Titel:
Restwertangebot, Wiederbeschaffungswert, Restwertermittlung, Schadenminderungspflicht, Finanzierende Bank, Elektronisches Dokument, Klageabweisung, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Informatorische Anhörung, Prozeßbevollmächtigter, Veräußerung, Streitwert, Außergerichtliche Rechtsanwaltskosten, Elektronischer Rechtsverkehr, Wirtschaftlicher Totalschaden, Gutachten, Kostenentscheidung, Basiszinssatz, Anderweitige Erledigung, Postzustellungsurkunde
Schlagworte:
Haftungsverteilung, Restwertermittlung, Wirtschaftlichkeitsgebot, Schadensminderungspflicht, Gutachtenvertrauen, Fahrzeugveräußerung, Rechtsanwaltskosten
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Endurteil vom 06.02.2025 – 24 U 3140/24 e
Fundstelle:
BeckRS 2024, 43891
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 6.649,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 09.10.2023 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, den Klägerin von den bei seiner Prozessbevollmächtigten entstandenen Anwaltskosten in Höhe von 160,88 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 09.02.2024 freizustellen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
5. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 6.699,00 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um restliche Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall.
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Der Halter des Fahrzeugs, amtliches Kennzeichen … hat am 26.05.2023 in … gegen 16:45 Uhr mit seinem bei der Beklagten pflichtversicherten Fahrzeug einen Verkehrsunfall allein verursacht und verschuldet, an welchem der Kläger mit seinem Fahrzeug, amtliches Kennzeichen … unverschuldet beteiligt war. Das Fahrzeug des Klägers ist finanziert und an die … sicherungsübereignet. Der Schadensfall wurde bei der Beklagten unter dem Schadenszeichen … geführt.
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Der nicht vorsteuerabzugsberechtigte Kläger erteilte nach dem Unfall dem Gutachterbüro … den Auftrag, sein verunfalltes Fahrzeug zu begutachten. Der Sachverständige, welcher dem Kläger von der Firma … vermittelt wurde, kam in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, dass ein Totalschaden vorliegt mit einem Wiederbeschaffungswert von 23.500,00 € brutto (22.926,84 € netto) und einem Restwert in Höhe von 6.000,00 € (Anlage K2). Der Kläger hat das verunfallte Fahrzeug zu dem Restwert in Höhe von 6.000,00 € an den im Gutachten angegebenen Aufkäufer mit dem höchsten Restwertangebot, die Firma … verkauft (Anlage K3). Der Kaufpreis wurde von der Firma … direkt an die … überwiesen.
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Die Beklagte zahlte an den Kläger in der Folge einen Betrag in Höhe von 10.277,84 €, wobei sie ihrer Abrechnung ein Restwertangebot über 12.699,00 € vom 07.06.2023 zugrunde legte. Auf weitere umfangreiche Korrespondenz hin lehnte die Beklagte die restliche Zahlung des Totalschadens mit Schreiben vom 09.10.2023 endgültig ab (Anlage K9).
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Der Kläger trägt im Wesentlichen vor, er habe das Fahrzeug am 05.06.2023 an die Firma … verkauft. Zudem sei der Kläger als Sicherungsgeber auch berechtigt gewesen, das verunfallte Fahrzeug zu dem ermittelten Restwert zu verkaufen. Der Kläger habe unmittelbar nach dem Unfall die … angerufen und ihr mitgeteilt, dass das finanzierte Fahrzeug verunfallt ist und ein Totalschaden vorliege. Diese habe den Kläger daraufhin ermächtigt, den Verkauf vorzunehmen. Bei dem Restwertangebot der Beklagten handele es sich nicht um ein regionales Angebot.
