Inhalt

SG Würzburg, Beschluss v. 26.11.2024 – S 8 AY 134/24 ER
Titel:

Rechtmäßigkeit der Anspruchseinschränkung nach dem AsylbLG bei Schutzanerkennung in Rumänien

Normenketten:
AsylbLG § 1a Abs. 4, § 3, § 3a, § 9 Abs. 4, § 11 Abs. 4 Nr. 2
SGB X § 45 Abs. 1
SGG § 86a Abs. 2, § 86b
Leitsätze:
1. Eine Pflichtverletzung bzw. ein pflichtwidriges Verhalten iSd § 1a Abs. 4 S. 2 AsylbLG liegt vor, wer trotz asylrechtlicher Schutzgewährung durch einen anderen EU-Mitgliedsstaats im Bundesgebiet verweilt und die Rückkehr in das schutzgewährende Land rechtlich und tatsächlich möglich und zumutbar ist. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der Bewertung der Pflichtverletzung bzw. des pflichtwidrigen Verhaltens ist es unschädlich, ob ein Aufenthaltsrecht in Deutschland gem. § 55 AsylG besteht. Das Innehaben eines Aufenthaltsrechts beseitigt nicht den Umstand der Schutzgewährung und der durch das europarechtliche Asylregime begründeten vorrangigen Zuständigkeit eines anderen EU-Mitgliedsstaates, die auch die Zuständigkeit für die Existenzsicherung umfasst. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
3. Es bestehen weder verfassungsrechtliche Bedenken im Zusammenhang mit § 1a Abs. 4 AsylbLG noch Bedenken im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit Unionsrecht. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
somalische Staatsangehörige, Asylbewerberleistungsgesetz, Ausländerzentralregister, internationaler Schutz, Rumänien, Bedarfsstufe, Grundleistung, Dauerverwaltungsakt, freiwillige Ausreise, Einschränkung
Rechtsmittelinstanz:
LSG München, Beschluss vom 10.03.2025 – L 11 AY 58/24 B ER
Fundstelle:
BeckRS 2024, 43299

Tenor

I. Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt ... wird abgewiesen.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes höhere Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG).
2
Aus den in der Akte des Beklagten enthaltenen Auszügen aus dem Ausländerzentralregister geht hervor, dass die am ... 2005 geborene Antragstellerin somalische Staatsangehörige ist, am 03.04.2024 erstmals in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist und am 15.04.2024 einen Asylantrag gestellt hat. Der Auskunft der Zentralen Ausländerbehörde Unterfranken (ZAB) vom 14.11.2024 zufolge ist der Aufenthalt derzeit bis 24.10.2025 gestattet.
3
Die Regierung von Unterfranken wies die Antragstellerin ab dem 22.05.2024 dem Antragsgegner zu (Bescheid der Regierungsaufnahmestelle (RASt) vom 14.05.2024).
4
Mit Schreiben vom 03.06.2024 teilte die ZAB dem Antragsgegner mit, dass Anhaltspunkte für eine Anspruchseinschränkung gemäß § 1a Abs. 4 AsylbLG vorlägen, da der Antragstellerin am 20.12.2023 internationaler Schutz in Rumänien gewährt worden sei. Dem Schreiben war ein Ausdruck aus der EURODAC-Datenbank beigefügt, aus dem sich ergibt, dass der Antragstellerin am 20.12.2023 internationaler Schutz gewährt wurde.
5
Auf einen entsprechenden Antrag der Antragstellerin hin bewilligte der Antragsgegner mit Bescheid vom 10.06.2024 Regelleistungen nach den §§ 3, 3a AsylbLG für die Zeit ab dem 22.05.2024 bis auf Weiteres. Der Antragsgegner bewilligte dabei Geldleistungen in Höhe von 98,78 EUR für den Monat Mai 2024. Ab Juni 2024 gewährte der Antragsgegner der Antragstellerin 465,60 EUR. Mit den gewährten Grundleistungen werde der notwendige Bedarf für Bekleidung, Nahrungsmittel, Verbrauchsgüter und Gesundheitspflege gedeckt. Außerdem seien Barleistungen zur Deckung der persönlichen Bedürfnisse des täglichen Lebens (notwendiger persönlicher Bedarf) gedeckt. Der Bedarf für Unterkunft, Heizung, Hausrat, Wohnungsinstandhaltung und Haushaltsenergie werde durch Sachleistungen gedeckt. Die Bewilligung gelte vorerst bis zum Ende des laufenden Monats. Bei gleichbleibenden Voraussetzungen verlängere sich der Bewilligungszeitraum um jeden Monat, in dem die Voraussetzungen erfüllt sind.
