Inhalt

AG München, Endurteil v. 02.02.2024 – 420 C 18349/22
Titel:

Eigenbedarfskündigung, Dachgeschossausbau, Bemessung der Räumungsfrist, Veräußerung, Geschäftsführender Gesellschafter, Wohnungen der Gesellschafter, Beendigung des Mietverhältnisses, Fortsetzung des Mietverhältnisses, Rechtsmißbrauch, Rechtsträgerwechsel, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Berechtigtes Interesse, Kündigungssperrfrist, Kündigungsbeschränkung bei Wohnungsumwandlung, Ausbildungsbeginn, Ausbildungsabschnitt, Ausbildungsstation, Sicherheitsleistung, Kündigungsfrist, Kündigungsschutzbestimmungen

Schlagworte:
Eigenbedarfskündigung, Räumungsfrist, Mietverhältnisbeendigung, Herausgabeanspruch, Kündigungssperrfrist, Interessenabwägung
Rechtsmittelinstanz:
LG München I, Endurteil vom 25.10.2024 – 14 S 2770/24
Fundstelle:
BeckRS 2024, 44017

Tenor

1. Der Beklagte wird verurteilt, die Wohnung im Anwesen F.-straße in M. im Vorderhaus, 4. OG, rechts, bestehend aus 1 Zimmer, 1 Küche, 1 Bad/WC, 1 Flur und 1 Kellerraum zu räumen und an die Klägerin herauszugeben.
2. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung der Klägerin in Ziffer 1. durch Sicherheitsleistung in Höhe von 4.000,00 € abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Der Beklagte kann die Vollstreckung der Klägerin in Ziffer 2. durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Dem Beklagten wird eine Räumungsfrist bis zum 30.04.2024 gewährt.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 3.720,00 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Klägerin begehrt von dem Beklagten die Räumung und Herausgabe der streitgegenständlichen Wohnung nach erklärter Eigenbedarfskündigung.
2
Mit schriftlichem Mietvertrag vom 16.02.2004 mietete der Beklagte von der Voreigentümerin die verfahrensgegenständliche Wohnung F.-straße in M. im Vorderhaus, 4. OG, rechts an. Der Nettomietzins betrug zuletzt 310,00 €.
3
Der Gesellschafter G. W. erwarb mit notariellem Kaufvertrag vom 05.02.2021 und Eintragung im Grundbuch am 31.05.2021 das Eigentum am Anwesen F.-straße in M. (Anlage K5).
4
Am 28.09.2021 erfolgte die notarielle Beurkundung der Teilungserklärung nach § 8 WEG. Am 11.02.2022 wurde die Aufteilung in Wohnungseigentum im Grundbuch vollzogen (Anlagen K6 und K7).
5
Mit Gesellschaftsvertrag (Anlage K4) gründeten Herr G. W., seine Ehefrau O. W. sowie deren Kinder S. und L. S. die Klägerin. Geschäftsführende Gesellschafter sind Herr G. und O. W.
6
Mit Einbringungsvertrag vom 28.12.2021 brachte der Gesellschafter G. W. das Anwesen in die Klägerin ein. Die Eigentumsumschreibung wurde im Grundbuch am 11.02.2022 vollzogen.
7
Mit Schreiben vom 27.07.2022 erklärte die Kläger die ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses mit dem Beklagten zum 30.04.2023 wegen Eigenbedarfs und widersprach gemäß § 545 BGB der Fortsetzung des Mietverhältnisses (vgl. Anlage K2). Die Eigenbedarfskündigung wurde im Wesentlichen damit begründet, dass die Wohnung der Gesellschafterin S. W. zu Wohnzwecken zur Verfügung gestellt werden sollte. Der Bedarf resultiere daraus, dass die 25jährige Gesellschafterin S. W., die bei ihren Eltern in S. ein Zimmer bewohnt, nunmehr ab Mai 2023 eine postgraduale Ausbildung in der K.-straße in M. antreten werde und somit Wohnraum für einen eigenen Hausstand in M. benötige.
8
Der Beklagte hat der Kündigung nicht widersprochen.
9
Eine Räumung und Herausgabe der Wohnung erfolgte gleichfalls nicht.
10
Die Klägerin ist der Meinung, ihre Kündigung auf den Kündigungsgrund des Eigenbedarfs nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB stützen zu können. Die Kündigung sei formell und materiell rechtmäßig und habe das Mietverhältnis zum 30.04.2023 beendet. Die Gesellschafterin S. W. werde in die streitgegenständige Wohnung einziehen und die Klägerin werde ihr die Wohnung zur Verfügung stellen. Einen Alternativwohnraum gebe es nicht. Die Kündigung sei auch nicht aufgrund der Sperrfrist nach § 577a BGB ausgeschlossen.
