Titel:
Restschuldbefreiungsantrag, Antrag auf Restschuldbefreiung, Vollstreckungsprivileg, Unerlaubte Handlung, Insolvenztabelle, Hinweispflicht des Gerichts, Elektronisches Dokument, Elektronischer Rechtsverkehr, Pfändungs- und Überweisungsbeschluß, Allgemeine Feststellungsklage, Eröffnungsbeschluss, Aufgabe zur Post, Eigenantrag des Schuldners, Antrag des Schuldners, Bekanntgabe, Rechtsbeschwerde, Gläubiger, Qualifizierte elektronische Signatur, Amtsgericht als Vollstreckungsgericht, Pfändungsfreigrenzen
Normenkette:
InsO § 174 Abs. 2, 175 Abs. 2; ZPO § 850f Abs. 2
Leitsätze:
1. Die Deliktseigenschaft einer Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung kann nicht in die Insolvenztabelle eingetragen werden, wenn der Schuldner keinen Antrag auf Restschuldbefreiung gestellt hat. (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Vollstreckungsprivileg gem. § 850f Abs. 2 ZPO reicht für die Eintragung nicht aus. (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Hinweispflicht des Gerichts auf außerinsolvenzliche Folgen des Vollstreckungsprivilegs besteht nur bei einem gestellten Antrag auf Restschuldbefreiung. Die Gläubigerin muss daher eine allgemeine Feststellungsklage erheben. (Leitsätze der Redaktion) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Insolvenzverfahren, Restschuldbefreiung, Forderungsanmeldung, Deliktseigenschaft, Vollstreckungsprivileg, Insolvenztabelle, Feststellungsklage
Rechtsmittelinstanzen:
AG München, Beschluss vom 23.01.2025 – 1507 IN 3109/21
AG München, Beschluss vom 24.02.2025 – 1507 IN 3109/21
Fundstellen:
BeckRS 2024, 43187
FDInsR 2025, 943187
Tenor
Das durch die Gläubigerin, lfd. Nr. 5 der Tabelle, zur Eintragung in das Tabellenblatt lfd. Nr. 5 der Insolvenztabelle angemeldete Forderungsattribut der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung wird zurückgewiesen.
Gründe
1
Mit Schreiben vom 07.04.2022 hat die Gläubigerin Tabelle lfd Nr. 5 () beim Insolvenzverwalter eine Insolvenzforderung angemeldet. Diese wurde am 24.06.2022 gerichtlich geprüft. Mit weiterem Schreiben vom 29.11.2022 hat die Gläubigerin nachträglich ein Forderungsattribut zur Eintragung in die Tabelle angemeldet, wonach die Forderung hinsichtlich eines Teilbetrags in Höhe von 2.705,31 EUR aus einer vorsätzlichen begangenen unerlaubten Handlung herrühren soll. Dieses Forderungsattribut soll der Gläubigerin ein Vollstreckungsprivileg gem. § 850f Abs. 2 ZPO einräumen. Auch auf gerichtlichen Hinweis, dass der Schuldner keinen Antrag auf Restschuldbefreiung gem. § 287 Abs. 1 InsO gestellt hat, hält die Krankenkasse mit Schreiben vom 22.10.2024 unter Hinweis auf Rechtsprechung des BGH (Beschluss vom 04.09.2019 Az.: VII ZB 91/17) an Ihrem Antrag auf Eintragung des Forderungsattributs fest.
2
Es wird hier der Auffassung des AG Aurich (NZI 2016, 143), des AG Köln (NZI 2020, 899) und des AG Norderstedt (NZI 2020, 32) gefolgt, wonach eine Deliktseigenschaft einer Forderung bei fehlenden Restschuldbefreiungantrag des Schuldners nicht in die Insolvenztabelle eingetragen werden kann.
3
Im gegenständlichen Verfahren hat der Schuldner trotz Belehrung gem. § 20 InsO (Bl. 2/4 d.A.) keinen Antrag auf Erteilung der Restschuldbefreiung gestellt. Eine Feststellung im Eröffnungsbeschluss vom 16.03.2022, dass der Schuldner Restschuldbefreiung erlangen kann, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen, ist nicht erfolgt. Fälschlicherweise wurde vorliegend jedoch im Eröffnungsbeschluss der Passus, dass bei Vorliegen eines Forderungsattributs nach Einschätzung des Gläubigers diese Tatsachen bei der Anmeldung zur Tabelle anzugeben seien, aufgenommen.
