Inhalt

VG Ansbach, Urteil v. 16.02.2024 – AN 9 K 21.01991
Titel:

Nutzungsänderung eines Ladens mit Schneiderei zu Wettannahmestelle

Normenketten:
AEUV Art. 56
BauGB § 34 Abs. 2
BauNVO § 4
BayBO Art. 68 Abs. 1 S. 1
Leitsätze:
1. Die Grenzen der näheren Umgebung iSd § 34 BauGB lassen sich nicht schematisch festlegen, sondern sind nach der tatsächlichen städtebaulichen Situation zu bestimmen, in die das für die Bebauung vorgesehene Grundstück eingebettet ist. Damit sind die Grundstücke in der Umgebung einerseits insoweit zu berücksichtigen, als sich die Ausführung des Vorhabens auf sie auswirken kann und zum anderen insoweit, als die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks beeinflusst. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Grenze zwischen näherer und fernerer Umgebung kann beispielsweise dort zu ziehen sein, wo zwei jeweils einheitlich geprägte Bebauungskomplexe mit voneinander verschiedenen Bau- und Nutzungsstrukturen aneinanderstoßen, wobei aber zur näheren Umgebung auch eine unterschiedliche und diffuse Bebauung zu rechnen sein kann. Ausschlaggebend dafür ist, dass die Unterschiedlichkeit nicht nur die Umgebung prägt, sondern auch den zu beurteilenden Bereich, in dem das Vorhaben verwirklicht werden soll. Neben der Perspektive des stehenden Menschen kommt es für die Feststellung der maßgeblichen näheren Umgebung auch auf den „Blick von oben“, dh auf Lagepläne, Luftbilder und ähnliches an. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Wettbüro als Vergnügungsstätte und nicht lediglich eine Wettannahmestelle, welche darauf angelegt ist, Wetten entgegenzunehmen und weiterzuleiten sowie Gewinne auszuzahlen, liegt dann vor, wenn die Kunden durch die konkrete Ausgestaltung, insbesondere durch das unmittelbare Nebeneinander von Wettannahmestelle und Liveübertragung von Sportereignissen dazu animiert werden, sich dort länger aufzuhalten und die Sportereignisse, auf die sie gewettet haben, in Liveübertragungen auf Fernsehmonitoren zu verfolgen; eines der wesentlichen Kriterien, wenn nicht gar das wesentliche Kriterium, für die Abgrenzung zwischen einer Wettannahmestelle als Ladenlokal einerseits und einem Wettbüro als Vergnügungsstätte andererseits stellt damit der „Verweilcharakter“ der Räumlichkeiten dar. (Rn. 48) (redaktioneller Leitsatz)
4. Ob eine Wettannahmestelle gemeinsam mit einer weiteren Nutzungseinheit in seinen städtebaulichen Auswirkungen als räumlich-funktionale Einheit zu bewerten ist, ist in einer Gesamtschau anhand objektiver Umstände zu beurteilen. (Rn. 49) (redaktioneller Leitsatz)
5. Ein aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht teilbares Vorhaben darf nicht in einzelne Baumaßnahmen aufgeteilt werden, um beispielsweise für Teile in den Genuss der Verfahrensfreiheit oder der Genehmigungsfreistellung zu kommen. (Rn. 62) (redaktioneller Leitsatz)
6. Der Schutz der städtischen Umwelt mit den Mitteln der Stadt- und Raumplanung gehört zu den anerkannten zwingenden Gründen des Allgemeinwohls, die Beschränkungen im Sinne des unionsrechtlichen Beschränkungsverbots rechtfertigen können. (Rn. 68) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Abgrenzung Wettbüro und Wettannahmestelle, räumlich-funktionale Einheit (bejaht), Verbindung von Wettannahmestelle und Sportbar, Einstufung der näheren Umgebung als allgemeines Wohngebiet, Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit durch Bauplanungsrecht, Nutzungsänderung, Baugenehmigung, Wettbüro, Wettannahmestelle, Vergnügungsstätte, räumlich-funktionale Einheit, faktisches allgemeines Wohngebiet, nähere Umgebung, Dienstleistungsfreiheit
Fundstelle:
BeckRS 2024, 4353

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.
3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Die Klägerin begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung für die Nutzungsänderung eines Ladens mit Schneiderei zu einer Wettannahmestelle und wendet sich gegen den ablehnenden Bescheid der Beklagten vom 5. September 2023.
2
Auf dem Baugrundstück FlNr. …, … (…, …) befindet sich ein sechsgeschossiges Gebäude, welches im Erdgeschoss gewerbliche Nutzungen und in den fünf Obergeschossen Wohnnutzung aufweist. Ein ähnliches Nutzungsschema findet sich in den im Süden angrenzenden – ebenfalls sechsgeschossigen – Gebäuden … und … und in der darauffolgenden …, sowie in dem nördlich des Baugrundstücks befindlichen Eckgebäude … Auf der Rückseite des Baugrundstücks grenzt die … an, welche in unterschiedlicher Geschossigkeit hauptsächlich durch Wohnnutzung mit vereinzelter gewerblicher Nutzung im Erdgeschoss geprägt ist. Die dargelegte Bebauung ist im Wesentlichen als Blockrandbebauung ausgebildet.
