Inhalt

ArbG Bayreuth, Endurteil v. 11.01.2024 – 1 Ca 295/23
Titel:

Anfechtung des Aufhebungsvertrags, Arglistige Täuschung, Widerrechtliche Drohung, Aufklärungspflicht, Beendigung des Arbeitsverhältnisses, Anfechtungslage, Verkürzte Kündigungsfrist, Betriebsratsvorsitzender, Gesetzeswidrigkeit, Altersteilzeit, Agentur für Arbeit, Anfechtung des Vertrags, Arbeitslosenunterstützung, Kostenentscheidung, Fürsorgepflicht des Arbeitgebers, Rechtsmittelbelehrung, Prozeßbevollmächtigter, Streitwert, Elektronischer Rechtsverkehr, Berufungsbegründungsschrift

Schlagworte:
Aufhebungsvertrag, Anfechtungslage, Arglistige Täuschung, Widerrechtliche Drohung, Kündigungsfristverkürzung, Abfindungsverhandlung
Rechtsmittelinstanzen:
LArbG Nürnberg, Urteil vom 02.10.2024 – 4 SLa 29/24
BAG Erfurt, Beschluss vom 20.03.2025 – 6 AZR 301/24
Fundstelle:
BeckRS 2024, 44506

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 7.800,00 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über die Anfechtung eines Aufhebungsvertrages.
2
Der Kläger war seit dem 08.10.1990 bei der Beklagten, zuletzt zu einem Bruttomonatsgehalt von 2.600,00 € beschäftigt. Er war zunächst im Hochregallager, anschließend 20 Jahre als Ansetzer und dann erneut 12 Jahre im Hochregallager beschäftigt. Als Ansetzer stellte er Material zur Gewebeimprägnierung her.
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Der Kläger brachte im Oktober/November 2022 Zettel mit dem Inhalt „Altersteilzeit! oder Abfindung oder Vorruhestand A. A. 25.10.22“ und ich möchte ?! Kündigen Euer A.G.“ an der Tür der Personalabteilung an (vgl. Bl. 66,67 d.A.). Im Zeitraum vom 24.11.22 bis 30.11.22 war er arbeitsunfähig erkrankt. Nach seiner Rückkehr wurde ihm der streitgegenständliche Aufhebungsvertrag (vgl. 10 ff.d.A.) vorgelegt.
§ 7 lautet auszugsweise:
„… bei Abschluss eines Aufhebungsvertrages ggf. eine Sperre hinsichtlich der Arbeitslosenunterstützung die Folge sein kann. Er hat empfohlen, vor Abschluss des Aufhebungsvertrages entsprechende Informationen einzuholen.…“
4
Am 01.12.22 fand ein Gesprächstermin statt. Teilnehmer waren neben dem Kläger, die Betriebsratsvorsitzende Frau B, Frau G und Herr H. Der streitgegenständliche Aufhebungsvertrag wurde dem Kläger zur Prüfung mit nach Hause gegeben.
5
Ein zweites Gespräch fand am 13.12.22 statt. Anwesend waren neben dem Kläger Frau G, Herr H sowie Herr F, der Produktionsleiter. Er wurde zu Beginn des Gesprächs gefragt, ob er eine Person seines Vertrauens hinzuziehen wolle, was er verneinte. Der Kläger wurde von Herrn F gefragt, ob er sich vorstellen könne, auf einer anderen Stelle in Werk 4 zu arbeiten. Dies verneinte der er. Der Kläger selbst schlug die Abfindungssumme von 10.000,00 € vor. Er unterzeichnete den seitens der Beklagten bereits am 30.11.22 unterzeichneten Aufhebungsvertrag am 13.12.22.
6
Am 02.03.2023, der Beklagten zugegangen am 08.03.2023 erklärte der Kläger durch seine Prozessbevollmächtigte die Anfechtung des Aufhebungsvertrages (vgl. Bl. 14 ff. d. A.). Die Beklagte wies dies mit Schreiben vom 15.03.2023 zurück (vgl. Bl. 17 ff. d.A.).
7
Der Kläger trägt vor, die Arbeit sei sehr schwer und gesundheitsproblematisch gewesen.
