Inhalt

LG München II, Endurteil v. 16.02.2024 – 2 O 1708/23 VZS
Titel:

Neubeginn der Verjährung, Nach Eintritt der Verjährung, Einrede der Verjährung, Verjährungseinrede, Verjährungsverzicht, Ablauf der Verjährungsfrist, Verjährungsunterbrechung, Verjährungshemmung, Erklärungen des Versicherers, Haftung des Versicherers, Schadensposten, Gerichtliche Geltendmachung, Elektronisches Dokument, Feststellungsklage, Feststellungsinteresse, Anerkenntnis, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Unfallbedingtheit, Haftpflichtversicherer, Rechtsprechung des BGH

Schlagworte:
Feststellungsklage, Verjährung, Rückgriffsansprüche, Verjährungsverzicht, Verjährungshemmung, Schadensersatzansprüche, Verkehrsunfall
Fundstelle:
BeckRS 2024, 43571

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird auf 20.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass die Beklagte der Klägerin gegenüber weiterhin verpflichtet ist, die der Klägerin künftig entstehenden Kosten aus einem Versicherungsfall zu erstatten.
2
Die Klägerin ist Trägerin der gesetzlichen Rentenversicherung. Sie ist die zuständige Rentenversicherungsträgerin der Verletzten, Frau ... .
3
Frau ... wurde am 20.05.2004 auf der B. in ... durch..., einem Versicherungsnehmer der Beklagten, durch dessen Kfz mit dem amtlichen Kennzeichen ... bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt.
4
Die volle Eintrittspflicht der Beklagten ist dem Grunde nach unstreitig, so dass die Beklagte gemäß § 116 SGB X aus übergegangenem Recht nach §§ 823 BGB, 7, 18 StVG, 115 VVG und nach § 119 SGB X für den Beitragsausfallschaden haftet.
5
Die Klägerin meldete nach dem Unfall bei der Beklagten den Regress mit Schreiben vom 11.08.2004 an und bezifferte ihren Schaden mit Schreiben vom 03.12.2004. Die Beklagte forderte zunächst noch weitere Unterlagen von der Klägerin und zahlte dann nach Erhalt der Unterlagen den geforderten Betrag.
6
Mit Schreiben vom 14.11.2006 machte die Beklagte einen Beitragsregress geltend. Die Beklagte verlangte mit Schreiben vom 04.12.2006 weitere Belege. Nach Erhalt der Belege zahlte die Beklagte den geforderten Betrag.
7
Die Klägerin wandte sich mit Schreiben vom 29.06.2009 an die Beklagte und erklärte:
„In dieser Sache werden derzeit von uns keine unfallbedingten Leistungen gewährt. Aufgrund der Art der bei dem Unfall erlittenen Verletzungen sehen wir aber weiterhin die Möglichkeit des Eintritts von Spätfolgen. Wir bitten Sie daher zu erklären, dass Sie die Einrede der Verjährung hinsichtlich der von uns angemeldeten Ansprüche für einen angemessenen Zeitraum nicht erheben werden.“
8
Die Beklagte teilte der Klägerin mit Schreiben vom 02.07.2009 mit, sie verzichte auf die Einrede der Verjährung bis zum 31.12.2020; diese Erklärung gelte nur unter der Voraussetzung, dass zum jetzigen Zeitpunkt nicht bereits Verjährung eingetreten sei.
9
Mit Schreiben vom 23.12.2019 machte die Klägerin weitere Kosten in Höhe von insgesamt 3.005,40 € für Rehabilitationsmaßnahmen und Rentenversicherungsbeitragsregress von der Beklagten. Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom 06.02.2020 eine Zahlung aufgrund mangelnder Unfallbedingtheit ab. Die Klägerin erklärte mit Schreiben vom 05.05.2020 nahm die Klägerin ihre Forderung aus dem Schreiben teilweise zurück und machte nunmehr einen Beitragsregress in Höhe von 268 € geltend.
10
Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom 14.05.2020 die Forderung wegen Verjährung ab.
11
Mit Schreiben vom 02.06.2020 wies die Klägerin die Beklagte auf den Verjährungseinredeverzicht bis 31.12.2020 hin. Daraufhin teilte die Beklagte mit Schreiben vom 17.06.2020 mit, sie begleiche zur Erledigung der Angelegenheit den geforderten Betrag ohne einer Anerkennung einer Rechtspflicht.
12
Die Klägerin bat die Beklagte mit Schreiben vom 28.09.2022 um einen weiteren Verjährungseinredeverzicht.