3
Für das Baugrundstück gilt der übergeleitete Baulinienplan Nr. …, welcher eine straßenseitige Baulinie festsetzt. Andere planerische Festsetzungen finden sich für das Baugrundstück nicht.
4
Das Erdgeschoss des Gebäudes … verfügt über einen rechten und einen linken Teil, welche durch den gemeinsamen Hausflur voneinander getrennt sind. Die vorliegend streitgegenständlichen Räumlichkeiten im linken Teil des Erdgeschosses wurden mit Baugenehmigung der Beklagten vom 14. Oktober 1963 im vorderen Bereich als Laden und im rückwärtigen Bereich als Schneiderei genehmigt.
5
Bei einer Ortseinsicht der Beklagten wurde am 15. Dezember 2016 festgestellt, dass die streitgegenständlichen linken Räumlichkeiten ungenehmigt als Wettbüro genutzt wurden. Ein im Nachgang eingereichter Bauantrag für die Nutzungsänderung des Ladens in eine Wettannahmestelle ohne Live-Übertragungen wurde mit Bescheid der Beklagten vom 27. November 2017 abgelehnt. Zugleich wurde die Nutzung des Wettbüros in den Räumen untersagt. Die hiergegen gerichtete Klage der hiesigen Klägerin wurde mit Urteil der damaligen Kammer vom 14. November 2018 (AN 9 K 17.02667) abgewiesen. Nach Rücknahme der Berufung durch die Klägerin wurde das Verfahren durch Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 31. August 2021 (9 B 21.1711) eingestellt.
6
Im rechten Teil des Erdgeschosses wurde mit Bescheid der Beklagten vom 4. Juni 2018 ein Bistro (im Folgenden: Pilsbar/Sportbar) für Herrn … genehmigt. Nach den Plänen verfügt die Pilsbar/Sportbar über einen Gastraum von 54,83 qm und eine Theke. Nach der Betriebsbeschreibung sollen alkoholische sowie alkoholfreie Getränke und Snacks angeboten werden. Nach dem Grundriss sind 40 Gastplätze und drei Geldspielgeräte vorhanden.
7
Mit am 28. November 2022 bei der Beklagten eingegangen Formblättern beantragte die Klägerin eine Baugenehmigung für die „Nutzungsänderung der Geschäftsräume im Erdgeschoss von Ladenlokal in zukünftig eine Wettvermittlungsstelle ohne Verweilmöglichkeit im Sinne einer Annahmestelle mit untergeordnetem Vertrieb von Kioskwaren“.
8
Ausweislich der Bauvorlagen soll sich die beantragte Nutzung auf eine Gesamtfläche von 103,24 qm erstrecken, welche sich wie folgt auf einzelne Räume aufteilt (jeweils Nettoflächen):
- Kunden-/Verkaufsraum 28,09 qm
- Entree 4,45 qm
- Personalbereich 7,60 qm
- WC Personal mit Vorraum 2,14 qm
- Aufenthalt Personal 12,51 qm
- zwei Lagerflächen 26,40 qm und 22,05 qm
Ausweislich des Grundrisses Erdgeschoss sollen im vorderen Bereich neben zwei Verkaufsregalen für Kioskwaren zwei Stehtische aufgestellt, an der seitlichen Wand drei elektronische Quotenbildschirme/Quotentafeln angebracht und unterhalb der Bildschirme drei Wettterminals aufgestellt werden. Nach der Betriebsbeschreibung sind Öffnungszeiten von 10.00 bis 22.00 Uhr von Montag bis Samstag geplant.
9
Mit Stellungnahme vom 2. Mai 2023 führte das Stadtplanungsamt der Beklagten aus, dass es sich bei dem Vorhaben nach den – teilweise als widersprüchlich angesehenen – Bauvorlagen um ein Wettbüro und daher um eine unzulässige Vergnügungsstätte handele. Zudem führten die beantragten Öffnungszeiten zu einer Störung der Wohnruhe. Mit weiterer Stellungnahme vom 10. Juli 2023 wurde ergänzt, dass sich die Unzulässigkeit auch daraus ergebe, dass das Vorhaben mit der angrenzenden Pilsbar/Sportbar eine einheitliche Vergnügungsstätte bilde.
10
Mit Schreiben der Beklagten vom 17. Juli 2023 wurde die Klägerin über die voraussichtliche Antragsablehnung informiert und ihr Gelegenheit zur Antragsrücknahme bzw. – bei Aufrechterhaltung des Antrags – Gelegenheit zur Nachbesserung der Bauvorlagen gegeben.
11
Mit Bescheid vom 5. September 2023 versagte die Beklagte der Klägerin die beantragte Baugenehmigung.
