Inhalt

AG Günzburg, Beschluss v. 06.05.2024 – 322 XIV 18/24 (L)
Titel:

Verfahrenspfleger, Sachverständigengutachten, Zwangsmedikation, Kostenentscheidung, Betroffenheit, Anordnung der sofortigen Wirksamkeit, Strafgerichtliche Entscheidung, freiheitsentziehende Maßnahmen, Rechtsmittelfrist, Verfahrenspflegschaft, Konkrete Gefahr, Medizinische Voraussetzungen, Ergänzende Stellungnahme, Unzuständigkeit, Behandlungsverweigerung, Urlaubsabwesenheit, Sachliche Zuständigkeit, Medikamentengabe, Behandlungsmaßnahmen, Medikation

Schlagworte:
Maßregelvollzug, Zwangsmedikation, Fixierungsmaßnahme, Sachverständigengutachten, Verfahrenspfleger, Gesundheitsgefährdung
Rechtsmittelinstanzen:
AG Günzburg, Beschluss vom 21.05.2024 – 322 XIV 18/24 (L)
LG Memmingen, Beschluss vom 16.07.2024 – 44 T 860/24
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 12.03.2025 – XII ZB 417/24
Fundstelle:
BeckRS 2024, 44456

Tenor

1. Folgende medizinische Behandlung des Betroffenen wird bis längstens gegen dessen Willen genehmigt:
a) die Behandlung mit dem Medikament Ciatyl-Z Acuphase durch intramuskuläre Injektion von je 100 mg alle drei Tage von Tag 1 bis Tag 9 der Behandlung zum Erreichen eines ausreichenden Wirkspiegels,
b) und hiernach jeweils 200 mg Ciatyl-Z Depot in Form einer intramuskulären Injektion jeweils im Abstand von jeweils 14 bis 21 Tagen für weitere 12 Wochen
c) eine Fünf-Punkt-Fixierung ausschließlich jeweils für die Zeit der Durchführung der Injektion
2. Die unter Ziffer 1 genannten Maßnahmen sind zu dokumentieren und durch einen Arzt/eine Ärztin durchzuführen, zu überwachen und in regelmäßigen Abständen auf ihre Eignung, Notwendigkeit und Angemessenheit zu überprüfen.
3. Die Kosten des Verfahrens fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