13
Die Beklagte teilte mit Schreiben vom 08.10.2022 der Klägerin mit, dass der letzte Verjährungsverzicht zum 31.12.2020 erfolgt und daher bereits Verjährung eingetreten sei.
14
Die Klägerin trat der Rechtsansicht der Beklagten mit Schreiben vom 10.10.2022 entgegen. Die Beklagte erklärte mit Schreiben vom 22.11.2022 mit, sie bleibe bei ihrer Rechtsauffassung.
15
Die Klägerin ist der Ansicht, Verjährung sei nicht eingetreten, da die Verjährung durch die Anmeldung der Direktansprüche am 11.08.2004 gehemmt sei bis zum Eingang der Entscheidung der Beklagten als Versicherer (§§ 3 Nr. 3 S. 3 PflVG a.F., 115 II S. 3 VVG). Für eine Entscheidung des Versicherers sei eine eindeutige und endgültige Bescheidung des angemeldeten Anspruchs erforderlich. Sowohl eine ablehnende als auch eine anspruchsbejahende Erklärung des Versicherers könne eine Entscheidung iSd §§ 3 Nr. 3 S. 3 PflVG a.F., 115 II S. 3 VVG darstellen. Nur solche positiven Bescheide könnten als Entscheidung im Sinne dieser gesetzlichen Vorschrift gewertet werden, die eine klare und umfassende Erklärung des Versicherers aufwiesen. Die Verjährungshemmung könne nur dann ihr Ende finden, wenn dem Anspruchsteller durch die Erklärung zweifelsfrei Klarheit über die Haftung des Haftpflichtversicherers des Schädigers gegenüber seinen Forderungen als Grundlage für die sachgerechte Durchsetzung seiner Ansprüche verschafft werde. Der gesamten Korrespondenz der Beklagten mit der Klägerin, insbesondere dem Schreiben vom 02.07.2019 (K11), in dem die Beklagte auf die Einrede der Verjährung bis zum 31.12.2020 verzichtete, könne kein solches Anerkenntnis entnommen werden. Es liege keine umfassende Entscheidung der Beklagten vor. Allein der Umstand, dass die Beklagte in der Vergangenheit Zahlungen erbracht habe, stelle keine eindeutige und endgültige Bescheinigung der Ansprüche dem Grunde nach dar. Es sei nicht ersichtlich, dass sich die Beklagte hinsichtlich der Haftung dem Grunde nach endgültig habe festlegen wollen. Dies sei vor allem aus dem Schreiben der Beklagten vom 17.06.2020 (K17) zu entnehmen, in dem sie mitteile, ohne Anerkennung einer Rechtspflicht den von der Klägerin geforderten Betrag zu begleichen. Selbst wenn man davon ausgehen würde, dass die Klägerin aufgrund des Umstandes, dass bislang die von ihr geforderten Aufwendungen von der Beklagten zum Teil beglichen worden seien und die Beklagte hinsichtlich der Haftung dem Grunde nach keine Einwendungen vorbringen werde, ergebe sich jedoch nicht ohne weiteres, dass die Beklagte auch alle künftigen angesichts der Verletzungen der Geschädigten noch in Frage kommenden weiteren Schadensposten, die bisher nicht Gegenstand der Abrechnung gewesen seien, zu ersetzen bereit sein werde, soweit diese beitragsmäßig belegt würden. Für eine positive, anspruchsbejahende Entscheidung des Versicherers liege nach der Rechtsprechung des BGH (Az.: VI ZR 50/95) nicht bereits in (auch mehreren) Anspruchsschreiben vor, in denen der Versicherer Zahlungsanforderungen des Haftpflichtgläubigers, die lediglich konkrete Leistungen auf einzelne Schadensposten betreffen, nach unten korrigiert. Die Verjährung sei daher dauerhaft gehemmt geblieben. Die Beklagte, die von den schweren Unfallfolgen der Geschädigten Kenntnis gehabt habe und deshalb davon habe ausgehen können, dass weitere Schadenspositionen folgen würden, habe es selbst in der Hand gehabt, die Verjährung durch formwahrende und eindeutige Erklärung wieder in Lauf zu setzen. Die bloße Untätigkeit der Klägerin während eines längeren Zeitraums nach dem Ende des Verjährungsverzichts berechtige keineswegs die Annahme, der schriftliche Bescheid sei überflüssig und sinnlos, mit ihm könne die Klägerin billigerweise nicht mehr rechnen.