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Der Kläger ist der Auffassung, der Ansatz des Restwerts der Beklagten in Höhe von 12.699,00 € sei nicht gerechtfertigt. Bei einem unverschuldeten Unfall dürfe der Geschädigte auf der Grundlage des im Schadengutachten festgestellten Restwerts ohne Rücksprache mit dem gegnerischen Versicherer sein verunfalltes Auto verkaufen. Ein Restwertangebot sei unbeachtlich, wenn der Geschädigte, wie vorliegend, bereits vor Zugang des Restwertangebots zu dem vom Gutachter festgestellten Restwert sein Fahrzeug an einen Aufkäufer verkauft hat. Dadurch verstoße ein Unfallgeschädigter nicht gegen seine Schadensminderungspflicht. Das Sonderwissen einer Bank sei dem Geschädigten im Falle eines finanzierten Fahrzeugs ebenfalls nicht zuzurechnen. Die Rechtsprechung des BGH, Urt. v. 25.6.2019, Az. VI ZR 358/18, betreffe nur die Leasingfirmen, aber nicht die finanzierenden Banken.
- 1.
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Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von Euro 6.699,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 09.10.2023 zu bezahlen.
- 2.
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Die Beklagte wird des Weiteren verurteilt, den Kläger von denen bei seiner Prozessbevollmächtigten entstandenen Anwaltskosten in Höhe von EUR 160,88 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit freizustellen.
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Die Beklagte beantragt,
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Die Beklagte trägt im Wesentlichen vor, der Restwert des Fahrzeugs betrage 12.699,00 €. Zudem habe nicht der Kläger, sondern die Firma … das Fahrzeug verkauft. Der Verkauf habe auch nicht am 05.06.2023 stattgefunden, da der Kläger die Firma … erst am 23.06.2023 bevollmächtigt habe, das Fahrzeug zu verkaufen.
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Die Beklagte ist der Auffassung, der Kläger sei bereits nicht aktivlegitimiert, da er nicht Eigentümer des verunfallten Fahrzeugs gewesen sei. Da es sich bei der Eigentümerin des Fahrzeugs um ein Finanzierungskreditinstitut eines Automobilherstellers handelt, habe diese erkennen müssen, dass die Restwertermittlung, die nur auf angebliche regionale Händlerangebote abzielte, das Marktgeschehen unzutreffend wiedergegeben und nicht den für das Fahrzeug erzielbaren Restwert ausgeschöpft habe.
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Die am 09.01.2024 bei dem Landgericht Memmingen eingegangene Klage vom selben Tag wurde der Beklagten ausweislich der sich bei der Akte befindlichen Postzustellungsurkunde am 08.02.2024 zugestellt. Das Gericht hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 20.06.2024 informatorisch angehört (BI. 34/37 d. A.). Zur Ergänzung des Tatbestandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen, die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 20.06.2024 (BI. 34/37 d. A.) sowie den sonstigen Akteninhalt.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist überwiegend begründet.
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Das Landgericht Memmingen ist das sachlich nach §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG und örtlich gemäß § 215 S. 1 VVG zuständige Gericht.
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Die Klage ist größtenteils begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Bezahlung eines Betrages in Höhe von 6.649,00 € aus § 115 Abs. 1 VVG, §§ 7, 17 StVG. Im Hinblick auf den darüber hinausgehenden Antrag der Klagepartei war die Klage abzuweisen.
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1. Der Kläger ist ausweislich der Anlage K9 aktivlegitimiert.
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2. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Bezahlung eines Betrages in Höhe von 6.649,00 € aus § 115 Abs. 1 VVG, §§ 7,17 StVG.
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a) Die 100 %ige Haftung der Beklagten für die bei dem Unfall an dem sicherungsübereigneten Fahrzeug des Klägers entstandenen Schäden ist zwischen den Parteien unstreitig ebenso wie die Tatsache, dass bei dem sicherungsübereigneten Fahrzeug des Klägers ein wirtschaftlicher Totalschaden gegeben ist und der Wiederbeschaffungswert bei 22.926,84 € netto liegt. Zwischen den Parteien ist lediglich streitig, in welcher Höhe der Restwert des verunfallten Fahrzeugs anzusetzen ist.
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b) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist für die Berechnung des Wiederbeschaffungsaufwands nicht der in dem Restwertangebot der Beklagten zugrunde gelegte Wert in Höhe von 12.699,00 € zugrunde zu legen. Das Gericht ist vielmehr der Auffassung, dass der Restwert mit 6.000,00 € anzusetzen ist, so dass dem Kläger noch ein Zahlungsanspruch gegen die Beklagte in Höhe von 6.649,00 € zusteht (Wiederbeschaffungswert 22.926,84 € abzüglich von der Beklagten geleisteter 10.277,84 € abzüglich eines Restwertes in Höhe von 6.000,00 €). Im Hinblick auf den darüber hinaus begehrten Zahlungsbetrag war die Klage abzuweisen.
