Titel:
festgestellter Sachverhalt, Pressefreiheit, Kostenentscheidung, Fristgerechte Berufung, Strafbefehl, Notwendige Auslagen, Besonderes öffentliches Interesse, Berufungsverfahren, Freigesprochenen, Rechtliche Würdigung, Meinungsäußerung, Großzügiger Maßstab, Strafrechtliche Relevanz, Gerichtliche Entscheidung, Satirische Äußerung, Kosten des Verfahrens, Äußeres Erscheinungsbild, Berufungsgericht, Werturteil, Staatsanwaltschaft
Schlagworte:
Beleidigung, Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Politikerkritik, Satire, öffentliche Person, Freispruch
Vorinstanz:
AG Miesbach, Urteil vom 28.09.2023 – 6 2 Cs 17 Js 17804/23
Fundstelle:
BeckRS 2024, 43518
Tenor
1. Auf die Berufung des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Miesbach vom 28.09.2023 aufgehoben.
Der Angeklagte wird freigesprochen.
2. Die Kosten des Verfahrens einschließlich des Berufungsverfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten hat die Staatskasse zu tragen.
Entscheidungsgründe
(abgekürzt gem. § 267 Abs. 5 StPO):
1
Mit Urteil des Amtsgerichts Miesbach vom 28.09.2023 wurde der Angeklagte der Beleidigung gegen Personen des öffentlichen Lebens schuldig gesprochen und deswegen zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 80,00 € verurteilt.
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Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte hat der Angeklagte form- und fristgerecht Berufung eingelegt.
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Die statthafte Berufung ist zulässig, §§ 312, 314 Abs. 1 StPO. In der Sache war die Berufung erfolgreich. Sie führte zum Freispruch aus rechtlichen Gründen.
Festgestellter Sachverhalt:
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1. Die Berufungsverhandlung hat folgenden Sachverhalt ergeben (der dem Anklagevorwurf im Strafbefehl und dem vom Amtsgericht festgestellten Sachverhalt entspricht):
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Am 17.02.2023 gegen 11:09 Uhr veröffentliche der Angeklagte auf seinem privaten T.-Account ..., bei dem er ca. 91.000 Follower hat, von seinem Wohnort an der Adresse

in G. am T. aus einen Kommentar mit dem Wortlaut:
„ein Wirtschaftsminister, der mit seiner äußeren Erscheinung in einer Ansammlung von Bahnhofsalkoholikern nicht negativ auffallen würde“.
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Der Kommentar des Angeklagten war auf den Geschädigten ... bezogen. Der Angeklagte wusste, dass es sich bei dem Geschädigten um den B. der Bundesrepublik Deutschland handelt.
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Strafantrag wurde form- und fristgerecht gestellt.
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Die Staatsanwaltschaft hält aufgrund des besonderen öffentlichen Interesses ein Einschreiten von Amts wegen für geboten.
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2. Der Strafbefehl und die das Urteil des Amtsgerichts legten darüber hinaus folgende Feststellungen zugrunde:
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Dem Angeklagten sei es bei der Veröffentlichung des Kommentars gerade darauf angekommen, den Geschädigten

seine Missachtung aufgrund seiner Stellung als B. kundzutun. Er stellte den B. mit Alkoholikern gleich, die sich an Bahnhöfen zum Zweck des Alkoholkonsums treffen. Wie der Angeklagte jedenfalls billigend in Kauf nahm, waren seine Äußerungen deswegen und wegen des großen Empfängerkreises objektiv geeignet, das Vertrauen und die Integrität des Geschädigten in Frage zu stellen.
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Der von der Kammer festgestellte (vom Angeklagten eingeräumte) Sachverhalt erweist sich nicht als Straftat, insbesondere nicht als strafbare Beleidigung iSd. §§ 188, 194 StGB:
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1. Bei dem Tweet des – journalistisch tätigen – Angeklagten handelt es sich um eine Meinungsäußerung. Nach seinem Wortlaut artikuliert der Angeklagte darin ein Werturteil über das Äußere des (B.), also ... . Dass das Werturteil auch dessen Persönlichkeit erfasst, ist nach der Formulierung des Tweets nicht zwingend, da der Tweet ausdrücklich und ausschließlich auf die „äußere Erscheinung“ Bezug nimmt.
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Der Tweet kann ironisch in dem Sinn verstanden werden – dieses Verständnis war vom Angeklagten offensichtlich intendiert –, dass die äußere Erscheinung von ... so negativ ist, dass sie der eines Bahnhofsalkoholikers entspricht. Bei der – auch möglichen – wörtlichen Auslegung allerdings wäre der Tweet so zu verstehen, dass

in einer solchen Ansammlung nicht negativ auffallen würde, er sich aus einer solchen Ansammlung also positiv abheben würde.
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2. Neben der Sinnermittlung ergibt auch die weitere Abwägung, dass der Tweet des Angeklagten von den Grundrechten der Meinungs- und Pressefreiheit gedeckt ist und keine strafbare Beleidigung darstellt:
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Hierbei ist in die Abwägung einzustellen, dass bei Kritik an Politikern im Sinne der „Machtkritik“ ein großzügiger Maßstab anzulegen ist.

gehört als B. zu den Repräsentanten des Staates. In dieser Funktion hat er sich auch einer „Stilkritik“ über sein Äußeres zu stellen. Seine – häufig und mutmaßlich bewusst so gewählte – legere Kleidung ist auch an anderen Stellen Gegenstand öffentlicher Berichterstattung. Da der Tweet sich nur mit der äußeren Erscheinung befasst, stellt er keinen intensiven Angriff auf die persönliche Integrität

dar. Auch ist nicht ersichtlich, dass der Tweet – über die Leser des Blogs hinaus – eine besondere Verbreitung gefunden oder ein mediales Echo erfahren hätte.
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Der Tweet stellt letztlich lediglich eine etwas polemisch formulierte Kritik am äußeren Auftreten von R. H. dar, wobei diese Kritik durch die ironische Formulierung zusätzlich abgemildert ist. Eine derartige Form der satirischen Äußerung von Kritik hat im Licht der Meinungs- und Pressefreiheit keine strafrechtliche Relevanz.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO.