Inhalt

VGH München, Beschluss v. 26.02.2024 – 10 ZB 23.2346
Titel:

Ausweisung aufgrund einer rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung

Normenketten:
AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 2 S. 2, § 5 Abs. 3 S. 1, S. 3, § 10 Abs. 3, § 25b Abs. 1, § 28 Abs. 1, § 54
VwGO § 108 Abs. 1 S. 1, § 124 Abs. 2 Nr. 2, § 124a Abs. 4 S. 4
Leitsätze:
1. Es ist geklärt, dass die Ausländerbehörden – und demzufolge auch die zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung berufenen Gerichte – in dieser Beziehung ohne Weiteres in aller Regel von der Richtigkeit einer strafgerichtlichen Verurteilung ausgehen können und die darin getroffenen Feststellungen ihrer Entscheidung zugrunde legen dürfen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn strafgerichtliche Feststellungen offensichtlich unrichtig sind oder die Ausländerbehörden oder Verwaltungsgerichte über bessere Erkenntnismöglichkeiten als die Strafgerichte verfügen. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Aus der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG kann nicht ohne Weiteres geschlossen werden, der Ausweisungsgrund sei umfänglich verbraucht. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug, Titelerteilungssperre nach erfolglosem Asylverfahren, gesetzlicher Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, Regelerteilungsvoraussetzungen, Ausweisungsinteresse, Verbrauch des Ausweisungsinteresses durch Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG (hier verneint), kein die Titelerteilungssperre überwindender gesetzlicher Anspruch bei im Sinne der Regelerteilungsvoraussetzungen atypischem Fall, Titelerteilungssperre, erfolgloses Asylverfahren, Verbrauch des Ausweisungsinteresses, Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG, atypischer Fall, Vertrauenstatbestand
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 15.09.2023 – M 24 K 22.3359
Fundstelle:
BeckRS 2024, 4452

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,-- Euro festgesetzt.

Gründe

1
Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage auf Verpflichtung des Beklagten, ihm eine Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug zu erteilen, weiter.
2
Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich weder ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (1.) noch tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (2.).
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1. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
4
Solche ernstlichen Zweifel bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16; B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33). Die von § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO geforderte Darlegung dieses Zulassungsgrundes erfordert innerhalb der Zulassungsbegründungsfrist von zwei Monaten eine konkret fallbezogene und hinreichend substantiierte Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung; es muss dargelegt werden, dass und weshalb das Verwaltungsgericht entscheidungstragende Rechts- und Tatsachenfragen unrichtig entschieden hat (BayVGH, B.v. 29.4.2020 – 10 ZB 20.104 – juris Rn. 3), wobei „darlegen“ schon nach allgemeinem Sprachgebrauch mehr als lediglich einen allgemeinen Hinweis bedeutet; „etwas darlegen“ bedeutet vielmehr so viel wie „erläutern“, „erklären“ oder „näher auf etwas eingehen“ (BVerwG, B.v. 9.3.1993 – 3 B 105.92 – juris Rn. 3 m.w.N.).
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Gemessen daran werden mit dem Zulassungsantrag ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht dargelegt.
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Das Verwaltungsgericht hat angenommen, der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis stehe die Sperrwirkung des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG entgegen, weil das Asylverfahren des Klägers bestandkräftig negativ abgeschlossen sei. Einem strikten Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug stehe entgegen, dass beim Kläger aufgrund eines rechtskräftigen Strafbefehls wegen falscher Angaben in einem Verfahren zur Erlangung eines Aufenthaltstitels ein Ausweisungsinteresse im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG bestehe. Die Einlassung des Klägers, er habe nicht gewusst, was mit der konkreten Frage zum Bestehen weiterer Wohnsitze gemeint gewesen sei, sei als Schutzbehauptung zu werten, da er bei einer polizeilichen Befragung selbst eingeräumt habe, den zweiten Wohnsitz aus Angst vor „Ärger“ verschwiegen zu haben. Das Ausweisungsinteresse sei jedenfalls aus generalpräventiven Gesichtspunkten noch aktuell, ein Ausnahmefall liege nicht vor. Das Ausweisungsinteresse sei auch nicht dadurch verbraucht, dass der Beklagte dem Kläger mittlerweile eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG erteilt habe. Die konkreten Umstände der Ankündigung der Erteilung und der Erteilung selbst belegten, dass der Beklagte erkennbar an seiner Auffassung, es bestehe ein Ausweisungsinteresse, festgehalten habe und der Kläger deshalb nicht darauf vertrauen habe können, ihm werde das Ausweisungsinteresse nicht mehr entgegengehalten. Der Beklagte könne zwar im Ermessenswege vom Vorliegen eines Ausweisungsinteresses absehen, dies führe aber nicht zu einem strikten Anspruch auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, der allein die Sperrwirkung des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG überwinden könne.