11
Die Klägerin beantragt daher zu erkennen:
Der Beklagte wird verurteilt, die Wohnung im Anwesen F.-straße in M. im Vorderhaus, 4. OG, rechts, bestehend aus 1 Zimmer, 1 Küche, 1 Bad/WC, 1 Flur und 1 Kellerraum an die Klägerin zu räumen und herauszugeben.
12
Der Beklagte beantragt zu erkennen:
Die Klage wird abgewiesen.
Hilfsweise:
Die Gewährung einer angemessenen Räumungsfrist, § 721 ZPO und Vollstreckungsschutz nach § 712 Abs. 1, Abs. 1 S. 2 ZPO.
13
Der Beklagte ist der Meinung, die Eigenbedarfskündigung sei nicht gerechtfertigt. Der Beklagte meint, der Eigenbedarf sei nur vorgeschoben und rechtsmissbräuchlich, jedenfalls bestehe er nicht. Vorgeschoben sei der Eigenbedarf vor allem deswegen, da der Gesellschafter Herr G. W. bereits zuvor um die Beendigung des Mietverhältnisses gebeten hatte, um den geplanten Dachgeschossausbau durchführen zu können, welcher nur bei Freiwerden der streitgegenständlichen Wohnung möglich wäre. Da sich der Beklagte jedoch geweigert habe auszuziehen, habe die Klägerin den Eigenbedarf erfunden, um den Beklagten los zu werden. Die Klägerin sei wirtschaftlich auf den Dachgeschossausbau auch angewiesen, so dass wenn überhaupt die Gesellschafterin S. W. nur als „Strohmieterin“ für kurze Zeit einziehen würde.
14
Zudem könne für die Wohnung kein Eigenbedarf geltend gemacht werden, da die streitgegenständlichen Räumung bauordnungsrechtlich nicht als Wohnraum genehmigt seien. Es sei nicht wahrscheinlich, dass der Gesellschafter G. W. seine Tochter in quasi nicht bewohnbare Räume einziehen lassen wolle.
15
Zudem sei im Frühjahr 2023 eine weitere Wohnung im 4. OG rechts freigeworden, da sich die Klägerin mit der Mieterin auf eine Aufhebung des Mietvertrages verständigen konnte.
16
Das Gericht hat Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der Zeugin S. W. im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 15.11.2023.
17
Ferner wurde der Gesellschafter Herr G. W. informatorisch angehört.
18
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird Bezug genommen auf sämtliche wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie das Protokoll der Hauptverhandlung vom 01.06.2023 und vom 15.11.2023 verwiesen.
19
Die Parteien haben in der mündlichen Verhandlung vom 15.11.2023 der Überleitung ins schriftliche Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO zugestimmt. Mit Beschluss vom 17.11.2023 (Bl. 70-72 d.A.) wurde als Schluss der mündlichen Verhandlung der 13.12.2023 bestimmt. Dieser Zeitpunkt wurde mit Verfügung vom 11.12.2023 auf den 29.12.2023 verlängert (Bl. 89 d.A.).

Entscheidungsgründe

A.
20
Die zum örtlich und sachlich zuständigen Amtsgericht München erhobene Klage ist zulässig und begründet.
21
Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Herausgabe der verfahrensgegenständlichen Wohnung gemäß §§ 546 Abs. 1, 542 Abs. 1 BGB. Der verfahrensgegenständliche Mietvertrag wurde durch die Eigenbedarfskündigung der Klagepartei vom 27.07.2022 (Anlage K2, Bl. 7/8 d.A.) mit Wirkung zum 30.04.2023 beendet, §§ 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB, 573c Abs. 1 S. 2 BGB. Dem Beklagten war jedoch zur Vermeidung einer Obdachlosigkeit eine Räumungsfrist bis zum 30.04.2024 zuzugestehen, § 721 ZPO.
22
I. Das Amtsgericht München ist in sachlicher Hinsicht streitwertunabhängig zuständig gem. §§ 1 ZPO, 23 Nr. 2a) GVG und in örtlicher Hinsicht ausschließlich zuständig gem. § 29a Abs. 1 ZPO.