16
Die Klägerin beantragt,
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin den weiteren Beitragsregressanspruch gemäß § 119 SGB X zu zahlen und alle weiteren übergangsfähigen Ansprüche zu ersetzen, die ihr anlässlich des Schadensfalls der Frau ..., geb. ..., vom 20.05.2004 in B./Penzberg, zukünftig entstehen, soweit diese Ansprüche gegen die Beklagte gem. §§ 116, 119 SGB X auf die Klägerin übergegangen sind.
17
Die Beklagte beantragt
K l a g e a b w e i s u n g.
18
Die Beklagte ist der Ansicht, die Feststellungsklage sei unzulässig, weil vorrangig die Leistungsklage zu erheben sei. Der Antrag sei zudem zu unbestimmt.
19
Im Übrigen sei die Klage unbegründet, weil die Beklagte nicht den Ersatz aller übergangsfähigen Ansprüche schulde, sondern nur derjenigen, die unfallbedingt seien. Die Klägerin gebe ja zu, dass sie schon einmal nicht unfallbedingte und daher unbegründete Ansprüche geltend gemacht habe.
20
Die Beklagte behauptet, bei der Geschädigten liege nach dem Verkehrsunfall vom 20.05.2004 seit langer Zeit ein Endzustand vor, der durch weitere Rehabilitationsmaßnahmen nicht mehr beeinflusst werden könne und deren Durchführung nicht unfallbedingt seien. Dafür spreche ein ärztliches Gutachten des Sachverständigen Dr. med. ... vom 25.01.2020, wonach laut einem ärztlichen Behandlungsbericht der berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik ... vom 23.05.2005 und den letzten ärztlichen Informationen vom 13.07.2005 die ärztliche Behandlung zu diesem Zeitpunkt, dem 13.07.2005, abgeschlossen gewesen sei. Weiter Rehabilitationsmaßnahmen seien medizinisch nicht notwendig. Die Geschädigte sei laut des ärztlichen Entlassungsberichts vom 09.04.2019 ausdrücklich als arbeitsfähig beurteilt worden.
21
Die Beklagte ist der Ansicht, eventuelle zukünftige weitere Ansprüche seien verjährt. Sie habe mit Schreiben vom 06.10.2022 (B2) darauf hingewiesen, dass der letzte Verjährungsverzicht zum 31.12.2020 ende und damit Verjährung eingetreten sei. Mit dem Schreiben vom 02.07.2009 (B3) habe sie auf die Einrede der Verjährung verzichtet bis zum 31.12.2020. Die Eintrittspflicht sei zudem dem Grunde nach unstreitig gewesen. Mit Abgabe des Verjährungsverzichts habe die Beklagte eine eindeutige und abschließende Entscheidung getroffen. Sie habe zu keinem Zeitpunkt die Haftung dem Grunde nach bestritten. Die Klägerin habe keine Haftungserklärung von ihr gefordert. Eine solche sei nicht erforderlich gewesen, da die volle Eintrittspflicht der Beklagten nie streitig gewesen sei. Es sei treuwidrig und rechtsmissbräuchlich, wenn sich die Klägerin auf § 3 Nr. 3 S. 3 PflVG a.F. berufe. Die Klägerin habe auch gewusst, zu welchem Zeitpunkt der Verjährungsverzicht der Beklagten ende. Trotzdem sei sie bis zu diesem Zeitpunkt nicht weiter tätig geworden. Auch nach dem Sinn und Zweck sei diese Vorschrift nicht anzuwenden. Denn die Regelung des § 115 VVG bezwecke, den Geschädigten für den Fall einer sehr langen Dauer der Verhandlungen mit dem Versicherer vor den Nachteilen der Verjährung zu schützen und ihn während der Zeit während der die Reaktion des Versicherers auf die Anspruchsanmeldung nicht in der Schwebe ist, vor dem Weiterlaufen einer die Durchsetzung seiner Ansprüche gefährdenden Verjährung zu bewahren.
22
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien sowie auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 30.10.2023 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

23
Die Klage ist zulässig aber unbegründet.
24
Ansprüche der Klägerin gegen die Beklagte sind verjährt.
I.
A. Zulässigkeit der Klage
25
Die Klage ist zulässig.
26
1. Das nach § 256 I ZPO erforderliche Feststellungsinteresse ist gegeben.
27
a. Das erforderliche rechtliche Interesse an alsbaldiger Feststellung besteht, wenn dem Recht oder der Rechtsposition eine gegenwärtige Gefahr oder Unsicherheit droht und das erstrebte Urteil geeignet ist, diese Gefahr zu beseitigen (Thomas/Putzo/Seiler, 44. A., § 256 Rz. 13). Es fehlt, wenn eine Klage auf Leistung möglich ist.