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Die mit dem Zulassungsvorbringen hiergegen erhobenen Einwendungen greifen nicht durch.
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a) Der Kläger versucht zunächst mit umfangreichen Vortrag, aber ohne Erfolg, die Annahme des Verwaltungsgerichts, der Kläger habe im Verfahren zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis falsche Angaben zum Bestehen eines weiteren Wohnsitzes gemacht und damit eine Ausweisungsinteresse verwirklicht, in Zweifel zu ziehen.
9
Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. z.B. BVerwG, B.v. 24.2.1998 – 1 B 21.98 – juris Rn. 4; BayVGH, B.v. 10.6.2020 – 10 CS 20.840 – juris Rn. 6; B.v. 10.4.2019 – 19 ZB 17.1535 – juris Rn. 17 m.w.N.) erfordert die Anwendung der auf eine rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung abstellenden Ausweisungstatbestände keine Prüfung, ob der Betroffene tatsächlich eine Straftat begangen hat. Soweit es bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung etwa auf die Umstände der Tatbegehung ankommt (z.B. im Rahmen der Feststellung einer Wiederholungsgefahr oder bei der Ermessensausübung) besteht zwar keine strikte Bindung an eine rechtskräftige Verurteilung. Es ist aber geklärt, dass die Ausländerbehörden – und demzufolge auch die zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung berufenen Gerichte – in dieser Beziehung ohne weiteres in aller Regel von der Richtigkeit der Verurteilung ausgehen können und die darin getroffenen Feststellungen ihrer Entscheidung zugrunde legen dürfen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn strafgerichtliche Feststellungen offensichtlich unrichtig sind oder die Ausländerbehörden oder Verwaltungsgerichte über bessere Erkenntnismöglichkeiten als die Strafgerichte verfügen. Die vorstehenden Erwägungen gelten auch im Falle des Erlasses eines rechtskräftigen Strafbefehls (BVerwG, B.v. 14.1.1981 – 1 B 857/80 – juris Rn. 3).
10
Dass die Voraussetzungen für die Notwendigkeit einer eigenständigen Prüfung durch Ausländerbehörde und Verwaltungsgerichte beim Kläger vorlägen, wird mit dem Zulassungsvorbringen nicht substantiiert dargelegt. Unabhängig davon hat das Verwaltungsgericht sich selbst eine Überzeugung davon gebildet, ob der Kläger im Verfahren auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis eine vorsätzliche Falschangabe gemacht hat, und dies bejaht. Diese tatrichterliche Würdigung zieht das Zulassungsvorbringen letztlich nicht durchgreifend in Zweifel.
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Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Diese Freiheit ist nur dann überschritten, wenn es entweder seiner Sachverhalts- und Beweiswürdigung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zu Grunde legt, sondern nach seiner Rechtsauffassung entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht oder aktenwidrige Tatsachen annimmt, oder wenn die von ihm gezogenen Schlussfolgerungen gegen gesetzliche Beweisregeln, Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstoßen. Dass ein Beteiligter den Sachverhalt anders würdigt oder aus ihm andere Schlüsse zieht, reicht hierfür nicht aus (vgl. BayVGH, B.v. 5.2.2019 – 10 ZB 17.1743 – juris Rn. 5). Eine Überschreitung der Grenzen der richterlichen Überzeugungsbildung legt das Zulassungsvorbringen nicht substantiiert dar.
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Mit seinen Einwänden gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, dem Kläger sei bewusst gewesen, was mit der Frage nach dem weiteren Wohnsitz gemeint gewesen sei und dass er einen weiteren Wohnsitz unterhalten habe, setzt der Kläger seine Würdigung der festgestellten Tatsachen lediglich an die Stelle der Würdigung des Erstgerichts, ohne substantiiert darzulegen, dass diese auf Mängel im dargelegten Sinne beruhen würde. Die Annahme des Erstgerichts, angesichts der früheren Aussagen des Klägers bei seiner polizeilichen Vernehmung seien die Angaben im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht als Schutzbehauptung anzusehen, ist auch unter Berücksichtigung des umfangreichen Zulassungsvorbringen rechtlich nicht zu beanstanden.