6
Mit Schreiben vom 30.08.2024 teilte der Antragsgegner der Antragstellerin mit, dass er beabsichtige, die Leistungen nach dem AsylbLG aufgrund des am 20.12.2023 gewährten internationalen Schutzes in Rumänien nach § 1a Abs. 4 AsylbLG ab dem 01.10.2024 für die Dauer von zunächst bis zu sechs Monaten einzuschränken. Es erfolgte der Hinweis, dass die Leistungseinschränkung durch eine freiwillige Ausreise abgewendet werden könne, sofern dies mit allen beteiligten Stellen abgestimmt sei. Als Frist für die Ausreise sei der 16.09.2024 gesetzt. Mit einer späteren Ausreise könne die Leistungseinschränkung beendet werden. Die Antragstellerin bekam Gelegenheit, sich insbesondere zur Leistungseinschränkung und möglichen individuellen Bedarfen bis zum 16.09.2024 zu äußern. In einer persönlichen Vorsprache am 10.09.2024 teilte die Antragstellerin im Wesentlichen mit, dass sie in Rumänien keine Unterkunft zugewiesen bekommen habe. Des Weiteren sei ihr kein Essen und kein Trinken gegeben worden. Ihr sei daher nichts Anderes übriggeblieben, als nach Deutschland weiterzureisen.
7
Mit Bescheid vom 20.09.2024 nahm der Antragsgegner den Bescheid vom 10.06.2024 ab dem 01.10.2024 zurück. Unter Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bewilligte der Antragsgegner der Antragstellerin ab dem 01.10.2024 eingeschränkte Leistungen nach dem AsylbLG in Form von monatlichen Wertgutscheinen. Der Antragsgegner gewährte Nahrungsmittel in Höhe von 195,30 EUR, Gesundheitspflege in Höhe von 12,95 EUR, Hygienebedarf in Höhe von 19,75 EUR und Unterkunft und Heizung. Die Bewilligung erfolgte bis 31.03.2025.
8
In der Begründung des Bescheids wurde die Aufhebung des Leistungsbescheids vom 10.06.2024 auf § 9 Abs. 4 AsylbLG i.V.m. § 45 Abs. 1 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB X) gestützt. Der Bescheid vom 10.06.2024 sei rechtswidrig ergangen, weil die Antragstellerin bereits im Zeitpunkt des Bescheiderlasses keinen Anspruch auf Leistungen nach §§ 3, 3a, 6 AsylbLG gehabt hätte. Der Antragstellerin sei bereits am 20.12.2023 internationaler Schutz in einem Mitgliedstaat der EU (Rumänien) gewährt worden, der fortbestünde. Eine freiwillige Ausreise sei der Antragstellerin möglich und zumutbar, sie habe somit nur Anspruch auf Leistungen nach § 1a Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 AsylbLG. Der Antragstellerin sei auch ein pflichtwidriges Verhalten vorzuwerfen, da sie, obwohl sie mit dem Anhörungsschreiben vom 30.08.2024 über die leistungsrechtlichen Konsequenzen ihres Verbleibs in Deutschland belehrt worden sei, nicht ausgereist ist. Nach § 14 Abs. 1 AsylbLG werde die Leistungseinschränkung auf sechs Monate befristet.
9
Am 07.10.2024 sprach die Antragstellerin erneut persönlich beim Antragsgegner vor und teilte mit, dass sie in Rumänien keine Leistungen erhalten habe, ihr sei die rechtliche Lage erklärt worden und sie sei auf die mögliche Inanspruchnahme von Hilfsangeboten in Rumänien hingewiesen worden. Zudem teilte sie mit, dass sie die Wertgutscheine des Antragsgegners nicht in Läden mit Halal-Lebensmitteln einlösen könne. Aufgrund ihres Vorbringens erhält die Antragstellerin seit 01.11.2024 anstatt von Wertgutscheine ihre eingeschränkten Leistungen auf eine Bezahlkarte.
10
Gegen den Bescheid vom 20.09.2024 erhob die Antragstellerin mit Schreiben ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 23.10.2024 Widerspruch, über den soweit ersichtlich noch nicht entschieden ist.