28
b. Im vorliegenden Fall ist streitig, ob die Klägerin gegen die Beklagte künftige Regressansprüche geltend machen kann. Zur Klärung dieser Unsicherheit ist die Feststellungsklage geeignet. Nach den Angaben der Klägerin, die von der Beklagten nicht widerlegt wurden, bestehen derzeit keine Schadenspositionen bei ihr, die sie im Wege der Leistungsklage geltend machen könnte.
29
c. Damit besteht das erforderliche Feststellungsinteresse.
30
2. Die Feststellungsklage ist auch ausreichend bestimmt.
B. Begründetheit der Klage
31
Die Rückgriffsansprüche der Klägerin gegen die Beklagten sind mit Ablauf des 03.07.2012 verjährt. Die Beklagte ist daher berechtigt, eine von der Klägerin künftig geforderte Leistung zu verweigern (§ 214 I BGB). Damit ist die Klage unbegründet. Sie war somit abzuweisen.
32
1. Der Anspruch des Geschädigten gegen den Krafthaftpflichtversicherer nach §§ 3 Nr. 1 PflVG a.F., 115 I S. 1 VVG unterliegt der gleichen Verjährung wie der Schadensersatzanspruch gegen den ersatzpflichtigen Versicherungsnehmer (§§ 3 Nr. 1. S. 1 PflVG a.F., 115 II S. 1 VVG).
33
2. Die Schadensersatzansprüche der Geschädigten gegen den Krafthaftpflichtversicherer aus dem Verkehrsunfall verjähren in der regelmäßigen Verjährungsfrist von 3 Jahren nach § 195 BGB (Grüneberg/Ellenberger, BGB, 83. A, § 195 Rz. 4).
34
3. Die Verjährung beginnt mit dem Zeitpunkt, zu dem die Verjährung des Schadensersatzanspruchs gegen den ersatzpflichtigen Versicherungsnehmer beginnt; sie endet jedoch spätestens in zehn Jahren von dem Schadensereignis an (§§ 3 Nr. 3 S. 2 PflVG a.F., 115 II S. 2 VVG).
35
a. Die Verjährung begann nach § 199 I BGB mit dem Abschluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste.
36
b. Der Anspruch entstand hier mit dem Unfallereignis vom 20.05.2004 mit Ablauf des 31.12.2004.
37
c. Damit würde die Verjährungsfrist mit Ablauf des 31.12.2007 enden.
38
4. Ist der Anspruch des Dritten bei dem Versicherer angemeldet worden, ist die Verjährung bis zu dem Zeitpunkt gehemmt, zu dem die Entscheidung des Versicherers dem Anspruchsteller in Textform zugeht (§§ 3 Nr. 3 S. 3 PflVG a.F., 115 II S. 3 VVG). Die Endgültigkeit der Entscheidung muss sich auf den Zeitpunkt der Erklärung beziehen. Dass Entscheidungen aufgrund neuer Umstände revidiert werden können, sollte vernünftigerweise nie ausgeschlossen sein. Deshalb reicht zur Beendigung der Hemmung die Erklärung aus, aufgrund des bisherigen Sachverhalts (noch) nicht regulieren zu wollen (BGH VersR 1977, 336; Düsseldorf VersR 2000, 756; Prölss/Martin/Klimke, 31. Aufl. 2021, VVG § 115 Rn. 33).
39
a. Die Klägerin hat mit Schreiben vom 11.08.2004 die auf sie übergegangenen Schadensersatzansprüche bei der Beklagten angemeldet und die Bezifferung ihrer Aufwendungen (Rehabilitationsmaßnahmen) für später angekündigt. Damit war die Verjährung gehemmt.
40
b. Für das Ende der Hemmung durch eine endgültige Entscheidung des Versicherers gilt folgendes:
41
a. a. Nach der Rechtsprechung des BGH ist der mit § 3 Nr. 3 S. 3 PflVG a.F. verfolgte Schutzzweck erst dann erfüllt, wenn für den Geschädigten klar ist, ob der Versicherer die angemeldeten Schadensersatzansprüche umfassend zu befriedigen bereit ist oder nicht. Aus diesem Grund hat der BGH bereits entschieden, dass nur einer eindeutigen und endgültigen Bescheidung der angemeldeten Ansprüche eine die Verjährungshemmung beendende Wirkung zuerkannt werden kann (vgl. BGH, NJW-RR 1991, 470 = VersR 1990, 179; NJW 1991, 1954, beck-online).