8
Er habe überobligatorisch Arbeit leisten müssen. Er sei im Herbst 2022 körperlich am Ende gewesen. So habe er an seinem letzten Arbeitstag von 06:00 Uhr bis 17:00 Uhr ohne Pausen durchgearbeitet. Die Beklagte habe dies auch gewusst. Er habe seine gesundheitlichen Probleme in der Vergangenheit auch Herrn L, dem damaligen Stellvertreter des Chefs, geschildert. Dieser habe ihm jedoch nicht geholfen. Nach dem ersten Gesprächstermin habe Frau G ihn täglich zwischen 09:00 Uhr und 10:00 Uhr angerufen und damit unter Druck gesetzt den Aufhebungsvertrag zu unterzeichnen. Am 13.12.2022 habe er sich in der Besprechung einem übermächtigen Druck ausgesetzt gefühlt, da keine Personen zugegen gewesen seien, die ihn und seine Interessen unterstützt hätten, er habe keine Vertrauensperson hinzuziehen dürfen. Die Betriebsratsvorsitzende habe ihm im Termin am 01.12.2022 schon nicht geholfen. Er habe sich völlig allein und im Stich gelassen gefühlt. Es unterliege der besonderen Führsorgepflicht des Arbeitgebers darauf hinzuweisen, welche Rechtsfolgen der Aufhebungsvertrag für ihn haben werde. Eine über die standardmäßige Formulierung im Aufhebungsvertrag hinausgehende Aufklärung sei nicht erfolgt. Er sei lediglich darauf hingewiesen worden, sich beim Arbeitsamt zu melden.
9
Die Mitarbeiterin der Arbeitsagentur habe ihm dann gesagt: „weißt du was, solange du krank bist, bist du für uns gar nicht vermittelbar und du brauchst erstmal gar nichts machen. Wenn du genesen bist, kommst du vorbei.“
10
Auch stehe die Abfindungssumme in keinem Verhältnis zur Betriebszugehörigkeit. Zunächst seien ihm seitens der Beklagten 5.000,00 € angeboten worden, dies habe er im ersten Gespräch abgelehnt und 50.000,00 € gefordert. Herr H habe ihn daraufhin veräppelt und mitgeteilt, man könne auch vorn eine Null an die 5.000,00 € hängen. Auch habe er 30.000,00 € in den Raum geworfen. Die Beklagte habe sich dazu nicht geäußert. Beim zweiten Gespräch seien dann die 10.000,00 € angeboten worden.
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Der Kläger beantragt,
I. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers nicht zum
28.02.2023 endete.
II. Es wird festgestellt, dass der zwischen den Parteien geschlossene Aufhebungsvertrag vom 30.11.2022 unwirksam ist.
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Die Beklagte beantragt,
Klageabweisung.
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Sie erwidert, es habe lediglich Anrufe seitens Frau G nach der Krankmeldung des Klägers am 05./06.12.22 gegeben wenn diese daran gedacht habe. Sie habe in diesen Gesprächen erfahren wollen, wann der am 01.12.22 vereinbarte zweite Termin stattfinden könne. Nachdem sie dies in Erfahrung habe bringen können, habe es keine weiteren Anrufe gegeben. Zudem sei der Hinweis in § 7 des Aufhebungsvertrages ausreichend. Die Beklagte sei ihrer Aufklärungspflicht nachgekommen. Auch habe Frau G den Kläger in einem Telefonat vor den Gesprächen gebeten, sich beim Arbeitsamt und der Rentenversicherung zu informieren. Damit habe die Beklagte den Kläger an die richtigen Stellen verwiesen, die auch entscheidungsbefugt im Hinblick auf diese Themen seien. Im Hinblick auf die gesundheitlichen Probleme des Klägers habe Herr L diesen aufgefordert zum Arzt zu gehen.
14
Der Kläger sei auch mehrfach darauf hingewiesen worden seine Pausen einzuhalten. Selbst wenn der Kläger an seinem letzten Arbeitstag am Ende gewesen sei, habe er den Aufhebungsvertrag doch erst am 13.12.22 und damit zwei Wochen später unterzeichnet. Die Beklagte habe den Kläger nicht ausgenutzt. Der Kläger selbst habe auf die Frage des Herrn H, welches seine finale Summe wäre, die vereinbarten 10.000,00 € vorgeschlagen.