23
II. Die Kündigung vom 27.07.2022 ist formell nach §§ 568 Abs. 1, 573 Abs. 3 BGB ordnungsgemäß erfolgt.
24
Sie wurde insbesondere aufgrund der Angaben im Kündigungsschreiben ausreichend begründet. Aufgrund der Angaben im Kündigungsschreiben konnte sich der Beklagte von den Gründen der Kündigung ein ausreichendes Bild machen und sich so Klarheit über die Berechtigung der Kündigung verschaffen. Im Kündigungsschreiben wurden alle erforderlichen Kerntatsachen zur Begründung einer Eigenbedarfslage der Klägerin zugunsten der Gesellschafterin S. W. niedergelegt.
25
Die Klägerin war als Eigentümerin und Vermieterin der streitgegenständlichen Wohnung seit dem Eigentumsübergang vom 11.02.2022 zur Kündigung auch berechtigt.
26
III. Die Kündigung ist auch materiell wirksam erfolgt. Das Mietverhältnis ist durch die Eigenbedarfskündigung vom 27.07.2022 nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 BGB ordnungsgemäß beendet worden.
27
Die Klägerin konnte in hinreichender Weise darlegen und beweisen, dass ein berechtigtes Interesse an der Kündigung zum Zwecke des Eigenbedarfs besteht. Nach Durchführung der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Klägerin der Gesellschafterin S. W. die streitgegenständliche Wohnung zur Verfügung stellen will. Die Kündigung war dabei nicht nach § 577 a Abs. 1 oder Abs. 1a BGB gesperrt.
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1. Nach § 577a Abs. 1 BGB (Kündigungsbeschränkung bei Wohnungsumwandlung) gilt:
29
Ist an vermieteten Wohnräumen nach der Überlassung an den Mieter Wohnungseigentum begründet und das Wohnungseigentum veräußert worden, so kann sich ein Erwerber auf berechtigte Interessen im Sinne des § 573 Abs. 2 Nr. 2 oder 3 erst nach Ablauf von drei Jahren seit der Veräußerung berufen.
30
Da der Wohnraum in M. liegt, ist die Frist auf 10 Jahre verlängert, § 577a Abs. 2 S. 1 BGB i.V.m. § 1 MiSchuV).
31
Nach dem Wortlaut könnten die Voraussetzungen des § 577a Abs. 1 BGB vorliegen. Nach der Überlassung der Wohnung an den Beklagten erfolgte die Umwandlung nach § 8 WEG und die „Veräußerung“ an die GbR, die nunmehr als neue Eigentümerin zugleich nach § 566 Abs. 1 BGB neue Vermieterin wurde.
32
Nach Ansicht des Gerichts ist § 577a Abs. 1 BGB vorliegend jedoch nicht anwendbar und insoweit (falls tatsächlich einschlägig) teleologisch zu reduzieren, da der Schutzzweck der Norm in der vorliegenden Konstellation in keiner Weise einschlägig ist.
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In der Entscheidung BGH vom 22.6.2022 – VIII ZR 356/20, Rz. 37 ff. wird folgendes ausgeführt:
Mit der Kündigungssperrfrist für Eigenbedarfskündigungen will der Gesetzgeber den Mieter davor schützen, dass umgewandelte Eigentumswohnungen häufig zur Befriedigung eigenen Wohnbedarfs erworben werden, der durch die Kündigungsschutzbestimmungen erstrebte Bestandsschutz für den Mieter dadurch also besonders gefährdet ist. Der Mieter soll vor „willkürlichen Kündigungen“ geschützt werden, die regelmäßige Folge eines durch die Veräußerung erst geschaffenen Eigenbedarfs sind. Gerade die erhöhte Gefahr einer Eigenbedarfs- bzw. Verwertungskündigung nach Umwandlung des vermieteten Wohnraums in eine Eigentumswohnung und Veräußerung an einen neuen Eigentümer stellt nach der Auffassung des Gesetzgebers auch die Rechtfertigung für die mit der (verlängerten) Kündigungssperrfrist verbundene Beschränkung der verfassungsrechtlich geschützten Eigentümerbefugnisse (Art. 14 I GG) sowohl des Veräußerers als auch des Erwerbers dar. Auf den Schutz vor einer unabhängig von der Umwandlung bestehenden Eigenbedarfslage ist die Vorschrift nach ihrem Normzweck dagegen nicht zugeschnitten. Die Wartefristregelung aus § 577a I, II BGB für eine Eigenbedarfskündigung greift dabei nicht schon bei der Begründung von Wohnungseigentum ein, sondern erst nach Veräußerung der Eigentumswohnung. Angesichts des Schutzzwecks des § 577a I BGB setzt eine Veräußerung an einen Erwerber einen tatsächlichen Wechsel in der Person des Wohnungseigentümers voraus, und zwar dergestalt, dass mit einem solchen Wechsel des Rechtsträgers neu in Betracht kommender, bis zu diesem Zeitpunkt für den Mieter nicht zu befürchtender Eigen- bzw. Verwertungsbedarf geschaffen wird.