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b) Soweit der Kläger vorträgt, in seinem Fall bestehe in Ermangelung einer Wiederholungsgefahr kein spezialpräventives Ausweisungsinteresse, wird verkannt, dass das Verwaltungsgericht seine Entscheidung selbstständig tragend und rechtlich zulässig (vgl. dazu BVerwG, U.v. 12.7.2018 – 1 C 16.17 – juris Rn. 15 ff.; U.v. 9.5.2019 – 1 C 21.18 – BVerwGE 165, 331 – juris Rn. 17 ff.) auch auf generalpräventive Gesichtspunkte gestützt hat. Hierzu verhält sich das Zulassungsvorbringen nicht. Im Übrigen kann der Senat nichts erkennen, was dafür spräche, dass der Kläger in einer ähnlichen Situation, bei der die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis von seinen Angaben abhängt, nicht erneut in strafrechtlich relevanter Weise gegen ausländerrechtliche Pflichten verstoßen würde.
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c) Auch der Vortrag des Klägers zum angeblichen Verbrauch des Ausweisungsgrundes zeigt keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit es erstinstanzlichen Urteils auf.
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Ausweisungsgründe dürfen in Anwendung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes einem Ausländer zwar nur dann und so lange entgegengehalten werden, als sie noch aktuell und nicht verbraucht sind und die Ausländerbehörde auf ihre Geltendmachung nicht ausdrücklich oder konkludent verzichtet hat. Aus der Ableitung dieser Kriterien aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes folgt jedoch, dass die Ausländerbehörde einen ihr zurechenbaren Vertrauenstatbestand geschaffen haben muss, aufgrund dessen der Ausländer annehmen kann, ihm werde ein bestimmtes Verhalten nicht mehr entgegengehalten. Zudem muss ein hierauf gegründetes Vertrauen des Ausländers schützenswert sein (vgl. BVerwG, U.v. 22.2.2017 -1 C 3.16 – juris Rn. 39 m.w.N.).
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Das Verwaltungsgericht hat hierzu ausgeführt, einen solchen Vertrauensschutztatbestand habe der Beklagte durch die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG nicht gesetzt. Die Erteilung sei im Zusammenhang mit den vorausgehenden Umständen zu betrachten, die verdeutlichten, dass die Erteilung unter Vorbehalt des Ausweisungsinteresses erfolgt sei. Das Angebot der Ausländerbehörde, eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG zu erteilen, sei erstmals im Rahmen des laufenden Gerichtsverfahrens hinsichtlich einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen mit Schriftsatz vom 3. August 2022 abgegeben worden. Im gleichen Schriftsatz habe der Beklagte jedoch den Antrag auf Abweisung der Klage unter Verweis auf den Bescheid, in dem entscheidend auf das bestehende Ausweisungsinteresse Bezug genommen wurde, gestellt. Damit habe der Beklagte verdeutlicht, dass er vom Fortbestehen des Ausweisungsinteresses selbst im Fall der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG ausgehe und gerade nicht den Eindruck erweckt, dass er das Ausweisungsinteresse unter keinen Umständen mehr entgegenhalte.
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Dem tritt der Kläger mit dem bloßen Hinweis, der Klageabweisungsantrag sei nicht geeignet gewesen, die Entstehung eines Vertrauenstatbestandes zu verhindern, nicht substantiiert entgegen. Wenn eine Ausländerbehörde die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach einer bestimmten Vorschrift in Aussicht stellt, gleichzeitig aber an der Ablehnung eines Aufenthaltstitels nach einer anderen Vorschrift und der dazu vertretenen, dem Ausländer hinreichend bekannten Rechtsauffassung festhält, muss sich gerade einem anwaltlich vertretenen Ausländer aufdrängen, dass dies an unterschiedlichen Erteilungsvoraussetzungen und Versagungsgründen liegen kann. Deshalb kann aus der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht ohne Weiteres geschlossen werden, der Ausweisungsgrund sei umfänglich verbraucht.