15
Es läge damit weder eine arglistige Täuschung, noch eine widerrechtliche Drohung vor.
16
Zudem habe man die Anfechtung gemäß § 174 S. 1 BGB zurückgewiesen.
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Im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet.
19
Das Arbeitsverhältnis hat durch den Aufhebungsvertrag vom 30.11.2022, 13.12.2022 zum 28.02.2023 sein Ende gefunden. Die erklärte Anfechtung ist unwirksam. Eine Anfechtungslage liegt nicht vor. Der Kläger wurde weder arglistig getäuscht noch widerrechtlich bedroht als er den Aufhebungsvertrag geschlossen hat.
20
Wer zur Abgabe einer Willenserklärung durch arglistige Täuschung oder widerrechtlicher Drohung bestimmt worden ist, kann die Erklärung anfechten, § 123 Abs. 1 BGB. Eine arglistige Täuschung setzt eine Täuschung zum Zweck der Erregung oder Aufrechterhaltung eines Irrtums voraus. Das Verschweigen von Tatsachen durch die Beklagte, wie vorliegend behauptet wird (Die Beklagte hätte dem Kläger die Auswirkungen der durch den Aufhebungsvertrag vereinbarten verkürzten Kündigungsfrist und die Auswirkungen der vereinbarten Abfindungshöhe auf seinen Arbeitslosengeldanspruch darstellen müssen und ihm explizit raten müssen anwaltlichen Rat einzuholen.), stellt nur dann eine Täuschung dar, wenn hinsichtlich der verschwiegenen Tatsache eine Aufklärungspflicht gem. § 242 BGB besteht. Entscheidend ist, ob der andere Vertragsteil nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung redlicherweise Aufklärung erwarten durfte. Grundsätzlich ist es Sache der Partei ihre Interessen selbst wahrzunehmen. Es besteht daher keine unmittelbare Rechtspflicht alle Umstände zu offenbaren, die für die Entscheidung des anderen Teils von Bedeutung sein können (BGH NJW 10, 3362 Ziffer 21).
21
Die Beklagte hat dem Kläger die Möglichkeit eröffnet, den Vertrag mit nach Hause zu nehmen und ihn prüfen zu lassen. In § 7 des Vertrages wird der Kläger explizit auf die Möglichkeit einer Sperre hinsichtlich der Arbeitslosenunterstützung hingewiesen. Die Beklagte hat insbesondere darauf hingewiesen, dass der Kläger die Agentur für Arbeit kontaktieren solle, was er auch getan hat. Entgegen der Ansicht der Klägervertreterin geht die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers auch nicht so weit, dass dem Arbeitnehmer explizit gesagt werden muss, er solle sich Rechtsrat einholen oder welche Auswirkungen der Abschluss des Aufhebungsvertrags auf seine Ansprüche beim Arbeitslosengeld haben, speziell dass gegebenenfalls eine Sperrfrist eintreten kann. Eine solche Aussage kann der Arbeitgeber auch gar nicht treffen, da er zu einer solchen Rechtsauskunft nicht befugt ist. Der Verweis auf die für diese Fragen zuständige Stelle genügt völlig. Im Übrigen hat der Kläger nach eigenen Angaben mit der Agentur für Arbeit Kontakt aufgenommen. Dass er daraufhin von Seiten der Agentur eventuell falsch beraten wurde, indem er die Auskunft erhalten habe, er solle sich wieder melden, wenn er genesen ist, kann nicht der Beklagten zu Last gelegt werden.
22
Auch ist in der Vorgehensweise der Beklagten keine widerrechtliche Drohung zu sehen. Eine Drohung ist das Inaussichtstellen eines künftigen Übels. Sie muss den Erklärenden in eine Zwangslage versetzen. Bei Drohung mit einem rechtswidrigen Verhalten ist die Willensbeeinflussung widerrechtlich, auch wenn sie der Durchsetzung eines bestehenden Anspruchs dient. Die Willensbestimmung durch Drohung ist widerrechtlich, wenn der erstrebte Erfolg rechtswidrig ist. Die Willensbeeinflussung durch Drohung ist auch dann widerrechtlich, wenn zwar Mittel und Zweck für sich betrachtet nicht anstößig sind, aber ihre Verbindung – die Benutzung dieses Mittels zu diesem Zweck – gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt.