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Durch die Einbringung des Anwesens in die Klägerin hat kein im Sinne des § 577a Abs. 1 BGB relevanter Rechtsträgerwechsel stattgefunden, da sich für den Beklagten das Risiko einer Eigenbedarfskündigung nicht erhöht hat. Vorliegend sind neben dem Herrn G. W. als Rechtsvorgänger mit seiner Ehefrau und seinen beiden Kindern lediglich nahe Angehörige Gesellschafter der Klägerin. Für diese Gesellschafter hätte der Rechtsvorgänger G. W. bereits zuvor Eigenbedarf nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB geltend machen können.
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Dass dieses Ergebnis zutreffend ist, zeigt auch die Regelung in § 577a Abs. 1a S. 2 BGB, wonach bei einer Veräußerung an eine GbR, bei der die Gesellschafter der GbR derselben Familie angehören, die Kündigungsbeschränkung nach § 577a Abs. 1 BGB nicht gilt. Allein der vorliegende Umstand, dass neben der Veräußerung (hier Einbringungsvertrag) zugleich eine Aufteilung in Wohnungseigentum erfolgte, kann nicht dazu führen, dass bei gleichbleibenden Eigenbedarfsrisiko nunmehr eine 10jährige Sperrfrist gilt. Insoweit wird auch auf § 577a Abs. 2a BGB verwiesen, wo der Fristbeginn an die Veräußerung und nicht an eine spätere Umwandlung in Wohnungseigentum geknüpft wird.
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2. Eine teilrechtsfähige (Außen-)GbR kann sich in entsprechender Anwendung des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB auf den Eigenbedarf eines ihrer Gesellschafter, hier die Gesellschafterin S. W., oder dessen Angehörige, hier Tochter der Gesellschafter G. und O. W., berufen (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 14.12.2016 – VIII ZR 232/15). Soweit der Beklagte einwendet, dass durch das Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 eine analoge Anwendung ausscheide, wird darauf verwiesen, dass die Kündigungsfrist bereits zum 30.04.2023 ablief und die Kündigungswirkungen anhand der bis dahin geltenden Rechtslage zu beurteilen sind (vgl. hierzu Schmidt-Futterer/Börstinghaus, 16. Aufl. 2024, BGB § 573 Rn. 66a).
37
3. Das Gericht kommt aufgrund der Aussage der vernommenen Zeugin S. W. sowie der informatorischen Befragung des Gesellschafters G. W. zur Überzeugung, dass ein ernsthafter Überlassungswille der Klägerin besteht (b)) und die Gesellschafterin S. W. in die Wohnung einziehen will und wird (a)).
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Das Tatbestandsmerkmal des Benötigens erfordert nicht, dass der Vermieter oder einer der in § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB genannten Angehörigen auf die Nutzung der Wohnung angewiesen ist. Vielmehr benötigt ein Vermieter eine Mietwohnung bereits dann iSd § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB, wenn sein (ernsthafter) Wunsch, die Wohnung künftig selbst zu nutzen oder nahen Angehörigen zu Wohnzwecken zur Verfügung zu stellen, auf vernünftige und nachvollziehbare Gründe gestützt wird (BGH, Urteil vom 22.5.2019 – VIII ZR 180/18).
39
Das erkennende Gericht hat bei der nachfolgenden Würdigung der vernommenen Zeugin und der informatorischen Anhörung des Gesellschafters G. W. gemäß § 286 ZPO die folgenden Grundsätze beachtet: Eine Tatsache ist erst dann zur Überzeugung des Gerichts bewiesen, wenn das Gericht von der Wahrheit der jeweiligen bestrittenen Tatsache überzeugt ist. Ein bloßes Glauben, Wähnen, Fürwahrscheinlichhalten berechtigen den Richter hingegen nicht zur Bejahung eines streitigen Tatsachenvortrags, wobei objektive Wahrscheinlichkeitserwägungen allenfalls Grundlage und Hilfsmittel für die Überzeugungsbildung des Richters sein können. Zwingend hinzukommen muss die subjektive persönliche Entscheidung des Richters, ob er die strittige Tatsachenbehauptung als wahr erachtet hat (BGH NJW 2014, 71; Zöller, ZPO, 31. Auflage 2016, § 286 Rn. 18). Andererseits ist mehr als eine subjektive Überzeugung des Richters zum Beweis einer strittigen Tatsachenbehauptung auch nicht erforderlich. Absolute Gewissheit zu verlangen, hieße die Grenze menschlicher Erkenntnisfähigkeit zu ignorieren. Dass die Sachverhaltsfeststellung durch das Abstellen auf ein persönliches Überzeugtseins mit subjektiven Einflüssen belastet wird, ist im Bereich menschlichen Richtens zwangsläufig und unvermeidbar. Der Richter muss sich mit einer persönlichen Gewissheit begnügen, das ist eine Gewissheit, welche den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (BGHZ 53, 256 = NJW 1970, 946; BGH NJW 2014, 71; Zöller, ZPO, 32. Auflage 2018, § 286 Rn. 19).