4
Der Schuldner kann demnach eine Begrenzung der Nachhaftung gem. § 201 InsO, wie dies bei Erteilung einer Restschuldbefreiung möglich wäre, im hier vorliegenden Verfahren nicht erreichen. Eine Hinweispflicht des Gerichts gem. § 175 Abs. 2 InsO besteht nur dann, soweit Forderungsanmeldungen mit Tatsachenvortrag gem. § 174 Abs. 2 InsO vorliegen, sofern der Schuldner eine natürliche Person ist und die Erteilung der Restschuldbefreiung beantragt hat (BeckOK InsO, 15. Edition, Rn 20 zu § 175 InsO). Der Gesetzgeber hielt diese Hinweispflicht wegen dem möglichen Ausschluss einer Forderung von der Restschuldbefreiung für erforderlich (Braun Insolvenzordnung 7. Auflage Rn 26 zu § 175 InsO). Eine ausdrückliche Hinweispflicht des Gerichts in Verfahren ohne eigenen Antrag des Schuldners auf Erteilung einer Restschuldbefreiung auf außerinsolvenzliche Folgen des Vollstreckungsprivilegs gem. § 850f Abs. 2 ZPO ist jedenfalls dem Wortlaut des § 175 Abs. 2 InsO, der auf § 302 InsO verweist nicht zu entnehmen. Auch die Funktion der §§ 174 ff. InsO zielt nach hiesiger Auffassung darauf ab, den Schuldner lediglich bei einem gestellten Antrag auf Erteilung der Restschuldbefreiung über die Ausnahme von Forderungen mit festgestellten Forderungsattributen aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung, aus rückständigen gesetzlichen Unterhalt den der Schuldner vorsätzlich pflichtwidrig nicht gewährt hat oder aus Steuerverhältnissen im Zusammenhang mit einer Steuerstraftat, von der Restschuldbefreiung gem. § 302 Abs. 1 InsO zu informieren (hierzu auch Ahrens NZI 2016, 121 und AG Köln a.a.O).
5
Auch der Hinweis der Gläubigerin auf die oben angeführte BGH Rechtsprechung führt zu keinem anderen Ergebnis. Die Entscheidungen des BGH vom 04.09.2019 – Az.: VII ZB 91/17 und vom 11.03.2020 – Az.: VII ZB 38/19 betreffen Sachverhalte in denen das Amtsgericht als -Vollstreckungsgericht-, die Vorlage eines Tabellenauszugs aus der Insolvenztabelle mit eingetragenen Attribut aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung für den Nachweis des Vollstreckungsprivilegs des § 850f Abs. 2 ZPO und den Erlass von Pfändungs- und Überweisungsbeschlüssen unter Herabsetzung der Pfändungsfreigrenzen als nicht ausreichend angesehen haben. Der BGH hat hier entschieden, dass die Vorlage eines vollstreckbaren Auszugs aus der Insolvenztabelle mit eingetragenen Forderungsattribut aus einer Deliktseigenschaft zum Nachweis des Vollstreckungsprivilegs gem. § 850f Abs. 2 ZPO ausreichend ist, sofern kein Bestreiten des Schuldners vorliegt. Die Entscheidungen enthalten dagegen keine Aussage, ob in Insolvenzverfahren in denen kein Antrag des Schuldners auf Erteilung einer Restschuldbefreiung gestellt wurde, eine Belehrungs- bzw. Hinweispflicht des Insolvenzgerichts sich auch auf das Vollstreckungsprivileg des § 850f Abs. 2 ZPO erstrecken soll bzw. muss. Ohne eine gesetzlich normierte Belehrungs- bzw. Hinweispflicht des Insolvenzgerichts auch in Bezug auf die Folgen des tief greifenden Vollstreckungsprivilegs gem. § 850f Abs. 2 ZPO für den Schuldner, kann aus Gründen der Rechtssicherheit in Verfahren ohne Antrag auf Erteilung der Restschuldbefreiung auch kein Forderungsattribut aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung in die Insolvenztabelle eingetragen werden.
6
Auch in der Entscheidung des BGH vom 16.07.2020 – Az.: IX ZB 14/19 zur Zulässigkeit einer Rechtsbeschwerde geht der BGH nicht darauf ein, ob in Verfahren in denen überhaupt kein Antrag auf Restschuldbefreiung gestellt wurde, überhaupt ein Vollstreckungsprivileg gem. § 850f Abs. 2 ZPO in die Insolvenztabelle eingetragen werden kann.
7
Die Antragsstellerin ist hinsichtlich der begehrten Feststellung ihres Anspruchs aus Anlass einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung auf die Erhebung einer allgemeinen Feststellungsklage zu verweisen.