18
Dies gilt gerade in der vorliegenden Konstellation unterschiedlicher Voraussetzungen und Rechtsfolgen von Aufenthaltserlaubnissen nach § 28 Abs. 1 AufenthG und nach § 25b AufenthG und im Hinblick auf die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG. Hier kann die Ausländerbehörde hinsichtlich des Aufenthaltstitels nach § 25b AufenthG vom Vorliegen eines Ausweisungsgrundes nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG im Ermessenswege absehen, ohne damit zum Ausdruck zu bringen, dass sie im Rahmen des Anspruchs auf § 28 Abs. 1 AufenthG davon ausgehe, es bestehe gar kein Ausweisungsinteresse (mehr). Das rechtsgestaltende Absehen von Ausweisungsgründen im Ermessenswege ist strukturell ein anderer Vorgang als die rein bewertende Annahme, es bestehe gar kein Ausweisungsinteresse (mehr). Ausweislich der Behördenakte (Bl. 256 der elektronischen Akte) hat der Beklagte bei der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG vom Bestehen eines Ausweisungsgrundes in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens abgesehen. Dass er dabei nicht von der Möglichkeit des § 5 Abs. 3 Satz 3 AufenthG Gebrauch gemacht hat, konnte beim Kläger nach dem Wortlaut und Anwendungsbereich dieser Vorschrift allenfalls die Erwartung begründen, er werde wegen des Ausweisungsgrundes nicht mehr ausgewiesen.
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c) Die vom Kläger aufgeworfenen Bedenken zur Verhältnismäßigkeit der Ausweisung sind in diesem Zusammenhang schon deswegen unbehelflich, weil es für das Vorliegen eines Ausweisungsinteresses nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nicht darauf ankommt, ob der Ausländer tatsächlich ausgewiesen werden könnte. Es reicht vielmehr aus, dass ein Ausweisungsinteresse gleichsam abstrakt – d.h. nach seinen tatbestandlichen Voraussetzungen – vorliegt, wie es insbesondere im Katalog des § 54 AufenthG normiert ist. Eine Abwägung mit den privaten Bleibeinteressen erfolgt – sofern sie nicht durch § 10 Abs. 3 AufenthG ausgeschlossen ist – erst im Rahmen der Frage, ob eine Abweichung vom Regelfall im Sinne des § 5 Abs. 1 AufenthG vorliegt (BVerwG, U.v. 12.7.2018 – 1 C 16.17 – juris Rn. 15; BayVGH, B.v. 3.8.2021 – 10 ZB 21.937 – juris Rn. 11). Dass im Fall des Klägers von einem atypischen Sachverhalt auszugehen wäre, der eine Ausnahme von der Regelerteilungsvoraussetzung begründen könnte, wird mit dem Zulassungsvorbringen nicht substantiiert dargelegt. Im Übrigen erfasst die Ausnahmeregelung in § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG nur strikte Rechtsansprüche auf Erteilung eines Aufenthaltstitels, die sich unmittelbar aus dem Gesetz ergeben und bei denen alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind (vgl. nur BVerwG, B.v. 16.2.2012 – 1 B 22.11 – juris Rn. 4). Muss über die gesetzlichen Voraussetzungen hinaus noch geprüft werden, ob ein atypischer Fall im Sinne der Regelerteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 AufenthG vorliegt, liegt kein gesetzlicher Anspruch im Sinne von § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG vor (BVerwG, U.v. 16.12.2008 – 1 C 37.07 – BVerwGE 132, 382 – juris Rn. 24).
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2. Auch der Zulassungsgrund der besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegt nicht vor bzw. ist schon nicht hinreichend dargelegt (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO).
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Zur Darlegung der besonderen Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) sind die entscheidungserheblichen tatsächlichen oder rechtlichen Fragen in fallbezogener Auseinandersetzung mit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts konkret zu benennen, die diese Schwierigkeiten aufwerfen, und es ist anzugeben, dass und aus welchen Gründen die Beantwortung dieser Fragen besondere Schwierigkeiten bereitet. Es ist eine Begründung dafür zu geben, weshalb die Rechtssache an den entscheidenden Richter (wesentlich) höhere Anforderungen stellt als im Normalfall (BayVGH, B.v. 17.10.2019 – 10 ZB 18.1883 – juris Rn. 10; B.v. 9.5.2019 – 10 ZB 19.317 – juris Rn. 9; B.v. 20.2.2019 – 10 ZB 18.2343 – juris Rn. 18).
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Diesen Anforderungen genügt das Zulassungsvorbringen nicht. Dass sein Fall wesentliche höhere Anforderungen an das Gericht stellen würde als andere, wird vom Kläger zwar behauptet, aber nicht dargelegt.
23
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
24
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 2 GKG.
25
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).