12
Das Vorhaben befinde sich im unbeplanten Innenbereich nach § 34 BauGB; die Eigenart der näheren Umgebung sei hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung als allgemeines Wohngebiet zu qualifizieren. Das beantragte Vorhaben einer Wettannahmestelle im Erdgeschoss links führe gemeinsam mit der unmittelbar im Erdgeschoss rechts angrenzenden Pilsbar/Sportbar zu einer jeweils gesteigerten Attraktivität. Es liege daher ein einheitlich zu beurteilendes Vorhaben vor, welches eine Vergnügungsstätte darstelle. Eine solche sei im allgemeinen Wohngebiet nicht zulässig, sodass die Baugenehmigung aus planungsrechtlichen Gründen zu versagen sei.
13
Gegen den ablehnenden Bescheid der Beklagten vom 5. September 2023 hat die Klägerin mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 29. September 2023 Klage erhoben.
14
Der Klägerin sei die beantragte Baugenehmigung zu erteilen, da es sich bei dem Bauvorhaben um ein zulässiges Ladenlokal handle, welches baulich und funktional von der benachbarten Pilsbar/Sportbar getrennt sei. Die Nutzungskonzepte beider Einrichtungen seien gerade nicht aufeinander abgestimmt. Aus der bloßen Nachbarschaft ergebe sich kein Zusammenhang; immerhin führten die Türen der Wettannahmestelle nicht direkt zur Pilsbar/Sportbar. Ein einheitlicher Betrieb widerspreche auch dem klaren Willen der Klägerin. Namentlich liege es in der Verantwortung eines Bauherrn, Inhalt und Umfang des beantragten Bauvorhabens zu bestimmen.
15
Der beklagtenseits verwendete Begriff der funktionalen Einheit wäre mit Blick auf das unions- und verfassungsrechtlich geschützte Eigentumsrecht ohnehin zu unbestimmt, um die Baugenehmigung zu versagen. Ein Nebeneinander von Wettannahmestelle und Lokal sei im Stadtgebiet der Beklagten häufig anzutreffen, ohne dass die Beklagte hierbei stets eine funktionale Einheit angenommen habe.
16
Die Versagung der Baugenehmigung greife auch unzulässig in die Dienstleistungsfreiheit der Klägerin ein, da diese für das Anwesen von der Regierung von Mittelfranken eine Wettvermittlungsstellenerlaubnis bis zum Jahr 2028 erhalten habe und die notwendigen Abstände zu schützenswerten Einrichtungen eingehalten werden würden.
17
Milderes Mittel zur Ablehnung der Genehmigung wäre zumindest eine Genehmigungserteilung unter Auflagen, insbesondere hinsichtlich der Lärmimmissionen, gewesen.
18
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des abschlägigen Bescheids vom 5. September 2022 (gemeint wohl 2023) zu verpflichten, der Klägerin die begehrte Baugenehmigung im Rahmen der angestrebten Nutzungsänderung eines Ladens mit Schneiderei in einer Wettvermittlungsstelle ohne Verweilmöglichkeit im Sinne einer Annahmestelle mit untergeordnetem Vertrieb von Kioskwaren in dem Anwesen …, Gemarkung …, FlNr. …, zu erteilen bzw. hilfsweise die beantragte Baugenehmigung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
19
Die Beklagte beantragt,
Die Klage abzuweisen.
20
Nach Ansicht der Beklagten sei von einer räumlich funktionalen Einheit aus bestehender Pilsbar/Sportbar und beantragter Wettannahmestelle auszugehen, welche in ihrer Gesamtheit eine Vergnügungsstätte darstelle und damit im allgemeinen Wohngebiet unzulässig sei. Bei der Beurteilung der funktionalen Einheit habe der Bayerische Verwaltungsgerichtshof auf objektive Kriterien, wie das unmittelbare Angrenzen der Räumlichkeiten, aber vor allem auf ein ideales Ergänzen der Nutzungen abgestellt. Diese objektiven Kriterien seien hier gegeben. Das erkennende Gericht habe die nähere Umgebung im Verfahren AN 9 K 17.02667 als faktisches allgemeines Wohngebiet eingestuft, was weiterhin Bestand habe. Die in den Anwesen … und … betriebenen Wettbüros seien bei der Gebietseinstufung nicht zu berücksichtigen, da die Beklagte sich mit diesen Nutzungen offensichtlich nicht abgefunden habe.
21
Des Weiteren seien die Bauvorlagen unbestimmt, da in der Betriebsbeschreibung zwei und im Grundriss Erdgeschoss drei Quotenbildschirme aufgeführt seien. Zudem seien die Ausführungen der Betriebsbeschreibung hinsichtlich etwaiger Wetten auf Livequoten und bevorstehende Sportereignisse unbestimmt. Hieraus folge, dass eine Abgrenzung zwischen den Nutzungsarten Wettannahmestelle und Wettbüro für den Bauantrag nicht abschließend vorgenommen werden könne.
22
Mit Schriftsätzen vom 21. und 29. Januar 2024 haben die Beteiligten übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
23
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die vorliegenden Behördenakten sowie auf die Gerichtsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe

A.