42
b. b. Im Hinblick auf den Schutzzweck des § 3 Nr. 3 S. 3 PflVG a.F. beendet eine positive Entscheidung des Versicherers die Verjährungshemmung daher nur dann, wenn der Geschädigte aufgrund dieser Entscheidung sicher sein kann, dass auch künftige Forderungen aus dem Schadensfall freiwillig bezahlt werden, sofern der Geschädigte die entsprechenden Schadensposten der Höhe nach ausreichend belegt. Demgemäß muss die Erklärung zu den Ansprüchen erschöpfend, umfassend und endgültig sein (vgl. hierzu BGHZ 114, 299 (303) = NJW 1991, 1954 = LM PflVG 1965 Nr. 67; BGH, LM PflVG 1965 Nr. 21 = VersR 1978, 423 (424); VersR 1982, 1006; NJW-RR 1991, 470 = LM PflVG 1965 Nr. 66 = VersR 1991, 179 (180); NJW-RR 1992, 606 = LM H. 10/1992 PflVG 1965 Nr. 69 = VersR 1992, 604 (605); NJW-RR 1996, 474, beck-online). Dabei hängt die Wertung, ob eine Erklärung des Versicherers den insoweit maßgeblichen Anforderungen genügt, wesentlich von der Würdigung der Umstände des Einzelfalls ab. Indes kann die Verjährungshemmung nur dann ihr Ende finden, wenn dem Anspruchsteller durch die Erklärung zweifelsfreie Klarheit über die Haltung des Haftpflichtversicherers des Schädigers gegenüber seinen Forderungen als Grundlage für die sachgerechte Durchsetzung seiner Ansprüche verschafft wird. Im Hinblick auf den Schutzzweck des § 115 II 2 S. 3 VVG beendet eine positive Entscheidung des Versicherers die Verjährungshemmung daher nur dann, wenn der Geschädigte – oder wie hier die Klägerin – aufgrund dieser Entscheidung sicher sein kann, dass auch künftige Forderungen aus dem Schadensfall freiwillig bezahlt werden, sofern der Anspruchsteller die entsprechenden Schadensposten der Höhe nach ausreichend belegt. Demgemäß muss die Erklärung zu den Ansprüchen erschöpfend, umfassend und endgültig sein (vgl. hierzu BGH Urteil vom 30. April 1991 – VI ZR 229/90, BGHZ 114, 299, 303; BGH Urteile vom 13. Juli 1982 – VI ZR 281/80, VersR 1982, 1006; vom 16. Oktober 1990 – VI ZR 275/89, VersR 1991, 179, 180; vom 28. Januar 1992 – VI ZR 114/91, VersR 1992, 604, 605; vom 5. Dezember 1995 – VI ZR 50/95, NJW-RR 1996, 474 f. [jeweils zu § 3 Nr. 3 Satz 3 PflVG aF]; BGH Urt. v. 14.3.2017 – VI ZR 226/16, BeckRS 2017, 111508 Rn. 10, beck-online).
43
c. c. In der vorbehaltlosen Ersatzleistung auf einzelne Schadenspositionen kann im Einzelfall ein Anerkenntnis i.S. des § 208 BGB liegen (vgl. BGH, NJW-RR 1986, 324 = LM § 208 BGB Nr. 12 = VersR 1986, 96 (97); NJW-RR 1992, 606 = LM H. 10/1992 PflVG 1965 Nr. 69 = VersR 1992, 604; vgl. zur Anerkenntniswirkung in derartigen Fällen auch BGH, WM 1995, 1886 (1887)). Ein solches Anerkenntnis, das zu einer Verjährungsunterbrechung zu führen vermag, ist aber einer die Verjährungshemmung des § 3 Nr. 3 S. 3 PflVG beendenden Entscheidung nicht ohne weiteres gleichzusetzen; Verjährungsunterbrechung und Verjährungshemmung können in entsprechenden Fällen nebeneinander treten (vgl. hierzu BGH, VersR 1984, 441 (442)). Die zum Wegfall der Verjährungshemmung führende anspruchsbejahende Erklärung des Versicherers muss nicht nur ein Anerkenntnis i.S. des § 208 BGB umfassen, sondern dem Geschädigten auch umfassend und endgültig Klarheit über die Einstandsbereitschaft des Versicherers hinsichtlich aller in Betracht kommenden Schadenspositionen geben (BGH, NJW-RR 1996, 474, beck-online).