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a) Die Zeugin W. konnte im Rahmen der Vernehmung in der mündlichen Verhandlung vom 15.11.2023 überzeugend darlegen, dass sie in die streitgegenständliche Wohnung einziehen will, wenn diese für sie frei werden würde. Der Bedarf resultiere daraus, dass sie seit Mai 2023 nunmehr in M. ihren letzten Ausbildungsabschnitt begonnen habe und nunmehr eine Unterkunft in M. benötige. Nach erfolgter Ausbildung sei sie approbierte psychologische Psychotherapeutin. Die Zeugin schilderte nachvollziehbar unter Angabe konkreter Daten den Entscheidungsprozess im Frühjahr/Sommer 2022, insbesondere ihre Ausbildung nicht mehr weiterführen zu wollen („Ich musste dort jedoch zahlreiche Patienten eigenverantwortlich betreuen, sodass mir das am Ende zu viel wurde. Es waren ca. 17 Patienten, für die ich auf der Station tatsächlich zuständig war. Ich habe dann entschieden, nur meine Pflichtstunden vor Ort zu absolvieren und habe dann anschließend die Stelle gekündigt. Somit war mein ursprünglicher Plan verworfen worden, die nächste Ausbildungsstation dort zu verbringen. Wir haben dann entsprechend darüber beratschlagt und haben dann letztendlich entschieden, dass ich nach M. gehe und dort beim Ausbildungsinstitut A., bei dem ich seit Oktober 2021 unter Vertrag stand, weitermachen werde und dort die ambulante Betreuung der Patienten fortführen werde .“). Sie gab glaubhaft an, dass sie in Ma. lediglich noch ihre Pflichtstunden absolvieren wollte und die ambulante Betreuung der Patienten in M. fortsetzen wolle. Die Zeugin gab an, dass sie die knapp 30 qm große Wohnung alleine nutzen wolle und diese insbesondere aufgrund der Entfernung zu ihrer Arbeitsstätte geeignet sei.
41
Auch wenn die Zeugin die Wohnung bisher noch nicht von innen gesehen hatte, so schließt dies den Eigenbedarf nicht aus. Auch der Beklagte bewohnt allein die Wohnung, so dass die Zeugin durchaus die berechtigte Annahme haben kann, dass die streitgegenständliche Wohnung auch für sie geeignet ist. Jedenfalls verwies sie auf die Erzählungen und die Angaben ihres Vaters G. W.. Tatsächlich ist die Wohnung aus Sicht des Gerichts für eine alleinstehende junge, sich noch in der Ausbildung befindliche Person durchaus aufgrund der Lage und Größe geeignet.
42
Die Angaben der Zeugin W. und ihr Verhalten während der Einvernahme waren überaus glaubhaft („Für mich ist die Wohnung ein Jackpot“), dass das Gericht keine berechtigen Anhaltspunkte finden kann, dass die Zeugin nicht in die Wohnung einziehen wird. Es ist auch lebensnah, dass sich Lebensplanungen während der Ausbildung ändern können. Auch ist es lebensnah, dass Eltern ihren Kindern Wohnraum zur Verfügung stellen wollen, zumal die Zeugin W. nach eigenen Angaben monatlich lediglich über 1.600,00 € verfügen kann.
43
Wie die Zeugin angab, bewohnt sie mittlerweile auch seit Juli 2023 eine Wohnung in der L.-straße, wobei sie sich die Wohnung mit ihrem Vater teile und die Privatsphäre hierdurch nicht gesichert sei. Das Gericht kann hierbei nachvollziehen, dass eine Person mit 27 Jahren einen eigenen Hausstand unterhalten will.
