im UZK nicht definiert. Er ist grundsätzlich eng und insbesondere unter Berücksichtigung des Wirtschaftszollgedankens auszulegen (so auch Finanzgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 25. Januar 2022 11 K 2900/21, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern – ZfZ – 2023, 47, Rn. 39).
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Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch ist eine Verwendung anzunehmen, wenn die Ware benutzt oder gebraucht wird (in diese Richtung auch Deimel in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, 277. Lieferung, 11/2023, Art. 124 UZK, Rn. 69). Allerdings ist nicht jede Benutzung/jeder Gebrauch der Ware von dem in Art. 124 Abs. 1 Buchst. k UZK genannten Begriff „verwendet“ erfasst; vielmehr sind nach der allgemeinen Systematik und dem sich u.a. aus dem 38. Erwägungsgrund ergebenden Zweck der Erlöschensregelung nur solche Verwendungen gemeint, die als solche eine Zollschuld zur Folge haben. Folglich fallen z.B. alle von der Zollbehörde bewilligten und auch die nicht bewilligungsbedürftigen üblichen Behandlungen gemäß Art. 220 UZK i.V.m. Art. 180 und Anhang 71-03 zum UZK-DA nicht unter den Begriff „verwenden“; solche Behandlungen schließen ein Erlöschen der Zollschuld nicht aus (vgl. EuGH-Urteil vom 8. Oktober 2020 C-476/19, Combinova, ZfZ 2021, 84).
38
Ausgehend davon stellte die bloße Demontage der „Notsitze“ durch das Lösen der Verbindung zum Fahrzeug nach Ansicht des Senats noch eine – nicht bewilligungsbedürftige – übliche Behandlung und damit keine Verwendung dar (s.o. II. 1. b)).
39
Im Streitfall lag zwar eine über die der Klägerin bewilligten und die gemäß Art. 220 UZK i.V.m. Art. 180 und Anhang 71-03 zum UZK-DA nicht bewilligungsbedürftigen üblichen Behandlungen hinausgehende – im Zolllagerverfahren unzulässige – Behandlung vor, als die „Notsitze“ mit der Absicht, das Fahrzeug ohne sie zu auszuführen, aus dem PKW entfernt wurden (s.o. II. 1.b)); entgegen der Auffassung des Beklagten ist aus Sicht des Senats aber nicht jede im Zolllagerverfahren unzulässige Behandlung der Ware auch eine Verwendung i.S.v. Art. 124 Abs. 1 Buchst. k UZK.
40
Ein Grundsatz, wonach jede im jeweiligen Zollverfahren unzulässige Behandlung eine Verwendung i.S.v. Art. 124 Abs. 1 Buchst. k UZK darstellt, ist dem Urteil des EuGH vom 8. Oktober 2020 (C-76/19, Combinova, ZfZ 2021, 84) nicht zu entnehmen. Im dort entschiedenen Fall wurde die Ware nicht über die bewilligten Veredelungsvorgänge hinaus behandelt. Dabei stellte der EuGH zum Einen fest, dass eine solche „Verwendung“ nicht von Art. 124 Abs. 1 Buchst. k UZK erfasst sei; zum Anderen tenorierte er, „dass mit der Verwendung von Waren im Sinne dieser Vorschrift nur eine Verwendung gemeint ist, die über die Veredelungsvorgänge hinausgeht, die von den Zollbehörden im Rahmen des Verfahrens der aktiven Veredelung bewilligt wurden,…“. Aus diesem Auslegungsergebnis des EuGH lässt sich aber nach Auffassung des Senats nicht der Umkehrschluss ziehen, dass jede nicht bewilligte Behandlung zugleich auch unter den Begriff der Verwendung i.S.v. Art. 124 Abs. 1 Buchst. k UZK fällt.
41
Im vorliegenden Fall wurden weder das Fahrzeug noch die ausgebauten Sitze tatsächlich in einer die Erhebung von Zoll rechtfertigenden Weise verwendet, bevor sie zusammen aus dem Zollgebiet der EU verbracht wurden.
42
Die „Notsitze“ wurden zwar vorübergehend aus dem Fahrzeug entfernt; sowohl der PKW als auch die Sitze verblieben jedoch körperlich im Zolllager und waren damit weiterhin für die Zollbehörde zugänglich. Weder wurde das Fahrzeug vor seiner Ausfuhr bestimmungsgemäß als Fortbewegungsmittel genutzt noch gelangten das Fahrzeug oder die „Notsitze“ in den Handel. Die Klägerin hatte zwar zunächst die Absicht, über das Fahrzeug und einen Teil seiner Ausstattung („Notsitze“) getrennt zu verfügen; diese Absicht wurde aber nicht in die Tat umgesetzt. Vielmehr wurden die „Notsitze“ wieder ins Fahrzeug zurückgelegt und zusammen mit ihm ausgeführt. Eine bloße Verwendungsabsicht schließt das Erlöschen nach Art. 124 Abs. 1 Buchst. k UZK nach Auffassung des Senats nicht aus; lediglich eine tatsächliche Verwendung ist erlöschensschädlich.