44
d. d. Ein Abrechnungsschreiben des Versicherers, das die Teilzahlungen begleitet hat, erfüllt das Schriftformerfordernis. Der Inhalt eines Abrechnungsschreibens muss jedoch eine hinreichend eindeutige und umfassende anspruchsbejahende Entscheidung des Versicherers enthalten. Ein Abrechnungsschreiben, das sie sich zwar jeweils nur auf die Berechnung von Einzelforderungen beziehen, andererseits jedoch keinerlei Einwendungen gegen die grundsätzlich bestehende Haftung des Versicherers für den Unfallschaden des Geschädigten enthält, sondern nur Beanstandungen gegen die Höhe der geltend gemachten Regressforderungen aufweist, fehlt allerdings der Charakter einer erschöpfend, eindeutig und endgültig den Schadensersatzanspruch im Hinblick auf das Interesse des Gläubigers an Rechtssicherheit und Rechtsklarheit bejahenden schriftlichen Erklärung. Eine lediglich rechnerisch zu den jeweils einzelnen angeforderten Ersatzbeträgen erfolgte Stellungnahme lässt nicht mit der rechtlich gebotenen Klarheit erkennen, dass der Versicherer auch alle künftigen angesichts der Verletzungen des Geschädigten noch in Frage kommenden weiteren Schadensposten, die bisher nicht Gegenstand der Abrechnung waren, zu ersetzen bereit sein wird, soweit sie betragsmäßig belegt werden. Es reicht insoweit zur Erfüllung der Anforderungen an eine die Verjährungshemmung beendende positive Entscheidung des Versicherers nicht aus, wenn die Anspruchsteller aufgrund der Abrechnungsschreiben davon ausgehen konnte, dass der Anspruchsgrund nicht mehr bestritten werde (BGH, NJW-RR 1996, 474, beck-online).
45
e. e. Dem Erfordernis der Eindeutigkeit und Endgültigkeit der Erklärung ist genügt, wenn die Reaktion des Versicherers zweifelsfrei erkennen lässt, dass er gegen den Grund des Anspruchs keine Einwendungen erhebt und die Höhe künftiger Anforderungen jedenfalls dann nicht beanstanden werde, wenn sie belegt werden kann (BGH, r + s 1991, 292, beck-online). Nach der dargelegten Schutzfunktion des § 3 Nr. 3 S. 3 PflVG a.F. können allerdings nur solche positiven Bescheide als Entscheidungen im Sinne der genannten Vorschrift gewertet werden, die eine klare und umfassende Erklärung des Versicherers aufweisen. Dies bedeutet zwar nicht, dass sich der Versicherer in seiner Entscheidung für jeden in Betracht kommenden Schadenposten auch betragsmäßig festlegen müsste, vielmehr reicht es aus, dass er sich bereit erklärt, über die etwa schon bezifferten Schäden hinaus auch die weiteren nach Lage der Dinge in Betracht kommenden Schadenposten (z.B. Verdienstausfall, Heilbehandlungskosten) zu regulieren. Damit hängt die Wertung, ob eine Erklärung des Versicherers den an eine „Entscheidung” i.S. des § 3 Nr. 3 S. 3 PflVG a.F. zu stellenden Anforderungen genügt, wesentlich von der Würdigung der Umstände des Einzelfalles ab, dabei kommt der Entwicklung des Anmeldeverfahrens und insbesondere dem Konkretisierungsgrad der Schadenanmeldung besondere Bedeutung zu. Verbleiben im Einzelfall über die Tragweite einer positiven Erklärung des Versicherers in wesentlichen Punkten Zweifel, dann liegt eine Entscheidung, wie sie § 3 Nr. 3 S. 3 PflVG a.F. meint, nicht vor. So erfüllt etwa eine Mitteilung, in der sich der Versicherer nur zum Grund des geltend gemachten Anspruchs positiv erklärt und zur Höhe des Anspruchs Vorbehalte anmeldet, nicht die Anforderungen, die an eine „Entscheidung” zu stellen sind (BGH, r + s 1991, 292, beck-online). Der mit § 3 Nr. 3 S. 3 PflVG a.F. verfolgte Schutzzweck erst dann erfüllt, wenn für den Geschädigten klar ist, ob der Versicherer die angemeldeten Schadenersatzansprüche umfassend zu befriedigen bereit ist oder nicht. Aus diesem Grund hat der BGH bereits entschieden, dass nur einer eindeutigen und endgültigen Bescheidung der angemeldeten Ansprüche eine die Verjährungshemmung beendende Wirkung zuerkannt werden kann (vgl. Senat r+s 91, 115 = VersR 91, 179; BGH, r + s 1991, 292, beck-online).