44
Das Gericht übersieht bei seiner Überzeugungsbildung nicht, dass im Vorfeld der Eigenbedarfskündigung der Gesellschafter G. W. in nachdrücklicher Weise versuchte, den Beklagten zum Auszug zu bewegen und hierbei vorgab das Dachgeschoss ausbauen zu wollen. Das Gericht kann die Befürchtung des Beklagten durchaus gut nachvollziehen, dass der Eigenbedarf lediglich als Mittel zum Zweck gewählt wurde, um ihn nach den gescheiterten Versuchen letzten Endes doch zum Auszug zu bringen. Dann wäre der Weg frei für den Dachgeschossausbau, der aus Sicht des Gerichts eine erhebliche Wertsteigerung für das Eigentum der Klägerin bedeuten würde.
45
Die Zeugin W. hat hierzu auch ausgeführt, dass in der Vergangenheit der Dachgeschossausbau Thema war. Ab dem Zeitpunkt, wo sie sich entschieden hatte, nach M. zu kommen, war der Dachgeschossausbau jedoch kein Thema mehr.
46
Der Bedarf der Zeugin bestehe nach deren Angaben noch bis 2026, da sie Langzeittherapien begonnen habe, welche mit ca. 60-80 Stunden angesetzt werden.
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Lebensnah, angesichts der familiären Verhältnisse, fand das Gericht auch die Angaben der Zeugin, wonach sie keine Erinnerung mehr daran habe, von wem tatsächlich die Entscheidung zum Einzug in die streitgegenständliche Wohnung getroffen wurde bzw. von wem der Vorschlag kam. Letztendlich sei sie dankbar dafür, dass sie die Wohnung zur Verfügung gestellt bekomme. Sie selbst hätte dies nicht eingefordert. Der Gesellschafter Herr W. bestätigte diese Angaben.
48
Das Gericht ist fest davon überzeugt, dass die Zeugin in die Wohnung einziehen will und davon ausgeht, dass dies im Falle des Freiwerdens auch möglich sein wird.
49
b) Das Gericht ist auch ausreichend überzeugt, dass die Klägerin der Zeugin W. die Wohnung überlassen wird. Hinsichtlich des Überlassungswillens stellt das Gericht vor allem auf den Willen des geschäftsführenden Gesellschafters G. W. ab. Das Gericht hat ausreichende Anzeichen dafür, dass die Geschicke der Klägerin durch ihn gesteuert werden und er die relevanten Entscheidungen trifft. Hierauf deutet auch die Aussage der Zeugin W. hin, die angab, dass sie nicht sagen könne, was passiert, wenn ihr Vater sie auffordern würde, aufgrund des Dachgeschossausbaus wieder aus der Wohnung ziehen zu müssen. Auch dass sie erst im Rahmen dieses Räumungsrechtsstreits davon Kenntnis erlangte, dass mit dem Beklagten eine Aufhebung des Mietvertrages erreicht werden sollte, passt dazu, dass die Zeugin W. aus dem operativen Geschäft herausgehalten wurde.
50
Die Angaben des Gesellschafters G. W., der diese vor der Zeugenaussage der Zeugin W. gemacht hatte, waren jedoch glaubhaft.
51
Zunächst schilderte Herr W., dass seine Tochter zur Zeit in der Wohnung in der L.-straße in M. mit ihm zusammen wohne, wobei er ca. 1-3 Nächte wöchentlich dort nächtige und damit keine Privatsphäre für die Zeugin W. garantiert sei.
52
Hinsichtlich der Entscheidungsfindung gab Herr W. an, dass es der Zeugin W. im Bezirkskrankenhaus in Ma. nicht mehr gut gefallen habe und es ihr nicht gut ging. Man habe sich dann überlegt, was besser sei, wobei die Wahl auf die nunmehrige Arbeitsstelle fiel. Ausbildungsbeginn war Mai 2023 (Anmerkung des Gerichts: Kündigungsende war 30.04.2023). Zu anfangs sei die Zeugin W. noch vom Elternhaus in S. nach M. gependelt.
53
Herr W. gab an, dass die streitgegenständliche Wohnung die Einzige sei, die ca. 36 m² misst, wobei alle weiteren Wohnungen in dem Haus ca. 200 m² groß und damit für die Zeugin W. nicht geeignet seien.
54
Angesprochen auf eine weitere Wohnung im 4. Obergeschoss gibt Herr W. an, dass es sich lediglich um 2 Zimmer in einem desolaten Zustand handeln würde, wobei die Wohnung kein integriertes Bad und auch kein WC hätte. Die Toilette sei lediglich über ein Zwischenpodest im Treppenhaus zu erreichen. Dem wurde nicht widersprochen, so dass ein sachlicher Grund vorliegt, warum die streitgegenständliche Wohnung bevorzugt wird.