24
Über die Klage konnte mit Einverständnis der Beteiligten vom 21. und 29. Januar 2024 ohne die Durchführung einer mündlichen Verhandlung entschieden werden, § 101 Abs. 2 VwGO.
25
Streitgegenständlich ist die klägerseitig begehrte Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung einer Baugenehmigung für die Nutzungsänderung eines Ladens mit Schneiderei in eine Wettvermittlungsstelle, hilfsweise die entsprechende Neuverbescheidung des klägerischen Bauantrags.
B.
26
Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
27
Denn der Klägerin steht kein Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 BayBO zu, sodass die Ablehnung des Bauantrags durch die Beklagte rechtmäßig war, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
28
Eine Baugenehmigung ist nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 BayBO zu erteilen, wenn dem Vorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind. Im vorliegend einschlägigen, vereinfachten Genehmigungsverfahren nach Art. 59 Satz 1 BayBO prüft die Bauaufsichtsbehörde unter anderem die Übereinstimmung des Vorhabens mit den Vorschriften über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit nach den §§ 29 bis 38 BauGB.
29
Das streitgegenständliche Vorhaben erweist sich hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung als bauplanungsrechtlich unzulässig, sodass der Klägerin kein Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung bzw. auf die hilfsweise beantragte Neuverbescheidung ihres Bauantrags zusteht.
30
Da keine planerischen Festsetzungen für das streitgegenständliche Grundstück einschlägig sind, richtet sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens nach § 34 BauGB. Die Eigenart der näheren Umgebung entspricht hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung einem faktischen allgemeinen Wohngebiet nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 4 BauNVO (s. Ziffer I.).
31
Das Vorhaben der Klägerin ist im Hinblick auf seine städtebaulichen Auswirkungen gemeinsam mit der bestehenden Pilsbar/Sportbar als einheitliches Vorhaben anzusehen, welches sich in seiner Gesamtheit als eine im allgemeinen Wohngebiet unzulässige Vergnügungsstätte darstellt (s. Ziffer II.).
32
Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus dem klägerseitig vorgetragenen, vermeintlichen Verstoß gegen das Unionsrecht (s. Ziffer III.).
33
Es kann demnach dahinstehen, ob – wie die Beklagte meint – das klägerische Vorhaben als solches bereits eine bauplanungsrechtlich unzulässige Vergnügungsstätte darstellt und, ob die zur Genehmigung gestellten Bauvorlagen eventuell nicht hinreichend sind.
34
I. Die Kammer ist nach Auswertung der allgemein zugänglichen Quellen (Geodatenportal der Beklagten, BayernAtlas, Google StreetView) der Auffassung, dass die Eigenart der näheren Umgebung hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung einem allgemeinen Wohngebiet im Sinne der § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 4 BauNVO entspricht.
35
In der Verwaltungsstreitsache AN 9 K 17.02667 hat die damalige Kammer die nähere Umgebung in Augenschein genommen und im Urteil vom 14. November 2018 ihre Eigenart bereits als allgemeines Wohngebiet qualifiziert. Die damaligen Feststellungen beanspruchen im Ergebnis weiterhin Gültigkeit.
36
1. Die Grenzen der näheren Umgebung im Sinne des § 34 BauGB lassen sich nicht schematisch festlegen, sondern sind nach der tatsächlichen städtebaulichen Situation zu bestimmen, in die das für die Bebauung vorgesehene Grundstück eingebettet ist. Damit sind die Grundstücke in der Umgebung einerseits insoweit zu berücksichtigen, als sich die Ausführung des Vorhabens auf sie auswirken kann und zum anderen insoweit, als die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks beeinflusst (BVerwG, U.v. 26.5.1978 – 4 C 9.77 – beck-online; Battis/Krautzberger/Löhr/Mitschang/Reidt, 15. Aufl. 2022, BauGB § 34 Rn. 21). Die Grenze zwischen näherer und fernerer Umgebung kann beispielsweise dort zu ziehen sein, wo zwei jeweils einheitlich geprägte Bebauungskomplexe mit voneinander verschiedenen Bau- und Nutzungsstrukturen aneinanderstoßen. Zur näheren Umgebung kann aber auch eine unterschiedliche und diffuse Bebauung zu rechnen sein. Ausschlaggebend dafür ist, dass die Unterschiedlichkeit nicht nur die Umgebung prägt, sondern auch den zu beurteilenden Bereich, in dem das Vorhaben verwirklicht werden soll (BeckOK BauGB/Spannowsky, 60. Ed. 1.10.2023, BauGB § 34 Rn. 32.3). Neben der Perspektive des stehenden Menschen kommt es für die Feststellung der maßgeblichen näheren Umgebung auch auf den „Blick von oben“, d.h. auf Lagepläne, Luftbilder und ähnliches an (BVerwG, B.v. 13. 5. 2014 – 4 B 38.13 – NVwZ 2014, 1246).
37
Demnach ist im vorliegenden Fall die Bebauung in dem durch die …, die … sowie die … begrenzten Bauquartier, einschließlich der südlich der … gelegenen Anwesen …, … und …, maßgeblich.
