Titel:
Leinen- und Maulkorbpflicht für Labrador-Rüde
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
LStVG Art. 9 Abs. 2 S. 1, Art. 18 Abs. 2
Leitsätze:
1. Der sicherheitsrechtliche Halterbegriff und der hundesteuerliche Halterbegriff sind nicht identisch. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Halter im sicherheitsrechtlichen Sinne ist der Inhaber der tatsächlichen Gewalt, der die Verantwortung dafür trägt, dass die verfügten Maßnahmen umgesetzt und die Verpflichtungen eingehalten werden. Eigentum und Eigenbesitz sind für die Bejahung der Haltereigenschaft nicht Voraussetzung. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein kombinierter Leinen- und Maulkorbzwang auf der Grundlage von Art. 18 LStVG kann nur verfügt werden, wenn es im Einzelfall zur effektiven Gefahrenabwehr notwendig ist, wenn also ein bloßer Leinenzwang zur Abwehr der von dem konkreten Hund ausgehenden Gefahr nicht genügt. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beschwerde, Anordnungen zur Hundehaltung, Verhinderung eines unbeaufsichtigten Verlassens des Haltergrundstück, kombinierter Leinen- und Maulkorbzwang, Haltereigenschaft, Gefahrenprognose, Verhältnismäßigkeit, Hund, Leinenzwang, Maulkorbzwang, Hundehaltung, Anordnung, Haltergrundstück, Verlassen, unbeaufsichtigt, kombinierter Zwang
Vorinstanz:
VG Würzburg, Beschluss vom 15.01.2024 – W 9 S 23.1720
Fundstelle:
BeckRS 2024, 4445
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.
Gründe
1
Mit seiner Beschwerde wendet sich der Antragsgegner gegen die Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen einen Bescheid des Antragsgegners vom 8. November 2023, mit dem die Antragstellerin zur Sicherstellung, dass ihr Labrador-Rüde „Balou“ das Halteranwesen nicht unbeaufsichtigt verlassen kann, verpflichtet (Nr. 1 des Bescheids), eine kombinierte Leinen- und Maulkorbpflicht in bebauten Gebieten und außerhalb dieses Bereichs bei Begegnungen mit Personen angeordnet (Nr. 2 des Bescheids) und entsprechende Zwangsgelder androht (Nr. 3 des Bescheids) wurden.
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Die Beschwerde ist unbegründet. Das Vorbringen im Beschwerdeverfahren, auf dessen Prüfung der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigt keine Abänderung des angegriffenen Beschlusses.
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§ 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO verlangt, dass die Beschwerdebegründung die Gründe, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, darlegen und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen muss. Der Beschwerdeführer muss innerhalb der Monatsfrist konkret begründen, warum die Entscheidung des Verwaltungsgerichts änderungsbedürftig bzw. unrichtig sein soll. Das Darlegungsgebot soll zu einer sorgfältigen Prüfung vor Einlegung des Rechtsmittels anhalten und dem Oberverwaltungsgericht eine Überprüfung des erstinstanzlichen Beschlusses ermöglichen. Der Beschwerdeführer muss darlegen, welche tragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts er in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht für falsch oder unvollständig hält; er hat substantiiert auszuführen, weshalb die Überlegungen des Verwaltungsgerichts falsch sind, welche Rechtsfolgen sich daraus ergeben und was richtigerweise zu gelten hat. Er muss das Entscheidungsergebnis, die entscheidungstragenden Rechtssätze oder die für die Entscheidung erheblichen Tatsachenfeststellungen mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellen (vgl. zuletzt BayVGH, B.v. 19.5.2023 – 10 CS 23.783 – juris Rn. 2; B.v. 1.6.2022 – 10 CE 21.2270 – juris Rn. 3). Dem wird das Beschwerdevorbringen nicht gerecht.