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c) Zunächst ist das Gericht dabei aufgrund der überzeugenden, schlüssigen und in sich widerspruchsfreien Angaben des Klägers davon überzeugt, dass der Kläger von der finanzierenden … als Sicherungseigentümerin unmittelbar nach dem Unfall zum Verkauf des Fahrzeugs ermächtigt wurde. Dies hat der Kläger glaubhaft in seiner informatorischen Anhörung ausgeführt, so dass er berechtigt war, das Fahrzeug an die Firma … zu verkaufen.
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d) Der Kläger hat bei dem Verkauf des Fahrzeugs an die … auch niCht gegen seine Schadensminderungspflicht verstoßen. Der Geschädigte hat bei der Schadensbehebung gemäß § 249 Abs. 2 S. 1 BGB im Rahmen des ihm zumutbaren und unter Berücksichtigung seiner individuellen Lage den wirtschaftlichsten Weg zu wählen. Das Wirtschaftlichkeitspostulat gilt auch für die Frage, in welcher Höhe der Restwert des Unfallfahrzeugs bei der Schadensabrechnung berücksichtigt werden muss. Denn auch bei der Verwertung des beschädigten Fahrzeugs muss sich der Geschädigte im Rahmen der wirtschaftlichen Vernunft halten (vgl. BGH, Urteil vom 27.09.2016, Az. VI ZR 673/15).
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In der Rechtsprechung ist dabei anerkannt, dass der Geschädigte dem Wirtschaftlichkeitsgebot im Allgemeinen genüge leistet und sich in den für die Schadensbehebung durch § 249 Abs. 2 S. 1 BGB gezogenen Grenzen bewegt, wenn er die Veräußerung eines beschädigten Kraftfahrzeugs zu einem Preis vornimmt, den ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger in einem Gutachten, das eine korrekte Wertermittlung erkennen lässt, als Wert auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat. Der Geschädigte ist weder verpflichtet, über die Einholung des Sachverständigengutachtens hinaus noch eigene Marktforschung zu betreiben und dabei die Angebote auch räumlich entfernter Interessenten einzuholen oder einen Sondermarkt für Restwertaufkäufer im Internet in Anspruch zu nehmen, noch ist er gehalten, abzuwarten, um dem Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer vor der Veräußerung des beschädigten Fahrzeugs Gelegenheit zu geben, zum eingeholten Gutachten Stellung zu nehmen und gegebenenfalls bessere Angebote vorzulegen (vgl. BGH, Urteil vom 27.09.2016, Az. VI ZR 673/15).
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aa) Gemessen an diesen Grundsätzen durfte der Kläger sein Fahrzeug zu einem Restwert von 6.000,00 € verkaufen. Das entsprechende, vom Kläger eingeholte Gutachten enthielt drei unterschiedliche Restwertangebote auf dem regionalen Markt tätiger Aufkäufer (Seite 15 des Gutachtens vom 30.05.2023, Anlage K2). Es bestand für den Kläger keinerlei Anlass, an der Richtigkeit der Angaben des Gutachters zu zweifeln. Anhaltspunkte, dass der Restwert von dem Sachverständigen nicht ordnungsgemäß ermittelt wurde, bestanden für den Kläger nicht trotz der Tatsache, dass der Privatgutachter dem Kläger von der … vermittelt wurde. Alleine aufgrund dieser Tatsache musste der Kläger nicht von einer Fehlerhaftigkeit des ermittelten Restwertes ausgehen, da in dem Gutachten auch noch zwei weitere Restwertangebote enthalten waren von anderen Anbietern, welche unter dem Angebot der Firma … lagen.