11
Mit Schreiben ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 23.10.2024, beim SG Würzburg eingegangen am 23.10.2024, hat die Antragstellerin einstweiligen Rechtsschutz in Form der Verpflichtung des Antragsgegners zur vorläufigen Gewährung von Leistungen nach den §§ 3, 3a AsylbLG in gesetzlicher Höhe sowie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt.
12
Zur Begründung wurde unter anderem ausgeführt, dass die Regelung des § 1a AsylbLG verfassungswidrig sei. Zudem lägen die Tatbestandsvoraussetzungen von § 1a Abs. 4 AsylbLG nicht vor. § 1a Abs. 4 AsylbLG sei verfassungsrechtlich nur zulässig, wenn der leistungsberechtigten Person ein pflichtwidriges Verhalten vorzuwerfen sei. Der Antragstellerin sei zwar in Rumänien ein Aufenthaltsrecht gewährt worden, allerdings habe sie sich weder pflichtwidrig in die Bundesrepublik Deutschland begeben, noch habe sie pflichtwidrig hier verweilt. § 1a Abs. 4 AsylbLG verstoße zudem gegen Unionsrecht. Letztlich stellten sich die vom Bundessozialgericht mit Beschluss vom 25.07.2024 – B 8 AY 6/23 R – dem Europäischen Gerichtshof vorgelegten Fragen zur Vorabentscheidung zur Auslegung der Aufnahmerichtlinie in Verbindung mit der Dublin-III-Verordnung gleichermaßen für die von einer Anspruchseinschränkung gemäß § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG betroffenen Personen. Es sei insbesondere offen, ob die Regelung des § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG mit Art. 17 der RL 2013/33 EU vereinbar sei.
13
Die Antragstellerin beantragt,
die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 20.09.2024 anzuordnen.
14
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzuweisen.
15
Seitens des Antragsgegners sei der Tatbestand des § 1a Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 AsylbLG erfüllt. Am 20.12.2023 sei der Antragstellerin internationaler Schutz in einem Mitgliedstaat gewährt worden. Der internationale Schutz bestehe fort. Eine Ausreise sei möglich und zumutbar, insbesondere würden in Rumänien Frauen weder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK, noch eine Situation materieller Not drohen (vgl. VG Köln Beschluss vom 17.6.2024 – 8 L 988/24.A; VG Ansbach Beschluss vom 14.05.2024 – 17 S 24.50237). Eine vorwerfbare Pflichtverletzung läge – unabhängig von deren Erforderlichkeit – vor. § 1a Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 AsylbLG begegne keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Es sei nicht eindeutig, ob sich die in Bezug auf § 1a Abs. 7 AsylbLG offenen, unionsrechtlichen Fragen auch für § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG stellen. Die Frage könne aber im einstweiligen Rechtschutz dahinstehen, da das Bundessozialgericht das Konzept der Leistungseinschränkung nach § 1a AsylbLG gerade nicht derart in Frage stelle, dass es grundsätzlich die Gewährung des Existenzminimums gefährdet sehe. Es sei davon auszugehen, dass selbst der gekürzte Bedarf nach § 1a Abs. 1 AsylbLG zur Deckung des Existenzminimums ausreiche.
16
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Akten des Antragsgegners Bezug genommen.
II.
17
Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist zulässig, aber nicht begründet.
18
Gegenstand des Eilrechtsschutzverfahrens ist das Begehren der Antragstellerin, höhere Leistungen nach dem AsylbLG in Form von Grundleistungen in Höhe der Bedarfsstufe 1 nach §§ 3, 3a AsylbLG ohne Kürzung zu erhalten.
19
Der Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist zulässig und insbesondere statthaft. Die Antragstellerin wendet sich gegen die mit Bescheid vom 20.09.2024 verfügte Anspruchseinschränkung für die Zeit von Oktober 2024 bis März 2025 und begehrt stattdessen Leistungen in Höhe des zuvor bewilligten Umfangs nach § 3, 3a AsylbLG.