38
Dieser Befund entspricht dem Ergebnis der Kammer im Urteil vom 14. November 2018.
39
Auch vorliegend wird der … aufgrund der Umstände, dass diese im maßgeblichen Bereich vierspurig ausgebildet ist, zudem über separat verlaufende Straßenbahnschienen verfügt, im weiteren Verlauf in die Bundesstraße … übergeht und damit eine der Hauptverkehrsachsen im Stadtgebiet der Beklagten bildet, trennende Wirkung beigemessen.
40
Übereinstimmend mit der damaligen Entscheidung ist zudem davon auszugehen, dass das Grundstück FlNr. …, Gemarkung …, auf welchem sich das ehemalige Verwaltungsgebäude der … befindet, nicht mehr Teil der näheren Umgebung ist. Das vorliegend als maßgebliche Umgebungsbebauung definierte Gebiet ist durch eine weitgehend homogene Bebauung mit regelmäßig fünf- und sechsgeschossiger Blockrandbebauung gekennzeichnet, welche im Wesentlichen Wohnnutzung und nur in einzelnen Nutzungseinheiten gewerbliche Nutzung aufweist. Das ehemalige Verwaltungsgebäude der … stellt hingegen ein reines Bürogebäude dar, welches aus einem neungeschossigen und einem zweigeschossigen Flachdachgebäude besteht, welche nicht als Blockrandbebauung ausgebildet sind. Dass das Verwaltungsgebäude städtebaulich nicht der vorliegend maßgeblichen Bebauung, sondern vielmehr der in ihrer Nutzung vergleichbaren Bebauung am … zuzuordnen ist, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass das Verwaltungsgebäude für sich genommen eine überbaubare Grundstücksfläche aufweist, welche ungefähr der gesamten, beschriebenen Bezugsumgebung des Baugrundstücks entspricht.
41
2. Die bauplanungsrechtliche Einstufung des maßgeblichen Bauquartiers, in dem das Baugrundstück gelegen ist, ergibt, dass hier ein allgemeines Wohngebiet im Sinne des § 4 BauNVO vorliegt.
42
In der maßgeblichen näheren Umgebung sind zahlreiche ganz oder überwiegend wohngenutzte Gebäude vorhanden, sodass die Voraussetzung für ein allgemeines Wohngebiet in § 4 Abs. 1 BauNVO, wonach das Gebiet vorwiegend dem Wohnen dienen muss, erfüllt ist.
43
Daneben sind im maßgeblichen Gebiet auch keine Nutzungen vorhanden, die im allgemeinen Wohngebiet nicht allgemein oder ausnahmsweise zulässig sind und die durch ihre prägende Wirkung das Vorliegen eines allgemeinen Wohngebiets verhindern könnten. Dies gilt insbesondere für die teilweise in den Erdgeschossen der Gebäude anzutreffenden gewerblichen Nutzungen. So handelt es sich bei den Nutzungen im Erdgeschoss der … „…“ sowie „…“ um Schank- und Speisewirtschaften, welche der Versorgung des Gebiets dienen und welche nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO im allgemeinen Wohngebiet allgemein zulässig sind. Dasselbe gilt für die Nutzungen im Erdgeschoss der … „…“, … „…“, … „…“ und … „…“. Bei den Friseurgeschäften in der … sowie … handelt es sich um die der Versorgung des Gebiets dienenden Läden, welche nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO im allgemeinen Wohngebiet ebenfalls allgemein zulässig sind. Dasselbe gilt für den Juwelier in der … sowie das Reisebüro in der … Die Zahnarztpraxis in der … sowie die Physiotherapie in der … sind als Nutzungseinheiten für die Ausübung freier Berufe bereits nach § 13 BauNVO in allgemeinen Wohngebieten zulässig.
44
Im Übrigen sind die hauptsächlich fünf- und sechsgeschossigen Gebäude der näheren Umgebung ganz wesentlich von Wohnnutzung in den Obergeschossen, teilweise auch in den Erdgeschossen, geprägt.
45
Die im Nachbaranwesen … sowie im streitgegenständlichen Anwesen … seit einiger Zeit betriebenen Wettbüros sind bei der Gebietseinstufung nicht zu berücksichtigen, weil zwar grundsätzlich die tatsächlich vorhandene Bebauung maßgebend ist, aber insbesondere durch den Vortrag der Beklagten im gerichtlichen Verfahren keine Zweifel daran bestehen, dass sich die Beklagte mit dem Vorhandensein dieser Nutzung nicht abgefunden hat (VGH München, B.v. 29.1.2016 – 15 ZB 13.1759 – beck-online Rn. 12). Die Klägerseite hat hierzu auch nichts Gegenteiliges vorgebracht.
46
Die maßgebliche nähere Umgebung um das Baugrundstück entspricht hiernach einem allgemeinen Wohngebiet im Sinne des § 4 BauNVO i.V.m. § 34 Abs. 2 BauGB. Dort sind Vergnügungsstätten weder allgemein noch ausnahmsweise zulässig.