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bb) Der Kläger musste sich bei dem Verkauf des verunfallten Fahrzeugs auch nicht das Sonderwissen der finanzierenden Bank zurechnen lassen. Zwar gilt nach dem Gebot der Wirtschaftlichkeit, wenn es sich bei dem Geschädigten um ein Unternehmen handelt, welches sich jedenfalls auch mit dem An- und Verkauf von gebrauchten Fahrzeugen befasst, dass dem Geschädigten in diesem Fall bei subjektbezogener Schadensbetrachtung die Inanspruchnahme des Restwertmarktes im Internet und dort angegebener Kaufangebote zuzumuten ist (vgl. BGH Urteil vom 01.06.2010, Az. VI ZR 316/09). So liegt es im konkreten Fall jedoch gerade nicht. Bei der … handelt es sich um eine Finanzierungsbank, deren einziger Zweck es ist, eine Fahrzeugfinanzierung zu ermöglichen für Endverbraucher. Für den Verkauf oder Ankauf von Fahrzeugen und den Handel mit Fahrzeugen ist jedoch nicht die Bank, sondern sind einzelne Autohäuser bzw. Autohändler zuständig. Dies ist vollkommen getrennt voneinander zu betrachten. Die Autohändler wiederum bieten dem Kunden, der ein Fahrzeug nicht selbstständig finanzieren kann, dann oft die Möglichkeit, dieses über hauseigene Banken finanzieren zu können. Zwischengeschaltetes Glied des Verkaufs ist jedoch der Händler. Insoweit verfügt die Bank gerade nicht über die Fähigkeiten des Fahrzeughandels und es gehört auch nicht zu ihrem Aufgabengebiet, Fahrzeuge anzukaufen und zu verkaufen. Es kann daher im konkreten Fall nicht zugemutet werden, Restwertangebote zu ersuchen (vgl. ebenso Amtsgericht Bad Neustadt a.d. Saale, Urteil vom 30.5.2023, Az. 1 C 162/22).
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e) Dem Kläger kann auch nicht angelastet werden, das konkrete Restwertangebot der Beklagten vom 07.06.2023 nicht berücksichtigt zu haben. Ein höheres als in dem beauftragten Gutachten enthaltenes Restwertangebot ist von dem Geschädigten nur dann zugrunde zu legen, wenn dieses vor der Veräußerung bereits vorliegt. Hiervon kann jedoch im zu entscheidenden Fall nicht ausgegangen werden. Das verunfallte Fahrzeug wurde ausweislich des vorliegenden Kaufvertrags am 05.06.2023 veräußert. Das Restwertangebot datiert erst vom 07.06.2023. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vom 20.06.2024 in seiner informatorischen Anhörung überzeugend, plausibel und in sich schlüssig ausgeführt, dass er das Fahrzeug bereits verkauft hatte als ihm das höhere Restwertangebot der Beklagten zugegangen ist, nachdem er vor dem Verkauf noch die für den Verkauf erforderliche Ermächtigung der finanzierenden … eingeholt hat. Das Gericht ist von der Richtigkeit der Angaben des Klägers überzeugt und hat keinerlei Anhaltspunkte an dieser zu zweifeln. Das Gericht geht daher unter Würdigung sämtlicher Umstände des Einzelfalles aufgrund der glaubhaften und überzeugenden Angaben des Klägers davon aus, dass der Verkauf des verunfallten Fahrzeugs am 05.06.2023 stattfand und der Kläger das Restwertangebot der Beklagten vom 07.06.2023 folgerichtig zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorliegen hatte. Hieran ändert sich auch nichts aufgrund der Anlage B2. Der Kläger hat hierzu ebenfalls glaubhaft und absolut überzeugend ausgeführt, dass es sich bei der Anlage B2 um die Bestätigung an die Bank handelt, dass eben der Verkauf des verunfallten Fahrzeugs an die Firma … stattgefunden hat. Der Kläger war sich absolut sicher, dass der Kaufvertrag bereits vor diesem Schreiben abgeschlossen und auch vor seiner Kenntnis von dem höheren Restwertangebot.
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3. Des Weiteren hat der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erstattung der außergerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten in Höhe von weiteren 160,88 € aus den ausgeführten Gründen sowie einen Anspruch auf Ersatz der ausgeurteilten Zinsen aus §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1, S. 2 ZPO.
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Der Streitwert wurde gemäß §§ 3ff. ZPO festgesetzt.