20
Gegen die Rücknahme der bis auf Weiteres bewilligten Grundleistungen i.H.v. monatlich 465,60 EUR (Bescheid vom 10.06.2024) und die Einschränkung des Anspruchs auf monatlich 228 EUR gemäß § 1a Abs. 1 und 4 AsylbLG durch den Bescheid vom 20.09.2024 kann sich die Antragstellerin mit einem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung i.S.d. § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 SGG wenden. Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die von dem Antragsgegner verfügte Leistungseinschränkung haben keine aufschiebende Wirkung (§ 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i.V.m. § 11 Abs. 4 Nr. 2 AsylbLG). Zudem könnte die Antragstellerin bei Erfolg, bereits aus der Leistungsbewilligung im Bescheid vom 10.06.2024 einen Anspruch auf Grundleistungen i.H.v. monatlich 465,60 EUR herleiten. Bei dem Bescheid vom 10.06.2024 handelt es sich nach Auffassung der erkennenden Kammer nämlich um einen Dauerverwaltungsakt, weil insbesondere in Ziffer 1 des Bescheids ausgeführt wird, dass die Antragstellerin bis auf Weiteres Leistungen nach dem AsylbLG erhält. Der Zusatz, dass die Bewilligung vorerst bis zum Ende des laufenden Monats gelte und dass sich der Bewilligungszeitraum bei gleichbleibenden Voraussetzungen um jeden weiteren Monat verlängere, in dem die Voraussetzungen erfüllt seien, ist so zu verstehen, dass die Bewilligungsentscheidung nur bei Veränderungen in den Verhältnissen wieder abgeändert werden könnte bzw. würde, zunächst sollte sie jedoch unbegrenzt gelten. Nach objektiven Empfängerhorizont ist der Verwaltungsakt daher als eine zukunftsoffene Bewilligung und damit als Dauerverwaltungsakt zu verstehen.
21
Der Antrag ist aber unbegründet. Die Entscheidung nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG erfolgt aus Grundlage einer Interessensabwägung. Abzuwägen sind das private Interesse des Antragstellers, vom Vollzug des Verwaltungsaktes bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens verschont zu bleiben und das öffentliche Interesse an der Vollziehung der behördlichen Entscheidung. Im Rahmen dieser Interessensabwägung kommt den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache eine wesentliche Bedeutung zu. Zudem ist die Wertung des § 11 Abs. 4 Nr. 2 AsylbLG zu berücksichtigen, wonach der Gesetzgeber aufgrund einer typisierenden Abwägung der individual-und öffentlichen Interessen dem öffentlichen Interesse am Sofortvollzug prinzipiell Vorrang gegenüber entgegenstehenden Interessen einräumt. Eine Abweichung von diesem Regel-Ausnahmeverhältnis kommt nur in Betracht, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bestehen oder wenn ausnahmsweise besondere Interessen überwiegen (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 13. Auflage 2020, § 86b Rn. 12b, § 86 a Rn. 27a).
22
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist zurückzuweisen, da keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 20.09.2024 bestehen, weder hinsichtlich der Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 AsylbLG noch hinsichtlich der vom Antragsgegner nach § 45 SGB des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB X) mit Wirkung für die Zukunft vorgenommenen Rücknahme des Bescheids vom 10.06.2024.
23
Die vom Antragsgegner mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 20.09.2024 vorgenommene Anspruchseinschränkung ist nach Auffassung der erkennenden Kammer in rechtmäßiger Weise erfolgt. Nach § 1a Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 AsylbLG erhalten (u. a.) Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 oder 1a AsylbLG, denen bereits von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union internationaler Schutz gewährt worden ist, nur Leistungen entsprechend § 1a Abs. 1 AsylbLG, d. h. keine Leistungen nach §§ 2, 3 und 6 AsylbLG (§ 1a Abs. 1 Satz 1 AsylbLG). Ihnen werden bis zu ihrer Ausreise oder der Durchführung ihrer Abschiebung nur noch Leistungen zur Deckung ihres Bedarfs an Ernährung und Unterkunft einschließlich Heizung sowie Körper- und Gesundheitspflege gewährt (§ 1a Abs. 1 Satz 2 AsylbLG). Nur soweit im Einzelfall besondere Umstände vorliegen, können ihnen auch andere Leistungen im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG gewährt werden (§ 1a Abs. 1 Satz 3 AsylbLG). Die Leistungen sollen als Sachleistungen erbracht werden (§ 1a Abs. 1 Satz 4 AsylbLG).