46
f. f. Wenn dem Schriftverkehr des Versicherers ein hinreichend klares Bekenntnis zu ihrer uneingeschränkten Einstandspflicht als Haftpflichtversicherer zu erblicken ist und die Reaktion des Versicherers zweifelsfrei erkennen lässt, dass er gegen den Grund des Anspruchs keine Einwendungen erhebt und dass er auch die Höhe künftiger Anforderungen jedenfalls dann nicht beanstanden werde, wenn sie belegt werden kann, ist dem Erfordernis der Eindeutigkeit und Endgültigkeit der Erklärung genügt (vgl. BGH, VersR 78, 423, 424; r + s 1991, 292, beck-online).
47
c. Die Beklagten hat mit Schreiben vom 02.07.2009 (K11) auf die Einrede der Verjährung bis zum 31.12.2020 verzichtet. Zuvor hatte sie in den Schreiben vom 13.12.2004 (K5) und 04.12.2006 (K8) keine Einwände gegen die jeweilige Forderung der Klägerin erhoben. Sie hat lediglich um die Vorlage von Belegen gebeten. Die Klägerin hat die Beklagte mit Schreiben vom 29.06.2009 (K10) um einen Verzicht auf die Einrede der Verjährung für einen angemessenen Zeitraum gebeten.
48
d. Nach Würdigung der vorliegenden Umstände bestand zum Zeitpunkt des Verjährungsverzichts der Beklagten kein Zweifel, dass die Beklagte gegen den Grund des Anspruchs keine Einwendungen erhebt und die Höhe der künftigen Anforderungen jedenfalls dann nicht beanstandet werden, wenn sie belegt werden kann. Damit lag mit dem Verjährungsverzicht eine zweifelsfreie, klare, erschöpfende, umfassende und endgültige Entscheidung der Beklagten vor. Die Klägerin hat dies auch so verstanden. Mit Schreiben vom 28.09.2022 (K18) bat sie die Beklagte, zu erklären, dass sie die Einrede der Verjährung hinsichtlich der von ihr angemeldeten Ansprüche für einen angemessenen Zeitraum nicht erheben werde. Dem ist zu entnehmen, dass der Beklagten zweifellos klar war, die Beklagte erhebt gegen den Grund des Anspruchs keine Einwendungen und sie wird die Höhe der künftigen Anforderungen jedenfalls dann nicht beanstanden, wenn sie belegt werden kann. Unerheblich ist, dass die Beklagte im Schreiben vom 17.08.2020 (K17) eine Zahlung ohne Anerkennung einer Rechtspflicht zusagte. Maßgebend für die endgültige Entscheidung war das Schreiben vom 02.07.2009 (K11).
49
e. Damit war die Verjährung bis zum 02.07.2009 gehemmt.
50
5. Nach § 209 BGB wird der Zeitraum der Hemmung nicht in die Verjährungsfrist eingerechnet. Damit lief die Verjährungsfrist am 03.07.2009 weiter und endete am 03.07.2012.
51
6. Die Beklagte hat in ihrem Schreiben vom 02.07.2009 (K11) auf die Einrede der Verjährung bis zum 31.12.2020 verzichtet, unter der Voraussetzung, dass nicht bereits Verjährung eingetreten ist. Dieser Verzicht hinderte aber nicht den weiteren Ablauf der Verjährungsfrist.
52
a. Nach der Rechtsprechung des BGH wird durch einen vom Schuldner erklärten befristeten Verjährungsverzicht der Ablauf der Verjährung nicht beeinflusst; die Verjährungsvollendung wird nicht hinausgeschoben. Der Verjährungsverzicht hat regelmäßig nur zum Inhalt, dass die Befugnis des Schuldners, die Einrede der Verjährung zu erheben, bis zum Ende des vereinbarten Zeitraums ausgeschlossen wird (BGH NJW 2014, 2267 Rn. 18 f.; NJW 2009, 1598 Rn. 22; NJW 2021, 234 Rn. 39). Der Verzicht soll den Gläubiger von der Notwendigkeit der alsbaldigen gerichtlichen Geltendmachung seines Anspruchs entheben (BGH NJW 2014, 2267 Rn. 19). Erhebt der Gläubiger nicht innerhalb der Frist Klage (wobei Einreichung der Klage mit Zustellung „demnächst“ genügt, § 167 ZPO analog), kann sich der Schuldner direkt nach Ablauf der Frist wieder auf Verjährung berufen und damit die Leistung verweigern (BGH NJW 2009, 1598 Rn. 22). Erhebt der Gläubiger dagegen die Klage vor Ablauf der Frist, bleibt der Verzicht auch nach Fristablauf wirksam (BGH NJW 2014, 2267 Rn. 19). Die Klageerhebung innerhalb der Verzichtsfrist hindert den Schuldner demnach auch über die Frist hinaus an der Erhebung der Verjährungseinrede. Für andere Hemmungstatbestände als die Klage gilt dies vorbehaltlich einer gegenteiligen Erklärung des Schuldners nicht (BeckOGK/Bach, 15.7.2020, § 214 BGB Rn. 64, 79; BGH, NJW 2021, 461 Rn. 15, beck-online).