43
Der Umstand, dass die Klägerin vor dem Ausbau der „Notsitze“ keine – aus Sicht des HZA erforderliche – Bewilligung für eine aktive Veredelung beantragt hat, steht dem Erlöschen der Zollschuld nach Art. 124 Abs. 1 Buchst. k UZK nicht entgegen (vgl. Witte, aaO., Art. 124 Rn. 117 ff.).
44
d) Bei Anfechtungsklagen gegen einen Abgabenbescheid ist für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage grundsätzlich auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz abzustellen. Ist – wie hier – bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nachgewiesen, dass die Ware nicht verwendet, sondern aus dem Zollgebiet der Union verbracht worden und die entstandene Zollschuld dadurch erloschen ist, ist dies – ebenso wie z.B. der in Art. 124 Abs. 1 Buchst. a UZK geregelte Erlöschensgrund der Verjährung – bereits im Rahmen des Festsetzungsverfahrens zu berücksichtigen. Anderes gilt nach Auffassung des Senats in Fällen, in denen der nach Art. 124 Abs. 1 Buchst. k UZK geforderte Nachweis erst nach Abschluss des Festsetzungsverfahrens geführt oder die Ware z.B. erst nach Eintritt der Bestandskraft aus dem Zollgebiet der Union verbracht wird.
45
Der Unionsgesetzgeber hat dem Erlöschen der Zollschuld im Titel III des UZK ein eigenes Kapitel 4 eingeräumt und es nicht im Kapitel 3 unter der Überschrift „Erhebung, Entrichtung, Erstattung und Erlass des Einfuhr- oder Ausfuhrabgabenbetrages“ als Abschnitt 4 geregelt. Daraus lässt sich nach Auffassung des Senats schließen, dass die in Art. 124 UZK geregelten Erlöschensgründe nicht ausnahmslos die Durchsetzung von Abgabenansprüchen (Erhebung) betreffen, sondern u.U. bereits im Festsetzungsverfahren zu beachten sind (anders: BFH-Urteil vom 27. Oktober 2022 VII R 1/20, ZfZ 2023, 13).
46
Der in Art. 124 Abs. 1 Buchst. k UZK geregelte Erlöschensgrund lässt die entstandene Zollschuld entfallen, wenn nachgewiesen ist, dass die Ware zu keinem Zeitpunkt am Wirtschaftsgeschehen in der Union teilgenommen hat. In solchen Fällen ist nach dem in Art. 124 Abs. 1 Buchst. k UZK zum Ausdruck kommenden Wirtschaftszollgedanken (materiell-rechtlich) kein Zoll zu entrichten. Grundlage für die Verwirklichung bzw. Durchsetzung der (materiell-rechtlich) zu entrichtenden Abgabenschulden sind die Abgabenbescheide. Dies folgt u.a. aus Art. 101 Abs. 1 UZK und Art. 102 Abs. 1 UZK, wonach „zu entrichtende“ Abgabenbeträge festgesetzt und dem Zollschuldner mitgeteilt werden. Zeigt sich noch während eines laufenden Rechtsbehelfsverfahrens, dass kein Zollbetrag zu entrichten ist, ist der Abgabenbescheid nach Auffassung des Senats (entweder im außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren durch die Zollbehörde oder im Klageverfahren durch das Gericht) aufzuheben (zum Verzicht auf die Festsetzung des Einfuhrabgabenbetrags bei absehbarem Erlöschen der Zollschuld vgl. Bundesministerium der Finanzen – Dienstvorschrift Zollschuldrecht, Abs. 402, E-VSF Z 09 01). Mit der Aufhebung des Abgabenbescheides entfällt die Grundlage für die Leistungspflicht. Bereits erfolgte Zahlungen sind nach Art. 117 Abs. 1 UZK als nicht geschuldet zu erstatten (Alexander in Witte, aaO., Art. 117 Rn. 11).
47
Folgt man dieser Auffassung nicht, ist der Streit um die Rechtmäßigkeit der Festsetzung jedenfalls gegenstandslos und damit in der Hauptsache erledigt, weil die Zollschuld nach Ansicht des Senats gemäß Art. 124 Abs. 1 Buchst. k UZK erloschen ist (vgl. BFH-Urteil vom 18. August 2020 VII R 39/19, BFH/NV 2021, 329, Rn. 29, unter Hinweis auf das für den Fall der Zahlungsverjährung ergangene BFH-Urteil vom 26. April 1990 V R 90/87, BStBl II 1990, 802 und auf den BFH-Beschluss vom 25. März 1993 V B 73/92, BFH/NV 1994, 437).
48
[14]. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten und über den Vollstreckungsschutz folgt aus § 151 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
49
5. Die Revision wird nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zugelassen.