24
Die im Gesetz genannten Voraussetzungen des § 1a Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 AsylbLG liegen vor. Die Antragstellerin ist Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 AsylbLG, da sie in der Vergangenheit und den Angaben der ZAB vom 14.11.2024 zufolge derzeit bis mindestens 24.10.2025 im Besitz einer gültigen Aufenthaltsgestattung nach § 55 Asylgesetz (AsylG) ist. Die Antragstellerin hat den Mitteilungen des BAMF aus der Abfrage der EURODAC-Datenbank vom 06.04.2024 zufolge im EU-Mitgliedsstaat Rumänien am 20.12.2023 internationalen Schutz erhalten. Im Fall der Zuerkennung internationalen Schutzes wird gemäß Art. 24 RL 2011/95/EU anerkannten Flüchtlingen regelmäßig ein Aufenthaltstitel für drei Jahre ausgestellt und subsidiär Schutzberechtigten für ein Jahr mit Verlängerungsmöglichkeit. Demnach besteht der Schutz im Fall der Antragstellerin noch fort; von einer kürzeren Erteilung oder einem Widerruf bzw. einer Aberkennung ist nichts bekannt, insbesondere hat die ZAB keine gegenteiligen Informationen durch das BAMF erhalten.
25
Besondere Umstände, die eine Gewährung anderer Leistungen nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG rechtfertigen könnten, wurden trotz eines Hinweises zur Möglichkeit der Angabe im Anhörungsschreiben nicht vorgetragen und sind auch ansonsten nicht ersichtlich. Die Leistungen wurden zunächst als Sachleistungen und in Form von Wertgutscheinen gewährt. Aufgrund einer persönlichen Vorsprache erhält die Antragstellerin ihre eingeschränkten Leistungen anstatt in Form von Wertgutscheinen seit 01.11.2024 auf eine Bezahlkarte.
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Die in § 14 Abs. 1 AsylbLG vorgeschriebene Befristung der Anspruchseinschränkung auf sechs Monate wurde durch den Bescheid vom 20.09.2024 beachtet.
27
Über den Voraussetzungen des Wortlauts hinaus, waren unabhängig davon, ob es ungeschriebener Tatbestandsmerkmale bedarf (derzeit anhängig beim BSG – B 8 AY 5/23; Vorinstanz LSG Bayern, Urteil vom 09.03.2023 L 8 AY 110/22 – juris), ab dem Zeitpunkt der tatsächlichen Leistungseinschränkung, das heißt, ab Oktober 2024, die in der Rechtsprechung teilweise im Wege einer verfassungskonformen Auslegung geforderten Voraussetzungen von § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG erfüllt, da die Antragstellerin sich durch den Verbleib im Bundesgebiet pflichtwidrig verhielt.
28
Dem Bayerischen Landessozialgericht zufolge verlangt eine Pflichtverletzung bzw. ein pflichtwidriges Verhalten, dass den Leistungsberechtigten ein persönliches (im Sinne von eigenes) Fehlverhalten trifft (vgl. BSG, Urteil vom 12.05.2017 – B 7 AY 1/16 R – juris). Ferner muss dessen Kausalität für die Handlung gegeben sein, an welche der jeweilige Einschränkungstatbestand anknüpft. Für die hier streitgegenständliche Norm des § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG bedeutet dies, dass die Ursächlichkeit in Bezug auf ein Verweilen im Bundesgebiet bestehen muss. Letztlich ist nämlich Zweck der Norm die Verhinderung der Inanspruchnahme von Sozialleistungen in Deutschland aufgrund der asylrechtlichen Zuständigkeit eines anderen EU-Mitgliedsstaats (LSG Bayern, Urteil vom 09.03.2023 – L 8 AY 110/22 – juris). Darüber hinaus setzt ein pflichtwidriges Verhalten unter anderem voraus, dass die Rückkehr in das schutzgewährende Land rechtlich und tatsächlich möglich und zumutbar sein muss (LSG Bayern, Urteil vom 09.03.2023 – L 8 AY 110/22 – juris).