I.
1
Herr … wurde gemäß §§ 63, 20 StGB im Maßregelvollzug unterbracht (LG München I, 1 JKLs 22 JS 1640/10, rechtskräftig seit 02.08.12) und am 17.10.2016 aus dem Bezirkskrankenhaus Straubing in der Forensik des Bezirkskrankenhauses Günzburg aufgenommen.
2
Mit Schreiben vom 27.03.2024 beantragten die Bezirkskliniken Schwaben, Bezirkskrankenhaus Günzburg, die Genehmigung einer Zwangsmedikation mit dem Medikament Haloperidol, mit Schreiben vom 04.04.2024 stellten Sie den Antrag dahingehend um, dass nunmehr aufgrund der besseren Verträglichkeit mit dem Medikament Ciatyl-Z Acuphase behandelt werden solle, außerdem beantragte die Einrichtung die Genehmigung einer 5 – Punkt-Fixierung für die Dauer der Medikamentengabe (vgl. Bl. 1/7 d.A., Bl. 54 d.A., Bl. 56 d.A.). Im Antrag vom 27.03.2024 führt der behandelnde … auch aus, was Anlass des Antrags war: Am 13.03.2024 habe der Betroffene unvorhergesehen und raptusartig im Rahmen einer Zimmerkontrolle einen Dritten mit der Faust ins Gesicht geschlagen und getreten. Weiter gibt Herr Dr. …. an, dass der Betroffene „während seines gesamten Aufenthalts die unzweifelhaft erforderliche medikamentöse antipsychotische Behandlung verweigere“.
3
Das Gericht hat die Sachverständige Frau … Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie mit der Erstellung eines Gutachtens zu den medizinischen Voraussetzungen der beabsichtigten Behandlung beauftragt. Die Sachverständige hat das Gutachten am 03.04.2024 schriftlich erstattet. Wegen der Einzelheiten wird auf das Gutachten Bezug genommen (Bl. 15/30 d.A.). Die Sachverständige befürwortete eine Medikation mit Ciatyl-Z Acuphase.
4
Mit Beschluss vom 27.03.2024 (Bl. 8/10 d.A.) wurde Frau … zur Verfahrenspflegerin des Betroffenen bestellt. Der Betroffene hat auch eine Verteidigerin, die zur Übernahme der Verfahrenspflegschaft aber nicht bereit war. Die Verfahrenspflegerin suchte den Betroffenen am 11.04.2024 und am 16.04.2024 auf, um ihn zur freiwilligen Medikamenteneinnahme zu überreden (Bl. 65/66 d.A.). Sie sprach sich für eine Zwangsmedikation aus. Wegen der Urlaubsabwesenheit der Verfahrenspflegerin wurde nach Rücksprache mit dem Betroffenen und auf dessen Wunsch hin der ihm bekannte Rechtsanwalt zum Verfahrenspfleger bestellt (Bl. 77/79 d.A.) und vor Erlass des Beschlusses auch angehört. Einwände gegen den zu erlassenden Beschluss erhob er nicht (Bl. 80 d.A.).
5
Das Gericht hat den Betroffenen am 25.04.2024 angehört (Bl. 76 d.A.). Hier, wie auch in den zahlreichen während des Verfahrens dem Gericht zugeleiteten Schreiben (vgl. z.B. 59/63 d.A., Bl. 46 d.A.), wendete sich der Betroffene vor allem gegen die Zuständigkeit des Amtsgerichts Günzburg aber auch gegen die Zwangsmedikation an sich, die nur dazu diene, ihn ruhig zu stellen. Soweit der Betroffene hier angab, aufgrund einer Vorerkrankung zum Zeitpunkt der Begutachtung von Frau … gar nicht begutachtungsfähig gewesen sein, hat das Gericht diese um ergänzende Stellungnahme gebeten (Bl. 73/74 d.A.).
II.
6
1. Das Amtsgericht Günzburg ist gemäß den §§ 138 IV, 121 a StVollzG zur Entscheidung zuständig. Der Anwendungsbereich des BayMRVG ist gemäß Artikel 1 BayMRVG eröffnet. Der Betroffene ist derzeit aufgrund einer strafgerichtlichen Entscheidung in einer Maßregelvollzugseinrichtung untergebracht. Die vom Betroffenen vorgebrachten Argumente gegen die „örtlich-sachliche“ Zuständigkeit des Amtsgerichts Günzburg sind nicht nachvollziehbar. Soweit er dem Gericht Unterlagen überlassen hat, die die Unzuständigkeit angeblich belegen sollen, haben diese den behaupteten Inhalt nicht und sind auch nicht geeignet, sich über die gesetzlichen Zuständigkeitsvorschriften hinwegzusetzen oder diese in Frage zu stellen (z.B. Bl. 51/53 d.A.).
7
2. Die beantragte Behandlungsmaßnahme war zu genehmigen, da die Voraussetzungen gemäß Artikel 6 Abs. 3 und 4 BayMRVG vorliegen.
8
Der Betroffene hat nicht in die beabsichtigte Behandlungsmaßnahme, die mit einem Eingriff in die körperliche Unversehrtheit verbunden ist, eingewilligt. Nach dem erholten Sachverständigengutachten von Frau leidet der Untergebrachte an einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie. Im Rahmen der Erkrankung zeige der Betroffene ein angespanntes und fremdaggressives Verhalten, eine dysphorisch gereizte Stimmung, formalgedanklich eine Logorrhoe, Inkohärenz und Zerfahrenheit, im inhaltlichen Denken ein paranoides Syndrom, eine derzeit aufgehobene Urteilsfähigkeit sowie Konzentrations- und Auffassungsschwierigkeiten. Zudem zeige der Betroffene keinerlei Krankheits- und Behandlungseinsicht. Herr … leidet laut den Feststellungen der Gutachterin an einer chronifizierten Schizophrenie mit nach wie vor akuter Exazerbation. Unbehandelt müsse laut der Sachverständigen von einer weiteren Verschlechterung ausgegangen werden. Medikamente lehne der Betroffene seit 2016 ab. Aktuell sei Herr … einem hochpsychotischen Zustand. Er sei so nicht therapie- und entlassfähig. Seine Grunderkrankung drohe sich ohne Behandlung zu verschlechtern und es sei zu befürchten, dass er sich ohne Medikation wahnkonsequent fremdaggressiv verhalte und wegen provozierten Abwehrreaktionen Dritter dann ebenfalls zu schaden kommen könnte. Durch die Einnahme der Medikamente könne es zu einem Durchbrechen dieses Wahnsystems kommen (vgl. Bl. 21/22 d.A.). Der Nutzen der Maßnahme und die Gefahren für den Betroffenen, so sie unterbleibe, wögen schwerer als die ihm drohenden Nebenwirkungen und Spätfolgen durch die Medikation (vgl. Bl. 24/25 d.A.)
9
Die Ausführungen der Sachverständigen sind nachvollziehbar und werden dieser Entscheidung zu Grunde gelegt. Aufgrund der ergänzenden Stellungnahme der Sachverständigen geht das Gericht auch davon aus, dass der Betroffene zum Zeitpunkt des Besuchs der Sachverständigen sehr wohl begutachtungsfähig gewesen ist. Laut der Sachverständigen habe der Betroffene insbesondere keine Anzeichen von Fieber gezeigt und wirkte auch nicht eingeschränkt, sondern vital (Bl. 74 d.A.).
10
Die Entlassungsfähigkeit des Betroffenen ist ohne die beantragte Medikation aufgrund der schwere des Krankheitsbildes nicht erreichbar, Artikel 6 Abs. 3 Nr. 1 BayMRVG. Ohne die beantragte Medikation besteht auch eine konkrete oder schwerwiegende Gefahr für die Gesundheit des Betroffenen, Artikel 6 Abs. 3 Nr. 2 BayMRVG, die sich im Vorfall vom 13.03.2024 bereits einmal realisierte. Mildere Mittel versprechen keinen Erfolg, Artikel 6 Abs. 4 Nr. 4 BayMRVG.
11
Nach Ausführungen des Sachverständigen ist es sinnvoll, das Medikament ausreichend lange, nämlich für zwölf Wochen zu verabreichen.
12
Wie die Sachverständige weiter nachvollziehbar ausführt, ist aus medizinischer Sicht die Genehmigung einer freiheitsentziehenden Maßnahme, nämlich 5-Punkt-Fixierung des Betroffenen zum Zweck der Injektion des Neuroleptikums für die Dauer der Genehmigung der Zwangsmedikation notwendig. Ohne Fixierung ist die Zwangsbehandlung nicht durchführbar. Ohne die kurzzeitige Fixierung während der Dauer der Medikamentengabe droht aufgrund konkret zu erwartender Gegenwehr ein Scheitern der Applikation.
III.
13
Die Kostenentscheidung folgt aus § 121b Abs. 2 StVollzG.
IV.
14
Auf eine Anordnung der sofortigen Wirksamkeit wurde nach Rücksprache mit Dr. … verzichtet. Es handelt sich um einen neuen sachgerechten Therapieversuch und nicht um eine Akutbehandlung, so dass der Ablauf der Rechtsmittelfrist noch abgewartet werden kann.