47
II. Das Vorhaben der Klägerin ist im Hinblick auf seine städtebaulichen Auswirkungen gemeinsam mit der bestehenden Pilsbar/Sportbar als einheitliches Vorhaben anzusehen, welches sich in der Gesamtbewertung als im allgemeinen Wohngebiet unzulässige Vergnügungsstätte darstellt.
48
1. Ein Wettbüro als Vergnügungsstätte und nicht lediglich eine Wettannahmestelle, welche darauf angelegt ist, Wetten entgegenzunehmen und weiterzuleiten sowie Gewinne auszuzahlen, liegt dann vor, wenn die Kunden durch die konkrete Ausgestaltung, insbesondere durch das unmittelbare Nebeneinander von Wettannahmestelle und Liveübertragung von Sportereignissen dazu animiert werden, sich dort länger aufzuhalten und die Sportereignisse, auf die sie gewettet haben, in Liveübertragungen auf Fernsehmonitoren zu verfolgen (VGH München, B.v. 15.1.2016 – 9 ZB 14.1146 – beck-online Rn. 7; OVG Koblenz, B.v. 14.4.2011 – 8 B 10278/11 – NVwZ-RR 2011, 635). Eines der wesentlichen Kriterien, wenn nicht gar das wesentliche Kriterium, für die Abgrenzung zwischen einer Wettannahmestelle als Ladenlokal einerseits und einem Wettbüro als Vergnügungsstätte andererseits stellt damit der „Verweilcharakter“ der Räumlichkeiten dar (VGH Mannheim, U.v. 25.11.2021 – 8 S 3246/19 – beck-online Rn. 24).
49
Ob eine Wettannahmestelle gemeinsam mit einer weiteren Nutzungseinheit in seinen städtebaulichen Auswirkungen als räumlich-funktionale Einheit zu bewerten ist, ist in einer Gesamtschau anhand objektiver Umstände zu beurteilen (Bönker/Bischopink, Baunutzungsverordnung, BauNVO § 4a Rn. 118). Nach der Rechtsprechung kann das unmittelbare Nebeneinanderliegen zweier Zugänge und eine Toilettenmitbenutzung als Anzeichen für einen räumlich und funktional einheitlichen Betrieb dienen. Im Rahmen der Gesamtschau ist neben der räumlichen Situation jedoch vor allem auch zu berücksichtigen, ob sich die beiden Nutzungseinheiten „in geradezu idealer Weise ergänzen“ und die Nutzung nach außen hin einheitlich in Erscheinung tritt (VGH München, B.v. 13.4.2017 – 9 ZB 17.284 – beck-online Rn. 9; VG Ansbach, U.v. 21.12.2016 – AN 9 K 15.02594 – beck-online). Dass beide Einheiten durch eine funktionale Verbindung durch eine jeweils größere Attraktivität voneinander profitieren, kann für die Annahme einer Betriebseinheit in städtebaulicher Hinsicht ebenfalls von wesentlicher Bedeutung sein (BVerwG, B.v. 29.10.1992 – 4 B 103/92 – NVwZ-RR 1993, 287).
50
2. Die beantragte Nutzungseinheit stellt damit gemeinsam mit der angrenzenden Pilsbar/Sportbar eine räumlich-funktionale Einheit dar.
51
Für eine räumlich-funktionale Einheit der beiden Nutzungen spricht im vorliegenden Verfahren das – sich aus dem Grundriss Erdgeschoss vom 17. November 2022 ergebende – unmittelbare Nebeneinander der Räumlichkeiten, insbesondere der gemeinsame Hauseingang, das Nebeneinanderliegen der Fenster zur … sowie der gemeinsame Hausflur. So stellte auch das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg für die Beurteilung der räumlich-funktionalen Einheit maßgeblich darauf ab, dass zwei Nutzungseinheiten eine gemeinsame Außentür aufwiesen (OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 29.1.2018 – OVG 2 S 37.17 – beck-online Rn. 11). Nach dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof könne sogar grundsätzlich bei unterschiedlichen Hauseingängen von einer räumlich-funktionalen Einheit ausgegangen werden, wenn „die Kunden die nah aneinander liegenden Eingänge betreten und verlassen können ohne Straßen zu queren oder Straßenverkehr groß beachten zu müssen“ (VGH München, B.v. 13.4.2017 – 9 ZB 17.284 – beck-online Rn. 11).
52
Beide Einheiten sollen nach den jeweiligen Betriebsbeschreibungen auch sich überschneidende Öffnungszeiten aufweisen, was ein weiteres Indiz für eine räumlich-funktionale Einheit darstellt (OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 29.1.2018 – OVG 2 S 37.17 – beck-online Rn. 10). So wurden nach der Betriebsbeschreibung vom 24. Oktober 2022 für das vorliegende Vorhaben Öffnungszeiten von Montag bis Samstag von 10.00 bis 22.00 Uhr beantragt. Die Pilsbar/Sportbar hat nach der genehmigten Betriebsbeschreibung von 09.00 bis 01.00 Uhr geöffnet, sodass zu einer jeglichen Öffnungszeit der streitgegenständlichen Nutzung auch die Pilsbar/Sportbar geöffnet sein darf.