23
Vorliegend hat der Kläger durch Anbringen der Zettel mit dem Inhalt „Altersteilzeit! oder Abfindung oder Vorruhestand A. A. 25.10.22“ und ich möchte ?! Kündigen Euer A.G.“ an der Tür der Personalabteilung selbst den Anstoß zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegeben.
24
Auch wurde im Rahmen des Gesprächs am 13.12.2022 nochmals mit dem Kläger der Einsatz im Werk 4 erörtert, was dieser ablehnte. Er wurde darüber hinaus zu Beginn des Gesprächs am 13.12.2022 explizit gefragt, ob er eine Vertrauensperson hinzuziehen wolle, was er verneinte. Der Umstand, dass sich der Kläger nach dem ersten Gespräch am 01.12.2022 seitens der dort anwesenden Betriebsratsvorsitzenden mehr Unterstützung gewünscht hätte, kann der Beklagten nicht zur Last gelegt werden. Einerseits ist sie für eine solche nicht verantwortlich, zum anderen handelt es sich um eine persönliche Empfindung des Klägers, von der die Beklagte keine Kenntnis und Abhilfeverpflichtung hat.
25
Auch in den, seitens des Klägers geschilderten Telefonanrufen nach dem ersten Gespräch ist keine widerrechtliche Drohung zu erkennen. Er schilderte, dass er nahezu täglich angerufen worden sei. Die Beklagte erwiderte, dass Intention der Beklagten gewesen sei, vom Kläger zu erfahren, wann und wie das vereinbarte zweite Gespräch fortgesetzt werden kann. Mangels konkreter Darlegung der Anzahl der Anrufe, der Daten und Uhrzeiten, sowie des Inhalts der Anrufe kam der Kläger seiner Darlegungslast, er sei durch die Beklagte telefonisch in eine Drucksituation versersetzt worden, nicht nach. Weiterhin wurde über die Höhe der Abfindungssumme zwischen den Parteien verhandelt. Zunächst stand in dem, dem Kläger zuerst zur Verfügung gestellten Muster eine Summe in Höhe von 5.000,00 € als Abfindungssumme, diese wurde, nachdem der Kläger zunächst 50.000,00 €, dann 30.000,00 € gefordert hatte, auf 10.000,00 € festgelegt. Dass der Kläger das Empfinden hatte, dass man ihn nicht ernst nahm, kann man weder als arglistige Täuschung, noch als widerrechtliche Drohung im Rechtssinne bezeichnen. Sicherlich mag es moralisch verwerflich sein, ein derart langes Arbeitsverhältnis, in welchem der Kläger beanstandungsfrei seine Arbeitsleistung erbracht hat und auch bereit war Mehrarbeit zu leisten, mit einer Abfindung in Höhe von 10.000,00 € zu beenden, dies führt jedoch nicht per se zu einer Anfechtungslage des Klägers.
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Ebenso verhält es sich bei der Verkürzung der Kündigungsfrist. Einerseits ist es einem Aufhebungsvertrag immanent, dass man die gesetzliche Kündigungsfrist einvernehmlich nicht vereinbart, andererseits entsteht dadurch nicht automatisch eine Anfechtungslage.
27
Der Vertrag mag sicherlich zu Gunsten der Beklagten wirken, es mag sicherlich auch so sein, dass sie ihren Wissensvorsprung gegenüber dem Kläger ausgenutzt hat. Dies allein stellt jedoch im vorliegenden Fall kein gesetzeswidriges Vorgehen dar. Dem Kläger stand die Möglichkeit offen den Vertrag prüfen zu lassen und er wurde auf die Möglichkeit der Rücksprache bei der Agentur für Arbeit und der Rentenversicherung hingewiesen. Mehr musste die Beklagte nicht tun.
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Der Kläger hat den Aufhebungsvertrag nicht wirksam angefochten. Das Arbeitsverhältnis fand am 28.02.2023 sein Ende.
29
Die Kostenentscheidung ergeht gem. §§ 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG; 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
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Der Streitwert wurde gemäß §§ 61 Abs. 1 ArbGG, 42 Abs. 2 Satz 1 GKG, § 3 ZPO festgesetzt.