29
Vorliegend liegt das Fehlverhalten im Verbleib der Antragstellerin im Bundesgebiet. Denn die Antragstellerin ist trotz Kenntnis von ihrem Schutzstatus und nach dem Hinweis des Antragsgegners vom 30.08.2024 nicht freiwillig in das ihr Schutz gewährende Land zurückkehrt, sondern in Deutschland verblieben (vgl. LSG Bayern, Beschluss vom 17.09.2018 – L 8 AY 13/18 B ER – juris). Die Antragstellerin ist unter Fristsetzung darauf hingewiesen worden, dass sie eine Einschränkung ihrer Leistungen durch freiwillige Ausreise abwenden können. In Rahmen des Anhörungsschreibens wurde der Antragstellerin zudem eine konkrete Frist gesetzt, innerhalb derer die Ausreise zu erfolgen habe, um die Leistungseinschränkung zu vermeiden bzw. zu beenden (vgl. dazu LSG Bayern, Beschluss vom 20.12.2022 – L 8 AY 131/22 B ER – juris). Unschädlich ist insofern, ob ein Aufenthaltsrecht in Deutschland besteht. Hier war dies der Fall, weil der Antragstellerin gemäß § 55 AsylG auch während des streitigen Zeitraums zur Durchführung des Asylverfahrens der Aufenthalt gestattet war. Das Innehaben eines Aufenthaltsrechts beseitigt aber nicht den Umstand der Schutzgewährung und der durch das europarechtliche Asylregime begründeten vorrangigen Zuständigkeit eines anderen EU-Mitgliedsstaates, die auch die Zuständigkeit für die Existenzsicherung umfasst (siehe Art. 29 Abs. 1 RL 2011/95/EU und auch Art. 17 RL 2013/33/EU). Diese europarechtlich angelegte Zuständigkeitsaufteilung würde ihre praktische Wirksamkeit verlieren, bliebe sie insofern unberücksichtigt (LSG Bayern, Urteil vom 09.03.2023 – L 8 AY 110/22 – juris).
30
Das Verweilen der Antragstellerin im Bundesgebiet war zudem als Pflichtverletzung im Rahmen des § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG zu werten, weil ihr die Rückkehr nach Rumänien zumutbar war. Dass die Aufenthaltsgestattung eine Rückkehr nicht rechtlich unmöglich machte, wurde bereits dargelegt. Anders als bei einer Rückkehr nach Griechenland sind der erkennenden Kammer keine Fälle bekannt, wonach Rückkehrern nach Rumänien die ernsthafte Gefahr einer erniedrigenden Behandlung i.S. des Art. 3 EMRK droht, die eine Rückkehr unmöglich machen würden (vgl. VG Köln Beschluss vom 17.6.2024 – 8 L 988/24.A; VG Ansbach Beschluss vom 14.05.2024 – 17 S 24.50237). Bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allein möglichen summarischen Prüfung erscheint eine Rückkehr nach Rumänien für die Antragstellerin daher insgesamt zumutbar. Auch der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin hat im Hinblick auf eine mögliche Unzumutbarkeit der Rückkehr keinerlei Nachweise erbracht.
31
Es bestehen weder verfassungsrechtliche Bedenken im Zusammenhang mit § 1a Abs. 4 AsylbLG (so auch LSG Bayern, Beschluss vom 08.07.2019 -L 18 AY 21/19 B ER – juris; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 14.05.2019 – L 7 AY 1161/19 ER-B – juris; jeweils zum weitgehend inhaltsgleichen § 1 a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG in der bis zum 20.08.2019 geltenden Fassung) noch Bedenken im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit Unionsrecht (vgl. LSG Bayern, Urteil vom 09.03.2023 – L 8 AY 110/22 – juris).
32
Zwar verweist § 1a Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 AsylbLG i.V.m. § 1a Abs. 4 Satz AsylbLG ebenso wie § 1a Abs. 7 AsylbLG a.F. im Hinblick auf das konkrete Leistungsniveau auf § 1a Abs. 1 AsylbLG. Da die Einschränkungstatbestände unterschiedliche Regelungszwecke verfolgen und unterschiedliche asylrechtliche Konstellationen betreffen, kann insbesondere im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes nicht geklärt werden, ob sich die Fragen des Bundessozialgerichts zur Vereinbarkeit des § 1 a AsylbLG mit Europäischem Recht, gleichermaßen auch für den hiesigen Fall stellen. Im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes können höhere als die gesetzlich vorgesehenen Leistungen jedenfalls nicht zugesprochen werden, da es insbesondere an der Darlegung und Glaubhaftmachung eines konkreten notwendigen, von den abgesenkten Leistungen nicht gedeckten persönlichen Bedarf durch die Antragstellerin fehlt.
33
Darüber hinaus hat der Antragsgegner auch die Rücknahme des Bewilligungsbescheids vom 18.12.2020 gemäß § 9 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 AsylbLG i.V.m. § 45 Abs. 1 SGB X zu Recht vorgenommen.