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Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, der Bescheid leide an mehreren Ermessensfehlern. Zum einen habe der Antragsgegner den Bescheid lediglich an die Antragstellerin gerichtet, nicht aber deren Ehemann, obwohl es relevante Anhaltspunkte gebe, dass auch er Halter des Hundes sei. Dies mache die Anordnungen zum einen ungeeignet zur Gefahrenabwehr und stelle zudem einen Ermessensfehler bei der Störerauswahl dar. Auch sonst sei das Auswahlermessen fehlerhaft ausgeübt worden. Der Begründung des Bescheids lasse sich nicht entnehmen, inwiefern die kumulative Anordnung von mehreren Maßnahmen erforderlich sei. Aktenkundig sei lediglich ein Vorfall, bei dem der Hund der Antragstellerin das Grundstück verlassen und unmittelbar vor dem Grundstück einen anderen Hund gebissen habe. Zu Bekämpfung solcher Gefahren weise Nr. 1 des Bescheids einen sachlichen Bezug auf. Warum es der Anordnung eines kombinierten Leinen- und Maulkorbzwanges außerhalb des Haltergrundstückes bedurft hätte, sei nicht ersichtlich. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass der Hund unangeleint ausgeführt werde.
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Diese Erwägungen werden vom Antragsgegner nicht durchgreifend in Zweifel gezogen.
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1. Soweit der Antragsgegner meint, eine Sicherheitsbehörde, die zugleich Hundesteuerbehörde sei, müsse sich darauf verlassen können, dass nur diejenigen Personen Halter seien, die im Rahmen der Anmeldung zur Hundesteuer als Halter bezeichnet worden seien, denn eine weitergehende Halterermittlung sei „unpraktikabel und nicht umsetzbar“, greift dies nicht durch.
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Der Antragsgegner stellt damit nicht in Frage, dass der Ehemann der Antragstellerin sicherheitsrechtlich auch Halter ist. Auch dem Argument des Verwaltungsgerichts, dass die fehlerhaften Annahmen zur Haltereigenschaft zur Ungeeignetheit der verfügten Anordnungen zur Hundehaltung und zu einer fehlerhaften Ausübung des Auswahlermessens führen, tritt die Beschwerde nicht entgegen. Vielmehr will der Antragsgegner aus der Hundesteueranmeldung, bei der nur die Antragstellerin als Halterin angegeben war, eine unwiderlegliche Vermutung für die alleinige Haltereigenschaft im sicherheitsrechtlichen Sinne herleiten. Eine solche gibt es jedoch nicht.
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Dass der sicherheitsrechtliche Halterbegriff und der hundesteuerliche Halterbegriff nicht identisch sind, entspricht der gefestigten Rechtsprechung des Senats. Macht das Verhalten oder der Zustand eines Tieres oder der Zustand einer anderen Sache Maßnahmen nach dem LStVG notwendig, so sind diese gegen den Inhaber der tatsächlichen Gewalt zu richten (Art. 9 Abs. 2 Satz 1 LStVG). Halter im sicherheitsrechtlichen Sinne ist damit dieser Inhaber der tatsächlichen Gewalt, der die Verantwortung dafür trägt, dass die verfügten Maßnahmen umgesetzt und die Verpflichtungen eingehalten werden. Indizien für die Haltereigenschaft sind, dass er die Bestimmungsmacht über das Tier hat, aus eigenem Interesse für die Kosten des Tieres aufkommt, den allgemeinen Wert und Nutzen des Tieres für sich in Anspruch nimmt und das Risiko seines Verlustes trägt (BayVGH, B.v. 18.9.2013 – 10 CS 13.1544 – juris Rn. 25). Eigentum und Eigenbesitz sind für die Bejahung der Haltereigenschaft nicht Voraussetzung. Die Tatsache, dass eine Person die Hundesteuer bezahlt und daher steuerrechtlich als Halter des Hundes angesehen wird, macht diese nicht automatisch zum Halter im Sinne des Art. 18 bzw. 9 LStVG (vgl. BayVGH, B.v. 10.3.2017 – 10 ZB 17.136 – juris Rn. 11; B.v. 18.9.2013 – 10 CS 13.1544 – juris Rn. 25). Umgekehrt setzt die sicherheitsrechtliche Haltereigenschaft nicht voraus, dass die betreffende Person die hundesteuerliche Haltereigenschaft innehat und oder die Hundesteuer entrichtet.