53
Es ist zudem festzustellen, dass das alkoholische Getränke umfassende Getränkeangebot der Pilsbar/Sportbar grundsätzlich dazu geeignet ist, das Angebot der beantragten Nutzung zu ergänzen, welches nach der Betriebsbeschreibung nur über verpackte Lebensmittel verfügt (so auch OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 29.1.2018 – OVG 2 S 37.17 – beck-online Rn. 10).
54
Darüber hinaus verfügt die beantragte Nutzung – nach dem Grundriss Erdgeschoss vom 17. November 2022 – nicht über eine eigene Kundentoilette, sondern nur über ein WC für das Personal. Es ist mithin davon auszugehen, dass Kunden der Wettannahmestelle teilweise die Toiletten der Pilsbar/Sportbar mitbenutzen werden.
55
Maßgeblich erscheint der Kammer insbesondere aber die ideale Ergänzung der Angebote beider Nutzungseinheiten, die sich durch die Verbindung der Wettabgabe einerseits und des Verfolgens von Live-Sportereignissen in geselliger Atmosphäre anderseits ergibt. Nach der Betriebsbeschreibung für das vorliegende Vorhaben vom 24. Oktober 2022 sollen sich in den Räumlichkeiten zwei Quotenbildschirme für die Kunden finden. Hierbei sollen keine Live-Wettquoten ausgestrahlt, sondern vom Wettveranstalter systematisch herausgefiltert werden, sodass nur Wettquoten von noch nicht begonnen Sportereignissen ausgestrahlt werden sollen. Allerdings finden sich nach dem Ergebnis der Ortseinsicht der Beklagten vom 4. Juli 2023 in der Pilsbar/Sportbar mehrere Bildschirme und Videowände, auf denen Sportereignisse verfolgt werden können. Auch die in der Behördenakte befindlichen Lichtbilder vom 4. Juli 2023 zeigen, dass auf den seinerzeit eingeschalteten Bildschirmen parallel ein Fußballspiel, ein Tennisturnier sowie ein Motorsportevent übertragen wurden. In den Räumlichkeiten der Pilsbar/Sportbar finden sich zudem eine Vielzahl von Stühlen und Tischen. Die Fensterbeklebungen der Pilsbar/ Sportbar „…“ an derselben Fensterfront mit der streitgegenständlichen Nutzung sowie der gemeinsame Hauseingang bzw. Hausflur laden die Kunden der streitgegenständlichen Nutzung dazu ein, dass mit einer Wette in der Annahmestelle bedachte Sportereignis auch unmittelbar in der Pilsbar/Sportbar zu verfolgen. Die Verfolgung des Sportereignisses wird aufgrund des Geldeinsatzes regelmäßig im großen Interesse des Wettenden liegen, sodass bei objektiver Betrachtungsweise davon auszugehen ist, dass eine Vielzahl der in der Annahmestelle wettenden Personen sich im Nachgang in die Pilsbar/Sportbar begeben werden. In der Gesamtschau der angebotenen Leistungen, zunächst die Abgabe des Wettscheines in der streitgegenständlichen Nutzung, sodann das darauffolgende Beiwohnen des Sportereignisses mit Sitzgelegenheiten und Bewirtung in der Pilsbar/Sportbar, liegt aber gerade eine auf Dauer angelegte, gesellige Atmosphäre, mithin der für die Charakterisierung als Vergnügungsstätte maßgebliche „Verweilcharakter“.
56
3. Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus dem klägerischen Vortrag, die Pilsbar/Sportbar und die vorliegend beantragte Nutzung obliege unterschiedlichen Betreibern.
57
Denn zwar ist dies – ausweislich der Behördenakten – inhaltlich richtig. Allerdings kann – nicht zuletzt um einem Missbrauch durch die Gründung immer neuer Gesellschaften Einhalt zu gebieten – der Frage nach dem Betreiber der Nutzungseinheiten nur eine untergeordnete Rolle zukommen.
58
So stellt auch das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zutreffend fest, dass es sich hierbei nur „um (ein) Indiz von eher untergeordneter Bedeutung“ handele (OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 29.1.2018 – OVG 2 S 37.17 – beck-online Rn. 11).
59
Jedenfalls genügt der Umstand alleine nicht, um das gefundene Ergebnis – in der gebotenen Gesamtbetrachtung aller Umstände – ernsthaft zu erschüttern.
60
4. Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus dem klägerischen Vortrag, es liege in der Verantwortung des Bauherrn den Umfang und die Grenzen eines Bauvorhabens zu definieren.
61
Denn zwar ist es im Grundsatz zutreffend, dass der Bauherr durch seinen in den Formblättern und Planvorlagen geäußerten Willen bestimmt, was Inhalt und Umfang des Bauvorhabens ist.