34
Der Antragsgegner stützt die Aufhebung seines Bewilligungsbescheids vom 10.06.2024 auf § 9 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 AsylbLG i.V.m. § 45 Abs. 1, 2 SGB X. Danach darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Nach § 9 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 AsylbLG gelten für die Abänderung (Rücknahme, Widerruf, Aufhebung) von Verwaltungsakten die §§ 44 bis 50 SGB X.
35
Die Rücknahme des Bewilligungsbescheids vom 10.06.2024 war formell rechtmäßig, insbesondere ist die erforderliche Anhörung ordnungsgemäß erfolgt.
36
Die Rücknahme des Bewilligungsbescheids vom 10.06.2024 war auch materiell rechtmäßig.
37
Der Bescheid vom 10.06.2024 wurde vorliegend durch den Bescheid vom 20.09.2024 mit Wirkung ab Oktober 2024 zurückgenommen. Dabei handelt es sich um eine Rücknahme i.S.d. § 45 SGB X, da der Bescheid vom 10.06.2024, wie oben dargelegt, einen Dauerverwaltungsakt darstellt, durch den der Antragstellerin zukunftsoffen Grundleistungen für die Zeit ab Mai/Juni 2024 bewilligt worden sind.
38
Die Gewährung der mit Bescheid vom 10.06.2024 bewilligten Leistungen stellt einen begünstigenden Verwaltungsakt dar. Dieser war jedoch bereits im Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsaktes rechtswidrig, da die Voraussetzungen für eine Leistungseinschränkung nach § 1 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 AsylbLG bereits zum Zeitpunkt der Bekanntgabe des Verwaltungsaktes vorlagen.
39
Die im Gesetz genannten Voraussetzungen des § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG lagen bereits bei Bescheiderlass vor, da der Antragstellerin schon am 20.12.2023 internationaler Schutz in Rumänien gewährt wurde (vgl. oben).
40
Nach § 45 Abs. 2 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Der Antragsgegner stellte insbesondere zutreffend fest, dass sich die Antragstellerin für die Zukunft nicht darauf berufen kann, dass ein schutzwürdiges Vertrauen besteht, da zukünftige zu erbringende Leistungen noch nicht verbraucht sein können und zudem keine Vermögensdisposition, die nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig gemacht werden kann seitens der Antragstellerin in der persönlichen Vorsprache geltend gemacht wurde. Eine Rücknahme war nicht aufgrund von § 45 Abs. 2 bis 4 SGB X ausgeschlossen und der Antragsgegner hat bei seiner Entscheidung pflichtgemäßes Ermessen ausgeübt. Somit ist die im Bescheid vom 20.09.2024 vorgenommene Rücknahme des Bewilligungsbescheids vom 10.06.2024 gemäß § 9 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 AsylbLG i.V.m. § 45 Abs. 1 SGB X im Ergebnis rechtmäßig.
41
Der Widerspruch der Antragstellerin in der Hauptsache hat daher voraussichtlich im Zeitraum vom 01.10.2024 bis 31.03.2025 keine Aussicht auf Erfolg. Damit überwiegt in der Abwägung das Interesse des Antragsgegners an der Vollziehung des Bescheids vom 20.09.2024.
42
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 Abs. 1 S. 1 SGG und folgt dem Ergebnis der Sache.
43
Für den Antragsgegner besteht die Möglichkeit einer Beschwerde gegen diesen Beschluss, da der Wert des Beschwerdegegenstands die maßgebliche Beschwerdesumme übersteigt (vgl. §§ 172, 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG). Die Differenz zwischen den zuvor mit Bescheid vom 10.06.2024 gewährten Leistungen (465,60 Euro) und den im Bescheid vom 20.09.2024 festgesetzten Leistungen (228 €) beträgt 237,60 Euro. Da mindestens vier Monate streitig sind, übersteigt der Wert des Beschwerdegegenstands die maßgebliche Beschwerdesumme.
III.
44
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, weil die Angelegenheit aufgrund der obigen Ausführungen auch unter Zugrundelegung einer weiten Auslegung des § 114 ZPO keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114 Abs. 1 ZPO). Da die Entscheidungsreife von Eilantrag und Prozesskostenhilfeantrag zum selben Zeitpunkt vorlag, ist die Entscheidung gleichzeitig ergangen (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, 13. Auflage 2020, § 86b Rn. 16).