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Es war dem Antragsgegner auch nicht unzumutbar oder unmöglich, hinsichtlich der sicherheitsrechtlichen Haltereigenschaft seiner Amtsermittlungspflicht (Art. 24 BayVwVfG) nachzukommen, zumal – worauf das Verwaltungsgericht zu Recht hinweist – sich aus der Anhörung der Antragstellerin konkrete Anhaltspunkte für eine Haltereigenschaft auch des Ehemannes der Antragstellerin ergaben und schon eine einfache Frage im Anhörungsverfahren wahrscheinlich Klarheit geschaffen hätte. In tatsächlicher Hinsicht ergibt sich aus der konkreten Hundesteueranmeldung der Antragstellerin auch kein Umstand, der einen irgendwie gearteten Vertrauensschutz, soweit es den für Behörden überhaupt geben kann, begründen könnte. Dass die Antragstellerin Halterin ist, wie in der Hundesteuermeldung angegeben, ist unstreitig. Dass es darüber hinaus keine weiteren Halter gibt, wird mit der Anmeldung nicht erklärt.
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2. Der weiteren selbständig tragenden Annahme des Verwaltungsgerichts, der Bescheid der Antragstellerin lasse keine Erwägungen dafür erkennen, warum die kumulativen Anordnungen zur Hundehaltung erforderlich seien, hält die Beschwerde nur pauschal entgegen, ein Leinenzwang allein sei nicht ausreichend gewesen, ohne dies den Anforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend darzulegen.
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Die Ausgangsüberlegung des Verwaltungsgerichts, es sei bereits nicht erkennbar, dass über die Verpflichtung zur Sicherstellung, dass der Hund der Antragstellerin das Halteranwesen nicht unbeaufsichtigt verlassen könne (Nr. 1 des angegriffenen Bescheids), hinaus ein Anlass für die Anordnung eines kombinierten Leinen- und Maulkorbzwangs (Nr. 2 des Bescheids) bestehe, zieht das Beschwerdevorbringen nicht durchgreifend in Zweifel.
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Nach Art. 18 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 LStVG können Gemeinden zur Verhütung von Gefahren für Leben, Gesundheit und Eigentum Anordnungen für den Einzelfall zur Haltung von Hunden treffen. Eine solche Anordnung darf jedoch nur verfügt werden, wenn im zu betrachtenden Einzelfall eine konkrete Gefahr für die genannten Schutzgüter vorliegt. Der Senat geht dazu zwar in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass von großen Hunden, die auf öffentlichen Straßen und Wegen mit relevantem Publikumsverkehr frei herumlaufen, oder vom Führen derartiger Hunde durch eine nicht befähigte Person in der Regel eine konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit Dritter ausgeht, zu deren Bekämpfung eine Leinenpflicht im Innenbereich angeordnet werden kann (stRspr, vgl. z.B. BayVGH, B.v. 5.6.2020 – 10 ZB 20.961 – juris Rn. 5; B.v. 12.2.2020 – 10 ZB 19.2474 – juris Rn. 6; B.v. 13.11.2018 – 10 CS 18.1780 – juris Rn. 10; B.v. 17.10.2018 – 10 CS 18.1717 – juris Rn. 18; B.v. 3.5.2017 – 10 CS 17.405 – juris Rn. 5 ff.; U.v. 9.11.2010 – 10 BV 06.3053 – juris Rn. 25; U.v. 20.1.2011 – 10 B 09.5966 – juris Rn. 21 m.w.N.). Zu Recht nimmt das Verwaltungsgericht jedoch an, dass für den Erlass einer Anordnung nach Art. 18 Abs. 2 LStVG ein über die bloße Haltung hinausgehender konkreter Anlass bestehen muss (Schwabenbauer in Möstl/Schwabenbauer, BeckOK PolR Bayern, Stand 1.10.2023, Art. 18 LStVG Rn. 40), im Falle der Leinenpflicht der betreffende Hund also bereits außerhalb des Haltergrundstücks unbeaufsichtigt angetroffen oder wenigstens unangeleint ausgeführt wurde.