53
b. Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass dem Verjährungsverzicht im Einzelfall über den dargestellten regelmäßigen Inhalt hinaus eine andere – größere – Reichweite zukommt. Hierfür bedarf es aber besonderer Anhaltspunkte, die einen über die Ermöglichung der gerichtlichen Geltendmachung hinausgehenden Verzichtswillen des Schuldners erkennen lassen (BGH NJW 2014, 2267 Rn. 21). Für die Annahme, der Verjährungsverzicht führe – wie das Anerkenntnis (§ 212 I Nr. 1 BGB) – zu einem Neubeginn der Verjährung, besteht mangels Regelungslücke kein Anlass (vgl. BGH ZIP 2007, 2206 = BeckRS 2007, 18303 Rn. 16 für den unbefristeten Verzicht; BeckOGK/Bach, § 214 BGB Rn. 79; MüKoBGB/Grothe, 8. Aufl., § 214 Rn. 8; BGH, NJW 2021, 461 Rn. 16, beck-online).
54
c. Erst seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26.11.2001 ist ein Verzicht auf die Einrede der Verjährung grundsätzlich auch vor Eintritt der Verjährung zulässig (vgl. § 202 I BGB idF der Bekanntmachung v. 2.1.2002; BGH NJW 2009, 1598 Rn. 22; ZIP 2007, 2206 = BeckRS 2007, 18303 Rn. 15; MüKoBGB/Grothe, § 202 Rn. 13, § 214 Rn. 5). Nach Eintritt der Verjährung konnte und kann der Verzicht dagegen sowohl nach altem als auch nach neuem Recht wirksam erklärt werden (vgl. BGH NJW 1973, 1690 zum alten Recht). Er hat zur Folge, dass der Gläubiger vor Ablauf der Verzichtsfrist Klage erheben muss, soll der Verzicht über das Fristende hinaus wirksam bleiben (BGH, NJW 2021, 461 Rn. 17, beck-online).
55
d. Im vorliegenden Fall hat die Beklagte ausdrücklich „nur“ auf die Einrede der Verjährung bis zum 31.12.2020 verzichtet. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte der Klägerin durch einen befristeten Verjährungsverzicht im Zweifel sämtliche Möglichkeiten der Hemmung und des Neubeginns der Verjährung nach §§ 203 ff. BGB eröffnen wolle. Die für einen weitergehenden Verzicht erforderlichen besonderer Anhaltspunkte, die einen über die Ermöglichung der gerichtlichen Geltendmachung hinausgehenden Verzichtswillen des Schuldners erkennen lassen, sind hier nicht vorhanden. Der Einredeverzicht der Beklagten geht nicht über den regelmäßigen Inhalt eines befristeten Verjährungsverzichts hinaus. Der von der Beklagten abgegebenen Verzichtserklärung lässt sich kein über den Ablauf der jeweiligen Frist und die durch sie ermöglichte gerichtliche Geltendmachung hinausgehender Verzicht entnehmen. Sie erklärte ausdrücklich: „Diese Erklärung gilt nur unter der Voraussetzung, dass zum jetzigen Zeitpunkt nicht bereits Verjährung eingetreten ist.“
56
7. Die von der Beklagten mit Schreiben vom 17.08.2020 (K17) der Beklagten ohne Anerkennung einer Rechtspflicht zugesagte Zahlung in Höhe von 268 € hat den von ihm erklärten Einredeverzicht auch nicht nachträglich modifiziert. Mit der während der Verzichtsfrist geleisteten Anzahlung, die wegen bereits eingetretener Verjährung einen Neubeginn der Verjährungsfrist nicht mehr begründen konnte (vgl. BGH, VersR 1967, 1092 [1094] = BeckRS 1967, 30400536), war keine Änderung der vorausgegangenen Verzichtserklärung verbunden.
57
8. Die Klage vom 22.05.2023 konnte die Verjährung wegen der bereits eingetretenen Verjährung nicht mehr nach § 204 I Nr. 1 BGB hemmen.
II.
58
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO
59
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.