55
Hinsichtlich des Dachgeschossausbaus gab Herr W. an, dass in der Vergangenheit geplant war, das Dachgeschoss auszubauen. Teil des Ausbaus wäre auch das 4. Obergeschoss und damit auch die streitgegenständliche Wohnung gewesen. Nunmehr sei ein solcher Dachgeschossausbau nicht mehr tragbar, da er viel zu teuer sei und sich nicht lohne. Das Gericht übersieht aber nicht, dass die Klägerin eine Baugenehmigung beantragt hat und diese in diesem Jahr noch erteilt werden könnte. Die Arbeiten zum Dachgeschossausbau könnten dann neben den ohnehin bereits geplanten weiteren Sanierungsarbeiten an der Fassade und der Fenster sowie Heizung beginnen. Warum sich in der gegenwärtigen Wirtschaftslage angesichts des Wohnungsnotstandes in M. und der bereits bisher getätigten Investition in das Gebäude ein Dachgeschossausbau nicht lohne, kann das Gericht nicht nachvollziehen. Nachvollziehbar ist hingegen, dass man das Planungsverfahren auch dann fortsetzt, wenn der Dachgeschossausbau nicht unmittelbar durchgeführt wird. Dies auch angesichts der Unwägbarkeiten im Rahmen der Erlangung einer Baugenehmigung, zumal Herr W. selbst Bauträger ist.
56
Dennoch haben sowohl Herr W. als auch die Zeugin W. glaubhaft angegeben, dass der Bedarf für eine Wohnung in M. für längere Zeit, und nicht nur vorübergehend, besteht, und die Klägerin der Zeugin W. die Wohnung zur Verfügung stellen will, da kein anderer gleich geeigneter Wohnraum zur Verfügung stehe.
57
Herr W. bestätigte auch, dass die Idee, dass die Zeugin W. in die Wohnung einziehe, im Kreise der Familie gefallen sei und er ausschließen könne, dass die Zeugin W. gesagt hätte, dass sie die Wohnung auf jeden Fall haben wolle. Herr W. bestätigte auch, dass die Zeugin keine Miete bezahlen müsse.
58
Nach der Anhörung der Zeugin W. und des Gesellschafters W. konnte das Gericht keine Widersprüche in den Angaben erkennen. Selbstverständlich erkennt das Gericht, dass beide Personen ein eigenes Interesse an dem Ausgang des Verfahrens haben.
59
Es ist hierbei auch durchaus naheliegend, dass in zeitlicher Abfolge zunächst der Eigenbedarf befriedigt wird und zu einem späteren Zeitpunkt der Dachgeschossausbau dennoch durchgeführt wird. Das Gericht hat jedoch keine Anzeichen dafür erkennen können, dass die Zeugin W. lediglich als „Strohmieterin“ für kurze Zeit in die Wohnung einziehen will. Auch wenn das Gericht die Personen nur aus den Verhandlungen kennt, so kann es sich das Gericht nicht vorstellen, dass, angesichts der finanziellen Verhältnisse der Familie, Herr W. seine Tochter zur Falschaussage vor Gericht nötigen würde, zumal im Falle einer Strafverfolgung auch die Approbation der Beklagten bedroht wäre. Sollte Herr W. seiner Tochter lediglich vorgespielt haben, dass sie in die Wohnung ziehen könne, so wäre das Risiko eines familiären Vertrauensverlusts durchaus aus Sicht des Gerichts erheblich. Das Gericht jedenfalls traut beides den genannten Personen nicht zu.
60
Aufgrund der relativ kurzfristigen Entscheidung der Zeugin W. im Frühjahr/Sommer 2022 nach M. zu ziehen, sieht das Gericht auch keine Unstimmigkeit darin, dass Herr W. dem Beklagten erst unmittelbar vor der Kündigung den Eigenbedarf offenbarte.
61
Letztlich hat Gericht keine Anzeichen dafür erkennen können, dass die Angaben der Personen W. nicht der Wahrheit entsprechen. Die Angaben wirkten nicht frei erfunden. Aus Sicht des Gerichts schilderten sie die Entstehung des Eigenbedarfs lebensnah.