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Der Annahme des Verwaltungsgerichts, es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass die Antragstellerin oder ihr Ehemann ihren Hund regelmäßig auch in bewohnten Gegenden und auf öffentlichen Straßen und Wegen frei herumlaufen ließen, tritt die Beschwerde nicht substantiiert entgegen. Die Behauptung des Antragsgegners, der Hund der Antragstellerin sei „wohl nicht der einfachste Hund“, zeigt nicht auf, dass ein konkreter Anlass bestünde, für das Tier Anordnungen nach Art. 18 Abs. 2 LStVG zu treffen, wenn es nicht unbeaufsichtigt das Haltergrundstück verlassen kann. Soweit der Antragsgegner erstinstanzlich aber auch im Beschwerdeverfahren ankündigt, zur Gefährlichkeit des Hundes der Antragstellerin weitere Beweismittel in Form einer schriftlichen Äußerung einer betroffenen Hundehalterin zu früheren Beißvorfällen vorlegen zu wollen, fehlt es, abgesehen davon, dass Art. 24 BayVwVfG die Behörde verpflichtet, den entscheidungserheblichen Sachverhalt vor Erlass eines Verwaltungsaktes soweit als möglich vollständig zu ermitteln und die Anhörungspflicht des Art. 28 BayVwVfG es gebietet, dem Betroffenen Gelegenheit zu geben, sich vor Bescheidserlass zu allen entscheidungserheblichen Tatsachen zu äußern, immer noch an einem hinreichend konkreten Sachverhalt, auf den sich der Antragsgegner bei seiner Gefahrenprognose stützen könnte. Wenn der Antragsgegner schließlich auf die Pflicht der Antragstellerin zum wahrheitsgemäßen Vortrag verweist, verkennt er, dass nach allgemeinen Grundsätzen die Sicherheitsbehörde hinsichtlich der von einem Hund ausgehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darlegungs- und beweispflichtig ist. Jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt und unter Zugrundelegung des Beschwerdevorbringen ist nach alledem nicht erkennbar, dass sich die Anordnungen zur Leinenpflicht und zum Maulkorbzwang letztlich als erforderlich darstellen werden.
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Zudem weist das Verwaltungsgericht zu Recht darauf hin, dass ein kombinierter Leinen- und Maulkorbzwang auf der Grundlage von Art. 18 LStVG nach ständiger Rechtsprechung des Senats nur verfügt werden kann, wenn es im Einzelfall zur effektiven Gefahrenabwehr notwendig ist, wenn also ein bloßer Leinenzwang zur Abwehr der von dem konkreten Hund ausgehenden Gefahr nicht genügt (vgl. BayVGH, B.v. 24.5.2022 – 10 CS 22.865 –, Rn. 5, juris B.v. 4.2.2019 – 10 ZB 17.802 – juris Rn. 3 ff.; B.v. 20.8.2014 – 10 ZB 14.1184 – juris Rn. 5; B.v. 31.7.2014 – 10 ZB 14.688 – juris Rn. 9; B.v. 5.2.2014 – 10 ZB 13.1645 – juris Rn. 4; B.v 17.4.2013 – 10 ZB 12.2706 – juris Rn. 5). Hierfür ergeben sich weder aus dem angegriffenen Bescheid noch aus dem Beschwerdevorbringen ausreichende Anhaltspunkte. Insbesondere vermag auch der Senat nicht zu erkennen, warum es hinreichend wahrscheinlich sein soll, dass der Hund der Antragstellerin sich von einer Leine losreißen wird. Entsprechende Vorfälle sind nicht aktenkundig, sondern vom Antragsgegner im Beschwerdeverfahren bestenfalls angedeutet. Darüber hinaus ist auch nicht erkennbar, warum der Hund außerhalb von Gebieten mit relevantem Publikumsverkehr bei absehbarem Kontakt mit anderen Personen oder Hunden einer kumulativen Maulkorb- und Leinenpflicht unterliegen soll, wenn Beißvorfälle schon durch das bloße Tragen eines Maulkorbs verhindert werden könnten.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).