62
Dieser „Verfahrensherrschaft“ des Bauherrn sind allerdings objektive Grenzen gesetzt. Ein aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht teilbares Vorhaben darf nicht in einzelne Baumaßnahmen aufgeteilt werden, um beispielsweise für Teile in den Genuss der Verfahrensfreiheit oder der Genehmigungsfreistellung zu kommen. Wenn für die einzelnen Teile eines solchen „Gesamtvorhabens“ unterschiedliche Verfahrensregime einschlägig wären, ist die jeweils strengere verfahrensrechtliche Anforderung für das gesamte Vorhaben maßgeblich (VGH München, B.v. 25.1.2019 – 15 ZB 18.2264 – beck-online Rn. 13; Schwarzer/König/Weber, 5. Aufl. 2022, BayBO Art. 55 Rn. 12, 13)
63
Vor dem Hintergrund, dass – nach dem Dargelegten – nach Auffassung der Kammer eine räumlich-funktionale Einheit der streitgegenständlichen Räumlichkeiten mit der angrenzenden Pilsbar/Sportbar besteht, ist der Klägerin der Einwand verwehrt, sie könne den Umfang der Nutzung vorliegend selbst bestimmen.
64
5. Auch der klägerische Vortrag, der Begriff der räumlich-funktionalen Einheit sei angesichts der weitreichenden Bedeutung des Eigentumsgrundrechts aus Art. 14 GG zu unbestimmt für die Versagung der Baugenehmigung, kann nicht verfangen.
65
Denn der Begriff der räumlich-funktionalen Einheit ist nicht unbestimmt, sondern anhand objektiver Kriterien in einer Gesamtschau zu bewerten. Rechtsprechung und Kommentarliteratur haben die dargelegten Kriterien herausgearbeitet, welche für die Betreiber von Wettbüros und Wettannahmestellen nachvollziehbar und größtenteils auch beeinflussbar sind.
66
III. Der klägerseitig vorgetragene Verstoß gegen Vorschriften des Unionsrechts, insbesondere eine Verletzung der Dienstleistungsfreiheit nach Art. 56 AEUV, ist für das Gericht nicht ersichtlich.
67
Denn bauplanungsrechtliche Anforderungen (hier die Art der baulichen Nutzung im unbeplanten Innenbereich) knüpfen weder direkt noch mittelbar an die Staatsangehörigkeit an, sondern gelten für In- und EU-Ausländer in gleicher Weise, so dass allenfalls von einer „reinen“ Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit auszugehen ist. Eine Beschränkung kann nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs aber durch zwingende Gründe des Allgemeinwohls im Sinne der „Gebhard-Rechtsprechung“ (EuGH, U.v. 30.11.1995 – C-55/94) gerechtfertig sein, sofern sie geeignet ist, die Erreichung des mit ihr verfolgten Ziels zu gewährleisten, und nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist (vgl. beispielsweise EuGH, U.v. 3.3.2020 – C-482/18 – beck-online Rn. 45).
68
Der Schutz der städtischen Umwelt mit den Mitteln der Stadt- und Raumplanung gehört zu den anerkannten zwingenden Gründen des Allgemeinwohls, die Beschränkungen im Sinne des unionsrechtlichen Beschränkungsverbots rechtfertigen können (BVerwG, B.v. 30.5.2013 – 4 B 3.13 – NVwZ 2013, 1085; VGH München, B.v. 15.6.2021 – 9 ZB 19.50 – beck-online Rn. 19).
69
Es sind vorliegend auch keine Umstände erkennbar, welche eine unverhältnismäßige Anwendung der bauplanungsrechtlichen Beschränkung begründen würden. Allgemeine Wohngebiete dienen nach dem Willen des Verordnungsgebers vorrangig dem Wohnen, § 4 Abs. 1 BauNVO. Zudem sind bestimmte Gewerbebetriebe allgemein bzw. ausnahmsweise zulässig unter der Voraussetzung, dass diese nicht störend sind, § 4 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 2 BauNVO. Damit hat der Verordnungsgeber die voranging verbreitete Wohnnutzung in allgemeinen Wohngebieten unter besonderen Schutz gestellt. Hiermit sind die Begleiterscheinungen von Wettbüros nicht vereinbar.
70
Hinsichtlich des Klägervortrags, es würde eine Wettvermittlungserlaubnis der Regierung von Mittelfranken bis zum Jahr 2028 vorliegen, ist auszuführen, dass die Dienstleistungsfreiheit dem Begünstigten kein Recht auf freie Standortwahl gewährt (vgl. VGH Mannheim, U.v. 4.7.2012 – 3 S 351/11 – beck-online; VGH München, B.v. 15.6.2021 – 9 ZB 19.50 – beck-online Rn. 19).
C.
71
Nach alledem war die Klage abzuweisen, da der Klägerin aufgrund der bauplanungsrechtlichen Unzulässigkeit des Vorhabens kein Anspruch auf Erteilung der begehrten Baugenehmigung bzw. auf Neuverbescheidung ihres Bauantrags nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 BayBO zusteht.
72
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
73
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.