62
Trotz des Eigeninteresses hat das Gericht keine begründeten Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugin W. zu zweifeln. Für eine etwaige Missbrauchsgefahr (Zeugin wäre „Strohmieterin“) gab es im Rahmen der Einvernahme, wie bereits erläutert, keine Anzeichen. Da das Anwesen in einer Art Familien GbR gehalten wird, erscheint es auch nicht naheliegend, dass das Anwesen aus Renditegründen saniert und schnellstmöglich verkauft werden soll. Das schließt aber aus Sicht des Gerichts nicht aus, dass das Dachgeschoss nach Ablauf der Ausbildungsjahre nicht doch noch ausgebaut wird. Allein dies macht die Kündigung jedoch nicht rechtsmissbräuchlich, auch wenn das Gericht erkennt, dass der Verlust der Wohnung für den Beklagten angesichts dieser Aussichten schmerzlich ist. Das Gericht macht sich die Entscheidung auch nicht einfach.
63
Die Klägerin konnte jedoch im Rahmen der mündlichen Verhandlung ausreichend (s.o.) unter Beweis stellen, dass die streitgegenständliche Wohnung für die Gesellschafterin S. W. tatsächlich im Sinne des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB benötigt wird und diese nicht nur für eine kurze Zeit dort einziehen will.
64
c) Auf den Umstand, ob die Wohnung bauordnungsrechtlich genehmigt ist oder nicht, kommt es im Rahmen des Eigenbedarfs aus Sicht des Gerichts nicht an. Voraussetzung einer wirksamen Kündigung ist die Eignung der gekündigten Wohnung zur Bedarfsdeckung (MüKoBGB/Häublein, 9. Aufl. 2023, BGB § 573 Rn. 101). Zudem widerspricht sich der Beklagte selbst, wenn er angibt, dass die Wohnung zum Wohnen nicht geeignet ist, er selbst jedoch seit Jahren in der Wohnung lebt.
65
d) Die Kündigungsfrist ist abgelaufen und das Mietverhältnis somit beendet.
66
Die Klägerin hat gegenüber dem Beklagten somit nach Beendigung des Mietverhältnisses einen Anspruch auf Räumung und Herausgabe der streitgegenständlichen Wohnung gemäß §§ 546 Abs. 1, 542 Abs. 1, 985 BGB.
B.
67
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
68
Die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 7, 711 ZPO. Die Sicherheitsleistung orientiert sich an der 12-fachen Bruttomiete (12x345 €). Für einen Antrag nach § 712 Abs. 1 ZPO fehlt es an der Voraussetzung des „nicht zu ersetzenden Nachteils“ im Falle einer Vollstreckung.
69
Der Streitwert ergibt sich aus der Jahresnettomiete (12x310,00 €), § 41 Abs. 1 S. 1 GKG.
C.
70
Dem Beklagten war jedoch eine Räumungsfrist gemäß § 721 ZPO bis zum 30.04.2024 zu gewähren. Nach Sinn und Zweck von § 721 ZPO soll dem Räumungsschuldner zur Vermeidung von Obdachlosigkeit die Möglichkeit eingeräumt werden, eine in Größe, Ausstattung, Wohnlage und Preis angemessenen Ersatzwohnung zu finden. Unter Berücksichtigung dieses Zwecks hat das Gericht im konkreten Einzelfall aufgrund des von den Parteien vorgetragenen und vom Gericht festgestellten Sachverhalts die widerstreitenden Interessen der Parteien gegeneinander abzuwägen (vgl. LG Tübingen BeckRS 2015, 15633).
71
Bei der Bemessung der Räumungsfrist war eine Interessenabwägung der Parteien durchzuführen. Zu berücksichtigen war auf Seiten der Klagepartei, dass die Eigenbedarfskündigung das Mietverhältnis bereits beendet hat, der Beklagte aber bis zum heutigen Tag noch tatsächlich in der Wohnung wohnhaft geblieben ist. Des Weiteren war auf Seiten der Klagepartei zu werten, dass die Eigenbedarfslage vorrangig zur Begründung eines eigenen Hausstandes der Zeugin W. geltend gemacht wurde.
72
Auf Seiten des Beklagten war zu berücksichtigen, dass die Auffindung von Ersatzwohnraum in M. durchaus erhebliche Anstrengungen erfordert. Insbesondere wird es für den Beklagten geradezu unmöglich sein, preislich vergleichbaren Ersatzwohnraum in vergleichbarer Lage zu finden. Da die Zeugin W. zur Zeit in einer Ersatzwohnung untergekommen ist, erscheint eine Räumungsfrist auch für die Klägerin noch zumutbar. Auch wenn die Privatsphäre teilweise gestört ist.
73
Unter Abwägung der beiderseitigen Interessen war daher fast dreimonatige Räumungsfrist bis zum 30.04.2024 zu gewähren.